1811, 5. October.


Mit Wilhelm Dorow

Im Jahre 1811 machte der Herausgeber dieser »Denkschriften und Briefe« die persönliche Bekanntschaft von Goethe, bei dem er durch Briefe von Fr. Aug. Wolf und Joh. Fried. Reichardt eingeführt wurde. Ersterer sandte ein Prachtexemplar seiner Übersetzung der »Wolken« des Aristophanes mit. Goethe ließ lange auf sich warten, erschien endlich höchst elegant gekleidet, mit dem Ehrenlegionsorden im Knopfloche, ministeriell, und nachdem die ersten Höflichkeitsbezeigungen vorüber waren und man sich gesetzt hatte, legte er die Briefe uneröffnet beiseite, blätterte in den »Wolken«, schlug auf und sagte: »Ein sehr schönes Format! ein sehr schönes Papier! ja, auch ein sehr schöner Druck! Das ist ein vortreffliches Werk.« Hiermit legte er das vortreffliche Werk beiseite und sah den Überbringer mit großen Augen an. Dieser, über Goethes Art und Weise erzürnt, entgegnete: »Wenn Ew. Excellenz nach solchem Maßstabe die Trefflichkeit eines Buchs beurtheilen, so wäre dieses traurig für Ihre eigenen Werke; denn Herr Cotta hat dazu schlechtes Papier, schlechten Druck und ein schlechtes Format, ähnlich den medicinischen Recepten genommen.« Goethes Gesicht veränderte sich sichtbar in freundlichere Züge; er fing an, über Wolf sehr lobend zu sprechen, Reichardt [29] zu erwähnen vermied er, doch ergoß er sich in theilnehmende Äußerungen über dessen vortreffliche Frau und liebenswürdige Familie und fragte, ob ich schon Wieland gesprochen hätte, der durch den Umsturz mit dem Wagen sehr leidend sei. Auf ein Ja und auf die Bemerkung, daß Wolf jenem gleichfalls ein Exemplar der »Wolken« gesendet habe, wurde Goethes Gesicht wieder sehr verdrießlich. »Hat Wieland das Buch freundlich aufgenommen?« fragte Goethe heftig. Da kein Grund vorhanden war, Wieland's Äußerungen zu verschweigen, so erwiderte ich: »Der freundliche, sanfte Mann, der schmerzensvoll im Lehnstuhl saß, blätterte nicht, wie Ew. Excellenz, ruhig, sondern mit großer Bewegung das Buch durch« – doch schien sich dieses nur auf die Anmerkungen zu beziehen – legte das Buch fort und sagte sehr bewegt: »Ich glaube viel, sehr viel Gutes über Aristophanes und gerade über keine ›Wolken‹ gesagt zu haben, doch nirgend bin ich genannt, nirgend ist meiner erwähnt.« Ich entschuldigte Wolf mit der Versicherung, daß er wenig oder gar keine deutschen Bücher lese und er dieses gewiß aus Unkenntniß also gethan habe. »Ja,« rief der kranke Mann mit funkelnden Augen aus, »ja, darin liegt eben der Stolz! Der da in Berlin und der hier in Weimar, die glauben beide hoch oben auf dem Olymp zu sitzen und hatten alles Lebende für Gewürm, was kaum werth ist zu ihren Füßen zu kriechen.« Dieses erzählte ich einfach und sehr ruhig an Goethe, welcher darauf lächelnd [30] fragte, ob ich den Mann wohl kenne, den Wieland gemeint? Auf meine Versicherung in einem noch etwas gereizten Tone, daß dieses wohl keinem Menschen auf Erden zweifelhaft sein könne, reichte mir Goethe die Hand und hieß mich herzlich willkommen. Dieses war der Beginn meiner Bekanntschaft mit Goethe; ich blieb acht Tage in Weimar, sahe ihn noch öfters in seinem Hause und in spätern Jahren, wenn ich durch Weimar kam, fand ich bei ihm stets eine freundliche Aufnahme.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1811. 1811, 5. October. Mit Wilhelm Dorow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A7F0-D