1815, 2. August.


Mit Sulpiz Boisserée

Mittags kam ich [in Wiesbaden] zu Goethe; es war ein fröhlicher, herzlicher Empfang. Stein hatte ihn ersucht, an Hardenberg ein Memoire zu schreiben über die Kunst und die antiquarischen Angelegenheiten; darüber wollte er mich berathen. Er ging gleich darauf ein, daß es geradezu, ohne Steins Veranlassung zu erwähnen, geschehen müsse, um dem nächsten Parteiwesen zu entgehen. Ich erzählte ihm, wie er bei Hardenberg gut angeschrieben sei, nach den Äußerungen von Jordan, im Hauptquartier, über sein politisches Benehmen. Goethe ging gleich weiter, meinte, er könne ja das Memoire zugleich an Metternich schicken, er sei ihm ohnehin noch den Dank für den Orden schuldig. Hauptgrundsatz soll darin sein, daß die Kunstwerke und Alterthümer viel verbreitet würden, jede Stadt die ihrigen behalte und wieder bekomme, aber daß dabei geltend zu machen sei, daß ein Mittelpunkt gegeben werde, wovon aus über das Ganze gewacht würde. »Laßt Düsseldorf wieder etwas haben, wie es in seinen Sälen aufgestellt [182] war, wozu Alles in München? Laßt Köln, Bonn, ja Andernach etwas haben! Das ist schön und ein großes Beispiel, daß die Preußen den Petrus nach Köln zurückgeben. So stellt auch der Ingenieurgeneral Rauch alle römischen Alterthümer, die bei Köln gefunden werden, in seinem Hause auf, mit dem festen Willen, daß sie in Köln bleiben sollen.« Vom Domwerk, von Cornelius, dessen Faust, von Ruscheweih sehr schön gestochen, er bekommen habe, soll gesprochen werden; von Allem, was Einzelne gethan, und was nun zu erwarten, wenn die Unterstützung der Regierung zu Hülfe komme. »Gebt nur den Malern und Kunstbeflissenen zu leben und zu thun, so werden sich schon von selber Schüler bilden. Mit allen Zeichenschulen ist es doch nichts, es läuft am Ende nur auf Handwerk und Fabrik hinaus; ich weiß ja, wie es uns in Weimar geht; ich hüte mich wohl, das Jedem zu sagen, aber du lieber Gott, die Zeichenschule ist nur dazu da, daß die Leute die Kinder aus dem Hause kriegen, und für die Kinder ist sie nur da, daß sie daran vorbei gehen! Ich will sie auch wahrhaftig nicht daran hindern, ich weiß, was zu einer eigentlichen Kunstakademie gehört, aber das sind ganz andere Forderungen, als man machen kann.«

Ich sprach ihm von einer deutschen Gesellschaft für Alterthum und Kunst, wo es auf's Sammeln ankomme, und das Bedürfniß der Gemeinschaft am natürlichsten sei, und wodurch am ersten dergleichen Zusammenwirken zu Stande zu bringen wäre. Aber freilich müßte es [183] geschehen, ohne alle äußere Anstalt von Seiten der Regierung; nur Freiheit und Begünstigung bedürfe man, es müsse sich von selbst machen, da sein, ehe davon gesprochen würde.

Goethe ging auf Alles ein, erinnerte mich an das, was er von der englischen Gesellschaft der Naturforscher in der Farbenlehre erzählt hat u.s.w. Von der Farbenlehre waren wir auf den Magnetismus gekommen; ich hatte ihm von Schelver erzählt, von Neefs Bekanntschaft mit Major Meyer, und den Papieren der Frau v. N. »Er hasse dieses Treiben, weil die Menschen es zu weit führen, und doch sicherlich nie dahinter kommen, darum bekümmere er sich auch gar nicht darum, und wolle nichts davon wissen. Er ehre und erkenne die Erfahrung an, damit sei es aber auch abgethan. Es bedürfe, meinte er, fünfzig Jahre, ehe die Farbenlehre anerkannt werden könne, sie sei nur für die jungen, unbefangenen Menschen, mit den andern sei nichts anzufangen; die säßen bis an den Hals in ihrem System, und sei ihnen unbequem, sich einmal auch nur zum Versuch heraus zu bemühen. Darum sei er auch von Herzen grob gewesen; das gefalle doch wenigstens der Jugend, die dächte: Ei, der Alte weiß doch sonst auch Bescheid und kennt seinen Vortheil, er wird doch nicht ins Blaue hinein schelten und verrückt sein, sondern er muß einen Hinterhalt, Grund und Boden haben, wir wollen das doch näher betrachten und beleuchten. So kommen sie allmählich in die[184] Sache hinein; hätte ich es aber gelinder gemacht, so würden mich die jungen Kerls eben so wenig gehört und gelten gelassen haben. Ich habe mir meine Blockhäuser in die Physik hinein gebaut, so bei der Farbenlehre, so bei der Metamorphose der Pflanzen. Da kann mir keiner vorbei, ohne daß ich darauf schieße; um das Übrige bekümmere ich mich nicht. Jene Lehren habe ich auf Urphänomene gegründet, da bin ich schon zu Hause. Was hätte und müßte man alles herausfördern können, wenn man vierzig bis fünfzig Jahre alles was von außen herkömmt, bei Seite lassen könnte. Was möchte daraus geworden sein, wenn ich mit wenigen Freunden vor dreißig Jahren nach Amerika gegangen wäre und von Kant u.s.w. nichts gehört hätte? Was hat nicht der Winterl (in Pest) in der Chemie geleistet, weil er vierzig Jahre lang Lavoisier und alle neuen Entdeckungen und Fortschritte rein bei Seite gelassen. Erlebt hat er freilich die Anerkennung seines Verdienstes nicht, aber jetzt, da er acht Jahre todt ist, kömmt es allgemein dazu. Es ist eine große Entdeckung von ihm, daß es keine reine Säure, keine Base gebe, sondern daß man eines für das andere setzen könne. Die Chemie rückt jetzt mit großen, gewaltigen Schritten nach durch Berzelius, Strohmeier, Göttling, Döberreiner. Letzterer ein junger Mann in den Dreißigen, in Jena, hat Winterl in seinem Compendium große Ehre erwiesen; das will etwas sagen von einem jungen Mann in den Dreißigen, der kann es durchsetzen.«

[185] Dann kam er auf die verschiedene Begabung der Menschen; wie viele Talente und Genies bleiben durch Verhältnisse unentwickelt und zurückgehalten; wie viel Dummköpfe dagegen werden durch Verhältnisse, Erziehung und Künstelei in die Höhe auf Catheder u.s.w. gehoben.

Ich meinte, die menschlichen Gaben seien fast in allen Zeiten gleich, aber die Zeiten seien ungleich, und die Menschen unter sich ungleich, und die Verhältnisse. Goethe sagte: ein alter Hofgärtner [J. H. Seidel] in Dresden habe von selbst die Metamorphose der Pflanzen gefunden, und habe ihm dann mit Freuden davon erzählt, wie er gemerkt, daß er auch etwas davon wisse.

Goethe: Wunderliche Bedingtheit des Menschen auf seine Vorstellungsart, wie Kant sehr richtig mit Antinomie der Vorstellungsart ausdrückt; so muß es mir mit Gewalt abgenöthigt werden, wenn ich etwas für vulkanisch halten soll, ich kann nicht aus meinen Neptunismus heraus; das ist mir am auffallendsten gewesen am Laacher See und zu Mennig; sehen Sie, das hat mich so ruhig gelassen, daß ich, wie Abt Spangenberg, hätte sagen mögen: Wir wünschen der lieben Gemeinde unsere Ruhe und unsern Frieden! Da ist mir nun Alles so allmählich erschienen, das Loch mit seinen gelinden Hügeln und Buchenhainen; und warum sollte denn das Wasser nicht auch löcherige Steine machen können, wie die Bimssteine und die Mennigersteine? Daß das Gewässer, ehe es sich gesetzt, zuletzt noch einmal große Bewegung [186] gemacht, wie im ersten Anfang, warum das nicht? Es möchte dem Vulkanismus schwerer fallen, die Mennigersteine als Lava durchzuführen, und vollständig zu erklären, wie sie geflossen und dahin gekommen. Ja, wenn von Vulkanen die Rede, wie bei Nemi in Italien, da bin ich genöthigt, überzeugt und überwältigt, da glaube ich, und wenn ich einmal einen Vulkan anerkenne und vertheidige, dann will es auch was heißen; so in Böhmen, da habe ich bewiesen, wie ich mich eines Vulkans annehmen kann; aber hier hat Hamilton mehr gesehen, als zu sehen war, und dem hat dann der elende Deluc, der gar nichts davon versteht, nachgeschwatzt. Diese Antinomie der Vorstellungsart ist es nun, warum wir Menschen nie auf's Reine kommen können mit einem gewissen Maß von Wissen, sondern immer alte Wahrheiten und Irrthümer, auf eine neue Weise aussprechen; darum wir über viele Dinge uns nie ganz verständlich machen können, und ich daher oft zu mir sagen muß: darüber und darüber kann ich nur mit Gott reden, wie das in der Natur ist, und das; was geht es nun weiter die Welt an. Sie faßt entweder meine Vorstellungsart, oder nicht, und im letztern Falle hilft mir alle Menschheit nichts. Darum, über viele Dinge kann ich nur mit Gott reden.

Dann kamen wir auf die Geschichte von Goethes Ring mit dem Serapiskopf, worunter die Zahl INI steht. Er hatte dem Ring lange nachgestellt, konnte[187] ihn lange nicht haben; im März war er unwohl, ein Freund kömmt: rathen Sie ein Ungeheueres! – »Der jüngste Tag.« – Nein. – »Napoleon ist entflohen.« – Ja! Den andern Tag kam der Ring. Felix omen: Napoleon interiit.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1815. 1815, 2. August. Mit Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A7CF-E