1826, um Jahresmitte. (?)


Mit Karl Heinrich von Lang

Auf der Rückreise ging's. . . nach Weimar, wo ich mich vom Teufel verblenden ließ, mich bei seinem alten Faust, dem Herrn v. Goethe, in einem, mit unterthänigsten Kratzfüßen nicht sparsamen Brieflein anzumelden. Ich war angenommen um halb eins.

Ein langer, alter, eiskalter, steifer Reichsstadtsyndicus trat mir entgegen in einem Schlafrock, winkte mir wie der steinerne Gast, mich niederzusetzen, blieb tonlos in allen Seiten, die ich bei ihm anschlagen wollte, stimmte bei allem, was ich ihm vom Streben des Kronprinzen von Bayern sagte, zu und brach dann in die Worte aus: »Sagen Sie mir: ohne Zweifel werden Sie auch in Ihrem Ansbacher Bezirk eine Brandversicherungsanstalt haben?« Antwort: Ja wohl! – Nun erging die Einladung, alles im kleinsten Detail zu erzählen, wie es bei eintretenden wirklichen Bränden gehalten werde. Ich erwiederte ihm: es komme darauf an, ob der Brand wieder gelöscht werde, oder Ort oder Haus wirklich abbrenne. »Wollen wir, wenn ich bitten darf, den Ort ganz und gar abbrennen lassen.« Ich blies also mein Feuer an und ließ alles verzehren, die Spritzen vergeblich sausen, die Herren Landrichter vergeblich brausen, rücke andern Tags mit meinem Augenscheine aus, lasse den Schaden einschatzen, von der [302] Schatzung soviel als möglich herunterknickern, dann neue Schönheitsbaurisse machen, die in München Jahr und Tag liegen bleiben, während die armen Abgebrannten in Baracken und Kellern schmachten und zahle dann in zwei, drei Jahren das abgehandelte Entschädigungssümmlein heraus. Das hörte der alte Faust mit an und sagte: »Ich danke Ihnen.« Dann fing er weiter an: »Wie stark ist denn die Menschenzahl von so einem Rezatkreis bei Ihnen?« Ich sagte: Etwas über 500000 Seelen. – »So! so!« sprach er; »Hm, hm! Das ist schon etwas.« (Freilich mehr, als das Doppelte vom ganzen Großherzogthum Weimar.) Ich sagte: Jetzt, da ich die Ehre habe, bei Ihnen zu sein, ist dort eine Seele weniger. Ich will mich aber auch wieder dahin aufmachen und mich empfehlen. – Darauf gab er mir die Hand, dankte mir für die Ehre meines Besuchs und geleitete mich zur Thür. Es war mir, als wenn ich mich beim Feuerlöschen erkältet hätte.

[303]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1826. 1826, um Jahresmitte. (?) Mit Karl Heinrich von Lang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A883-E