20.3.1951
Betr. Schwerbeschädigte,
Werter Kollege Vogel!

Nach Einsichtnahme in Dein Schreiben durch Kollege Warnke wurde mir dasselbe zur direkten Beantwortung übergeben.

Verschiedene Fragen hätten bereits mit der neuen Verordnung ‘über die Einbeziehung der Schwerbeschädigten in den Produktionsprozess und deren gesundheitliche und soziale Betreuung’ eine Klärung gefunden. Leider ist diese Verordnung trotz bereits mehrmaliger Kritik unsererseits auf Grund der Reorganisation der Arbeitsämter, die noch einige Änderungen notwendig macht, bis jetzt noch nicht verabschiedet. Wir rechnen damit aber in Kürze endgültig.

Neben den von Dir gegebenen guten Anregungen, die wir für unsere weitere Arbeit verwerten werden, sind wir in einigen von Dir aufgeworfenenen Fragen anderer Meinung.

Du bist nicht mit der Festlegung einverstanden, dass die einzige Vertretung der Schwerbeschädigten im Betrieb die (BGL)Betriebsgewerkschaftsleitung ist. Dazu führst Du die Voreingenommenheit eines BGL-Vorsitzenden bei Einstellung von Schwerbeschädigten und auch Deine eigenen umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit als Schwerbeschädigten-Betreuer des FDGB-Kreisvorstandes im Jahre 1948 an. Es sind, wie Du richtig aufzeigst, auch heute noch Mängel in dieser Hinsicht vorhanden, und wird notwendig sein, zur Überwindung derselben vielen Betriebsgewerkschaftsleitungen entsprechende Anleitung zu geben. Wir wissen auch, dass von seiten der Betriebsgewerkschaftsleitung oft eine falsche Voreingenommenheit bei Einstellung Schwerbeschädigter besteht. Gerade aber deshalb wird durch die neue Verordnung die gesamte Verantwortung für die Wahrnehmung der besonderen Belange der Scherbeschädigten - dazu gehört in erster Linie die dem Grad der Beschädigung und den Fähigkeiten entsprechende Arbeitsplatzvermittlung - in die Hände der BGL gelegt.

Natürlich wird die Lösung der in diesem Zusammenhang anfallenden Aufgaben nicht allein der BGL obliegen. Es ist nötig, dass von seiten der jeweiligen Sozialkommission sowie der gewerkschaftlichen Vertrauensleute eine allseitige Unterstützung geboten wird.

Damit taucht auch gleich die zweite Frage auf, weshalb keine besonderen Schwerbeschädigten-Vertrauensleute gewählt werden. bzw. weshalb nicht Deinen Forderungen entsprechend die Belange der Schwerbeschädigten im Betriebn nur von einem Scherbeschädigten wahrgenommen werden können. Du schreibst: ‘Warum räumt der FDGB den Schwerbeschädigten dieses Recht nicht ein?’ Diese Frage ist so nicht richtig gestellt, denn nirgends ist angeordnet, dass einem Schwerbeschädigten, der in die BGL-Sozialkommission oder auch zum gewerkschaftlichen Vertrauensmann gewählt wurde, untersagt sei, sich insbesondere der Unterstützung der Schwerbeschädigten anzunehmen. Es ist andererseits nicht möglich, so etwas einfach zu bestimmen, denn diese Organe im Betrieb werden auf demokratischer Grundlage gewählt. Es wurde nach unserer Kenntnis bisher noch nirgends zum Asudruck gebracht, dass die Wahrnehmung der Belange der Schwerbeschädigten im Betrieb durch einen Schwerbeschädigten veraltet sei. Es ist aber falsch, wenn Du schreibst: ‘Nur ein Schwerbeschädigter kann mit den Schwerbeschädigten mitfühlen und ihnen helfen’. Damit widersprichst Du Dir selbst, denn Du schreibst gleich weiter: ‘Sie wollen nicht, wie man immer wieder hört, eine besondere Gruppe bilden.....’. Gerade diese Gruppenbildung und vorhandene Organisationsbestrebungen erwachsen aus dieser Deiner Meinung, dass nur Schwerbeschädigte selbst mitfühlen und helfen können.

Niemals wäre auch von seiten unserer Regierung, den Gewerkschaften usw. eine derartige Unterstützung vorhanden, wenn Deine Meinung den Tatsachen entspräche. Erwähnen möchte ich hier auch umfrangreiche Unterstützugsmaßnahmen aller verantwortlichen Stellen der DDR für unsere Blinden, die gerade jetzt bereits auf allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens wirksam werden.

Viele Schwerbeschädigte neigen aus alter Tradition dazu, Ansprüche auf besondere Behütung zu haben. In der DDR ist das nur noch z. Teil berechtigt. Einerseits gewährleistet unsere ständig aufsteigende Volkswirtschaft jedem arbeitsfhäigen Schwerbeschädigten entsprechende volle Arbeitsmöglichkeit, und andererseits sind durch die vorhandenen Institutionen auf allen Gebieten die Voraussetzungen für allseitige Unterstützung gegeben.

Abschliessend sei zu dieser Frage gesagt, daß besondere Schwerbeschädigten-Vertrauensleute nicht gewählt werden, und auch die Tätigkeit der noch bestehenden Schwerbeschädigten-Ausschüee voll von den dafür zuständigen Stellen der Verwaltung und der Gewerkschaften übernommen wird. Wir werden, das sei unterstrichen, dabei laufend bemüht sein, den Ind.Gewerkschaft. die notwendige Anleitung zu geben, um eine gute und umfassende Unterstützung auf allen Gebieten zu gewährleisten.

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Wir hoffen, mit unserer Stelliungnahme Dein Schreiben beantwortet zu haben, und werden ständig dafür Sorge tragen, dass die Arbeit und Wahrnehmung der besonderern Belange unserer Schwerbeschädigten allseitig verbessert wird.

Mit gewerkschaftlichem Gruss!
(Sonntag)

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FDGB BUndesvorstand, Sonntag

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TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Interessenorganisationen. E21 - Transkript. Geschichte-MMB. FDGB BUndesvorstand, Sonntag. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1EA-1