[] Prolog.

Es war an einem Abende in der Mitte des Septembers 1849, als unter den Bäumen des Parks vor City-Hall in New-York ein junger Mann lässig auf einer der dort angebrachten Bänke ruhte. Er hatte den Strohhut abgenommen und das volle dunkle Haar der Abendluft preisgegeben. Die Sommerkleidung, die er trug, war sauber und von elegantem Schnitte und das strohgelbe seidene Halstuch, über welches zwanglos der blendend weiße Kragen fiel, stach gefällig von seinem leicht gebräunten, kräftigen Halse ab. Eine fein geschnittene Nase, mit dem schwarzen, wohlgepflegten Schnurrbarte darunter und den regelmäßig gezeichneten Brauen darüber, gaben seinem Gesichte einen Anstrich von Noblesse, während die zwei Furchen an der Nasenwurzel und das leicht in die Höhe gezogene Kinn ihm den Charakter einer festen Bestimmtheit aufdrückten.

Seine Augen hatten bisher planlos über alle die Gestalten, welche geschäftig den Platz durchkreuzten, hinweg geschweift; in diesem Augenblicke aber waren sie plötzlich auf einem Punkte haften geblieben, der sein besonderes Interesse zu erregen schien. Vom Broadway aus war eine der fashionable gekleideten Damen, wie sie diesen Theil der Stadt bevölkern, in den Park getreten und bog jetzt in einen Seitenweg ein, der dicht an dem Sitze des jungen Mannes vorüberführte.

»Da ist sie wahrhaftig wieder, und dies ist heute der dritte Abend, an dem sie um dieselbe Zeit kommt!« brummte der Dasitzende vor sich hin. »Wäre ich eitel, so könnte ich denken, ich hätte eine Eroberung gemacht!«

[] Die Dame näherte sich. Unter dem eleganten Hut sah ein frisches, kokettes Gesicht hervor und den kleinen aufgeworfenen Mund umspielte ein Lächeln der Befriedigung, als sie den Inhaber der Bank bemerkte. Ihr Schritt zögerte, als sei sie ungewiß, was zu thun; doch wie in raschem Entschlusse trat sie plötzlich heran und wandte sich mit einigen halblauten Worten an den jungen Mann. Der war überrascht aufgesprungen, denn er konnte nur in peinlicher Verlegenheit den Kopf schütteln; er wußte wohl, was er höre, sei englisch, aber er verstand bis jetzt noch kein Wort davon. Ein neues Lächeln umspielte den hübschen Mund vor ihm – sie ließ die Augen prüfend über sein Gesicht laufen, fast etwas zu dreist, wie es ihm scheinen wollte; als sich jetzt aber die Schritte eines Dritten der Bank näherten, wandte sie sich mit einem »Beg your pardon, Sir!« weg und ging davon.

Der Andere sah ihr kopfschüttelnd nach, bis ihn ein Schlag auf die Achsel aus seiner Verwunderung riß.

»Guten Abend, Herr von Helmstedt, wie geht's Hochdenen?« klang die Stimme des Angekommenen, der indessen in seinem abgetragenen, bis an den Hals zugeknöpften Rocke und dem alten schwarzen Hute, der schon theilweise der Krempe untreu geworden war, einen auffallenden Contrast mit dem Ersteren bildete. »Ich sehe, Sie bewundern die schöne Natur in allen ihren Branchen,« setzte er hinzu, mit dem Kopfe nach der forteilenden Frauengestalt hindeutend, »es sollte mir leid thun, wenn ich gestört hätte!«

»Hat nichts zu sagen,« erwiderte Jener und nahm seinen früheren Platz ein, »ich möchte mich nur todtärgern, daß ich so ein Dummkopf im Englischsprechen bin. Ueber zwei Monate schon treibe ich mich hier herum und kann noch nicht einmal eine einzige Frage verstehen!«

»Ich habe Ihnen das vom Anfange an prophezeit,« sagte der neue Gefährte, indem er sich mit der aristokratischen Nachlässigkeit eines Berliner Gardelieutenants auf die [] Bank warf, »Sie wollen aber von meiner Methode, schnell und gründlich in die Geheimnisse der Sprache zu dringen, nichts wissen. Apropos! Haben sie nicht eine Cigarre bei sich? Ich war heute zufällig etwas zu derangirt, um mir neuen Vorrath kaufen zu können, und ich vermisse lieber eine Mahlzeit, als meine gewöhnliche Cigarre.«

Helmstedt hatte ihm schon sein Etui hingehalten, aus welchem sich der Andere bediente, hierauf in seiner sich bescheiden verbergenden Weste ein Schwefelholz suchte und bald mit der Miene eines Kenners den blauen Rauch in die Luft blies. »Ja,« fuhr er dann behaglich fort, »ich bin doch kaum achtzehn Monate länger hier als Sie, aber ich kann wirklich sagen, daß ich in den meisten New-Yorker Verhältnissen vollkommen zu Hause bin, und meine augenblickliche Lage würde auch eine bessere sein, hätte ich in den letzten Monaten nicht positives Malheur gehabt. Erstlich hatte meine letzte Freundin, deren Wohnung ich theilte, die seltsame Marotte, daß ich ihr Geld nicht zum Spiele verwenden solle – und als ich ihr darin nicht willfahren konnte, finde ich mich am Morgen nach einer etwas wilden Nacht allein in dem vollkommen ausgeräumten Quartiere, verlassen von dem tollen Mädchen und von allen Existenzmitteln. Ich gehe nun nothgedrungen in ein Boardinghaus, werde aber hier schon nach der ausgebliebenen Zahlung für die erste Woche freundlich ersucht, Raum zu machen, und gegen alles Gesetz werden mir auch noch meine Habseligkeiten inne behalten. Die Wirthe werden jetzt wirklich jeden Tag gemeiner und illiberaler. Indessen,« fuhr er fort, zwei wohlgelungene Ringel in die Luft blasend, »ich habe bereits wieder Aussichten; es ist merkwürdig, wie hier ein nobles Air geliebt wird!«

Helmstedts Augen überliefen bei diesen Worten die äußere Erscheinung seines Gefährten und er konnte ein halb sarkastisches Lächeln nicht unterdrücken.

»O, Sie verziehen den Mund über mein jetziges Derangement,« [] fuhr der Redende gemessen fort, »was wollen Sie aber, lieber Freund? In einiger Zeit sind Sie vielleicht genau in demselben Zustande, ohne aber die Mittel zu besitzen, sich zu helfen, wie ich es kann. Sie verschleudern jetzt Zeit und Geld, um hier eine Stellung für Sie zu finden, wie sie gar nicht existirt. Sie leiden an derselben Krankheit, woran jährlich Hunderte von gebildeten jungen Deutschen hier zu Grunde gehen. Hacken und graben mögen sie nicht, ein Handwerk versteht Keiner, nach dem Westen zu gehen fürchten sie sich und nun suchen sie noch Stellungen als Ladendiener, Schreiber, Lehrer oder dergleichen, ohne auch nur das Haupterforderniß, das Verständniß der Landessprache, zu besitzen. Das dauert so lange, als das mitgebrachte Geld vorhält, und die Hoffnungen schwinden erst, wenn der Credit im Boardinghause gekündigt wird. Dann folgt noch eine kurze Zeit des Straßenelends und Mancher, der nicht den moralischen Muth hat, als letztes Mittel zur Hacke zu greifen oder Knecht auf einer Farm zu werden, macht seiner Noth durch einen Sprung in den North-River ein Ende. Welche Hilfsmittel haben Sie denn, Verehrter, wenn Ihre jetzigen Baaria zu Ende gehen und sich nicht ein ganz besonderer Zufall Ihnen entgegenwirft? Man denkt in der Regel nicht eher an die trübe Zeit, bis sie ins Zimmer herein sieht.«

Helmstedts Gesicht war nachdenklich geworden. »Sie malen schwarz, Seifert,« sagte er nach einer Weile; »ich habe mir indessen schon manche Freunde erworben, die mir ihre Hilfe zugesagt, und ich denke, ich will doch wenigstens den Anfang zu einer Existenz gewinnen, ehe ich ganz auf dem Trockenen sitze. Uebrigens,« fuhr er lebendiger fort, »haben Sie denn so große Resourcen? Sie scheinen mir den Prediger zu machen und auch in eigener Person die abschreckenden Beispiele darzustellen.«

»Durchaus fehlgeschossen,« erwiderte der Andere ernsthaft und schnippte die Asche von seiner Cigarre. »Ihre [] Freunde werden Ihnen nichts nützen, sondern Sie im Gegentheil früher ruiniren, da sie Ihnen das Geld durchbringen helfen. Trauen Sie darin meiner Erfahrung. Was meine geringe Person aber betrifft, so sollen Sie gleich anderer Meinung werden. – Sie wissen, ich mußte Deutschland meiner Ueberzeugungen und einiger zufälliger Schulden wegen verlassen, brachte indessen noch so viel baares Kapital hierher, um für einige Monate mich sorglos in das hiesige Treiben stürzen zu können. Ohne Selbstlob muß ich sagen, daß ich bald die Verhältnisse richtig beurtheilen lernte, besonders da das unglückliche Ende zweier Bekannten mich mit der Nase auf die rechte Erkenntniß stieß. Ich beschloß, vor allen Dingen Amerikaner zu werden, besuchte nur amerikanische Trinklokale und hatte bald vermöge meines offenen Beutels einen Kreis von ›first rate boys‹ als Freunde um mich. Sie rechneten es sich zur Ehre, mich bei ihren verschiedenen Freundinnen einzuführen und schon nach dem ersten Champagner-Supper und einigen splendiden Landpartien, die ich veranstaltete, rissen sich die Mädchen um den ›Grafen‹, unter welchem Titel ich allgemein passirte, und der Graf hatte Tag und Nacht überall freien Eintritt. Innerhalb der ersten drei Monate schon sprach ich perfect englisch und war au fait in den New-Yorker Geheimnissen – es gibt keine besseren Lehrer für Beides als zärtliche Mädchen und flotte Jungen. Vier Wochen später war indessen auch mein Geld zu Ende, meine Freunde zogen sich bis auf wenige zurück, wie ich es erwartet, meine Freundinnen aber konnten den ›nobeln Grafen‹ nicht so schnell entbehren. Jede wollte mich jetzt zu ihrem besonderen Galan haben, um mich zu ernähren und auf der Straße mit mir Staat zu machen. Ich verbrachte ein Jahr in wahrer Schmetterlingsexistenz, von einer Blume zur andern flatternd. Da mußte ich die Thorheit begehen, mich von einer neu angekommenen Creolin für längere Zeit fesseln zu lassen und dadurch die ganze Zahl meiner übrigen Herrinnen gegen mich aufzuregen [] – die Folge davon sehen Sie in meiner jetzigen Lage, wie ich Ihnen vorhin mittheilte. Indessen hat das nichts zu sagen. Mehrere gute Hotels, die in meiner Bildung und Attitude, verbunden mit einer gründlichen Kenntniß der Stadt, ein brauchbares Werkzeug für sich erkannten, haben mir schon früher Vorschläge machen lassen; indessen habe ich mich erst heute entschlossen eine dieser Anerbietungen anzunehmen, da diese mir eine bestimmte Aussicht für die Zukunft gibt. Ich werde morgen abschließen und hoffe bestimmt in zwei Jahren mein eigenes gutfundirtes Etablissement zu besitzen.«

»Und in welcher Eigenschaft werden Sie dort sein?« fragte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend.

»In einer rein menschenfreundlichen!« antwortete Seifert und warf das letzte Endchen seiner Cigarre weg. »Ich werde erstens den ankommenden Fremden zu einem guten Hotel verhelfen, zweitens aber ihr Beistand in allen Verlegenheiten des Fleisches oder Geldbeutels, überhaupt in allen Dingen sein, die nicht in das öffentliche Geschäftsleben hineinpassen.«

»Das heißt einfach, Sie werden Runner, Kuppler, Wuchergehilfe und dergleichen werden.«

»Was wollen Sie, lieber Freund? Wir sind in Amerika und jedes geldbringende Geschäft ist achtungswürdig – nur die Dummheit wird hier gebrandmarkt. Uebrigens können Sie unter unseren Upper Tens Manchen finden, der mit nichts Besserem angefangen hat, und ich habe eine gewaltige Achtung vor diesen Leuten.«

Helmstedt drückte mit einem tiefen Athemzuge die Hand vor die Augen. »Wo logiren Sie denn, Seifert, seit Sie Ihr Boardinghaus verlassen haben?« fragte er nach einer Weile, als wolle er das eingetretene Schweigen unterbrechen.

»Vorläufig im Hotel Park!« war die Antwort.

»Hotel Park? Wo ist das?«

»Kennen Sie das größte und interessanteste Hotel New-Yorks [] nicht!? Sie sind wirklich noch weit zurück. Sehen Sie, so weit der grüne Rasen und die Bäume um uns reichen, erstreckt sich Hotel Park und Nachts können Sie das große und kleine Unglück beider Hemisphären hier einquartirt finden, hier, wo kein Schlafgeld verlangt wird. Dort hinter City-Hall, zwischen zwei ausgezeichnet schönen Bäumen, kann ich Ihnen mein bisheriges Schlafzimmer zeigen. Schade nur, daß nebenbei nicht auch für die nöthigen Mahlzeiten gesorgt ist. Morgen indessen hoffe ich das Versäumte nachholen zu können, denn mich verlangt gewaltig danach, und falls Sie mich heute Abend mit einer Einladung zum Supper beehren sollten, würde ich es gern annehmen!«

Helmstedt richtete sich aus seiner gebückten Stellung in die Höhe.

»Ich gestehe Ihnen ehrlich,« sagte er nach einer Pause, »daß ich nicht geglaubt hätte, einen Deutschen von Ihrer Erziehung sich so wohlgefällig im Schlamme seiner Erniedrigung wälzen zu sehen. Sagen Sie mir nur, finden Sie denn nicht selbst Ihr Leben unter aller Würde schmutzig und gemein?«

Seifert zog ein halb lächelndes, halb nachdenkliches Gesicht, langte nach dem auf der Bank liegenden Etui und zündete sich eine neue Cigarre an.

»Vom Standpunkte des deutschen Moralprincips aus mögen Sie Recht haben!« – sagte er dann; »ich huldige aber durchaus der Zweckmäßigkeits-Theorie, der einzig in Amerika anwendbaren, und sobald nur der Erfolg am Ziele lohnt, ist die Art des Weges dahin, ob schmutzig oder trocken, ziemlich gleichgiltig. Ich kann Ihre Indignation vollständig verstehen, denn Sie sind noch ein Kind für Amerika; Sie werden mich aber anders beurtheilen, wenn Sie später denselben Grundsatz nicht allein im Geschäftsleben, sondern auch in allen Branchen unserer Staatsmaschine durchgeführt finden. – Jetzt lassen Sie uns aber das bewußte Supper zu [] uns nehmen, denn ich fühle wirklich einen wahren Wolfshunger.«

Sie erhoben sich und verließen den Platz, Seifert fortwährend schwatzend, Helmstedt mit widerwilligem Gesichte neben ihm hergehend. –

Am Abend des nächsten Tages saß der junge Mann wieder auf seinem alten Platz, ohne aber dem regen Treiben vor seinen Augen einen Blick zu schenken. Sein bewölktes Gesicht war zur Erde niedergewandt. Das Bild von dem Schicksale so manches jungen Deutschen, das Seifert Tags vorher vor ihm aufgerollt, hatte mehr Eindruck auf ihn gemacht, als er sich selbst gestehen wollte; er hatte noch denselben Abend sein Geld durchgezählt und mit Schrecken die bedeutende Abnahme desselben wahrgenommen; er hatte den Morgen darauf die Runde bei allen seinen Bekannten gemacht, um ein klares Bild von den Aussichten zu erhalten, die er habe; – aber die ganze Beute, die er heimbrachte, war: daß für den Augenblick keine passende Stellung für ihn aufzutreiben sei, daß sich aber gewiß mit der Zeit etwas finden würde, daß sich solche Angelegenheiten eben nicht zwingen ließen und abgewartet werden müßten, und daß er nur den guten Muth nicht verlieren solle. Helmstedt aber sah die Sache heute anders an als gestern und erblickte schon die Zeit vor sich, wo er, aller Existenzmittel baar, dieselben Vertröstungen werde hören müssen. Er erkannte die dringende Nothwendigkeit, selbst und energisch zur Gründung einer Existenz Hand anzulegen, aber wie? Er war preußischer Referendar gewesen, hatte sich während der verunglückten Revolution mit dem Staate und seiner Familie entzweit und war mit der letzten Unterstützung, die ihm die väterliche Hand gereicht, ohne Plan, aber wohlgemuth nach dem Lande der Freiheit gegangen. Er hatte gerade nicht mehr gelernt, als sein Brodstudium und eine allgemeine Bildung erforderten; alle praktischen Kenntnisse, um hier fortzukommen, fehlten ihm gänzlich. Je mehr er seine Fähigkeiten prüfte, je [] mehr erkannte er die Richtigkeit von Seiferts Bemerkung in diesem Punkte. Zum Lehrer an einer höheren deutschen Anstalt fehlten ihm die gründlichen Kenntnisse, als niederer Schulmeister hätte er kaum gewußt, wie zu beginnen – das war indessen doch etwas zu Erreichendes. Zum Ladendiener oder Buchhalter mangelte ihm jeder Begriff der Sache und er verstand kein Englisch; an einer Zeitung beschäftigt zu werden, war aus denselben Gründen gar keine Aussicht. Er konnte ziemlich Clavier spielen, aber wie viele brodlose Musiklehrer hatte er schon getroffen! – Schulmeister also! Aber wie dahin gelangen? Er wollte sich morgen erkundigen und von früh bis Abends danach auf den Beinen sein.

So weit war er in seinen Gedanken gekommen, als ein verdunkelnder Körper vor seinen gesenkten Kopf trat – er blickte auf und sah gerade in das Gesicht der Dame von gestern, die mit demselben neckischen Lächeln ihr Auge auf ihm ruhen ließ. Unruhig, in eine neue Sprachverlegenheit zu gerathen, sprang er auf, aber im reinsten Deutsch hörte er die Frage: »Heißen Sie nicht August von Helmstedt?«

»Ja, – zu Befehl – jawol heiße ich so!« antwortete er etwas verblüfft und starrte die Fragerin an, – »mit wem habe ich die Ehre –«

»Keine besondere Ehre!« erwiderte diese und zeigte lachend ihre schönen Zähne. »Kennen Sie mich wirklich nicht, Herr ›August‹ ich heiße Pauline Peters.«

»Pauline – meine kleine Nachbarin aus der Friedrichsstraße?« rief Helmstedt halb erstaunt, halb ungläubig.

»Gerade dieselbe, die aber während der Zeit ziemlich groß geworden ist.«

»Aber um Gottes willen, Fräulein, was hat Sie denn nach New-York geführt?«

»O lassen Sie doch das Fräulein weg!« rief sie mit einem halb schmollenden, halb bittenden Ausdruck, »sind wir denn nicht Duzfreunde gewesen? Und wenn Sie sonst nichts hier hält, so geben Sie mir Ihren Arm, lassen Sie [] uns einen Spaziergang machen und plaudern – ich bin so glücklich, daß ich einmal wieder einen Bekannten aus früherer Zeit gefunden habe!«

Ehe noch Helmstedt recht wußte wie, hatte er schon den halben Park an des Mädchens Seite durchschritten und fühlte ihren Arm leicht wie eine Feder in dem seinen liegen, aber gerade diese leise Berührung ging ihm durch alle Nerven; er sah in ihr frisches Gesicht und hatte doch eigentlich noch kein Wort von ihrem Geplauder bis hierher gehört.

»Aber sagen Sie mir doch nur für's Allererste, wie Sie nach New-York kommen!« begann er wieder, »sind denn Ihre Eltern auch hier?«

Ein Schatten zog über das Gesicht seiner Begleiterin und als sie die Augen nach ihm hob und wieder senkte, war der Ausdruck darin ein so ganz von ihrem frühern neckischen Blick verschiedener, daß der junge Mann seine Frage fast bereute. Ein wunderbarer Reiz aber lag in der leichten Beweglichkeit ihrer Züge, welche die kleinste Seelenregung wiederzuspiegeln schienen.

»Meine Eltern sind ja schon drei Jahre todt; sie starben in der Choleraperiode,« sagte sie augenscheinlich gedrückt. »Sie waren damals schon längst aus Ihrem elterlichen Hause. Ich mußte unter fremde Leute gehen und schlimme Zeiten durchmachen; ich war wirklich mehr zur ›Gräfin‹ geboren, – wie Sie in früheren Jahren oft meinten, wenn Sie mir recht was Schönes sagen wollten,« und ein lächelnder, schelmischer Sonnenblitz brach aus ihrem Auge, das sie einen Moment zu ihrem Begleiter aufschlug, »meine Hände waren für schwere Arbeit zu dünn und zu klein, und um den ganzen Tag am Nähtische zu sitzen, hatte ich zu viel elastisches Gummi in mir – es war wirklich eine ganz unglückselige Geschichte. Endlich erhielt eine Freundin von mir, die sich auch am Nähtische schon halb den Rücken zerbrochen hatte, von einem Bruder hier in New-York das Geld zur Reise nach Amerika gesandt, und im Briefe dabei[] stand eine so wundervolle Schilderung über das Leben und die Stellung der Frauen hier, daß ich Alles, was noch vom Nachlaß meiner Eltern übrig war, zusammenraffte und kurz entschlossen mitreiste.«

»Und so leben Sie jetzt bei den Verwandten Ihrer Freundin?«

»Nicht mehr; die Familie ist ins Land gezogen und ich wollte New-York nicht verlassen. – Ich stehe jetzt hier ziemlich allein.«

Helmstedts Auge überflog die reiche, fashionable Kleidung des Mädchens und ein unangenehmer Gedanke dämmerte in ihm auf, der aber nicht zur vollen Macht kommen wollte, als er einen Blick in ihr Gesicht warf, dessen rosige, weiche Züge trotz des koketten Schelmes, der daraus hervorguckte, noch mit dem unberührten Duft der Jungfräulichkeit überhaucht zu sein schienen.

»Sie stehen allein hier, Fräulein?« fragte er nach einer augenblicklichen Pause, aber die leise Veränderung in seinem Tone schien ihr Alles, was in ihm vorging, verrathen zu haben. »Ja, fast allein, Herr von Helmstedt,« erwiderte sie und blickte ihn ernst und voll an, »aber ich will Ihnen zweierlei sagen: Erstens genießt die Frau hier zu Lande einen ganz merkwürdigen Schutz, wenn sie sich nur selbst schützen will, und zweitens können Sie, ohne Sorge, Ihre Ehre zu gefährden, sich mit mir in den Straßen New-Yorks zeigen!«

»Aber Fräulein –«

»Aber Herr von Helmstedt! Warum nennen Sie mich ›Fräulein‹, warum legen Sie einen solchen Gespensterton in Ihre Frage, ob ich allein stehe, und verderben mir meine ganze Freude, Sie wieder zu sehen? Ich bin doch nicht an vier hintereinanderfolgenden Tagen durch den Park gegangen, nur um sicher zu werden, ob Sie es auch wirklich seien, der auf die Bank dort gebannt schien, wie der trauernde Genius dort unten im Marbleshop auf dem Grabstein, den Niemand [] kaufen will, und habe Sie endlich zweimal angeredet – damit Sie alle Kindererinnerungen, die mich zu Ihnen trieben, vergessen und mich zuerst vorsichtig und bedächtig ins Gebet nehmen sollen, welche Stellung ich hier einnehme?«

»Aber liebe Pauline, es ist mir ja doch nicht eingefallen –«

»Gut, Herr August, ich bin jetzt schon zufrieden – sagen Sie mir nun aber auch, wollen Sie wol heute Abend den Thee mit mir nehmen? – ich meine in meiner Wohnung, wir werden ganz allein sein!«

»Ja – von Herzen gern!« erwiderte Helmstedt, dem bei dieser Einladung zehn verschiedene Vorstellungen durch den Kopf schossen und eine eigenthümliche Befangenheit in ihm erzeugten – als er sie aber anblickte, traf er auf ein so feuchtes, inniges Auge, welches zu ihm aufschaute, daß er ihren Arm fester an sich zog, ohne sich von den ihn durchkreuzenden Gefühlen Rechenschaft zu geben.

Sie hatten Broadway erreicht und diesen eine Strecke verfolgt, ohne daß die lebhafte Passage ihnen viel Worte erlaubt hätte; jetzt aber bog Helmstedts Begleiterin in eine Seitenstraße ein. »Wir haben noch ein gutes Stück bis zu meiner Wohnung,« sagte sie, »aber lassen Sie uns den Weg durch eine der stilleren Avenues nehmen – und jetzt sagen Sie mir doch nur mit zwei Worten, was Sie nach New-York gebracht? Ich hörte noch in Berlin, daß Sie Ihr Examen bestanden und beim Kammergericht eingetreten waren; das ist etwa ein und ein halbes Jahr her und ich habe mir in den letzten Tagen fast den Kopf wirre gedacht, was sie aus Ihrer Carriere nach Amerika hat werfen können. Hätte mich der Schnurrbart nicht unsicher gemacht – 's ist schon so lange her, daß ich Sie zum letzten Male gesehen – so hätte ich Sie schon am ersten Abend angesprochen.«

Helmstedt fühlte sich von der naiven Theilnahme, die sich in jedem Worte des Mädchens aussprach, warm und [] wohlthuend berührt, für ihn hatte aber die Zeit der früheren Bekanntschaft so fern gelegen, daß ihre plötzliche Erneuerung eine vollständige Ueberrumpelung für ihn gewesen war, zwischen der kleinen Pauline und dem blühenden Mädchen an seiner Seite, das sich bei ihren letzten Worten eben fester an seinen Arm gehangen, fand er keine Verbindungsglieder, und trotz allem Wollen konnte er sich nicht bis zur völligen Unbefangenheit hinaufarbeiten. Er erzählte ihr in kurzen Worten, was ihn nach New-York gebracht, daß er eben dabei sei, sich nach irgend einer neuen Lebensstellung umzusehen, und ihr Auge hatte dabei unverwandt an seinem Gesichte gehangen. »Aber Sie verstehen noch kein Englisch, August!« sagte sie, als er eine Pause machte, »und im niedersten deutschen Leben, wo Sie das etwa entbehren könnten, wollen Sie doch nicht anfangen?«

»Ich denke, ich bewerbe mich irgendwo um eine Schulmeisterstelle!«

»Um – um eine Schulmeisterstelle?« wiederholte seine Begleiterin, die plötzlich ihren Schritt anhielt und in ein Lachen ausbrach, so hell und klar wie Silber. »Sie, August, Schulmeister? – aber seien Sie nicht böse, ich konnte mir wahrhaftig nicht helfen!« sagte sie weitergehend, augenscheinlich bemüht, ihre lustige Laune zu bändigen; »wie um Gottes willen sind Sie denn auf die Idee gekommen?«

»Ja, wie!« erwiderte Helmstedt, und trotz aller sorgenvollen Gedanken, die plötzlich wieder vor seine Seele traten, hätte ihn beinahe das Lachen seiner Gefährtin angesteckt. »Wissen Sie vielleicht etwas anderes für mich?«

»Aber Sie sind doch Jurist,« erwiderte sie, ernster werdend, »warum gehen Sie nicht zuerst als Schreiber zu einem Advocaten und lernen, was Ihnen hier noch Noth thut, halten nachher Reden, werden bekannt, bekommen dadurch tüchtige Praxis oder lassen sich in ein paar Jahren zu irgend einem Amte wählen? Wenn ich ein Mann wäre, ich würde in Amerika gar nichts anderes als Advocat!«

[] »Aber ich verstehe ja noch nicht einmal ein Wort Englisch!«

»Well, das ist bald gelernt. Sie nehmen sich für ein paar Monate einen Lehrer und halten sich von aller deutschen Gesellschaft fern. Stehe ich auch allein, so habe ich doch einen Freund, der Sie in die beste amerikanische Gesellschaft bringen kann – ich weiß, August, daß es gerade Ihnen unter den Amerikanern gar nicht fehlen kann, wenn Sie nur wollen!«

Helmstedt antwortete nicht sogleich, aber sein Gesicht verrieth einen ganzen Berg trüber Gedanken. »Sie sind ein liebes, gutes Kind, Pauline,« sagte er nach einer Weile, »aber mit dem Plane ist es nichts.«

»Aber der Grund?«

»Weil's – weil's eben nicht geht. Hätte ich zwei Monate, die ich bereits in New-York verlebt, nach Ihren Ideen genutzt, so hätte ich diese vielleicht verfolgen können, – jetzt ist es zu spät!«

Das Mädchen sah ihm einen Augenblick forschend ins Gesicht, dann schien ihr plötzlich ein Verständniß aufzugehen, das sich wie ein Sonnenschein über ihre Züge verbreitete. »Dort ist meine Wohnung,« begann sie nach einer kurzen Pause, »wir wollen dort weiter über die Sache reden, vielleicht läßt sich trotz aller Unmöglichkeiten doch ein Ausweg finden.« Helmstedt sah das strahlende Lächeln in ihrem Gesichte, aber er begriff es nicht, wie ihm das ganze Mädchen und ihre Verhältnisse ein Räthsel waren.

Ueber einen von Bäumen beschatteten grünen Vorplatz, von der Straße durch ein eisernes Gitter abgeschlossen, schritt ihm das Mädchen nach einem kleinen, im eleganten »Cottagestile« gebauten Hause voran. Sie sprang behend die Außentreppe hinauf, zog die Klingel und eine Mulattin, knapp und Zauber gekleidet, öffnete. Sie machte der Eintretenden eine Meldung in englischer Sprache, von der Helmstedt aber nur die Worte: »Ihr Onkel ist hier gewesen, Miß Peters!« verstehen konnte, er sah aber, wie das Gesicht seiner Jugendfreundin [] ein schnelles Roth überflog, das indessen schon wieder verschwunden war, als sie sich nach ihm wandte. »Lassen Sie uns hinaufgehen,« sagte sie, »es ist gemüthlicher dort als in dem steifen Parlor; sobald der Thee fertig ist, wird uns Mary rufen.«

Sie schritten die elegante, mit dicken Teppichen belegte Treppe nach einer Vorhalle hinauf, aus welcher Helmstedt in ein Zimmer trat, das eine Empfindung in ihm hervorbrachte, als werde er mit einer weichen, duftigen Decke umhüllt. Die Luft war von jenem unbeschreiblichen Wohlgeruch geschwängert, der das Eigenthum der Bekleidung jeder wahren Dame zu sein scheint; die schweren Gardinen ließen die Helle nur gebrochen ins Zimmer fallen, und die Anordnung der Meubles, der weichen Divans und niederen Ruhesessel gaben in Gemeinschaft mit dem schweren Fußteppiche, der keinen Schritt hören ließ, dem Zimmer einen Charakter von wunderbarer Heimlichkeit. Helmstedt hatte noch nie den Comfort des amerikanischen Südens gesehen, wie er sich hier darbot, und als seine Begleiterin ihm mit einem Lächeln den Hut aus der Hand nahm, dann sich des ihrigen entledigte, Mantille und Handschuhe bei Seite that, mit einem kurzen Blick in den Spiegel die Haare zurückstrich und nun die kleine Hand hinstreckend auf ihn zutrat, wollte ihn das Gefühl einer entnervenden Aufregung überkommen, wie sie ihm bis jetzt vollkommen fremd war.

»Sie wohnen allein hier, Pauline?« fragte Helmstedt, nur leise die dargebotene Hand zwischen die seine nehmend.

»Mary und ihr schwarzer Mann haben das Basement inne,« erwiderte sie, ihm ruhig ins Gesicht sehend – »und das sind zwei Dienstboten treu wie Bulldoggen. Mr. Morton, dem das Haus gehört und der Zeitweise ein paar Zimmer hier oben einnimmt, hat sie erst vor drei Monaten aus Alabama mit herausgebracht. Mr. Morton ist nämlich ein alter Herr, den ich Onkel nenne,« setzte sie mit einem neuen Anflug von Röthe hinzu ohne indessen das [] Auge zu senken, »ich werde Ihnen die Verhältnisse noch ganz ausführlich und ohne Verhör erzählen, – jetzt aber haben wir von andern Angelegenheiten zu reden und deshalb setzen Sie sich einmal hierher!« Sie deutete auf einen der Divans dicht an seiner Seite – und Helmstedt saß in dem weichen Polster, das sich von allen Seiten seinem Körper anschmiegte, mit einem Gefühle, halb aus Behagen und halb aus einer Unruhe gemischt, von der er sich selbst keine Rechenschaft geben konnte; das Mädchen aber hatte einen der niederen Sessel ohne Rücklehne herangezogen, saß zu seinen Füßen und sah mit einem stillen warmen Blick zu ihm auf. »Sagen Sie nur erst einmal, August,« begann sie und legte ihren Arm auf seine Knie, »sind Sie noch immer so stolz wie früher?«

»Stolz – ich?«

»Daß jede angebotene Hilfe wie eine Beleidigung, wie ein Zweifel an Ihrer eigenen Kraft von Ihnen aufgenommen wird – Sie waren wenigstens als wilder Junge so und Sie haben gerade noch denselben Zug zwischen den Augen!«

»Nun, und wenn ich nun noch so wäre?«

»Hören Sie einmal, August – nicht wahr, Ihnen fehlt weiter nichts als das Geld, um hier wieder Ihre alte Carriere einzuschlagen? Wenigstens habe ich das errathen!«

»Nun?«

»Und wenn Sie nun Jemand dadurch glücklich machen können, daß Sie seine Hilfe annehmen, würden Sie sie zurückstoßen? – halt, warten Sie erst!« rief sie aufspringend, als Helmstedt Miene machte sich zu erheben, und faßte seine beiden Arme, »August, wir sind doch Freunde aus der Kindheit und wenn mir irgend ein Glück widerfahren wäre, so hätt's nicht größer sein können, als das, Sie wiederzusehen – ich habe ein Recht, Ihnen zu helfen; nicht wahr, Sie schlagen mir's nicht ab, da ich's kann?« Ihr Blick wurzelte in dem seinen mit einer Innigkeit, die ihm bis tief ins Herz drang.

[] »Pauline, Sie wären im Stande, mich zu einer Thorheit zu bewegen, – aber lassen Sie das!« sagte er und drückte sie sanft auf ihren Sitz zurück. »Sie gehen Ihren Weg und ich den meinigen, die beide wahrscheinlich ganz verschiedene Richtungen nehmen. Ich habe kein Recht, nach dem Ihrigen zu fragen, auf dem Sie meiner nicht bedürfen –«

»Aber ich will Ihnen Rechenschaft geben!« rief sie leidenschaftlich aufspringend – »ich weiß, was du denkst, August, aber es ist nicht so, und du sollst noch Alles erfahren – sei jetzt gut gegen mich, wie du's früher warst – 's ist eine glänzende Einöde, in der ich hier lebe; aber an dem Tage, an welchem ich dich in dem Parke sitzen sah, war mir's, als blühe ein ganzes Paradies in mir auf! sei kein gefühlloser Bär, August,« rief sie, als Helmstedt sich erheben wollte und legte ihre beiden Arme auf seine Schultern, »ich will ja nichts, als daß du mich ein klein wenig lieb haben sollst – ein ganz klein Bischen nur, denn dann wirst du mir's nicht verweigern, daß ich dir helfe und daß ich dich lieb haben darf wie mein Leben!« Sie hatte seinen Kopf zwischen ihre Hände genommen, Helmstedt fühlte einen brennenden Kuß auf seinen Lippen, dann aber hatte sie sich umgedreht, war nach dem Fenster gegangen und brach dort in ein krampfhaftes Weinen und Schluchzen aus. Helmstedt sprang auf, von zehn widerstreitenden Empfindungen bestürmt. »Pauline, seien Sie kein Kind!« sagte er und wollte sie in seinen Arm nehmen, aber sie wand sich leicht los, trat in die Vertiefung des nächsten Fensters und war in kurzem Kampfe bald ihrer Aufregung Herr geworden. »'S ist schon gut, August,« sagte sie mit einem Lächeln in Thränen sich umkehrend; »ich bin eine Närrin, aber seien Sie mir nicht bös darüber!«

»Sie sind ein leidenschaftliches Kind, Pauline, und haben mir noch nicht einmal Zeit zu einem einzigen Worte gelassen!« erwiderte Helmstedt und nahm ihre Hand zwischen [] die seinigen. »Sehen Sie, es läuft nun einmal gegen mein Gefühl, von irgend Jemand, sei es Bruder oder Freund, eine Unterstützung anzunehmen, wo meine eigenen Hilfsmittel noch nicht vollständig erschöpft sind und ich will mir lieber aus den untersten Klassen herauf eine Laufbahn durch meine eigene Kraft öffnen, als einen bequemeren Anfang der zufälligen Hilfe Anderer zu verdanken haben. Ich bin nun einmal so, Pauline!«

Sie nickte still mit dem Kopfe. »Aber, gesetzt den Fall, Sie hätten eine reiche Braut, die Sie liebten,« sagte sie nach einer kurzen Weile, »würden Sie sich auch von der nicht Ihren Weg erleichtern lassen?«

»Ich glaube nicht, daß, wenn ich selbst nicht viel Geld hätte, ich jemals ein reiches Mädchen zu meiner Braut machen könnte.«

»Supper is ready!« rief die Mulattin durch die halbgeöffnete Thür.

»Lassen Sie uns hinunter zum Abendbrode gehen!« sagte das Mädchen mit einem trüben Blicke und wollte ihre Hand aus der des jungen Mannes ziehen; dieser hielt sie aber mit kurzem Drucke fest. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Pauline,« sagte er, »aber ich meine, es ist besser, wenn ich nach Hause gehe, wir sind Beide zu aufgeregt, ich sehe Sie ein andermal wieder!«

»Ich will Ihnen zu nichts mehr zureden,« erwiderte sie mit gedrückter Stimme, »ob wir uns so bald wiedersehen werden, weiß ich auch nicht; Mr. Morton ist angekommen und hat über mich zu bestimmen. Aber um Eins bitte ich Sie, August! Wenn einmal eine Zeit kommen sollte, wo Ihre eigene Kraft die Hindernisse hier im Lande nicht mehr bändigen kann und wo eine helfende Hand nicht mehr gegen Ihre Ehre ist, so vergessen Sie nicht, daß Sie hier trotz Ihres Stolzes eine warme Freundin haben, wärmer – als Sie es verdienen!« Sie schlug einen Moment das Auge überquellend zu ihm auf, dann machte sie ihre Hand los [] und ging mit abgewendetem Gesicht ins Nebenzimmer. Helmstedt sah ihr nach und schwankte, ob er ihr folgen solle – langsam nahm er aber endlich seinen Hut und verließ das Haus. Er ging die Straße hinab, Broadway zu, aber er war in einem Zwiespalt mit sich selbst, den er umsonst auszugleichen suchte. Bald erschien er sich wie ein Narr, der mit dem Fuße die Rosen wegstößt, die auf seinen Weg fallen – bald kam ein Gefühl von Genugthuung, wie nach einer überwundenen Versuchung über ihn – bald trat der Eindruck, den das duftige Zimmer und das blühende Mädchen an seinem Halse auf ihn gemacht, wie ein Traum vor seine Seele, daß er stillstehen und sich noch einmal nach dem Hause umsehen mußte. »'S ist besser so!« brummte er endlich, mit der Hand über die Stirne streichend, und verfolgte die Straße weiter.

An der Ecke von Broadway stand, einen Korb voll kleiner Toiletten-Gegenstände zum Verkauf um den Hals gehangen, ein Junge mit ausgeprägt jüdischen Zügen. Ein wild gewordenes Pferd mit einem Wagen hinter sich kam prasselnd die Straße herab, und in dem augenblicklichen Gedränge, das durch die flüchtenden Fußgänger auf dem Seitenwege entstand, wurde dem kleinen Verkäufer der Korb vom Halse gerissen, und alle Herrlichkeiten darin über das Pflaster gestreut. Der Bube versuchte weinend seine Sachen wieder zusammen zu lesen und vor den Tritten der Passirenden zu schützen, und Helmstedt, der den ganzen Jammer des jungen Herzens mitfühlte, trat rasch hinzu, um aus dem Bankerott retten zu helfen, was wöglich. Als aber in dem wieder gefüllten Korbe, der jetzt ein Chaos von zerbrochenen Seifenstücken und in den Schmutz getretenen Allerhands bot, sich die ganze Größe des Unglücks zeigte und der Knabe nach einem trostlosen Blicke darauf in ein bitteres Schluchzen ausbrach, klopfte ihm Helmstedt in einer Aufwallung des Mitgefühls auf den schwarzen Krauskopf. »Heule nicht, Bub, das Malheur wird sich ja noch gut machen lassen!« [] sagte er. »Weißt du, wo Williamstreet ist? Komm morgen früh mit deinen Sachen hin. Hier hast du meinen Namen und die Nummer.« Er warf ihm seine Karte in den Korb und ging mit einem »Vergiß nicht!« von den großen Augen des Knaben gefolgt, rasch weiter, da sich bereits ein Haufen Neugieriger um sie versammelt hatte. Er hatte eben angefangen seinen Schritt wieder zu mäßigen, als er in dem Durcheinander der Fußgänger einen Menschen neben sich bemerkte, der eine Weile gleichen Schritt mit ihm hielt und ihn seitwärts betrachtete. »Bitt' um Verzeihung, Sie sind wol ein Deutscher?« begann er endlich. Helmstedt wandte den Kopf, und zwischen einem grauen Barte blickten ihn eine gebogene Nase und zwei kleine lebhafte Augen an, in denen der Jude nicht zu verkennen war. »Yes Sir! das bin ich,« erwiderte Helmstedt und wandte den Blick nach einem der Schaufenster, um einer weiteren Unterhaltung zu entgehen. »Sie sind wol noch nicht lange im Lande?« war die zweite Frage. »No Sir!« antwortete der Angeredete kurz und ging rasch weiter. »Darf man fragen, was Sie für ein Geschäft haben?« Helmstedt warf auf den zudringlichen Frager einen kurzen, messenden Blick und antwortete nicht. »Ich meinte es nicht bös, junger Herr – ich dachte nicht, daß Sie stolz wären – bitt' um Verzeihung!« – und damit blieb der aufgedrungene Begleiter zurück. Helmstedt schüttelte etwas verwundert den Kopf, hatte aber bald die kurze Scene in der wieder auftauchenden Erinnerung an die eben durchlebte Zusammenkunft vergessen. Erst als er sein Boardinghaus in Williamstreet und sein bereits dunkel gewordenes Zimmer erreicht hatte, trat die Sorge für die Zukunft wieder mit Macht vor seine Seele. Er fühlte keinen Appetit zum Abendbrod, warf sich auf sein Bett und ließ die Gedanken durch seinen Kopf streichen. Seit dem Lachen des neckischen Mädchens über seine Schulmeisteridee kam ihm diese, wenn er sich mit seinem ganzen Wesen hineindachte, selbst so absurd vor, daß [] er sie gar nicht mehr ansehen mochte und als aufgegeben über Bord warf – aber was dann? Wollte er nicht die ordinärsten Handlangerdienste verrichten, so war »Englisch können« der einzige Schlüssel zur Verwerthung seiner etwaigen Kenntnisse, – aber wenn er auch den Rest seines Geldes zum Studium der Sprache anwandte, wer gab ihm die Versicherung, daß er dann sogleich eine Stellung finden, oder daß auch nur sein Geld hinreichen würde, bis er so fix und fertig sei, wie er's für nothwendig hielt? Er sprang vom Bette, schloß seinen Koffer auf und begann wieder sein Geld durchzuzählen und zu berechnen. Nahm er einen guten Lehrer, so konnte er noch zwei, bei äußerster Einschränkung drei Monate leben; das langte weder hinten noch vorn, und doch mußte etwas geschehen, wenn er nicht auf gut Glück hin seine Mittel zu Ende gehen lassen wollte.

»Halloh, Herr von Helmstedt, so einsam im Halbdunkel?« rief Seifert, der in diesem Augenblick zur Thür hereintrat, »delibrirend? O! Cassa machend – Ausgezeichnetes Geschäft! – aber lassen Sie sich nicht stören!« fuhr er fort, als Helmstedt das noch offen liegende Geld in die Börse zurückstrich, sie im Koffer verbarg und diesen zuschlug, »ich wollte Ihnen im Vorübergehen nur einen guten Abend wünschen!« Helmstedt sah auf und hätte kaum den früheren Menschen in ihm wiedererkannt; ein flotter, modischer Frack saß wie angegossen um ihn, über die weiße Weste fiel eine goldene Kette, das Fischbeinstöckchen schlug die enganschließenden Beinkleider und auf dem wohlfrisirten Haare saß keck ein feiner Kastor.

»Mit Ihnen ist ja eine merkwürdige Veränderung vorgegangen!« sagte Helmstedt, ihn musternd, und es war ihm, als nehme seine Erscheinung eine Sorge von ihm, die noch über die Ausführung seiner eben gefaßten Entschlüsse auf ihm gelastet. »Kommen Sie her und nehmen Sie Platz!«

»Meinen Sie mich oder meinen Frack, dem diese Ehre zum ersten Mal widerfahren soll?« lachte Seifert, »aber ich [] hoffe, Sie werden Scherz verstehen,« setzte er hinzu, als er das Blut in Helmstedts Gesicht steigen sah, »ich habe dieselbe Frage schon an zehn Bekannte gerichtet, die mich heute zum ersten Male wiedererkennen wollten.«

»Vielleicht hätte sie auch bei mir gepaßt,« erwiderte Helmstedt, und machte einen Stuhl von den darauf liegenden Kleidungsstücken frei, »wenn Sie mir nicht erst gestern von Ihren verschiedenen Anstellungen erzählt hätten, wozu natürlich eine entsprechende Livree gehört. Also setzen Sie sich ohne Sorge um ein Mißverständniß.«

»Fein revanchirt, beißend revanchirt,« sagte Seifert mit einem Lächeln, dessen Deutung schwer gewesen wäre, »aber Sie wissen, wir differiren in einzelnen Punkten, und darum lassen Sie uns die Streitaxt begraben.«

»Sie kommen mir eigentlich gerade recht,« begann Helmstedt, sich auf seinen Koffer niederlassend und die Stirn in die Hand stützend, »ich möchte mir ein paar Fragen an Sie erlauben. Haben Sie wol die Dame genau gesehen, mit der ich sprach, als Sie mich gestern im Park trafen?«

»Mir entgeht Derartiges nicht leicht,« sagte der Besucher und lehnte sich auf seinen Stuhl zurück, »und ich gestehe Ihnen, daß mich Ihr Glück einigermaßen frappirt hatte.«

Helmstedt hob den Kopf. »Davon ist nicht die Rede. Ich möchte nur wissen, ob Sie das Gesicht in Ihren Kreisen einmal irgendwo vor die Augen bekommen haben?«

»Das heißt – erlauben Sie,« lachte Seifert, »in dem Falle hätte ich mir andere Bemerkungen gegen Sie und Ihre stillen Vergnügungen erlaubt, ich habe nicht einmal einen Zweifel in mir laut werden lassen, so fremd war mir die Erscheinung.«

Helmstedt ließ den Kopf wieder in die Hand sinken. »Seifert, ich glaube, Sie haben Recht, ich muß amerikanische Gesellschaft suchen – aber wie?« begann er nach einer Weile wieder, »ich möchte zuerst aus diesem Hause heraus und mich kopfüber unter das englisch-sprechende Publikum stürzen!«

[] »Spät kommt die Erkenntniß, aber sie kommt!« declamirte der Andere, »und ich gratulire Ihnen zu dem Entschlusse, wenn er auch wahrscheinlich nur in einem Paar hellen Augen wurzelt, die übrigens die besten Lehrmeister abgeben! Lassen wir aber Ihre vernünftige Stimmung nicht verstreichen, ich denke, wir fangen mit dem Kopfübersturz gleich heute Abend an.«

»Je eher, je lieber,« erwiderte Helmstedt, sich erhebend, »aber lassen Sie mich Eins sagen, Seifert, bringen Sie mich nicht an Orte, gegen die ich nun einmal grundsätzlich einen Widerwillen habe. Sie werden gewiß irgendwo muntere, aber anständige Gesellschaft wissen und ich will's Ihnen doppelt danken, wenn Sie diese Rücksicht für mich nehmen!«

»Werde Ihr jungfräuliches Gefühl möglichst zu schonen wissen! Lassen Sie sehen. Heute Abend sind Sie mein Gast bei einem Familien-Supper – fünf bis sechs noble junge Leute, einige Damen – das macht den Anfang, morgen werde ich Ihnen ein amerikanisches Boardinghaus, für Ihren Zweck vorzüglich geeignet, zuweisen, und dann findet sich das Uebrige.«

»Aber, lieber Freund, ich will nicht extravagiren, meine Mittel sind so geschmolzen, daß ich mich einschränken muß so viel als möglich!«

Seifert zuckte die Achseln. »Richten Sie sich ein wie Sie wollen,« sagte er, »einmal gehen Sie doch zu Ende und die Hauptfrage bleibt nur, auf welche Weise der möglichste Nutzen daraus zu ziehen ist. Aber wir verstehen uns darin nicht, und ich will Ihnen auch nie eher wieder einen Rath geben, als bis Sie mich bestimmt darum bitten. Jetzt wollen Sie amerikanisches Leben und die Sprache kennen lernen, gut, ich bin Ihr Mann, im Uebrigen folgen Sie Ihrem eigenen Gutdünken.«

»Und um welche Zeit findet Ihr Supper statt?« fragte der Andere, seine Stirne reibend.

»Wir können sogleich gehen!« war die Antwort, »wir [] holen einen meiner Freunde im Metropolitan-Hotel ab und sind von dort aus rasch an Ort und Stelle – Sie sind natürlich mein Gast, wie ich schon oft genug der Ihre gewesen bin.«

Helmstedt ging zum Spiegel, ordnete Haar und Anzug, verschloß dann sorgfältig seinen Koffer und Beide verließen das Haus.

In einer der Straßen im obern Theile von New-York, nicht weit ab von Broadway, stand eine Stunde später Seifert in Begleitung seines Landsmannes und eines Dritten vor einem Hause, das sich in nichts von den übrigen Wohnhäusern unterschied, und zog die Glocke. Ein Portier öffnete und ließ sie nach Abforderung ihrer Einlaßkarten passiren. Seifert, der volle Lokalkenntniß zu haben schien, schritt nach dem hintern Theile der Halle voran und öffnete dort die Thür zu einem schwach erleuchteten Zimmer, das eine Art Garderobe vorzustellen schien. Als sie hier ihre Hüte neben mehrere bereits vorhandene ablegten, sah Helmstedt die dritte Person, die bei ihnen war und eben Seifert eine Bemerkung zuraunte, zum ersten Male genauer an, da ihre gegenseitige Vorstellung nur flüchtig und im Halbdunkel des Hotel-Ausganges erfolgt war; und wenn auch Kleidung und Haltung den Mann aus der fashionablen Welt bezeichneten, so lag doch in diesem Augenblick ein solcher Ausdruck von gemeiner Begierde in seinem Gesichte, und Seiferts Lachen auf seine Bemerkung stimmte so dazu, daß sich Helmstedt eines widerwilligen Gefühls nicht erwehren konnte. In diesem Augenblicke aber flog die Thür des nächsten Zimmers auf, strahlender Lichtschein und helles Lachen brachen heraus, und mit zwei Schritten standen die Ankömmlinge in einem prachtvoll erleuchteten geöffneten Doppelparlor. Die Divans, die ohne besondere Ordnung umherstanden, nahmen zwanglose Gruppen von jungen Männern und lachenden Fraüngestalten ein. Hier kniete Einer und küßte die Hand einer feinen Blondine, während [] sie kichernd den Ohrenflüstereien eines Zweiten lauschte; dort auf einem niedern Sessel erwehrte sich ein Anderer kaum der Neckereien dreier weiblicher Kobolde; weiter hinten saß ein einsames Pärchen und rechts, wo ein offenes Piano stand, bestrebte sich eine junge Dame ihrem Gesellschafter den Polkaschritt zu zeigen, wobei sie hoch aufgeschürzt ihre Pantalettes paradiren ließ. Im Hinterparlor aber stand ein gedeckter, mit Flaschen, Schüsseln und Tellern besetzter Tisch.

»Mesdames et Messieurs!« rief Seifert, neben seine beiden Begleiter tretend und in französischer Sprache fortfahrend, »ich habe die Ehre, Ihnen zwei meiner Freunde, hier, ›le comte de Helmstedt‹, der sich unter Ihre Fittige begibt, um Englisch zu lernen, und hier Mr. Baker von Alabama vorzustellen. Beides zwei ausgezeichnete Jungen, die ich Ihrer Fürsorge empfehle. Aber ich sehe mit Bedauern, daß Sie auf uns gewartet haben, und da ich ausersehen bin den Wirth zu spielen, so bitte ich zu Tische zu gehen, damit der Champagner nicht warm wird.« Aller Augen hatten sich bei der Vorstellung den neuen Ankömmlingen zugewandt und hauptsächlich die Blicke der Mädchen nach der noblen Gestalt des »comte« gerichtet. »Zu Tisch!« rief Seifert aus dem Hinterparlor, der bereits den Kopf einer Flasche bearbeitete; die Gruppen erhoben sich und eben als Helmstedt überlegte, wie er sich am besten benehme, stand ein schwarzlockiges, blitzäugiges Mädchen vor ihm, das ihm mit einem »s'il vous plait, Monsieur!« die Hand reichte und ihn zu Tische führte. – –

Am andern Morgen erwachte Helmstedt in seinem Zimmer mit einem Gefühle von bleierner Schwere im Kopfe. Er richtete sich langsam auf und die Erinnerung des vergangenen Abends begann in einzelnen Zügen in ihm aufzudämmern. Er sah seine Tischnachbarin, wie sie ihn in Beschlag nahm, ihm unaufhörlich einschenkte und credenzte, zuletzt aber ihr Glas zu Boden warf und nur aus dem [] seinigen mit ihm trinken wollte; wie sie, als ihr Französisch ausgegangen und er ihr Englisch nicht hatte verstehen können, ihn im tollen Uebermuthe bei den Ohren faßte, und in die Backe beißen wollte – er sah das übrige tolle Treiben am Tische, hörte das Knallen der Champagner-Pfropfen und das ausgelassene Gelächter – eine spätere Scene tauchte vor ihm auf, er saß mit der Cigarre im Munde am Piano und spielte eine Quadrille, nach der die wilde Gesellschaft tanzte, Seifert mit Stentorstimme die Touren ausrufend, zwischen jedem Theile aber hatten ihm die ausgelassenen Mädchen bald Wein, bald kalten Ananas-Punsch eingefüllt, – weiterhin verfloß Alles in seiner Erinnerung wie Nebel, und wie er nach Hause gekommen, wußte er gar nicht. – Das war seine erste Unterrichtsstunde im Englischen gewesen. – Langsam und verdrießlich rieb er sich die Stirne und sprang dann aus dem Bette, um durch ein kaltes Kopfbad die Dünste daraus zu vertreiben; er öffnete seinen Koffer, um reine Wäsche herauszunehmen, stutzte aber, als er den bisher wohlgeordneten Inhalt wild durcheinander gewühlt fand. Einen Augenblick überlegte er, ob er selbst vielleicht die Ursache habe sein können, im nächsten aber fuhr er nach der Ecke, wo er seinen Geldvorrath aufzubewahren pflegte – der Beutel war verschwunden. Sein Gesicht entfärbte sich und seine Hand blieb wie gelähmt, wo sie gesucht hatte, dann aber riß er die einzelnen Stücke aus dem Koffer, jedes ausschüttelnd mit immer größerer Hast, dazwischen nochmals in die Ecke fühlend – aber Alles war durchsucht und die Börse blieb verschwunden. Helmstedt stand da, einer Statue gleich in den leeren Koffer starrend.

Plötzlich schien ein zweiter Gedanke durch seinen Kopf zu zucken. Er fuhr auf und ließ mit Blitzesschnelle den Blick über alle Gegenstände im Zimmer laufen, nahm mit Hast seine umherliegenden Kleidungsstücke vom Tische und den Stühlen – es war seine goldene, mit aus Deutschland gebrachte Uhr, die er suchte; aber auch davon war nirgends [] eine Spur zu entdecken, und als ihm die Gewißheit eines Raubes vor die Seele trat, der ihn aller Existenzmittel baar hinstellte, nahm er seinen Kopf zwischen beide Hände, als fürchte er, er möge ihm zerspringen. »Ruhig, August!« sagte er nach einer kurzen Weile, sich gewaltsam fassend, »es muß sich irgend eine Spur des Thäters entdecken lassen, wenn ich nur erst eine einzige Erinnerung finde, wie ich nach Hause gekommen bin! Ruhe, August!« Er suchte seine Kleider zusammen und fühlte das Portemonnaie in einer seiner Taschen – aber außer einigem kleinen Geld war nur ein einfacher Papierdollar darin – langsam und mit Anstrengung die Scenen des vergangenen Abends zurückrufend, vollendete er seinen Anzug; so viel er aber sein Gedächtniß quälte, nicht ein Funke, der Helle über seinen Heimgang verbreitet hätte, wollte herausspringen. »Keinesfalls bin ich also allein gekommen, es war spät, die Hausthür muß verschlossen gewesen sein und irgend Jemand im Hause, der geöffnet, muß Auskunft geben können.« Das war der Schlußgedanke, der ihm wenigstens etwas von seiner gewöhnlichen Haltung wieder zurückgab. Eben wollte er seinen Hut nehmen, um die nöthigen Erkundigungen beim Wirthe einzuziehen, als es klopfte – der Judenknabe vom Broadway, seinen Korb am Halse, sah durch die geöffnete Thür herein und reichte ihm schweigend die Karte hin, die er Tags zuvor von dem jungen Manne erhalten. »Bob, du kommst zu einer schlimmen Zeit!« rief Helmstedt und konnte ein Zucken in seinem Gesichte, als sei ihm das Weinen nahe, nicht verhindern – »sieh her, ich bin diese Nacht um mein ganzes Geld und um meine Uhr bestohlen worden, ich bin jetzt noch ärmer als du, denn du hast doch wenigstens einen Erwerbszweig!« Der Junge ließ die großen schwarzen Augen über die Verwirrung im Zimmer und über Helmstedts Züge laufen, als dieser aber sein Portemonnaie zog und sagte: »Da ist wenigstens eine Kleinigkeit für deinen Weg!« schüttelte er mit einem ernsten »No Sir!« [] den Kopf, warf noch einen Blick über das Zimmer und schloß die Thür wieder.

Helmstedt ging ins Gastzimmer hinab, ließ den Wirth rufen und theilte ihm in möglichster Fassung das Geschehene mit; der Mann sah ihm einen Augenblick scharf in das bleiche Gesicht und rief dann den Porter. Es sei spät in der Nacht gewesen, erzählte dieser, als er auf das Anziehen der Klingel die Thür geöffnet; derselbe Herr, mit dem Helmstedt gestern Abend ausgegangen, habe ihn, der total betrunken gewesen sei, zur Thür hereingeführt, habe sich von ihm, dem Porter, ein Stück Licht und den Schlüssel zum Zimmer geben lassen und sodann den Betrunkenen mühsam zur Treppe hinauftransportirt – nach kurzer Zeit sei er aber wieder herunter gekommen und habe ihn zur Hilfe geholt, da Helmstedt ganz besinnungslos sei und er ihn nicht allein weiter bringen könne. Helmstedt habe auf einem Absatz der Treppe gelegen und von dort hätten ihn Beide nach seinem Zimmer getragen, hätten das Stück Licht an der Gasflamme angebrannt und ihn dann ins Bett gelegt. Der Herr sei sodann mit ihm, dem Porter, wieder die Treppe herabgekommen, und er habe ihn zur Hausthüre hinausgelassen. – Helmstedt hatte mit peinlicher Aufmerksamkeit dem Berichte zugehört.

»Und ist der Mann, der mich brachte, nicht allein im Zimmer gewesen?« fragte Helmstedt nach einer augenblicklichen Pause.

»So viel ich weiß, nicht,« war die Antwort. »Er gab mir den Schlüssel, als wir hinaufkamen, und ich schloß auf, da er Sie beim Kopfe trug; nachher sind wir zusammen heruntergegangen.«

»Haben Sie meine Uhr beim Auskleiden nicht bemerkt?« fragte Helmstedt.

Der Porter dachte einen Augenblick nach. »Ich glaube nicht, daß ich etwas von einer Uhr überhaupt gesehen habe.«

»Und die Thür ist die ganze Nacht offen geblieben?« fragte Helmstedt weiter.

[] »Ja natürlich, ich konnte Sie doch nicht einschließen!«

Der Wirth schüttelte den Kopf. »Es hätte mir nichts Unangenehmeres begegnen können,« sagte er, »aber für die Leute im Hause möchte ich mich verbürgen. Wo war Ihr Kofferschlüssel, als Sie gestern ausgingen?«

»In meinen Beinkleidern!«

»Und wo war er heute Morgen?«

»Noch an derselben Stelle in meiner Tasche!«

»Haben Sie wieder geschlafen, während der Herr hier von dem andern die Treppe allein hinaufgebracht wurde?« wandte sich der Wirth an den Porter.

»Ich glaube nicht, aber ich war müde!«

Der Wirth nickte. »Ich will Ihnen sagen, lieber Herr, Sie scheinen in die allerschlimmste Gesellschaft gerathen zu sein. Wo Sie gewesen sind, geht mich nichts an, aber es ist ziemlich klar, daß der gute Mann, der Sie heimgebracht, sich die Gelegenheit und Ihren Zustand bestens zu Nutze gemacht, Ihnen Uhr und Kofferschlüssel abgenommen und Sie auf der Treppe hat liegen lassen, bis er Ihr Geld aus dem Koffer geholt. Nachher hat er den verschlafenen Porter gerufen. Auf jeden Fall müssen Sie selbst durch eine Unvorsichtigkeit ihm Kenntniß von dem Gelde gegeben haben und ich kann Ihnen nur rathen, der Polizei sofort von dem Falle Kenntniß zu geben, oder noch besser, gleich mit einem Officier dem Burschen auf's Quartier zu rücken.«

»Und nun weiß ich nicht einmal, wo er wohnt!« rief Helmstedt und schlug sich mit der Faust vor den Kopf, »aber halt! ich finde ihn!« Und von einem lichten Gedanken gefaßt, verließ er das Zimmer und ging im Sturmschritt Broadway zu. Im Metropolitan-Hotel mußten sie etwas von dem Menschen wissen; er hatte den Abend vorher mit allen Aufwärtern vollkommen bekannt gethan, und außerdem logirte dort ihr Gefährte von letzter Nacht, Mr. Baker von Alabama, der sicherlich auch einige Auskunft über Seiferts [] Verbleib geben konnte. – Er hatte den Weg in kurzer Zeit zurückgelegt, mußte aber beim Uebergange einer der letzten Querstraßen mit vielen Andern anhalten, um eine Lücke in der Reihe der dort passirenden Fuhrwerke abzuwarten – eine Equipage der elegantesten Bauart folgte soeben, Helmstedt sah auf und stutzte, im Fond des Wagens saß, nachlässig zurück gelehnt, Pauline Peters neben einem Herrn, dessen Backenbart schon das volle Grau des Alters zeigte, dessen Haltung aber dennoch eine noch ungeschwächte Kraft verrieth. Ihr Blick schweifte gleichgiltig über die wartenden Menschen, er traf Helmstedts Gestalt, aber kaum, daß ein schwaches, aufsteigendes Roth in ihrem Gesichte ihre Erkennung andeutete, ihr Auge blieb kalt und wandte sich ruhig anderen Gegenständen zu. Trotz aller Sorge, die auf dem jungen Manne lastete, trotz aller Gleichgiltigkeit gegen das Mädchen wollte sich ein leiser Aerger seiner bemächtigen – da war die Lücke in der Wagenreihe gekommen, die Menschen drängten zu und als er den Fahrweg passirt, war auch der erlittene Verlust wieder sein einziger Gedanke. Bald stand er vor dem Metropolitan-Hotel und wollte seine Erkundigungen bei einem der Aufwärter, der nach irgend etwas ausschauend in dem Ausgange der Halle stand, beginnen; der aber schüttelte lächelnd mit einem »Nix versteh!« den Kopf. Helmstedt wiederholte seine Frage französisch, erhielt aber ein gleiches Kopfschütteln zur Antwort. Dem Frager trat der Schweiß vor die Stirne.

»Kann ich Ihnen mit etwas diene?« ließ sich jetzt eine Stimme neben ihm hören. »Sie sind bestohle worden, hat mir mein Schwestersohn gesagt, der heute Morgen bei Ihne war?« Helmstedt sah, sich umwendend, in das Gesicht desselben Juden, der ihn Tags vorher schon auf der Straße angesprochen hatte, aber das graubärtige Gesicht erschien ihm heute wie eine Hilfe in der Noth. »Well, Sir, ich kenne Sie zwar nicht,« begann er –

»Aber ich kenne Sie schon, wenn ich auch nicht weiß, [] wie Sie heiße,« unterbrach ihn der Andere, und es soll mich freue, wenn ich Ihne mit etwas diene kann!

Helmstedt warf einen Blick in sein Gesicht, das trotz der schlauen Augen eine eigenthümlich gutmüthige Theilnahme zeigte, trat mit ihm bei Seite und hatte ihm schnell genug sein Unglück und die Absicht, die ihn hierhergeführt, mitgetheilt.

»Wird nicht viel zu hole sein!« erwiderte der Jude nachdenklich. »Ich kenne den Mann von Alabama, den Sie meine – ich kenne ihn,« wiederholte er, langsam mit dem Kopfe nickend und ein Zug wie stiller Ingrimm zuckte über sein Gesicht, »und den Andern hab' ich gestern mit ihm zusammen gesehen – wird nicht viel zu hole sein – können's aber probire, komme Sie!« Damit schritt er Helmstedt nach dem Innern des Hotels voran, wandte sich an den Klerk der »Office« und begann mit diesem ein Gespräch, von dem Helmstedt eben nur das Kopfschütteln des Klerks und das Nicken seines Begleiters verstehen konnte. »'S ist schon, wie ich gedacht!« sagte dieser endlich achselzuckend, sich dem Ausgange zuwendend, »Mr. Baker ist heute Morgen abgereist, und den Andern, der ihn gestern Abend abgeholt, kennen sie nicht weiter, als daß er früher oft hierher gekommen ist – er ist nicht hier beschäftigt und sie wissen auch nichts von seiner Wohnung. Jetzt komme Sie mit mir nach der Polizei, vielleicht kann die den Vogelfange – aber's Geld schlagen Sie sich nur aus den Gedanken, das ist Ihr Lehrgeld gewese!«

Ueber Helmstedt kam es wie ein Schwindel, als er an der Seite des Alten die Straße hinab ging, die ganze Hilflosigkeit seiner Lage trat wie ein Gespenst vor ihn. Wenn sein Wirth ihm nicht der Barmherzigkeit willen Credit geben wollte, bis er irgend einen Verdienst gefunden, so mußte er Alles, was er nicht zum Allernothwendigsten an Kleidern und Wäsche brauchte, verkaufen und konnte, wenn das aufgezehrt war, im Hotel Park logiren mit der Aussicht, [] sein Leben im »North-River« zu beschließen. Ein Schauder überlief seinen Kopf, als würde jede einzelne Wurzel seiner Haare lebendig.

»Habe Sie denn gar kein Geschäft?« begann der Alte an seiner Seite das Gespräch wieder. Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich bin im Gerichtsfach in Preußen angestellt gewesen,« sagte er, »und das kann ich hier nicht brauchen.«

»Nun, habe Sie denn nicht irgend einen Gedanken gehabt, wie Sie hier Ihr Leben machen wollen?«

»Ich habe gedacht, es würde sich irgend eine Stelle für mich finden, wie so viele Andere auch ihr Leben durchbringen, aber das Schlimmste ist, das ich kein Englisch verstehe.«

»Ja, was wolle Sie denn jetzt anfange?« fragte der Jude kopfschüttelnd; »an der Eisenbahn oder am Kanal könne Sie doch nicht arbeiten, da ist mit solchen Händchens nichts zu mache – so geht's nun den großen Herren, wenn's einmal heißt: hilf dir selber!«

Helmstedt warf einen Blick auf seinen Begleiter und preßte dann die Lippen aufeinander, ohne zu antworten. Der Alte sah ihn von der Seite an. »Ja, das thut weh, weil's den Stolz beißt!« sagte er, »und der müßte auch erst ganz todt sein, ehe's eine Möglichkeit wäre, daß Ihnen irgendwie geholfen werden könnte!«

Helmstedt ließ mit zusammengezogenen Augenbrauen noch einmal den Blick über die reinliche aber schäbige Kleidung seines Begleiters laufen und blieb dann stehen. »Ich danke Ihnen für den Dienst, den Sie mir erwiesen haben,« sagte er, »aber ich finde jetzt schon einen Bekannten, der mit mir nach der Polizei geht.«

Der Alte nickte mit dem Kopfe. »Sehen Sie, der Stolz schlägt hinten und vorn aus, trotz Ihrer Noth! Sie haben mir doch gesagt, daß Sie Niemand wissen, der Ihnen einen bestimmten Rath für Ihr Fortkommen geben kann, und doch schieben Sie mich fort, blos weil ich Ihnen gradaus ein bischen sage, was Sie hören müssen.«

[] »Ja, lieber Himmel, können Sie mir denn etwa helfen oder rathen?« rief Helmstedt, ungeduldig aber von einer unbestimmten Hoffnung berührt, »und warum nehmen Sie denn gerade an mir solchen Antheil?«

»Da doch der Jud' nichts ohne Profit thut, meine Sie?« sagte der Alte weitergehend. »Nun, ich hab' vielleicht meinen Profit dabei, wenn auch bei Ihnen jetzt nichts zu holen ist. Sie sind ein Mann, der's Herz grad hat, wo's sein muß, auf einem bessern Fleck, als viele von Ihren Christenleuten, das hab' ich blos an der kleinen Sache mit meinem Schwestersohn gemerkt und in Ihrem Gesichte steht auch noch was geschrieben. Ob ich aber mit all' meinem guten Willen helfen kann, das muß erst untersucht werden. Sie müssen mir sagen, was Sie gelernt haben, dann sage ich Ihnen meine Meinung, und ob Sie die annehmen wollen, ist nachher Ihre Sache!«

Helmstedt strich mit der Hand über das Gesicht. Die Rede seines Begleiters war ihm bald wie das bloße Wichtigmachen eines aufdringlichen Menschen vorgekommen, bald hatte aber auch wieder eine Sicherheit mit halbem Spott gemischt darin gelegen, die ihn beleidigte und doch unwillkürlich imponirte.

»Ich kann eben nichts, als was man auf deutschen Schulen und Universitäten lernt, ich hab's Ihnen schon gesagt,« erwiderte er, »und ein bischen Clavierspielen daneben; sollten Sie nicht wirklich eine Hoffnung für mich haben, so lassen Sie uns lieber das Gespräch abbrechen, damit mir wenigstens eine neue Täuschung erspart wird.«

»Ja, wenn Sie aber hier in Amerika Ihren Weg machen wollen, so dürfen Sie nicht so kurz gebunden sein, dürfen keine Gelegenheit fortstoßen, wo viel leicht was für Sie herausspringen könnte, wenn's auch zehnmal nichts damit ist. Sie verlieren doch nichts dabei, wenn wir hier mit einander sprechen?«

Helmstedts Gesicht färbte sich höher, aber er schwieg. [] »Sie spielen Clavier, da wird die Sache für jetzt schon gehen,« fuhr der Alte fort. »Ich habe Bekannte, die Ihnen einen Verdienst als Clavierspieler in einer ordentlichen Bierwirthschaft verschaffen können – mehr werden Sie aber verdienen, wenn Sie in einem schlechten Hause spielen wollen; Sie sind gerade wie gemacht, um bei den Mädchens dort nebenbei den ›Grafen‹ vorzustellen und Sie können da ein ganz gutes Leben haben.«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Ich mag mit derartigen Dingen nichts zu thun haben, wenn's auch zum Schlimmsten kommen sollte,« sagte er finster, »aber selbst wenn ich mich in ordentlichen Bierhäusern als Clavierspieler herumtreibe, so ist das wol etwas um augenblicklich Essen und Obdach zu verdienen und ich muß Jedem danken, der mir irgendwo zu so einem Platze verhilft – was es dann aber mit meiner Zukunft werden soll, weiß ich nicht, ich lerne nirgends dabei und kann doch nicht ewig zum Bier Musik machen?«

Der Alte nickte wieder. »'S ist schon recht!« sagte er. »Mit dem Clavierspielen werden Sie aber doch wol anfangen müssen, erst muß einer für morgen sorgen, ehe er an über's Jahr denkt. Das Musikmachen dauert nur den Abend über und Sie haben den ganzen Tag für sich. Ich habe noch einen andern Bekannten, der Sie wol in seinem Store arbeiten ließe, wenn er nichts dafür zu bezahlen brauchte, wo Sie aber geschwinder Englisch lernen und sich für's amerikanische Leben passend machen können, als mit zehn Professoren. Es kommt freilich für Jeden, der nicht daran gewöhnt ist, hart an, den ganzen Tag zu arbeiten und zu lernen und den Abend erst das nöthigste Stückchen Brod zu verdienen, härter, als es Mancher mit den besten Vorsätzen durchführen kann, und deswegen rühr' ich auch keine Hand für Sie eher, bis Sie mit mir einen Contract gemacht haben. Ich verschaffe Ihnen eine Clavierspielerstelle in einem anständigen Hause, das Sie so gut bezahlt [] wie irgend Einen, und Sie versprechen mir, in dem Store, wo ich Sie hinbringen werde, alle Arbeiten zu thun, so gut als ob Sie dafür bezahlt würden und nicht eher dort wegzugehen, als bis Sie wieder von mir gehört haben; die längste Zeit soll aber sechs Monate sein. Auch dürfen Sie, wenn Ihnen der Mann während der Zeit einen längeren Contract gegen Bezahlung anbietet, nicht eher darauf eingehen, bis die sechs Monate um sind oder Sie von mir gehört haben.«

Helmstedt schaute dem Alten ins Gesicht, das aber in diesem Augenblicke vollkommen undurchdringlich schien; er war unsicher, wie er den seltsamen Vorschlag aufnehmen sollte. Sechs Monate für nichts arbeiten! und doch war dies jedenfalls der einzige Weg, der ihm die nöthigen Kenntnisse und ein mögliches Fortkommen in der Zukunft sichern konnte – aber welchen Nebenzweck oder Vortheil hatte der Jude dabei? – »Ist es ein ehrenwerthes Haus, wohin Sie mich bringen wollen?«

»Wenn ich mich bei unserem Contract nur auf Ihr ehrliches Wort verlassen muß, so werde ich mit Ihnen auch wol kein unehrliches Spiel treiben dürfen!«

»Aber warum soll ich denn keinen Contract gegen Bezahlung eingehen, wenn die Bedingungen günstig sind? Jeder Contrahent muß doch die einzelnen Punkte verstehen können, über die sich geeinigt wird!«

»Der Punkt ist, glaub' ich, ganz verständlich, und was ich für Gründe habe, daß ich ihn verlange, ist eben meine eigene Sache. Ich will Ihnen aber nicht zu- und nicht abrathen – wollen Sie den Contract eingehen, so versprechen Sie mir mit Handschlag, daß Sie ihn halten werden; wollen Sie nicht, so habe ich Ihnen wenigstens den guten Willen gezeigt und wir sagen Adje zu einander.«

Der Sprecher war stehen geblieben und sah dem jungen Mann mit einem Ausdruck von stiller Spannung ins Auge.

[] »Ich gehe ihn ein!« sagte Helmstedt nach einer kurzen Pause, »und da ist meine Hand!«

»So ist es gut!« erwiderte der Jude, ihm die seinige reichend, »jetzt lassen Sie uns nach der Polizei gehen, Nachmittags will ich alles Nothwendige für Sie besorgen und dann komme ich in Ihr Boardinghaus.«

Erstes Kapitel.
Zwei Landhäuser.

Es war Mitte December, aber in den beglückten Thälern, wie sie zwischen den südlichen Ausläufern des Alleghany- und Kumberland Gebirges liegen, hatte noch kein unfreundlicher Sturm die Blätter von den Bäumen geweht. Der »Indian-Summer« lag mit seinem tiefblauen Himmel mild über den buntschattirten Wäldern und nur die kahlen Felder verriethen die weit vorgerückte Jahreszeit. Eins dieser Thäler, von allen Seiten durch abgestufte bewaldete Höhenzüge gedeckt, zieht sich von der südlichen Biegung des Tennessee-River nach Alabama hinein, und wen sein Reiseglück einmal hindurchgeführt hat, dem schwindet das üppige Landschaftsbild, in das der menschliche Reichthum überall seine Spuren eingestreut, sobald nicht wieder aus der Seele. So weit das Auge von der gut chaussirten Hauptstraße abschweifen kann, trifft es überall auf weiße, aus dem sie umgebenden Grün hervorleuchtende Villa's, sämmtlich aus Stein im italienischen Stile gebaut und von ausgedehnten Gartenanlagen umgeben. Es sind die Wohnhäuser der Pflanzer, die hier durchgängig mit viel größerem Geschmack ihren Reichthum zeigen, als in irgend einem andern Theile des südwestlichen Landes.

[] Ungefähr eine Meile seitwärts von der Hauptstraße und etwa zehn vom Tennesseeflusse entfernt, lag eine dieser Villa's zwischen dem immergrünenden Wäldchen, das sie umgab, wie eine Perle im Moose. Ein breiter, von Säulen getragener Portiko umgab das ganze Haus, auf den sich an Stelle der Fenster breite, durch grüne Jalousien geschützte Glasthüren öffneten. Rechts und links zeigten sich beim Eintrittt in die Halle geräumige, mit allem Luxus ausgestattete Parlors und der Blick durch die Hinterthür fiel über einen mit Kies bestreuten Platz weg auf ein großes, aus Draht angefertigtes Vogelhaus, in dem sich alle Sorten von Geflügel umhertummelten. Ein gesatteltes Roß stand jetzt, an einen Baum gebunden, in der Nähe desselben.

In einem der Frontparlors saß eine junge, bleiche Dame im Schaukelstuhle und vor ihr, sich ungenirt auf den Hinterbeinen eines Stuhles wiegend, ein Mann im Ausgange der Zwanziger, dessen Anzug und Bewegungen man es ansah, daß er die östlichen Hauptstädte gesehen.

»Sie sind ein Kind, Alice!« sagte er soeben und fuhr mit der Hand nach dem Munde, als wolle er ein Gähnen verbergen. »Ich habe Sie geliebt, sehr geliebt, aber es war dennoch kein Gefühl für die Ewigkeit. Wechsel kommen in uns, ohne daß wir etwas dazu thun. Ich bin kaum aus dem Osten zurück und statte Ihnen schon meinen Besuch ab,« fuhr er mit einem Lächeln fort, das einen häßlichen Zug um seinen Mund legte, »können Sie noch mehr Aufmerksamkeit verlangen?«

Das Mädchen schlug ein großes dunkles Auge zu dem Redenden auf. »Ich kenne Sie, Henry, ich kenne Ihre ganze Schlechtigkeit und doch zwinge ich mich oft nicht daran zu glauben. Meinetwegen sind Sie doch heute nicht hierher gekommen,« fuhr sie mit einem leichten Zittern in der Stimme fort, »was ist denn also der eigentliche Grund Ihres Besuches?«

Der Mann hatte nur zu Anfang ihrer Rede einen Blick [] in ihr Auge geworfen und es dann vermieden. Jetzt sprang er von seinem Stuhle auf und ging, wie mit einem Entschlusse nicht ganz fertig, zweimal das Zimmer auf und ab. »Alice,« sagte er endlich, an einer der Glasthüren stehen bleibend und ins Freie schauend, »ich brauche etwas Geld, können Sie mir einiges geben?«

Alice sah rasch auf und sank dann, von aller Spannkraft verlassen, in sich zusammen. »Ich habe kein Geld Mr. Baker,« erwiderte sie langsam, »Vater kommt erst nächste Woche zurück und ich habe kaum genug, um unsere Ausgaben zu bestreiten.«

»Sie werden doch vielleicht etwas haben, Miß Morton, wenn ich Sie darum bitte!« erwiderte er, ohne seine Stellung zu verändern.

»Ich habe nichts, wie ich Ihnen sagte!«

»Oder werden für die Hausbedürfnisse sich anderwärts etwas anschaffen können.«

»Ich kann nicht, ohne mich allerlei Vermuthungen auszusetzen.«

»Besser ungegründete Vermuthungen, als gegründetes Gerede!«

Das Mädchen fuhr im Schaukelstuhl in die Höhe wie von einer Schlange gestochen. »Henry,« sagte sie, sich todtenblaß erhebend, »Henry, Sie sind ein Teufel!«

»Warum denn nun gleich ein Teufel?« sagte er, sich mit dem früheren häßlichen Lachen umdrehend. »Sagen Sie, Alice, haben Sie mich nicht früher oft genug einen Engel genannt, und jetzt, weil ich einen kleinen nothwendigen Liebesdienst von Ihnen fordere, muß ich so verändert sein?«

»Aber ich kann doch nicht, ich weiß nicht einmal den geringsten Vorwand, Geld irgendwo zu verlangen.«

Baker zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen, Miß Morton!« sagte er kalt und ging nach dem Ausgange.

Des Mädchens Augen folgten ihm weit aufgerissen. »Henry!« rief sie, als er ohne Zögern die Thür öffnete.

[] »Miß Morton?« erwiderte er, sich halb umdrehend. Sie warf einen Blick voller Angst in sein eiskaltes Gesicht, dann ließ sie den Kopf sinken, ging langsam nach dem eleganten Schreibtische, der an der Wand des Zimmers stand, nahm ein silbernes Portemonnaie heraus und legte es obenauf. Ohne nach dem Anwesenden einen Blick zu thun, deutete sie mit der Hand darauf, fiel dann in den Schaukelstuhl und schlug beide Hände vor das Gesicht. Baker trat in das Zimmer zurück und schloß die Thüre. »Ich bitte Sie, Alice,« sagte er, »machen Sie mir keine Scene; ich will kein Geld von Ihnen erpressen, sondern es freundlich von Ihnen erhalten haben. Ich habe Ihnen weder mit etwas gedroht, noch ein unschönes Wort gesagt, merken Sie das wohl, Alice, ich habe Sie nur gebeten. Kommen Sie und geben Sie es mir in einer Art, wie es unter so guten Freunden, wie wir gewesen sind, Stil ist.«

Das Mädchen zuckte wie unter verhaltenem Schluchzen zusammen. »Nehmen Sie, dort legt es,« sagte Sie endlich langsam, »aber tödten Sie mich nicht noch.«

Baker sah einen Augenblick scharf prüfend auf sie, zuckte dann die Achseln und leerte das Portemonnaie, jede Banknote glatt legend, sie durchzählend und sorgfältig in sein Taschenbuch steckend. »Ich danke vorläufig, Alice!« sagte er dann und verließ das Zimmer. Als er sein Pferd auf dem Hinterplatze losband, kam von der Seite des Portiko her, auf den sich einzelne mit Jalousien geschlossene Glasthüren des Parlors öffneten, den Baker eben verlassen, ein unter der Last seines Kastens gebückter alter Pedlar und ging, ohne aufzusehen, nach den Hütten der Schwarzen zu, die einige hundert Schritte hinter dem Hause ihren Anfang nahmen. – –

Eine halbe Meile weiter dem Gebirge zu, aber näher dem Flusse, lag auf einer Erhöhung ein zweites Landhaus, das kaum mit dem Dache über den Kranz von Eichen, der die untere Hälfte des Hügels einsäumte, heraussah. Nach [] diesem Eichenschmuck trug es auch seinen Namen: Oaklea. Kaum hundert Schritte dahinter, wo es wieder thalabwärts bis zu einem krystallklaren Gebirgsbache ging, standen die Negerhütten, ein kleines Dorf bildend, über den ganzen Abhang hingestreut, jede »Hütte« mit einem eingezäunten Platze, in dem sich Schweine und oft ein ganzes Volk Federvieh herumtrieben, und einem Gemüsegarten versehen. Dem fremden Beschauer, der hindurchwandelte, fiel zuerst die eigenthümliche Ordnung und Sauberkeit auf, die überall hervortrat; die kleinen Häuser, obgleich nur aus rohen Stämmen aufgebaut, hatten spiegelklare Fenster, oft mit Vorhängen versehen, und hier und da rankten sich außerhalb immergrüne Schlingpflanzen daran bis zum Dache empor; die Einzäunungen verriethen eine sorgsame Unterhaltung und wo an einzelnen Plätzen die offene Thür einen Einblick ins Innere der Hütten gestattete, traf das Auge auf ein sauberes Bett und an vielen Orten auf alte, aber reingehaltene Fußteppiche.

Das Abenddunkel war schon hereingebrochen, als zwischen den Negerhütten hervor ein hoher, stattlicher Mann dem Landhause zuritt. Als er einen der hintern Seitenflügel desselben, worin Küche, Waschhaus und die Vorrathskammern sich befanden, erreicht hatte, hielt er das Pferd an und sah scharf nach einem Gegenstande hinter dem Hause. »Wer ist hier?« rief er nach einer kurzen Weile. Die Gestalt eines jungen schlanken Schwarzen näherte sich. »Ich bin's, Mr. Elliot – Cäsar!« sagte er und nahm seine Mütze ab.

»So? Well, wie steht die Geschichte? Bist du mit Sarah im Klaren? Ich mag das Herumschleichen hier am Hause bei Nacht nicht gerne leiden. Macht eure Sache kurz ab, dann will ich mit deinem Herrn irgend ein Arrangement treffen, daß er dich mir abtritt, und ihr könnt euren Haushalt mit einander anfangen.«

»Bitte, Master, sein Sie nicht böse auf mich, aber die [] Sarah ist seit acht Tagen nicht mehr herausgekommen und ich habe nicht mit ihr reden können.«

»So? Seid ihr denn nicht vorher mit einander einverstanden gewesen?«

»Ich dachte so, Master!«

»Well, das nächtliche Herumstreichen taugt nichts, die Sache muß zu einem Ende kommen. Geh jetzt heim, Cäsar, ich werde mit dem Mädchen reden und morgen Abend soll sie dir selbst Bescheid geben.«

»Dank Ihnen tausend Mal, Master!« und mit einem Sprunge war der Schwarze über die nächste Einzäunung und verschwand im Dunkeln. Elliot wandte sich nach den Ställen, wo ihm ein Neger das Pferd abnahm, und ging sodann dem Hause zu.

In einem Zimmer des obern Stockes befanden sich währenddem zwei Mädchen, die ein eigenthümliches Genrebild geboten hätten. Das eine, frisch wie eine aufbrechende Rosenknospe, lag an dem geöffneten Fenster nachlässig im Schaukelstuhle und wiegte sich, die Spitzen der beiden kleinen Füße auf einen gepolsterten Schemel gestützt, langsam rück- und vorwärts. Sie war halb entkleidet und die kaum entwickelten Formen wurden nur leicht durch einen dünnen Shawl verdeckt. An dem geräumigen, von Marmor eingefaßten Kamine, in welchem trotz des milden Abends ein prasselndes Feuer brannte, stand das andere Mädchen, und der Lichtschein brach sich in einem ebenholzschwarzen Gesichte, das trotzdem die klare Röthe des aufsteigenden Blutes erkennen ließ. Der kleine Mund war kaum mehr aufgeworfen, als erforderlich war, um dem Gesicht einen pikanten Charakter zu geben, dem die abgestumpfte, aber zierliche Nase und die blitzenden schwarzen Augen vollkommen entsprachen. Eine kokette Schooßjacke schloß, die vollen Formen abzeichnend, knapp um eine Taille, die den Neid mancher Salondame erregt haben würde, und wie sie so dastand, den einen Arm auf das Kaminsims gelehnt und mit dem [] andern ein weißes Negligé haltend, lag eine wundersame Grazie in ihrer Stellung, die sich indessen bei den meisten in den Familien der Weißen erzogenen Haussklaven von edlerer Race herausbildet. Die Beleuchtung des Zimmers ging nur von dem helllodernden Holzfeuer im Kamin aus.

»'S ist hübsch im Osten, Sarah!« sagte soeben das Mädchen im Schaukelstuhle, »viel Pracht und äußerliche Herrlichkeit, aber mir ist es immer so steif vorgekommen, wie auf einem Haubenstock zur Schau ausgestellt; ich bin froh, daß mich Vater sobald wieder geholt hat, ich gebe unsern warmen Himmel und unser grünes Oaklea nicht für den ganzen Osten hin.«

»Aber, Miß Ellen, gibt's nicht eine ganze Menge feiner Herren dort, wie wir ein paar im Globe-Hotel in der Stadt sahen, als Sie zurück kamen? oder wie – Mr. Baker?«

»Mr. Baker, pah!« sagte die Erstere und kräuselte in nachlässiger Geringschätzung die Lippe, »du hast doch sonst einen besseren Geschmack, Sarah! – Und was haben mich denn die Herren im Osten gekümmert? Ich habe kaum ein Paar zu Gesichte bekommen. Und du solltest lieber an den armen Cäsar denken, als von solchen Dingen schwatzen.«

»Cäsar, pah!« erwiderte die Schwarze mit aufgeworfener Oberlippe.

»Nun?« fragte Ellen, sich halb aufrichtend, »'s ist doch Alles zwischen euch in Ordnung?«

»Ich weiß noch gar nicht!«

»Du bist das launigste Ding!« lachte die Andere auf, »aber der arme Junge thut mir leid!«

Die Schwarze sah nur mit verzogenem Mund ins Feuer.

Es pochte an die Zimmerthür. »Sarah soll zu Mr. Elliot kommen, wenn sie von Miß Ellen nicht mehr gebraucht wird!« klang es hindurch; und Sarah warf ihrer jungen Herrin das Negligé über, vertauschte deren Stiefeletten mit weichen Sammetschuhen und ließ sie allein.

[] Mr. Elliot saß in dem erleuchteten »Bibliothekzimmer«, das aber nur ein kleines Regal voll Bücher aufzuweisen hatte und durch den dort befindlichen Schreibtisch sammt einer Menge umherliegender Papiere eher den Charakter eines Geschäftszimmers zeigte, am Feuer und las in einer Zeitung, als Sarah eintrat.

»Komm her, Mädchen,« sagte er, »wie steht's mit dem Cäsar? Ich will die Sache zu Ende haben!«

»Ich will ihn nicht, Sir!«

»So, was ist denn die Ursache auf einmal?«

»Ich mag ihn nicht!«

»Gut, wie du willst, Sarah! aber merk' auf. Du bist durch Ellen verwöhnt und hast Capricen, mehr als mir lieb ist. Erst war Cäsar Alles und Ellen quälte mich, ihn zu kaufen, damit ihr hier zusammenleben könntet – jetzt, wo ich bereit bin, willst du ihn wieder nicht. Hör' an! Bei deiner nächsten Liebschaft mag dein neuer Schatz sehen, daß sein Herr dich kauft, dann werde ich für Ellen ein anderes Mädchen finden, obgleich du mit ihr aufgewachsen bist.«

Er sah forschend in ihr Gesicht, aber keine Miene verzog sich dort.

»'S ist mir Alles recht, Sir!« sagte sie kalt.

»Du kannst gehen!«

Das Mädchen verließ das Gemach, blieb aber plötzlich an der offenen Hinterthüre des Hauses, die sie passirte, horchend stehen. Sie sah sich vorsichtig um, steckte hierauf den Kopf hinaus, einen spähenden Blick umherwerfend, und schlüpfte dann an dem Hause hingleitend in die Dunkelheit hinein.

Elliot schlug seine Zeitung zusammen, zündete ein Licht an und setzte sich dann an seinen Arbeitstisch, langsam die Blätter eines dort liegenden Contobuches umschlagend und überschauend. Er war noch nicht lange damit beschäftigt, als das Gesicht einer alten Negerin durch die geöffnete [] Thür hereinsah. »Master,« sagte sie, »der alte Isaac läßt fragen, ob er hier über Nacht bleiben könnte.«

»Gib ihm ordentlich zu essen, Flora,« erwiderte Elliot, »und sage ihm, ich möchte alsdann noch ein paar Worte mit ihm sprechen.«

»Gegessen hat er schon, Sir!«

»Aha! Und euch auch schon die Taschen ausgeleert!«

»Noch nicht ganz, Sir,« kicherte die Negerin, »aber er hätte recht schöne Sachen für Weihnachten, läßt er dem Master sagen.«

»'S ist schon gut, er soll herein kommen.«

Nach kurzer Zeit trat mit einem Bückling ein alter Mann mit grauem Barte ins Zimmer, dessen Züge den Juden nicht verkennen ließen. Elliot stand auf, rückte einen Stuhl ans Feuer und deutete dem Eingetretenen an, Platz zu nehmen. »Well, Isaac, wie steht's,« sagte er, als dieser seinem Winke gefolgt war.

»Well, Sir, 's Geld ist rar, aber Sie können haben, was Sie verlangten, ich hab' heute erst Nachricht bekommen; sobald Sie die Papiere fertig haben, werde ich sorgen, daß auch das Geld da ist.«

»So!« erwiderte der Pflanzer und stützte den Kopf in die Hand. »'S ist ein schlimmes Ding, schon auf die nächste Ernte los borgen zu müssen, und bekommen wir ein schlechtes Jahr für die Baumwolle, so sitzt man noch weiter drin.«

Der Jude zucke die Achseln. »Was hilft's? wo viel Geld fortgeht und keins gleich wieder zufließt, kommt einmal eine Klemme.«

Elliot fuhr mit der Hand über das Gesicht. »Ich muß das für die Zukunft ändern,« sagte er nach einer kurzen Pause. »Wie steht's mit dem jungen Menschen, Isaac, von dem Ihr mir sagtet?«

»Er wird zu Weihnachten hier sein, wie Sie's wünschten, Sir, und ich denke, wir werden nachher wol kein Geschäft [] weiter mit einander zu machen haben; bei Ihnen braucht's eben nur ein bischen Aufpassen und ein bischen Ordnung im Buche, dann ist Alles wieder im Geleise.«

»Macht Ihr viele solcher Geldgeschäfte hier herum, Isaac?«

»Ich habe ein schlechtes Gedächtniß, Sir, aber es kann wol schon passiren, daß Einer als ein reicher Mann gilt, den Sommer mit seinen Ladies in Saratoga und anderen Bädern zubringt, viel Geld ausgibt und doch die Ernte auf drei Jahre hinaus nicht mehr sein eigen ist. Sie brauchen sich unser jetziges Geschäft nicht zu Herzen zu nehmen.«

»Sagt einmal, Isaac, Ihr pedelt doch nicht, um Euer Leben zu machen?«

»Der Jude zuckte wieder die Achseln. Warum reiten Sie oft den ganzen Tag auf Ihrer Farm herum, schwitzen und kommen so schmutzig heim, wie der ärgste Nigger? 'S gehört Alles zum Leben machen, wenn Einer ein Geschäft hat.«

»Sonst was Neues, Isaac?«

»Ich wollte nur noch sagen, Sir, es treibt sich ein verteufelt bissiger Fuchs hier herum; ich sah heute erst ein wunderschönes Huhn, das zwischen seinen Zähnen zappelte, und wenn ich nicht ganz falsch bin, schleicht er auch um Ihren Hühnerstall, Sir.«

Elliot hatte den Kopf gehoben. »Was ist das? sprecht deutlich!«

Isaac schüttelte den Kopf. »Man soll das Wild nicht scheu machen, wenn man's fangen will, ich habe selber noch eine kleine Rechnung mit ihm. Ich wollte Ihnen nur sagen, Sir, daß Sie die Augen offen halten. Aber,« fuhr er fort und stand auf, »kann ich Ihnen nicht etwas von Zeugen, Tüchern, Bändern und billigen Schmucksachen für die Weihnachten verkaufen, Sir?«

»Morgen früh! meine Ellen mag aussuchen, was sie an die Schwarzen verschenken will. Aber wenn Ihr irgendwo [] etwas Unrechtes gesehen habt, so wäre mir's lieber, Ihr sprächet deutlich.«

»Es war an einem andern Platze, wo ich das Huhn zappeln sah,« erwiderte der Pedlar, »und so kann ich eben nichts weiter sagen, als halten Sie Wache am eigenen Hühnerstall. Gute Nacht, Sir, – bis morgen früh!«

Zweites Kapitel.
Eine Spielhölle im Hinterwalde.

Der Tennessee-River strömt während des kurzen Abstechers, den er nach Alabama macht, zwischen bewaldeten Höhen hin, die steil in das Flußbett abfallen und selbst für die Holzstationen der Dampfschiffe überall nur die schlechteste Bequemlichkeit bieten. Hier und da windet sich wol ein Fußweg durch das Unterholz des Ufers hinauf, der aber eben nur von einzelnen Menschen erklommen werden kann. An einem dieser Anlegeplätze der Boote war indessen das Ufer nächst dem Flusse geebnet und mit einer Art hölzerner Platform versehen und der aufwärts führende Weg in der Anhöhe so ausgestochen, daß er selbst in der Dunkelheit bei einiger Vorsicht nur wenige Schwierigkeiten bieten konnte. Auf dem Kamme des Ufers angelangt, wand er sich in den Wald hinein und lief eine halbe Meile, weiter in eine ziemlich gut unterhaltene Straße, wie sie dort nach den landeinwärts liegenden Farmen führen. Hier stand, etwa hundert Schritt von dem ausmündenden Fußweg entfernt, eine wettergraue Taverne, halb aus rohen Gebirgssteinen, halb aus Holz erbaut, aber augenscheinlich dicht und fest; an dem vorspringenden, unvermeidlichen Portiko hing ein halb erloschenes Schild »Postoffice« und ein Blick in die offene Hausthür zeigte einen Ladentisch, hinter dem das mit Flaschen, Kasten und zehnerlei Allerhand besetzte Regal die »Grocery« verrieth. Es war ein kühler Tag und das Feuer von zwei halben Baumstämmen [] loderte in dem riesigen Kamine, vor dem zwei Männer saßen, die ihrer äußeren modernen Erscheinung nach durchaus nicht in ihre Umgebungen hineinpaßten. Der Eine hatte sich drei Stühle zusammengerückt, wovon er zwei mit seinen Füßen bedeckte und, sich auf den dritten hinüber legend, den Rauch einer Cigarre in die Luft blies. Der Andere saß, den Kopf in beiden Händen auf die Knie gestützt, und sah ins Feuer.

»Gibt's was Neues,« begann der Erste und stieß eine Rauchwolke von sich, »ich muß ehrlich gestehen, daß vorläufig das Leben hier verteufelt langweilig ist und daß mir die Leidenschaftlichkeit der Leute durchaus nicht munden will. Der Gewinn steht in gar keinem Verhältniß zu der Gefahr. Wie stehen denn die übrigen Actien?«

Der Angeredete richtete sich auf. »Nur Vorsicht und Geduld, Seifert!« sagte er mit gedämpfter Stimme und warf einen Blick durch den Raum. »Es geht Alles in den Hauptsachen, wie es soll. Eine Geldquelle, auf die ich hier sicher rechnete, fängt freilich an zu versiegen – ich mag den Strick nicht zu hart spannen und das Mädchen zu einem Verzweiflungsschritte treiben, der mir das ganze Spiel verderben möchte – sobald wir aber hier Ade sagen, werde ich noch den letzten Rest herausholen, der dann gerade zur rechten Zeit kommt.«

»Ja, aber die Hauptsache?« wiederholte Seifert, sich nachlässig auf dem Stuhle schaukelnd.

Der Andere reckte beide Arme von sich und sprang auf. »'S könnte Alles beinahe in Ordnung sein,« sagte er dann, näher zu seinem Gefährten tretend, »die kleine schwarze Katze auf Elliot's Farm habe ich am Faden, sie geht mit mir nach dem Norden, ich heirathe sie dort und sie wird Mistreß – und dreien von ihren Brüdern, straffe Jungens, die wenigstens ihre tausend Dollars Jeder werth sind, hat sie schon so viel von den Herrlichkeiten New-Yorks, wo sie [] Alle Herren sein werden, erzählt, daß die ebenfalls auf den ersten Pfiff bereit sind.«

Seifert hatte sich horchend vorwärts gebogen. »Und Mr. Baker heirathet die Schwarze und sie glaubt das?« rief er jetzt, ein schallendes Gelächter aufschlagend.

»Vorsicht!« mahnte der Erstere, mit der Hand winkend, »warum soll sie's nicht glauben? ich habe noch nie elegantere und doch so volle Formen im Arme gehalten, als die ihrigen und sie weiß, was in ihr steckt. Sie kann ihre 1500 Dollars beim Verkaufe einbringen.«

»Nun, und warum denn nicht vorwärts?«

»Erstens brauchen wir mehr Geld zur Ausführung, als wir jetzt haben, das erst zusammengebracht werden muß, und zweitens –« sagte Baker innehaltend, während ein Zug von niederer Begierde sich um seinen Mund legte, »zweitens möchte ich während der Zeit noch ein anderes Vögelchen kirre machen, das eben erst, so frisch wie aus dem Ei gekrochen, ins Nest geflogen ist.«

»Geldspeculation?«

»Glaube kaum, das Mädchen gehört zu einem andern Schlage – sie ist noch so unberührt, so kräftig, und doch so scheu, daß es mich in allen Gliedern gekitzelt hat, wenn ich ihr zu nahe kam. Ich wäre im Stand sie zu heirathen,« fuhr er fort und drückte die Hand vor die Augen, »wenn weiter nichts hilfe, und dann wollte ich Ihnen die Schwarze sammt ihren drei Brüdern als Entschädigung gesetzlich zum Geschenk machen.«

»Schöner Plan!« erwiderte Seifert und warf sein Cigarrenende ins Feuer, »bewundernswürdig sogar, wenn er gelänge, und ich wollte meine Bekanntschaft mit Ihnen und unsere Reise segnen. Sie jagen jetzt also schwarzes und weißes Wild in einem Reviere, wie es scheint, was wenigstens amüsanter ist, als mein Herumstreichen, bald in dem Neste, das Stadt genannt wird, bald in allerhand verborgenen Winkeln, mit der Aussicht auf ein noch längeres Leben [] in dieser Art. Könnten Sie mich denn nicht, als Partner in dem Geschäft, auch der Abwechslung wegen, in eine oder die andere Familie hier in der Umgegend einführen?«

»Seien Sie einmal vernünftig, Seifert, wenn wir überhaupt mit einander weiter arbeiten wollen!« sagte Baker und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich gelte hier als ein Pflanzer aus dem Süden des Staats; als solcher habe ich mich letzten Sommer in Saratoga an mehrere der hiesigen Familien, die dort waren, angeschlossen und, seit wir hierher gekommen sind, die Bekanntschaft erneuert. Niemand hat eine Idee, daß ich ein Mann aus dem Norden bin, oder daß ich zu Ihnen in irgend einer Beziehung stehe, und so wird es allein möglich, daß wir ein profitables Spiel an einem Orte zusammenbringen; Sie halten Bank und ich kann fette Leute herzuziehen, wenn es auch oft nur durch die hingeworfenen Worte, daß ich mir dort die Zeit vertreiben würde, geschieht – und daneben kann ich noch auf die unverdächtigste Weise den Hauptprofit aus den kleinen Kartenspielen machen – das einzige ›Poker‹ gestern Abend ging bis auf Dollars 200 hinauf und in meine Tasche – wäre ich nicht eine ganze unverdächtige Person gewesen, hätte der Grünspecht niemals mit mir angeknüpft.«

»Weiß nicht, ob er nicht doch was merkte!« erwiderte Seifert, sich in den Haaren kratzend, »er that wenigstens so ungeberdig und wüthend nach seinem Verluste und ließ Worte fallen, wie sie sich im Osten kein anständiger Spieler erlauben würde.«

»Ich habe diesen Schlag lieber als die ewig Ruhigen,« sagte Baker, »denn die Zuschauer treten selten auf Seite des Spectakelmachers, während die Stillen, wenn sie verloren haben, mit halben Worten zu den Anwesenden den Spieler oft für den ganzen Abend verdächtigen können. Wie wir aber unsere Negerspeculation fertig bekommen wollen, wenn wir uns, um Verdacht zu vermeiden, nicht [] ganz fern von einander halten, weiß ich auch nicht; wenigstens würde mein ganzer Credit zum Henker sein, wenn ich Sie, den schon ziemlich bekannten Spieler, in Familien einführen wollte.«

»Ja, und wie lange soll denn Ihre neueste Speculation währen? Mir scheint, wir sind lange genug in dieser Gegend, fast vier Monate, eine ungeheure Zeit für ein Incognito, und ich habe ein eigenthümliches Gefühl in mir, in Worte übersetzt: ›Mach' dich aus dem Staube!‹ das mich wenigstens früher niemals täuschte, wenn mir meine Gläubiger auf der Spur waren.«

Baker ging einmal rasch das Zimmer auf und ab. »Well,« sagte er dann stehen bleibend, »ich habe selbst ein Gesicht bemerkt, das mir in der Gegend nicht gefällt. Bis zu Neujahr will ich sehen, ob ich meinen scheuen Vogel fangen kann – den Alten bekomme ich dann schon; ist es nichts, so gehen wir in der Neujahrsnacht an unser anderes Werk; das ist der letzte Feiertag der Schwarzen, wo das Verschwinden einiger derselben am wenigsten auffällt.«

Vor der Thür hielt ein Farmerswagen, der Fuhrmann trat ins Haus und zog sich einen Stuhl aus Feuer.

»Wir sehen uns heute Abend!« sagte Baker und knöpfte seinen Rock zu, »ich mache noch einen Ritt zu ein paar Bekannten, ich denke, wir werden volle Gesellschaft bekommen.«

Seifert begleitete ihn zur Thür. »Haben Sie Ihren Revolver bei sich?« fragte er leise.

»Immer! weshalb denn?«

»Ich fragte nur – mir gefällt meine Stimmung heute durchaus nicht.«

»Sie haben wahrscheinlich zu viel gegessen, das taugt in diesen Klimaten nichts; trinken Sie ein Glas heißen Whiskey-Punsch, das bringt Sie wieder in die Höhe.«

Seifert zuckte die Achseln und Beide trennten sich. – –

Es war gegen sieben Uhr Abends, als sich die »Grocery« mit allerhand Gästen zu füllen begann. Einzelne Reiter [] kamen an, meist von der Seite der Straße, welche ins Innere des County's führte; aber auch auf dem Fußwege von der Flußseite schritten mehrere Männer der Traverne zu. Unten auf dem vom Monde beglänzten Wasser lag ein Boot ans Ufer gekettet. In der Grocery, die nur von dem prasselnden Feuer und einem Talglicht auf dem Ladentische erleuchtet war, saß schon ein Kreis von Männern schweigend um das Kamin, kaum daß hier und da eine kurze träge Frage und eine eben so träge Antwort die Stille unterbrach und nur der Tabakssaft, der in Zwischenräumen aus dem Munde der Meisten ins Feuer gespritzt wurde, brachte ein regelmäßiges Geräusch hervor. Die Kleidung sämmtlicher Anwesenden, bei der mehr die Bequemlichkeit, als der Schnitt beobachtet worden, verrieth die Landbewohner, doch mischten sich bei Vielen auch Kleidungsstücke der modernen Welt in sonderbarer Zusammenstellung mit der Hinterwaldstracht – schwarzer Frack und in die Stiefel gesteckte grobe Hosen, hoher schwarzer Hut und Vatermörder über einem zerzausten, blauwollenen Rocke; doch nahm die sichere, selbstbewußte Haltung jedes Lächerliche von ihrer Erscheinung. Dann und wann erhob sich einer der Anwesenden und verschwand durch eine Seitenthür, dem nach kurzem Zwischenraum ein Anderer folgte, doch wurden die leer gewordenen Plätze immer bald wieder durch neue Ankömmlinge eingenommen. In einer Ecke im Halbdunkel hatte ein Mann mit grauem Barte Platz genommen und ließ die kleinen Augen unter den grauen buschigen Augenbrauen hervor über die Anwesenden laufen. Ein fadenscheiniges Kleidungsstück, halb Jacke, halb Rock, ein Paar grobe Leinwandhosen, schwere Schuhe und ein heller, aber abgetragener Filzhut mit breiter Krempe machten seinen Anzug aus; die breiten Schultern zeigten Kraft an, wollten aber nicht mit der gebückten Stellung, in welcher der Mann im Winkel saß, harmoniren. Neben sich hatte er einen Pedlarkasten mit Tragriemen und vielfachen Schubladen, wie sie im Westen gebräuchlich [] sind, und einen schweren Stock stehen. Er hatte noch nicht lange seinen Sitz eingenommen, als drei Männer laut sprechend zur Thür hereintraten und nach dem Ladentische gingen. »Whiskey!« rief der Eine, anscheinend der Jüngste darunter, »das ist doch noch das Beste, was hier zu bekommen ist, ich könnte heute Abend eine ganze Gallone vertilgen! Halloh, Gentlemen!« wandte er sich an die Uebrigen am Feuer, »Sie nehmen ein Glas mit?« Die Meisten davon erhoben sich und der Wirth hinter dem Tische schob Flasche und Gläser her. »Gutes Glück!« rief der Erstere und stürzte ein volles Glas Branntwein hinunter, »und noch eins!« fuhr er fort, nach der Flasche greifend, aber eine Hand, welche ihm auf die Achsel klopfte, machte ihn innehalten. Er sah sich um und sah den Pedlar aus der Ecke hinter sich.

»Könnte ich nicht zwei Worte mit Ihnen reden, Sir?« fragte dieser.

»Jetzt, Mann?« erwiderte der Andere, »die Zeit scheint mir nicht die beste, – ist es so eilig?«

»Ich denke, Sir, nur zwei Minuten.«

»Well, so kommt!«

Beide gingen ins Freie. »Sie kommen hierher zum Spielen, Mr. Aston?« begann der Pedlar, »ich möchte, Sie thäten es heute nicht und gingen wieder nach Hause.«

»Beim Teufel, alter Schwerenöther, was habt Ihr Euch denn darum zu kümmern? Ist das Alles, was Ihr mir sagen wolltet?«

»Noch ein paar Worte, Mr. Aston. Sie haben nächste Woche eine New-Yorker Note zu decken und beabsichtigen, sie nicht zu zahlen, Sie erwarten Ihre neuen Waaren von New-York und gedenken dann einen vortheilhaften Bankerott zu machen – dahin hat Sie blos das Spiel gebracht!«

»Halt an, Ihr lügt, alter Halunke!« sagte der Andere, bleich geworden, mit gedämpfter Stimme und fuhr mit der Hand nach seiner Brusttasche, aber ein eiserner Griff des [] Pedlars, dem er sich umsonst zu entziehen suchte, hielt diese fest.

»Hören Sie nur noch zwei Worte, Mr. Aston, Ihr Revolver würde Sie unnöthig zum Mörder machen. Ihre New-Yorker Waaren werden nicht kommen – darin haben Sie sich verrechnet« – der Widerstand gegen die Hand des Pedlars erstarb – »ich bin Ihr Freund, folgen Sie mir und lassen Sie das Spiel; Sie haben gestern viel verloren, würden aber heute noch mehr verlieren; bei ordentlicher Anstrengung können Sie jetzt noch das Geld für die Note auftreiben, – bezahlen Sie und bleiben Sie ein ehrlicher Mann, dann kann sich auch Ihr Credit im Osten wiederherstellen.«

Der junge Mann starrte den Alten einen Augenblick mit großen, halbentsetzten Augen an, dann aber schien er sich gewaltsam zu fassen. »Und woher habt Ihr denn die merkwürdigen Neuigkeiten,« sagte er mit einem halben Lachen voll erzwungenen Hohnes, »oder was kennt Ihr denn von meinen Gedanken, von denen ich selber nichts weiß? Wißt Ihr wol, verdammter Jude,« fuhr er mit aufsteigendem Ingrimme fort, »daß ich Euch niederschießen sollte wie einen Hund, für solche Verleumdungen, die einen Geschäftsmann zu Grunde richten müssen?« Er wollte mit einem Ruck seine Hand aus der des Gegners reißen, aber wie ein Schraubstock lag der Griff des Pedlars um sein Handgelenk.

»Sein Sie zwei Minuten ruhig, Sir!« sagte der Alte, »der Revolver hilft Ihnen nicht vom Untergange, wenn Sie's nicht thun. Ich weiß nicht mehr, als was Ihre Geschäftsfreunde im Osten auch wissen, daß Sie spielen, daß Sie im unglücklichen Falle in einer Nacht ruinirt sind. Alles in der Welt wirft Schatten, auch die Gedanken eines Menschen werfen ihren Schatten über sein Thun und Treiben, der zum Verräther wird, wenn er sich auch noch so geheim hält. Ihre New-Yorker Freunde kennen Ihre geheimen Absichten, das ist Alles, was ich sagen kann, gehen [] Sie heim, Mr. Aston, machen Sie mich und die Männer im Osten zu Lügnern, reißen Sie den Strick entzwei, an dem Sie die Hölle hier hält, und Sie können sich noch retten. So, das ist Alles, thun Sie nun, was Sie wollen – und wenn Sie meinen Rath mit einem Schusse bezahlen wollen, so mögen Sie's auch thun.« Damit ließ er die Hand des Andern los und ging nach der Thüre des Hauses; der Zurückbleibende aber stand, mit bleichem Gesichte und zusammengekniffenen Lippen, noch eine Weile auf derselben Stelle, ohne ein Glied zu rühren. »Mag's ihm der Teufel selber entdeckt haben, und ich werde es noch ausfinden – so hat er recht!« murmelte er endlich zwischen den Zähnen. »Erst aber mein Geld von den Halunken und dann nicht wieder!« Er strich langsam mit der Hand über sein Gesicht und folgte dem Pedlar ins Haus. Die früheren Gäste waren dort meist alle verschwunden. Ohne sich indessen umzuschauen, winkte er dem Wirthe, ihm die Whiskeyflasche zu reichen, stürzte ein großes volles Glas davon hinunter und ging dann zu derselben Seitenthüre hinaus, durch die sich die Uebrigen entfernt hatten. Im Umdrehen warf er noch einen flüchtigen Blick nach der Stelle, wo der Pedlar gesessen, doch dieser sammt seinem Kasten war verschwunden.

Im oberen Stockwerke hatten sich in einer kahlen, weiß angestrichenen Stube sechzehn bis zwanzig Männer versammelt. Hinter einem langen Tische, auf welchem drei Talglichte nur die nöthigste Helle verbreiteten, stand Seifert und ließ soeben ein neues Spiel Karten, das er aus dem Papier genommen, durch die Hände gleiten. »Machen Sie Ihr Spiel, Gentlemen!« rief er und nahm aus seinem Taschenbuche ein Packet Banknoten, die er nach ihrem verschiedenen Werthe ordnete und in einzelnen Haufen dicht vor sich hinlegte. Ein Theil der Anwesenden begann sich langsam vor dem Tische zu gruppiren und bald nahm eine Art vereinfachtes Faro in einzelnen Aufsätzen von ein bis zwei Dollars seinen Anfang, dem sich aber bald die meisten [] der Umstehenden anschlossen. – Seitwärts standen zwei kleinere Tische, jeder nur mit einem Talglichte versehen. An dem einen hatte sich Baker nachlässig auf einen Stuhl niedergelassen, rauchte eine Cigarre und schien die verschiedenen Glückswendungen am Farotische zu beobachten. Bald hatte sich einer von den müßigen Gästen zu ihm gesetzt.

»Sie spielen nicht, Sir?«

»Well, ich mache mir eben nicht viel daraus,« erwiderte Baker, »ich gehe nur dann und wann hierher der Abwechslung wegen, indessen stehe ich Ihnen gerne zu einer Partie Poker oder was Sie sonst wünschen, zu Diensten. Ein Spiel neue Karten!« rief er einem halbwüchsigen Schwarzen zu, welcher in der Ecke saß, und eben hatten sich die Beiden zum Spiel zurecht gesetzt, als Aston zur Thür hereintrat. Er warf einen raschen Blick durch das Zimmer und schritt dann auf Baker los. »Pardon, Sir!« sagte er zu dessen Gegner, »nehmen Sie vielleicht Jemand anders an Stelle dieses Herren hier an? Er ist mir Revanche von gestern Abend schuldig.« Der Angeredete war höflich aufgestanden. »Ich schaffe Ihnen sogleich einen ehrlichen, anständigen Jungen,« fuhr Aston fort und winkte mit dem Kopfe einem der beiden Männer, die seine Begleiter beim Eintritt in das Haus gewesen waren und der jetzt zuschauend unter der übrigen Menge stand, herbei. »Sie werden bei dem Tausche unter keinen Umständen etwas verlieren, Sir!«

Baker hatte bei der Unterbrechung keine Miene verzogen, aber sich langsam zurückgelehnt und den Neueingetretenen kalt fixirt. »Sie wollen mit mir spielen?« sagte er, als Astons Gefährte herantrat, »ich stehe Ihnen jederzeit zu Diensten, aber ich wollte, Sie thäten es nicht; Sie haben zu wenig Glück und sind durch Ihre Hitze einem kalten Spieler gegenüber zu sehr im Nachtheil!«

»Das ist wol meine Sache allein, Sir!« erwiderte Aston, dessen Gesicht ein leichtes Roth überflog, »es fragt sich nur ob Sie mir die Revanche verweigern wollen!«

[] »Durchaus nicht, ich gestehe Ihnen aber offen, daß ich mich nicht gerne für blinde Glücksfälle verantwortlich gemacht sehe, wie es beinahe gestern Abend von Ihnen geschah – die Herren hier mögen Zeuge sein, daß ich nur, weil Sie es durchaus wünschen, Ihre Aufforderung annehme.«

»Hat nichts zu sagen!« erwiderte Aston. Baker zuckte kalt die Achseln und schob seinem Gegner das noch unangerührte Spiel Karten hin. Dieser öffnete es, ließ die Blätter prüfend durch die Finger laufen und gab dann.

Das Gespräch hatte wohl die Aufmerksamkeit einzelner Farospieler erregt, die sich aber, als das Spiel der Sprechenden ruhig seinen Anfang nahm, schnell wieder ihrem eigenen Interesse zuwandte. Nur der eine von Astons früheren Begleitern hatte sich als Zuschauer neben sie gestellt, der andere hatte mit Bakers vorigem Gegner den zweiten Spieltisch eingenommen.

Das Glück schien sich auf Seite Astons zu neigen; das erste und zweite Spiel waren sein und dreißig Dollars gewonnenes Geld lagen vor ihm. Er hatte beim dritten Spiele zu geben. Baker übersah seine Karten und sagte: »Fünfundzwanzig Dollars, wenn's Ihnen recht ist! Ich muß suchen, die Sache wieder auszugleichen.«

»Dreißig, Sir!« erwiderte Aston, sein Geld vorschiebend.

»Auch recht – drei Damen und ein Aß!« rief Baker und legte seine Karten auf.

»Drei Könige und ein Aß!« war Astons Antwort, dessen Stimme seine wachsende Aufregung kund gab.

Der Andere zog einen Bündel Banknoten aus einer Seitentasche, warf ruhig dreißig Dollars auf den Tisch und begann zu geben. Aston blickte in seine Karten und ein merkbares Roth überzog sein Gesicht. »Sechszig Dollars, Sir!« sagte er.

Baker schien zu überlegen. »Sie scheinen mich durch Ueberrumpelung fangen zu wollen,« sagte er, »aber Ihr [] Glück kann nicht immer so dauern. Ich wage es. Hundert Dollars!« Und damit legte er wie im raschen Entschlusse zwei Fünfzigdollarsbanknoten auf den Tisch. Das Gesicht Astons färbte sich höher, er sah nochmals in seine Karten, warf einen prüfenden Blick auf seinen Gegner und überlegte einen Augenblick. »Hundertundfünfzig!« sagte er dann.

»Zweihundert, wenn Sie wollen!« sagte Baker kalt und legte neue Hundert Dollars zu seinem Aussatze.

»Es gilt!« Aston zog mit einem leisen Beben der Aufregung sein Taschentuch hervor und zählte das nöthige Geld ab. Nur ein geringer Rest schien sich außerdem darin noch zu befinden. »Wieder drei Könige und ein Aß!« sagte er, seine Karten auflegend.

»Reicht diesmal nicht aus, Sir! Hier sind drei Aß und ein König!« Wie zu Stein verwandelt blickte der junge Mann einen Augenblick die offenen Karten seines Gegners an, aber mit einem »Halt!« sprang er dann plötzlich auf, beide Hände Bakers fassend, die soeben die Banknoten auf dem Tische einstrichen. »Sir, erst eine Erklärung!« rief er. »Sie haben drei Aß und ich eins, und doch sah ich zufällig, daß das Herzaß die unterste Karte war, als Sie gaben – wie kommen Sie dazu – oder gibt's im Spiel zwei Herzaß?«

Baker sah ohne Zucken in das Gesicht vor sich, hinter dem ein ganzer Sturm mühsam zurückgehalten schien, das aber dabei bleich war wie die Wand. »Wollen Sie zuerst Ihre Hände von den meinigen thun, Sir?« entgegnete er scharf.

»Nicht eher, als bis ich mich überzeugt habe!« war die Antwort, bei welcher die Lippen des Sprechenden bebten. »John, wende die Karten um!« Astons Begleiter, der dem Spiel mit unverrückter Aufmerksamkeit gefolgt war, hatte auch schon das ungebrauchte Pack der Karten auf die Rückseite gelegt – eine Zehn lag zu unterst. Aston warf nur [] einen Blick darauf. »Jetzt, Sir,« sagte er mit heiserer Stimme und umfaßte krampfhaft Bakers Hände, »nur ein Wort: wollen Sie mir die zweihundert Dollars, die Sie mir gestern abnahmen, ohne Weiteres zurückzahlen und liegen lassen, was hier auf dem Tische ist?!«

»Sie sind ein Narr, lieber Herr!« entgegnete Baker mit eisiger Kälte, »ich habe Sie vorher gewarnt und frage Sie zum letzten Male, wollen Sie Ihre Hände wegthun?«

»Sir, Sie sind ein falscher Spieler, ein Schuft und ein Lügner!« brach es jetzt aus Astons Munde und schlug in die Ohren der übrigen Anwesenden, daß diese von ihrem Spiele herumfuhren, – mit einem Ruck aber hatte Baker seine Hände losgerissen und seine Faust traf Astons Gesicht, daß dieser zurücktaumelte; im nächsten Augenblick indessen, und ehe die aufgeschreckte übrige Gesellschaft nur wußte, um was es sich handelte, hatten Beide schon ihre Revolvers gezogen, zwei Schüsse knallten fast zu gleicher Zeit, Baker wankte, blieb aber stehen, Aston jedoch brach in den neben ihm stehenden Stuhl zusammen. Baker, leichenblaß, aber ruhig, zog seine von der Kugel des Gegners zerschmetterte Uhr aus der Tasche. »Gentlemen,« sagte er, »Sie sehen, daß ich vor den Folgen dieses unvernünftigen Angriffs nur durch das sichtbare Walten der Vorsehung beschützt worden bin. Ich habe diesen jungen Mann gewarnt nicht zu spielen; hier sind Herren, die es bezeugen werden: ich habe nur nachgegeben, weil er es zur Ehrensache machte, und wer von Ihnen eine Anschuldigung wie die, welche Sie gehört haben, mit kaltem Blut hingenommen hätte, der mag zuerst seine Hand an mich legen.« Noch während er sprach, war der Wirth eingetreten, ein Blick hatte ihn wol von dem Thatbestande genügend unterrichtet, denn er begann ohne weitere Frage die Kleider des Verwundeten, der völlig bewußtlos schien, zu öffnen, unterstützt von dessen Gefährten, und dorthin wendete sich jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit.

[] »Machen Sie, daß Sie fortkommen!« hörte Baker Seiferts Stimme in sein Ohr zischeln, »jetzt ist die rechte Zeit.«

»Daß ich mich ruiniren soll?« erwiderte Jener halblaut und strich die umhergestreuten Banknoten auf dem Tische zusammen, »reden Sie nicht mit mir und bleiben Sie ruhig bei Ihrem Spiele.«

»'S ist eine Wunde in der Seite, aber ich kann nicht bestimmen, wie gefährlich sie ist,« sprach der Wirth, der eben ein Stück Leinwand mit Wasser getränkt als Verband zurecht machte, »jedenfalls ist es das Beste für ihn und für uns Alle, daß die Herren von über dem River ihn sofort nach Hause nehmen und ärztliche Hilfe holen – meine beiden Schwarzen mögen zur Vorsorge bis ans andere Ufer mitgehen – so entsteht auch das wenigste Aufsehen bei der Sache.«

»Ich werde die Herren selbst begleiten,« sagte jetzt Baker, »ich habe das Unglück angerichtet, aber Gott helfe mir, ich konnte nicht anders und Niemand kann betrübter darüber sein als ich selbst. Aber wir dürfen nicht zögern. Unten im Hofe habe ich eine kurze Leiter bemerkt. Wir legen Betten darauf und binden Mr. Aston mit den Betttüchern hinein, so liegt er bequem und sicher und kann selbst das Ufer hinab leicht getragen werden.«

Der Wirth nickte und verließ das Zimmer; den Meisten in der Gesellschaft aber schien in diesem bequemen Auskunftswege eine unangenehme Last von der Seele zu gehen; es bildeten sich wieder einzelne Gruppen und die peinliche Stille während der Untersuchung der Wunde ging in halblaute Gespräche über. Bald waren die Vorbereitungen zum Transport getroffen und auf der improvisirten Tragbahre ward der noch immer besinnungslose Verwundete hinweggeschafft.

»Gentlemen,« sagte Baker, die Thür in die Hand nehmend, »ich verlasse mich auf Ihre Ehre, daß das unglückliche [] Ereigniß unter uns bleibt!« und damit folgte er den Uebrigen.

In der Grocery saß der Pedlar wieder in seinem Winkel, als der Zug hindurch ging, und Bakers Auge traf aufschauend den starren Blick, den Jener auf ihn geheftet hielt. Einen Augenblick nur schien er davon betroffen zu sein, wandte aber im nächsten schon das Auge wieder zur Thür hinaus.

»Sonderbar,« brummte der Alte und stützte die Stirn in die Hand, »die eine Frucht fällt beim ersten Herbstwehen und die andere reift so langsam, daß sie gebrochen werden muß. Aber die Zeit dazu wird auch kommen.«

Vom obern Zimmer wurde nach Whiskey-Punsch gerufen und bald war das Spiel dort flotter im Gange als zuvor.

Drittes Kapitel.
Das Weihnachtsfest.

Auf der Straße, welche von der Hauptstraße ab nach Oaklea führt, trabte am Mittag des ersten Christtages ein Reiter hin, hinter ihm drein ein Schwarzer im vollen Feststaate der modernen Welt. Hatte auch der »Ofenrohr-Hut« einige Beulen und wollte der glättenden Bürste nicht mehr gehorchen, so saß er doch so keck auf dem Wollkopfe, wie der des ersten New-Yorker Herumtreibers. Standen auch die Vatermörder etwas zu weit über das rothseidene Halstuch hinaus, so daß die dicken Backenknochen darauf zu ruhen schienen, so war der Contrast, den sie mit der schwarzen Haut bildeten, ein um so entschiedener, und das etwas zu viereckige Gesicht erhielt eine gewisse Abrundung; war auch der Rock etwas zu weit und nach irgend einem antiken Muster geschnitten, so stand er in um so größerer Harmonie mit den etwas schweren Schuhen und großen Händen und gab der ganzen Erscheinung einen Anstrich von [] Gediegenheit. Der Reiter vor ihm, der zwar einfach gekleidet war, aber in voller Eleganz zu Pferde saß und die freien Blicke rings umher geworfen hatte, hielt jetzt an und ließ den Schwarzen herankommen. »Well, wie heißt Ihr?«

»Dick, Sir.«

»Well, Dick, Ihr könnt mich schwer verstehen?«

»'S geht schon, Master, mit einem Bischen Aufpassen!«

»Ihr müßt mir sagen, Dick, wo ich nicht recht spreche!«

Der Neger verzog das gutmüthige Gesicht zu einem Grinsen. »Miß Ellen wird das besser können, oder Mister Elliot, Sir.«

»Wer ist Miß Ellen?«

»Ich meinte, Sie müßten sie kennen, da Sie in die Familie kommen, 's ist Miß Elliot, die Tochter von unserem Herren, sie ist so als kleines Mädchen zwischen uns aufgewachsen, daß die schwarzen Leute alle sie nur bei ihrem Vornamen nennen.«

Der weiße Reiter schwieg, aber trabte schärfer zu und ließ das Auge wieder über die Landschaft schweifen. Dick schlug sich auf seinen Hut, den der Wind eben wegtreiben wollte und ließ sein Pferd gleichen Schritt mit dem andern halten. Er schnitt ein paarmal Gesichter, als wolle er zum Sprechen ansetzen, wisse aber nie wie. »Ich möchte Sie wol was fragen, Mister – ich habe Ihren Namen schon wieder vergessen, er ist so schwer zu merken –«

»Helmstedt heiße ich« antwortete der Andere. »Mr. Helmstedt, Sie müssen's doch wissen, da Sie von New-York kommen,« fuhr der Schwarze fort und sein ganzes Gesicht verwandelte sich in eine Miene von halber Verlegenheit und halber Neugierde – »ist es wahr, daß die Schwarzen dort alle Herren sind?«

»Well, sie sind frei, aber wenn sie nicht scharf arbeiten, oder neben den vielen weißen Arbeitern, die's dort gibt, keine Arbeit bekommen, müssen sie Noth leiden, so gut wie [] jeder Andere. Ich habe schon manchen alten Schwarzen an den Ecken betteln sehen.«

Dick kratzte sich in den Haaren, daß ihm beinahe der Hut wieder vom Ohre flog. »Aber es soll doch Leute geben, die für die schwarzen Menschen sorgen, wenn sie hinkommen?«

»Weiß nichts davon, Dick, sie würden's doch wol erst für Ihre weißen Brüder thun, und unter denen ist bei Manchem das Elend so groß, daß er sich aus Verzweiflung das Leben nimmt.«

Dick zog wieder ein paar Gesichter, deren Ausdruck wol der größte Physiognom nicht hätte classificiren können, rückte bald vor- bald rückwärts auf dem Sattel, sagte aber kein Wort, bis sich auf dem nächsten Hügel Oaklea vor ihnen zeigte. Einzelne Jauchze wurden von dort hörbar, und dann und wann trug auch der Wind Geigenklänge und helles Lachen herüber. »Das ist unser Haus, Sir!« sagte er und seine Blicke schienen den Eindruck desselben in Helmstedts Gesicht zu beobachten, »'s ist jetzt lustige Zeit da.«

Helmstedt übersah mit glänzendem Auge die Landschaft, that dann einen langen Athemzug und sprengte im Galopp dem Orte, von dem er eine neü Heimat erwartete, entgegen.

Die kurze Entfernung bis zum Landhause war bald zurückgelegt. An dem geschmackvollen weißen Stackete, das die Gartenanlagen, welche das Haus umgaben, von der übrigen Besitzung abschloß, sprang Dick vom Pferde und öffnete das Gartenthor. Ein breiter Kiesweg führte von hier dem Hause zu, wo ein Mann, der in dem Portico auf- und abging, die Ankommenden bereits zu erwarten schien.

»Freut mich, daß Sie da sind, Sir!« rief er mit einem kurzen musternden Blicke, als Helmstedt vom Pferde stieg und warf dem ihm nachgekommenen Schwarzen die Zügel desselben zu. »Ich heiße Elliot.«

[] Helmstedt verbeugte sich und drückte herzhaft die dargebotene Hand, – die stattliche Gestalt und der freundliche, biedere Blick des Mannes hatten einen wohlthuenden Eindruck auf ihn hervorgebracht.

»Ihre beiden Koffer sind schon hier,« fuhr Elliot fort; »der Bursche, der sie holte, ist den kürzeren Weg durchs Holz gefahren und Ihnen zuvorgekommen; dem schwarzen Volke macht das Christfest alle Gelenke noch einmal so geschmeidig als sonst. 'S ist Feuer in Ihrem Zimmer und was sonst nöthig ist, wenn Sie sich den Staub herunterschütteln wollen,« fuhr er fort, »und wenn Sie mit mir kommen wollen, zeige ich Ihnen den Weg.«

Der junge Mann folgte durch das Haus nach einem der Seitenflügel, wo Elliot eine Thür zu ebener Erde vor ihm öffnete. »Sie finden mich nachher im Parlor, Sir!« sagte er und ließ den Ankömmling allein.

Helmstedt trat ein und ein wunderbar heimliches Gefühl überkam ihn. Das Zimmer war nur schlicht tapezirt, aber durch die dichten Vorhänge warf gebrochene abendliche Helle in Verbindung mit dem Scheine des prasselnden Feuers ein warmes Colorit über alle Gegenstände darin; ein dicker Fußteppich bedeckte den Boden, ein Bett mit weißer Ueberdecke nahm die eine Wand ein, während gegenüber zwischen den Fenstern ein geräumiger Waschtisch mit dem Spiegel darüber alle nöthigen Bequemlichkeiten bot. Eine Kommode, ein großer Tisch an der dritten Wand und ein kleiner neben dem Bette, ein aus Rohr geflochtener Schaukelstuhl und drei andere ähnliche Stühle vollendeten die einfache Ausstaffirung, und doch wollte es Helmstedt scheinen, als habe er noch nie ein wohnlicheres Zimmer gesehen, das so ganz von den Vorstellungen abwich, die er sich auf seiner Herreise gemacht hatte. Seine beiden Koffer, die in der Fenstervertiefung standen, grüßten ihn wie alte Bekannte und mit einem Gefühle der Sicherheit, wie er es in Amerika noch nicht gehabt, öffnete er sie, entledigte sich dann der [] Reisekleider, wusch sich, und bald verließ er frisch und elegant das Zimmer wieder, um den Hausherrn aufzusuchen.

Elliot saß mit einem Zeitungsblatt am Fenster, als Helmstedt den Parlor betrat, und nicht weit von ihm in einem der Divans eine ältliche Dame. »Kommen Sie näher, Sir, nehmen Sie Platz!« rief der Erstere und zog den nächststehenden Stuhl herbei, »das ist meine Frau – Mr. Helmstedt, unser neuer Hausgenosse!« fuhr er, Beide einander vorstellend fort, »was sonst zum Hause gehört, werden Sie schon kennen lernen und nun lassen Sie uns für's Erste eine halbe Stunde plaudern und selbst mit einander Bekanntschaft machen.« Die Frau hatte aufstehend mit einem: »Seien Sie uns willkommen!« dem jungen Manne die Hand gereicht, verließ aber jetzt das Zimmer.

»Well, Sir,« begann Elliot, als Helmstedt den angewiesenen Platz eingenommen, »was Sie bei uns sollen, wird Ihnen ja wol bekannt sein und ich denke, Sie werden sich auch bei uns gefallen, wir sind wenigstens keine bösen Leute und von Ihnen habe ich auch nur das Beste gehört.«

»Ich muß zuerst wegen meines unvollkommenen Englisch um Entschuldigung bitten,« begann Helmstedt, »ich hoffe aber, es soll mit jeder Woche besser werden; im Uebrigen weiß ich nur als einen Theil meiner Aufgabe, daß ich Ihre Bücher in Ordnung halten soll: das Weitere – schrieb mir der Mann, der mir die Aufforderung zur Hierherreise und auch das Reisegeld sandte – würde ich von Ihnen selbst erfahren.«

»Das ist der alte Isaac; kennen Sie ihn und seine Verhältnisse näher?«

»Isaac Hirsch unterzeichnete er sich, Sir, sonst habe ich ihn aber erst zweimal im Leben gesehen, und weiß nur, daß ich durch seinen guten Rath aus der bittersten Lage meines Lebens kam, und diesem vielleicht meine ganze Zukunft in Amerika verdanke.«

[] »So! Er muß Sie doch wol näher gekannt haben oder irgend ein Interesse an Ihnen nehmen. Er verbürgte sich freiwillig für Sie, obgleich das nicht einmal nothwendig gewesen wäre.«

»Mag sein, daß er mich mehr kennt, als ich weiß, Sir, ich gestehe Ihnen ehrlich, daß er für mich eine räthselhafte Person ist. Er brachte mich, als ich durch einen erlittenen Diebstahl gänzlich hilflos dastand, vor vier Monaten in das Exportgeschäft eines seiner Bekannten, wenigstens nannte er den Besitzer so, damit ich dort für mein ferneres Fortkommen Geschäft und die Sprache lernen sollte, ich mußte ihm aber versprechen, sechs Monate auszuhalten, – es war eine harte Schule für mich, das Verständniß jedes Wortes in meiner Umgegend und jedes Stück Kenntniß in dem neuen Fach mußte erst erarbeitet werden; ich wurde von früh bis Abends nicht losgelassen und eine anderweite Abendbeschäftigung, die ich nebenbei übernommen, fand auch in einem amerikanischen Hause statt, so daß ich im ersten Monate oft in halber Verzweiflung nur um die allernothwendigste Conversation war; ich sah aber ein, daß es der einzige Weg zu meinem Heile war; ich hatte obendrein dem alten Manne mein Wort gegeben und so blieb ich. Dort mag er mich vielleicht haben beobachten lassen. Zu welchem Zwecke kann ich freilich nicht errathen – und welches Interesse er an mir nehmen könnte, ist mir ebenfalls unbegreiflich – ich habe nicht einmal gewußt, daß sein eigentlicher Aufenthalt die hiesige Gegend ist, bis ich seinen Brief erhielt, mich bei Ihnen zu melden.«

»'S ist ein sonderbarer Mensch,« sagte Elliot kopfschüttelnd, »aber bei den vielerlei Arten von Geschäften, die er hier herum macht, hat sich noch Niemand über ihn zu beklagen gehabt und ich denke, so wird er auch in Ihnen jetzt den rechten Mann für uns besorgt haben. Sie sollen allerdings meine Bücher in Ordnung halten, das verlangt aber mehr Treue und Gewissenhaftigkeit, als viele Arbeit; mir [] liegt vor Allem daran, immer zu wissen, wie ich stehe, damit man nicht Extravaganzen in den Ausgaben begeht, die nur später Verlegenheiten hervorrufen. Wir sind alle in der hiesigen Nachbarschaft für reich verschrieen, und seit unsere Kinder durchaus im Osten ausgebildet werden müssen, wenn die Mädchen einmal eine ordentliche Partie machen und die Jungen mit der jetzigen Welt fortkommen wollen, ist die östliche Fashion auch bei uns eingezogen, und wo unsere Väter keinen Gedanken an Ausgaben hatten und den Grund zu unserer Wohlhabenheit legten, da finden wir eine Menge Kosten für Dinge, angenommene Gewohnheiten und Moden, die einen Menschen ruiniren können, wenn er nicht scharf auf seiner Hut ist. Wir sind allerdings wohlhabend, daß heißt an Eigenthum und Negern, und doch fehlt oft das baare Geld, wo es am notwendigsten ist, weil es nebenbei für Badereisen und kostbare, aber unnütze Anschaffungen wegging, die niemals vorher calculirt wurden. So mutz denn schon auf nächste Ernte losgeborgt werden, und wer nicht strebt, strenge Ordnung und Uebersicht in seine Rechnungen zu bringen, der kann trotz aller Wohlhabenheit in wenigen Jahren zu Grunde gehen, ehe er es weiß. Da haben Sie Alles, was ich Ihnen darüber sagen wollte – die Notizen und Papiere, welche Sie brauchen, werden Sie von mir erhalten; nehmen Sie sich Zeit und machen Sie sich erst mit unseren Verhältnissen ordentlich vertraut, dann aber handeln Sie in Regulirung der schriftlichen Sachen ganz nach Ihrem eigenen Ermessen. Das Pferd, welches Sie vorhin ritten, mögen Sie als zu Ihrem ausschließlichen Gebrauche betrachten, so erhält es doch wenigstens einen Nutzen, – 's ist ein Theil von dem Unsinn, zu dem ich mich habe verleiten lassen, seine Pferde für den bloßen Luxus anzuschaffen. Wegen Ihrer Bezahlung, um das Nöthige gleich vornherein zu erwähnen, will ich Ihnen das erste halbe Jahr Ihres Salairs in der County-Bank anweisen, Sie mögen es dann nach eigenem Gefallen ziehen. [] – So viel darüber. Ein anderer Hauptwunsch von mir aber,« fuhr Elliot fort und drückte die Augen einen Moment in die Hand, »war der, Jemand von genug Bildung und Zuverlässigkeit als Gesellschafter für meine Frau und Tochter im Hause zu haben. Meine zwei Jungen sind auf dem Gymnasium, und so leben wir hier, wenn ich die einzelnen Besuche von Nachbarn nicht rechne, ziemlich einsam. Dann bin ich bisweilen gezwungen, des Nachts über in der Stadt zu bleiben und jede weiße männliche Aufsicht fehlt dann hier. Sie spielen Piano, wie mir der alte Isaac sagt, das gibt schon Abwechselung und meine Ellen kann hierin wie auch in ihren Schulstudien von Ihnen profitiren; Sie aber lernen von den Frauenzimmern, was Ihnen noch in der Sprache fehlt – das hoffe ich, wird sich Alles ganz gut machen. – So, nun wissen Sie ungefähr, was ich von Ihnen wünsche, das Uebrige findet sich schon später, und wenn's Ihnen recht ist, machen wir, bis der Thee fertig ist, einen Spaziergang zu unsern Schwarzen, bei denen es heute hoch hergeht.«

Elliot nahm seinen Hut und erhob sich und Helmstedt folgte ihm zur Thür hinaus, aber nicht mit halb so leichtem Herzen, als er den Parlor betreten hatte. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher sein Principal über die von ihm zu übernehmenden Geschäfte gesprochen hatte, war es doch über ihn gekommen, als solle ihm eine halbe Welt von Verantwortlichkeit auf die Schultern gelegt werden und zwar für Dinge, von denen er nicht einmal einen rechten Begriff hatte. Was verstand er von dem Betrieb einer Pflanzung? Er wollte wol Bücher führen – aus seinen früheren Studien in Deutschland hatte er die Kenntnis der Staatsbuchhaltung mitgebracht und das Verständniß der englischen kaufmännischen Buchhaltung war ihm schon in den ersten Wochen seiner Handels-Carriere in New-York vollkommen klar geworden – dazu hatte er eine oberflächliche Kenntniß der Baumwolle erhalten, da sie den Hauptexport-Artikel [] des Hauses, welches ihn beschäftigte, gewesen war – aber welchen Begriff hatte er denn von dem Wesen einer südlichen Pflanzung, von welcher ihm Isaac noch dazu geschrieben hatte, daß sie eine der bedeutendsten im nördlichen Alabama sei? Und die nachlässige Offenheit, mit welcher Elliot über seine Verhältnisse gesprochen und Helmstedts Kenntnissen und Selbstständigkeit vertraut hatte, machte ihm das Herz noch schwerer. Ein lautes Lachen Elliots störte ihn aus seinen Gedanken aus und ließ ihn erst jetzt bemerken, daß er an dessen Seite bereits ein ganzes Stück im Freien hinter dem Hause zurückgelegt. Er durfte jetzt dem, was ihn beschwerte, keine Macht über sich gestatten, wenn er nicht gleich zu Anfange unbeholfen und linkisch erscheinen wollte.

»Sehen Sie dort, Sir! ob Sie schon so was gesehen haben!« rief Elliot, von Neuem lachend. Sie standen am Anfange der Senkung, auf welcher die Negerhütten zerstreut lagen. Unten im Thale, über das sich bereits dunkle Abendschatten gesenkt hatten, war ein großes Viereck mit Brettern belegt, das von tanzenden Schwarzen bedeckt war. Auf zwei Fässern standen zwei schwarze Violinkünstler, beide mit den Füßen den Takt zu ihrer Musik stampfend, während der eine die Touren einer eben aufgeführten Quadrille mit heiser geschrieener Stimme ausrief. Rings umher trieben sich Gruppen anderer Schwarzen, Mädchen und Männer, lachend und tollend durcheinander. Der Tanzplatz selbst aber bot eine treue Nachahmung fashionabler Manieren. Die Tänzer, trotz des kalten Abends meist in weißen Hosen, viele in alten Fracks und steifen Vatermördern, einige der größten Stutzer darunter sogar mit abgetragenen Glaçehandschuhen, bestrebten sich, ihre Tänzerinnen mit so viel Grazie zu führen, als sich nur mit Kopswerfen und Beinverdrehen erzielen ließ, während die Stillstehenden mit süßzärtlich gezogenem Gesichte sich zu ihren Schönen bogen; die Humoristen unter der Gesellschaft aber tanzten mit einem [] virtuosenmäßigen Fußtrommeln und Händeschnippen, denen die groteskesten Sprünge folgten, Solo. – Mit jedem Schritte, den Helmstedt näher herantrat, bot sich ihm ein neues Bild seltsamer Lustigkeit und caricirten modernen Lebens. Bald standen sie mitten unter der schwarzen Gesellschaft und die ihnen Nahestehenden rissen mit gutmüthig grinsender Höflichkeit die Hüte vom Kopfe.

»Sind denn die Neger hier sämmtlich Ihr Eigenthum?« fragte Helmstedt.

»I, durchaus nicht,« lachte Elliot, »aber meine Leute geben heute Abend den Schwarzen von der Nachbarfarm einen Ball, morgen sind sie wahrscheinlich selbst wo anders hin eingeladen – das geht fort im Tanzen und Lustigmachen bis Neujahr; was sie sich das Jahr über erspart haben – und das ist oft nicht unbedeutend, weil jede Negerfamilie aus ihrer eigenen Hühner- und Schweinezucht oder dergleichen so viel machen darf, als sie kann – das geht bei den Meisten am Christtage wieder fort. Die Sorge für den morgenden Tag kennt freilich Keiner von ihnen.«

Beide waren auf den gedielten Tanzplatz getreten, wo eben ein Dutzend heller Papierlaternen an die ringsum stehenden Bäume gehangen wurden, die das ganze Schauspiel nur um so grotesker machten, und sahen sich das Treiben der Neger-Gesellschaft, die sich in keiner Bewegung durch die Anwesenheit der neuen Gäste stören ließ, in der Nähe an – da tauchte nahe vor Helmstedt, wie ein Sonnenblick zwischen dunklen Gewitterwolken, ein weißes lachendes Mädchengesicht aus der schwarzen Menge auf, das vor Helmstedts überraschtem Blick leicht erröthete, dann sich aber nach dem herzutretenden Elliot wandte. »Meine Tochter Ellen,« sagte dieser, sie dem jungen Mann leichthin vorstellend, »und das,« wandte er sich zu ihr, »ist Mr. Helmstedt, der euch Frauenzimmern helfen wird, den Winter hinzubringen!« Ein Blick, halb Scheu, halb Neugierde, aber voll wunderbarer Klarheit, traf den Ankömmling, und er wollte eben [] einige höfliche Worte sagen, als ein zweites jugendliches Gesicht neben dem ersten erschien, bei dessen Anblick ihm die Rede erstarb. »Mistreß Morton, unsere freundliche Nachbarin!« fuhr Elliot in seiner Vorstellung fort, »wenn Sie uns recht fleißig besuchen, Ma'am, können Sie auch etwas von unserem neuen Freunde abhaben.« Die Dame verbeugte sich steif, Helmstedt aber wußte nicht, ob ihn ein Phantasiebild ässe oder ob seine Augen trübe waren; das war Pauline Peters, wol etwas bleicher, als er sie zuletzt gesehen, und wenn auch nicht ein einziger Blick von ihr verrieth, daß sie ihn kenne, so lag doch derselbe weiche Zug um ihren Mund, den er schon als Kind an ihr gekannt, und selbst die Mantille, welche sie trug, war dieselbe, in der er sie zuerst in New-York gesehen. Mrs. Morton! Das war derselbe Name, mit dem sie den ältlichen Herrn bezeichnet hatte, den sie »Onkel« nannte und von dem sie abhing – der Mann war aus Alabama – es war schon richtig.

»Es wird so kalt, daß ich besser thue, ich fahre nach Hause,« sagte sie, sich an ihre junge Gefährtin wendend, »Mr. Morton ist ohnedies Abends nicht gern ohne mich.«

Der Hausherr warf zwar lachend ein, sie solle ihren Mann nicht verwöhnen und es sei Unrecht, wenn sie den Abend nicht mit ihnen zubringen wolle; sie aber zog ihren Ueberwurf höher und sagte mit einem Anflug der schelmischen Miene, welche Helmstedt die ganze Scene im City-Hall-Park wieder vor Augen führte: Niemand habe eine Vorstellung, was ihr Mann für ein Bär sei; dann nahm sie Ellens Arm, winkte einer Mulattin, die bei Seite stand, ihr zu folgen, und sich leicht aber vollkommen fremd gegen Helmstedt verbeugend, gingen die beiden schlanken Gestalten dem Hause zu.

»Well, Sir, ich denke, unser Thee wird fertig sein, und wir machen uns ebenfalls wieder zurück, wenn Sie sonst nicht noch hier bleiben wollen,« sagte Elliot, und für [] Helmstedt, dem jetzt mit einem Male das ganze Schauspiel vor ihm langweilig, wenn nicht widerwärtig erschien, hätte keine willkommenere Aufforderung stattfinden können. Sie folgten langsam den Damen, Elliot einzelne Anekdoten von den Eigenthümlichkeiten der Schwarzen erzählend, die er an das eben verlassene Fest anknüpfte, zu denen aber Helmstedt immer nur das Gesicht verzog, wenn er seinen Begleiter darüber lachen hörte, denn er selbst hatte vor allerhand eigenen Gedanken, die ihm durch den Kopf fuhren, das Wenigste davon gehört – und beide kamen beim Hause an, als eben der Besuch sich der Frau vom Hause empfahl, von Ellen Elliot zum Abschied geküßt wurde und dann in die bereitstehende zweisitzige Kutsche sprang, wo schon die Mulattin, Zügel und Peitsche regierend, saß. Helmstedt fing, nahe dabei stehend, noch einen ihrer letzten Blicke auf, aber keine Miene, oder auch nur der leiseste Farbenwechsel deutete auf eine innere Bewegung; das Pferd zog an und der Wagen rollte der Straße zu, die Familie wandte sich nach ihrem Hause, wo Sarah meldete, daß das Abendbrod bereit sei und den eintretenden Helmstedt mit großen neugierigen Augen musterte.

»Well, Sir, wir sind heute allein, und müssen uns den ersten Christtag selbst so angenehm als möglich machen,« sagte Elliot, als er dem jungen Manne seinen Platz am Theetische, Ellen gegenüber, anwies, »Sie werden aber müde sein, sonst hätten Sie uns heute noch etwas spielen und singen müssen, ich verstehe zwar nicht viel von der Kunst, wie Ellen sagt, 's ist aber was Hübsches um die Musik bei geschlossenen Fensterladen und einem hellbrennenden Feuer.«

»Woran man gewöhnlich süß einschläft!« fiel Ellen lachend ein, wurde aber auch zugleich mit einer hellen Röthe übergossen, als habe sie sich zu weit gehen lassen.

»Well, warum nicht?« sagte Elliot launig, »das ist eben die Macht der Musik, oder auch vielleicht nur deiner Musik, 's kommt eben auf die Probe an, wenn ich etwas [] Anderes zu hören bekomme. – Uebrigens hast du jetzt einen so großen Bewunderer an Mrs. Morton, daß du mich wol ruhig schlafen lassen kannst.«

»Ist Mrs. Morton aus dem Osten?« begann Helmstedt, – »mir ist es, als hätte ich sie schon in New-York gesehen.«

»Ich glaube, sie ist eine New-Yorkerin,« erwiderte Elliot, »jedenfalls kann sich aber Morton zu dem Frauchen gratuliren, wenn sie auch wirklich arm sein soll, wie es heißt. Seine Tochter ist durch ihre Erziehung und die alljährlichen Badereisen so fashionable geworden, daß sie sich hier auf dem Lande unglücklich fühlt und anstatt das Haus heiter zu machen, einen verdrießlichen, schwermüthigen Nebel über alles wirst.«

»Vater,« sagte Ellen mit einem Vorwurfe im Gesichte, der ihrem kleinen Munde wunderhübsch stand, »du redest so hart und kennst Alice gar nicht. 'S ist kaum erst sechs oder acht Monate her, daß sie so ist, aber es liegt ihr etwas auf dem Herzen, das sie drückt – sie war früher nie froher, als wenn sie aus dem Osten wieder nach Hause kam.«

»Du bist falsch, Kind,« sagte der Alte mit einem halb sarkastischen Gesichtsausdrucke. »Herz ist nicht mehr fashionable, die Nerven sind jetzt bei den Damen nur noch in der Mode, also hat sie ein Nervenleiden, das klingt gleich ganz anders.«

»Vater, das ist häßlich von dir, du thust Alice Morton Unrecht.«

»Gut also, ich thue ihr Unrecht, ich kann aber diese Gesichter, die immer aussehen wie Regen und zusammenzucken, wenn Jemand ins Zimmer tritt, als wären Sie keinen Augenblick sicher vor einem Ueberfall, nicht leiden.«

Ellen nickte wie ein halbtrotziges Kind und sah vor sich auf ihren Teller, Mistreß Elliot aber strich ihr mit einem kleinen Lächeln das Haar. »Weißt ja, Vater spricht schlimmer, als er's meint!« sagte sie; »morgen macht jedenfalls [] Mr. Baker einen Besuch, da kannst du dich rächen und deinen Zorn an ihm wieder auslassen.«

Das Mädchen sah langsam auf und um ihren Mund lagerte sich ein unbeschreiblicher Zug von Widerwillen. »Ich kann ihm nicht wehren, zu kommen; wär' er aber ein Gentleman, so wär' er längst weggeblieben; nach dem, was ich ihm gesagt,« erwiderte sie, »mich soll er wenigstens nicht wieder treffen, entweder bin ich morgen krank oder ich reise irgendwohin zu Besuch.«

Elliot strich sich lächelnd das Kinn. – »Du thust ihm Unrecht, du kennst ihn gar nicht!« sagte er.

Das Mädchen sah ihm rasch ins Gesicht. »O, das ist Revanche, aber mich fängst du nicht so, Papa!« rief sie und vor dem aufsteigenden Muthwillen schwand jede Spur des Unwillens aus ihrem Gesichte, »ich reite morgen aus.«

»Dick ist zur Partie geladen und kann dich nicht begleiten!«

»Well – vielleicht will sich Mr. Helmstedt einmal die Gegend ansehen,« – erwiderte sie zögernd mit einem fragenden Blick auf diesen.

»Ich stehe mit allen meinen Kräften zu Befehl, Miß!« sagte Helmstedt, den bei der durchgespielten Familienscene ein vollkommen heimisches Gefühl überkommen hatte, »wenn Mr. Elliot nicht anders über mich bestimmt.«

»Ja, vor dem neuen Jahre, wo Alles erst wieder in Ordnung kommt, werden wir freilich an keine andere Arbeit gehen können, als uns mit den Weiberlaunen herumzuschlagen,« erwiderte dieser; »jetzt aber wollen wir Sie nicht länger bei uns halten, Sie sind gewiß von der Reise müder, als wir berücksichtigt haben!« fuhr er fort und erhob sich vom Tische.

»Und wann soll ich morgen zu Diensten stehen, Miß?« fragte Helmstedt.

»Ich bin fertig, sobald Sie ordentlich ausgeschlafen [] haben,« erwiderte sie in voller Zutraulichkeit und ließ ihn ruhig in ihr helles Auge sehen. –

Helmstedt saß in seinem Zimmer auf dem Schaukelstuhle am Feuer und überließ sich seinen verschiedenartigen Gefühlen. Bald war ihm, wenn er den Familienkreis, in den er getreten, und das Entgegenkommen seines Principals überdachte, als habe ihm das Schicksal einen Weihnachtsbaum mit tausend Lichtern angebrannt, bald aber legte sich die Sorge, wie es möglich sei, den Haupttheil seiner Stellung auszufüllen, wie eine finstere Wolke darüber, daraus aber tauchte Ellens helles Gesicht hervor, wie aus der Masse der schwarzen Gesellschaft, bis Pauline Peters sich mit ihr vor seinen Geist stellte, das Mädchen, das sich vor kaum vier Monaten in voller Liebe an seinen Hals gehangen und jetzt in Kälte eingehüllt ihn von oben herab ansah. Die Wärme des Feuers hatte bald seine Wirkung ausgeübt, die Bilder verwirrten sich und bald war er eingeschlafen. Wie lange er so zugebracht, wußte er nicht, aber ein leises, wiederholtes Pochen an eines der Fenster weckte ihn; er horchte, das Pochen wiederholte sich. Er öffnete den geschlossenen Fensterladen und sah hinaus. Draußen stand der Pedlar.

»Machen Sie mir die Thür, gleich im Gange neben Ihrer Stubenthür, auf,« sagte er leise, »ich möchte Einiges mit Ihnen reden und mag nicht das ganze Haus wieder aufwecken – die Nigger schlafen fest wie die Ratten.«

Helmstedt, wenn auch etwas überrascht, befolgte die Weisung und bald trat der alte Mann mit leisem Schritte ins Zimmer.

»Sie müssen es mir nicht übel nehmen, wenn ich Sie noch so spät aufwecke,« sagte er und zog sich einen Stuhl aus Feuer, »aber ich gehe morgen für eine Woche oder zwei weiter südlich und möchte Sie Ihrer selbst wegen vorher sprechen. Sie machen sich doch nichts d'raus, wenn Sie eine halbe Stunde Schlaf verlieren?«

[] »Ich spreche mit Ihnen die ganze Nacht wenn Sie's verlangen, geben Sie mir nur erst Ihre Hand,« erwiderte Helmstedt, »ich habe schon lange gewünscht, Sie wiederzusehen und Ihnen meinen Dank auszusprechen.«

Isaac nickte still mit dem Kopfe und reichte ihm seine Hand zu einem kurzen Drucke hin, »'s ist schon recht dem Danke,« sagte er, »aber Sie haben's mir früher selbst einmal auf die Zunge gelegt, der Jud' thut nichts ohne Profit und mit dem bloßen Danke ist nichts zu verdienen. Werden's erleben, ob bei Ihnen mehr dahinter steckt als Worte.«

»Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen, so kommen Sie heraus damit,« entgegnete Helmstedt und nahm seinen früheren Platz wieder ein, »was sich mit eines Menschen Ehre verträgt, können Sie von mir verlangen.«

»Wird sich alles ausweisen; jetzt wollt' ich von was Anderm reden. Hat Mr. Elliot schon über Ihr Geschäft mit Ihnen gesprochen?«

»Ja, ich weiß aber ehrlich gestanden noch nicht, wie ich damit durchkommen soll, mir sind die Verhältnisse hier so vollkommen fremd, daß es mir wie ein Stein auf dem Herzen liegt, wenn ich nur daran denke.«

Isaac nickte wieder mit dem Kopfe. »Wenn Sie sie nicht kennen, weiß ich Bescheid,« sagte er, »und Sie sollen schnell genug darin zu Hause sein – hab' keine Angst bei Ihnen; das hat aber Zeit, bis ich wiederkomme. Sehen Sie sich nur vorläufig die Bücher und Papiere durch, damit Sie eine deutliche Vorstellung bekommen, was und wo's bei Ihnen fehlt, nachher sprechen wir weiter. Jetzt möchte ich Ihnen nur ein päar Worte über allgemeine Verhältnisse sagen und dann eine Meinung von Ihnen hören.« Er strich sich mit der Hand langsam über das hagere Gesicht und machte eine Pause, als überlege er, wie anzufangen. »Sie haben wol schon gehört,« begann er endlich, »daß der Platz, wo der ganze Handel Amerika's zusammenkommt, [] New-York ist. New-York versorgt das Land mit Allem, was von auswärts eingeführt wird, und von dort bezieht hauptsächlich der Süden auch alle seine Bedürfnisse an Schuhen und Kleidern, wie an Möbeln, Haus- und Feldgeräth, die in unserem Norden fabrizirt werden. Was aber hiergegen der Süden an Baumwolle, Tabak und anderen Producten erzeugt, davon geht wieder der größte Theil zum Verkauf oder zur Spedition nach New-York und der doppelte Handel mit dem großen Süden hat fast allein New-York zu dem gemacht, was es ist. So weit wäre die Sache gut, es gibt aber in diesem Verhältniß auch große Gefahren und Schattenseiten. Der Süden ist weit weg von New-York und es kann nur durch langen Credit mit den Kaufleuten hier unten gearbeitet werden; es ist aber schwer, einen richtigen Nachweis über den Stand der Handelshäuser zu bekommen; die Menschen hier sind an kostspielige Lebensart und allerhand Ausschweifungen gewöhnt; und Mancher, der zu einer Zeit für sicher galt, war drei Monate später ruinirt, ohne daß seine Leute in New-York, durch deren Credit er sich nur noch hielt, eine Ahnung davon hatten. Summen sind schon in den südlichen und südwestlichen Staaten verloren worden, die, wenn die Verluste nicht vertheilt gewesen wären, manches große Haus zum Wanken gebracht hätten. Ich hatte einen Schwager in New-York, der sich gegen meinen Rath mit mehreren Kaufleuten hier unten einließ, mein eigenes sauer erarbeitetes Geld steckte im Geschäft und ein Jahr darauf waren wir zusammengebrochen. Mein Schwager nahm sich die Geschichte so zu Herzen, daß er sich hinlegte und starb; seine Tochter mußte nach einem andern Unterkommen suchen, fiel aber in schlechte Hände und nahm sich, als sie die Folgen an sich spürte, das Leben; meines Schwagers kleinen Jungen, denselben, den sie in New-York gesehen, nahm ich zu mir, und ich selber fing wieder an wie vor zwanzig Jahren: ich hausirte. Davon aber,« fuhr er fort, sich wieder langsam [] über das Gesicht streichend, »wollte ich eigentlich nicht reden. Sie werden es wol selbst natürlich finden, daß die New-Yorker endlich Versuche machten, sich gegen solche Verluste, die oft selbst bei der größten Vorsicht nicht ausblieben, zu schützen und Maßregeln zu treffen, um in immerwährender Kenntniß von dem Stande und dem Thun ihrer alten Kunden zu bleiben, so wie sichere Nachrichten über neue zu bekommen; es sollte eine Beaufsichtigung durch den ganzen Süden und Südwesten errichtet werden, natürlich im Geheimsten, wenn es etwas fruchten sollte, und mag Einer die Sache ansehen, wie er will, so bleibt sie nichts anderes, als eine gebotene Nothwehr. So viel ich weiß, sind von mehreren bedeutenden New-Yorker Häusern schon Schritte zur Ausführung gethan, und für einen gescheidten, zuverlässigen Mann, der als Agent der Gesellschaft in einem Theile des Landes arbeiten will, der die Augen überall offen haben kann, gibt es keine bessere Gelegenheit, um seine Zukunft zu sichern, als diese. Er kommt mit den ersten Kaufleuten im Osten in genaue Verbindung, er kann, wenn er sich nach einiger Zeit Uebersicht der Verhältnisse genug erworben, ein eigenes Geschäft aufrichten, was sogar für seine Stellung nothwendig sein müßte, und an den nöthigen Unterweisungen für den Anfang würde es nicht fehlen.«

Helmstedt hatte bei der letzten Wendung, den die Rede nahm, den Kopf erhoben. »Nun?« sagte er, als der Pedlar inne hielt.

»Nun, ich möchte wol Ihre Meinung hören, was Sie von der Sache denken.«

»Das heißt also, der gescheidte und zuverlässige Mann soll ich sein.«

»Sie könnten es werden, von sollen ist keine Rede.«

Helmstedt rieb sich die Stirne. »Ich wollte, Sie sprächen geradezu mit mir, Isaac,« sagte er nach kurzem Nachdenken, »sprächen: ich habe gemeint in Ihnen einen Werkzeug für uns ziehen zu können, habe Ihnen deshalb aus der Noth [] geholfen, aber eben nur so weit, daß sich erkennen ließ, was an Ihnen ist; – habe Sie deshalb, als Sie das Nöthigste gelernt hatten, hierher nach dem Süden in eine Stellung gebracht, in der Sie sich ohne Verdacht zu erregen mit allen Verhältnissen vertraut machen können, und jetzt setze ich voraus, daß Sie nun auch meine Erwartung erfüllen.«

»Richtig, lieber Herr,« nickte der Pedlar, »und wenn's nun auch so wäre? Ich freue mich über Ihren Scharfblick und möchte nur noch hinzusetzen, daß Sie mit Ihrem vornehmen Wesen gerade wie für die Südländer gemacht sind und Ihrem Charakter nach, auf den man sich auch in unangenehmen Lagen verlassen kann, sind Sie der Mann für uns. Das Geschäft mag Ihnen vielleicht jetzt unangenehm vorkommen; Jeder aber, der es führt, wird es zu dem machen, was er selber ist. Der gemeine Mensch wird ein Spionirmesser daraus bilden – ein anderer aber mag der stille Verbesserer aller Handelsverhältnisse in seinem Umkreise werden, mag wie der Gärtner die wilden Zweige abschneiden, daß die guten desto mehr Kraft gewinnen –«

»Isaac,« unterbrach ihn Helmstedt, langsam mit dem Kopfe schüttelnd, »'s mag sein, daß Sie's gut meinen, aber ich fürchte, Sie haben sich in mir geirrt. Verlangen Sie, ich soll noch ein ganzes Jahr um das nackte Leben arbeiten, und ich will es thun, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht; aber für ein Geschäft wie das angebotene bin ich nicht gemacht, meine ganze Natur sträubt sich dagegen.«

»'S ist schon so, wie ich mir's ungefähr dachte,« sagte der Alte, »aber ich meine, Sie haben zu viel Verstand, als daß Ihr Widerwille anhalten sollte, und ich möchte, daß Sie die Sache ordentlich überlegten, bis ich wiederkomme. Damit Ihnen aber kein Punkt dazu fehle, will ich Ihnen noch ein paar andere Worte sagen. Sie sind hier so freundlich aufgenommen worden, daß Sie mehr als zufrieden sind. In jeder andern Familie der Umgegend wäre Ihnen dasselbe [] begegnet, denn es gibt auf der Welt nirgends Leute, die gegen Jeden so viel äußerliche biedere Höflichkeit zeigen, als du reichen Pflanzer und Kaufleute der südlichen Staaten, und darum lebt sich's auch nirgends besser als unter diesen Leuten. Mit der äußeren Freundlichkeit hat aber auch die Sache gegen den Geringeren, oder wen sie dafür ansehen, ihr Ende und wer auf Herzlichkeit oder allgemeine Theilnahme dahinter rechnet, betrügt sich bitterlich. Lassen Sie heute merken, daß Sie der Mann nicht sind, für den Sie gehalten worden, so sind Sie morgen brodlos und für diese Leute gar nicht mehr in der Welt – was aus Ihnen wird, ist Ihre Sorge; – mögen Sie bei einer Stellung wie Ihre jetzige in einer Familie scheinbar mit den Uebrigen auch auf ganz gleichem Fuße stehen und Sie ließen sich auf einem vertrauteren Tone gegen eine der Töchter ertappen, sei es auch nur so weit, wie es sich die jungen Amerikaner in der Nachbarschaft jeden Tag erlauben, so würde Ihnen geschwind genug der ungeheure Unterschied zwischen Ihnen, der nichts hat und nicht einmal Amerikaner ist, und den übrigen jungen Leuten klar gemacht werden. Verstehen Sie mich wohl, ich sage Ihnen dies Alles nur, damit Sie den Boden kennen lernen, auf dem Sie hier stehen, und sich nicht zu Ihrem eigenen Schaden falsche Vorspiegelungen machen.«

»Und wenn ich trotzdem Nein sagte, was dann?«

»Legen Sie sich ins Bett, schlafen Sie und sehen Sie sich morgen die Sache bei Sonnenlicht an –«

»Warten Sie, Isaac, wollen Sie mich durch die Drohung zur Annahme zwingen, daß ich am Ende hier als unbrauchbar entlassen würde, daß ich durch mein blindes Vertrauen hier im fremden Lande ohne jeden Bekannten rath- und hilflos dastehen müßte?«

»Sie erhitzen sich, lieber Herr, und das taugt nichts für eine ruhige Unterredung,« sagte der Alte und erhob sich langsam. »Denken Sie bei meiner Zurückkunft noch [] immer so wie heute, so habe ich Ihnen zu viel Einsicht und Unternehmungsgeist, um einmal Ihr Glück in Amerika zu machen, zugetraut, und wir sind geschiedene Leute; wollen Sie dann wieder nach New-York zurück, so sollen Sie dazu in den Stand gesetzt werden, das, denke ich, wird Sie wenigstens über jede Zwangsdrohung beruhigen. Gute Nacht.«

»Isaac, Sie sind mir böse,« sagte Helmstedt aufstehend, »ich kann Ihnen aber versichern –«

»'S ist besser, Sie lassen die Redensarten, bei denen eben so wenig herauskommt, wie beim Danksagen,« erwiderte der Pedlar nach der Thüre gehend, »überlegen Sie morgen ruhig – Schwindelei und halben Diebstahl zu verhindern, ist, glaub' ich, gegen keines Menschen Ehre – und nach Neujahr frage ich noch einmal zu.« Damit öffnete er die Thür und der Zurückbleibende hörte bald darauf seine Schritte außerhalb des Hauses. Helmstedt ging nach, um die ins Freie führende Thür wieder zu verriegeln, und suchte dann sein Bett. Lange währte es aber, ehe er einschlafen konnte. Daß der Alte sich nicht aus reiner Menschenliebe in New-York um ihn bekümmert, ihm sodann die jetzige Stellung verschafft und auch noch das nicht unbedeutende Reisegeld dazu gesandt, hatte ihm schon längst scheinen wollen, er war sogar auf irgend einen Anspruch desselben vorbereitet und entschlossen gewesen, seine Verpflichtung gegen ihn nach Kräften und auf irgend eine Weise abzutragen – aber sich als Spion zu verkaufen!? Und mochte er auch die Sache im besten Lichte betrachten, mochte er sich sagen, daß zehn Andere die Gelegenheit ohne zu große Scrupel ergriffen hätten, um sich eine Zukunft zu gründen – die Grundbedingung des Geschäftes, die Spionage, blieb immer stehen und er fühlte, daß er eher zu Grunde gehen könne, als danach zu greifen. Mochte auch der Jude, der seinen Widerwillen nicht verstehen konnte, ihn in seiner Unkenntniß der Verhältnisse ohne Rath lassen, [] er wollte sein Bestes versuchen, um auf irgend einem Wege die übernommene Aufgabe durchzuführen und das Uebrige dem Schicksale überlassen. Es wurde ihm leichter, als er zu diesem Entschlusse gelangt war. Er dachte an Isaacs Bemerkungen über den Charakter der südlichen Amerikaner. Ellens frisches, süßes Gesicht trat vor ihn, wie sie in voller Zutraulichkeit ihn angelächelt und ihn zu einem Morgenritte aufgefordert – war das wirklich nur ein Sichgehenlassen, weil er in den Augen der Familie so tief stand, daß bei ihm keine Gefahr vorhanden und keine Zurückhaltung erforderlich war? Er vergegenwärtigte sich ihre klaren, dunklen Augen, um den Ausdruck darin wieder zu finden, der ihm so wohlgethan; sie standen noch vor ihm, während er einschlief und folgte ihm in seine Träume.

Viertes Kapitel.
Wiederfinden.

Es mußte schon spät sein, als Helmstedt am andern Morgen erwachte. Die Sonne hatte sich durch die geschlossenen Jalousien Bahn ins Zimmer gebrochen und das Feuer, das wie es schien bei Zeiten angezündet worden, war schon fast herunter gebrannt. Er sprang rasch auf und vermißte einmal wieder mit Schmerzen seine gestohlene Uhr. Bald war er in den Kleidern und ging nach dem Speisezimmer, wo Sarah bereits mit dem Aufräumen der Frühstücksreste beschäftigt war. Sie zeigte ihm lächelnd ihre blitzweißen Zähne und machte ein frisches Gedeck zurecht.

»'S ist wol schon ziemlich spät?« fragte Helmstedt, »es thut mir leid, daß ich nicht früher aufgewacht.«

»Erst neun Uhr vorüber, Sir!« erwiderte die Schwarze, »Mr. Elliot wollte haben, daß Sie nicht gestört würden.«

Helmstedt trat ans Fenster und sah bereits zwei Pferde gesattelt, an einen Baum gebunden, stehen – er machte [] sich eilig an das aufgetragene Frühstück und hatte nicht einmal ein Auge für die graziösen Wendungen, in denen sich Sarah geschäftig um ihn bewegte und ihre seine Taille zeigte. »Wollen Sie wol Miß Ellen sagen, daß ich bereit bin?« sagte er nachdem er eben nur das Notwendigste zu sich genommen, und als die Schwarze das Zimmer verlassen, trat er hinaus ins Freie. Der Morgen war kalt, auf dem Rasen waren trotz der hochstehenden Sonne noch überall Reifstreifen bemerkbar, die rothen und braunen Baumblätter hingen schlaff an den Zweigen, der Frost einer Nacht schien sie vollständig geknickt zu haben – darüber aber spannte sich ein reiner tiefblauer Himmel aus und verhieß einen prachtvollen Tag. – Das Rauschen von Kleidern ließ Helmstedt sich umdrehen. Ellen trat eben frisch und lachend wie der junge Morgen aus dem Portico heraus und nickte ihrer Mutter, die zu einem der Frontfenster heraussah, einen Abschiedsgruß zu. Ein blaues Reitkleid saß knapp um den obern Theil ihres Körpers und ein schwarzes mit einer einzigen Feder geschmücktes Hütchen keck auf ihrem Kopfe; die linke Hand, mit einem seinen Stulpenhandschuhe versehen, hielt das Kleid vom Boden und an der rechten hing eine kleine zierliche Reitpeitsche. »Fertig, Mr. Helmstedt?« sagte sie mit demselben klaren Lächeln vom Abend zuvor und sprang leicht auf die kleine erhöhte Platform, welche zum bequemern Aufsitzen für reitende Damen neben dem Portico errichtet war. Der junge Mann beeilte sich, ihr Pferd vorzuführen, und kaum hatte sie sich zurechtgesetzt, als sie auch schon nach einem kräftigen Schlage mit der Reitgerte davon sprengte. Helmstedt stand einen Augenblick nachschauend und bewunderte die Sicherheit mit der sie ihr lebhaftes Thier regierte, dann aber schwang er sich selbst in den Sattel und galoppirte nach. Bald ritten beide, ihre Pferde zu ruhigerem Schritte zwingend, auf der Straße nebeneinander her, Ellen mit frei aufgerichtetem Kopfe die Gegend überblickend, Helmstedt sich mit[] seinem Pferde beschäftigend. Er hätte gern ein Gespräch angeknüpft, aber ihm waren, als er die schlanke Gestalt seiner Begleiterin betrachtete, deren Haltung und Aeußeres vollkommen ihre Stellung im Leben ausdrückte, Isaacs Bemerkungen vor die Seele getreten und daneben schoß ihm die Erinnerung durch den Kopf. »Dick kann dich auf deinem Ritte nicht begleiten,« hatte Elliot den Abend zuvor gesagt – »so mag's Mr. Helmstedt thun!« – Er war im Grunde doch nur der begleitende Diener, der Unterschied lag nur in der Hautfarbe.

»Sehen Sie dort drüben das weiße Haus?« begann jetzt Ellen; »dort wohnt Mrs. Morton, die Sie gestern Abend gesehen; wollen wir den Weg dahin einschlagen, daß wir doch wenigstens ein Ziel haben?«

»Sie haben nur zu befehlen, Miß!«

»Befehlen!« rief sie, den Kopf rasch nach ihm wendend, »sind Sie immer so steif, Sir? Mir war's, als ich Sie gestern Abend mit dem Vater ankommen sah, als müßte nun ein Leben voll lauter Lust und Unterhaltung losgehen, und nun sprechen Sie kein Wort.«

»Ich wußte wirklich nicht, Miß Elliot, ob Ihnen ein Gespräch angenehm sein würde!« erwiderte Helmstedt, dem eine Empfindung das Blut ins Gesicht trieb, er wußte nicht, war's Freude oder Aerger über sich selbst.

»Ich glaube, Sie haben einen ganzen Sack voll New-Yorker seinen Ton nach unserem Hinterwalde mitgebracht!« rief sie lachend, »was wollen denn zwei Menschen anders thun als sprechen, wenn sie allein mit einander auf der Straße sind? Lassen Sie uns schärfer zureiten, daß wir warm werden, dann wird das Plaudern vielleicht besser gehen!« und mit einem neckischen Seitenblicke nach ihm trabte sie auch schon von seiner Seite. Ihr Begleiter ließ seinem Pferde den Zügel und folgte. »Sitzen Sie wol fest, Sir?« rief sie muthwillig, als er heran kam, und ließ ihr[] Pferd in Galopp übergehen; – »die Straße ist wunderhübsch eben für ein kurzes Rennen!«

»Versuchen Sie, was ich leisten kann!« erwiderte er, und dahin sausten die beiden Pferde, Helmstedt das seinige genau nach der Schnelle des ihrigen regelnd und dann und wann einen Blick in ihr Gesicht werfend, aus dem das lebendige Vergnügen strahlte. Sie sprengten eben an einer Waldecke in die gänzlich offene Gegend hinaus, als das junge Mädchen ihr Pferd so plötzlich zügelte, daß Helmstedt eine kurze Strecke vor ihr vorbeischoß. Umwendend sah er, wie sie ihr schnaufendes Thier zum Stillstand nöthigte und scharf nach einem Gegenstande vor ihnen auf der Straße blickte. »Dort kommt der unangenehmste Mensch, den ich nur kenne,« sagte sie und strich sich das Haar aus dem erhitzten Gesichte, »er muß uns schon gesehen haben, sonst wendete ich geradewegs wieder um! Bitte, Mr. Helmstedt, bleiben Sie hart an meiner Seite, damit er mich wo möglich gar nicht anspricht.«

Ein Stück vor ihnen kam ein Reiter auf sie zu, es waren bekannte Gesichtszüge für Helmstedt, wenn er auch nicht gleich wußte, wo damit hin, bis ihm plötzlich die Erinnerung den Abend vor seiner Beraubung in New-York vorführte – es war Baker, Seiferts damaliger Begleiter. Zu weiteren Gedanken hatte er nicht viel Zeit, denn Ellen ritt bei Bakers Nahen hart an die Feldeinzäunung längs des Weges, augenscheinlich um an dieser Seite keinen Platz neben sich zu lassen, und forderte ihren Begleiter mit einem Blicke zum Folgen auf. »Jetzt ist die Zeit zum Plaudern da, Sir,« sagte sie und bog sich, als wären sie schon jahrelange Bekannte, zu ihm, »ich werde Ihnen erst eine ganze Menge erzählen, wenn auch nicht viel Sinn darin ist; die Hauptsache ist, daß wir gar nicht thun, als bemerkten wir den Mann; und nun geben Sie mir auch eine Antwort, daß die Sache natürlich aussieht.«

»Wohnt der Herr hier in der Nachbarschaft?« fragte [] Helmstedt, der jetzt keiner Erfindung zur Aufnahme des Gesprächs bedurfte, – »ich habe ihn kürzlich in New-York gesehen –«

»Ich weiß wirklich gar nichts, als daß er der unausstehlichste Mensch ist,« unterbrach ihn das Mädchen, »und daß meine Mama den schlechten Geschmack hat, ihn liebenswürdig zu finden und mich mit seiner Gesellschaft zu quälen.«

»Guten Morgen, Miß Elliot!« klang Bakers Stimme, der mit seinem Pferde vor dem ihrigen hielt, daß es zum Stillstand gezwungen war, »ich wollte mir eben das Vergnügen machen, Ihnen in Oaklea einen Besuch abzustatten.«

»Well, Sir, Sie finden Mama zu Hause,« erwiderte das Mädchen, ohne ihn anzublicken, »wollen Sie uns nur jetzt den Weg frei machen!«

Helmstedt sah ein halbspöttisches Lächeln um Bakers Gesicht zucken. »Ich wollte aber eben nur Sie sehen, Miß Elliot, und Sie werden doch sicher so höflich sein, ein paar Worte von mir anzuhören?«

Ellens Gesicht begann sich höher zu färben, aber ihrer Entgegnung kam Helmstedt zuvor.

»Wollen Sie so freundlich sein, der Dame freien Weg zu geben, die unter meinem Schutz ist? Oder gedenken Sie hier irgend einen Zwang auszuüben?« sagte er mit fester Ruhe und trieb sein Pferd einen Schritt weiter vor.

Baker warf einen Blick auf ihn, als bemerke er ihn erst jetzt. »Lächerlich!« sagte er, die Achseln zuckend, »Zwang! ich spreche Miß Elliot mit Genehmigung ihrer Eltern und so wird sie mir wahrscheinlich jetzt für ein paar Minuten den Platz an ihrer Seite erlauben!«

»Nein, sie wird nichts erlauben, Sir!« rief jetzt Ellen, das blitzende Auge auf ihn richtend, aber mit einem Zittern der Stimme, das ihre innere Aufregung verrieth. »Sprechen Sie mich mit Genehmigung meiner Eltern, so mögen Sie's auch in ihrer Gegenwart thun – lassen Sie mich vorüber!«

»Well, Miß, Sie sind noch so jung und dabei doch so [] verständig, wie ich in der letzten Zeit oft gesehen,« sagte Baker mit halblauter Stimme, sich über den Hals seines Pferdes biegend, »jetzt aber übermannt Sie das junge Blut – Sie wissen ja nicht, wie wichtig das ist, was ich Ihnen zu sagen habe, aber in Gegenwart eines mir Fremden nicht kann, vielleicht der Interessen Ihrer eigenen Familie halber nicht sagen darf – zu Haus weichen Sie mir aus –«

»Eben weil ich zu solchen wichtigen Dingen noch zu jung bin!« rief sie und gab im Aerger ihrem Pferde einen Schlag, daß es sich bäumte, Helmstedts Pferd bei Seite drängte und auf die Mitte der Straße sprengte; Baker wollte an ihre Seite gelangen, aber Helmstedt hatte sein Pferd schon dazwischen geschoben. »Halt an, Sir, Sie haben die Meinung der Dame gehört, thun Sie keinen Schritt weiter, oder ich behandle Sie nicht als Gentleman!« rief er. Baker zog die Brauen zusammen und maß ihn mit finsterem Blicke. »Well, Sir,« sagte er, »ich werde das Vergnügen haben, Sie an einem andern Orte zu treffen, vorläufig erbitte ich mir Ihren Namen!«

»Thut mir leid, daß Sie ihn vergessen haben, Sir; Ihr Freund Seifert machte Sie schon einmal damit bekannt. Ich heiße Helmstedt und wohne jetzt im Hause des Mr. Elliot.«

Bakers Gesicht überflog eine leichte Blässe. »Seifert?« wiederholte er, »soll es eine neue Beleidigung sein, daß Sie mich und den Spieler zu Freunden machen? Haben Sie mich vielleicht einmal im Riverhause getroffen, obgleich ich mich dessen nicht einmal entsinne, was berechtigt Sie, den Menschen zu meinen Freunden zu zählen?«

Helmstedts Augen wurden größer. »Also ist er doch hier mit Ihnen?« sagte er nach einem Augenblicke langsam, »Sie haben wol vergessen, daß Sie Beide New-York mit einander verließen? 'S ist genügend, was ich weiß, im Uebrigen stehe ich Ihnen zu irgend einer Zeit zu Diensten!« Damit wandte er sein Pferd und trabte davon, um [] seine Begleiterin einzuholen, welche, ohne die beiden Männer aus den Augen zu lassen, sich bereits ein Stück entfernt hatte. Baker sah ihm mit aufeinander gebissenen Lippen nach, warf dann sein Pferd herum und verfolgte seinen früheren Weg weiter.

»War ich doch so froh heute Morgen, und nun muß mir die Begegnung die ganze Laune verderben,« sagte Ellen, als Helmstedt wieder an ihrer Seite ritt, »ich weiß nicht, was sie zu Hause alle an dem Manne finden, Vater, Mutter und selbst Sarah; ich kann's gar nicht ausdrücken, was ich fühle, wenn er nur sein Auge auf mich heftet – bisweilen komme ich mir vor wie eine arme hilflose Fliege, um die eine Spinne anfängt ihre Fäden zu schlingen.« Sie gab wie in innerem Unmuth ihrem Pferde einen neuen Schlag und galoppirte davon, zügelte es aber bald wieder und ließ ihren Begleiter herankommen. »Nicht wahr, Sie lachen mich nicht aus?« sagte sie mit einem so zutraulich bittenden Blick im Auge, daß in Helmstedts Herzen jedes drückende Gefühl über seine Stellung, das noch zurückgeblieben sein mochte, wie leichter Schnee vor der Sonne zerrann, »ich meine, Sie lachen nicht innerlich über mich, daß ich mich so gegen Sie gehen lasse?«

»Sprechen Sie nur, Miß Elliot, wenn es Sie dazu drängt,« erwiderte er, »und denken Sie, Sie hätten einen verschwiegenen Bruder neben sich; ich verstehe Ihre Empfindung gegen den Menschen vollkommen, und wenigstens in einer unbeschreiblichen Abneigung gegen ihn haben Sie in mir einen Bundesgenossen.«

»Haben Sie ihn schon früher gekannt?« fragte Sie lebhaft, »Vater sagt, er sei reich, er solle aus dem Süden des Staates sein; Mutter spricht von seiner Liebenswürdigkeit und« – sagte sie stockend, während ein hohes Roth ihr Gesicht übergoß, »und ich mag gar nicht daran denken, wozu sie mir das sagen.« Sie trieb ihr Pferd an, als [] wolle sie Helmstedts Blicken entgehen, der erst nach einer Weile wieder an ihrer Seite ritt.

»Ich weiß nicht, ob Sie Ihr Gefühl gegen den Mann nicht vollkommen richtig leitet, Miß,« begann er, seinem Pferde die Mähne glatt streichend, »ich habe eine Ahnung, daß mit ihm nicht alles ist, wie es sein soll, und ich glaube, ich kann mir bald Gewißheit verschaffen, wenn Sie meinen Dienst nur annehmen wollen.«

»Glauben Sie das?« rief sie rasch aufschauend, »ich wollte Ihnen so von Herzen danken – aber wie wollen Sie Gewißheit erhalten? Vater würde ohne die gründlichsten Beweise nur wieder über mich spotten.«

»Well, Miß,« erwiderte er nach augenblicklichem Nachdenken, »ich will Ihnen nichts versprechen, bis ich nicht selbst einen bestimmten Anhalt habe; das aber, denke ich, soll geschwind geschehen – haben Sie bis dahin Vertrauen zu mir.«

»Ich habe ja schon so viel, daß ich selbst davor erschrecke!« sagte sie, ihm das Gesicht zukehrend, in dem sich ein helles Lächeln wieder Bahn brach. Sie zog die Hand aus dem Stulpenhandschuhe und reichte sie ihm hinüber, »ich bin ja froh genug, daß ich mit meinem Widerwillen gegen den Mann nicht mehr allein in unserm Hause stehe.«

Helmstedt hielt einen Augenblick die kleine, weiche Hand in der seinigen, und wollte sie dann an seine Lippen führen, sie aber zog sie rasch hinweg. »Das ist keine Mode in unserm Hinterwalde!« rief sie, auflachend wie ein Kind, und ließ das Pferd wieder im Galopp davon gehen.

Beide ritten schweigend eine Strecke weiter, als sich aber Mortons Landhaus, das Ziel ihres Rittes, in kurzer Entfernung zeigte, hielt Helmstedt sein Pferd an. »Einen Augenblick, Miß Elliot,« sagte er, »wie lange gedenken Sie bei Ihrer Freundin zuzubringen?«

»Nach der Begegnung von vorhin blieb ich am liebsten den ganzen Tag da!« erwiderte sie, »ich bin gewiß, daß [] dieser Baker nicht eher unser Haus verläßt, bis er einsieht, daß ich vor spät Abends nicht wiederkomme.«

»Well, Miß, kennen Sie einen Ort, der das Riverhaus heißt? Ich denke dort etwas über unsern Mann erfahren zu können und möchte die Zeit zu einem Ritte dahin benutzen.«

»Ich habe wol schon von dem Orte gehört,« erwiderte das Mädchen nachsinnend, »das müssen aber wenigstens sieben bis acht Meilen von hier sein. Er liegt drei Meilen seitwärts der Stadt, am Flusse, so viel ich weiß, und wenn Sie von Mortons Hause nach der Hauptstraße hinüber biegen, so können Sie wenigstens den Weg nach der Stadt nicht verfehlen, wo Sie jedenfalls die genauere weitere Richtung würden erfragen müssen.«

»Sie wollen warten, bis ich zurück bin, Miß?«

»Sicherlich, Sir!«

Sie hatten die weiße Einzäunung des Landhauses erreicht; Helmstedt sprang vom Pferde, um das Gartenthor für seine Begleiterin zu öffnen und als er zwei Damen aus dem Hause treten und dem Gaste entgegeneilen sah, schwang er sich wieder in den Sattel und schlug die nächste breite Fahrstraße, die seitwärts abging, ein. Ein Neger, der im vollen Feststaate, die dampfende Cigarre zwischen den dicken Lippen, umher spazierte, benahm ihn auf seine Frage jeden Zweifel, daß er auf dem rechten Wege sei, und im scharfen Trabe verfolgte er die Richtung weiter.

Was Helmstedt mit seinem jetzigen Ritte erzielen wollte, war ihm eigentlich selbst noch nicht ganz klar. Bei Bakers Anblick hatte er zuerst nur an Seifert als den Dieb seines Geldes gedacht, und deshalb nach diesem gefragt; dann aber war ihm des Mannes momentane Verlegenheit, sowie dessen Bestreben, die Bekanntschaft mit Seifert von sich zu weisen, aufgefallen, und dies in Verbindung mit der Weise, in welcher er ein Gespräch mit Ellen Elliot anknüpfen wollte, hatte ein dunkles Gefühl in Helmstedt erzeugt, als gewahre er das äußerste Ende eines verborgenen Spitzbubenstreiches, und [] Ellens Gleichniß von der Spinne und der Fliege, welches ihm das häßliche Lächeln, das er in New-York an Baker bemerkt, wieder vor die Seele führte, verstärkte den Eindruck nur noch. Stand der Mensch noch in Verbindung mit Seifert, mit dem er von New-York abgereist war, so waren seine Angelegenheiten sicherlich nicht klar, es kam eben nur darauf an, Seifert zu treffen, und zum Reden zu bringen. Helmstedt hatte den Namen des »Riverhauses« im Zusammenhange mit dem »Sciferts« aufgefangen, und so lange er neben Ellen herritt, hatte er gar keinen Zweifel gehegt, durch diesen Anknüpfungspunkt Allem, was nur nothwendig sei, auf die Spur zu kommen – je weiter er aber jetzt seinen Weg verfolgte, je mehr Schwierigkeiten tauchten vor ihm auf. Wenn das Riverhaus nicht Seiferts Wohnung und nur ein Spielhaus war, wie es sich fast nach Bakers Aeußerungen vermuthen ließ, so konnte er auch sicher sein, nach der Mode in solchen Häusern dort das Allerwenigste von ihm zu hören, und bekam Seifert eine Ahnung von seiner Nähe, so war er gewiß eben so geschwind aus der Gegend verschwunden, wie damals aus New-York, – daneben fing es Helmstedt jetzt auch an zu scheinen, als ob der Verdacht, der ihm so plötzlich gegen Baker gekommen, auf keiner Seite recht Stich halten wollte – sicherlich mußten doch die Familien, bei denen er aus-und einging, wissen, mit wem sie es zu thun hatten; er mochte liederlich sein und sich Seiferts als Werkzeug bedienen, das erklärte Vieles, – und doch, wenn sich Helmstedt die kaum durchlebte Scene wieder vergegenwärtigte, kam ihm genau das frühere Gefühl wieder. Keinesfalls konnte es etwas schaden, sich vorsichtig nach Seifert umzusehen, schon des verübten Diebstahls halber; trotzdem war es Helmstedt, als könne er dem Spitzbuben jetzt Alles vergessen und vergeben, wenn er durch ihn nur etwas gegen Baker ermitteln könne. Was der Grund war, der ihn sein eigenes Interesse so weit vergessen ließ, darüber grübelte er nicht.

[] Es war kalt, trotz des herankommenden Mittags; Helmstedts Pferd aber schwitzte vom anhaltenden Trabe und den Reiter schienen seine eigenen Gedanken warm zu halten. Es war kaum Mittag vorüber, als er das Städtchen mit seinen weiß gefirnißten hölzernen Häusern und grünen Jalousien vor sich liegen sah. Bei seiner gestrigen Ankunft in Alabama hatte er hier schon einen halben Tag zugebracht, bis ihn Elliot durch den Schwarzen hatte abholen lassen, und er ritt jetzt demselben Hotel zu, in welchem er schon vorher abgestiegen war. Die Stadt schien der Sammelplatz aller Schwarzen aus der Umgegend zu sein; ganze Caravanen von Männern und Frauen zu Pferde in den buntesten Aufzügen durchzogen lachend und spaßend die Straßen; vor den Tanzlokalen, aus denen die alten schottischen Reals von Geige und Tamburin vorgetragen wurden und das Stampfen der tanzenden Paare klangen, standen andere Haufen, derbe Späße treibend: der Ausdruck auf allen den schwarzen Gesichtern war der einer angeborenen Lustigkeit, die unverwischlich zwischen den fleischigen Backen eingegraben zu sein schien, und Helmstedt zog unwillkürlich einen Vergleich mit dem Anblicke, den ihm die Belustigungsorte der ärmsten Klassen in Berlin und Paris geboten, mit den verhärmten weißen Gesichtern, die mit Gewalt sich zur Fröhlichkeit zu zwingen schienen oder anzeigten, daß die Wochensorgen zu kurzem Vergessen in Schnaps ertränkt worden waren. Wo er durch einzelne Haufen hindurch reiten mußte, wurde ihm mit einer gutmüthigen grinsenden Höflichkeit Platz gemacht, die viel eher an Familiarität als an sklavische Scheu, wie er sich das Wesen der Schwarzen früher vorgestellt, mahnte. – An dem großen steinernen Hotel angelangt, band Helmstedt sein Pferd an einen der dazu bestimmten Pfosten, und beschloß zuerst hier seine Nachfragen über Seifert zu beginnen – Hotels waren immer das eigentliche Lebens-Element für Leute von dessen Gattung gewesen. Die »Office,« nach der er sich beim Eintreten zuerst wandte, fand [] er augenblicklich verlassen und so schritt er nach dem Billardzimmer; aber kaum hatte er einen Blick durch die offene Thür desselben geworfen, als er auch wie eingewurzelt stehen blieb.

Drinnen stand, mit dem Queue in der Hand, Seifert selbst in Lebensgröße. Helmstedt trat wieder zurück, um nicht gesehen zu werden und überlegte. So sehr ihn das Zusammentreffen auch jeder weiteren Mühe überhob, so wenig war er doch noch darauf vorbereitet, – nach kurzer Weile schien er indessen mit sich einig zu sein und schritt, wenigstens äußerlich ruhig, durch die Thüröffnung. Im Zimmer, das sein Auge rasch überflog, befanden sich außer den Spielern an den beiden Billards, nur einzelne aufmerksame Zeitungsleser. Seifert kehrte ihm den Rücken zu und pointirte den Fortschritt seines Gegners im Spiele. Helmstedt klopfte ihm leicht auf die Schulter. »Aah –!« rief dieser, sich umkehrend, als erwarte er einen Bekannten zu sehen; sobald er aber seinen Mann mit dem Blicke gefaßt, begannen seine Augen groß und starr zu werden, als sähe er ein Gespenst; das Blut ging aus seinem Gesichte, »Mister –?« begann er endlich mit unsicherer Stimme und augenscheinlich nach Fassung ringend. »Helmstedt, if you please, Sir!« erwiderte dieser lachend, »kennen Sie mich denn nicht mehr, Seifert? Sie sehen,« fuhr er deutsch fort, »Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber Menschen können sich wiederfinden.«

»Helmstedt?!« erwiderte der Andere und in seinem Gesichte zeigte sich ein sonderbarer Kampf, sollte er die Bekanntschaft anerkennen oder nicht.

»Ja natürlich, wer denn sonst, Mann? Ich freue mich, einmal wieder einen Bekannten zu treffen. – Sie haben mir in New-York wirklich gefehlt, wo Sie verschwanden, ohne mir nur einmal ein Wort von Ihrer Abreise zu sagen. Aber lassen Sie sich jetzt nicht stören, wir sprechen, wenn Sie mit Ihrer Partie durch sind und trinken dann eine Flasche Wein zusammen, oder irgend einen andern Stoff.«

[] »Well, Sir,« erwiderte Seifert englisch und in seiner Sprache war keine Spur von Befangenheit mehr vernehmbar »ich spreche allerdings deutsch, kann mich aber im Augenblicke nicht entsinnen, wo ich Sie schon gesehen hätte, ich bin schon viele Jahre im Lande, bin aber erst einmal eine kurze Zeit in New-York gewesen – irren Sie sich nicht vielleicht in der Person?«

Helmstedt starrte den Menschen einen Augenblick überrascht an – so viel Frechheit hatte er nicht erwartet. »Sie sind diesmal ein Narr, Seifert,« sagte er dann, »ich will noch zwei Worte deutsch reden und dann englisch, wenn Sie's wünschen. Hätte ich Böses gegen Sie im Sinne, so wäre ein gerichtlicher Haftbefehl gegen Sie in meiner Hand gewesen, ehe ich Sie angesprochen. Sie sind ein Spieler von Profession, ich bin jetzt Familien-Mitglied eines der ersten Pflanzer hier, dessen Einfluß mir vollkommen zu Gebote steht, verstehen Sie wohl, – ich komme zu Ihnen als alter Bekannter, der Sie vielleicht sogar um einen Dienst bitten möchte, – spielen Sie jetzt ehrliches Spiel mit mir und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihren Spitzbubenstreich gegen mich vergessen und begraben will – wollen Sie nicht, nun, Herr Seifert, so habe ich englisch sprechen gelernt.«

»Sie reden so überzeugend, Herr von Helmstedt,« erwiderte Seifert, ohne eine Miene zu verziehen, »daß wirklich in meinem Gedächtniß eine Erinnerung aufdämmern will – aber entschuldigen Sie, mein Gegner wird ungeduldig, ich stehe Ihnen nachher weiter zu Diensten!« und damit wandte er sich, von Helmstedts leisem Kopfschütteln gefolgt, dem Billard wieder zu. Dieser ließ sich durch den Aufwärter Cigarren bringen und setzte sich, dem Spiele zusehend, in einen der leerstehenden Divans, bis Seifert mit einigen brillanten Stößen die Partie endigte, den gemachten Aussatz einzog und sich neben Helmstedt placirte. »Wie gesagt,« begann er, und brannte sich eine der daliegenden [] Cigarren an, »es wird mir immer klarer, daß wir uns wirklich gekannt haben mögen.« –

»Lassen Sie einmal den Unsinn, Seifert,« unterbrach ihn Helmstedt, sich aufrecht setzend, »Sie wissen, ich habe immer unverblümt mit Ihnen gesprochen, das will ich auch jetzt thun; vielleicht wissen Sie auch, daß ich ein gegebenes Wort unter allen Umständen halte, und so können Sie sich auch im Guten oder Bösen auf das verlassen, was ich Ihnen jetzt zusagen werde. Sie haben mich in New-York um Alles bestohlen, was ich hatte, ohne Mitleid, obgleich Sie wußten, daß ich dadurch hilfloser als jeder Andere dastehen mußte –«

»Erlauben Sie einen Augenblick.« fiel Seifert ein, »wenn dies der Weg sein soll, meinen Erinnerungen zu Hilfe zu kommen, so weiß ich wirklich nicht, ob es ein glücklicher ist.«

»Die Beweise dafür sind natürlich durch Zeugenaussagen vor dem New-Yorker Polizeigericht vollständig festgestellt,« fuhr Helmstedt, ohne sich unterbrechen zu lassen, fort – »mir ist aber die Sache zum Glück ausgeschlagen, und so habe ich hier nicht daran gedacht, etwas gegen Sie zu unternehmen. Ich weiß ziemlich genau, was Sie hier treiben, kenne Ihr Riverhaus und Ihre dortigen Verbindungen, mir liegt aber, einer Angelegenheit halber, die nur mich allein betrifft, an einer Auskunft über Ihren – ich weiß nicht recht, wie ich ihn nennen soll – Ihren Genossen, den Mr. Baker, und wenn Sie hierin aufrichtig zu mir sprechen wollten, würde ich Ihnen Alles vergeben, was Sie mir gethan, würde sogar meine Anklage unter einem plausiblen Vorwande in New-York zurücknehmen, wohin Sie doch über kurz oder lang wieder gehen möchten.«

Seifert blies eine große Rauchwolke von sich. »Je mehr ich mir Ihre Worte überdenke, Herr von Helmstedt, je vernünftiger scheinen Sie mir für den Mann zu sein, den Sie damit vor Augen haben; ich weiß aber wirklich noch nicht, ob ich auch dieser Mann bin – ich hatte zum Beispiel [] einen Bruder in New-York, der mir sehr ähnlich sah – lassen Sie aber einmal hören, über wen Sie Auskunft wünschen.«

Helmstedt unterdrückte eine Bewegung der Ungeduld.

»Ueber Ihren Freund Baker, mit dem Sie New-York verließen,« sagte er; »ich versichere Ihnen dabei, daß Niemand erfahren wird, woher ich meine Informationen erhalten habe. Seine Verbindung mit Ihnen kenne ich bereits und ich möchte Sie nur nochmals bitten, ehrlich gegen mich zu sein, lieber zu sagen, Sie wollen sich nicht aussprechen, als mich belügen.«

»Wenn Sie Alles das wissen, was Sie andeuten,« erwiderte Seifert, die Asche von seiner Cigarre klopfend, »so weiß ich eigentlich nicht, was ich Ihnen sagen soll, es scheint mir beinahe, als wüßten Sie mehr als ich selber.«

»Gut, Seifert, also ein paar bestimmte Fragen. Wo ist der Mann her und was wissen Sie über seine Verhältnisse? Sodann: in welcher Beziehung steht er zu Ihnen?«

»Ich muß Ihnen gestehen, Herr von Helmstedt, weil Sie es wünschen, daß die Beantwortung mir aus hundert Gründen unmöglich ist. Der erste davon ist, daß ich selbst nichts Genaues über den Mann weiß und so werden Sie mir wol die Aufführung der übrigen neun und neunzig erlassen.«

Helmstedt sah ihn einen Augenblick scharf an und erhob sich sodann. »Well, Sir,« sagte er kalt, »Sie wollen sich mit mir nicht in Freundlichkeit ausgleichen, so mögen Sie hinnehmen, was auf einer andern Seite kommt, und sich nicht über mich beklagen.« Er setzte sich den Hut fester und ging, wie mit einem Entschlusse fertig, nach der Thür, ohne dem Andern noch einen Blick zu gönnen. Es lag keine Berechnung in Helmstedts jetziger Bewegung, er fühlte, daß er dieser geriebenen Spitzbubennatur gegenüber zu schwach sei und wollte somit wenigstens sein eigenes Interesse durch polizeiliche Hilfe zu wahren suchen.

[] Seiferts Auge folgte ihm einen Augenblick mit gespanntem Ausdrucke! »Herr von Helmstedt!« sagte er dann halblaut – aber der Gerufene hörte nicht und erreichte die Thür. »Einen Augenblick noch, Sir!« rief jetzt Seifert und sprang auf. Helmstedt hielt an und drehte sich halb um: »Ich glaube, wir sind mit einander fertig!« – »Nur noch einige Worte,« erwiderte der Andere und ging auf ihn zu. »Die Auskunft über den Mann scheint Ihnen von ziemlicher Wichtigkeit zu sein,« fuhr er fort, »und da es vielleicht sein mag, daß ich etwas gegen Sie gut zu machen habe, auch nicht gern im Bösen von Ihnen scheiden möchte, so will ich Ihnen die gewünschten Notizen unter einer Bedingung geben, – die früher auf Ihr Ehrenwort gemachten Propositionen natürlich einbegriffen.«

»Ich sage Ihnen einfach, daß Sie mich nicht mehr täuschen, Seifert!« erwiderte Helmstedt. »Wollen Sie mir die Wahrheit mittheilen, gut, so will ich Ihnen jetzt noch halten, was ich versprochen; merke ich, daß Sie mich belogen haben, so bin ich an nichts gebunden.«

»Lassen Sie uns wieder Platz nehmen, es ist nicht nöthig, die Aufmerksamkeit der Gäste auf uns zu lenken, selbst wenn sie uns nicht verstehen. Meine Bedingung,« fuhr Seifert fort, als sie wieder an dem früheren Orte saßen, »ist, daß Sie bis zum Neujahrstage keinen Gebrauch irgend einer Art von meinen Mittheilungen machen; ich habe mit dem bewußten Manne selbst ein kleines Geschäft und mein Interesse würde, käme er früher in übeln Geruch, am meisten leiden. Ich gestehe Ihnen, daß ich mit meiner Stellung nicht zufrieden bin und mir den längsten Termin einer Verbindung mit ihm bis Neujahr gestellt habe. Sie werden also die gestellte Bedingung nur billig finden.«

»Ich gehe sie ein,« erwiderte Helmstedt nach kurzem Nachdenken, »und gebe Ihnen mein Wort sie zu halten.«

»Ich kenne Sie, Herr von Helmstedt, und baue darauf [] – 's ist wirklich was Schönes, um so ein bloßes Wort, wenn man seines Mannes sicher ist – das Schlimmste dabei ist nur, daß die Worthalter in der Regel dasselbe Vertrauen zu Andern haben, und so am meisten betrogen werden – 's ist wol darum auch nie ein Gericht für mich gewesen. Well, Sir, unser Mann gilt hier für einen reichen Alabamaer aus dem Süden, ist aber nur insofern von mir unterschieden, als er außer meiner Leidenschaft, leicht und schnell Geld zu machen, auch noch eine andere hat, nämlich in Liebe mit jungen reichen Mädchen zu speculiren, was übrigens dann und wann, wenn ihm eine Ueberrumpelung gelungen, ganz hübsche Interessen abwirft. Im Augenblicke scheint er durch eine reiche Heirath diesen Geschäftstheil zum Abschluß bringen zu wollen, ich weiß aber wirklich nicht, wie weit er damit gediehen ist. Daß ich hier als Spieler von Profession gelte, wissen Sie schon, es ist aber eigentlich sein Geschäft und ich repräsentire nur die Firma der Oeffentlichkeit gegenüber, damit er als seiner Gentleman unbeargwohnt Kunden zuführen und seiner zweiten Leidenschaft nachgehen kann. Er hat mich zu diesem Zwecke von New-York hergelockt, und wenn auch das Geschäft durchaus nicht schlecht gewesen ist, so bin ich doch des hiesigen Lebens und der Handlangerdienste herzlich müde; Neujahr wird, wie gesagt, jedenfalls eine Aenderung darin eintreten.«

»Er hat also keine Besitzungen in Alabama?«

»Eben so wenig wie ich und Sie, er mag aber früher sich viel im Süden herumgetrieben haben und die Verhältnisse genau kennen. 'S ist ein New-Yorker Kind und ich möchte wol seine Terrainkenntniß, durch die er sich dort in den ersten Familien bewegt, haben. – Well, Sir, ich glaube, das dürfte Ihnen vielleicht genügen, ich habe Ihnen so weit reinen Wein eingeschenkt, und es sollte mir leid thun, wenn weitere Fragen meine speziellen Interessen beträfen, die ich nicht ebenso beantworten könnte.«

[] »Gut, Seifert,« erwiderte Helmstedt nach kurzem Besinnen, »ich glaube, es ist vorläufig genug. Sie werden es aber natürlich finden, wenn ich hier und da in Ihre Wahrhaftigkeit ein bescheidenes Mißtrauen setze. Bestätigen sich Ihre Angaben nach Neujahr, so nehme ich dann meine Anklage in New-York zurück. Haben Sie noch etwas zuzusetzen oder zurückzunehmen, so thun Sie es jetzt.«

»All right, Sir!« rief Seifert, laut genug, um von allen Gästen gehört zu werden und sich mit der Miene eines befriedigten Geschäftsmannes erhebend. »Spielen wir vielleicht eine Partie?«

Helmstedt schüttelte den Kopf. »Werde schwerlich Zeit haben; ich will nur ein paar Bissen zu mir nehmen – habe heute fast noch nichts im Leibe – und dann heimreiten.« –

Es war ein wunderbares Gefühl, was den jungen Mann beherrschte, als er nach kaum einer halben Stunde wieder zur Stadt hinaustrabte. Dachte er an Ellen, die auf ihn wartete, so durchwehte es ihn wie heranziehender Frühling, und doch war es ihm, als werfe eine schwarze Wolke im Hintergrunde einen Schatten in seine Welt hinein.

Fünftes Kapitel.
Schwüle Luft.

Die Sonne stand schon tief, als Helmstedt bei Mortons Landhause wieder anlangte. Er ritt durch die Einzäunung nach dem Hause, band sein Pferd an einen Baum, und als er nirgends einen der Schwarzen entdecken konnte, der seine Anmeldung übernommen hätte, schritt er zögernd durch die offene Thür der eleganten »Halle,« in welche die übrigen Zimmer ausliefen. Es war ihm nach der eigenthümlichen Begegnung, die er am Abend zuvor mit »Mrs. Morton« gehabt, unangenehm, das Haus zu betreten, er war mit sich selbst in Zwiespalt, wie er sich ihrer sonderbaren Haltung gegenüber benehmen sollte, ob ebenso stolz und fremd wie [] sie, was ihn seinerseits ebenso unwahr als lächerlich erscheinen wollte – oder in leichtem Tone die alte Bekanntschaft geltend machend, was ihn jedoch, sollte sie diese von sich weisen, in eine ganz schiefe Stellung bringen konnte. Er pochte, da sich trotz seines festen Trittes auch in der Halle Niemand sehen ließ, an eine der Front-Parlorthüren und trat endlich, als er keine Antwort erhielt, in das Zimmer. Es war leer; aber durch die Seitenthür, die sich öffnete, eben als er wieder zurückgehen wollte, trat Mrs. Morton, in deren Gesichte die Farbe wechselte, als sie den Besucher erkannte.

»Ich kam nur, um Miß Elliot abzuholen!« begann Helmstedt deutsch, sich freundlich verbeugend.

»Sie ist schon vor mehreren Stunden durch ihren Vater abgeholt worden!« war die leise, englische Antwort. – Helmstedt schwankte einen Augenblick, ob er nicht kalt und kurz seinen Abschied nehmen sollte, aber ein Gefühl, halb Neugierde, halb Theilnahme siegte darüber.

»Darf ich wol fragen, Mrs. Morton, warum Sie so fremd und förmlich sind,« fuhr er deutsch fort, »während ich mich doch so aufrichtig freue, Sie hier wiedergefunden zu haben?«

Das Gesicht der vor ihm Stehenden wurde bleich, ihre Mienen wie ihr Auge nahmen eine starre Unbeweglichkeit an. »Ich glaube, Sir,« erwiderte sie, das Englisch beibehaltend, »wir haben keinen Berührungspunkt mehr gemein. Es thut mir leid, daß ich Ihnen das erst mit Worten sagen muß.«

Dem jungen Manne trat das Blut ins Gesicht, wie einem Schüler, der einen Verweis bekommt. »Wie Sie wünschen, Ma'am, meine Frage war von Herzen gut gemeint,« sagte er, »ich bitte um Entschuldigung!« und sich leicht verbeugend, verließ er das Zimmer. Er schwang sich auf sein Pferd und sprengte im Galopp der Straße zu; er ärgerte sich über das Wesen der frischgebackenen Dame, [] ärgerte sich über sich selbst, daß er ihr ein Wort gegönnt hatte und erst, als er ein Stück seines Weges zurückgelegt, dachte er wieder an Ellen, und welcher Grund wol Elliot bewogen, seine Tochter hier aufzusuchen.

Als die Hufschläge von Helmstedts Pferd laut geworden, war Pauline Peters, die jetzige Mrs. Morton, langsam zum Fenster getreten und hatte dem Reiter nachgesehen, bis er hinter den immergrünen Büschen verschwunden war. Dann fiel sie in einen der Divans, drückte das Gesicht in die Seitenkissen und brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Sie schien gewaltsam jeden Laut davon ersticken zu wollen, aber jedes Glied ihres Körpers bebte unter einem Schluchzen, in dem sich ihre ganze Seele entleeren zu wollen schien; lange lag sie so, als sie aber endlich in gewaltsamer Fassung den Kopf wieder von den Kissen erhob, legten sich zwei weiche Arme um ihren Nacken. »Pauline, Mütterchen, um Christi willen, was ist dir denn?« sagte eine Stimme, die in voller Theilnahme zitterte, und Pauline sah in ein paar dunkle, melancholische Augen.

»'S ist nichts, Alice!« erwiderte sie, sich zusammenraffend und versuchte ein Lächeln, »das Weinen kommt mir wol einmal ohne großen Grund, und da mache ich es gleich für drei Monate zusammen ab.«

Das bleiche Mädchen, das vor ihr stand und die Arme nicht von ihrem Nacken ließ, sah ihr tief in die nassen Augen und schüttelte langsam den Kopf. »Du verhöhnst dich selbst,« sagte sie, »nur um mir nicht dein Vertrauen zu schenken, und doch habe ich dich nie mehr geliebt, als eben jetzt – ich weiß, wie das Unglück schluchzt, Paully. Als Vater mir dich als Mütterchen und als Schwesterchen mitbrachte, als du mich behandeltest wie ein krankes Kind, da hätte ich mich gar oft gern an deinem Halse ausgeweint, aber dem Gesicht war klar und froh, als hätte es noch keine Thräne gesehen und dein Herz noch kein Unglück gekannt – ich weiß jetzt, Paully, daß auch ein lachendes Auge [] ein Leid verbergen kann.« Und als sie ihr trübe blickendes Auge in das ihrer jugendlichen Stiefmutter tauchte, brach deren errungene Fassung wieder zusammen, Sie schlug ihre Arme um des Mädchens Hals, zog sie zu sich nieder und ließ den neu hervorbrechenden Thränen an ihrer Brust freien Lauf – aber es waren mildere Thränen, solche, die den Krampf der Seele lösen und das Herz frei machen.

»Und doch habe ich keine eigentliche Ursache, die mich hätte so außer mir bringen können,« sprach sie, sich nach einer Weile ruhiger aufrichtend und sich die Augen trocknend, »und wenn ich dir auch Alles mittheilen wollte, was in mir vorging, so würdest du mich doch nur für ein Kind halten, das noch einmal über ein liebes Spielzeug weint, das schon lange zerbrochen ist.«

»Komm, Paully, erzähle mir,« sagte Alice und eine leichte Röthe stahl sich über ihr Gesicht, »ich habe noch nie recht in dein Herz sehen können. Mache es frei und – mache mir Muth,« fuhr sie mit bebender Stimme fort, »daß ich bei dir eine Zuflucht suchen kann, wenn ich in meiner Einsamkeit verzweifeln will.«

Pauline sah sie mit aufglänzendem Auge an. »Soll ich wirklich deine Herzensfreundin werden? Du sollst mich kennen lernen ohne Rückhalt, mit allen meinen Kämpfen; dann aber mußt du auch mir einen Theil von dem geben, was dich drückt, damit ich dir tragen helfe.«

»Ich will, Paully, aber –« sagte das Mädchen mit einem tiefen Athemzuge, als wollte sie sich von einem beklemmenden Gefühle befreien, »aber jetzt nicht. Schlafe in meinem Zimmer heute Nacht und laß uns sprechen, wenn es dunkel ist.«

Pauline küßte sie schweigend und erhob sich. – –

Helmstedt hatte die kurze Strecke bis Oaklea schnell zurückgelegt und Dick, der ihm sein Pferd abnahm, wies ihn auf seine Frage nach Elliot nach der, »Bibliothek«. Helmstedt's Auge überflog die Fenster des Hauses, ob sich nicht [] Ellens Gesicht irgendwo zeige, aber ohne Erfolg. Es war ihm unbehaglich, schon den zweiten Tag nach seiner Ankunft ohne einen rechten Grund von Morgens bis Abends weggeblieben zu sein und dabei konnte er die Ahnung von etwas Unangenehmen, das während seiner Abwesenheit passirt sei, nicht los wenden. Elliot saß am Feuer, in einem Buche blätternd, als der junge Mann in das bezeichnete Zimmer trat. »Well, Sir« sagte er, nur einen Augenblick aufschauend, »haben Sie sich die Gegend angesehen?«

»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten, daß ich so lange ausgeblieben bin,« erwiderte Helmstedt, »ich bekam während meines Rittes mit Miß Ellen eine Nachricht, bei der sich vielleicht ein paar hundert Dollars verlornes Geld wieder erlangen ließen und ritt deshalb ohne Verzug nach der Stadt; ich bin freilich, wenigstens was das Geld betrifft, vergebens geritten.«

Elliot nickte, als denke er an etwas Anderes. »Brauchen Sie nur Ihre Zeit, wie Sie wollen, Sir,« sagte er nach einer Weile, »bis Neujahr sind Festtage und Sie finden vielleicht in der Stadt einige Zerstreuung – ich habe Ihnen dort auf dem Tische eine Bankanweisung auf Ihr halbjährliches Gehalt hingelegt.« Helmstedt verbeugte sich dankend. »Haben Sie mir sonst irgend etwas zu sagen, Mr. Elliot?«

»Durchaus nichts, verfügen Sie ganz über sich!« erwiderte dieser, ohne von seinem Buche aufzusehen. Helmstedt ging, aber lag ihm auch keine Sorge über seine eigenmächtige Abwesenheit mehr auf dem Herzen, so bedrückte ihn jetzt Elliots kalter, nachlässiger Ton, der so sehr von seiner gestrigen Herzlichkeit abstach. Irgend etwas war in seiner Abwesenheit vorgegangen und Baker, der bei seiner Begegnung mit ihm auf dem Wege nach Oaklea gewesen war, stand jedenfalls damit in Verbindung. Indessen hatte Helmstedt sein halbjährliches Gehalt in der Tasche, und Neujahr, wo er über Baker sprechen durfte, war nach fünf Tagen. Die Dinge konnten abgewartet werden. Er ging [] nach seiner Stube und begann seinen Koffer auszuleeren und seine Wäsche in der Kommode zu ordnen, bis es dunkel ward und ihm Sarah meldete, daß der Thee bereit sei.

Die Familie saß bereits, als er das Speisezimmer erreichte. Elliot lud ihn mit einer stummen Handbewegung ein, seinen Platz einzunehmen. Mrs. Elliot füllte schweigend seine Tasse und Ellen sah nach kurzem Aufblicke wieder auf ihren Teller. Auch als Helmstedt sich gesetzt hatte, fiel von keiner Seite ein Wort, Jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein, und die allgemeine Schweigsamkeit brachte einen beengenden Eindruck auf den Eingetretenen hervor; es wurde ihm fast, wenn er an Elliots veränderten Ton gegen ihn dachte, als müsse die auffallende Stille directen Bezug auf ihn haben.

»'S ist während der Feiertage ziemlich einsam und langweilig bei uns,« begann Elliot, als fühle er sich selbst unbehaglich, »unser Städtchen hat aber zu der Zeit desto mehr Leben und so muß man sich dort helfen.«

»Ich hatte nicht daran gedacht, wieder nach der Stadt zu gehen,« erwiderte Helmstedt, »ich hatte mir vorgenommen, bis Neujahr Ihre Bücher und Rechnungen zu meiner Information durchzusehen und die Einrichtungen der Farm kennen zu lernen – zur Unterhaltung aber ist ja ein Piano hier und wenn Miß Ellen glaubt, von mir etwas profitiren zu können und nichts anderes vor hat, so ließe sich jetzt ein recht guter Anfang damit machen.«

Ellen warf rasch aussehend ihn einen Blick zu, der sprechen zu wollen schien, sah dann seitwärts auf ihre Mutter und suchte wieder ihren Teller; Mrs. Elliot aber sagte kalt, ohne die Augen aufzuschlagen: »Ich glaube kaum, daß meine Tochter hier sein wird!« und damit trat die vorherige Stille wieder ein, bis sich die Hausherrin erhob und mit Ellen das Zimmer verließ. Elliot setzte sich ans Feuer. »Nehmen Sie Platz, Sir!« sagte er und winkte Helmstedt, einen andern Stuhl einzunehmen. »Es thut mir leid, Sir,« [] fuhr er fort, »daß Sie heute meiner Ellen wegen eine Unannehmlichkeit gehabt haben. Sie kannten natürlich den Gentleman nicht und Ellens Wesen auch noch nicht. Ich habe das Mädchen etwas verzogen, sie läßt ihren Einfällen mehr Gewalt über sich, als sie sollte, und so hat heute ihre Laune die Differenz herbeigeführt. Meine Frau ist etwas verstimmt darüber, wie Sie wol eben gesehen haben, sie gibt mir und meiner Erziehung die Schuld, und sie mag auch vielleicht Recht haben.«

»Kennen Sie den Herrn genau, von dem Sie eben sprachen?« fragte Helmstedt, »ich muß Ihnen ganz offen gestehen, daß ich vielleicht seiner Zudringlichkeit gegen Miß Elliot nicht so entgegengetreten wäre, wenn ich nicht den Mann für etwas Anderes gehalten hätte, als er sich gibt –«

»'S ist schon recht,« unterbrach ihn Elliot, »ich mache Ihnen auch keinen Vorwurf, ich bemerke es Ihnen nur, weil der Gentleman dann und wann unser Haus besucht und zu den genauern Bekannten meiner Frau gehört – und,« fuhr er mit einem gutmüthigen Lächeln fort, »wenn Sie in Amerika rasch fortkommen wollen, Sir, so müssen Sie es mit den Ladies nicht verderben.«

Helmstedt saß und schwankte, ob er die Familie in ihrer Sicherheit warnen sollte, aber jede unbestimmte Warnung hätte eine genauere Erklärung nach sich ziehen müssen, und er verwünschte die gegen Seifert eingegangene Bedingung. »Ich möchte von Herzen wünschen,« sagte er endlich, »daß ich heute im Unrecht gewesen wäre. Sie wissen gewiß am besten, wem Sie Ihre Familie öffnen.«

»Sicherlich, Sir!« erwiderte Elliot und hob langsam den Kopf, »eins nur möchte ich Ihnen noch freundlichst sagen. Unsere amerikanischen jungen Leute sind etwas rasch, besonders hier im Süden – lernen Sie Land und Menschen erst ruhig kennen, damit ein Urtheil, das Sie fällen, Ihnen nicht vielleicht unerwartet schlimme Folgen einbringt!«

Helmstedt biß sich auf die Lippen, erwiderte aber nichts, [] er glaubte ein Stück des amerikanischen Stolzes vor sich zu haben, wie ihn Isaac angedeutet und er fühlte beinahe eine Neigung, sich, wie es von ihm gewünscht wurde, gar nicht mehr um Baker zu bekümmern und seinen zu erwartenden Gaunerstreichen freien Spielraum zu lassen – wenn nur Ellen nicht vielleicht das Opfer derselben hätte werden können.

»Ich will Sie nicht länger belästigen,« sagte er aufstehend, »und wenn Sie mir erlauben, erbitte ich mir morgen früh Bücher und Rechnungen.« – »Wie Sie das halten wollen, Mr. Helmstedt!« nickte Elliot, und der junge Mann verließ das Zimmer. Als er die Thür zugedrückt hatte und an der erleuchteten Treppe, die ins obere Stockwerk führte, vorübergehen wollte, flatterte ein weißer Gegenstand vor ihm nieder. Er bückte sich darnach – es war ein zusammengelegtes Papier. Helmstedt warf überrascht einen Blick nach oben; dort war aber weder etwas zu hören noch zu sehen, und mit einem sonderbaren Gefühle der Spannung betrat er sein Zimmer und brannte Licht an. Das Papier war ohne Adresse und enthielt nur die folgenden mit Bleistift und augenscheinlich in Eile geschriebenen Zeilen:

»Mutter sagt mir jeden Augenblick, ich sei ein verzogenes Kind, und Vater mahnt mich, die Launen abzulegen; ich weiß aber, es geschieht nur wegen des Mannes, den ich nicht ansehen mag. Er hat sich bei der Mutter eingeschmeichelt, und Vater thut, worauf Mutter dringt. Ich höre aus jedem gesprochenen Worte, was beabsichtigt wird, und sehe keinen Weg, wie ich mir helfen soll; was Mutter will, setzt sie durch. Ich habe seit heute eine Angst im Herzen, wie noch nie. Der Mann, den ich gar nicht nennen mag, muß Mr. Helmstedt verdächtigt haben, denn Mutter hat den Vater geplagt, mich bei Mortons zu suchen, damit ich nicht mit einem gestern hergekommenen Ausländer, den noch Niemand kenne, wie sie sich ausgedrückt hat, den ganzen Tag allein in der Welt herumreite. Wenn Etwas gegen [] den Mann aufgefunden werden kann, so muß es bald geschehen; mir ist es, als hätten sich heute die Fäden so fest um mich gezogen, daß ich nicht mehr heraus kann, oder als wäre ich heute in meiner Abwesenheit verkauft worden. Ich bin so allein in meiner Angst, daß, wenn diese Zeilen Sünden sind, mir sie Gott verzeihen wird.

Ellen.«

Helmstedt las das Papier zweimal, dreimal über, dann warf er sich auf einen Stuhl, drückte die Hände vor die Augen und wollte überlegen – aber er sah nur Ellen mit ihrer kindlichen Naivität, mit ihrem klaren Auge, in dem sich noch kein Gedanke, der des Schleiers bedurfte, gespiegelt haben konnte, vor sich, sah jetzt den Ausdruck, den ihre Zeilen bekundeten, über ihre Züge gebreitet – er fuhr rasch mit der Hand über das Gesicht, sprang auf und ging die Stube auf und ab. Was sollte er thun? Jede Warnung seinerseits ohne bestimmte Beweise war, wie die Sachen jetzt standen, vollkommen unsinnig; die wenigen Tage bis Neujahr mußten aber vergehen, und dann durfte nur an Baker die Aufgabe gestellt werden, die Nachweise seines Besitzes im Süden oder seines Vermögens zu schaffen, um den Menschen zu entlarven. Das Erste und Notwendigste blieb jetzt, dem Mädchen den Muth wiederzugeben, um für jeden möglichen Fall bis dahin Widerstand zu leisten; morgen, meinte Helmstedt, werde er jedenfalls, eine Gelegenheit herbeiführen können, um ihr das Nöthige zu sagen. Er nahm das Papier wieder zur Hand, sah auf die zierlichen, flüchtigen Schriftzüge und machte eine Bewegung, als wolle er es zu seinem Munde führen, hielt aber auf halbem Wege inne »Sei kein Narr, August!« sagte er, »hier ist kein Feld wo dir Rosen blühen können.« Er legte das Papier langsam zusammen und öffnete dann seinen Koffer. »Aber ich kann sie doch in der Seele tragen, selbst wenn sie es nicht wissen darf!« fuhr er innehaltend fort und drückte das Papier an seine Lippen. »Gute Nacht, Ellen, und rechne auf mich.« –

Als Helmstedt am andern Morgen erwachte, war es [] ihm, als müsse er einen wunderschönen Traum gehabt haben, bis ihm plötzlich die Erinnerung das Bild des vergangenen Abends vor die Seele führte. Er sprang rasch auf und warf sich in die Kleider, damit er bei der Hand sei, falls sich Ellen vor dem Frühstück allein sehen lasse, um ihr wenigstens ein paar Worte zu sagen.

Eine trübe, warme Luft empfing ihn, als er seine Stube verlassen hatte und durch die hintere Thür ins Freie trat; einer jener schnellen Temperaturwechsel war eingetreten, wie er eine Eigentümlichkeit Amerika's ist. Die Bäume und Sträuche, die in zwei Tagen ihre Blätter verloren hatten, waren von Nebel umsponnen und Helmstedt fühlte einen unangenehmen Einfluß, den die veränderte Luft und das trübselige Aussehen der Landschaft auf seine eben noch so klare Stimmung ausübte. Er umschritt langsam das Haus und überdachte das sonderbare Verhältniß, in welches er gerathen war. Die Hausherrin, die das innere Regiment allein zu führen schien, war bereits gegen den »Ausländer« eingenommen – in welchem Grade wußte er noch nicht einmal; Elliot, bei aller äußerlichen Gutmüthigkeit ihn doch nur als Miethling betrachtend, – und dazwischen Ellen, die sich an ihn anklammerte und auf Schutz gegen ihre Eltern rechnete. Und brachte er es auch dahin, Bakers Gaunereien offen zu legen, so mußte von dem Augenblicke an sein Verhältniß zu Ellen ein schiefes, wo nicht gar beargwohntes, und seine Stellung in der Familie eine durchaus unhaltbare werden. Mochte es aber auch – er war ja im höchsten Nothfalle nicht hier gebunden und konnte dann wenigstens eine süße Erinnerung mit sich forttragen.

Als er um das Haus bog, sah er eine angespannte Kutsche an der Vorderthür halten, Dick auf dem Bocke und Sarah an dem geöffneten Schlage – eben trat Elliot mit Frau und Tochter vom Portico herab, hob Beide in den Wagen, winkte ihnen noch ein »good bye« zu, und fort rollten sie. Helmstedt ging in sein Zimmer zurück; er hatte [] nicht einmal Ellens Gesicht gesehen und als er sich mit einem Mißmuthe, von dem er sich selber keine Rechenschaft gab, auf einen Stuhl warf, kam ein Gefühl des Alleinstehens über ihn, wie er es selbst in Amerika noch niemals gekannt – Sarah rief zum Frühstück, wo ihm Elliot von einer Einladung erzählte, welche die Ladies erhalten – wann sie zurückkehren würden, sagte er nicht und Helmstedt durfte nicht danach fragen.

Nach beendigtem Mahle erbat sich Helmstedt Elliots Rechnungsbücher; er wollte scharf arbeiten, um sich alle lästigen Gedanken vorläufig aus dem Kopf zu schaffen, und sich zugleich bis zur Rückkunft des Pedlars Klarheit über das zu verschaffen was ihm fehle – und bald saß er mit einem Haufen ungeordneter Papiere in seinem Zimmer. Er begann zu fortiren, durchlas Briefe und Rechnungen, um so viel als möglich erst die Weise des Betriebes kennen zu lernen, aber er las oft eine Sache dreimal über und wußte doch nicht, wovon die Rede war. Seine Gedanken waren überall, nur nicht bei seiner Beschäftigung, und je mehr er sich zur Aufmerksamkeit zwingen wollte, desto mehr bemächtigte sich eine unbestimmte Unruhe seiner, die ihn endlich vom Stuhle austrieb. Er öffnete seinen Koffer und holte Ellens Zeilen hervor – aber ehe er sie entfaltete, legte er sie wieder zurück. »Oel ins Feuer!« murmelte er; er setzte sich wieder an seinen Arbeitstisch und stützte den Kopf in die Hand, sinnend und sich in seine Gedanken verlierend. Erst nach einer langen Weile erhob er sich wieder. »So wird das nichts heute!« sagte er und rieb sich die Stirne. Er nahm seinen Hut, ging nach dem Stalle und sattelte sein Pferd; er wollte einen Rundritt durch die Farm machen, aber als er sich nach einer Weile nach seinem Wege umsah, befand er sich auf derselben Straße, die er Tags zuvor mit Ellen zurückgelegt. Er ritt weiter und sah bald in der Ferne Mortons Wohnhaus durch die neblige Luft leuchten, aber die Gedanken an die jetzige Mrs. Morton, [] welche der Anblick in ihm hervorrief, waren wenig geeignet, seine Stimmung zu erheitern. Er ritt von der Straße ab, quer durch ein offenes Stück Waldland; eine neue Straße that sich hier auf, in welche sein Pferd ungeleitet einbog und erst, als es vor einem geschlossenen Gatterthor stehen blieb, merkte Helmstedt auffahrend, daß er weder auf die Straße noch auf das Pferd geachtet. Er blickte um sich und sah nichts als Wald und eingezäunte Felder. Unwillig über sich selbst, trabte er zurück; nach kurzem Ritte aber theilte sich die Straße in drei verschiedenen Richtungen und Helmstedt hielt an, ungewiß, welche zu wählen. »Irgendwohin komme ich jedenfalls!« murmelte er nach kurzem Nachdenken und schlug die Straße ein, welche der Richtung nach Oaklea am nächsten zu sein schien.

Eine Meile mochte er, aufmerksam die Gegend musternd, fortgeritten sein, als ihm endlich ein Neger zu Pferde begegnete, bei dem er sich nach dem rechten Wege erkundigte.

»Well, Sir, Sie drehen Oaklea beinahe den Rücken zu,« erwiderte dieser; »wollen Sie hier mit mir quer durch den Busch reiten, bis auf die andere Straße jenseits, so kann ich Ihnen den Weg beschreiben.« Helmstedt folgte dem Führer, dessen höfliche Bereitwilligkeit ihn wohlthuend berührte, und horchte, wie der im Freien angekommen, einer verwickelten Beschreibung von Wegen. Nachdem er den Schwarzen mit einem kleinen Geschenke entlassen, machte er sich auf den Heimweg, der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Es war fast Mittag, als er Oaklea erreichte, aber das kleine Ereigniß hatte ihm seine Controle über sich selbst wiedergegeben; er war ruhig geworden und konnte sich Nachmittags mit Ernst an die Morgens unterbrochene Arbeit machen.

Zwei einförmige Tage waren vergangen – Ellen und ihre Mutter waren noch nicht zurückgekehrt; Elliot schien sich in seiner Bibliothek abgeschlossen zu halten und Helmstedt beschloß am dritten, nach der Stadt zu reiten und seine [] Bankanweisung zu versilbern und womöglich Seifert noch einmal zu sprechen. Es war der Tag vor Sylvester. Helmstedt war eben im Stalle beschäftigt, sein Pferd zu satteln, als sich vorsichtig ein schwarzes Gesicht hereinbog und mit den Augen den Stall durchlief. – »Well, Sarah,« begann Helmstedt, »etwas Neues?«

Die Schwarze huschte herein. »Ist es wol wahr, Sir,« begann sie vorsichtig, »daß Mr. Baker und Miß Ellen Neujahr mit einander versprochen werden sollen?«

Helmstedt fühlte, daß er kalt wurde. »Neujahr? dazu wird's, glaub ich, noch nicht kommen,« sagte er nach kurzer Pause, »woher weißt du das?«

»Well, Mr. Elliot spaßt manchmal mit mir und meinte heute Morgen, es sei das Beste, wenn ich jetzt noch Mortons Cäsar nähme, mit dem ich einmal ein Verhältniß gehabt, den ich aber nicht mag, dann könnte's bald zwei Hochzeiten geben, und Dick hat gehört, wie Mistreß Elliot gesagt, Mr. Baker müsse gleich nach Neujahr abreisen und die Sache könne an dem Tage wenigstens vorläufig abgemacht werden. Dick ist bestellt, morgen die Ladies wieder heimzuholen.«

»Ich glaube nicht, Sarah, daß Mr. Baker daran denken wird.«

»Glauben Sie wirklich nicht, Sir?«

»Wenn du Angst wegen Cäsar hast, so will ich dir sogar bestimmt versichern, daß Niemand an die Sache denken wird.«

Sarahs Gesicht begann sich aufzuklären. »Dank Ihnen, Sir, ich konnte mir's auch denken,« sagte sie und verschwand.

Helmstedt zog eilig sein Pferd heraus, nahm die Reitpeitsche und schwang sich auf. Die Sache wurde Ernst – er mußte Seifert finden und ihm wo möglich einen Tag abhandeln. Im scharfen Trabe ritt er die Straße hin, er erreichte die Waldecke, wo er mit Ellen auf Baker getroffen, und fast auf derselben Stelle parirte er sein Pferd. Keine [] hundert Schritte vor ihm kam Baker ihm wieder entgegengetrabt.

Helmstedt, die zusammengezogenen Augen auf den Herankommenden gerichtet, schien einen Augenblick unschlüssig, was zu thun; dann aber, wie von einem hellen Gedanken belebt, ritt er langsam weiter. Baker trabte herbei, den Kopf hoch und das Gesicht den Feldern zugekehrt, als denke er gar nicht daran, von der Begegnung Notiz zu nehmen; als er aber nahe genug heran war, trieb Helmstedt sein Pferd quer über des Andern Weg, daß dieser genöthigt war, die Zügel anzuziehen. Die Augen der beiden Männer trafen sich und wurzelten eine Secunde lang ineinander. »Was soll das?« brach Baker los, »geben Sie Raum, Sir!«

»Ich habe Ihnen ein paar Worte zu sagen, die Sie anhören werden!« entgegnete Helmstedt ruhig, aber mit fest auf ihn gerichtetem Blicke.

»Habe nichts mit Ihnen zu reden, geben Sie freien Weg, oder ich verschaffe mir ihn!«

»Vielleicht sind Sie mir dankbar, daß ich Sie angehalten und reiten von selbst nicht weiter. Ein verständiger Mann hört doch erst.«

Bakers Blick schien einen Augenblick das ernste Gesicht seines Gegners durchdringen zu wollen. »Was ist es? machen Sie es kurz!«

»Kaum ein paar Worte, Sir! Ich möchte Ihnen nur mittheilen, daß ziemlich genaue Nachrichten über Sie selbst und Ihren Grundbesitz eingelaufen sind, die hämischer Weise benutzt werden sollen, um Sie am Tage Ihrer Verlobung mit Miß Elliot als Schwindler festnehmen zu lassen. Sie müssen selbst am besten wissen, was Sie zu befürchten haben und ich mache Ihnen die Mittheilung nur, um vielleicht der Familie Elliot einen öffentlichen Scandal zu ersparen. Das ist Alles, Sir!«

»Halt an!« rief Baker, sich verfärbend, als Helmstedt jetzt sein Pferd zurückziehen wollte. »Sie scheinen es darauf [] abgesehen zu haben, mir bei jeder Begegnung Beleidigungen ins Gesicht zu werfen; Sie kommen aber bei Gott diesmal nicht so davon. Sprechen Sie deutlich und geben Sie Rechenschaft von ihren halben Worten, oder ich schieße Sie nieder wie einen Hund!« Die Hand des Sprechenden fuhr nach der Brusttasche. In Helmstedts Gesicht trat ein leichtes Roth, er faßte die Reitpeitsche in der Mitte, das dicke Ende mit dem schweren Bleiknopfe nach oben gekehrt. »Ich habe mich eigentlich zur Verschwiegenheit bis Neujahr verpflichtet,« sagte er, scharf jede Bewegung des Gegners bewachend, »auf Sie selbst, der Sie Ihre eigenen Verhältnisse jedenfalls besser kennen, als ich, kann das aber natürlich keine Anwendung finden. Die Sache ist die, Sir, daß Sie weder Pflanzer, noch ein Mann von Alabama sind, sondern ein Spieler von Profession und ein New-Yorker Industrie-Ritter, der sich jetzt hier festen Boden unter die Füße schaffen will, und daß Sie am besten thun, sich davon zu machen, wenn Sie Ihre Lügen nicht aufgedeckt sehen wollen!« Helmstedt sah, wie während er sprach, sich Bakers Hand in der Brusttasche ballte, wie dessen Auge einen Ausdruck gleich den einer lauernden Katze annahm; kaum hatte er aber das Wort »Lügen« ausgesprochen, als auch Jener mit einem wilden »God –!« seinen Revolver hervorriß. Helmstedt war darauf vorbereitet gewesen und fast im gleichen Augenblicke traf ein Hieb des schweren Endes seiner Reitpeitsche Bakers Hand, daß die Waffe über die nächste Einzäunung in die dichten Brombeer- und Schwarzbeer-Büsche flog. Des Amerikaners Pferd that erschreckt einen Satz zur Seite, daß der Reiter fast aus dem Sattel geworfen wurde, und sprengte davon; Helmstedt zügelte sein eigenes unruhig gewordenes Thier und blieb dann, die Reitpeitsche in der Hand wiegend, in der Mitte der Straße halten, bis Baker wieder Macht über sein Pferd gewonnen hatte, es herumwarf und zurückkam. Zwei Schritte vor dem Deutschen hielt er still. »Ich bin augenblicklich waffenlos,« [] rief er ihm mit dem vollen Ausdruck des Ingrimms zu, »seien Sie aber versichert, daß ich mir für allen erlittenen Schimpf volle Genugthuung verschaffen werde – ich behalte dies als Memorandum!« Er zeigte einen kleinen Messingknopf, welcher bei dem Schlage von der Reitpeitsche abgesprungen war und sich in seinen Kleidern verfangen haben mußte.

»Ziehen Sie sich bei Zeiten zurück, Sir!« erwiderte Helmstedt, als Jener sein Pferd drehte, »Sie haben bis übermorgen Zeit, es ohne öffentliche Schande zu thun; was später erfolgt, mögen Sie sich selbst zuschreiben!« Baker warf ihm nur noch einen Blick zu, der ohne Worte sprach, und trabte sodann davon. Helmstedts Auge suchte nach dem Revolver, der aber in den dornigen Gesträuchen und dem buschigen Unkraut so verborgen lag, daß sein Auffinden mehr als Schwierigkeit erfordert haben würde, und ritt dann seines Weges weiter. Es war ihm zu Muthe wie einem jungen Feldherrn, der seine erste Schlacht gewonnen hat.

Erst spät Nachmittags kam er aus der Stadt zurück. Er hatte sein Geld in der Bank erhalten, aber Seifert trotz längeren Wartens und Suchens nicht getroffen. Als er hinter dem Wohnhause vom Pferde stieg, sah er Sarah neben den Ställen vorüberschlüpfen und rief ihr zu. Die Schwarze kam langsam heran.

»Hast du Mr. Baker gesehen, während ich weg war?« fragte er halblaut. Das Mädchen sah ihn an wie in plötzlicher Betroffenheit. »Mr. Baker?« wiederholte sie zögernd.

»Ich meine, ob er hier gewesen und mit Mr. Elliot geredet hat?«

»No, Sir!« rief sie, als fasse sie jetzt erst seinen Gedanken, »Mr. Elliot ist Vormittag ins Land geritten und jetzt noch nicht wieder zurück.« Helmstedt nickte befriedigt und brachte sein Pferd in den Stall.

[] Sechstes Kapitel.
Ein Gewitter im Winter.

Sylvester-Nachmittag war herangekommen. – Helmstedt war schon eine Viertelstunde lang in seiner Stube auf- und abgegangen, hatte sich dazwischen auf einen Stuhl geworfen und zu lesen versucht, war ans Fenster getreten, hatte die eintönige Landschaft und den grauen Himmel betrachtet und dann wieder die Stube gemessen. Es lag ein drückendes Gefühl über ihm; er wußte nicht, sollte er es der eigenthümlichen Luft, die sich schon seit zwei Tagen geltend machte, oder der ungewissen Spannung zuschreiben, in welcher er sich während Mittag befand. Dick war am Morgen weggefahren, um die Damen des Hauses heimzuholen, und Elliot hatte während des Mittagessens hingeworfen: wie er sich freue, einmal wieder einen belebten Abend haben zu können; Baker werde sich wahrscheinlich auch einstellen, um das neue Jahr in Gesellschaft der Familie zu erwarten. Helmstedt hatte dazu geschwiegen, war indessen den Nachmittag über bei jedem Geräusche, das in der Gegend des Hauses laut wurde, aufgefahren, ob es nicht durch die Ankunft des verhaßten Menschen verursacht werde. Er traute diesem recht wohl die Frechheit zu, seine Rolle in der Familie durchzuspielen; der zu gewinnende Preis war schon einiger Gefahr werth; welches Verhalten aber Helmstedt nach seiner Ankunft beobachten sollte, wußte er selbst noch nicht recht. – Er konnte von seinem Zimmer aus einen Theil der großen Straße jenseits der äußeren Einfriedigung, sowie das Gatterthor, welches den Eingang zu der Besitzung bildete, sehen, dorthin fiel bei seinem Gange durch die Stube jedesmal sein Blick, so oft er das Gesicht den Fenstern zukehrte, und dort gewahrte er endlich einen heranrollenden Wagen. Er trat rasch zum Fenster und sah scharf hinüber, er erkannte Elliots Kutsche mit den Damen und das Blut schoß ihm nach dem Herzen, daß er genöthigt [] war, die Hand darauf zu legen. Er hatte überdacht, daß er sich heute noch unter allen Umständen mit Ellen in Verbindung setzen mußte, wenn dem Mädchen eine Möglichkeit zur Wehr und Rettung bleiben sollte; war sie einmal mit Baker verlobt, so konnte dieser, als Elliots künftiger Schwiegersohn, auch ohne einen Cent in der Hand, leicht zu einer Besitzung gelangen und damit alle gegen ihn erhobenen Beschuldigungen niederschlagen. Auf welche Art Helmstedt jetzt an Ellen gelangen konnte, wußte er freilich nicht, keinesfalls sollte ihm aber irgend eine sich darbietende Gelegenheit entschlüpfen. Er warf einen Blick durchs Fenster – der Wagen war schon nahe dem Gatterthore – er riß ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche und schrieb mit flüchtiger Hand: »Muth, es wird Alles gut werden, sobald ich Sie heute noch allein sprechen kann – wie? wo? muß ich Ihnen überlassen. Geben Sie mir Nachricht, ich werde stets so viel als möglich in Ihrer Nähe sein.« Er brach das Papier klein zusammen, nahm seinen Hut und eilte durch die Hinterthür ins Freie, er umschritt das Haus, als führte ihn nur ein Zufall dem Wagen entgegen, und kam eben recht, um diesen heranrollen zu sehen. Dick sprang vom Bock und öffnete den Schlag. »Wo ist Sarah?« rief Mrs. Elliot heraus. Helmstedt war wie der Wind an der Wagenthür und bot der Dame seine Hand. »Ist denn sonst Niemand hier?« sagte sie, erhob sich indessen und ließ sich seine Unterstützung beim Aussteigen gefallen. Ellen folgte und Helmstedt faßte ohne Weiteres ihre Hand. »Nehmen Sie und halten Sie fest!« sagte er rasch und eindringlich – eine Purpurröthe überflog ihr Gesicht, dann aber war sie mit einem leichten Sprunge aus dem Wagen. »Ist denn gar Niemand von alle den Leuten da, der unsere Sachen nehmen kann?« rief die Hausherrin, ärgerlich nach dem Portico gehend. »'S ist der letzte freie Abend, Ma'am!« rief Dick lachend, »wir wollen aber die Sachen schon fortbringen.« Helmstedt hatte bereits ein leichtes Packet aus [] dem Wagen genommen, welches ihm Ellen abnahm, und als er das zweite Mal mit einiger Mühe die stark gefüllte Reisetasche unter dem Sitze hervorgezogen hatte und sich herumwandte, begegnete er dem unruhigen Blicke des Mädchens, das soeben das erhaltene Papier in die Tasche ihres Kleides verschwinden ließ. Sie bog sich neben Helmstedt in den Wagen, als wolle Sie untersuchen, ob nichts zurückgeblieben sei. »Seien Sie Nachts spät, wenn Alles schläft, unter meinem Fenster, das zweite links vom hintern Portsch, ich kann jetzt nichts weiter sagen!« sprach sie in hörbarer Aufregung, drehte sich dann weg und folgte ihrer Mutter. Elliot, dem man es noch ansah, daß er sich mit Schlafen die Zeit vertrieben, trat jetzt aus dem Hause, bewillkommnete die Rückkehrenden und verschwand mit ihnen in der Halle. Dick trug das Gepäck nach und schimpfte in gutmüthiger Laune auf »das schwarze faule Pack, das nicht arbeiten wolle und ihm Alles überlasse,« und Helmstedt stand wieder allein. Er warf einen Blick auf den sich immer dunkler umziehenden Himmel und ging dann mit gesenktem Kopfe, aber mit einem Gesichte, in dem sich die innerste Befriedigung spiegelte, nach seinem Zimmer zurück. –

Zwei Stunden später stand am Riverhause ein schwitzendes Pferd angebunden, das dann und wann unruhig den Kopf hob und in die Luft hineinschnaubte. In einem Hinterzimmer hatte sich Baker auf einen Stuhl geworfen und wischte sich den Schweiß von Kopf und Gesicht. Seifert saß, den Kopf in die Hand gestützt, an dem Tische daneben. »Punkt elf Uhr also sind Sie am Platze!« begann der Erstere, vorsichtig seine Stimme dämpfend, und warf sich den Hut auf den Kopf, »sind Sie pünktlich, so ist ein Fehlschlag ganz unmöglich, es wird eine Nacht wie in einem Sacke. Der Capitain ist benachrichtigt und wird von zwei Uhr bis zum Morgengrauen mit dem Boote harren. Ich denke, wir schlagen abzüglich der Unkosten unsere viertausend [] Dollars bei dem Geschäfte heraus, also um Gottes willen nichts versäumt. Lassen Sie sehen. Sie haben für alle Fälle Ihre Instructionen, falls wir durch irgend einen Umstand getrennt würden. Sobald Sie Savannah in Tennessee erreicht haben, verlassen Sie das Boot, nehmen mit Ihrer schwarzen Mannschaft die Postkutsche und gehen quer durch das Land bis Memphis. Das ist zugleich der sicherste Weg jede mögliche Verfolgung abzuschneiden, die sich jedenfalls in der Richtung von Illinois wenden würde. Für Memphis haben Sie zur schnellen Abwickelung des Geschäftes die nöthige Adresse, unser späteres Rendezvous kennen Sie auch und wenn Sie mir mit dem Antheile meines Nutzens etwa durchgehen wollten, so wissen Sie, daß die Hälfte des Betrages in Noten ausgestellt wird, die nicht an Andere übertragbar sind und von einem von uns in New-York selbst präsentirt werden müssen. Ich würde also das Vergnügen haben können, Sie dort zu treffen und Sie haben im umgekehrten Nothfalle dieselbe Sicherheit gegen mich.«

Seifert nickte. »Sie scheinen recht schnell zu Ihrem Entschlusse gekommen zu sein,« sagte er mit einem Anfluge von Spott, »schneller, als es sich nach Ihren bisherigen Erfolgen erwarten ließ.«

»Ist es Ihnen nicht recht?«

»Vollkommen, es hat mich nur überrascht!«

»Well, Sir,« erwiderte Baker, sich langsam erhebend, »vielleicht war ich zu rasch – nach Neujahr aber, wo wieder eine strengere Beaufsichtigung der Neger eintritt, wäre das Unternehmen nur mit doppelter Schwierigkeit ausführbar gewesen. Meine anderweitigen Erfolge stehen noch genau so fest wie früher, aber ich habe seit einigen Tagen ein Gefühl, als habe der Teufel Unkraut unter meinen Weizen gesäet; ich fühle meinen Boden nicht fest unter mir und weiß nicht, ob ich beim nächsten kecken Schritte sicheren Grund finde oder Sumpf, tief genug, um darin zu versinken. Ich habe gestern Morgen ein Malheur gehabt, das mich meinen [] Revolver gekostet hat – mir ist es, als sei es eine Warnung gewesen – machen Sie nun daraus, was Sie wollen, aber seien Sie pünktlich auf dem Platze, ich will die übrig bleibende Zeit benutzen, um zu sehen, was sich noch zuletzt aus einem früheren Geschäft erzielen läßt. Good bye!« Er schritt durch die im Vorderhause befindliche »Grocery,« um ins Freie zu gelangen – in einer Ecke derselben saß Isaac, der Pedlar, neben seinem Kasten, augenscheinlich von einer beschwerlichen Wanderung ausruhend. Baker sah beim Hindurchgehen starr zur Thür hinaus, als wolle er keinem seiner Blicke begegnen, schwang sich auf sein Pferd und ritt in scharfem Trabe davon.

Es mochte gegen zehn Uhr Abends sein, als er im langsamen Schritt von der Hauptstraße abbog, und den Weg durch die dicke Finsterniß nach Mortons Landhause einschlug. Er leitete sein Pferd vorsichtig durch die hereingebrochene Finsterniß, bis sich ihm die weiße Masse des Landhauses bemerkbar machte. An der äußern Einzäunung stieg er ab, befestigte den Zügel daran und schritt, jedes Geräusch vermeidend, dem Hause zu. Die Fenster waren geschlossen und dunkel, nur durch die Jalousien eines der Front-Parlors stahl sich ein schwacher Lichtschein. Die »Hall« -Thür öffnete sich auf Bakers Druck, er schloß sie leise hinter sich und trat mit gleicher Vorsicht in das Zimmer, in welchem er Licht bemerkt hatte. Eine einzelne Kerze, auf einem der Seitentische stehend, erhellte schwach den weiten Raum und ließ eine weibliche Gestalt, welche in der entferntesten Ecke zusammengedrückt auf einem Stuhle saß, im Halbdunkel. Baker blieb an der Thür stehen. »Sind wir allein, Alice?« fragte er halblaut. Das Mädchen fuhr in die Höhe, als bemerke sie jetzt erst sein Eintreten, und sank dann wieder in sich zusammen. »Sie schlafen schon Alle und haben Ruhe!« erwiderte sie eintönig.

Baker warf einen prüfenden Blick auf sie. »Ich danke Ihnen, daß Sie meiner Bitte um eine Unterredung Gehör [] gegeben haben,« sagte er dann. »Sie sollen auch bald Ruhe haben, wenigstens vor mir. Ich gedenke morgen abzureisen; ich habe Ihre Briefe in meiner Tasche und werde sie Ihnen einhändigen, sobald Sie mir die Abreise möglich machen. Ich bin unglücklich im Spiel gewesen, Alice, und kann ohne Geld nicht weg – schaffen Sie mir das nothwendigste, um mich wieder flott zu machen, und ich gebe mit Auslieferung Ihrer Correspondenz alle Macht über Sie auf!«

Das Mädchen hatte sich, während er sprach, langsam aufgerichtet, ihr bleiches Gesicht sah in der matten Beleuchtung todtenähnlich aus. »Zertreten Sie mich, Mann,« sagte sie, »ich will es dulden, wenn ich dadurch meine Schande mit mir begraben kann – aber fordern Sie keine Unmöglichkeit, kein Geld mehr von mir – Sie haben mich ausgepreßt wie den Schlauch, der den letzten Tropfen hergegeben hat, und der nur noch unter Ihren Händen zerreißen kann.«

»Haben Sie wirklich im Augenblicke kein Geld,« erwiderte Baker kalt, ihr näher tretend, »so besitzen Sie Schmuck. Ueberlegen Sie, daß ich Sie heute das letzte Mal sehe, wenn Sie mich auf irgend eine Weise befriedigen können. Ich will Ihnen nicht Ihren eigenen Reichthum an Kostbarkeiten vorzählen.«

»Es ist längst Alles geopfert und veräußert, um Ihre Ansprüche zu befriedigen und mir eine kurze Rast zu erkaufen – ich bin seit Monaten nicht aus dem Hause gegangen, um nicht das Verschwinden selbst des letzten Stückes bemerkbar werden zu lassen.«

»Gut, Alice, ich komme aber ohne Geld nicht weg; soll ich den Werth Ihrer Briefe einem Andern verrathen und mir darauf Geld leihen, damit dieser den Betrag später mit Zinsen wieder von Ihnen herauspresse?«

Die Augen des Mädchens erweiterten sich wie im Entsetzen. »Henry!« rief sie mit heiserer, unterdrückter Stimme, »was soll ich denn thun? ich kann doch nicht morden und stehlen, um Sie zu befriedigen! Seien Sie barmherzig!« [] fuhr sie fort und stürzte verzweifelnd auf ihre Kniee, »geben Sie mir die Briefe, Henry!«

Baker kehrte sich ab und schritt durch das Zimmer. »Sie machen mir einmal wieder eine Scene, Alice, und wissen, wie ich dergleichen Auftritte hasse – ich werde ein andermal wieder kommen!« fuhr er fort, als er die Thür erreicht hatte – er öffnete sie –

»Henry! geben Sie mir die Briefe!« stöhnte das Mädchen, die Arme nach ihm ausstreckend, aber Baker hatte das Zimmer verlassen, durcheilte rasch den Raum bis zu seinem Pferde und ritt bald in das Dunkel hinein. Er hatte die Richtung nach Oaklea genommen und trabte eine kurze Strecke auf der Straße hin, bald aber nöthigten ihn Löcher und Wurzeln im Wege, die nur durch das häufige Straucheln des Pferdes bemerkbar wurden, vorsichtig Schritt zu reiten.

Die Luft lag so bewegungslos über der Gegend, daß auch nicht das Rauschen eines einzigen Blattes hörbar wurde, und der Hufschlag des Pferdes klang weit über die Straße hin. Plötzlich hielt der Reiter an und horchte, als sei ihm ein ungewöhnliches Geräusch aufgefallen – aber ringsum war Todtenstille. Er ritt weiter, bis zu einem schmalen Weg, der sich zwischen den eingezäunten Feldern von Oaklea nach der Rückseite der Besitzung hinunter zog, und bog hier ein. Wieder schien ihn irgend ein befremdender Laut zum Halten zu bringen – er horchte aufmerksam und lange, aber in der schweren, stillen Luft war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Vorsichtig ritt er weiter, er spähte hinüber nach Elliot's Haus, konnte aber kein Licht mehr entdecken, und verfolgte nun rascher seinen Weg, bis zu dem Saum des Waldes, der einige Minuten hinter den Negerhütten seinen Anfang nahm. Hier unterbrach ein geschlossenes Thorgatter die übrige Einfriedigung, und Baker sprang vom Pferde. Scharf spähete er umher und that einen leisen Pfiff – ein ebenso leises Pfeifen antwortete ihm, er band jetzt sein Pferd an und kletterte über die [] Umzäunung – in der Dunkelheit sah er aus den Gebüschen eine Gestalt auf sich zukommen. »Wer?« fragte er leise. »All right, Sir!« antwortete Seiferts Stimme und hinter ihm zeigten sich vier andere Gestalten. »Brav, Kinder!« sagte Baker herantretend, »habt ihr eure nöthigsten Sachen bei euch? Gut, jetzt aber keinen Augenblick mehr verzögert; drei Stunden Marsch bis wir den Fluß erreicht haben, das Dampfschiff wartet und dann sind wir geborgen. Wer von euch die Straße durch den Wald am besten weiß, geht mit diesem Gentleman hier voran, die andern beiden folgen und ich nehme Sarah hinter mich auf's Pferd. Vorwärts nun!« Die schwarzen Gestalten schlüpften der Umzäunung zu und eben wollte Baker ihnen folgen, als er einen krampfhaften Griff an seinem Arme fühlte; er wandte sich betroffen um – in demselben Augenblicke wurde urplötzlich die Gegend von einem Blitze erleuchtet, der den ganzen Himmel in Feuer zu setzen schien und ihm Alice Mortons geisterhaftes Gesicht an seiner Seite zeigte; ein, zwei, drei Donnerschläge folgten nach, unter denen die Erde zitterte und deren Schall in den Bergen ringsum immer neue Donnerschläge zu gebären schien; eine volle Minute währte es, ehe das letzte Rollen sich in der Ferne verlief und Baker hatte kaum sein Gehör wieder, als er Alice Mortons Stimme an seinem Ohre vernahm: »Henry, geben Sie mir meine Briefe wieder!« »Sie muß wahnsinnig geworden sein!« rief er und suchte sich mit einer kräftigen Bewegung von ihr loßzureißen, aber ihre Hand hielt seinen Arm wie mit eisernen Banden geschlossen. Seifert und die Schwarzen hatten bei dem plötzlichen Donnerschlage Halt gemacht. »Geht voran, es ist keine Secunde zu verlieren,« rief Baker, »das Gewitter könnte Todte wach rufen – ich bin im Augenblick nach – rasch, und keinen Augenblick Aufenthalt!« Die Schwarzen mit ihrem Führer verschwanden über die Einzäunung. – – – –

[] Es war wol noch selten in Oaklea ein verdrießlicherer Sylvester gefeiert worden, als denselben Abend. Ellen hatte beim Einbruche der Dunkelheit erklärt, sie fühle sich so unwohl, daß sie sich niederlegen müsse, wogegen ihr Mrs. Elliot vorwarf, sie wolle nur wie ein verzogenes Kind Mr. Baker ausweichen und ihre Eltern bis zum letzten Augenblicke ärgern. Demohngeachtet war Ellen in ihrem Zimmer unsichtbar geworden und Elliot hatte Sarah zu ihr geschickt, damit Jemand zu ihrer Bedienung bei ihr sei. Das Abendbrod war, da Baker erwartet wurde, bis auf acht Uhr hinausgeschoben, Baker aber kam nicht, und Helmstedt, als er endlich zu Tisch gerufen wurde, fand den Herrn und die Frau des Hauses in einer Stimmung, die ihm jede Anknüpfung eines Gespräches verbot. Er war auch eigentlich der Einzige, welcher aß und er beeilte sich, das Speisezimmer so bald als möglich wieder zu verlassen. – Kaum war es zehn Uhr, als auch schon im ganzen Hause kein Licht mehr brannte; selbst Helmstedt hatte der Vorsicht wegen das seine ausgelöscht, hatte sich eine Cigarre angebrannt, und saß, sich seinen aufgeregten Gedanken überlassend, in seinem Schaukelstuhle.

Es mochte halb elf Uhr sein, als er sich erhob, das Ende seiner Cigarre in das niedergebrannte Feuer warf und leise das Zimmer verließ. Er hatte, um möglichst jedes Geräusch zu vermeiden, seine leichten Morgenschuhe angezogen. Er umging das Haus, spähete nach jedem Fenster, ob nicht irgendwo »ein Verräther wache«; aber das ganze Gebäude lag dunkel und stumm, und jetzt erst, an der Rückseite wieder angekommen, suchte er die ihm bezeichnete Stelle. Die Hinterthür war durch einen auf vier Säulen ruhenden Portico überdacht, welcher sich bis zur Höhe des oberen Stockes erhob. Daneben, im unteren Geschosse befanden sich zu beiden Seiten Vorrathskammern und nur die Zimmer darüber waren bewohnt. Helmstedt sah nach dem von Ellen angedeuteten Fenster, es war dunkel wie die [] übrigen. Nach kurzer Ueberlegung suchte er ein paar kleine Steinchen vom Boden und warf sie gegen die Scheiben. Sein Herz schlug heftig, als er sich jetzt dicht an eine Seitensäule des Portico stellte, um sich dadurch vor dem möglichen Blicke eines unberufenen Auges zu schützen; bald aber vernahm sein gespanntes Ohr das leise Geräusch des behutsam aufgeschobenen Fensters und sein Blick unterschied in der Dunkelheit desselben den Schein eines weißen Gewandes. »Es schläft Alles!« sprach er halblaut hinauf. Er konnte jetzt einen sich scheu herausbiegenden Kopf erkennen. »Wo sind Sie?« klang es herab, aber so leise, daß es kaum vernehmbar war. Helmstedt trat von seinem Posten weg. »Können Sie mich deutlich genug verstehen, Miß?«

»Ich glaube – aber sprechen Sie nicht so laut, ich vergehe vor Angst, daß uns Jemand hören könnte und doch weiß ich nicht, was sonst zu thun?« – Helmstedt hatte die geflüsterten Worte mehr errathen als gehört; es wurde ihm klar, daß auf diese Weise eine Unterredung unmöglich war – und doch fühlte er, daß ihm eben so viel daran lag, dem Mädchen Waffen gegen den aufgedrungenen Bräutigam in die Hände zu geben, als es nur bei ihr selbst der Fall sein konnte. »Ich werde suchen, Ihnen näher zu kommen!« rief er leise hinauf, nachdem er mit Auge und Gedächtniß sich die Form des Hauses vergegenwärtigt. – Kaum einen Fuß vom Portico entfernt, befand sich das erste Fenster des Erdgeschosses, das sich von den Stufen aus, welche zur Thür hinauf führten, leicht erreichen ließ; daneben wanden sich immergrüne Schlingpflanzen, von einzelnen Querleisten gehalten, die an der Mauer befestigt waren, empor, und setzte man vom Fenster aus den Fuß auf eine dieser Leisten, so erforderte es nur wenig Geschicklichkeit, um sich auf das Dach des Portico zu schwingen. Das war es, was sich Helmstedt in kurzer Ueberlegung zusammengestellt hatte und was er jetzt ohne weiteres Zögern auszuführen versuchte. Er stand, sich an eine der Portico-Säulen haltend, bald [] genug im Fenster, und eben so schnell hatte sein Fuß den Halt an der Mauer gefunden, der ihm ohne besondere Anstrengung seinerseits zu der Höhe des Portico half; das einzige Hinderniß, welches er hier traf, um zu einer sicheren Stellung zu gelangen, war die abschüssige gefirnißte Fläche der Ueberdachung, die ihn jeden Augenblick in Gefahr brachte herabzugleiten. Die Fenster des Erdgeschosses, welche bis zur Höhe des Portico-Daches reichten, waren an ihren oberen Enden mit breit hervorspringenden Gesimsen als Verzierung versehen, und Helmstedts Fuß, welcher nach einem besseren Halte suchte, traf bald den ihm zunächst gelegenen Vorsprung, der ihm eine feste Stellung zu verheißen schien; er faßte mit den Händen in die darin befindliche Fensteröffnung des oberen Stockes, die nach ihrer Lage zu dem Treppenhause gehören mußte und trat auf den Sims hinüber. Ellens Zimmer war jetzt nur eine Fensterbreite von ihm entfernt und ein Verständniß war von hier aus leicht zu erzielen. »Können Sie mich jetzt genau verstehen, Miß?« begann er leise.

»Wo stehen Sie denn?« kam die ängstlich geflüsterte Frage zurück.

»Gleich hier auf dem Fenstervorsprung!«

»Um Christi willen, Sie müssen fallen, Mr. Helmstedt, Sie haben keinen Halt und ich ängstige mich zu Tode, so lange ich Sie in der Stellung weiß!«

Dem Deutschen begann es beinahe selbst zu scheinen, als werde er seinen Platz nicht lange behaupten können, er hatte seiner Stellung nur dadurch einige Festigkeit gegeben, daß er seinen rechten Arm fest in die Fensteröffnung, vor der er stand, gedrückt hatte; diese war aber so flach, daß es ihm war, als müsse jeden Augenblick sein Arm herausgleiten. »Miß Elliot, ich muß unter allen Umständen mit Ihnen reden,« sagte er und versuchte sich fester anzuklammern, »es ist die höchste Zeit dazu – wollen Sie mir erlauben, daß ich versuche bis zu Ihnen zu kommen, ich [] glaube, ich kann den Schritt nach dem nächsten Sims mit Leichtigkeit thun!«

»Ich habe ja nichts dagegen, aber Sie werden gewiß dabei herunterstürzen, Sie können ja keinen Schritt weit vor sich sehen!«

»Bleiben Sie stehen, wie jetzt, Miß, Ihre helle Kleidung gibt mir einen Punkt fürs Auge, im schlimmsten Falle ist die Höhe vom Boden nicht so ungeheuer!« Er schob sich vorsichtig bis zum Ende des Vorsprunges, klammerte sich mit der rechten Hand fest an die Fensterbekleidung, preßte sich platt an die Mauer und that, mit ausgestrecktem linken Arme, um sofort in Ellens Fenster fassen zu können, langsam einen weiten Schritt. Er fühlte die Ecke des nächsten Simses unter seinem Fuße, seine linke Hand hatte schon festen Halt gewonnen, als sein Schuh abglitt und plötzlich die ganze Last seines Körpers an seinem Arme hing. Ein unterdrückter Schrei zeigte ihm, daß Ellen seinen Unfall wahrgenommen; er strebte vergebens, sich soweit hinauf zu ziehen, um mit dem Knie die Simsecke wieder zu erreichen, immer ging ihm die Kraft aus, ehe er so weit gelangt war; sein rechter Arm suchte vergebens an der glatten Mauer daneben einen Halt zur Unterstützung zu gewinnen und ließ eben die möglichen Folgen eines Falles durch seinen Kopf schießen, als er von oben seinen Rockkragen gefaßt fühlte. »Noch einmal!« hörte er Ellens aufgeregte Stimme, »versuchen Sie mit aller Macht jetzt, ich helfe!« und die Kraft, mit der er sich gefaßt fühlte, überraschte ihn. Noch einmal nahm er alle seine Stärke zusammen und mit einem Zuge hatte er das Sims unter dem Knie, seine rechte Hand faßte das Fenster und aufrecht stand er wieder – aber Ellens Hand zog noch immer; es kam Helmstedt vor, als halte sie sich wie in einem plötzlichen Krampfe an ihn, und keinem andern Gedanken als einer über ihn kommenden Angst nachgebend, stieg er rasch durch das Fenster ins Zimmer. Ellen fiel bewußtlos in seine Arme.

[] Das Feuer im Kamin war niedergebrannt, aber die glimmenden Kohlen verbreiteten eine schwachrothe Dämmerung im Zimmer und nur einzelne hervorleckende Flammen schossen Streiflichter die Wände entlang. Helmstedt hielt das Mädchen, das in ein leichtes fesselloses Negligé gehüllt an seinem Herzen ruhte, als berühre er ein Heiligthum, aber seine Pulse, schon in Aufregung durch das eben Erlebte, flogen fieberhaft. Einen Augenblick hatte er wol daran gedacht, die Bewußtlose irgendwo niederzulegen, oder etwas zu ihrer Wiederbelebung zu thun, er fühlte aber, daß sein nächster Schritt, sobald sie die Augen aufschlage, der wieder zum Fenster hinaus sein müsse – und jetzt durfte er sie doch noch in seinen Armen halten! »Er sah in ihr matt beleuchtetes, erblichenes Gesicht und es schien ihm fast noch schöner als im Prangen der Jugendfrische; er neigte sich über sie – ein Tropfen Seligkeit und dann ein ganzes Leben davon zehren!« war der Gedanke, der sich seiner bemächtigte: leise in zitternder Innigkeit drückte er seine Lippen auf die ihrigen; als er aber seinen Kopf wieder erhob, schlug sie, wie durch ihn geweckt, voll und groß die Augen auf, sie sah ihn an und lächelte; im nächsten Augenblicke aber schien sie zum vollen Bewußtsein gelangt zu sein und schnellte erschreckt in die Höhe. Sie warf einen Blick um sich, einen zweiten auf ihn und eine glühende Röthe übergoß sie. »Mr. Helmstedt – um Gottes willen –« stammelte sie und trat wie in sich selbst zurückfliehend, einen Schritt von ihm.

»Ich gehe schon, Miß,« erwiderte er, und bemühte sich, die Bewegung in seiner Stimme zu unterdrücken, »ich sah Sie ohnmächtig werden und die Besorgniß hat mich hereingetrieben.«

Er wandte sich nach dem Fenster. »Aber nicht wieder da hinaus!« rief sie auffahrend und griff nach seinem Arme, als trete eist jetzt die klare Erinnerung wieder vor sie. Beider Blicke trafen sich und blieben in einander hängen; [] Helmstedt hatte ihre Hand, die ihn zurückgehalten, gefaßt, sein Herz war ihm voll zum Zerspringen. »Ellen!« sagte er leise – er zog sie näher – da warf sie sich, als werde mit einem Male ihr ganzes Gefühl entfesselt, an seine Brust, wo sie vorher geruht, Helmstedts Arme empfingen sie, eine Secunde lang fühlte er ihre warmen Lippen auf den seinigen; in der nächsten aber hatte sie sich wieder losgerissen, fiel in einen Stuhl und schlug die Hände vor das Gesicht.

Helmstedt trat ihr langsam näher und kniete an ihrem Sitze nieder. »Ellen, Leben meiner Seele!« sagte er im vollen Ausdruck seiner Empfindung, »ich will dich erringen, oder selbst dabei zu Grunde gehen – ich habe gestrebt, meine Leidenschaft in mich zu verschließen, aber das Schicksal wollte es anders – sieh mich an!« Er zog ihr sanft die Hände herab und blickte in ein Auge, in dem sich Scham und Liebe stritten, – ein wundersames Gemisch von Innigkeit und halber Scheu lag in ihren Zügen, und Helmstedt mußte an die frisch aufgebrochene Rose denken, die zum ersten Male von dem Strahle des Tages berührt wird. »Ellen,« fuhr er fort, »hast du nicht ein Wort für mich?«

Sie hob langsam den Blick zu ihm und über ihr Gesicht verbreitete sich das Lächeln, das Helmstedt so gut kannte. »Und ich weiß noch nicht einmal Ihren vollen Namen!« sagte sie.

»Augustus heiße ich, aber sprich den Namen aus wie in meiner Muttersprache, sage: August, und ich will denken, ich habe Heimat und alles verlorne in dir wiedergefunden.«

»August,« wiederholte sie halblaut und sah ihm tief ins Auge. Dann lehnte sie ihre Stirne gegen die seinige. »August,« ich glaube, »mir hat es geahnt, daß es so kommen mußte, daß ich durch Sie vor dem Menschen Baker gerettet werden würde –«

Ein blendender Blitz, der für einen Augenblick Tageshelle in dem Zimmer schuf, ein Donnerschlag, der die Fenster klirren machte, schreckten Beide auseinander, und kaum war [] das letzte Rollen in den Bergen verhallt, als sich ein Geräusch, wie starkes Pochen gegen die Vorderthür des Hauses hören ließ. »Was ist das?« flüsterte Ellen ängstlich. Helmstedt horchte gespannt. Ein neues und lauteres Pochen wurde hörbar, dem in kurzer Zeit das Klappen einzelner Thüren im Hause folgte; Männerstimmen wurden in hastiger, eifriger Sprache laut. »Da ist etwas passirt, mag es sein, was es will, und ich muß hinaus auf irgend eine Art!« sagte Helmstedt leise, »ich muß bei der Hand sein, falls Mr. Elliot nach mir verlangt.« Er näherte sich dem Fenster. »Nicht da hinaus!« flehte Ellen, ihn festhaltend. »Aber das Haus ist wach,« flüsterte er zurück, »ich muß auf jedem andern Wege entdeckt werden und das hieße, unser junges Glück mit einem Schlage vernichten.«

In diesem Augenblicke fiel der Schein einer Laterne über den Platz hinter dem Hause und Dicks Stimme wurde vernehmbar: »Ich bin schon hier, Master!« Zugleich unterschied Helmstedt die Sprache dreier anderer Personen, welche eben um das Haus zu biegen schienen. »Das ist Pa!« flüsterte Ellen an seiner Seite. Sie eilte nach der Stubenthür und horchte, dann öffnete sie diese behutsam und sah hinaus. »Alles ist ruhig!« rief sie leise zurück. Helmstedt trat auf den Zehen heran – kein Laut war von Außen vernehmbar. »Gute Nacht, Ellen, träume von mir!« Einen Moment noch hing sie an seinem Halse, dann drängte sie ihn aus dem Zimmer.

Vorsichtig ging er einige Schritte, bis er das Treppengeländer fühlte und schlüpfte dann geräuschlos hinab. – –

Als Baker spät am Nachmittage das Riverhaus verlassen, hatte sich der Pedlar, der in der Ecke saß, in seiner vollen Höhe aufgerichtet und zeigte eine so kräftige Formung der Glieder, wie sie ihm bei seinem gewöhnlichen gebückten Gange Niemand angesehen hätte. Das alte Gesicht schien von einem erregenden Gedanken belebt und das Auge blitzte in vollem Feuer unter den buschigen Brauen hervor [] »Entweder jetzt oder niemals!« murmelte er, hob seinen Kasten auf und stellte ihn hinter den Ladentisch, ergriff seinen Stock und ging zur Thür hinaus. Mit weiten kräftigen Schritten verfolgte er dieselbe Straße, auf welcher Baker davon getrabt war; als sich diese aber im weiten Bogen links in die Ebene hineinzog, schlug er einen schmalen Waldweg zur Rechten ein und schritt hier, unbekümmert um die Unebenheiten und Hindernisse, die Wurzeln und umgestürzte Baumstämme boten, scharf darauf los. Nach einer Weile zog er, ohne seinen Gang zu unterbrechen, eine dicke silberne Uhr hervor – sie zeigte fast auf sechs. »Es wird zehn Uhr, ehe ich bis zu Mortons komme,« brummte er vor sich hin, »er geht aber auch dahin, ich kenne das Geschäft, was er noch abzumachen gedenkt; werde ich dort nicht aufgehalten, so kann das ganze Nest in Oaklea abgefangen werden, ehe die Vögel ausgeflogen sind und ich habe ihn endlich, wo ich ihn lange gewünscht!« Er schritt wie in erhöhter Aufregung rascher vorwärts. »Ich hätte früher kommen müssen, um genauere Kenntniß zu bekommen,« fuhr er nach einer Weile fort, aber der Mensch kann einmal nicht allgegenwärtig sein und ich glaube, ich werde alt. »Jetzt weiß ich nicht einmal die genaue Stunde – aber Cäsar wird wissen, wenn es losgehen soll!« Er schritt weiter, ohne rechts oder links zu sehen, dunkele Dämmerung fing an hereinzubrechen, der in schnellem Uebergange bald die Nacht folgte. Der Alte schien aber vollkommen mit seinem Wege vertraut zu sein und verfolgte ohne Stocken oder Zaudern die verschiedenen Windungen. So mochte er mehrere Stunden gegangen sein, als der Wald endete und in der Ebene vor ihm sich einzelne Lichter zeigten. Bald gelangte er zu einer Feldumzäunung; er überkletterte sie und sah nach kurzem Gange durch hochaufgeschossenes Unkraut die dunkeln Umrisse zerstreut liegender Negerhütten vor sich. Er war auf Mortons Besitzthum. »Guten Abend, Onkel; ist Cäsar zu Hause?« [] fragte er, als ein alter, eisgrauer Neger das Fenster aufschob.

»Er muß gleich wieder hier sein, Sir, er ist nur noch einmal nach dem Stalle, wir haben ein krankes Pferd,« war die Antwort, »wollen Sie nicht so lange hereinkommen?«

Der Pedlar hielt die Uhr gegen das herausscheinende Licht – es war zehn vorüber. Er sah einen Augenblick sinnend in die dunkeln Wolken. »Wenn sie noch in der Nacht den Fluß erreichen wollen,« brummte er, »so müssen sie spätestens um elf Uhr aufbrechen und ich kann mich hier nicht aufhalten. – Ich werde lieber selbst nach dem Stalle gehen!« fuhr er fort und wandte sich, durch die Dunkelheit seinen Weg suchend, Mortons Landhause zu. Er erreichte das weitläufige Stallgebäude, sah in alle Abtheilungen hinein, aber nirgends war ein Mensch zu sehen. »Jedenfalls auf dem Wege verfehlt!« brummte er wieder, »und ich weiß nicht einmal den Ort, wo sie sich treffen wollen; ich kann nicht allein gehen!« Er nahm in Hast seinen Weg wieder zurück nach den Negerhütten und eben als er das früher verlassene Haus erreichte, trat der Gesuchte aus der Thür. »Halloh, Cäsar, vorwärts, oder wir kommen zu spät!« Er zog von Neuem seine Uhr – es war fast halb elf. »Ich habe schon lange auf Sie gewartet, Sir!« sagte der Schwarze, »sie wollen um elf zusammen aufbrechen!«

»Dann los, was die Beine hergeben wollen,« rief der Pedlar, »ich mußte erst, der Gewißheit wegen, die ganze Schusterei aus dem Munde des Menschen selbst hören, und das hat mich aufgehalten!« Der Alte schritt durch die Felder, als hätten seine Beine doppelte Länge erhalten und Cäsar hatte Mühe, gleichen Schritt zu halten.

»Haben Sie etwas Neues gehört, Sir?« fragte der Schwarze.

»Lauf jetzt, und schwatze nicht,« erwiderte der Alte, »oder deine schöne Sarah geht auf Nimmerwiedersehen [] davon und wird durch die Spitzbuben nach den Zuckerplantagen in Louisiana verkauft. Weißt du den Ort genau, wo sie zusammentreffen wollen?«

»Yes, Sir!«

»Gut!«

Der Schwarze war fast außer Athem, als sie Elliots Haus durch die Dunkelheit schimmern sahen; der Pedlar aber schien trotz seines langen Marsches gegen jede Ermüdung gestählt zu sein; sein langer, gleichförmiger Schritt hatte noch keinen Zoll eingebüßt. Eben öffnete er das Gatterthor an dem Platze vor dem Hause, als ein blendender Blitz und ein krachender Donnerschlag eine Secunde lang seine Schritte hemmte. »Well, Cäsar, das wird sie wol aufwecken und uns langes Pochen ersparen!« sagte er, sich nach dem Schwarzen umsehend, »die Spitzbuben haben eine schlechte Nacht getroffen, denn bei dem einen Schusse wird es nicht bleiben.« Er wandte sich nach der Seite des Hauses und klopfte an Helmstedts Fenster – er klopfte zum zweiten Male, und stärker, als keine Antwort erfolgte, aber mit eben so wenig Erfolg. Kopfschüttelnd wandte er sich nach kurzem Zögern der Vorderthür zu und begann hier sein Pochen von Neuem.

Ein Fenster im obern Stocke öffnete sich: »Ist Jemand hier?« fragte Elliots Stimme.

»Isaac, Sir!« antwortete der Alte. »Kommen Sie herunter, der Wolf ist unter Ihren schwarzen Schafen – Sarah und ihre drei Brüder sind eben daran, auf und davon zu gehen!«

Elliot stieß einen unverständlichen Laut aus und verschwand vom Fenster. Nach kurzer Zeit erschien er, nothdürftig angekleidet, in der geöffneten Hausthür. »Ihr seid's, Isaac? wer ist auf und davon?«

»Sarah und ihre drei Brüder, Sir, doch wenn wir rasch sind, können wir sie sammt dem weißen Wolfe wol noch fassen.«

[] »'S ist aber doch fast unmöglich, Mann!« rief Elliot, wie in Verwirrung, »habt Ihr Euch nicht täuschen lassen? Sarah hat heute Abend erst Erlaubniß erhalten, zu einem Negerballe zu gehen.«

»Halt, Sir!« rief der Alte und faßte Elliots Arm, »hier heißt's handeln und sich nicht lange besinnen. Merken Sie auf: der Mann, der Ihre Schwarzen stiehlt, heißt Baker – ich bin seiner Fährte nachgegangen, so lange er hier in der Gegend ist, denn wo er hinkommt, läßt er Unheil zurück; ich habe ihn belauscht in seinem verborgenen Quartiere im Riverhause, konnte aber nur aus einzelnen Worten errathen, was er im Werke hatte; da half mir Cäsar hier zufällig auf die Spur, der in seiner Eifersucht bald ausgefunden hatte, wer ihm seine Sarah abwendig gemacht; – well, Sir, ich habe ihn angestellt, um unter den Schwarzen selbst dem Plan des Spitzbuben auf die Fährte zu kommen, fragen Sie ihn jetzt, was er weiß – ich habe erst vor ein paar Stunden genug aus dieses Mr. Bakers eigenem Munde gehört, um Ihnen zu sagen, daß jetzt, in diesem Augenblicke, Ihre Schwarzen entführt, nachher aber im Süden wieder verkauft werden sollen.«

»Baker?« sagte Elliot und fuhr mit der Hand nach dem Kopfe. »Baker?«

»Wenn Sie entschuldigen wollen, Master,« begann Cäsar unruhig, »Mr. Baker hat Sarah und die Andern wirklich um eilf Uhr in den Busch an das hintere Thorgatter bestellt; sie haben geglaubt, ich ginge auch mit – und es muß schon eilf vorbei sein!«

»Baker – wir werden sehen!« sagte Elliot, wie plötzlich zu einem Entschlusse gelangt. »Geh', Cäsar, und rufe Dick, er soll schnell kommen!« Dann trat er rasch vom Portico herunter und schritt nach der hintern Seite des Hauses. »Das Beste wird sein, wir ziehen die Pferde heraus; kommt her, Isaac!«

»Lassen Sie ruhig die Thiere, wo sie sind,« erwiderte [] der Pedlar, »die Spitzbuben haben jedenfalls den Waldweg eingeschlagen, wo Nachts kein Pferd sicher treten kann, und wenn wir ihnen auf der großen Straße auch zuvorkommen wollten, so kann doch bei dieser Finsterniß dort Niemand scharf reiten, ohne den Hals zu wagen.«

Eben erschien Dick mit der Laterne. »Lassen Sie uns den eigenen Füßen vertrauen, und ich führe Sie!« fuhr der Alte fort, »pochen Sie Helmstedt heraus und ziehen Sie dann rasch Ihre Stiefeln an, ich werde mit den beiden Schwarzen für alle Fälle Ihre Büchsen aus der Bibliothek holen und laden, und in fünf Minuten können wir auf dem Wege sein!«

»Ihr mögt Recht haben!« erwiderte Elliot, »besorgt das Nothwendige und ich werde mit Helmstedt sogleich wieder bei der Hand sein.« Er eilte nach dem Hause zurück – der Pedlar störte das Licht in der Laterne heller auf und folgte mit den Negern. Als sie die Halle erreicht und den Seitengang nach der Bibliothek einschlagen wollten, kam ihnen Elliot aus dem entgegengesetzten, der nach Helmstedts Zimmer führte, schon wieder entgegen. »Der Deutsche ist nicht da!« rief er, »sein Zimmer ist offen, aber sein Bett noch unberührt, leuchtet einen Augenblick mit der Laterne her!«

»Er muß noch irgendwo auswärts sein,« sagte Isaac, als sich das leere Zimmer zeigte und das Bett nur einen Eindruck von Elliots Hand verrieth, »ich pochte schon vorher vergebens an seine Fensterladen; aber lassen Sie uns nicht dabei aufhalten; es wäre gut, wenn er da wäre, es muß aber auch so gehen, vorwärts!«

Sie trennten sich in Eile, als aber der Schein der Laterne verschwunden war, kam Helmstedt hinter einem Tragepfeiler der Treppe hervor, wohin ihn bei seiner Flucht aus Ellens Zimmer Elliots Eintritt ins Haus getrieben hatte. Hastig trat er in seine Stube, suchte im Finstern Stiefel und Kopfbedeckung und machte sich dann durch die Hinterthür wieder ins Freie; er wollte sich, um jeden Verdacht [] zu vermeiden, den Anschein geben, als komme er wirklich erst nach Hause; eben setzte ein neuer Blitz den Himmel in Feuer, Donnerschlag auf Donnerschlag erfolgte und einzelne schwere Tropfen begannen zu fallen; – als er das Haus umschritten hatte, hörte er wieder Elliots Stimme und die möglichst unbefangene Miene annehmend, eilte er durch die offene Vorderthür ins Haus.

Siebentes Kapitel.
Eine Sklavenjagd.

Wenige Minuten darauf trat die Gesellschaft auf den Portico heraus – Dick beschäftigt, die Laterne an einen Stock zu binden.

»Einen Augenblick!« sagte Elliot zu dem Schwarzen. »Jetzt, da Mr. Helmstedt da ist, magst du hier bleiben, wenn du willst – ich mag dir nicht zumuthen, deine eigenen Kameraden jagen zu helfen. Ich würde sie ruhig laufen lassen und keinen Finger nach Ihnen strecken – das wäre ihre sicherste Strafe – wenn's mir nicht darum zu thun wäre, dem weißen Menschenräuber den Weg zu verlegen. Gib' die Laterne her!«

»Haben Sie keine Sorge um mich, Sir!« erwiderte Dick, den letzten Knoten festziehend. »Ich habe schon die ganze Zeit her gedacht, daß es bald ein paar schwarze Narren geben würde, seit der weiße Mann hier Abends hinter, den Zäunen herumschlich. Ich gehöre nicht zu der Sorte: 's thut kein weißer Mensch 'was umsonst für den weißen; möchte also wissen, warum er sich für den schwarzen aufopfern sollte!«

»Da ist wenigstens gesunder Verstand darin!« lachte Isaac; »nun aber keine Worte weiter verloren, wir haben ohnedies nur noch die Hoffnung, daß sie sich verspätet haben oder auf keine Verfolgung rechnen.«

[] Lang aufgerichtet und die Andern einen halben Kopf überragend, die Laterne an dem daran befestigten Stocke hoch haltend, schritt der Pedlar mit weiten Schritten den vier Männern durch die Dunkelheit voran. Es wurde die grade Richtung über die Felder und Einzäunungen hinweg bis zu dem Wege genommen, der an der Seite von Elliots Besitzungen hinlief und den Baker kaum eine Viertelstunde vorher verfolgt hatte.

»Jetzt müssen wir weiter ohne Licht, damit wir uns nicht verrathen,« sagte Isaac, als sie die letzte Einzäunung überstiegen hatten, und verbarg die Laterne unter seinem Rocke, »es können kaum noch dreihundert Yards von hier nach dem bezeichneten Platze sein. Vorwärts, aber so still als möglich!«

»Habt Ihr Recht in Bezug auf Baker, so kommt mir der Mensch nicht lebendig davon!« sprach Elliot halblaut, an die Seite des rasch dahinschreitenden Pedlars tretend. »Ich habe, so lange ich ein Mann bin, noch keinen solchen Fall gehabt, wie jetzt – nur im Süden von Georgia habe ich als junger Mensch erlebt, daß flüchtige Sklaven in die Sümpfe verfolgt und mit Hunden herausgehetzt wurden; das war damals eine Pflicht der Selbsterhaltung, denn ganze Banden davon, schlimmer als wilde Thiere, lebten in den Rohr-Dickichten versteckt. In unserer Gegend hier sind Sklaven-Entweichungen ein Unding gewesen und ich möchte lieber den doppelten Verlust auf einer andern Seite haben, als daß mir zuerst so Etwas passiren muß.«

»Sein Sie froh, Sir, daß Sie den Schaden nicht an Ihrem eigenen Fleisch und Blut zu bejammern haben, wie's noch viel leichter hätte kommen können!« erwiderte der Alte kurz und schritt schärfer vorwärts.

Sie waren nur noch ein kurzes Stück von dem Thorgatter entfernt, als ein neuer gewaltiger Blitz die ganze Gegend erhellte; zehnfacher betäubender Donner in immer sich erneuernden Schlägen folgte nach und zugleich stürzte, [] als wäre jetzt mit einem Male die Himmelsschleuse weit aufgezogen worden, der Regen in Fluten hernieder. »Halt!« sagte der Pedlar, »sie scheinen noch nicht weg zu sein, dort bäumte sich eben ein angebundenes Pferd, das durch den Blitz scheu gemacht war – ich will voran gehen und sehen wie es steht!« Er verschwand in der Finsterniß – die Uebrigen standen gespannt und bewegungslos, aber bald bis auf die Haut durchnäßt und triefend; Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag erfolgten, daß die Ohren dröhnten und Helmstedt zuletzt meinte, er müsse sein Gehör verloren haben; mit immer neuer Gewalt gossen die Wolken ihre Ströme nieder und schienen den Boden unter den Füßen der Wartenden wegzuwaschen. Fünf Minuten mochten vergangen sein, als ein plötzlicher Lichtschein die Gesichter erleuchtete; Isaac stand unter ihnen und hatte die Laterne frei gemacht. »Sie sind fort und haben das Pferd zurück gelassen,« sagte er, »hier ist ein kleines Bündel, das sie fünf Schritte davon verloren haben; sie sind quer durch den Busch nach der Waldstraße, aber ich weiß den Weg vielleicht noch besser, und der Regen ist gerade recht, um ihnen das schnelle Laufen zu vertreiben!«

»Los denn!« rief Elliot, »das Wetter wird nicht länger als eine Viertelstunde anhalten und Gewitterregen trocknet man am besten durch scharfe Bewegung!«

Der Pedlar voran, das wohlgeschützte Licht in seiner linken Hand, ging es durch Regen, Donner und Blitz vorwärts – nach wenigen Minuten durch nasses Unterholz, bis sich ein schmaler Waldweg aufthat. Der Alte schien eiserne Glieder zu haben. Mit immer gleich langen, eiligen Schritten verfolgte er den Weg und bog jedem Hinderniß bei Zeiten aus, daß die Nachfolgenden es bald am gerathensten fanden, sich dicht hinter ihm im Scheine der Laterne zu halten. Kein Wort wurde laut. Jeder hatte genug zu thun, sich vor dem Fallen auf dem schlüpfrigen Boden und vor Beschädigungen an den im Wege stehenden Bäumen[] zu schützen – und dazu schien der Gang des Führers immer schneller zu werden. Nach kaum fünfzehn Minuten hatte der Regen aufgehört, die Donner verhallten rollend in der Ferne und die Kleider der eiligen Fußgänger dampften in dem Scheine des vorangetragenen Lichtes. Helmstedt hatte bald vergessen, zu welchem Zwecke er jetzt vorwärts schritt, und wo er war; er fühlte nur, daß auch ohne sein Zuthun jede Gefahr durch Baker ein Ende hatte; vor ihm tauchten die Scenen wieder auf, die er eben durchlebt – Ellen in ihrer ganzen süßen Anmuth trat vor seine Seele, er durchlebte die mit ihr verbrachte halbe Stunde, Minute für Minute, noch einmal; er merkte nichts von der Länge des Weges, seine Beine thaten mechanisch ihre Schuldigkeit, und erst als plötzlich der ganze Zug stockte, fuhr er aus seinen Träumereien auf. »Sie müssen kurz vor uns sein!« sagte Isaac, der seinen Gang gehemmt hatte, in sichtbarer Aufregung, »hören Sie!« Ein Knacken wie von dürrem Holze wurde in einzelnen Zwischenräumen hörbar. »Sie sind über den alten Bretterdamm gegangen, das ist kaum noch drei Meilen vom Flusse – jetzt scharf drauf und wir haben sie – der Weg durch den Wald wird bald zu Ende sein.«

Schweigend, aber in vermehrter Hast ging es weiter. Die Wolken hatten sich verzogen und in wunderbarer Klarheit blitzten die Sterne am dunkeln Himmel. Als der Pfad sich dem Ausgang des Waldes näherte, löschte der Pedlar ohne seinen Schritt anzuhalten, die Laterne. »Das Ding blendet jetzt mehr, als es hilft!« sagte er. Ein paar Minuten währte es, ehe sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bald aber ließen sich in dem matten Sternenlichte die einzelnen Formationen der freien Ebene unterscheiden.

»Dort sind sie, soll mir Gott helfen!« rief plötzlich der Alte und zeigte mit dem Finger vorwärts, »dort,« fuhr er fort, als Elliot an seine Seite sprang, »gerade herüber von der Waldecke!« [] Auf der chaussirten Hauptstraße, die sich wie ein helles Band aus der Dunkelheit hervorhob, ließen sich mehrere dunkle, davoneilende Schatten wahrnehmen. »Der Halunke scheint seiner Sache schon so gewiß zu sein, daß er nicht einmal mehr einen Nebenweg wählt!« rief Elliot, »können wir sie nicht abschneiden?«

»'S ist dies ein Stück der Hauptstraße, was sie passiren müssen,« erwiderte Isaac, »dort unten nach dem Riverhause zu geht's wieder ins Dickicht – aber ich denke, unser Weg soll noch kürzer werden. Folgen Sie dicht hinter mir!« Er bog links ab, überkletterte eine Einzäunung und durch die Stoppeln eines Maisfeldes schritt er, den Uebrigen voran, wieder dem Gebüsche zu. Ein schmaler Pfad, in der Nacht nur dem geübten Auge erkennbar, öffnete sich nach kurzer Zeit und der Wald nahm die Männer wieder auf. Der Boden war hier dick mit abgefallenem Laube bedeckt, die Schritte wurden leichter und rascher, aber oft schien es, als nehme der Führer seinen Weg mitten durch das Unterholz, und einer mußte dicht hinter den Andern bleiben, um sich vor den zusammenschlagenden Zweigen zu schützen und nicht in der Dunkelheit von einander getrennt zu werden. »Seid Ihr recht, Isaac?« fragte Elliot nach einer Weile.

»Ohne Sorge, Sir!« erwiderte dieser, »wenn der Pedlar, der das ganze Jahr durch die Gegend streift, seinen Weg nicht kennen soll, dann weiß ich nicht, wer außerdem.«

Eine Viertelstunde war im scharfen Schritte verflossen, als sich aus der Ferne ein Brausen wie das eines Wasserfalles hörbar machte, auf Augenblicke wieder schwieg und dann von Neuem begann.

»Was ist das, hört Ihr nichts, Isaac?« fragte Elliot stutzend.

»Nur jetzt nicht angehalten Sir!« entgegnete der Pedlar, seine Schritte noch mehr beeilend, »'s ist das Dampfboot, das im Flusse auf die Spitzbuben wartet; jetzt kommt es [] darauf an, welche Partei zuerst das Ufer erreicht – wer von uns die Büchsen hat, mag neue Zündhütchen aufstecken, im Falle sie naß geworden sein sollten!«

Vorwärts ging es, so schnell es die Hindernisse des Weges erlauben wollten, nach einigen Minuten lief der Pfad in die Straße nahe dem Riverhause aus; ohne aber nur einen Blick um sich zu werfen, schlug der Pedlar den von hier aus nach dem Flusse führenden Weg ein; seine Schritte schienen mit Hilfe seines Stockes halbe Sprünge zu werden, daß die Nachfolgenden trotz Spannung und Erwartung kaum nachzufolgen vermochten und nur in Elliot schienen durch die nahe Entscheidung frische Kräfte erwacht zu sein. Das Brausen des Dampfbootes trat mit jedem Schritte deutlicher hervor – »wir schneiden sie ab, nur rasch!« rief Isaac an der Spitze des Zuges; da klang vom Flusse ein Geräusch herüber, wie das Fallen schwerer Gegenstände auf einen hohlen Boden, das bisherige Brausen erstarb plötzlich – die letzte Wendung des Weges lag vor den Verfolgern und kaum zwanzig Schritte davon zeigte sich hell der freie Himmel über dem Flusse, von den ersten Lichtblicken des aufgehenden Mondes beschienen; in wenigen Secunden war die kurze Strecke zurückgelegt – in demselben Augenblicke aber, in welchem Isaac das hohe Ufer erreichte, stieß auch unten das Boot vom Lande und ging mit voller Dampfkraft den Fluß hinab.

»God –!« rief Elliot im vollen Ausbruche der Enttäuschung und starrte dem davon eilenden Boote nach, »da geht's hin – und bei meiner Seligkeit, dort sieht eins von den schwarzen Gesichtern über das Deck.« Isaac stand eine Minute wie zu Stein geworden; dann stützte er sich auf seinen Stock und sank langsam, als verlasse ihn alle Kraft, in sich zusammen. »Wirklich zu spät!« sagte er, »ich hörte die Davonläufer auf die Platform hinunterspringen, aber ich wollte mir selbst nicht glauben – und fort ist der weiße Teufel mit ihnen.« – Die Schwarzen sahen mit[] einem Ausdruck von halber Verblüfftheit dem entschlüpfenden Fahrzeug nach und nur Helmstedt, den das Bild des dunklen Flusses überraschte, wie er sich hier zwischen der wildromantischen Bergformation hinwand, hatte einen Blick für die übrige Gegend. »Ich weiß nicht, ob es etwas nützen kann,« sagte er nach augenblicklicher Pause, »aber dort scheint ein anderes Boot den Fluß herunter zu kommen!«

Elliot fuhr in die Höhe. »Halloh, das gäbe noch die einzige Möglichkeit eines Erfolges!« rief er und blickte stromaufwärts, wo eine doppelte Rauchwolke sich in dem Mondlicht abzeichnete und rasch heranzog, »bei Gott, das ist einer unserer größeren Dampfer, das gibt Hoffnung; es soll mir kein Betrag zu hoch sein, wenn ich nur dadurch dem Schufte aus Genick kommen und ihm seinen Streich wett machen kann. Brennt die Laterne an, Isaac, rasch, daß wir signalisiren können, der Mond läßt den Fluß unten noch in vollem Dunkel.«

»Aller Augen hatten sich dem herankommenden Dampfboote zugewandt – das andere war bereits in der nächsten Flußbiegung verschwunden«; Isaac zog ein Taschenfeuerzeug hervor und bald brannte das Licht. »Ich glaube kaum, Sir, daß wir viel ausrichten werden,« sagte er, »und von der Energie, welche sich bis jetzt in seinem ganzen Wesen ausgedrückt, war kein Schatten mehr in seiner Stimme hörbar, ich glaube, wir sollen den Menschen nicht haben, sonst wäre ich trotz aller Mühe und Umsicht heute nicht überall zu spät gekommen – zu spät im Riverhause, um den ganzen Plan zu belauschen; zu spät zu Cäsar, der auf mich wartete; zu spät, um dem Spitzbuben die Flucht in Oaklea abzuschneiden; zu spät hier – ich gebe etwas auf solche Zeichen, Sir!«

»Nach dem Ufer hinunter und seid kein Narr, Isaac, dort kommt das Dampfboot!« rief Elliot und schritt rasch den Weg nach dem Landungsplatze hinab – die Uebrigen [] folgten, die Laterne wurde geschwungen und das Arbeiten der Maschine in dem Boote hörte auf; langsam trieb es der Platform zu, auf welcher die Wartenden standen; das Brett, welches als Brücke diente, fiel ans Ufer und die fünf Männer sprangen hinüber.

»Wo ist der Capitain?« rief Elliot, als er den ersten Fuß auf das Fahrzeug gesetzt.

»Wenn er nicht schon schläft, wird er im Bar-Room sein,« war die Antwort eines der Arbeiter, »gleich dort links im untern Deck.«

»Bleibt hier, bis ich wiederkomme!« winkte der Erstere seiner Begleitung zu und verschwand in der Dunkelheit des Raumes.

Die Maschine hatte ihre Arbeiten auf's Neue begonnen und das Boot schwamm in seiner gewöhnlichen Schnelligkeit den Fluß hinab. Wenige Minuten waren indessen verflossen, als Elliot wieder hörbar wurde. »Sie wissen, wer ich bin, Capitain, und ich stehe mit Allem, was ich habe, für jede Unannehmlichkeit ein!«

»Es wäre Alles recht, Sir,« erwiderte eine zweite Stimme, »ich kenne das Boot vom Mississippi her, 's ist in allen Flüssen zu Hause, wo's einen Schurkenstreich gilt, und ich würde Ihnen gern die Hand zur Hilfe reichen – Sie haben aber weder einen Marschall noch irgend eine andere obrigkeitliche Person bei sich; wie und mit welchem Rechte wollen Sie das Boot zum Beilegen zwingen?«

»Well, Sir, wir nehmen es einfach mit dem Rechte des Bestohlenen; ich und meine Leute sind zusammen fünf bewaffnete Männer, und daß Ihre Deckarbeiter mit voller Seele dabei sind, dafür lassen Sie mich sorgen.«

»Und nachher lassen wir uns den Prozeß wegen Flußräuberei machen!«

»Unsinn!« ließ sich Elliots ungeduldige Stimme hören, »glauben Sie im ganzen Süden von Amerika eine Jury von zwölf Männern zusammen zu bekommen, die Jemand [] verurtheilen würde, der sich mit Gewalt wieder in den Besitz seiner gestohlenen Neger setzt? 's ist jetzt der erste derartige Fall in unserer Gegend und ich sage Ihnen, unsere sämmtlichen Pflanzer hier werden, wenn Sie jetzt energisch einschreiten, Ihnen so volle Anerkennung aussprechen, daß! Sie damit zu frieden sein sollen – das Interesse jedes Einzelnen ist mit diesem ersten Fall verbunden.«

»Well, Sir, lassen Sie mich zu den Passagieren sprechen, die noch wach sind.«

Elliot maß mit raschen Schritten den Raum vor der Bar-Zimmerthür, durch welche der Capitain verschwunden war, er hatte aber nicht lange zu warten. Die Thür flog auf und laute Ausrufe klangen heraus: »Los, Cap'tn, Sie verdienten ein nördliches Canalboot zu führen, wenn Sie sich nur einen Augenblick noch bedenken wollten.« – »Halloh, wo ist der Gentleman? wir hängen den weißen Halunken auf, wenn wir ihn fassen und ich will meinen Theil mit für den Schaden stehen!« – »Drauf, es gibt doch wenigstens einmal eine Aufregung auf euren langweiligen Hinterwaldsflüssen!« rief eine dritte Stimme. Fünf bis sechs Männer in sichtlich erregter Stimmung traten hinter dem Capitain in das Zwischendeck heraus, in dessen Hintergrund, von dem Feuerscheine des Maschinenraumes bestrahlt, sich bereits eine Anzahl Deckarbeiter versammelt hatte. »Well, Jungens, es gibt noch Nachtarbeit,« sagte der Capitain, »ich stehe euch aber für eine gute Extrabezahlung. 'S ist ein fremdes Boot kurz vor uns, das Kidnappers mit ihrem Raube an Bord hat – wir müssen es abfangen und es ist möglich, daß die Jagd eine ernstliche Wendung nimmt. Ich will Keinem befehlen, sich weiter zu betheiligen, als es der Dienst auf dem Boote verlangt – wer aber freiwillig die Sache mit durchfechten will, wenn es so weit kommen sollte, der mag es thun und einer anständigen Belohnung sicher sein. – Keinen Spectakel jetzt!« fuhr er mit der Hand winkend fort, als er in den Gesichtern der [] Arbeiter den Ansatz zu einem kräftigen Hurrah sah; »es ist nicht nothwendig, daß irgend Jemand von den Passagieren aus dem Schlafe gestört wird – George hält genaue Wache am Sicherheitsventil, und jetzt scharfes Feuer unter die Kessel!«

Zehn Hände faßten auf einmal in die aufgeschichteten Holzscheite, bald war der Feuerraum nur eine lohende Flamme, die Maschine begann hastiger zu arbeiten und in Kurzem durchschnitt das Boot, das Wasser vor sich her werfend, in verdoppelter Schnelligkeit den Fluß.

Elliot, seine Begleiter und die übrige Gesellschaft hatten sich nach dem freien Raum auf dem obern Deck begeben, der Mond war höher getreten und warf sein Licht schon in den Fluß, und jedes Auge spähte gierig nach dem verfolgten Fahrzeuge aus, aber eine Viertelstunde verging, ohne daß sich dem schärfsten Blicke eine Spur davon zeigen wollte.

»Wie lange hatte das Boot das Land verlassen, als Sie uns anriefen?« fragte der neben Elliot stehende Capitain.

»Kaum fünf Minuten, Sir! Ich vermuthe aber, sie gehen mit so vieler Dampfkraft, als nur möglich, um schnell aus der hiesigen Gegend zu kommen!«

»Scharfes Feuer!« rief der Capitain in den Raum hinunter, »so viel als der Kessel aushalten kann, dünneres Holz genommen und fleißig nachgelegt!«

Die Maschine begann zu keuchen, das Wasser flog von den Rädern zu Schaum gepeitscht und das Boot schoß in wunderbarer Schnelle vorwärts. – Isaac lehnte gebückt, beide Hände vor sich auf seinen Stock gestützt, an der Kajütenwand und hielt die zusammengezogenen Augen starr in die Ferne gerichtet; jetzt bog der Dampfer um einen hervorspringenden Berg des Ufers und zum ersten Male gab es eine freie Aussicht den Fluß hinauf. –

In geraumer Entfernung zeigte sich jetzt die langgezogene Rauchwolke des verfolgten Schiffes, und einzelne Ausrufe [] der Befriedigung deuteten die Spannung an, mit welcher Jeder an der Verfolgung Theil nahm. »Sie müssen gehörig gefeuert haben, sonst hätten wir sie schon am Kragen,« sagte der Capitain, ein kleines Fernrohr ans Auge setzend; »jetzt scheinen sie, nach dem schwachen Rauche zu urtheilen, in aller Gemüthsruhe weiter zu gehen.«

Eine lange Pause, nur unterbrochen durch das Geräusch der arbeitenden Maschine und das Brausen der Räder, erfolgte; alle Blicke hingen an dem Boote vor ihnen, dessen Formen deutlich hervortraten.

»In zehn Minuten haben wir sie, wenn sie nicht Unrath merken,« sagte der Capitain, »die Entfernung erschien durch das falsche Licht größer, als sie wirklich war.«

»Ich glaube kaum, daß sie eine Verfolgung fürchten,« erwiderte Elliot, »sie können kaum vermuthen, daß ihre Flucht schon entdeckt sei.«

»Wenn uns das schwarze Gesicht nicht erkannt hat, das gerade bei der Abfahrt aus dem Boote sah – wir standen im besten Lichte;« ließ sich jetzt Isaacs Stimme vernehmen. »Sehen Sie die Rauchwolken, Sir, ob die Menschen dort nicht riechen, was hinter ihnen herkommt!«

»'S ist so, sie fangen an zu feuern,« sagte der Capitain beobachtend, »aber viel soll es ihnen nicht helfen. Wir sind ihnen auf dem Nacken, unsere Kessel sind neu und haben schon einen andern Druck ausgehalten. Theer ins Feuer, wenns das Holz nicht mehr thun will!« rief er nach dem Raume hinunter, »aber scharf auf den Regulator am Kessel gemerkt!«

Der Dampfer schien bald durch das Wasser zu fliegen und die Entfernung zwischen beiden Fahrzeugen nahm sichtlich ab – es ließ sich fast berechnen, wann das vordere Boot erreicht sein würde – da machte dieses eine plötzliche Wendung und steuerte dem Ufer zu; ein Brett fiel auf's Land und hinüber huschten mehrere Gestalten – beide Dampfer waren sich schon so nahe, daß jeder einzelne Vorgang [] erkennbar war. »Da gehen sie hin,« sagte Isaac, »ich wußte, es sollte nicht sein.«

»Hölle und Teufel!« schrie Elliot, »legen Sie an, Capitain; so weit gegangen, lasse ich die Sache jetzt nicht stecken.«

»'S ist Unsinn, Sir,« warf Isaac ruhig ein, »ehe wir ans Land kommen, sind sie schon über den Berg weg, und dann suchen Sie bei Nacht in einem unbekannten Walde!«

»Es thut mir leid, aber der Mann hat Recht!« sagte der Capitain, »sicherlich haben die Halunken Wind bekommen, daß ihnen nachgesetzt wird, und werden jedenfalls jetzt ihre Wege zu Land kennen. Es war eine vergebliche Anstrengung – da schwimmt das verteufelte Ding wieder so langsam und unschuldig, als hätte es noch nichts anderes als reguläre Geschäfte gerochen. Wir sind nicht weit von Ditto's, gehen Sie bis dahin mit, Sir, und erlassen Sie gleich Anzeigen in den Zeitungen – dort finden Sie auch schnell eine Gelegenheit zur Rückfahrt – jetzt läßt sich an der Sache doch nichts ändern.« Er ging nach dem Steuerhäuschen und bald erklang das Zeichen zum Nachlassen der Dampfkraft.

»Verdammt pfiffige Spitzbuben! 's ist jammerschade, daß die Geschichte so schnell zu Ende ging!« sagte einer aus der das Vorderdeck einnehmenden Gesellschaft, »jetzt, Gentlemen, sucht man aber wol am Besten das Bett!«

Elliot hielt noch immer die Blicke auf den Punkt geheftet, wo die entflohenen Sklaven ans Land gesprungen waren, und erst nach einer Weile drehte er sich langsam um. »Wir wollen hineingehen und einen Platz zum Ausruhen suchen;« sagte er, »ich hätte mir nichts aus dem Verlust der Schwarzen gemacht, die noch erkennen werden, wo ihre beste Heimat war, wenn ich nur den weißen Schurken, der nahe daran war mir Haus und Familie zu entehren, hätte fassen können.«

»'S hat nicht sein sollen; warum, kann ich freilich nicht [] erkennen!« brummte Isaac und schritt langsam nach der Kajutenthür, als fühle er erst jetzt die volle Abspannung nach den Anstrengungen des Tages.

Das Deck war leer und gemächlich zog der Dampfer seine Furchen weiter durch das mondbeglänzte Wasser.

Achtes Kapitel.
Ein Mord.

– – Es war am Morgen gegen acht Uhr, als Elliot mit seinen Begleitern bereits wieder bei der Landung am Riverhause das Ufer hinaufstieg. Bald nachdem sie in der Nacht »Ditto's« erreicht hatten, war ein kleiner Dampfer den Fluß herausgekommen und Elliot hatte die Gelegenheit zur Heimfahrt ohne Zaudern ergriffen. Der Morgen war klar und erfrischend, aber über den Rückkehrenden schien ein Nebel von Erschlaffung und getäuschter Hoffnung zu liegen; kein Wort war beim Betreten des Landes laut geworden, langsam wurde das Ufer erstiegen und nur Helmstedt schien einen Theil seiner Spannkraft behalten zu haben – den Andern voraus hatte er die Höhe erreicht, in seinem Herzen war goldiger Morgen wie rings um ihn, er sehnte sich, nach Hause zu kommen, um in Ellens hellen Augen die Bestätigung seines nächtlich errungenen Glückes zu lesen.

»Wir wollen sehen, daß wir im Riverhause ein Frühstück und einen Wagen zum Heimfahren bekommen,« begann Elliot, als sie den Wald betreten hatten, »das Stück Arbeit hat mich wirklich müde gemacht. Ihr, Isaac, thut mir nachher den Gefallen, und begleitet mich nach Oaklea, damit Ihr mir, wenn sich noch irgend ein Umstand vorfinden sollte, für die Zukunft als Zeuge dienen könnt; ich will die Sache gegen den Menschen so weit verfolgen, als ich kann.«

»'S ist schon recht, Sir!« erwiderte Isaac, der mit gesenktem Kopfe, wie vollständig ermattet, hinter den Uebrigen herging.

[] »Du, Cäsar, fährst mit nach Oaklea,« fuhr Elliot fort, »ich will dir dort ein paar Zeilen für deinen Herrn geben, falls er dich vermißt haben sollte.«

Helmstedt war an des Pedlars Seite getreten. »Sind Sie krank oder nur übermüdet?« fragte er, »Sie sehen schlecht aus, Isaac.«

»Wenn man alt wird, so wirkt ein einzelner Fehlschlag mehr, als zehn Jahre verlorner Arbeit in der Jugend,« erwiderte dieser eintönig. »Dem Alter fehlt die Zeit und das Vertrauen, um wieder von vorn anzufangen – was verloren ist, bleibt verloren!«

Helmstedt sah ihm einen Augenblick in das abgespannte, hagere Gesicht. »Ich verstehe Sie nicht ganz,« sagte er dann. »Daß Baker und die Schwarzen zum Kuckuk sind, ist doch kein solcher Fehlschlag für Sie, daß er Ihnen mit einem Male alle Kraft und alle Energie nehmen kann?«

Der Alte zuckte die Achseln. »Meinen Sie wirklich, es läuft in Amerika Einer vierzig Meilen, wie ich gestern, Alles zusammengerechnet, blos um einen Andern vor Schaden zu bewahren, der nicht einmal groß dafür dankt?«

»Sprechen Sie sich aus, wenn ich's wissen darf,« sagte Helmstedt, als Jener schweigend weiter schritt, »'s ist besser, als wenn Sie Ihren Aerger auf diese Weise in sich zehren lassen, und es thut mir leid, Sie so mitgenommen und niedergedrückt zu sehen.«

»Glaub's schon, daß Ihr Herz gut ist,« erwiderte der Alte, angeregter als zuvor, »'s ist kein Geheimniß, das ich verbergen müßte, und vielleicht thut's mir auch gut, einmal gegen Jemand zu reden, aber dazu ist es jetzt der Platz nicht. Ein andermal vielleicht.«

Sie gingen wieder schweigend weiter, bis das Riverhaus erreicht war. Auf Elliots Anfrage, versprach der Wirth die Gesellschaft nach Oaklea fahren zu lassen, sobald der Schwarze, der mit den Pferden Holz hole, zurück sei. Ein derbes Frühstück im Hinterwaldsstile ward hergerichtet, [] die beiden Schwarzen suchten die Küche und nach kurzer Zeit saßen die drei Uebrigen, auf die rückkehrenden Pferde wartend, vor dem Kaminfeuer, so bequem, als es sich auf den hölzernen Stühlen thun ließ. Auf Elliot schien die Wärme schnell ihren Einfluß auszuüben, er zog seinen Stuhl nach einem Tische in der Ecke neben dem Kamin zurück, stützte den Kopf auf und war bald eingeschlafen. Die anderen Beiden starrten wortlos ins Feuer, Jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.

»Halloh, Isaac!« begann endlich Helmstedt auffahrend, »seien Sie munter, das Hinbrüten hilft zu nichts, als daß Sie sich noch in schlimmere Stimmung bringen, die am Ende nicht einmal so viel Grund hat, als Sie denken.«

Der Pedlar setzte sich langsam aufrecht und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich dachte eben an vergangene Zeiten,« sagte er, »und wie der Mensch mit allem Verstande und aller Mühe doch so wenig an dem ändern kann, was sein soll; eigentlich sind wir doch nur, wie alles Andere, was geschaffen ist, bloße Zahlen, aus denen das große Welt-Rechenexempel gemacht wird. Ich habe Ihnen einmal von meinem Schwager erzählt, der durch seine Handelsverbindungen mit dem Süden zu Grunde ging – well, Sir, der Schwager war ich selber. Bankerott werden ist aber schon mehr Leuten passirt und eben keine große Schande in Amerika – also fing ich auch an, mich wieder auf die Beine zu stellen, so gut es gehen wollte, und war nur froh, daß ich keinen Weiberjammer bei dem Unglücke zu hören hatte. Meine Frau war schon manches Jahr todt, und meine Tochter Esther war ein Mädchen, wie sie nicht alle Tage geboren wird – schön, wie ihre Mutter gewesen, und mit einem Willen so stark, daß sie sich die Augen für unsern Unterhalt blind gearbeitet hätte, wenn's nöthig gewesen wäre, ohne eine trübe Miene zu ziehen. – Es fing schon an mir wieder besser zu gehen, ich hatte Credit für die kleinen Geschäfte, die ich machte, da kam eines Tages [] ein seiner Herr in mein Haus und verlangte eine genaue Aufstellung von dem, was ich bei dem Bankerott eines der südlichen Häuser verloren hatte. Er stellte sich als Partner des gebrochenen Geschäftes vor, bedauerte das Unglück, in das ich gerathen, aber versicherte mir, daß er Alles aufbieten würde, damit ich, als Hauptgläubiger, wieder zu meinem Gelde komme; er erzählte, es wären noch Mittel genug da und nur durch die Schuld des andern Theilnehmers sei das Geschäft so in Unordnung gerathen, daß die Zahlungseinstellung habe erfolgen müssen. – Ich hatte keinen Verdacht gegen den Mann, was konnte er bei mir suchen? Geld hatte ich doch nicht mehr, um das er mich hätte betrügen können, und daß er wirklich einer von den Eigenthümern des gebrochenen Hauses sei, sagten mir andere Geschäftsfreunde, die ihn früher gesehen. So dachte ich auch nichts dabei, als er öfter vorsprach, dankte ihm noch in meinem Herzen, als er meine Esther dann und wann zu Vergnügungen führte, die sie lange hatte entbehren müssen, und vermuthete auch nichts, als er endlich in langer Zeit nicht kam. Esther wurde still und verlor ihre frische rothe Farbe, aber ich hielt es, da sie nicht klagte, für nichts von Bedeutung und achtete in meinen Geschäftssorgen nicht weiter darauf. Aber ich sollte schrecklich aus meinem Schlafe geweckt werden. Den einen Morgen ist Esther nicht da, aber ein Brief von ihr liegt auf meinem Tische – darin steht, daß sie von dem Manne bethört, verführt und verlassen worden, daß sie so weit sei, ihre Schande nicht mehr verbergen zu können und lieber den Tod suchen, als ein entehrtes Leben führen wolle. Ein paar Stunden darauf hatten sie ihre Leiche im North-River aufgefischt.«

Isaac hatte den Kopf vor sich in die hohle Hand gestützt und schwieg eine Weile. »Ich bin nach dieser Zeit lange am Nervenfieber krank gewesen und ins Hospital geschafft worden,« fuhr er dann langsam fort, »und fremde Leute hatten sich meines Schwestersohnes, der bei mir lebte, angenommen. [] Als ich wieder gesund wurde, war mein Geschäft ruinirt, was ich an Waaren gehabt, war gerichtlich verkauft, um fällige Noten zu decken, und mein Store war in anderen Händen. Es war fast nichts, was ich wiederfand – der Mensch aus dem Süden hatte mich um Alles gebracht, um Vermögen, Geschäft und um mein einziges Kind. – Als mir das mit einem Male klar vor der Seele stand, war mir's als dürfte ich nichts weiter thun, als das ganze Land durchsuchen, bis ich ihn gefunden, ihm die Kehle zugedrosselt und den Kopf zertreten hätte. Aber die Sorge für das tägliche Brod vertrieb mir vorläufig die Gedanken daran. Damals« – fuhr Isaac leiser mit einem prüfenden Blicke auf den schlafenden Elliot fort – »damals war es, wo die ungeheuren Verluste im Süden mehrere von den großen New-Yorker Häusern auf den Gedanken brachten, eine Beaufsichtigung durch alle südlichen und südwestlichen Staaten einzurichten, und als ich die Runde bei meinen frühern reichen Geschäftsfreunden machte, um zuzusehen, welche Aussichten ich noch habe, um meinen Lebensunterhalt erwerben zu können, wurden mir von diesen Anträge gestellt, die mir erschienen, als gebe der Herrgott selber das Strafamt gegen die Sorte von Leuten, durch die ich Alles verloren, in meine Hand. Ich erfuhr bei der Gelegenheit, daß der Mann, der mich bis aufs Letzte zu Grunde gerichtet, sich oft in New-York aufhalte, – aber ich hatte jetzt meine Mordgedanken gegen ihn aufgegeben, er sollte sich, damit meine Hände und das Werk, das mir anvertraut wurde, rein blieben, in den Schlingen seiner eigenen Thaten fangen; ich wollte warten, und mir war es, als müßte die Zeit kommen, wo ich lieber die Schlinge um seinen Hals zuziehen würde. Und dieser Mann, Sir, von dem ich gesprochen, war Baker. – Ich habe gewartet, lange gewartet, aber mein Auge nie ganz von ihm gelassen, ich traf ihn bisweilen in New-York, bisweilen anderwärts; er sah über mich weg, wenn er mir begegnete, als habe er mich nie [] gekannt – da fand er sich mit einem Male hier in der Gegend ein, zu der Zeit, als ich meine vierteljährliche Reise hier durchmachte, um zu beobachten und andere Geschäfte für meine New-Yorker Freunde zum ordnen; er trieb sich hier in den Familien umher, als sehe er nach irgend einem Opfer zu einer neuen Schurkerei aus, und mir wurde es, als müßte jetzt die Zeit der Abrechnung mit ihm gekommen sein! Ich blieb. Der Pedlar verkehrt mit den Dienstleuten wie mit den Herrschaften, und Verhältnisse, die in den Parlors oft als tiefes Geheimniß gelten, kann einer leicht in den Dienstbotenzimmern erfahren, wenn er dort zu Hause ist. Das war der Weg, auf dem ich mir immer die Kenntniß von Umständen und Dingen verschaffte, die ich nothwendig hatte, und so konnte ich auch Bakers Thun auf Schritt und Tritt verfolgen. Ich erfuhr, ich erlauschte Manches, aber ich durfte nicht reden, wenn ich nicht seine Opfer ohne Nutzen zu Grunde richten wollte – nichts davon gab noch die rechte Schlinge für ihn ab. Erst als ich unter Elliots Schwarzen seinen Namen auffing, als einer und der Andere Bescheid über das Leben der Schwarzen im Norden von mir verlangte, da erst merkte ich, daß meine Zeit herankam; ich bin ihm nachgegangen Tag und Nacht, ich habe ihn behorcht, wo er sich am sichersten glaubte – ich hätte ihn verrathen können vorzeitig, aber ich wollte ihn bei der That erwischen, wollte ihm selber den Strick um den Hals werfen, ich fühlte, daß er in meine Gewalt gegeben war und daß, wenn er jetzt entschlüpfte, die Gelegenheit niemals so wiederkommen werde – well, Sir, ich habe umsonst geduldig gewartet, habe umsonst meinen ganzen Witz angewandt, als es Zeit war – er ist fort und wird nach dem Streiche niemals den Süden wieder betreten; ich bin mit meinem Glauben zum alten Narren geworden und der Schimpf an meinem Kinde bleibt ungesühnt!« Der Pedlar schwieg und sah starr ins Feuer vor sich.

»Ich hatte niemals so ein Schicksal in Ihrem Leben[] vermuthet,« sagte Helmstedt nach einer Pause, »aber nehmen Sie den einzelnen Fehlschlag nicht so schwer Isaac, 's ist noch nicht aller Tage Abend und noch selten ist ein Spitzbube dem Galgen entlaufen. Wer weiß, welche Genugthuung Ihnen noch vorbehalten ist!« Der Alte schüttelte nur schweigend den Kopf und versank in stilles Hinbrüten.

Eine lautlose Viertelstunde verstrich, bis endlich der erwartete Schwarze mit seiner Ladung Holz ankam und die Pferde vor den viereckigen Familienwagen des Wirthes spannte, und nach kurzem Aufenthalt rollten die Männer Oaklea zu. Elliot schien durch die Bewegung des Wagens in einen Halbschlummer zu verfallen, der Pedlar sah schweigend in die Gegend hinaus und vor Helmstedts Seele trieben sich bald Bilder aus Isaacs Erzählungen herum, bald trat Ellen vor sein innerstes Auge, und bunte Vorstellungen von der Gestaltung seines künftigen Lebens in Elliots Hause durchkreuzten ihn. Nur die Schwarzen auf dem vordersten Sitze des Wagens ließen ihr halbgeflüstertes Gespräch nicht ausgehen, so lange die Fahrt währte.

»Ich möchte wol, daß wir unseren Weg gleich hinüber nach dem hintern Thorgatter nähmen und den Platz dort besichtigten; das zurückgelassene Pferd wird auch noch dort sein, wenn es sich nicht abgerissen hat –« begann Elliot, als der Wagen fast in der Höhe von Oaklea war; – »wenn wir hier absteigen, haben wir nur ein paar Minuten durch den Wald zu gehen.«

»Wie Sie wollen, Sir!« erwiderte der Pedlar und die Gesellschaft stieg aus; Elliot schickte den schwarzen Kutscher mit dem Fuhrwerke wieder zurück, die Uebrigen durchschritten den Wald, bis sie den Pfad erreichten, auf dem sie in der Nacht die Flüchtlinge verfolgt, und bald hatten sie die erste Einzäunung der Pflanzung im Gesichte.

»Dort steht das Pferd und hängt den Kopf,« rief Dick, der seitwärts den Andern vorangegangen war, »es scheint jämmerlichen Durst zu haben.«

[] Elliot schritt rasch vorwärts, bis er das Thorgatter erreicht hatte und ließ hier den prüfenden Blick umherlaufen; aber da war nichts, was nur die geringste Aufmerksamkeit erregt hätte und eben kletterte er an der Umzäunung in die Höhe, um sie zu übersteigen, als er wie von einem Schlage getroffen inne hielt. »Um Gottes willen hierher!« rief er den Nachfolgenden zu, »da – da liegt er!«

Helmstedt war, von dem Tone des Ausrufs erschreckt, mit zwei Sprüngen herbeigeeilt und folgte dem Pflanzer über die Umzäunung, welche dieser langsam hinabstieg.

In dem vergilbten Grase lag ein menschlicher Körper hingestreckt, dessen Wäsche und Kleider wie in Blut getaucht schienen. Das Gesicht war nach oben gekehrt und eine blaue Spur, wie von einem schweren Schlage zeigte sich auf der Stirn. Helmstedt hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als er auch wie angewurzelt stehen blieb. »Baker!« das war das einzige Wort, was er in seiner Ueberraschung hervorbringen konnte.

»Baker! – wirklich Baker!« sagte Elliot auf die Leiche starrend. »Den wir verfolgt haben bis Ditto's hinauf, der liegt hier ermordet auf meinem Grunde – das ist eine furchtbare Geschichte!«

In diesem Augenblicke kam Isaac, den Kopf vorgestreckt und, das Gesicht von Aufregung geröthet, heran. Einen langen gierigen Blick heftete er auf das Gesicht des Erschlagenen, dann faßte er nach dessen Handgelenke. »Todt und steif!« sagte er langsam, als der Arm, seiner Hand entgleitend, wieder schwer auf den Boden zurückfiel, »er hat seinen Lohn und ich habe freventlich gemurrt.«

»Aber, um der Barmherzigkeit willen, wie kommt er hierher und wem haben wir denn nachgejagt?« rief Elliot, aus seiner ersten Betroffenheit zu sich kommend; »sind wir nicht am Ende in einem ungeheuren Irrthum gewesen? Wenn die Neger mit ihrem Entführer auf und davon sind – und ich habe selbst das weiße Gesicht unter den Schwarzen [] schimmern sehen, als sie ans Land sprangen – so kann der unglückliche Mensch hier nicht der Schuldige gewesen sein –«

»Halt, Sir,« sagte Isaac sich aufrichtend, »der hier liegt, ist der wahrhaftige Räuber, dessen Schultern so schwer von Sünden waren, daß der Herrgott sich das Gericht über ihn selber vorbehalten und ihm schon sein Ziel gesteckt hatte, als wir ihn noch zu fangen gedachten. Den Sie auf dem Flusse unter den Schwarzen gesehen, das war nur sein Gehilfe – Beide hatten sich verabredet, gestern Nacht die Flucht mit den Negern anzutreten, das haben diese meine Ohren gehört, und es ist Gottes sichtbare Hand, die ihn hier niedergestreckt, damit er nicht wie die Andern seiner Strafe entgehe.«

»'S ist Alles recht, Gottes Hand ist überall,« sagte Elliot mit einem Anfluge von Ungeduld, »damit allein aber ist der entsetzliche Vorfall nicht abgethan und auch der Coroner nicht befriedigt. Wir dürfen keine Zeit verlieren, um das gräßliche Geheimniß aufzuklären. Bleiben Sie mit Dick hier, Mr. Helmstedt, bis ich andere Leute zur Wache hergeschickt habe, und sehen Sie darauf, daß Alles in dem Zustand verbleibt, wie wir es gefunden – ich will sogleich den Coroner aus der Stadt holen lassen. Kommt mit mir, Isaac, ihr werdet den nothwendigsten Zeugen abgeben müssen.«

Er ging, von Cäsar und dem Pedlar gefolgt, davon und Helmstedt begann, sich die Stirne reibend, auf und ab zu schreiten. Die ungewohnten Ereignisse waren während der letzten zwölf Stunden so rasch auf einander gefolgt, daß ihm der ganze Kopf anfing wirre zu werden. Des Pedlars Erzählung summte durch sein Gehirn und wenn er einen Blick auf das Gesicht und die stieren Augen der Leiche richtete, schien ihm der jetzige Mord ein so nothwendiges Schlußkapitel dazu zu bilden, daß es gar nicht hätte ausbleiben können. Bald erschien ihm die Leiche nur[] noch wie ein Theil von dem Bilde, das sich in seinem Kopf zusammenstellte, er trat heran und betrachtete die verzerrten Züge, ohne mehr als bei dem Betrachten eines Gemäldes dabei zu fühlen und erst Dicks Stimme rief ihn wieder zum klaren Bewußtsein.

»Bin froh, daß es heller Tag ist, Sir, mir graut's vor dem todten Menschen dort und ich möchte ihm nicht so in die verdrehten Augen sehen, wie Sie!« Helmstedt wandte sich um; der Schwarze hatte sich bis an die Umzäunung zurückgezogen und saß dort mit verlegenem Grinsen auf einem Baumstumpfe.

»Warum nicht, Dick? 's ist eben nur ein todter Mensch, der Niemand mehr etwas zu Leide thun wird,« erwiderte der Deutsche; als er aber den Blick jetzt wieder auf die Leiche fallen ließ, war es ihm, als wolle ihm selbst ein Grauen ankommen; die gläsernen Augen stierten ihn mit demselben finstern Blicke an, wie damals, als er mit dem lebenden Manne den ersten ernsthaften Streit gehabt.

»'S ist freilich nur ein todter Mensch,« sagte der Schwarze, als sei er froh, sprechen zu können, »aber ich möchte ihn doch nicht herausfordern, ob er mir etwas zu Leide thun könne, es soll eine sonderbare Sache mit Ermordeten sein.«

Helmstedt begann wieder schweigend auf und ab zu schreiten, er ließ den Blick über die Gegend schweifen, sah in den Himmel über sich, der, blau wie Azur, selbst der abgestorbenen Landschaft einen freundlichen Charakter verlieh; aber so oft er den daliegenden Körper passirte, wurde sein Blick wie magnetisch wieder darnach hingezogen und traf den drohenden Ausdruck in den todten Augen; er drehte sich endlich ganz weg und trat an die Umzäunung, aber je mehr er an etwas anderes denken wollte, um so deutlicher stand das Gesicht des Ermordeten vor seiner Seele. »Ich habe die Nacht nicht geschlafen und meine Nerven sind aufgeregt wie noch nie!« sagte er, »'s ist Alles natürlich!« aber er [] fühlte dennoch eine Art Erleichterung, als er zwei Schwarze zu seiner und Dicks Ablösung über die Felder kommen sah.

Elliot stand in der Hinterthür, als Helmstedt herankam, und obgleich aus des Letzteren Seele beim Erblicken von Ellens Fenster alle dunkeln Bilder wie Schatten vor der aufsteigenden Sonne wichen, so wagte er doch jetzt nicht hinaufzuspähen. »Ich habe nach dem Coroner geschickt,« sagte Elliot, »aber es kann manche Stunde vergehen, ehe er ankommt und es ist am besten, wir benutzen die Zeit zum Schlafen, damit wir nachher klaren Kopf haben; wir werden es Alle brauchen können. 'S ist Neujahrstag heute,« fuhr er, die Augen in die Hand drückend fort, »ein schöner Anfang des Jahres!«

»Sind die Ladies schon unterrichtet?« fragte Helmstedt, der sich Ellens Gesichtsausdruck beim Empfang der Nachricht zu vergegenwärtigen suchte.

»Ich ging diese Nacht weg, Sir, und wußte nicht, ob ich nach dem, was Isaac gemeldet, nicht selbst das Leben dieses Menschen nehmen mußte – meine Frau wußte das und dies war ihre bitterste Stunde: jetzt ist die Nachricht von seinem Morde durch eine andere Hand nicht das Schlimmste, was ich heimbringen konnte – steht es doch eigentlich noch gar nicht fest, ob wir die Betrogenen waren, oder ob sich Isaac nicht selbst betrog. Es wird hoffentlich Alles klar werden – gehen Sie jetzt zu Bette, wie ich es thun werde; sobald die Todtenschau beginnt, werden wir geweckt.«

Helmstedt ging nothgedrungen nach seinem Zimmer; zweimal noch verließ er es, als Elliot unsichtbar geworden war um vorsichtig umher zu spähen – einen einzigen Blick nur hätte er mögen mit in seine Träume nehmen, aber er mußte sein Bett suchen, ohne seine Sehnsucht gestillt zu sehen.

[] Neuntes Kapitel.
Dringender Verdacht.

Helmstedt mußte lange geschlafen haben – als er erwachte, schien die Sonne in seine Fenster, und doch konnte das nur bei vorgerücktem Morgen geschehen. Undeutlich entsann er sich, daß ihn böse Träume einige Male aufgeschreckt hatten und da war es dunkel um ihn her gewesen – er mußte also den Nachmittag des vergangenen Tages und die darauf folgende Nacht in einem Striche durchgeschlafen haben. Kopfschüttelnd sprang er vom Bette, auf welches er sich mit der Kleidung geworfen hatte und machte sich fertig, um beim Frühstücke erscheinen zu können; sonderbar kam es ihm vor, daß er am Abende vorher von Niemand geweckt worden war, und wäre es auch nur des Nachtessens wegen gewesen. Er ging endlich nach dem Speisezimmer, sah aber hier an dem Zustande des Tisches, daß die Hausbewohner schon sämmtlich ihr Frühstück eingenommen hatten; in dem ganzen Hause aber herrschte eine Todtenstille, die Küche war leer und auch in der Umgebung des Hauses war nirgend eine menschliche Gestalt zu entdecken. Helmstedt schüttelte von Neuem den Kopf, aber ein peinlicher Hunger, der sich bei ihm einzustellen begann, ließ jetzt nicht viel andere Gedanken daneben aufkommen und er machte sich nach kurzem Warten an die kalten Ueberreste des Frühstücks. Er hatte nothdürftig seinen Appetit befriedigt, als die ersten Tritte in der Halle hörbar wurden, aber sie klangen schwer und fremd und der Deutsche wollte sich eben erheben, um nach dem Angekommenen zu sehen, als eine massive Männergestalt, einen starken Hakenstock am Arme, in der Thür des Zimmers erschien.

»Sind Sie der deutsche Gentleman, Mr. – ich vergaß den Namen!« begann der Eintretende und nahm ein zusammengelegtes [] Papier aus seinem Hute, als wollte er dadurch seinem Gedächtnisse nachhelfen.

»Ich heiße Helmstedt.«

»Richtig, so war's! Sie müssen gleich mit mir nach der Tavern zum Coroner kommen – Sie wissen, wegen des Mordes, hier ist Ihre Vorladung!«

»Recht gern,« erwiderte der junge Mann, dem der Vorfall durchaus erwartet kam, »lassen Sie mich nur meinen Hut holen und nachsehen, ob Jemand im Hause ist, es scheint gerade wie ausgestorben.«

»Ich sah Mrs. Elliot am Fenster, als ich herkam, Sie brauchen sich deshalb nicht auszuhalten,« sagte der Beamte, »und die Schwarzen werden wol nur einen Augenblick dem Spectakel nachgelaufen sein!« Die Sprache des Mannes war weder rauh, noch unhöflich, dem ohngeachtet lag in dem Tone eine Bestimmtheit, die Helmstedt unangenehm berührte, noch mehr fiel es ihm aber auf, daß, als er nach seinem Zimmer ging, der Beamte ihm Schritt für Schritt folgte – das Ganze bekam fast den Anschein eines Arrestes. Er öffnete seine Vorladung nochmals – »als Zeuge« wurde er darin verlangt – »das Benehmen des Mannes mochte also wol nur übertriebener Diensteifer oder Wichtigthuerei sein.«

»Wie weit ist der Ort?« fragte der Deutsche, als er seinem aufgedrungenen Begleiter folgte.

»Die Tavern liegt kaum mehr als eine Meile die Hauptstraße hinunter, wir werden bald dort sein.«

Helmstedt hätte gern nach den bis jetzt schon stattgefundenen Verhandlungen gefragt, aber der Beamte ging schweigend neben ihm her, that auch während des ganzen Weges den Mund selbst nicht zur kleinsten gleichgiltigen Bemerkung auf, und so hielt es Helmstedt für das Beste, seine Neugierde zu unterdrücken, bis er zur Stelle gelangt sei.

Die Nachricht von dem stattgehabten Mord schien sich bereits wie ein Lauffeuer über die ganze Gegend verbreitet [] zu haben. Als die Beiden die Tavern erreicht, sahen sie das Haus von einem Haufen Menschen umgeben, Weiße und Schwarze, Männer und Frauen bunt durcheinander, die augenscheinlich keinen Eintritt mehr hatten erhalten können und sich jetzt bemühten, durch die geöffneten Fenster Theil an den innerhalb gepflogenen Verhandlungen zu nehmen. Zwei Beamte, ähnliche Figuren wie Helmstedts Begleiter, standen an der äußern Thür des Hauses und hatten ihre ganze Autorität, wie die Kraft ihrer Arme anzuwenden, um dem Andrängen der Menschenmasse zu steuern, und nur mit Mühe gelang es den beiden Ankommenden, die Thür zu gewinnen.

Der ziemlich weite Raum im Erdgeschoß der Tavern war zum Gerichtszimmer für den Coroner und die von ihm aus dem County schnell aufgebrachte Jury eingerichtet. Der Coroner selbst saß hinter einem langen Tische und an seiner Seite ein das Protokoll führender Gehilfe. Rechts von ihnen befanden sich die zwölf Jurors neben einander auf einer Bank, links schienen die Zeugen zu sein, wenigstens bemerkte Helmstedt, dessen Auge beim Eintritt den Raum überflog, Elliots Gesicht dort und dahinter die Wollköpfe von Dick und Cäsar; umsonst suchte er aber des Pedlars Züge. Der übrige Raum war so dicht mit Zuschauern gefüllt, daß die beiden Ankömmlinge Zeit und Kraft brauchten, um vorzukommen. Helmstedts Erscheinen erregte sichtliches Aufsehen. Der Coroner, welcher sich eben über das Protokoll beugte, fuhr auf die leise Meldung des Beamten rasch in die Höhe und maß den Deutschen mit einem kurzen scharfen Blicke, die Jurors steckten die Köpfe zusammen, unter den Zuschauern entstand leises Murmeln und die Hintersten hoben sich auf die Zehen, um den Eingetretenen besser zu sehen. Helmstedt bemerkte alles das, er fand aber nur die eigenthümliche Neugierde der Amerikaner darin, die sich eifrig auf die unbedeutendste Sache wirft, sobald sie nur etwas Fremdartiges an sich hat. Er sah nach Elliot hinüber, um [] einen Blick mit ihm auszutauschen, dieser aber wandte rasch das Auge weg, als wolle er Helmstedts Blick vermeiden.

»Well, Sir,« begann jetzt der Coroner, »Sie werden uns einige Fragen beantworten, die in der vorliegenden Untersuchung von Wichtigkeit sind. Geben Sie erst Ihren vollen Namen, Alter, Wohnung und Beschäftigung an und leisten Sie dann den gewöhnlichen Zeugeneid, der Ihnen vorgesagt werden wird; nachher erzählen Sie uns, was Sie von dem stattgehabten Morde wissen.«

Die Anfangs-Formalitäten warm bald beseitigt und Helmstedt berichtete mit allen Einzelheiten, wie Baker am Morgen vorher aufgefunden worden war, und seine eigene Betheiligung daran.

»Ist dies Alles, was Ihnen von dem Morde bekannt ist?«

»Nach meinem besten Wissen, Alles!«

»Ihre Kenntniß davon beginnt also erst von dem Augenblicke, an welchem Sie den Ermordeten todt und kalt gesehen?«

»Yes, Sir.«

»Gut, dann werden Sie suchen müssen, uns einige Umstände zu erklären; der Ermordete ist zwar, wie die stattgefundene Examination ergibt, durch einen Stich mit einem scharfen, einschneidigen Instrumente, dem Anscheine nach einem gewöhnlichen Messer, zu seinem Tode gekommen, seine Stirne trägt aber auch die Spur eines kräftigen Schlages, der ihm jedenfalls vor der Todeswunde beigebracht worden. Unweit der Leiche hat sich nun dieser messingene Knopf hier vorgefunden, welcher nach Aussage zweier Zeugen zu einer nur von Ihnen in Gebrauch gehabten Reitpeitsche gehört. Haben Sie vielleicht eine Idee, wie der Knopf dorthin gekommen ist?«

»Ich glaube, die Erklärung ist leicht!« erwiderte Helmstedt ruhig und erzählte kurz sein Zusammentreffen mit Baker am Tage vor Sylvester. »Jedenfalls,« schloß er, »ist der Knopf, den der Mann damals als ›Memorandum‹ – wie er sich ausdrückte, behielt, bei dem Morde aus seiner Tasche geglitten.«

[] »Von diesem Streite ist bereits durch einen Zeugen, der ihn von kurzer Entfernung aus mit angesehen, berichtet worden. Nach dessen Aussage sollen Sie indessen der angreifende Theil gewesen sein und dem Ermordeten den Weg versperrt haben. Wollen Sie uns die Ursache dieses Angriffs Ihrerseits mittheilen?«

»Recht gern,« erwiderte Helmstedt, dem jetzt plötzlich eine Ahnung kam, daß irgend ein Verdacht auf ihm ruhe – welcher Art, war ihm freilich noch nicht klar. »Der ermordete Mann war ein gewöhnlicher New-Yorker Spieler und Industrieritter, der sich in mehrere Familien hier eingeschlichen hatte und eben im Begriff stand, sich durch seine Vorspiegelungen auf das engste mit der Familie meines Principals zu verbinden. Ich hatte schon versucht, Mr. Elliot vor dem Menschen zu warnen, fand indessen kein Gehör und konnte auch auf diesem Wege nichts weiter thun, da mir augenblicklich die Beweise gegen den Schwindler fehlten. Ich benutzte aber deshalb das Zusammentreffen auf der Straße mit Baker, um ihm zu sagen, daß er und seine Vergangenheit bekannt seien und daß ich, wenn er nicht die hiesige Gegend verlasse, veröffentlichen werde, was ich wisse.«

»Hatten Sie nicht irgend ein eigenes Interesse, den Mann von hier entfernt zu sehen? In der Regel bricht man, fremder Interessen halber, nicht einen gefährlichen Streit vom Zaune!«

In Helmstedts Gesicht schoß ein helles Roth, das aber eben so schnell wieder verschwand. »Ich hatte in dem angeführten Streite mit dem Ermordeten keine andere Absicht,« sagte er langsam und bestimmt, »als ein Unglück von Mr. Elliots Familie abzuwenden. Hätte ich selbst auch etwas gegen den Mann und seinen Charakter gehabt, so dachte ich doch damals nicht daran.«

»Ich werde Ihre Aussagen mit den bereits abgegebenen Zeugnissen zusammenstellen,« erwiderte kalt der Coroner, [] »vielleicht finden Sie dann noch etwas an den Ihrigen zu berichtigen. Was den Reitpeitschenknopf anbetrifft, so besagt die Todtenschau, daß derselbe gegen vier Yards von dem Körper entfernt und seitwärts des Weges gefunden wurde – es scheint also mehr als unwahrscheinlich, daß er aus der Tasche des Todten dahin gelangt; die Idee aber, daß er bei einem Schlage mit der Reitpeitsche abgesprungen und dorthin geflogen sei, war die erste, welche sich fast gleichzeitig allen Anwesenden aufdrängte – ich möchte Ihnen dabei auch die Bemerkung nicht vorenthalten, daß die Geschichte, wie Mr. Baker, während Ihres Streites mit ihm, den Knopf aufgefangen, und sich in Besitz desselben gesetzt haben soll, wenigstens ziemlich sonderbar klingt. Und was die Stellung des Ermordeten anbelangt, so ist hier das Zeugniß mehrerer seiner hiesigen Freunde, welche ihn schon längere Zeit in Verbindung mit den besten Familien New-Yorks gekannt haben und somit Ihrer Aussage direct widersprechen. Haben Sie nun Etwas zur Erklärung Ihrer Angaben zu sagen, so thun Sie es.«

Helmstedts Auge war während der Worte des Coroners immer gespannter geworden. »Ich möchte erst meine Stellung hier kennen, ehe ich ein Wort weiter rede,« sagte er; »bin ich irgend einer Schuld angeklagt, so möchte ich das wissen; meine Aussagen werden kritisirt und verdächtigt, und der öffentliche Ankläger scheint mit dem Richter hier eine Person zu bilden.«

»Sie sind weder angeklagt, noch bin ich Richter, Sir. Mir, als Coroner liegt nur ob, auf Grund vorgefundener Thatsachen oder abgegebener Zeugnisse jede Spur zu verfolgen, durch welche Licht in das Geheimniß des stattgehabten Mordes gebracht werden kann, und das ist es auch nur, was ich jetzt in Bezug auf Sie thue.«

»Ich kann nur versichern,« sagte Helmstedt nach einer kurzen Pause, »daß jedes meiner Worte die strengste Wahrheit enthalten hat, und wenn Isaac, der alte Pedlar, hier [] wäre, so könnte dieser wenigstens den Theil meiner Aussagen, der Bakers Geschäft und Charakter betrifft, bestätigen. Die Geschichte des Sklavenraubes, bei welchem nach der Aussage des Pedlars der Ermordete die Hauptrolle spielte, dürfte ebenfalls ein neues Licht über dessen Persönlichkeit und die ganze Sache werfen.«

»Möglich, Sir, vielleicht auch nicht. Sie werden mir einräumen müssen, daß, wenn man nur Sklaven stehlen will, es dazu nicht nothwendig ist, sich den Eintritt in den innersten Schooß einer Familie zu verschaffen; daß es aber, wenn man wie Mr. Baker auf dem Punkte steht, selbst Glied dieser Familie und rechtmäßiger Theilhaber ihres Glückes und Reichthums zu werden, es ein Wahnsinn wäre, Alles das wegzuwerfen, nur um heimlich ein paar Schwarze zu stehlen. Isaac ist übrigens mit seinen desfallsigen Behauptungen seit gestern Abend unsichtbar geworden, er scheint seinen Irrthum selbst eingesehen zu haben – und was die Aussagen des Negers Cäsar betrifft, selbst wenn sein Zeugniß etwas gelten könnte, so erstreckt sich seine ganze Wissenschaft nur auf halbe Worte, die er unter den entflohenen Schwarzen aufgefangen haben will. Wir müssen uns also vorläufig nur an das halten, was wahrscheinlich und vernünftig aussieht, und so will ich, wenn Sie nach dieser Darstellung mir nicht etwa noch Etwas zu sagen haben sollten, meine letzte Hauptfrage an Sie richten.«

Helmstedt hatte seine ganze Kenntniß über Baker erst aus zweiter Hand – dabei war seine Hauptquelle, Seifert, eben nicht die reinste und zuverlässigste – jetzt erst, bei den angeführten Zeugnissen für den Ermordeten, bei des Coroners ruhiger Betrachtung der Verhältnisse, dachte er hieran, und zum ersten Male kam ihm der Gedanke, ob er sich nicht durch seine aufkeimende Eifersucht wenigstens in Bezug auf die Stellung des Mannes zu falschen Voraussetzungen hatte hinreißen lassen, an die er um so lieber geglaubt, da sie mit seinen Wünschen übereingestimmt hatten. [] »Ich habe zu meinen Angaben nichts weiter zu bemerken,« sagte er, »als daß, wenn meine Meinung von dem Ermordeten wirklich irrig gewesen sein sollte, meine dadurch hervorgerufenen Handlungen wenigstens aus den besten Absichten entsprangen.«

»Der Ermordete,« fuhr der Coroner fort, »ist gegen sechs Uhr Abends gesehen worden, wie er auf dem von ihm gewöhnlich gebrauchten Pferde vom Riverhause abritt. Nachts eilf Uhr wurde dasselbe Pferd an der Stelle angebunden bemerkt, wo der Mord geschehen und wo es noch den Morgen darauf stand. Bei der dunkeln Nacht hat der Reiter wenigstens drei Stunden gebraucht, um diesen Ort zu erreichen, wenn er nämlich auf gradem Wege gekommen, möglich auch, daß er erst später als neun Uhr angelangt; daß aber der Mord vor eilf stattgefunden, beweist das durch den starken Gewitterregen vom Blute reingewaschene Gras. Ich erwähne aller dieser Umstände, damit Sie die volle Wichtigkeit der Frage, die ich an Sie stellen werde, fühlen mögen. Nach den Aussagen einiger Ihrer eigenen Hausgenossen sind Sie um eilf Uhr noch nicht in Ihrem Bette gewesen, sind erst, kurz nach eilf, bei schon beginnendem Regen, von Außen in das Haus eingetreten und haben angegeben, daß Sie sich beim Nachhausekommen verspätet hätten. Nun geht aber bei einer Stockdunkelheit, wie sie an jenem Abende herrschte, Niemand ohne Zweck spazieren und ich möchte Sie fragen, wo Sie jenen Abend zwischen zehn und eilf Uhr zugebracht.«

Ueber Helmstedts Gesicht zog eine tiefe Blässe; er starrte den Coroner einen Augenblick an und senkte dann die Augen – die verschiedenen zusammentreffenden Umstände traten plötzlich, zu einem mächtigen Verdachtsgrunde vereinigt, gegen ihn auf – erst sein mit Baker begonnener Streit und die von ihm zugegebene Absicht, den Mann aus der Gegend zu treiben; dann der neben dem Todten gefundene Reitpeitschenknopf und zuletzt seine vermuthete Abwesenheit [] aus dem Hause, gerade zur Zeit des Mordes, eine Abwesenheit, die er selbst gegen Elliot bestätigt hatte. Das Alles schoß so schnell aber auch so klar wie ein Blitz durch sein Gehirn, und zugleich erkannte er die einzige Alternative, die es für ihn gab – entweder die letzte Frage des Coroners nicht zu beantworten und dadurch den Verdacht gegen sich noch zu verstärken – oder seinen nächtlichen Aufenthalt in Ellens Zimmer zu verrathen und so mit einem Male jenen Verdacht von sich abzuwerfen.

»Well, Sir,« sagte der Coroner, »Sie müssen doch zu irgend einem Zwecke das Haus verlassen haben und irgendwo gewesen sein? antworten Sie mir also!«

Helmstedt war kurz mit seinem Entschlüsse fertig geworden – Ellens Ruf durfte auf keine Gefahr hin preisgegeben werden, mochte auch sein eigenes Schicksal jetzt laufen wie es wollte, und als in diesem Augenblick des Mädchens Bild vor seine Seele trat, wie sie ihn in der vollen Verschämtheit ihrer Liebe angesehen, da fühlte er, daß ihm keine Marter ein Wort, das ihr weh thun mußte, hätte entreißen können.

»Ich glaube nicht,« sagte er und hob den Kopf frei in die Höhe, »daß ich im Stande sein werde, die vorgelegte Frage zu beantworten, so leicht ich auch unter andern Umständen meine gänzliche Unkenntniß an dem stattgefundenen Verbrechen nachweisen könnte.«

Der Coroner sah ihm einen Augenblick scharf in das Gesicht. »Sie wissen vielleicht die Folgen nicht, Sir, die diese Ablehnung der Antwort nach sich ziehen kann?«

»Ich erkenne sie vollkommen,« erwiderte Helmstedt, ohne das Auge zu senken, »muß aber, selbst auf die Gefahr hin persönlich des Mordes verdächtig zu erscheinen, jede Auskunft über meinen Aufenthalt während der bezeichneten Zeit verweigern. Ich meine, es sei nicht zu schwer sich Verhältnisse denken zu können, die selbst den unschuldigsten Mann zum Schweigen zwingen können.«

[] »Well, Sir, und ich gestehe Ihnen offen,« sagte der Coroner, sich langsam zurücklegend, »daß wo es um den Hals gehen kann, solche Verhältnisse außer meinen Vorstellungen liegen. Zusammen mit den vorliegenden Thatsachen muß die jetzige Zurückweisung meiner Frage Sie der Grand-Jury überliefern und ich habe die Pflicht, Sie vorläufig verhaften zu lassen, wenn Sie sich nicht anders besinnen und den bessern Weg einer Rechtfertigung einschlagen sollten.«

Helmstedt erbleichte einen Augenblick, verbeugte sich dann aber und sagte ruhig: »Thun Sie, wie Sie müssen, Sir; die gänzliche Grundlosigkeit einer Anklage gegen mich wird sich hoffentlich bald von selbst herausstellen.«

»Bryan, führen Sie den Gentleman einstweilen ins Oberzimmer, neben dem Raum wo der Todte liegt,« rief der Coroner einem der Beamten zu – »heute Abend kommt er mit nach der Stadt ins County-Gefängniß.«

Helmstedt folgte ohne ein Wort dem Winke des herbeitretenden Officiers und schritt ihm voran durch eine der Seitenthüren – hinter ihm aber machten sich die bis jetzt unterdrückten Gefühle der Zuhörerschaft durch ein wirres Durcheinander von Sprechen und Ausrufungen Luft.

Der Verhaftete trat in ein kahles, weißes Zimmer, in welchem sich nur ein einziger Stuhl mit drei Beinen befand. Einzelne auf dem Boden liegende Welschkornähren zeigten den Zweck an, zu welchem es gewöhnlich benutzt werden mochte. Die Thür fiel hinter ihm zu und der Schlüssel knirschte von außen im Schlosse. Von der Straße herauf drang das Geräusch der durcheinander sprechenden Menge, Helmstedt hatte aber, auf- und abschreitend, über seinen Gedanken Aug und Ohr für seine Umgebung verloren. Anfänglich lag, trotz der stillen Begeisterung, welche ihn den jetzigen Weg hatte einschlagen lassen, das unheimliche Gefühl zum ersten Male Gefangner zu sein, über ihm; bald aber hatte er dies von sich geschüttelt und fing an sich [] Vorstellungen zu machen, welche Wirkung die Kunde von seiner Gefangenschaft in Oaklea hervorbringen werde – jedenfalls erzählte Elliot den Grund seiner Verhaftung, die verweigerte Auskunft über seinen Aufenthalt während der Nacht des Mordes – ob sich wol Ellen verrathen und so der Verwickelung mit einem Streiche ein Ende machen würde? Es war eine ganze Bilderreihe, die von dem einen Gedanken geführt an Helmstedts Seele vorüberzog. –

Die Jury hatte ihre Sitzung bis zum nächsten Morgen vertagt, die Menge war auseinander gelaufen und der Coroner saß in dem leergewordenen Raume, den Kopf auf die Hand gestützt und Papiere durchblätternd, während sein Gehilfe das Protokoll zu vervollständigen schien. Nach einer Weile trat Elliot, der bereits die Handschuhe zum Wegreiten angezogen hatte, ein. »Noch etwas Besonderes, Sir?«

»Setzen Sie sich einen Augenblick hierher,« erwiderte der Coroner. »Ich hatte durch zwei Beamte eine genaue Durchsuchung des Zimmers, das der Verhaftete in Ihrem Hause bewohnt, sowie der sämmtlichen Möbel darin angeordnet. Die Beamten sind soeben zurück, und obgleich nicht das Geringste entdeckt worden, was zur directen Verstärkung des Verdachtes dienen könnte, so hat sich doch in einem der Koffer dieser kleine Zettel vorgefunden, der wahrscheinlich den Beweggrund der That wird erklären helfen. Die Sache scheint mir zu tief in Ihr Privatleben einzugreifen, als daß ich Sie nicht erst davon hätte benachrichtigen sollen, um wenigstens jede unnöthige Veröffentlichung zu verhüten.«

Elliot las und wurde blaß. Es waren die Zeilen, welche Ellen vor einiger Zeit an Helmstedt geschrieben hatte.

»Setzen Sie diese Stelle an,« fuhr der Coroner fort, »hier heißt's: Wenn etwas gegen den Mann aufgefunden werden kann – womit augenscheinlich Baker gemeint ist – so muß es bald geschehen; mir ist, als hätten sich heute die Fäden so fest um mich gezogen, daß ich nicht mehr heraus kann, oder als wäre ich heute in meiner Abwesenheit [] verkauft worden. Ich bin so allein in meiner Angst, und so weiter. – Den Fall gesetzt, daß irgend ein Verhältniß zwischen der Schreiberin und dem Verhafteten stattfand, wie es beinahe hiernach scheint, so findet der Grund der That die natürlichste Erklärung, besonders da den Tag darauf die anberaumte Verlobung stattfinden sollte, und es wird mir unmöglich sein, das Document der Jury vorzuenthalten.«

»Um Gottes willen bringen Sie meine Familie nicht vor die Oeffentlichkeit!« rief Elliot, von seinem Hinstarren auf das Papier auffahrend – er sprang auf, schlug die Hand vor den Kopf und lief in dem Gemache auf und ab. »Ein Verhältniß,« sprach er, plötzlich vor dem Coroner stehen bleibend, »ein Verhältniß hat zwischen beiden sicher nicht stattgefunden, denn meine Tochter war während der kurzen Anwesenheit des Deutschen kaum zwei Tage im Hause, aber,« fuhr er langsam fort, die Augen in die Hand drückend, »es ist um so fürchterlicher, wenn ein Mädchen bei einem Fremden vor ihren eigenen Eltern Schutz sucht. Bringen Sie meine Familie nicht vor das Gericht, Sir!«

»Seien Sie ruhig, Sir, und hören Sie mich. Bleibt Ihre Tochter hier, so ist Ihrer Vorladung und Vernehmung fast nicht auszuweichen. Folgen Sie meinem Rathe, so gehen Sie jetzt heim, sprechen mit Ihrer Frau, sagen aber Ihrer Tochter von dem ganzen Gange des Prozesses kein Wort und schicken Beide auf vier bis sechs Wochen nach New-Orleans zum Besuch. Das ist Alles, was ich sagen kann – ich werde von keiner Ihrer Maßregeln Etwas wissen.«

Elliot sah dem Coroner einen Augenblick starr in die Augen, dann drückte er ihm, ohne ein Wort zu sagen, die Hand und eilte zur Thür hinaus.

[] Zehntes Kapitel.
Im Gefängniß.

Es war über Nacht Winter geworden, wirklicher Winter. Der Schnee lag fußhoch und die Sonnenstrahlen brachen sich auf der hartgefrorenen Oberfläche, ohne sie erweichen zu können.

In einer der oberen Zellen des County-Gefängnisses saß Helmstedt an dem vergitterten Fenster und starrte, den Kopf in die Hand gestützt, in den Hof hinab, wo eine Schaar kleiner gelber Vögel suchend im Schnee herumpickte. – Zehn Tage waren seit seiner Verhaftung vergangen und seit dieser Zeit saß er einsam hier, den Zusammentritt der Grandjury und deren Anklage erwartend. Die ersten Tage seiner Haft hatte er in einer stillen Spannung zugebracht; einzelne ihm völlig fremde Amerikaner hatten sich mit eigenthümlicher Dreistigkeit eingefunden, um ihre Neugierde zu befriedigen; drei Advocaten waren da gewesen, um vorsichtig nach seinen Geldverhältnissen zu forschen und ihm ihre Dienste als Vertheidiger anzubieten – und in jedem neuen Besuche hatte Helmstedt den Träger einer Botschaft von Oaklea zu sehen gehofft. Als aber Tag für Tag verging, und die Besuche aufhörten, als er durch den Gefängnißwärter den Schluß der Co roner-Untersuchung und seine Ueberweisung an die Grandjury vernahm, da begann er unruhig zu werden. An sein eigenes Schicksal dachte er weniger, denn vor ihm lag noch die ganze eigentliche Criminal-Untersuchung, und bis zu deren Schluß konnten tausend Fälle eintreten, die seine Unschuld oder den wahren Thäter ans Licht brachten – wie war es aber möglich, daß Ellen ohne Kenntniß seiner währen Lage geblieben, wo Hunderte von Zeugen den Verhandlungen beigewohnt hatten? Oder was war mit ihr vorgegangen, daß sie behindert war, ihm wenn auch nur ein paar Worte des Trostes zu senden? Ihr energischer [] Charakter hätte sich durch geringe Hindernisse sicher nicht zurückschrecken lassen. Warum hörte er nichts von ihr? Das war die Frage, mit der er sich am Tage herumplagte, ohne einen Weg zu ihrer Beantwortung ausfindig machen zu können, und von der er Nachts träumte. Am zehnten Tage brachte ihm der Schließer das Wochenblatt des Städtchens, das durch die Mordthat eine so frische Farbe bekommen hatte, wie das Unkraut nach einem erquickenden Regen. Mordthaten, mit geheimnißvollen Umständen verknüpft, sind für amerikanische Zeitungen ein wahrer Himmelssegen und man sah es dem Wochenblatt an, daß sein Herausgeber es für eine sündhafte Verachtung der Gottesgabe gehalten hätte, wenn nicht mit der vollsten Rücksichtslosigkeit alle nur irgend möglichen Seiten des Falles ausgebeutet worden wären. Helmstedt las eine Darstellung des Mordes, so klar und einfach, daß Niemand den entferntesten Zweifel an der Thäterschaft des Deutschen hegen konnte und daß diesem beim Lesen der Kopf zu schwindeln anfing – eine Darstellung die ihm über Ellens Unthätigkeit Aufschluß gab, ihn dabei aber nur noch in tiefere Verwirrung stürzte. Nachdem alle durch den Coroner ermittelten Verdachts gründe gegen Helmstedt erwähnt worden, wurde des Zettels gedacht, welcher sich in dem Koffer des Verhafteten befunden hatte – ein Ereigniß, von dem Helmstedt bis jetzt noch nichts gewußt. »Dieses Papier,« hieß es, »stellt ein inniges Verhältniß zwischen ihm und der jungen Lady des Hauses ganz außer Frage und weist ganz bestimmt auf ein gemeinschaftliches feindliches Unternehmen gegen den Ermordeten hin. Die junge Lady sollte diesem, wider ihren Willen, in einigen Tagen verlobt werden. Niemand hatte ein Interesse an dem Tode des Mannes, als er dem seine Geliebte geraubt, und sie, die zu einer verfaßten Ehe mit jenem gezwungen werden sollte – der Todte hatte sonst nicht einen Feind in der ganzen Umgegend. Nach der Festnahme des Deutschen trat die junge Lady Hals [] über Kopf eine Reise an und machte so ihr Verhör sowie jedes andere Verfahren gegen sie unmöglich, und es ist nur die Lässigkeit des Coroners zu beklagen, welcher nach Auffindung des wichtigen Papiers nicht sofort die nöthige Sicherung dieses bedeutenden Zeugen veranlaßte. Es soll hier kein bestimmter Verdacht ausgesprochen werden – noch aber fehlt eine genaue Erklärung, wie die eigentliche Todeswunde beigebracht worden; es ist ein schwacher Stich von unten nach oben, in einer Weise geführt, wie Männer sonst nie ein Messer zum Stoß zu haben pflegen. Wird aber angenommen, wie es nach Art der Wunde wahrscheinlich ist, daß eine Frau den Stich beigebracht, so läßt sich auch leicht die Anwesenheit des Ermordeten an dem Platze, wo er gefunden worden, erklären. Zwei Worte von ihr konnten denselben unter irgend einem Vorwandte dorthin locken – ein wohlgezielter Schlag des ihm im Hinterhalte auflauernden Mannes machte ihn taumeln und jetzt stieß ihm das Weib das Messer in die Brust.«

Helmstedt sah auf das Blatt und es war ihm, als seien alle seine Gedanken erstarrt. Sein innerstes Heiligthum, seine Liebe, war auf die öffentliche Landstraße geworfen und in den Koth getreten; das blühende harmlose Kind, aus seiner schützenden Häuslichkeit gerissen und gebrandmarkt vor die Blicke der ganzen Welt gestellt – Ellen zu einer kalten berechnenden Mörderin gemacht. Helmstedt sprang auf, faßte mit beiden Händen seinen Kopf und blieb mitten in der Zelle stehen – es war ihm, als müsse er – oder die ganze übrige Welt wahnsinnig geworden sein. Er nahm das Blatt nochmals auf und las langsam Satz für Satz – die Logik darin war so teuflisch und doch so natürlich, daß er selbst daran geglaubt hätte, wäre er ein Anderer als er selbst gewesen. Er fiel in den Stuhl am Fenster, stützte den Kopf auf beide Arme und starrte vor sich hin. Ellen war abgereist, vielleicht übers Meer, um dem öffentlichen Scandal, der ihren Namen durch alle Zeitungen [] Amerika's tragen mußte, aus dem Wege zu gehen – ein bitteres Gefühl, daß er so allein seinem Schicksale überlassen worden, wollte in ihm aufsteigen, aber er durfte nur an ihr tiefes, klares Auge denken, um jeden Groll aus seiner Seele zu bannen; sie war sicherlich machtlos gewesen, ihre eigenen Eltern mußten sie über den Stand der Dinge getäuscht haben. Was half ihm aber nun das Opfer, das er ihrem guten Ruf gebracht? Er hatte sie durch sein Schweigen in eine schlimmere Lage gestürzt, als es das rückhaltsloseste Geständniß seinerseits hätte thun können – und sich selbst dazu.

Das Rasseln des Schlüssels im Schlosse störte ihn aus seinen Gedanken auf. Wahrscheinlich wieder ein neugieriger Besuch, war sein Gedanke, denn es war weder Zeit für ein Mahl, noch für die Runde des Schließers; aber er fühlte sich durch die Aussicht erleichtert, sich gegen einen Menschen, wenn auch den fremdesten, aussprechen zu können und Nachrichten von der Außenwelt zu erhalten. Eine Frauengestalt, in ein weites Tuch gehüllt, Kopf und Gesicht in eine schwarzseidene Kapuze verborgen, trat ein. »Pochen Sie nur, Ma'am, wenn Sie wieder gehen wollen!« sagte der Schließer und ließ hinter sich die Thür ins Schloß fallen. Die Frau riß hastig ihre Kapuze vom Kopfe und kam mit ausgestreckter Hand auf Helmstedt los. »Guten Tag, August!« sagte sie mit bebender Stimme.

Der Gefangene war überrascht aufgesprungen. »Mrs. – Morton!« rief er, und legte nur zögernd seine Hand in die ihre, »ich hätte eher etwas Anderes vermuthet –«

»'S ist jetzt nicht Mrs. Morton, ist Pauline Peters, die zu Ihnen kommt,« unterbrach sie ihn und das Wasser trat in ihre Augen, »ich weiß Alles was Sie sagen können, August, Sie mögen sagen, daß ich eigentlich das Recht verloren habe, an Ihnen Theil zu nehmen – aber Umstände ändern viel, vielleicht urtheilen Sie anders über mich, noch ehe ich das Zimmer verlassen habe. Setzen Sie sich wieder [] nieder und ich nehme auf eine halbe Stunde Platz neben Ihnen.« Sie zog den einzigen noch übrigen Stuhl neben den seinigen und saß an seiner Seite, ehe er nur recht wußte, welche Miene er annehmen sollte.

»Ich muß erst Alles zwischen uns ins Klare bringen, ehe ich Ihnen sage, weshalb ich gekommen bin,« begann sie, ihm voll in die Augen sehend, »Sie müssen Vertrauen zu mir gewinnen lernen, August, und sollten Sie mich jeden Rückhalt irgend einer Art verachten sehen, so blicken Sie auf Ihr Gefängniß, so denken Sie daran, unter welchen Verhältnissen wir jetzt mit einander reden und daß diese mich zur vollsten Offenheit drängen. – Sie sind überrascht gewesen, mich hier als Frau eines reichen Pflanzers wiederzufinden – das,« fuhr sie mit einem trüben Lächeln fort, »das war jedoch Ihr Werk, August!«

»Mein Werk?« rief dieser verwundert, aber sonderbar von dem leichten, schmerzlichen Zuge berührt, der sich einen Augenblick um ihren weichen Mund gelegt hatte.

»'S ist eine einfache Geschichte, die Ihnen das erklären wird,« erwiderte sie und senkte das Auge, »ich bin Ihnen den ersten Theil davon eigentlich schon schuldig, seit ich Sie in New-York traf und Sie nicht wußten, für was Sie mich halten sollten. Lassen Sie sich einmal die kurze Erzählung nicht langweilen, ich muß sie voranschicken, wenn Sie mich ganz verstehen sollen – Sie sollen mich kennen lernen, durch und durch, wie ich bin. – Daß ich mit einer Bekannten von Europa nach New-York reiste, wissen Sie schon,« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »ebenso, daß deren Verwandte, an die wir uns anschließen wollten, schon vor unserer Ankunft ins Land gezogen waren«. In New-York mußte es mir bei dem, was ich mit der Nadel gelernt, verhältnißmäßig leicht werden meinen Unterhalt zu verdienen, während ich nicht wußte, was in einer kleinen Stadt meiner harrte, und so ließ ich meine Freundin allein reisen. Das Glück hatte mich in ein anständiges Boardinghaus [] gebracht und schon nach zwei Tagen hatte ich eine Stelle in einem amerikanischen Putzgeschäfte. Ich verstand kein Englisch, was für die ersten Monate jede genauere Bekanntschaft mit den übrigen Arbeiterinnen verhinderte, aber die tägliche Uebung von Ohr und Zunge räumte das Hinderniß schneller auf die Seite als ich gehofft – ich war aufgeweckt und stets heiterer Laune, und bald war ich in der Arbeitsstube eingebürgert und gelitten, als wäre ich auf amerikanischem Boden groß geworden. Um das Leben und Treiben der übrigen Mädchen außerhalb des Geschäftes hatte ich mich wenig gekümmert, da ich mit keiner von ihnen noch recht vertraut geworden war und meine eigene freie Zeit meist in der Familie meiner Boardingwirthin zubrachte, und so hörte ich auch ohne Argwohn eines Morgens die Aufforderung, mit zu einem großen Balle zu gehen, den sämmtliche Arbeiterinnen besuchen wollten. Ich hatte, so lange ich in Amerika war, noch kein wirkliches Vergnügen gehabt, Tanz aber war meine alte Leidenschaft und ich sagte mit Herz und Hand zu. Von New-York kannte ich kaum einige Straßen, zwei meiner Colleginnen versprachen deshalb, mich in einem Miethwagen abzuholen und gegen neun Uhr stiegen wir vor dem hellerleuchteten Eingange des Hauses aus. Ich weiß heute noch nicht, in welcher Gegend der Stadt es war. Der Saal war nicht allzugroß, aber die Gesellschaft schien ihrer Toilette nach eine gewählte zu sein, die Musik war prachtvoll, und im Herzen vergnügt folgte ich meinen Begleiterinnen nach einer halbleeren Bank. Beide schienen ziemlich bekannt zu sein, denn kaum hatten sie sich gesetzt, als sie schon in die Quarrees der Quadrille geholt wurden. Ich saß allein, nach kurzer Zeit aber läßt sich ein Herr, der musternd an der Damenreihe vorüber gegangen, neben mir nieder, sieht mich mit einem unverschämten Lächeln an und biegt sich dann nach meinem Ohre – ich muß Worte hören, die mir das Blut stocken machen und mich wie von einer Schlange gebissen, von der Bank aufjagen. [] Ich weiß nicht mehr, welche Sprache mir die Entrüstung eingab, der Mensch aber sieht mich einen Augenblick wie verwundert an, bricht dann in ein helles Lachen aus und kommt von Neuem auf mich los. In diesem Augenblicke sehe ich eins der Mädchen, mit denen ich hergekommen, an dem Arme eines Herrn langsam durch den Saal schlendern, ich fliege auf sie los und hänge mich an ihren Arm, mein Verfolger aber stellt sich mit lachendem Gesichte vor uns Beide hin. »Haben Sie das scheue Kätzchen mitgebracht, Cora?« fragte er, »und ist sie wirklich noch so frisch hier, wie sie thut?« – »Sie werden wol wie gewöhnlich den ungezogenen Bären gemacht haben!« erwidert das Mädchen ebenfalls lachend und dreht ihm den Rücken, um den Saal wieder hinab zu gehen. »Sein Sie nicht zu spröde,« zischelte sie mir zu, »er ist wol plump aber generös!« – In meinem Entsetzen, wie ich's nie wieder in meinem Leben gefühlt, erkannte ich plötzlich, in welcher Gesellschaft ich war, ich hatte den Arm meiner Begleiterin losgelassen und wollte nach der Thür eilen, aber mir war's, als müsse ich bei dem ersten Schritt, den ich thue, umfallen; eine gräßliche Angst packte mich, und als ich in diesem Augenblick die Hand des mich verfolgenden Menschen an meinem Kinn fühle, gebe ich ihm in meiner Verzweiflung einen Stoß, daß er zwei Schritte zurücktaumelt, und breche in ein krampfhaftes Weinen aus. Eben rauschte eine neue Quadrille vom Orchester und die Paare flogen an mir vorüber zu ihren Plätzen, Niemand schien den Auftritt beachtet zu haben – da höre ich mit einem Male eine ruhige Stimme neben mir: »Lassen Sie die Lady, Sir, wenn Sie ein Gentleman sind, Sie sehen, daß Sie sich in ihr geirrt haben, oder sie sich auch vielleicht in der ganzen Gesellschaft. Folgen Sie mir, Kind!« Der Ton in der Stimme brachte eine wunderbare Beruhigung über mich, ich sehe einen ältlichen Herrn neben mir stehen, der mir seinen Arm bietet, und ich klammere mich daran wie eine Versinkende. »Ich will [] fort, Sir, nach Hause, bringen Sie mich nur nach der Thür.« – »Sie werden unbelästigt nach Hause kommen,« sagte er, »ich will Sie selbst dahin begleiten!« – aber dieser letzte Zusatz erweckte einen neuen Argwohn in mir – ich ließ seinen Arm los. »Wenn Sie es redlich meinen, Sir, so verlassen Sie mich, sobald ich aus dem Saale bin, es sind gewiß Wagen am Eingange, die mich nach Hause bringen.« – Er sah mich einen Augenblick schweigend an. »Haben Sie keine Sorge, Kind,« sagte er dann, »es soll geschehen, wie Sie wollen. Erst aber erzeigen Sie mir die Freundlichkeit und setzen Sie sich auf ein paar Minuten mit mir in eins der Nebenzimmer – denken Sie, Sie gingen mit Ihrem Vater, und haben Sie volles Vertrauen zu mir.« Ich weiß nicht, war's der ruhige Ton in seiner Stimme oder sein würdiges Gesicht, wodurch jedes Mißtrauen in mir verscheucht wurde – ich ging mit ihm; er ließ Erfrischungen kommen und fragte mich dann über meine Verhältnisse aus und wie ich auf den Ball gerathen sei. Ich sagte ihm ohne Rückhalt, was er nur zu wissen verlangte. »Also Sie haben keine Angehörigen hier und auch noch Niemand, an dem Ihr Herz hängt?« forschte er zuletzt. Ich konnte mit gutem Gewissen »nein« sagen, und nachdem er sich mein Boardinghaus, sowie das Geschäft, in dem ich arbeitete, aufgeschrieben hatte, brachte er mich nach einem Wagen, bezahlte den Kutscher und schied von mir.

Am zweiten Nachmittag darauf wurde ich aus der Arbeitsstube gerufen, da mich ein Gentleman zu sprechen wünsche. Es war der alte Herr vom Ball, der mich aufforderte, einen Spaziergang mit ihm zu machen, da er durchaus ungestört mit mir sprechen müsse. »Sagen Sie nur der Mistreß, daß ich ein Onkel von Ihnen sei – wenigstens,« setzte er hinzu, »will ich versuchen, ob ich den Namen von Ihnen verdienen kann.« Ich glaube, es war kein anderes Gefühl, als das der Neugierde, was mich bewog, dem Ansinnen zu willfahren – der Mann mit seiner Theilnahme [] für mich, hatte mich schon während der vergangenen beiden Tage beschäftigt – es war heller Sonnenschein und von einer Gefahr für mich konnte nicht gut die Rede sein. Ich ging mit ihm und er führte mich nach einem stillen Platze in einer Broadway-Conditorei. Dort erzählte er mir, daß er einen großen Theil des Sommers in New-York zubringe, daß er aber das Hotel-Leben satt habe und sich nach einer Häuslichkeit mit ihren Bequemlichkeiten sehne; seine einzige Tochter, wenn sie mit ihm nach dem Osten komme, verbringe die Zeit mit einer fashionablen Familie in Saratoga und nehme keine Rücksicht auf ihn. Er habe sich schon vielfach umsonst nach einer Person umgesehen, die er zu Dank verpflichten könne, und die ihm dafür eine freundliche Heimat schaffe; er sei längst über die Jugendthorheiten hinaus und verlange nichts als Pflege und Erheiterung, was er aber von mir gesehen und in den letzten Tagen erfahren, gebe ihm neue Hoffnung und er frage jetzt bei mir an, ob ich die Stelle einer Nichte bei ihm annehmen und seinem Hause in New-York vorstehen wolle, so lange er hier sei – ich solle in allen Stücken frei sein und wenn mich etwas an ihn fesseln solle, so dürfe das nur meine eigene Dankbarkeit sein – über meine fernere Zukunft, wenn er im Spätherbst wieder nach dem Süden gehe, würden wir dann reden. »Ich glaube nicht,« fuhr sie mit einem kurzen Blick auf Helmstedts Gesicht fort, »daß mich Jemand, der die Lage einer Arbeiterin in New-York kennt, verdammen wird, daß ich das Anerbieten, wenn auch anfänglich unter manchen Vorsichtsmaßregeln annahm; aber diese erwiesen sich bald als vollkommen unnöthig«. Mr. Morton verlangte nur eine heitere Gesellschafterin, die ihm seine Bedürfnisse ablauschte und diesen zuvorkam, mit ihm ausfuhr und ihm die Abende, wenn er zu Hause blieb, verschwatzte – und dafür überschüttete er mich mit mehr, als mein Herz wünschte. Ob ich aber bei alledem glücklicher als zuvor war, ist eine andere Frage. Mr. Morton sah zu Hause wenige oder gar [] keine Gesellschaft, ich selbst hatte keine einzige Bekannte, an die ich mich hätte anschließen können und so lebte ich, troß alles Reichthums, der mich umgab, in einer Einöde. Einsame Spaziergänge in der Stadt und die Sorge für Mr. Mortons Wünsche, gaben alle Abwechselungen, die ich hatte, und meine einzige Genugthuung war, daß der alte Mann bald an mir hing, wie nur an seiner leibeigenen Tochter. – Es war Anfang September, als er zum ersten Male seine Reise nach dem Süden und die Verhältnisse in seiner dortigen Familie erwähnte. Seine Tochter war einer räthselhaften Melancholie anheim gefallen, er schrieb es der Einsamkeit des Landes zu, und sprach seine Befürchtungen über das unangenehme Leben aus, das ihn dort erwarte, wenn ich nicht mehr um ihn sei – er fragte mich, ob ich mich nicht für immer an ihn und seine Familie ketten und mir eine gesicherte Zukunft gründen wolle – ob ich es nicht über mich gewinnen könne, seine Frau zu werden, da dies der einzige Weg sei, um mir eine Stellung zu geben, die nicht mißgedeutet werden könnte. – Ich will nichts von den widerstreitenden Gefühlen sagen, in die mich der Vorschlag stürzte, nichts von den späteren nächtlichen Kämpfen; es hieß, die ganze rosige Hoffnung der Jugend aufgeben, aber dagegen eine Stellung gewinnen, auf die ich selbst im Traume nicht gehofft hatte. Ich hatte mir vierzehn Tage Zeit ausbedungen, um mit mir selbst zu Rathe zu gehen. »Und während dieser vierzehn Tage,« fuhr sie langsam fort, »traf ich Sie, August. Ich gestehe es Ihnen frei, es war mehr als die Kindererinnerungen, was mich zu Ihnen zog, Sie standen, abgetrennt von Ihrer Familie, ohne Halt hier im Lande – Sie standen mir jetzt gleich und ich meinte, der Himmel gebe mir ein Zeichen, daß er das Opfer meiner Jugend nicht verlange. Ich wußte, daß es Mr. Morton weniger um mich selbst, als um die Annehmlichkeiten, mit denen ich ihn umgab, zu thun war, daß er eben so gern noch eine zweite Person in seine Familie aufgenommen und [] Alles für sie gethan hätte, wenn er dadurch nichts eingebüßt und ich dadurch glücklicher geworden wäre. Ich meinte, ich habe ein Recht in Ihr Schicksal einzugreifen, und jede Zurückhaltung bei Seite zu werfen – ich gab mich Ihnen mit meinem offenen vollen Herzen – und Sie, August, Sie stießen mich zurück – argwöhnisch – stolz – beleidigend. Es ist wirklich etwas Schönes um den Stolz,« fuhr sie nach einem tiefen Athemzuge fort, »ich wäre ohne ihn vielleicht die nächste Nacht gestorben. Das Empfindlichste, was im Herzen einer Frau lebt, war in mir verwundet worden, meine Ehre und meine Liebe, und ich konnte mich nur vor mir selbst dadurch retten, daß Sie nicht mehr für mich existirten. Am andern Tage gab ich Mr. Morton meine Einwilligung zu unserer Heirath.«

Sie hielt inne und Helmstedt sah in die Höhe. »Vergeben Sie mir, Pauline,« sagte er, ihr seine Hand hinstreckend.

»Lassen Sie das,« unterbrach sie ihn, »das war Alles vorbei und vergessen, als ich Ihr Unglück erfuhr. Ich mußte jetzt durch unbedingte Offenheit Ihr Vertrauen gewinnen und wenn das erreicht ist, ist Alles geschehen, was ich wollte. Nun sagen Sie mir nur das eine: Kennen Sie Ihre Lage genau?«

»Es ist dafür gesorgt, daß mir kein bitterer Tropfen entgeht!« erwiderte er, auf das Zeitungsblatt zeigend.

»Und werden Sie nicht das einzige Rettungsmittel ergreifen, was Ihnen übrig bleibt, und angeben, wo Sie während der Zeit des Mordes gewesen sind?«

»Nein!« erwiderte er, langsam den Kopf erhebend.

Sie sah ihm, wie von dem Tone des kurzen Wortes betroffen, in die Augen. »Sie mißtrauen mir doch nicht wieder, August?« sagte sie, »ich verlange Ihre Geheimnisse nicht zu wissen, ich mußte aber bestätigt hören, was ich schon wußte, daß Sie lieber irgend einem Unglück trotzen, ehe Sie Etwas verrathen, wo Sie das für Unrecht halten. [] Hören Sie mich aufmerksam an, August. Ich weiß, daß alle Beweise, die der Coroner gegen Sie aufgefunden, daß alle Speculationen und Folgerungen, die jetzt nun auch die arme Ellen beflecken, einfache Lügen sind – ich weiß es, August, und doch ist meine Zunge noch mehr gebunden, als vielleicht die Ihre. Und dabei mußte ich heute von Männern des Gesetzes, die in unserm Hause waren, auseinander setzen hören, daß Sie bei den vorliegenden Beweisen der Verurtheilung, wenigstens wegen Theilnahme an dem Morde, nicht entgehen können.«

»Wir wollen es abwarten!« sagte Helmstedt, den Kopf in die Hand stützend.

»Abwarten? Ihr sicheres Unglück? Ich weiß, daß es Ihnen nichts hilft, August; hier heißt es handeln und – Lüge gegen Lügen setzen, wenn darin die einzige Rettung ruht.«

»Was meinen Sie?« fragte Helmstedt, sie mit großen Augen ansehend.

»Geben Sie einen Ort an, wo Sie gewesen sein können,« erwiderte sie, während sich mit jedem Worte ihr Gesicht höher färbte, »sagen Sie – daß Sie die Zeit bei mir zugebracht haben, mich aber durch die Angabe nicht hätten compromittiren wollen – oder ich will es angeben und bestätigen Sie es nur. Es ist für mich kein solches Opfer, wie Sie vielleicht meinen. – Für Sie aber, denken Sie daran, August, die einzige Möglichkeit Ihrer Rettung.«

Helmstedt sah in das erregte Gesicht der jungen Frau, ohne augenblicklich eine Erwiderung finden zu können. Es war ihm wol schon bei ihrem letzten Worte klar gewesen, daß er nie einen Weg einschlagen konnte, wie sie ihn eben angedeutet, selbst wenn dieser weniger gefährlich gewesen wäre, als es sich ihm auf den ersten Blick zeigte – seine ganze Natur sträubte sich dagegen; das gänzliche Vergessen ihrer selbst aber, das sich in ihrem Vorschlage auszusprechen schien, zusammen mit dem Ausdrucke ihres Auges, in dem eine Sorge und Hingebung zitterten, die er so wenig verdient [] hatte, griffen ihm mit Macht zum Herzen. »Ich danke Ihnen, Pauline,« sagte er endlich, ihr seine Hand reichend, »ich danke Ihnen aus vollster Seele – Sie kennen aber wol selbst nicht den ganzen Umfang von dem, was Sie mir vorschlagen?«

»Ich kenne Alles, August, habe jede Folge überdacht, die daraus entspringen kann,« erwiderte sie lebhaft; »ich wiederhole Ihnen aber nochmals, ich bringe kein besonderes Opfer dabei – lassen Sie mich handeln und widersprechen Sie meinen Angaben nicht, das ist Alles, was ich von Ihnen verlange.«

Helmstedt drückte einen Augenblick die Hand vor die Augen. »Die Sache ist zu ernst,« sagte er dann, »als daß ich nicht mit der vollsten Aufrichtigkeit, selbst wenn sie mir und Ihnen wehe thun sollte, sprechen müßte. Sie sind verheirathet und in sichern Verhältnissen für Ihr ganzes Leben, Pauline; was Sie jetzt beabsichtigen, müßte, wenn es volle Wirkung haben und mein Schweigen erklären sollte, Sie aus dem Kreise Ihrer jetzigen Familie stoßen. Lassen Sie mich ausreden,« rief er, als sie Miene machte, ihn zu unterbrechen. »Das Alles wäre nichts, wenn Sie das Opfer einem Manne brächten, der die Verpflichtung, die Sie ihm dadurch auferlegen, mit seinem Herzen vereinigen könnte, der es zu seinem höchsten Ziele machte, Ihnen durch volle Hingebung das zu vergelten, was Sie ihm aufgeopfert und Ihre Ehre vor der Welt durch eine legale Vereinigung wieder herstellte; das – Pauline – das ist Alles aber bei mir nicht der Fall – ich bin Ihnen ein Geständniß schuldig, das bisher noch nicht über meine Lippen gekommen ist; ich bin mit Wort und Neigung anderwärts gebunden, und so wäre es Niederträchtigkeit, selbst in der höchsten Noth ein Opfer anzunehmen, das in keiner Beziehung nach Verdienst wieder vergolten werden könnte.«

»Sind Sie nun fertig, Sir?« erwiderte sie und in ihren leicht beweglichen Zügen spielte ein Ausdruck, halb aus [] Spott, halb aus einer tieferen Empfindung gemischt, »wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich ein Opfer bringe oder von Ihnen nur einen Gedanken verlange? Ich habe Ihnen meine ganze Seele offen dargelegt, damit Sie mich für das erkennen sollten, was ich bin, eine Frau, die sich nichts vorzuwerfen hat und der Sie vertrauen können; wäre nicht längst Alles vorbei und abgethan, was einmal in mir lebte, ich hätte wol schwerlich so ohne Rückhalt zu Ihnen gesprochen und ich hielt Sie nicht für so klein, August, daß Sie sich meinen jetzigen Schritt durchaus nicht ohne selbstsüchtige Absicht denken könnten, daß Sie es für nothwendig hielten, mir noch einmal auseinanderzusetzen, wie ungeheuer gleichgiltig ich Ihnen sei – als ob Sie mir das nicht längst schon deutlich genug gezeigt hätten!«

Helmstedt war von seinem Stuhle aufgesprungen und schritt einigemal die Stube auf und ab. »Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Pauline,« sagte er dann vor ihr stehen bleibend, »aber jedes Opfer trägt einen Grund und eine Berechtigung seiner selbst in sich. Den Fall gesetzt, daß Ihr Vorschlag ausführbar wäre, so würden Sie im geringsten Falle Ihren guten Ruf dabei verlieren – weshalb wollen Sie denn also das Opfer bringen, wenn ich selbst keinen Theil an Ihrem Beweggrunde habe? Sie werden einsehen, daß mein Irrthum ein ganz natürlicher war, und meine Einwendung eine ehrliche, gebotene.«

»Mein Opfer, wenn Sie es so nennen wollen, hat einen Grund und eine Berechtigung,« erwiderte sie, während die Farbe aus ihrem Gesichte wich, »ich habe Ihnen aber gesagt, August, daß meine Zunge mehr gebunden ist, als die Ihre es sein kann und Sie werden deshalb nicht weiter forschen. Nehmen Sie doch die Sache, wie sie ist, als den einzig möglichen Weg, um eine ungeheure Ungerechtigkeit des Gerichts zu verhüten, wenn Sie selbst sich nicht rechtfertigen dürfen und kümmern Sie sich nicht um meinen Grund – eine Lüge kann oft zur nothwendigen und erhabenen [] Handlung werden und es wäre Selbstmord Ihrerseits, wenn Sie nicht nach der Hand, die sich Ihnen zur Rettung bietet, greifen wollten.«

Helmstedt maß wieder die Stube. »Es geht nicht!« sagte er nach einer Weile. »Ich will einmal gar nicht von meinem eigenen Widerwillen reden – aber wollen Sie, Pauline, willent- und wissentlich einen falschen Eid schwören, ohne den Sie gar nicht zur Zeugenschaft zugelassen werden?«

»Es bedarf dessen nicht!« erwiderte sie eifrig – »und hätten Sie mir Zeit gelassen, so würde ich Ihnen auch schon den Weg, der eingeschlagen werden soll, mitgetheilt haben. Es gibt Mittel und Wege, den Richer und die Jury von Ihrem Aufenthalte bei mir zu unterrichten und dadurch ihr Urtheil zu leiten, ohne daß es auf der Zeugenbank laut wird – Mr. Morton steht mit allen den Gerichtspersonen auf vertrautem Fuße und hat Einfluß auf einen großen Theil der Familien im County. Jeder, dem die Sache mitgetheilt werden muß, wird einsehen, daß sie, ohne unserer Familie einen schweren Schlag zuzufügen, nicht vor die Oeffentlichkeit gebracht werden kann – sie wird demohngeachtet öffentlich werden, aber es wird nur dazu dienen, Ihre unbedingte Freisprechung herbeizuführen und mir jedes eigene Zeugniß ersparen. Und nun, August,« fuhr sie auf ihn zutretend fort, »sträuben Sie sich nicht länger, wo es sich allein darum handelt, Sie aus einer Lage zu reißen, in der Sie zu Grunde gehen können.«

Helmstedt hatte bei ihren letzten Worten gespannt aufgehorcht. »Mr. Morton weiß also um Ihren Plan?« fragte er.

»Ich würde nichts unternommen haben ohne seine bestimmte Einwilligung!« antwortete sie ernst.

Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich will nicht weiter fragen und forschen,« sagte er nach einer kurzen Pause, »mag der Grund Ihres Vorschlages liegen, worin er will, ich danke Ihnen von Herzen dafür; aber,« fuhr er fort, ihre [] beiden Hände in die seinen nehmend, »ich kann ihn nicht annehmen, Pauline. Hören Sie mich an. Es ist nicht Stolz oder übertriebener Rechtlichkeitsinn von mir, die vielleicht beide gerade hier am unrechtesten Orte wären; es ist ein anderes Gefühl, über das ich nicht hinaus kann. Ich habe Ihnen gesagt, daß meine Herzensneigung anderwärts gebunden ist, und diese ist mir ein Heiligthum, ist mir das Höchste auf der Welt, das ich durch ein Zugeständniß, wie Sie es verlangen, durch eine offen ausgesprochene Untreue entweihen und bestecken müßte. Fragen Sie sich selbst, was Sie von einem Manne denken würden, der sich lieber feig Ihrer unwürdig erklären, als einer Gefahr trotzen möchte. Ich kann und mag es nicht, Pauline. Liegt Ihnen nur daran, daß ich frei werde, so sollen Sie das hoffentlich bald erleben: ich habe erst heute gemerkt, daß ich zuviel auf glückliche Umstände gebaut habe und in meiner eigenen Sache zu lässig gewesen bin; ich werde Schritte thun, wenn auch unangenehme, durch welche mir auf gradem Wege meine Rechtfertigung nicht entgehen soll.«

Pauline hatte, während er redete, leise ihre beiden Hände zurückgezogen und stand jetzt, bleich wie die Wand der Zelle, vor ihm. »Ich habe kein Wort mehr zu sagen,« sprach sie mit gedrückter Stimme, »mag der Weg, den Sie einschlagen wollen, zu Ihrem Heile führen. Lassen Sie mich aber das Eine wissen, wenn ich es wissen darf, ist es Ellen, von der Sie reden?«

»Ich bin Ihnen Wahrheit schuldig, Pauline, Sie haben den rechten Namen genannt, aber werfen Sie das Verhältniß nicht unter die alltäglichen. Die erste halbe Stunde, die mich mit ihr ohne das Wissen ihrer Eltern zusammenführte, war auch unsere einzige und letzte – und je mehr unser kaum geborenes Verhältniß gebrandmarkt und in den Schmutz gezogen werden soll, um so heiliger wird es für mich, je mehr möcht' ich es vor dem kleinsten wirklichen Flecken bewahren. Ich habe keine Nachricht von ihr seit [] der unglücklichen Nacht, in welcher der Mord geschah; sie ist weggegangen, ohne mir das kleinste Zeichen zukommen zu lassen und ich mußte ihre Abreise erst heute aus der Zeitung erfahren; aber mir ist es, als hätte durch den kurzen Kampf mit meiner Sorge der Glaube an sie nur um so festere Wurzel in mir geschlagen. – Da haben Sie, was in mir lebt – Alles was ich nur einem Menschen gestehen kann.«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte sie, mit einem stillen Blicke zu ihm aufsehend, »mag denn Alles, was ich gesprochen habe, ungesagt sein, da Sie es nicht anders wollen. Brauchen Sie aber Hilfe irgend einer Art, so denken Sie daran, wo Ihre Freunde wohnen – das ist jetzt noch das Einzige, was ich Ihnen bieten kann.« Sie verhüllte ihren Kopf wieder in die Kapuze, pochte an die Thür und reichte ihm, als die Tritte des Schließers hörbar wurden, mit einem »Adieu, August!« die Hand. Helmstedt sah in ihr Gesicht, das in der schwarzen Umhüllung noch bleicher erschien, und hielt ihre Hand einen Augenblick fest. »Können Sie meine Gründe verstehen, Pauline, oder gehen Sie böse von mir weg?«

Sie schüttelte trübe den Kopf. »Ich habe nur Sorge um Ihr nächstes Schicksal, das Sie selbst viel zu leicht nehmen, weil Sie das Land und die Leute nicht kennen. Wenn nicht ein plötzliches Ungefähr kommt, das Sie herausreißt, ohne daß Sie Zeit haben mit ihren Bedenklichkeiten dagegen zu remonstriren, so sehe ich bei dem Stande der Dinge nur den trübsten Ausgang. Die glückliche Dazwischenkunft irgend eines Umstandes ist noch meine einzige Hoffnung für Sie,« fuhr sie fort und über ihr Gesicht zog es wie ein Sonnenblick eines bestimmten Gedankens – »Alles das wäre aber nicht nothwendig gewesen – adieu, und lassen Sie uns ein Wort wissen, wenn Ihnen etwas fehlt.« Sie war zur Thür hinaus.

Helmstedt horchte noch eine Weile auf das verschwindende [] Geräusch der Tritte und begann dann sinnend die Stube auf und ab zu gehen. Er wußte, daß er gehandelt wie er mußte, wenn er nicht mit sich selbst und mit Allem, was er für Recht hielt, in Zwiespalt gerathen sollte, und doch konnte er einer Unruhe, die mit einem Male über ihn kam, nicht Herr werden. Es war die einzige Freundin in dem fremden Lande, die mit ihrer Hilfe zurückgewiesen jetzt von ihm gegangen – er stand allein. Ihre sonderbare Bereitwilligkeit ihm das schwerste Opfer zu bringen, das eine Frau vermag, stand noch wie ein Räthsel vor seiner Seele, seit er den Gedanken hatte aufgeben müssen, daß eine Leidenschaft für ihn sie dazu getrieben, seit ihr eigener Mann dabei im Spiele war; er mochte aber nicht unnütz weiter darüber grübeln, es war vorbei und abgethan, seine eigene Kraft war Alles, worauf er sich noch verlassen konnte, und er wollte sie jetzt brauchen. – Auf seinem Tische befanden sich Papier und Schreibzeug, die er sich schon zu Anfang seiner Gefangenschaft hatte besorgen lassen und von einer Idee getrieben, die er schon während des eben gehabten Gespräches gefaßt, zog er einen Stuhl heran, und ergriff die Feder. Er wollte Elliot eine vollständige Darstellung der Sachlage geben, wollte ihm sich selbst, sein Verhältniß zu Ellen und die daraus entstandenen Verwicklungen offen zeigen und ihm dann überlassen, die nöthigen Schritte zur Aufklärung zu thun. Seit Ellen vor die Oeffentlichkeit gezogen und sogar mit dem Morde in Verbindung gebracht war, mußte dem Manne selbst eine Erklärung wie sie Helmstedt ihm geben konnte, willkommen sein. Der Gefangene schrieb rasch und lange, die Gedanken wie die Ausdrücke der fremden Sprache schienen ihm leicht und frei zuzufließen, und erst als er mit seiner Namensunterschrift geendet, machte er mit einem langen Athemzuge eine Pause. Er überlas nochmals aufmerksam das Geschriebene, faltete es nachher zusammen, setzte die Adresse darauf und klopfte sodann den Schließer.

[] »Sie sind wol so freundlich,« sagte er bei dessen Eintritt, »mir den Brief bald und sicher nach Oaklea besorgen zu lassen?«

»G.M. Elliot, Esquire,« las der Gefängnißwärter und ließ die Banknote, die ihm Helmstedt mit dem Briefe übergeben in seiner hohlen Hand verschwinden, »well, Sir,« fuhr er sich hinter dem Ohre kratzend fort, die Besorgung werde ich wol kaum übernehmen können.

»Warum nicht?« fragte Helmstedt, dem die Farbe aus dem Gesicht ging, »'s ist nichts darin, was nicht Jedermann lesen könnte.«

»Ich meine auch nicht deshalb,« erwiderte der Schließer. »Mr. Elliot ist aber, schon seit die Coroners-Untersuchung zu Ende ist, nicht mehr hier, und seine eigenen Leute wissen nicht, wohin er gereist ist, wahrscheinlich seiner Frau und Tochter nach. Er hat einen Agenten auf seine Farm gesetzt, der auch nichts von seinem Wohin wissen will, und es ist der allgemeine Glaube, daß er, um allem Aerger und Spectakel aus dem Wege zu gehen, gar nicht wiederkommen und sein Grundeigenthum hier verkaufen lassen wird.«

Helmstedt sah den Mann einen Augenblick wie zu Stein geworden an, dann nahm er ihm den Brief langsam wieder aus der Hand. Die Sache war zu einfach und natürlich, als daß er nur eine Frage hätte thun mögen. »Ich danke Ihnen!« sagte er und ging nach dem Fenster; als er aber die Thür wieder zuklappen hörte, fiel er in den neben ihm stehenden Stuhl. Die Ueberzeugung war plötzlich wie ein Gespenst vor ihn getreten, daß ihm jetzt fast jede Möglichkeit zu einer Rechtfertigung abgeschnitten war, und daneben kroch der Gedanke durch sein Gehirn, wie doch als Sühnopfer der begangenen That sich Niemand besser eigene, als er, der verlassene und unbekannte Fremde.

[] Eilftes Kapitel.
»Spät kommst du, doch du kommst.«

Der Termin der Gerichtseröffnung war herangekommen, die neue Jury war gebildet und in das Städtchen schien sich die ganze Bevölkerung des Countys ergossen zu haben, um Zeuge der Verhandlungen des Mordprozesses zu sein. Schon von früh an belagerten bunte Haufen das Courthaus, um das Oeffnen der Thüren zu erwarten und allerwärts cursirten die seltsamsten Geschichten über den Ausgang der Untersuchung. Bald waren so reiche und vornehme Familien in die That verwickelt, daß an eine Veröffentlichung des eigentlichen Verlaufs des Verbrechens gar nicht zu denken war – bald war der Staatsanwalt und die Jury bestochen, daß schon die Nichteinigung der Jury im Voraus ausgemacht sei, um den Prozeß weiter hinauszuschieben, bis der Unwille des Volkes verraucht und der Thäter ohne Gefahr freigelassen werden könne. – Ein Mord war etwas seltenes in den friedlichen Thälern, aber es war nicht nur die Besorgniß, einen Theil der Befriedigung ihrer Neugierde zu verlieren, was sich unter den Massen aussprach; es war ein vollkommen ausgebildetes Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit der Gerichtsbeamten, und der denkende Beobachter, der zwischen den Menschen hindurchging, konnte leicht zu der Wahrheit gelangen, das ausbrechende »Mobs« und »Lynchgerichte« weniger in der Zügellosigkeit der Massen, als in der tief eingefressenen Ueberzeugung von der Corruption aller öffentlichen Beamten liegen.

Helmstedt war, zur Vorbeugung jeder Straßenunruhe, schon bei Tagesgrauen in ein Zimmer des Courthauses gebracht worden. Morton hatte ihm, kurz nachdem er die Vorschläge von dessen junger Frau abgewiesen, einen der bekanntesten Advocaten der Gegend als Vertheidiger zugesandt, aber der Gefangene hatte sich auch gegen diesen in keine Erklärung über seinen Aufenthalt zur Zeit des Mordes [] einlassen wollen. »Können Sie einen haltbaren Vertheidigungsgrund aus einer Angabe formen, für die nicht der geringste Beweis da ist?« hatte er ihm gesagt, »oder meinen Sie, ein Alibi glaubhaft machen zu können, wo eben nur Gott der Zeuge meines Aufenthaltes war? Kundschaften Sie den Aufenthalt Elliots und seiner Familie aus, daß ich ihnen schreiben kann; dort liegt meine einzige Hoffnung, ohne die Alles, was ich auch sagen könnte, vergebens ist.« Seit der Zeit hatte sein Vertheidiger den Punkt nicht wieder berührt, aber auch eben so wenig Etwas von einem Erfolge seiner Forschung nach Elliot erwähnt. Die Grandjury hatte kurze Zeit darauf eine Anklage gegen den Verhafteten »wegen Theilnahme an dem Morde Henry Bakers« eingereicht, und jetzt saß er, die sich um das Courthaus anhäufenden Menschen betrachtend, und erwartete die Stunde seiner Vorführung.

Es mochte acht Uhr sein, als sein Advocat zu ihm ins Zimmer trat. »Verteufelt kalt!« sagte er, sich in die Hände reibend, »haben Sie nicht bei diesem Wetter bisweilen in Ihrem Loche frieren müssen? Wir sind hier gar nicht auf ein so strenges Winterregiment eingerichtet und unser Gefängniß am allerwenigsten. – Ich denke, wir werden bald vorkommen,« fuhr er fort, sich mit dem Rücken ans Feuer stellend, als sich Helmstedt mit Gewalt aus seinen Gedanken aufriß, aber nicht gleich antwortete, »nur den Muth nicht verloren, junger Freund«. Haben wir auch keine Entlastungszeugen vorzuführen, so fehlen der Anklage doch ebenfalls die Hauptzeugen zu ihrer Unterstützung. Elliot ist nicht da, wenn er nicht mitten in der Nacht angelangt ist. Alle kleineren Zeugnisse der schwarzen Gesichter werden als unstatthaft zurückgewiesen, es bleiben also nur die bei der Todtenschau ermittelten Thatsachen stehen, und es kommt einzig darauf an, wie diese aufgestutzt und entkräftet werden. Jedenfalls wird es eine der interessantesten Verhandlungen geben. Unser Staatsanwalt ist ein geriebener Patron und es ist möglich, daß er einen Ehrenpunkt daraus macht, [] trotz der mangelnden Grundlage die Anklage aufrecht zu erhalten; lassen Sie sich aber dadurch nicht einschüchtern und zeigen Sie der Jury eine offene Stirne – der Eindruck, den der Angeklagte macht, ist in Fällen, wie der Ihrige oft Alles.

Helmstedt fühlte sich zu aufgeregt, als daß er auf die kalte geschäftliche Weise, seine Aussichten zu besprechen, hätte eingehen mögen und er war froh, als der Beamte eintrat, um ihn vor den Gerichtshof zu führen. Der hohe, geräumige Saal war überfüllt von Menschen, und ein geräuschvolles Murmeln zog durch die Menge, als er, bleich von innerer Spannung und ausgestandener Haft, aber mit frei gehobenem Kopfe und sorgfältiger Toilette nach dem ihm angewiesenen Platze schritt. Kaum hatte er sich gesetzt und sein Vertheidiger den Platz vor ihm eingenommen, als auch der Richter Ruhe gebot und der Staatsanwalt seine Anklage eröffnete. Es war keine Advocatenrede, voll logischer Schlüsse und Gesetzesstellen, die er begann, es war ein rhetorisches Meisterstück, voll Leben und Wärme; der Ankläger wurde zum Dichter, zum Maler, zum Geschichtsschreiber. Er schilderte die Zustände im Staate, die allgemeine Sicherheit, wie sie im offenen Walde und auf dem freien Felde geherrscht habe, wie selten es der Landbewohner für nöthig gehalten, Nachts die Thür seines Hauses zu verschließen, wie das allgemeine Vertrauen der sicherste Schutz und der Segen für den Staat geworden. Er gab eine statistische Uebersicht der Verbrechen und wies nach, wie in einer Reihe von Jahren kein Kapital-Verbrechen geschehen, das nicht offen vor dem Auge von Zeugen vollbracht und aus augenblicklicher Leidenschaft entsprungen gewesen, die selbst in ihrer Offenheit noch etwas Edles an sich getragen habe. Er schrieb diese Zustände dem glücklichen Charakter der eingeborenen Bevölkerung zu, er wünschte sich und seinen Mitbürgern Glück, Bewohner von Alabama zu sein. Jetzt, nach langer Zeit zum ersten Male, waren die Bürger in [] ihrer Sicherheit durch eine gräßliche That aufgerüttelt worden, ein Mord war geschehen in dunkler Nacht auf freiem Felde – ein Mord, der nichts mit dem Ueberwallen der offenen Leidenschaft zu thun gehabt, der nach seiner Seite hin den Stempel des heimlichen Ueberfalles, des feigen Meuchelmordes an sich trug, ein Mord, der, so lange nicht der Thäter entdeckt, wie ein Gespenst durch das Land schleichen, den Farmer aus seinem ruhigen Schlummer aufjagen, den einsamen Wanderer erschrecken, Vertrauen und Glück verscheuchen müsse. Selten sei es so nothwendig gewesen, mit so unerbittlicher Strenge gegen den Thäter, wo er sich auch finde, einzuschreiten, als gerade in dem jetzigen Falle. Wie es aber auch natürlich sei, lege sich kein Verdach der That auf einen Bürger Alabama's; ein Fremder sei es, der die Gastfreundschaft ihres Landes mit Verbrechen vergolten, ein Fremder, gegen den er die Anklage erhebe, und wenn er die Jury bitte, ohne Schonung und Mitleid ihr Schuldig auszusprechen, so geschehe es nur, um ein Exempel zu statuiren, das Andern die Lust vertreibe, Alabama zum Tummelplätze ihrer Unthaten zu machen.

Dann begann er auf Helmstedt selbst überzugehen lind es schien ihm kaum ein Moment von dessen Leben in Amerika unbekannt zu sein. Er schilderte ihn, wie er hergekommen, ohne Mittel und Empfehlungen als die eines jüdischen Pedlars, der selbst eine unklare Person und seit Beginn des Prozesses verschwunden sei – wie er vertrauensvoll in eine der besten Familien aufgenommen worden und das Vertrauen nur benutzt habe, um in unendlich kurzer Zeit die Tochter des Hauses aller Sitte und ihrer kindlichen Pflichten abtrünnig zu machen, wie seinen Speculationen nur der von den Eltern erkorene Schwiegersohn im Wege gestanden und er kein anderes Mittel gewußt, um seine Zwecke zu erreichen, als ihn aus dem Wege zu räumen. Jetzt begann er mit schlagender Logik alle gegen Helmstedt sprechenden Thatsachen, sowie seine nächtliche Abwesenheit [] an einander zu reihen und versprach für jede die nöthigen Zeugen vorzuführen. »Aber,« schloß er, »das liefert noch nicht den Beweis, daß er den Todesstreich geführt – nein! und ich habe auch jetzt kein Recht, irgend eine Anklage dahin zu erheben – wenn aber die Thatsachen, wie sie vor uns liegen, nicht genügend sind, um den ganzen moralischen Theil es Verbrechens auf ihn zu legen und wenigstens die thätliche Beihilfe zu begründen, so mag nur Alabama die Zeit seines Friedens als gewesen betrachten, so mag nur Niemand bei Dunkelwerden ohne Waffe aus dem Hause gehen und der Landbewohner seine Thüren mit Sicherheitsschlössern versehen – denn Alabama wird bald das gelobte Land alles liederlichen und verbrecherischen Gesindels anderer Staaten werden!«

Eine Todtenstille herrschte im Saale als der Staatsanwalt schwieg, und das siegesgewisse Auge, mit welchem er Richter, Jury und Publikum überschaute, zeigte, daß er sich des ganzen Eindrucks bewußt war, den seine Rede hervorgebracht. Nur Helmstedt, auf den sich jetzt die Blicke von allen Seiten richteten, schien wenig die Beredtsamkeit der Anklage zu würdigen und saß, das Auge fest auf den Staatsanwalt gerichtet, in voller Ruhe da; selbst die auffallende Blässe seines Gesichts hatte sich verloren und einer lebhafteren Farbe Platz gemacht. Eine augenscheinliche Erschütterung machte sich indessen bei ihm geltend, als jetzt zwischen einer Gruppe von Advocaten, welche eine Ecke innerhalb des für das Gericht bestimmten Raumes eingenommen hatten, Elliot hervortrat, um als erster Zeuge für die Anklage zu dienen, ohne nur einen Blick nach dem Angeklagten zu wenden. Und als hätte Helmstedts Vertheidiger dessen Gedanken errathen, wandte er sich nach ihm um: »'s ist wie gesagt, ein geriebener Patron, der Staatsanwalt, ich ahnte schon heute Morgen eine Ueberraschung!« sagte er. »Aber er soll uns nicht verblüffen und wenn er seine Zeugen vom Nordpol holte. Nur Muth und ein [] freies Gesicht, denken Sie daran, unsere Zeit zu reden wird auch kommen!«

Was sich aber in Helmstedts Innern regte, war nichts was eine Ermuthigung dieser Art bedurfte. Er hätte ein Stück von seinem Leben hingeben wollen, wenn er vor den Verhandlungen Elliot hätte sprechen, ihm den Sachverhalt darlegen und zu seinem Herzen, das er zu kennen glaubte, hätte reden können. Es war ihm, als hätte sich jede Verwickelung ganz von selbst lösen müssen, wenn er nur gegen ihn sein eigenes Herz frei gemacht – und nun stand Elliot da zur Unterstützung der Anklage, und jedes Wort, das Helmstedt zu seiner Rechtfertigung hätte sagen können, mußte nur zur Verstärkung dessen dienen, was die Meinung des Volkes über sein Verhältnis mit Ellen zusammengereimt und ein neuer Schlag auf des Vaters Haupt sein, dessen gedrücktes Auftreten schon jetzt deutlich aussprach, welche Last auf ihm ruhte.

Elliots abgegebenes Zeugniß bestätigte Helmstedts Abwesenheit aus dem Hause zur Zeit des Mordes und dessen eigenes Zugeständniß derselben, gab auch an, wie der Angeklagte schon am Tage nach seiner Ankunft in Alabama bei einer zufälligen Begegnung auf einem Spazierritte mit seiner Tochter dem Ermordeten ohne besonderen Grund entgegengetreten, und erwähnte dabei, daß das Mädchen schon am nächsten Morgen mit ihrer Mutter eine Besuchsreise angetreten habe und bis zum Tage vor Neujahr abwesend gewesen sei, was irgend ein Verständniß ihrerseits mit dem Angeklagten zu einer Unmöglichkeit mache. Und wenn aus dem aufgefundenen Briefe seiner Tochter Etwas gefolgert werden solle, so könne dies nur der Trotz eines verzogenen Kindes sein, das zum ersten Male auf einen ernsten Willen bei seinen Eltern treffe und sich, durch das einschmeichelnde Wesen des neuen Hausgenossen verführt, zu einem unbedachten Schritte habe hinreißen lassen.

Helmstedt senkte den Kopf, über das Gesicht seines Advocaten [] aber zog ein sarkastisches Lächeln. »Wirklich fein!« flüsterte er dem jungen Manne zu, »was er da sagt, könnte als Entlastungszeugniß für uns gelten, wenn nicht Jeder wüßte, daß nur das väterliche Gefühl aus ihm spricht, und so muß nach den Verhältnissen, die er darstellt, die Jury noch einen größern Begriff von Ihrer Durchtriebenheit bekommen. Wir kennen aber die Taktik!« Helmstedt schien nichts zu hören, er hatte das Auge wieder gehoben und hielt es starr auf den Zeugen gerichtet, als verfolge er einen Gedanken, der eben in ihm lebendig geworden. – Die weiteren Aussagen stellten die durch die Todtenschau schon bekannten Thatsachen fest; eins aber habe er noch hinzuzufügen, bemerkte Elliot am Schlusse, da ihm kein Punkt zu unwichtig erscheine, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, das sei die Erzählung seines Schwarzen Dick, den er mit Helmstedt bei der aufgefundenen Leiche als Wache zurückgelassen habe, von dem sonderbaren damaligen Benehmen des Angeklagten. Der Leichnam mit seinen offenen gläsernen Augen und verzerrten Zügen habe auf jeden Menschen einen grausigen Eindruck hervorbringen müssen, so daß sich auch der Schwarze so weit davon weg gemacht habe, als es mit seiner Pflicht verträglich gewesen; Helmstedt aber habe sich neben den Todten gestellt und ihm unverwandt in das Gesicht geblickt, gerade wie Einer, der sich ein fertig gebrachtes Werk noch einmal aufmerksam betrachtet, so daß es der Schwarze nicht mehr habe mit ansehen können und dem Angeklagten zugerufen habe – –

»Damn! das geht zu weit!« rief jetzt Helmstedts Advocat mit kaum halb unterdrückter Stimme und erhob sich.

»Möge mir der Gerichtshof ein Wort erlauben, ich muß gegen jedes Zeugniß, was sich auf die Angabe von Negern gründet oder durch diese selbst beigebracht wird, als vollkommen unstatthaft protestiren –« er wurde aber von Helmstedts Hand durch einen Griff an seinem Arme unterbrochen. Er wandte sich um und ein kurzes leises Gespräch [] entstand zwischen Beiden, in welchem der Angeklagte eifrig auf seinem Willen zu bestehen schien. Mit einem Achselzucken wandte sich endlich der Advocat wieder dem Richter zu. »Es kann wol in keinem Falle mehr die Weisheit des Gesetzes hervortreten, Neger nicht als giltige Zeugen zuzulassen, als in dem vorliegenden,« sagte er; »ein unwissender, abergläubischer Schwarzer, der sich vor dem Opfer eines Mordes entsetzt, sieht einen vorurtheilsfreien, gebildeten Mann die Züge des Todten betrachten, vielleicht mit einem wissenschaftlichen Interesse, von dem Jener nie auch nur eine Ahnung haben kann; in seinem Geiste entstehen sofort unheimliche Vermuthungen, nach denen sich färbt, was er sieht, und er ist bereit, als Zeuge die abenteuerlichsten Gebilde seiner eigenen Phantasie als Thatsachen anzugeben und zu beschwören. Trotz alledem glaubt mein Client seiner guten Sache und der Entdeckung der Wahrheit zu schaden, wenn er sich auch nur einem einzigen Zeugnisse zu entziehen sucht und er wünscht deshalb, im Gegensatze zu meinem vorigen Proteste, der Anklage volle Freiheit zu geben und jeden Zeugen, den der Gerichtshof selbst als zulässig erachtet, vorzuführen.« Der Advocat setzte sich, ein leises Murmeln lief durch die Reihe der Zuschauer, der Staatsanwalt aber sandte dem Vertheidiger einen heimlichen Blick voll schalkhafter Drohung zu, als handele es sich nur um einen gelungenen Streich, den dieser eben gegen ihn ausgeführt. »Ich halte es für meine Pflicht, von der zugestandenen Erlaubniß Gebrauch zu machen,« sagte er sodann, einen tiefen Ernst wieder vor das Gesicht nehmend, »da in der Dunkelheit, welche das Verbrechen umgibt, jedes Zeugniß über einzelne Umstände, und sollte es das eines Kindes sein, doppelten Werth gewinnt und wir werden sehen, ob die Vertheidigung den weitern Aussagen mit derselben Zuversicht entgegentritt, wie sie sich jetzt den Anschein zu geben versucht.« Er winkte einem der dienstthuenden Beamten, welcher den Saal verließ, aber nach [] wenigen Minuten mit Cäsar zurückkehrte. Er war der Zeuge, welcher bei einem Gange nach Oaklea von weitem gesehen, wie Helmstedt dem heranreitenden Baker den Weg versperrt, in der Entfernung aber und in gleicher Linie mit den Reitern, die sich einander deckten, hatte er von den Bewegungen Beider nur wahrnehmen können, wie sich plötzlich Bakers Pferd gebäumt und davongesprengt sei, wie dieser es wieder gezügelt, zurückgeritten und dann gegen Helmstedt die Faust erhoben habe. Von einem Schlage, den Helmstedt geführt, hatte er nichts bemerkt, so sehr auch der Vertheidiger ihm das Gedächtniß über diesen Punkt zu schärfen versuchte, um einen Hauptanschuldigungsgrund gegen Helmstedt, der sich auf den unweit des Todten gefundenen Reitpeitschenknopf stützte, zu entkräften. Seine Bemühungen schienen nur dazu zu dienen, Helmstedts Angabe, daß er bei diesem Zusammentreffen den Knopf eingebüßt, als eine Ausflucht erscheinen zu lassen. Als Cäsar zurücktrat, folgten drei andere Zeugen, reiche Plantagenbesitzer aus der Umgegend, welche sich über den Charakter des Ermordeten, den Helmstedt nach seinem eigenen Zugeständnisse habe aus der Gegend treiben wollen, weil er ein Schwindler und Spieler sei, aussprachen, und bezeugten, daß sie mit Baker durch die besten Familien im Osten bekannt geworden und ihn immer nur als tadellosen Gentleman gekannt hätten. Zuletzt kamen die Beamten, welche Helmstedts Sachen durchsucht und über diese wie über Ellens Brief berichteten, der vor dem Staatsanwalt auf dem Tische lag und jetzt vorgelesen ward. – Das ganze Zeugniß war so gelungen geordnet, daß ohne jedes verbindende Wort die Ueberzeugung von Helmstedts Schuld und der Beweggrund, der die That erzeugt, sich wie ein logischer Satz in der Seele eines Jeden bilden mußte.

Es war lange Mittag vorüber, als der letzte Zeuge für die Anklage gesprochen, und der Richter hob die Sitzung für eine Stunde auf. Von der Masse der Zuschauer schien [] indessen ein großer Theil entschlossen, den Platz zu behaupten; die meisten aus dem Lande Gekommenen hatten sich mit des Lebens Nothdurft versehen und kaum hatten Gerichtshof und Advocaten ihre Plätze verlassen, als auch die gelöste Spannung sich in einem wirren Durcheinander von Stimmen Luft machte. Der Angeklagte ward wieder nach dem früher von ihm eingenommenen Zimmer geführt, an dessen Thür sich sein Vertheidiger mit der Ermahnung, sich das Mittagessen nicht durch unnöthig trübe Gedanken verderben zu lassen, von ihm verabschiedete. Helmstedt fand ein bedecktes Tischchen mit kalten Fleischspeisen und einer Flasche Madeira seiner wartend; er ahnte, wem er diese freundliche Sorge für ihn zu danken hatte, und ein wohlthuendes Gefühl, wenigstens nicht ganz verlassen dazustehen, kam über ihn. Er hatte seit Tagesgrauen nichts zu sich genommen, fühlte aber dennoch seinen Magen wie zugeschnürt und erst als er ein Glas Wein getrunken, schien sich das beklemmende Gefühl zu lösen. – Gleich beim Beginne der Nachmittagssitzung sollte die Vertheidigung ihren Anfang nehmen – er mußte essen, wenn er dann seine Kräfte bei einander haben wollte; langsam in tiefem Sinnen schritt er das Zimmer auf und ab, bald ein paar Bissen zu sich nehmend, bald einen Schluck Wein trinkend; sein Gesicht begann nach und nach aufzuleben, Gedanke auf Gedanke schien sich in ihm zu entwickeln, und als er endlich wi der nach dem Gerichtszimmer gerufen wurde, nahm er seinen Platz so freien, glänzenden Blickes ein, als ginge er irgend einem glücklichen Ereigniß und nicht seiner wahrscheinlichen Verurtheilung entgegen.

Der Richter gebot Ruhe, und der Vertheidiger erhob sich. »Lassen Sie mich selbst mit ein paar Worten beginnen, wenn das erlaubt ist!« flüsterte diesem Helmstedt mit erregter Stimme zu, »ich denke, es soll der Sache nicht schaden und Sie mögen dann mit Ihrer Gesetzeskenntniß nachbessern.«

[] Der Advocat sah ihm einen Augenblick überrascht in die Augen. »'S ist Ihre eigene Sache, Sir, das ist Alles, was ich sagen kann!« erwiderte er dann, »das Wort kann Ihnen Niemand abschneiden, wenn Sie's verlangen; ich halte es aber jetzt für meine Pflicht Ihnen zu sagen, daß ich selbst eines sichern Ausgangs noch nicht gewiß bin. Ich habe bis jetzt auf einen wichtigen Entlastungszeugen in Ihrer Sache gehofft, der aber leider noch nicht eingetroffen ist, und dessen Ankunft ich nach dieser Zögerung auch durchaus nicht mehr verbürgen möchte.«

»Um so mehr denke ich selbst nachhelfen zu müssen, wo ich die Kraft fühle,« sagte Helmstedt und sein Gesicht nahm eine erhöhte Farbe an, »zu verderben fürchte ich nichts und Ihrer Rechtslogik bleibt dann immer noch die Hauptsache!«

Der Advocat nickte und zeigte dem Gerichtshofe an, daß der Angeklagte für einige Bemerkungen selbst das Wort ergreifen werde. Die Ankündigung rief eine allgemeine Bewegung unter dem Publikum hervor, daß der Richter von Neuem Ruhe gebieten mußte, und alle Blicke richteten sich gespannt auf die Anklagebank, wo sich Helmstedt langsam aber mit frei aufgerichtetem Kopfe und lebendigem Gesichte erhob.

Er begann die ersten Worte mit einer Stimme, der man die tiefe Erregung anhörte, und eine Stille legte sich über die Versammlung, in der das Summen einer Fliege vernehmbar geworden wäre. Seiner Aussprache des Englischen klebte noch überall der deutsche Accent an; aber seine Ausdrucksweise, seine Wendungen waren neu, ungewohnt für die Zuhörer und darum um so anregender. Jeder fühlte, daß die Worte mitten aus dem Herzen des Redenden kamen, und je weiter er sprach, je freier schien er zu werden, je leichter und reicher schien sich Gedanke und Ausdruck in ihm zu entwickeln. Er bat um Entschuldigung, daß er selbst das Wort ergreife, wenn es auch ungewöhnlich sei; ich meine aber, jeder Jury müsse es nur recht sein, den Angeklagten, über den sie abzuurtheilen habe, selbst und nicht erst durch [] die zweite Hand des Vertheidigers kennen zu lernen – und wenn das Institut der Jury nur dazu gestiftet worden, daß der Bürger durch den geraden offenen Verstand seiner Mitbürger gerichtet und nicht ein Opfer von Rechts- und Gesetzesdeuterei werde, so wisse er nicht, warum ein Advocat für ihn sprechen solle, wo seine klare Sache nichts zu fürchten habe, als nur absichtliche Verwickelung und Verdrehung, wie sie der öffentliche Ankläger zum Ruhme seiner Rednergabe, aber nicht seines Herzens und Gewissens angewandt. Als schlichter Mann schlichten Männern gegenüber wolle er zu ihnen reden und den Fall in seiner Einfachheit vorführen. Ein Mord sei begangen worden und er sollte dazu geholfen haben. Die Beweise, die ihnen vorlägen, seien es aber sicherlich nicht, die ihn auf die Anklagebank gebracht hätten – die Reitpeitsche, von welcher der Knopf gefunden worden, hänge Tag und Nacht in einem offenen Stalle, jeder Hand zugänglich – sein bloßes Nachhausekommen erst nach der Zeit des Mordes könne ihn eben so wenig zum Uebelthäter stempeln als jeden Andern, der zu dieser Zeit noch aus dem Hause gewesen sei; und daß er sich geweigert habe, über sein Verbleiben Auskunft zu geben, müsse eher für ihn sprechen – ein so kaltblütiger Bösewicht, der nach eben geschehener Blutthat offen wieder in sein Haus tritt und sich ruhig den Blicken seiner Hausgenossen preisgibt, wie er es gethan, habe sicherlich auch wenigstens auf einen Vorwand für seine Abwesenheit gedacht; alle diese Beweise seien nichts; sie erhielten aber eine furchtbare Unterstützung durch Umstände, die allgemein als bestehend angenommen würden, durch ein Liebesverhältniß seinerseits mit der Tochter des Hauses, welchem der Ermordete durch seine Heirathsbewerbungen im Wege gestanden habe. – Er, der Angeklagte, solle nur Helfer bei dem begangenen Verbrechen gewesen sein; wer sei denn aber der wirkliche Mörder? Wenn hauptsächlich nur durch sein Verhältniß zu der jungen Dame die Anklage gegen ihn, als Helfershelfer bei dem Morde, [] einen Grund erhalte, so sei dadurch doch auch schon ausgesprochen, daß Niemand die eigentliche That vollbracht haben könne, als die Tochter des Hauses selbst – wer anders hätte sich sonst für ein Interesse, das sie Beide allein betraf, zu dem Verbrechen hergeben können? Denke sich nur Jemand, es sei erwiesen, daß sie die Thäterin nicht sei, nehme nur Eins an, daß ein Verhältniß, wie es das Volk zusammengefabelt, um einen Grund für die That zu haben, nicht bestehe – wo liege denn nachher der geringste Grund für eine Theilnahme an der That, deren er selbst beschuldigt worden? – Und nun wolle er fragen, fuhr er fort und seine Stimme ward bewegter, ob wol Männer unter den Jurors seien, welche die junge Dame kennten? ein harmloses Kind, das noch kaum einen Tag aus dem Schooß ihrer Familie und von der Seite der Mutter gekommen, dem noch kein unfreundlicher Wind die Seele aus ihrer Ruhe gerüttelt! Wer aber wirklich ihm, dem Angeklagten, so übernatürliche Kräfte zutraue, daß er während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit im Hause ein reines kindliches Herz bis zum Morde habe verführen können, der möge sich doch die einfache Thatsache ansehen, die bereits von ihrem Vater bezeugt, daß zwei Tage nach seiner Ankunft die Tochter mit ihrer Mutter das Haus verlassen und erst am Abend des Mordes zurückgekehrt sei, der möge sich zugleich selbst fragen, wie unter den Augen der Eltern während dieser Zeit ein Verhältniß zu dem Grade habe reifen können, wie es den eigentlichen moralischen Halt der Anklage bilde. – Er machte hier, die Hand vor die Augen drückend, eine kurze Pause. Einen einzigen Punkt habe er noch zu berühren, fuhr er dann fort, das sei der aufgefundene Brief des Mädchens an ihn; aber nur der blinde Eifer oder eine verdorbene Seele könne etwas Anderes darin herauslesen, als ein gedrängtes Herz, das sich scheu an einen Unbekannten, von dem es Hilfe hoffe, wendet. Er erzählte, wie er durch Bakers Zudringlichkeit auf dem Spazierritte mit Ellen von [] dem Zwange, unter welchem sie leide, unterrichtet worden, daß er diesen für einen Schwindler gehalten und dem Mädchen versprochen habe, Nachrichten über ihn einzuziehen, daß Elliot nichts gegen den Mann habe hören wollen und sie sich deshalb auf brieflichem Wege über das, was er erfahren, bei dem Angeklagten erkundigt habe. – »Das ist der einfache Stand der Dinge, Gentlemen,« schloß er, »ich habe keine Beweise, keine Zeugen für mich, nichts als die Kraft der Wahrheit. Sicher aber wird sie in der gesunden Urtheilskraft eines Jeden das ihre thun, einer Anklage gegenüber, die kein Mittel zur Aufrechterhaltung der Beschuldigung scheut und, wenn ihr die Beweise fehlen, den Fremden, der die Gastfreundschaft des Staates sucht, zum Verbrecher machen möchte, nur weil er ein Fremder ist.«

Eine Todtenstille herrschte, als er sich niedersetzte, kein Zeichen des Beifalles, keines des Mißfallens, wie es sonst trotz aller gebotenen Ordnung sich hörbar macht, wurde laut, die Jurors sahen ernst vor sich hin oder geradeaus in die Luft, und ein Gefühl der Unsicherheit, einer fehlgeschlagenen Hoffnung fing an in Helmstedts Seele heraufzukriechen. Der Platz seines Vertheidigers vor ihm war leer; als er aber jetzt ausblickte, sah er diesen, augenscheinlich erregt, zwischen den Menschen hervorkommen. Helmstedt fing einen Wink von ihm auf, den er sich nicht deuten konnte. In diesem Augenblicke aber trat der Advocat in die Mitte des Saales und sagte laut: »Wolle mir der Gerichtshof das Wort erlauben, ich werde im Stande sein, einige Zeugen zu Gunsten der Vertheidigung vorzuführen!« und aus der Menge heraus folgte ihm ein alter Herr in Begleitung von zwei verschleierten Damen. Helmstedt erkannte Morton, als dieser den Zeugenplatz einnahm und das Gesicht nach ihm drehte; die eine von dessen Begleiterinnen schien ihm Pauline zu sein; die zweite aber, schlanker und von eleganteren Formen als jene, war ihm unmöglich zu errathen. Es war nur von verhältnißmäßig untergeordneter Bedeutung, [] was Morton auszusagen hatte; er legte mehrere beschworene Aussagen von New-Yorker Kaufleuten vor, welche die Meinung des Angeklagten über Baker bestätigten und diesen als einen Mann ohne bestimmtes Geschäft schilderten, der theils durch das Spiel, theils auf andern verbotenen Wegen sein Leben gemacht, stets aber im Sommer in den fashionablen Badeorten zu finden gewesen sei und so sich eine gewisse Scheinstellung in der Gesellschaft zu verschaffen gewußt. Morton gab an, daß sämmtliche Aussagen der Betreffenden auf seine an sie ergangene Bitte gemacht worden seien. Er trat hinweg und die zweite seiner Begleiterinnen erhob sich. Sie schlug kräftig den Schleier zurück, als sie zur Eidabnahme vorschritt und ein jugendliches bleiches Gesicht erschien, das sich mit einem Lächeln, wie ein heller Sonnenblick zwischen Frühlingsregen, nach der Anklagebank richtete. Helmstedt fuhr halb von seinem Sitze auf und unterdrückte mit Mühe einen Schrei – in demselben Augenblicke aber entstand eine Bewegung in einem andern Theile des Gerichtsraumes. »Ellen!« rief mit dem Ausdrucke des Staunens, hastig zwischen seinen Umgebungen hervortretend, »wie kommst du hierher, Kind – was willst du hier?« Das Lächeln starb auf des Mädchens Gesichte und machte einem Ausdrucke des Leidens Platz. »Ich komme nachher zu dir, Vater,« sagte sie, »ich muß erst Zeugniß ablegen.«

»Was um Christi willen willst du bezeugen, wer hat dich denn hierher gebracht?«

»Was ich muß, Vater,« erwiderte sie, ihm groß in die Augen sehend, »laß mich jetzt, ich komme nachher zu dir!«

Aller Augen waren gespannt auf die Scene gerichtet; Elliot, dem das hervorgerufene Aufsehen erst jetzt beifallen mochte, sah um sich und trat zögernd zurück. Ellen aber warf einen neuen lächelnden Blick voll Tröstung und Verheißung nach Helmstedt und leistete dann den Zeugeneid. »Sie habe nichts von dem ganzen Falle, der jetzt verhandelt werde, erfahren,« begann sie und ihre klare, weiche [] Stimme berührte eigenthümlich wohlthuend jedes Ohr – »sie sei mit ihrer Mutter schon seit Wochen auf einer Besuchsreise abwesend gewesen, sonst hätte sie längst ihr Zeugniß angeboten, und sie halte es jetzt für eine heilige Pflicht, dies abzugeben, wie es ihr Gewissen verlange, ohne Rücksicht auf sich selbst oder einen andern Menschen. Soviel sie gehört,« fuhr sie fort und ihr Gesicht begann sich leise zu röthen, »weigere sich der Angeklagte, seinen Aufenthalt zu der vermuthlichen Zeit des Mordes anzugeben, sie werde und müsse es aber an seiner Statt thun.« Sie begann jetzt schmucklos zu erzählen, wie Baker in ihr Haus eingeführt worden und ihr Ton war fast kindlich, sprach von ihrem Widerwillen gegen ihn und von dem Zureden ihrer Eltern, seine Bewerbungen anzunehmen, berichtete dann Helmstedts Eintritt in die Familie und seinen ausgesprochenen Verdacht gegen den Freier, erwähnte, wie der Tag ihrer Verlobung festgesetzt und ihr, dem unbeugsamen Willen ihrer Eltern gegenüber, nichts übrig geblieben sei, um bestimmte Auskunft zu erhalten, als die Nacht vor Neujahr zwischen zehen und elf Helmstedts Mittheilungen von ihrem Fenster aus entgegen zu nehmen, und wie die Furcht, gehört zu werden, ihn hinauf zu ihrem Fenster und dann durch seine unsichere Stellung in ihr Zimmer getrieben habe. Ein glühendes Roth übergoß sie, als sie den letzten Satz beendet. »Sie könne über jede ihrer Handlungen in der Zeit von Helmstedts Aufenthalt bei ihr vor Gott Rechenschaft ablegen,« fuhr sie langsam den Kopf hebend fort und ihre Stimme nahm einen Anstrich von Feierlichkeit an, »sie dürfe aber auch selbst die Lästerzunge der Menschen nicht scheuen, wenn es sich darum handele, der Wahrheit die Ehre zu geben und einen Mann zu retten, der am Ende das Opfer seiner Discretion werden könne. Helmstedt habe ihr Zimmer erst verlassen, als die Stimme des Vaters, der wegen der flüchtigen Sklaven geweckt worden, im Haus laut geworden sei.« Langsam warf sie einen leuchtenden [] Blick auf den Angeklagten, erbleichte aber, als ihr rückkehrendes Auge auf den starren Blick ihres Vaters traf, senkte den Blick zu Boden und trat zurück.

»Möge mir der Gerichtshof erlauben,« ließ sich jetzt der Staatsanwalt vernehmen, »der Angeklagte selbst hat uns auf das Schlagendste nachgewiesen, wie seine Schuld gar nicht ohne die der eben abgetretenen jungen Dame bestehen kann, und das von ihr abgegebene Entlastungszeugniß scheint mit Rücksicht darauf so verdächtig, daß ich mich verpflichtet fühle, auf vorläufige Verhaftung derselben anzutragen.«

Der Anblick der einzelnen Gruppen im Saale hätte in diesem Momente den Stoff zu einer der effectreichsten Genrebilder dargeboten. Unter den Zuschauern war bei dem Antrage des Staatsanwalts eine plötzliche Bewegung entstanden; die Köpfe der Vordersten richteten sich mit dem Ausdrucke der Befriedigung in die Höhe, die Hinteren streckten die Hälse und erhoben sich auf den Zehen, ein Murmeln, das mit jedem Augenblicke stärker wurde, zog durch die Menge und der Beobachter mußte überzeugt werden, daß nur eine Meinung das Publikum beherrschte, welcher der Staatsanwalt jetzt Ausdruck gegeben; – Elliot war rasch neben seine Tochter getreten, als wolle er sie schützen, und sah mit einem Ausdrucke, halb Zorn und halb Entsetzen auf den Ankläger; – mit ihm zugleich war Morton hastig vorgeschritten und stand gegen den Richter gekehrt, als erwarte er nur den günstigen Augenblick zum Reden; – der Staatsanwalt ließ einen Blick voll hämischer Befriedigung von der erregten Menge nach der Anklagebank laufen, wo Helmstedt so weiß und starr wie ein Steinbild stand und nichts von dem unzufriedenen Blicke sah, den ihm der Vertheidiger zuwarf; – der Richter aber hatte sich erhoben und rief zur Ordnung. Die Unruhe in der Menge schien sich eben legen zu wollen, als eine Bewegung am Eingange des Saales entstand, Stimmen wurden laut, die Zuschauer in der Nähe der Thür erhoben sich und drehten [] die Köpfe – der Richter gebot von Neuem Ruhe, aber ohne Erfolg.

»Wenn Sie Beamter sind, so rufen Sie mir den Vertheidiger, ich muß vor – hier handelt sich's um mehr als um Pfannenkuchen!« klang jetzt eine ärgerliche Stimme klar in den Saal herein; Helmstedts Advocat horchte auf und brach sich dann Bahn in den Zuschauerraum. Ein paar Minuten voll stiller Spannung folgten und selbst der Richter schien neugierig der Dinge zu harren, die sich entwickeln würden; bald er schien der Vertheidiger wieder und hinter ihm trat gebückt ein hoher alter Mann aus der Menge, welchem zwei Frauen in der Tracht der niederen Stände folgten. »Wolle mir der Gerichtshof erlauben, einige weitere Zeugen vorzuführen, ehe dem gestellten Antrage seitens der Anklage stattgegeben wird!« begann der Advocat mit lauter Stimme; in diesem Augenblicke aber schoß die eine der Frauen durch den Raum zwischen ihr und dem Zeugenstande, fiel vor Elliot und dessen Tochter in die Knie und umfaßte die Füße Beider mit den Armen. Die Kappe, die ihre Züge bedeckt hatte, fiel in ihren Nacken und ein schwarzes Gesicht kam zum Vorschein, in welchem sich die überwallende Empfindung soeben durch ein ausbrechendes Weinen und Schluchzen Luft machte.

»Sarah ist es, Vater! 's ist Sarah!« rief Ellen, die bis jetzt mit ängstlich gespanntem Gesichte, aber sichtlich ohne rechtes Verständniß den Vorfällen gefolgt war; sie bog sich zu der Negerin und schien in ihrer Ueberraschung einen Augenblick den Ort und ihre Stellung gänzlich vergessen zu haben; eine neue Bewegung begann sich der Versammlung zu bemächtigen; der Richter aber gab dem dienstthuenden Beamten einen Wink, die Schwarze ward, noch immer schluchzend, nach ihrem früheren Platze zurückgeführt und die Drohung des Richters, bei weiterer Störung den Saal von Zuschauern räumen zu lassen, schaffte Ruhe.

[] Zwölftes Kapitel.
Der Pedlar.

Jetzt hob der alte Mann den Kopf, nickte Helmstedt ernsthaft zu und schritt vor. Schon bei seinem Eintritt schien das Gesicht des Angeklagten neues Leben gewonnen zu haben, er hatte Isaac, den Pedlar, erkannt, obgleich dieser in wenigen Wochen zehn Jahre älter geworden zu sein schien. Seine Backen waren eingefallen und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, er stützte sich, sichtlich matt, auf seinen Stock und ließ dann und wann ein leises Husten, das Jener noch nie an ihm bemerkt hatte, hören. Was Helmstedt eigentlich von Isaacs Dazwischenkunft hoffte, war ihm selbst nicht klar, der Mann war aber gerade zu einer Zeit erschienen, als sich Helmstedts Seele ein Gefühl bemeistert hatte, als schwimme er vor dem offenen Rachen eines Haifisches, dem er nicht entrinnen könne und dem auch sein Liebstes, was sich zu seiner Rettung genaht, soeben zum Opfer fallen solle, als ihm jede helfende Hand verschwunden zu sein schien; Isaac mußte Ursachen haben, daß er so lange nichts von sich hatte hören lassen und erst jetzt wieder auftauchte, und die Art, wie er sich einführte, zeigte, daß er nicht leer und ohne vollwichtigen Grund erschien. Ein peinliches Gefühl von Hoffnung, spannender Erwartung und Furcht vor einer neuen Enttäuschung ergriff den Gefangenen, als die Anfangsformalitäten zu des Pedlars Vernehmung geschlossen waren und dieser jetzt zu sprechen begann. »Des Herrn Wege sind wunderbar, Gentlemen,« sagte der Alte und richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf, »ich wurde verhindert in der Coroners-Untersuchung mein Zeugniß abzugeben; ich lag nieder, auf den Tod nieder und durfte kein lautes Wort reden, konnte nichts thun und nichts helfen, wo ich doch klar sah, daß nach den Thatsachen, die bei der Todtenschau festgestellt waren, der [] Prozeß einen falschen Weg nehmen mußte, und hielt es für ein großes Unglück. Und doch wäre mir's ohne das Schicksal nicht möglich geworden, die rechte Spur in der Sache aufzufinden und gute Männer, wie sie hier sitzen, vor einer gräßlichen Ungerechtigkeit zu bewahren.«

»Ich möchte den Zeugen ermahnen, sich nur an das zu halten, was zur Sache gehört,« ließ sich jetzt der Richter vernehmen, »und in möglichster Kürze angeben, um was es sich bei ihm handelt.«

»Es handelt sich um eines Menschen Glück oder Elend, Richter, und das soll man nicht übers Knie brechen,« erwiderte der Pedlar, »und wenn ich einmal dem Herrgott sein Recht gebe, das er selten genug erhält, so wird das wol auch keinen Schaden bringen. 'S gehört übrigens nur zur Sache, was ich erzählen werde.« Er hustete ein paarmal leicht auf und fuhr dann fort: »Der gemordete Mann war ein Spieler von Profession, hatte seine Niederlage im Riverhause und war dort schon einmal seinem Tode wegen falschen Spieles nur durch ein Wunder entgangen. Der Wirth im Riverhause mochte auch wol noch mehr von seinem hiesigen Treiben wissen, wodurch Licht in den Fall geschafft werden konnte, und ich machte mich gleich nach der Todtenschau dorthin auf, um zu horchen, ehe sich dem Manne, seines eigenen Interesses wegen, der Mund über das nächtliche Treiben in seinem Hause schloß. Mein eigenes Zeugniß über den Charakter des Todten schien keinen rechten Glauben gefunden zu haben, und so lag mir mit daran, andere Beweise dafür beizubringen. Aber die Nachricht von dem Morde war schon im Riverhause, der Wirth schien alles Gedächtniß verloren zu haben und ich entschloß mich, über den Fluß zu gehen, wo der Mann einen Store hielt, welcher den letzten Streit wegen Spielbetrugs mit Baker gehabt und dabei von diesem einen Schuß in die Seite bekommen hatte. Der Mann, der bekannt genug in der Gegend ist, hatte in der letzten Zeit viel Geld verspielt, [] bezahlte nicht, sein Geschäft war ihm endlich durch ein New-Yorker Haus, mit dem ich selber in Verbindung stehe, zugeschlossen worden und er glaubte, ich habe durch einen Bericht über seine Lage seinen Sturz herbeigeführt. Ich traf ihn, kaum wieder von seiner Schußwunde hergestellt, hatte aber nicht einmal Zeit, ihm zu sagen, weshalb ich komme; er fiel, als ob er nur auf mich gewartet, mit Schimpfen und Schmähen, daß ich ihn ruinirt habe, über mich her, und als ich den aufgeregten Menschen mir vom Leibe halte, greift er nach einem kleinen Messer, das ihm zur Hand lag, und sticht es mir in den Leib. – Das, Ew. Ehren, mag zwar ebenfalls nicht hierher zu gehören scheinen,« unterbrach er sich selbst, als der Richter neue Zeichen von Unruhe blicken ließ, »es hängt aber so mit der Hauptsache zusammen, daß ich es nicht umgehen darf. Ich hatte,« fuhr er ruhig fort, »die Wunde nur für einen ungefährlichen Kratz gehalten, da ich nicht viel davon spürte, und merkte erst, daß sie wol mehr zu bedeuten habe, als ich dem wüthenden Menschen, der aber noch schwach war, das Messer weggerissen hatte und das Haus verließ. Da kam mir plötzlich Blut in die Kehle, mir wurde schwarz vor den Augen und ich hatte gerade noch so viel Kraft, um die Tavern auf der andern Seite des Weges zu erreichen, wo ich auf der Thürschwelle zusammenbrach. Die Leute im Hause nahmen mich hinein und holten den Arzt; dort lag ich, meine Lunge hatte durch den Stich einen Denkzettel wegbekommen und es dauerte vierzehn Tage, ehe ich mich nur wieder auf die Beine stellen konnte. Es war in den ersten Tagen, wo der Schnee gefallen war, als ich mich zum ersten Male in der Unterstube ans Fenster gesetzt hatte und mich über die Zeitung und ihre Bemerkungen über die Mordthat ärgerte, als eine Schwarze, mit einem Bündel unterm Arm auf der Straße vorüberging, die Niemand anders war, als eine von Mr. Elliots davongelaufenen Negern. Ich wurde von der Entdeckung so überrascht, daß [] ich wieder einen tüchtigen Stich in meiner Lunge fühlte; ich pochte aus Fenster, bis das Mädchen hörte, mich erkannte und in das Haus trat, wo ich sie ins Gebet nahm. Sie war auf dem Rückwege nach Oaklea, war dem weißen Manne, der sie und ihre schwarzen Brüder geführt, wieder davongelaufen und hatte sich ihren Weg tief aus dem Lande durchs Wald und Wildniß bis hierher gesucht, um nicht ergriffen und nach Hause transportirt zu werden. Das hatte sie gethan, wie sie erzählte, weil Baker, der sie in Oaklea zu seiner heimlichen Liebsten gemacht gehabt, der sie erst zum Entweichen beredet und ihr vorgeschwatzt hatte, daß er sie im Osten heirathen und zur großen Dame machen würde, zurückgeblieben war. Er war noch im letzten Augenblicke beim Antritt der Flucht zugegen gewesen, hatte sie mit sich auf sein Pferd nehmen wollen, als plötzlich ein Umstand eingetreten war, der ihn zurückgehalten hatte – und in diesem Umstande, Gentlemen,« fuhr der Redende mit stärkerer Stimme fort, »liegt der Schlüssel zu dem ganzen Geheimnisse, das den Mord umgibt. Es war nur kurze Zeit vor Ausbruch des Gewitters, als die Flucht angetreten werden sollte, ein einzelner greller Blitz kündigte das Wetter an, und in dem augenblicklichen Lichte sah Sarah, die sich dicht neben Baker gehalten, eine weibliche Gestalt neben diesem erscheinen und seinen Arm fassen, die sie wol schnell und genau genug erkannte, hier in der Nacht aber am allerwenigsten vermuthet hätte – eine junge Dame aus einer unserer besten Familien, mit fliegenden Haaren und zerzausten Kleidern. Als Baker sie erblickte, befahl er nach Sarah's Erzählung seinem Gehilfen mit hastiger und aufgeregter Stimme, mit dem Schwarzen voranzugehen, er werde schnell nachkommen und wenn Sarah auch nicht gern der Aufforderung folgte, so hatte sie doch nur wenig Zeit zum Besinnen – vom Hause her ließen sich laute Stimmen hören – das waren die unsrigen, als wir uns zum Verfolgen fertig machten – ihre Brüder nahmen sie in die [] Mitte und zogen sie davon. Fünf Minuten darauf brach der Regen aus – und, Gentlemen, der Mord ist erwiesenermaßen vor Beginn des Wetters geschehen.«

Der Pedlar hob den Kopf und machte wie ermüdet eine Pause, die durch keinen Laut, selbst nicht durch eine Bewegung des Richters unterbrochen wurde.

»Ich will nur noch wenig sagen,« fuhr er dann fort; »die Wirthin der Tavern, welche die erste Erzählung der Schwarzen mit anhörte, ist hier gegenwärtig und wird bezeugen, daß keinerlei Einwirkung auf das Mädchen stattgefunden hat. Sarah scheute sich, als sie von der Abreise der Elliot'schen Familie hörte, allein wieder nach Oaklea zu gehen und sie blieb deshalb in der Tavern, bis ich im Stande sein würde, ihr Zeugniß an die rechte Stelle zu bringen. Und das ist mir erst heute und auch heute nur mit Anstrengung möglich geworden. Sie mögen nun die Schwarze selbst über das Nähere befragen; sollte aber ihre Aussage nicht die volle Geltung haben, so wird doch jedenfalls dadurch der richtige Weg gezeigt und ich werde selber im Stande sein Angaben zu machen, die auf die Ursachen der That das nothwendige Licht werfen.«

Seine Stimme war während der letzten Sätze matter geworden, die Hand gegen die Brust gedrückt, hustete er ein paar Mal, trat dann zu einem der Stühle in seiner Nähe und ließ sich langsam nieder. Mit ihm zugleich aber hatte auch Morton hastig seinen Platz verlassen und war zu dem Staatsanwalte getreten, und als sich jetzt der Vertheidiger mit der Bemerkung erhob, daß der öffentliche Ankläger keinesfalls einen Einwand gegen Zeugen erheben werde, wie er sie selbst zur Unterstützung der Anklage benutzt, schien dieser kein Ohr zu haben als für die Worte des alten Pflanzers. Wenige Augenblicke darauf aber richtete er sich in die Höhe und sagte: »Möge es dem Gerichtshof gefallen, eine Pause von einer halben Stunde eintreten zu lassen. Es werden mir mit Rücksicht auf das letztabgegebene [] Zeugniß soeben Mittheilungen gemacht, welche der Verfolgung möglicherweise eine ganz andere Richtung geben dürften, und ich werde nach der erbetenen Zeit bereit sein, meine directen Anträge zu stellen.«

Keine ordnungslose Bewegung wie früher ergab sich, als der Richter die Unterbrechung der Verhandlungen verkündete; ein nachdenklicher Ernst schien sich der Menge bemächtigt zu haben, nur ein Flüstern der Erwartung durchzog die stillen Reihen und mancher Kopf, der bei dem Antrage zu Ellens Verhaftung befriedigt genickt hatte, wande sich jetzt halb scheu, wie mit dem Bewußtsein einer Uebereilung kämpfend, nach dem Angeklagten. Pauline war an Mortons Arm durch eine Seitenthür dem Staatsanwalt gefolgt; – Ellen saß neben ihrem Vater, der, die Stirn in tiefe Falten gezogen, wortlos vor sich hinstarrte, und richtete bald einen besorgten Blick auf diesen, bald ließ sie das Auge, sich selbst vergessend, in Helmstedts Auge ruhen; – Sarah hatte sich, scheu ihre Herrschaft beobachtend, neben den Pedlar gedrückt, der theilnahmlos den Kopf wie im halben Schlafe gegen die Brust gesenkt, dasaß und nur dann und wann ein leises Husten hören ließ; – der Vertheidiger war zu den übrigen Advocaten getreten und selbst hier wurde das Gespräch nur in gedämpftem Tone geführt; Niemand außer einigen Männern von der Jury hatte den Saal verlassen. Die Abenddämmerung hatte sich bereits bei den letzten Auftritten der Verhandlung bemerkbar gemacht und ein Beamter zündete die Lampen an. Der Zuschauerraum blieb bald in halbem Dunkel, während sich der Platz für Richter, Jury und Zeugen in vollem Lichte befand.

Eine Ruhe, die keines Ordnungsgebotes bedurfte, legte sich über die Versammlung, als von der einen Seite der Richter und gleich nach ihm von der andern der Staatsanwalt eintrat und Beide ihre Plätze einnahmen. Die Sitzung wurde für eröffnet erklärt, und der Staatsanwalt bat um das Wort.

[] »Eine traurige Verkettung von Umständen,« sagte er mit lauter Stimme, »hatte die gegenwärtige Anklage hervorgerufen und als gerechtfertigt erscheinen lassen; nach der soeben gewonnenen Ueberzeugung von der Irrthümlichkeit derselben aber sehe ich mich veranlaßt, jede weitere Verfolgung derselben fallen zu lassen, und trage hiermit als einfachen Act der Gerechtigkeit auf die sofortige Freilassung des Gefangenen an. Für die Sicherung des muthmaßlichen wahren Thäters,« fügte er mit einem Blicke auf das Publikum hinzu, »sind bereits die nöthigen Maßregeln getroffen und das Gesetz wird seine volle Genugthuung finden.«

Ein Augenblick der Stille folgte, als der Staatsanwalt zurücktrat, dann aber erhob sich ein Summen wie in einem riesigen Hummelschwarme, in welchem die letzten Worte des Richters untergingen.

Helmstedt sah sich von seinem Advocaten beglückwünscht und von seinem Platze mitten unter fremde Gestalten geführt; der Richter kam einen Augenblick auf ihn zu und drückte ihm die Hand; aber umsonst sah er sich nach einem befreundeten Gesichte um. Er hörte das Geräusch der Menge, die sich ohne ein Zeichen des Beifalles oder Mißfallens unter nur halber Befriedigung den Ausgängen zudrängte; überall traf er auf nichts als neugierige Blicke, und das Gefühl des Alleinstehens in der Fremde war ihn noch nie, selbst nicht im Gefängnisse, so bitter überkommen als in diesem Momente. Er wandte sich mit einem kurzen Worte der Entschuldigung von seinem Advocaten nach dem Platze, wo die Zeugen gesessen hatten – aber weder von Ellen und ihrem Vater, noch von Sarah war Etwas zu sehen, und nur der Pedlar, zu dem sich die aus dem Lande mitgekommene Wirthin niederbog, saß noch gebückt auf seinem Stuhle.

»Sind Sie nicht wohl, Isaac?« fragte Helmstedt und legte die Hand auf seine Schulter.

Der Alte richtete sich langsam auf. »'S ist wol nur[] die Anstrengung und die Aufregung, die mich so matt gemacht haben,« sagte er und bot dem jungen Manne die Hand, »meine Lunge will's noch nicht recht wieder vertragen, und wenn's nicht gerade heute hätte sein müssen, wär' ich auch noch nicht gekommen.« Helmstedt drückte ihm die Hand und sah ihm in das eingefallene, erschlaffte Gesicht, dessen peinliche Veränderung er erst jetzt in der Nähe ganz bemerkte. »Für dieses Mal sind Sie mit einem blauen Auge davon gekommen,« fuhr der Alte fort, mit einem schwachen Lächeln zu ihm aufsehend, »ein andermal hören Sie aber vielleicht mehr auf den Rath erfahrener Leute; 's ist doch nur Ihre Geschichte mit dem Mädchen, die Sie so weit hineingebracht hat, und Sie können nicht sagen, daß ich Sie nicht vor dergleichen gewarnt hätte.« Helmstedts Miene mochte bei des Pedlars Bemerkung wol mehr von seinen Empfindungen verrathen, als er selbst wußte, denn der Alte sah ihn aufmerksam an und schüttelte schweigend den Kopf. »Lassen Sie sich eins sagen, wenn Sie noch nicht aus der Sache heraus sind,« sagte er dann, »es kommt von einem Manne, der seine Leute kennt; gehen Sie nicht weiter, es thut nicht gut – und bringen Sie's wirklich zu dem, was Sie Ihr Glück nennen, so werden Sie noch an den alten Isaac denken; den amerikanischen Hochmuth des Alten besiegen Sie nicht, und ich habe noch niemals rechten Segen aus einer Verbindung von Leuten entstehen sehen, die mit verschiedenen Gefühlen geboren und mit verschiedenen Gewohnheiten erzogen worden, wie Deutsche und Amerikaner.«

»Lassen Sie uns nach dem Hotel gehen,« sagte Helmstedt, als wolle er damit die weiteren Bemerkungen des Pedlars abbrechen, »ich weiß wenigstens jetzt nicht, wo anders hin, und Sie werden dort auch am besten aufgehoben sein. Sie sind krank und angegriffen, Sie thun am besten, gleich Ihr Bett zu suchen und ich bleibe bei Ihnen. Morgen früh reden wir dann mehr mit einander.« In diesem Augenblicke [] fühlte er leicht seinen Arm ergriffen, er wandte sich um und sah in Paulinens erregtes Gesicht. »Kommen Sie, August,« sagte sie, »der Wagen steht unten, Sie nehmen Ihre Wohnung vorläufig bei uns, bis sich Ihre übrigen Verhältnisse geordnet haben.«

Helmstedt sah ihr einen Augenblick in die Augen und die warme Innigkeit, die ihm daraus entgegenstrahlte, that ihm wunderbar wohl. »Haben Sie Elliot nicht gesehen?« fragte er dann.

»Er war der Erste, der mit Ellen und Sarah den Saal verließ, und es ist gut so, August,« erwiderte sie, »lassen Sie die Wellen sich erst etwas legen und die Tochter mit dem Vater aussprechen, ehe Sie sich ihm zeigen, ich habe ihr selbst dazu gerathen, sich jetzt nicht aufzuhalten.«

Helmstedt drückte die Hand vor die Augen, es erwachte ein Gefühl in ihm, dem es mit Macht widerstrebte, die Gegend seines früheren Aufenthaltes wieder zu sehen, ehe er über seine Stellung dort im Klaren war. »Ich gestehe Ihnen offen,« sagte er nach einer Pause, »daß ich heute lieber in der Stadt und allein für mich bliebe; Sie haben mir mit Ihrem Vorschlage so wohl gethan, Pauline, wie ich es Ihnen kaum sagen kann, aber ich möchte erst, ehe ich irgend Jemand wieder unter die Augen trete, in mir selbst Ordnung schaffen und meine Lage recht ins Auge fassen. Außerdem möchte ich auch heute nicht von meinem alten Freunde Isaac gehen, der es wahrhaftig nicht um mich verdient hat, daß ich ihn jetzt allein lasse. Und nicht wahr, Sie sind mir darum nicht böse?« fuhr er ihre Hand ergreifend fort, als er ihre leicht beweglichen Züge denselben trüben Ausdruck annehmen sah, den er schon kannte.

»Sie sind consequent in Ihren Zurückweisungen, August, Sie könnten's gegen Ihre gefährlichste Feindin nicht mehr sein,« erwiderte sie, »Isaac findet bei uns besseren Platz, als in dem engen Hotel, das heute bis zum Dache überfüllt ist, und von Ihren übrigen Gründen will ich gar nicht [] reden. Drückt Sie die kleinste Verbindlichkeit gegen mich gar zu sehr, so will ich Ihnen sagen, daß Sie sich jetzt keine auferlegen würden, wenn Sie auf mich hörten!« Sie wandte den Kopf nach dem mittleren Ausgange des schon fast ganz leer gewordenen Saales, wo ein alter Herr wartend stand und winkte. Helmstedt erkannte in dem Herbeikommenden Morton, der ihm die Hand bot und sie kräftig schüttelte. »Er will in der Stadt bleiben und erst mit sich selber fertig werden!« sagte Pauline.

»Well, Sir, das geht nicht!« rief Morton mit derber Biederkeit, »und ich erbitte es mir als eine Gefälligkeit, deren Werth Sie vielleicht selbst noch nicht kennen, daß Sie mein Haus für das Ihrige ansehen. Wir sind Ihnen Genugthuung schuldig, wie wir sie Ihnen vielleicht kaum leisten können, und ich würde Sie nicht für den Mann halten, für den ich Sie kennen gelernt habe, wenn ich unter solchen Umständen eine Zurückweisung von Ihnen fürchten sollte.«

Helmstedt fühlte in diesem Augenblicke vielleicht zum ersten Male, daß ein Stolz in ihm wurzelte, der größeren Einfluß auf seine Handlungen ausübte, als er selbst gewußt. So lange sich dieser nur durch Zurückweisen von Hilfe und Unterstützung Anderer geäußert, hatte er es für etwas durchaus Edles gehalten, was sich in ihm regte; als aber jetzt der reiche Amerikaner vor ihm stand und ihm, mehr mit der Miene eines Bittenden, als eines Beschützers sein Haus anbot, als bei dem Tone des Mannes sich das wohlthuende Gefühl, »auf gleichem Fuße« behandelt zu werden, Helmstedts bemächtigte und eine Befriedigung in ihm hervorrief, vor der alle Gründe, welche ihn in der Stadt hielten, ganz wunderbar ihre Macht verloren, da schoß ihm ein Strahl von Selbsterkenntniß durch den Kopf. Fast hätte er, nur um sich nicht selbst eine Blöße zu geben, auch Mortons Anerbieten zurückgewiesen, aber Paulinens Auge ruhte so still und trübe auf ihm, daß es ihm wurde, als sei er eben[] im Begriff, ein neues Unrecht zu manchen bereits begangenen hinzuzufügen.

»Sie sind wirklich so freundlich gegen mich, daß ich nicht weiß, wie ich es verdient habe,« sagte er endlich, »ich bin mit Ehren in Freiheit gesetzt worden, und das ist wol alle Genugthuung, die ich verlangen kann – aber ich will mit ganzem Herzen Ihre Einladung annehmen, da Mrs. Morton sagt, daß Isaac uns begleiten darf; ich bin es ihm schuldig, ihn jetzt nicht zu verlassen!«

»Ganz gut, Sir!« erwiderte Morton, einen Blick auf den Pedlar werfend, »er mag sich bei uns auscuriren, und Platz im Wagen haben wir auch. Sprechen Sie mit ihm und ich lasse währenddem Ihre Sachen aus dem Gefängnisse herüberschaffen, – in einigen Minuten können wir unterwegs sein.« Er drückte nochmals die Hand des jungen Mannes kräftig, warf seiner Frau einen Blick zu und ging davon.

»Sind Sie mir noch böse, Pauline?« fragte Helmstedt und hielt dieser seine Hand hin.

»Ich bin Ihnen in meinem Leben noch nicht böse gewesen!« erwiderte sie, mit einem halben Lächeln zu ihm aufsehend, »höchstens war ich traurig, wenn Sie mich so wenig verstanden. Sprechen Sie aber jetzt mit Isaac!« fuhr sie fort und trat, sich wegdrehend, einige Schritte in den Saal hinein.

Helmstedt folgte der Aufforderung.

»Hab' die Verhandlungen gehört,« sagte der Alte, »und wenn Sie durchaus bei mir sein wollen, so folge ich Ihnen. Hier oder dort – für mich wird's ziemlich gleich bleiben; meine Wirthin schläft bei ihrer Schwester in der Stadt, für Sie aber kann es nur gut sein, wenn Sie mit den Leuten gehen, es wird Ihnen manchen Stein für die Zukunft aus dem Wege räumen!«

»Deshalb thue ich es nicht, Isaac.«

Der Pedlar zuckte nur die Achseln, hustete ein paar Mal [] wie unter Schmerzen und sank dann wieder in sich zusammen.

Der Saal war leer geworden, die Lampen wurden nach und nach ausgelöscht, bis endlich nur noch eine einzige das nothdürftigste Licht verbreitete. Pauline stand am Ausgange, auf Morton wartend, und Helmstedt maß den Boden mit langsamen Schritten – seine Gedanken waren in Oaklea. War das ganze Unglück der letzten Wochen nur ein nothwendiges Mittel für das Schicksal gewesen, um ihn rasch seinem Glücke, seiner Vereinigung mit Ellen entgegenzuführen – oder warf es ihn wieder zurück in eine schlimmere Lage als die, in welcher er Alabama betreten? Dachte er an die feindliche Stellung, welche Elliot während der Untersuchung gegen ihn eingenommen, an den starren Ausdruck seines Gesichtes, den dieser nach der Abgabe von Ellens Zeugniß behauptet, so mußte er auch an des Pedlars frühere Warnungen denken – morgen vielleicht schon war das Mädchen von ihrem Vater nach irgend einem Theile der Welt gebracht und damit war der ganze Roman beendigt, und ihm selbst blieb nichts übrig, als den Rest des erhaltenen Salairs, der ihm streng genommen nicht einmal gehörte, zur Rückreise nach New-York zu benutzen, wo sich ihm wenigstens noch die Möglichkeit einer Existenz durch eigene Kraft bot. Aber er mußte zugleich auch an Ellen denken, an die freudige Festigkeit, mit welcher sie, unbeirrt durch ihres Vaters Einfluß, zu seiner Rechtfertigung vor die Oeffentlichkeit getreten war, und sein Herz zitterte noch, als er sich die Scene zurückrief – sie mußte die Reise hierher ohne Wissen ihrer Verwandten angetreten haben, dafür sprach Elliots Ueberraschung bei ihrem Anblicke; die volle Energie der Liebe mußte in ihr erwacht sein, die wol jetzt für ihr beiderseitiges Glück kämpfte. Sie war des Vaters Liebling, und wenn sie nun auch wirklich seinen Widerstand brach, was dann weiter? Sollte er als ungern geduldetes Mitglied in die Familie treten und sich von [] dieser ernähren lassen? Wie die Verhältnisse standen, mußte er im glücklichsten Falle selbst eine Existenz für sich und Ellen schaffen, durfte nicht die kleinste Beihilfe von Elliot annehmen, wenn er sich von dem Verdachte der niedrigsten Speculation frei halten wollte. Und doch wußte er noch nicht einmal, wohin mit sich selbst.

Seine Gedanken wurden durch Mortons Eintritt unterbrochen, der »Alles fertig« meldete. Der Pedlar erhob sich, die Gesellschaft schritt nach dem wartenden Wagen hinunter und bald rollte dieser durch die mondhelle Nacht dem Landhause entgegen. Helmstedt hatte sich mit Gewalt aus seinen Sinnen gerissen und versuchte ein Gespräch einzuleiten; Morton selbst schien aber, seit sie die Stadt verlassen hatten, mit seinem Geiste wo anders zu sein; auf seinem Gesichte hatte sich ein Ausdruck von Sorge gelagert, und er beantwortete Helmstedts Bemerkungen wol freundlich, aber ohne weiter darauf einzugehen; Pauline saß ebenfalls still in ihre Ecke gedrückt und legte nur dann und wann, mit einem Aufblicke zu ihrem Manne, ihre Hand auf die seinige, was dieser mit einem schwachen Lächeln beantwortete. Isaac schien zu schlafen, und so überließ sich auch Helmstedt bald wieder seinen eigenen Gedanken. Erst als der Wagen von der Straße abbog, schien Morton mit sich selbst fertig geworden zu sein. »Sie werden Hunger haben, Sir, sammt unserm Isaac,« sagte er, »hoffentlich finden wir aber ein ordentliches Abendbrod bereit!«

»Fühle eben nicht wie essen,« erwiderte der Alte, »wenn Sie aber Etwas für mich thun wollen, so lassen Sie mir gleich mein Bett zeigen, das wird wol für eine Weile Alles sein, was ich brauche – das Fahren hat mich schlimmer durchgeschüttelt, als ich mir's vorgestellt.«

»Sind Sie wieder krank, Isaac?« fragte Pauline theilnehmend.

»Weiß eigentlich selbst nicht – 's wird wol wieder vorübergehen!«

[] Das Landhaus war bald erreicht, ein Schwarzer geleitete den Pedlar nach einem der Schlafzimmer, wohin ihm Pauline Thee zu senden versprach, und Helmstedt folgte Morton nach dem Parlor.

»Setzen Sie sich, Sir, machen Sie sich's bequem und betrachten Sie sich zu Hause,« sagte dieser, zwei Stühle ans Feuer rückend, »wir kennen uns zwar noch nicht genauer, aber ich denke, das soll bald geschehen, wenigstens so weit, als ich dazu beitragen kann. Ich bin Ihnen mancherlei Aufklärungen schuldig,« fuhr er fort, als sich Beide niedergelassen, »ich denke aber, wir ersparen uns das bis nach dem Thee; sagen Sie mir nur jetzt, ob Sie sich schon irgend einen Plan für Ihre künftigen Schritte gemacht haben, zu dem ich Ihnen irgendwie behilflich sein könnte. Ihr früheres Verhältniß zu Elliot scheint wenigstens in der Art unmöglich geworden zu sein; bei der Stärke aber, mit der Ellen an Ihnen zu hängen scheint und nach dem öffentlichen Schritte, den das Mädchen heute gethan, sehe ich für ihren Vater fast keinen andern Weg, als daß er sich mit Ihnen verständigt, wenn er nicht verkaufen und ganz von hier wegziehen will –«

»Sie wissen vielleicht, wie Ellen so plötzlich hierher gekommen ist, da Sie mit Ihnen in dem Gerichtszimmer erschien?« unterbrach ihn Helmstedt.

»Ich weiß es und Sie sollen auch von Allem unterrichtet werden. Ich möchte Sie nur fragen, ob ich vielleicht einleitende Schritte zwischen Ihnen und Elliot thun soll? Daß das Verhältniß zwischen Ihnen und seiner Tochter so schnell gereist ist, daran ist er mit seiner Blindheit gegen den Schurken, der jetzt vor Gottes Richterstuhle steht, selbst schuld – 's ist eine Fügung des Himmels gewesen, wodurch das Mädchen Kraft zum Widerstand erhalten, sonst könnte er jetzt über sich und sein Kind jammern, wie Andere es thun müssen –« er hielt inne und blickte wie von einem Gefühle überwältigt vor sich ins Feuer. Helmstedt sah die [] plötzliche Erregung in seinem Gesichte, ohne sie sich erklären zu können, aber auch ohne die eingetretene Pause unterbrechen zu mögen. »Entschuldigen Sie mich, Sir,« sagte Morton endlich und strich mit der Hand langsam über sein Gesicht. »Sie werden mich heute Abend noch verstehen lernen; ich wollte nur sagen, daß Elliot den wenigsten Grund hat, gegen Sie aufgebracht zu sein, und daß ich gern für die ersten Schritte Ihren Advocaten abgeben will.«

Helmstedt sah eine Minute schweigend vor sich hin. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Sir,« sagte er dann langsam, »aber ich weiß nicht, welche Schritte ich gegen Elliot thun könnte, ohne den schmutzigen Verdacht, der meinem Verhältnisse zu Ellen untergelegt worden, zur Wahrheit zu machen. Ich bin vorläufig nichts und habe nichts, darin liegt Alles, und wenn mich Elliot bei meinem ersten Worte um seine Tochter wie einen ertappten Glücksritter zur Thür hinausjagte, würde ich mich kaum zu beklagen haben. Wäre Ellen arm und an Armuth gewöhnt, so sollte uns kein Tag mehr von einander trennen und wenn ich unsern Unterhalt mit Holzspalten verdienen sollte.«

Morton schüttelte den Kopf. »Sie können doch nicht gut von Elliot erwarten, daß er Ihnen jetzt entgegenkommen und das Mädchen anbieten soll? – und nach Allem, was Ellen gethan, hat sie wol auch ein Recht, einen Schritt von Ihnen zu verlangen, selbst wenn er gegen Ihren Stolz laufen sollte.«

Helmstedt richtete den Kopf auf. »'S ist wahrhaftig nicht Stolz, der aus mir redet, Sir,« sagte er und in seinem Gesichte sprach sich der ganze Druck aus, der auf seiner Seele ruhte, »ich würde gern hingehen zu Elliot und ihm mein ganzes Herz ausschütten und mich an keine Demüthigung kehren; wo soll es aber hinführen? Kann ich denn Ellen nur das kleinste Loos bieten, um sie vor Entbehrungen sicher zu stellen, oder soll ich mit um ihres Vaters Geld freien, wenn er nach meinen Existenzmitteln fragt? Ich [] hatte gehofft, mir irgend eine Selbstständigkeit zu erringen, sobald ich nur meinen Boden kennen gelernt; ich weiß, daß ich Energie und auch einige Kenntnisse habe; ich hatte gehofft, Elliots Vertrauen zu erwerben, aber das Schicksal hat eine Entscheidung herbeigeführt, wo meine Vorbereitungen noch nicht einmal begonnen hatten.«

»Lassen wir die Sache einmal vorläufig ruhen und uns unsern Thee nehmen,« sagte Morton aufstehend, »später läßt sich weiter reden.« Als ihm Helmstedt folgte, sah er Pauline, die unhörbar eingetreten sein mußte, hinter ihren Stühlen stehen.

Sie gingen nach dem Speisezimmer, aber wenig ward während des Mahles gesprochen. Helmstedt war durch die mit Morton gewechselten Worte selbst erst klar über seine jetzige Stellung geworden und Entschlüsse aller Art zogen durch seinen Kopf. Des Hausherrn schien sich, sobald er zum Tische getreten, ein trübes Sinnen bemächtigt zu haben, das er nur dann und wann durch ein paar einzelne Worte unterbrach, und selbst Pauline schien ihre eigenen Gedanken zu verfolgen. Die schweigsame Mahlzeit war fast zu Ende als Cäsar eintrat und meldete, daß der alte Isaac gern Helmstedt zu sprechen wünsche.

»Fühlt er sich nicht gut?« fragte Morton.

»Well, er sieht schlecht genug aus,« erwiderte der Schwarze, »aber wol nicht schlimmer als wie er ins Haus kam. Ich habe ihn schon gefragt, ob ich bei ihm bleiben solle, er verlangt aber nur nach Mr. Helmstedt.«

Der junge Mann erhob sich und folgte dem Neger. Als sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatten, hielt dieser an und sagte: »Sie sind doch nicht böse auf mich, Master, daß ich heute keine andere Aussage gemacht? Ich sah's Ihnen im Gesicht an, daß es nicht recht war, aber im Gerichte hatten sie mir den Kopf vorher so dumm und dick gemacht, daß ich eigentlich gar nicht mehr wußte, was ich gesehen hatte und was nicht.«

[] »'S ist schon recht,« winkte der Andere, »die Sache ist jetzt vorbei.«

»Und noch Eins, Sir, ist es wahr, daß heute Nachmittag Elliots Sarah wieder zurückgekommen ist?«

»'S ist so, Cäsar,« erwiderte Helmstedt und mußte über dessen seltsam verzogenes Gesicht lächeln, »wenn Ihr jetzt noch einmal bei ihr anpocht, wird sie kaum wieder nein sagen.«

Der Schwarze fuhr mit der rechten Hand in seine Kraushaare und zog das linke Knie fast bis zur Brust empor – ein pantomimisches Jauchzen – dann sprang er auf den Zehen den Rest der Treppe hinauf und öffnete die Thür nach des Pedlars Zimmer.

Helmstedt fand den Alten in halbsitzender Lage in seinem Bette, und in den weißen Kissen erschien das eingefallene Gesicht, von dem Lichte einer kleinen Schirmlampe beschienen, gelb und fast blutlos. Er hatte die Augenlider geschlossen, öffnete sie aber, als sich der junge Mann seinem Lager näherte und zeigte nach einem Stuhl zur Seite des Bettes. »Es sind mir so mancherlei Gedanken durch den Kopf gefahren,« sagte er mit matter, aber vollkommen klarer Stimme, nachdem Helmstedt Platz genommen und Cäsar die Thür geschlossen hatte, »daß ich gern heute noch mit Ihnen reden möchte; ich weiß nicht, ob ich nicht vielleicht morgen wieder in die Hand des Doctors falle, der mir für eine Zeit jedes Wort verbietet. Haben Sie sich denn schon einen Gedanken gefaßt, was Sie für die Zukunft thun wollen?«

Helmstedt schüttelte schweigend den Kopf.

»Sie werden das Mädchen nicht lassen mögen,« fuhr der Alte fort, »vielleicht haben Sie auch recht, da's einmal so weit gekommen ist, und es gäbe wol auch einen Weg, Ihnen eine Stellung zu verschaffen, gegen die der Alte nichts einwenden könnte und die Ihre ganze Zukunft sicherte. Ich habe schon früher einmal mit Ihnen von den hiesigen [] und den New-Yorker Handelsverhältnissen gesprochen und wie schlimm es damit bestellt wäre, wenn die New-Yorker nicht ihren Vortheil wahrten. Sie sahen die Sache damals kurz als ein Spionirwesen an und ich will auch jetzt einmal nichts dagegen sagen. Jeder hat seine eigenen Augen, mit denen er ein Ding ansieht und die heimliche Stellung, die Sie für den Anfang einnehmen sollten, möchte Ihnen nicht gefallen. Lassen Sie sich etwas Anderes sagen. Sie gehen zu Elliot, erzählen ihm in Ihrer Manier, wies zwischen seiner Tochter und Ihnen steht, und sagen, daß Sie in einem halben Jahre als ein Mann wiederkommen würden, gegen den er nichts einzuwenden haben solle. Dann gehen Sie mit einem Briefe, den ich Ihnen noch heute Abend schreiben will, nach New-York – wo Sie das Reisegeld dazu finden, werde ich Ihnen auch sagen – und lernen dort sechs Monate das Geschäft – eine Grundlage haben Sie schon und so ist die Zeit hinreichend. Das New-Yorker Haus wird Ihnen dann in der hiesigen Gegend ein Geschäft aufmachen, das Sie für Rechnung der Leute führen, wobei Sie aber Ihren eigenen Gewinn-Antheil haben sollen. Es handelt sich dabei nicht nur um ein einfaches Waarengeschäft. New-Yorker Geld steckt in mancher Pflanzung hier herum, manche Baumwollenernte ist schon, noch ehe das Grün der Pflanze heraus ist, im Voraus verpfändet, und es ist wol blos natürlich, und gegen die Ehrenhaftigkeit wird auch Niemand Etwas sagen können, daß der New-Yorker Agent sich in Kenntniß von den Verhältnissen aller Geschäfte und Familien erhalten muß. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder Kraft genug bekommen werde, um Geschäfte zu treiben, und wenn Sie auf die Art, die zu Ihrem Wesen besser paßt, fortsetzen wollen, was ich habe stecken lassen müssen, so sagen Sie es.«

Helmstedt hatte den Kopf in beide Hände sinken lassen. »Sagen Sie mir, Isaac,« begann er nach einer Weile aufsehend und dem Auge des Alten begegnend, das in sichtlicher [] Spannung auf ihm ruhte, »warum halten Sie mich gerade für das Geschäft geeignet, wo sicherlich geschäftsgewandtere Leute den New-Yorkern zu Diensten stehen?«

Der Pedlar schüttelte langsam den Kopf. »Es hält schwer für den Mann aus dem Osten, sich hier wirkliches Vertrauen zu erwerben. Heirathen Sie aber in Elliots Familie und halten Sie sich Mortons zu Freunden, so wird Ihnen bald das Innerste der Familien im halben Staate offen stehen – das ersetzt alle Geschäftsgewandtheit, die Ihnen im Anfange noch fehlen könnte, die sich aber bald genug von selbst finden würde.«

Helmstedt sah eine Weile stumm vor sich nieder. »Lassen Sie mich eine Nacht überlegen,« sagte er dann tief Athem schöpfend, »wir sprechen morgen weiter, Isaac.«

»Morgen! wer weiß, was morgen ist!« erwiderte der Pedlar erregt, »wer ein Glück haben will, muß rasch zugreifen –«

»Ich bin mir heute selbst nicht recht klar,« unterbrach ihn Helmstedt, »mir widerstrebt ein Geschäft, welches das Vertrauen, das ich hier erlangen könnte, nur als Mittel zum Auskundschaften benutzt – und doch weiß ich nicht, ob ich nicht zu weit gehe und das, was ich Andern schuldig bin, meinen eigenen Gefühlen hintenansetze. Lassen Sie uns morgen entscheiden, Isaac!«

Isaac ließ den erhobenen Kopf zurückfallen und der Anflug von Belebtheit in seinem Gesichte machte schnell einer tiefen Erschlaffung Platz. Helmstedt wartete auf eine Erwiderung, der Alte schloß aber wortlos die Augen und nach einer kurzen Weile sank der Kopf nach der Seite. Der junge Mann bog sich über ihn, und als er seine matten, kurzen Athemzüge hörte, verließ er leise das Zimmer. Auf dem matterleuchteten Corridor aber blieb er eine Weile stehen und drückte das Gesicht in beide Hände. Das Bild einer Stellung als geachteter Kaufmann, wie es bei Isaacs Worten vor ihn getreten war, verbunden mit den besten [] Familien, unter denen er sich eine neue Heimat gegründet, ein eigenes Haus, mit Ellen als waltender Genius darin – zog noch einmal vor seiner Seele vorüber – er durfte nur zugreifen und alle Qual seiner jetzigen Lage hatte ein Ende. Aber war denn die Bedingung, die ihm das Glück erkaufen konnte, etwas Anderes, als was er schon früher zurückgewiesen? Mochte er sie auch drehen und wenden und sich bestreben, sie mit den Augen Anderer anzusehen – der Grundgedanke blieb immer die Spionage als Geschäft, und in der neuen Form nur um so gehässiger. Er richtete sich kräftig auf und ging langsam die Treppe hinab – es war ihm, als habe er sich erst recht selbst wieder gefunden, seit die Versuchung ihm nahe getreten war und er betrat die unteren Zimmer mit freierem Herzen, als er sie verlassen. War Ellen das Mädchen, wie er sie im Herzen trug, so konnte sie auch keinen Schritt von ihm verlangen, der ihn vor sich selbst herabsetzte.

Dreizehntes Kapitel.
Erklärungen und innere Kämpfe.

Morton saß mit seiner jungen Frau im Parlor vor dem Feuer und ein dritter Stuhl stand für Helmstedt bereit, als dieser eintrat. »Setzen Sie sich, Sir,« sagte der Pflanzer, ohne eine weitere Frage an ihn zu richten und nur Paulinens Auge ruhte einen Augenblick forschend in dem Gesichte des Eingetretenen, »lassen Sie uns einmal einen Augenblick von Ihren Angelegenheiten abgehen, sonst werden wir uns wahrscheinlich nicht verstehen lernen. Sie haben eine böse Zeit durchgemacht und sind jetzt in eine Lage geworfen, die bei Ihrem Charakter, wie ich ihn durch meine Frau und Ihre eigenen Bemerkungen habe kennen lernen, Sie doppelt schwer drücken muß. Wenn ich Ihnen nun sage, daß Sie mir Freiheit lassen müssen, Ihre Zukunft wieder herzustellen, so geschieht das nur, Sir, weil [] ich zum größten Theile selbst an Ihrem Schicksale schuld bin, oder zu schwach war, Sie mit einem Schritte bei Zeiten daraus zu erlösen. Da haben Sie das Geständniß eines ehrlichen Mannes, der wenigstens mit allen Kräften einen großen Fehler wieder gut machen will. Hören Sie mich ruhig an,« fuhr er fort, als Helmstedt eine Bewegung machte, »es wird Ihnen schnell Alles klar werden. Sie haben den Menschen Baker gekannt, aber nicht die Hälfte seiner herzlosen Verworfenheit, der nichts heilig war, wenn es seinen Zwecken dienen konnte. Ich hatte die Thorheit begangen, wie es in so vielen andern Familien Gebrauch ist, meine Tochter Alice den Sommer bei einer fashionablen Familie meiner Bekanntschaft in Saratoga zubringen zu lassen, – dort, wo eine gentile Außenseite leicht Eintritt in bessere Zirkel verschafft, trieb sich Baker herum, gerirte sich als Pflanzer aus unserem Staate, attachirte sich meinem unglücklichen Mädchen – und verführte sie.« Er preßte einen Augenblick die Hand gegen die Stirne, athmete tief auf und fuhr dann fort: »Das war indessen nicht der Hauptzweck dieses Menschen gewesen. Er gehöre einer Klasse von Leuten an, welche wie eine heimliche Pest in der besseren Gesellschaft von New-York ihr Wesen treibt, die aus ihren Opfern ihren Lebensunterhalt ziehen und sie erst wegwerfen, wenn sie bis aufs Blut ausgezogen sind. Mein unglückliches, ungewarntes Kind hatte sich in vollem Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit des Menschen verleiten lassen, in eine kurze Correspondenz mit ihm zu treten, in welcher sie, als Antwort auf mehrere seiner Briefe, Andeutungen über die möglichen Folgen des unerlaubten Verhältnisses fallen ließ – und von diesem Augenblicke an war ihr Schicksal besiegelt.«

Der Erzähler machte eine Pause und sah starr vor sich ins Feuer. »Ich kann Ihnen nur die Hauptpunkte des Nächstfolgenden geben, soviel mir selbst davon bekannt geworden ist,« fuhr er dann fort. »Es war nicht Liebe, nicht [] Hingebung mehr, was der Mensch von da abverlangte – es war einfach Geld. Bei seiner ersten Forderung schützte er eine augenblickliche Verlegenheit vor, in die er gerathen sei, und mein armes Mädchen gab ihm willig ihr ganzes kleines Vermögen. Dann kam eine Spielschuld, die gedeckt werden mußte, und sie borgte unter ihren Bekannten die Summe zusammen; sie hielt ihre eigene Zukunft für vollkommen verbunden mit der seinigen. Erst als sie bei seiner dritten Forderung rathlos dastand, begann er seine Maske zu lüften und fragte sie, ob er sich denn, um das Geld zu erhalten, selbst an einen ihrer Freunde wenden und diesem sein ganzes Verhältniß zu ihr mittheilen solle? Es muß ein gräßlicher Moment gewesen sein, der meinem armen Kinde die Augen geöffnet, so daß mir, als ich sie kurz darauf wieder sah, die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, ins Herz schnitt, ohne daß ich doch im Stande gewesen wäre, eine Aufklärung von ihr zu erhalten. Hätte sie sich mir anvertraut, so hätte der Schurke unschädlich gemacht und Vieles wieder ausgeglichen werden können – aber sie wäre wol lieber gestorben, als daß sie ihre Entehrung gestanden hätte – und das mochte der Mensch wissen. Er hatte ihr einen Tag Frist gegeben, um die geforderte Summe zu schaffen, sie verkaufte einen Theil ihres Schmuckes, um ihn zu befriedigen, benutzte aber die Gelegenheit, die sich ihr durch eine abreisende Familie aus Tennesse bot, und flüchtete bald darauf nach Hause. Ich selbst erhielt nur einige Zeilen nach New-York von ihr und freute mich über ihren Entschluß; ich schrieb ihr verändertes Wesen halb einem krankhaften Zustande, halb der Uebersättigung an den fashionablen Zerstreuungen zu, das sich bald wieder legen würde. Aber kaum mehr als zwei Monate hatte sie unangefochten zugebracht, als der Blutsauger sich noch während meiner Abwesenheit auch hier in meinem Hause einfand. Es waren mehrere Familien aus unserer nächsten Nähe den Sommer über in Saratoga gewesen, mit denen [] er sich dort in Verkehr gesetzt hatte, und so bekam seine Stellung hier eine Art Grund. Ich ahnte, als ich mit meiner jungen Frau von New-York hierhergekommen war, von nichts und sah nur den unerklärlichen Zustand meiner Tochter, der sich zu Zeiten bis zum Tiefsinn steigerte. Erst später, als ich alle Umstände erfuhr, habe ich ihre ganze Qual verstehen lernen – stets von dem geldhungrigen Ungeheuer mit der Veröffentlichung ihres Fehltritts bedroht, wenn sie ihn nicht zufriedenstellte, und doch zuletzt, als Alles was sie Werthvolles besaß, heimlich verkauft war, außer Stande, seinen neuen Anforderungen zu genügen. – Sie wich mir aus, um nicht von meinen Fragen geplagt zu werden, bis ich endlich jedes Forschen aufgab, und erst meiner Frau, die sich ihr mit warmer Theilnahme, aber ohne ihr Vertrauen zu fordern, angeschlossen hatte und sie wie ein krankes Gemüth behandelte, gelang es in einer günstigen Stunde, in welcher das Mädchen wol durch den Jammer ihrer Lage überwältigt worden sein mochte, ihr das Herz zur vollen Mittheilung zu öffnen. Hätte ich nur damals noch Nachricht von dem Stande der Dinge erhalten, es wäre Alles anders gekommen: aber meine Frau hatte die heiligste Verschwiegenheit gegen Jedermann geloben müssen, dazu schien Baker, seit er in Elliots Familie eingeführt war, sein Opfer aufgegeben zu haben, und Niemand konnte die Schrecken ahnen, die sich noch entwickeln sollten.« Morton athmete tief auf, stützte die Stirn eine Minute in die hohle Hand und fuhr dann fort: »Es war am Morgen nach der Nacht, in welcher der Mord geschehen, als meine Frau an die Thür des Schlafzimmers meiner Tochter pochte, um sie zum Frühstück zu holen – sie that das jeden Morgen und bisweilen schlief sie auch mit Alice zusammen. Sie erhielt keine Antwort, fand aber, als sie zu öffnen versuchte, die Thür unverschlossen. Drinnen lag das Mädchen in ihren Kleidern, aber mit herabhängenden Haaren, quer über ihr Bett geworfen, schlafend oder ohne Besinnung; ihr ganzer [] Anzug war mit dem Schmutz der Straße besudelt. Meine Frau erzählte mir später, daß es ihr, seit sie Alice's Gemüthszustand habe kennen lernen, immer gewesen sei, als müsse sie einmal Zeuge eines geschehenen Unglücks sein und daß der Anblick meiner besinnungslosen Tochter sie nur wie die Verwirklichung ihrer Furcht getroffen habe. Voll Schrecken, aber doch gefaßt, suchte sie das Mädchen aufzurichten, sie fühlte das Herz noch schlagen – und das gab ihr neue Kraft; als sie aber dem Körper eine andere Lage gegeben, entdeckte sie zwischen den krampfhaft vor die Brust gedrückten Händen ein kleines Bündel zusammengebundener Papiere und ein scharfes Messer, das in der Küche gewöhnlich zum Schlachten des Federviehs gebraucht wurde. Die Papiere, wie die Aermel und der vordere Theil ihres Anzuges waren wie in Blut getaucht; als ihr aber Mrs. Morton, von einem neuen Schrecken gefaßt, das Kleid aufriß, bemerkte sie bald, daß es fremdes Blut war, was sie gefärbt hatte. Frauen zeigen in solchen Augenblicken des Schreckens oft mehr Gegenwart, als Männer. Ich wollte, als mich meine Frau zum Beistande herbeigeholt, das schwarze Kammermädchen rufen, sie hielt mich aber zurück, bis jede Spur eines außergewöhnlichen Ereignisses beseitigt war, bis meine bewußtlose Tochter in ihrem Bette lag, als habe sie die ganze Nacht dort gelegen, und endlich nach mancherlei Versuchen, sie ins Leben zurückzurufen, wieder die Augen aufschlug. Ich werde den Moment ihres Erwachens niemals wieder vergessen. Ihr Auge war ruhig, theilnahmlos, kalt – ich bog mich über sie, aber ihr Blick glitt an mir vorüber, sie sah und kannte mich nicht. Ich sandte einen Schwarzen nach der Stadt zu einem Arzte, der mein spezieller Freund ist, und als ich wieder in das Zimmer der Kranken zurückkehrte, lag sie, leise vor sich hinsprechend, da, von meiner Frau aufmerksam beobachtet. Mir war der Sinn jedes ihrer Worte unverständlich, aber Mrs. Morton schien den Schlüssel dazu gefunden zu haben [] und ich mußte von ihr, als das Mädchen endlich immer leiser redend eingeschlafen war, die ganze Geschichte meines unglücklichen Kindes hören. Noch waren wir in vollem Dunkel über die Ereignisse der letzten Nacht, aber die Untersuchung des blutigen Bündels Papiere, die sich als die Briefe meiner Tochter an ihren Verführer erwiesen, zusammen mit dem Messer und ihren blutgefärbten Kleidern, gab uns eine fürchterliche Ahnung, die zur Gewißheit anwuchs, als im Laufe des Nachmittags die Nachricht von dem geschehenen Morde einlief. Jetzt verstanden wir auch die Irr-Reden der Kranken – Baker mußte spät am Abend vorher dagewesen sein, sie aufs Neue bedrängt haben und mit Drohungen fortgegangen sein – sie aber war ihm in ihrer Verzweiflung gefolgt. Was bei der Begegnung Beider geschehen, wird wol für ewige Zeiten unenthüllt bleiben – zwei Dinge aber, die in der Untersuchung gegen Sie eine so große Rolle gespielt, sind mir unerklärlich: das Zeichen an der Stirn der Leiche, das wahrscheinlich von dem Falle gegen einen Baumstumpf herrührt – und der Reitpeitschenknopf, den mein irrsinniges Kind beim Suchen nach ihren Briefen wahrscheinlich mit aus der Tasche herausgerissen hat. – Lassen Sie mich Ihnen noch zwei Worte sagen und dann werde ich auf Ihre Angelegenheiten kommen. Noch ehe mein Bote aus der Stadt zurückkehrte, erwachte die Kranke wieder – ihr Blick aber war der einer Stumpfsinnigen, ihr Mund blieb geschlossen, und als der Arzt endlich anlangte, als er seine Beobachtung geendigt und mir am Abende sein Urtheil gab, war es das, was mir schon seit dem Morgen wie ein Gespenst vor der Seele stand –meine Tochter war körperlich vollkommen gesund, aber – wahnsinnig. Sie wurde,« fuhr der alte Pflanzer nach einer kurzen Pause mit bebender Stimme fort, »acht Tage darauf nach Anordnung des Arztes in eine Privat-Anstalt nach Montgomery gebracht, da ist sie noch jetzt, und noch nicht ein Wort ist seit dieser Zeit über ihre Lippen gekommen; [] ihr früherer Tiefsinn aber war so allgemein aufgefallen, daß unter meinen Bekannten das jetzige Unglück kaum eine Ueberraschung erregte – Niemand hatte eine Ahnung des wirklichen Zusammenhanges der Dinge. – Well, Sir,« begann Morton, wie sich ermannend von Neuem, »während dieser acht Tage war die Coroners-Untersuchung beendigt worden und ich hatte, durch mein eigenes Unglück wie vor den Kopf geschlagen, kaum darauf geachtet, so nahe ihr Ergebniß mir auch liegen mochte. Erst nach der Abreise meines unglücklichen Mädchens machte mich Mrs. Morton auf den Verdacht, der auf Sie, Mr. Helmstedt, gefallen war, und auf die Pflicht aufmerksam, hier in irgend einer Weise einzugreifen. Ich sah ein, daß sie recht hatte, ich begriff, daß Sie nicht für eine fremde That leiden durften – aber was sollte ich thun, wenn ich nicht die Schande meines Kindes in die Oeffentlichkeit bringen, eine Criminal-Untersuchung über sie verhängen lassen und meine häuslichen Verhältnisse den Zungen des ganzen Staates preisgeben wollte? Mir erschien es anfangs als das Einfachste, der Sache ihren Lauf zu lassen, da Ihre Unschuld sicher schnell genug aus Tageslicht kommen würde; als aber eine Verknüpfung der sonderbarsten Umstände gegen Sie zeugte, als meine Frau jeden Tag unruhiger wurde, als sogar mehrere Bekannte vom Gericht, die bei mir einsprachen, Ihrer Sache den schlechtesten Ausgang prophezeiten, da sah ich, daß gehandelt werden mußte. Nach mancherlei trüben und vergeblichen Berathungen entschloß sich endlich meine kleine bewundernswürdige Frau, als sie den Kampf in mir bemerkte, meinem väterlichen Gefühl ein Opfer zu bringen, das wol wenige Frauen gebracht hätten – sich der Mißdeutung des ganzen Countys bloß zu stellen, und ehe ich nur noch meine Zustimmung gegeben, gegen die sich Alles in mir sträubte, hatte sie ihren Plan schon halb ausgeführt, Sie wissen, Sir, welche Anerbietungen sie Ihnen gemacht – Sie wiesen sie trotz Ihrer Gefahr zurück und von diesem[] Augenblicke an lernte ich Sie mit meiner ganzen Seele schätzen. Sie wissen auch, was Sie meiner Frau über Ihr Verhältniß zu Ellen Elliot vertrauten – was Sie dabei nicht mit klaren Worten aussprachen, das ließ sich errathen – und hier bot sich uns ein neuer Weg zu Ihrer Rechtfertigung. Mrs. Morton wußte durch einen schriftlichen Herzenserguß von Ellen, wo sich deren Familie befand – sie theilte jetzt dem Mädchen den ganzen Stand Ihrer Angelegenheiten, so wie Ihre Weigerung, eine Aussage über Ihren Aufenthalt während der Mordnacht zu machen, mit, und wir hatten uns in dem Kinde nicht getäuscht – sie kam hier an, gerade noch zur rechten Zeit, hatte ihre Mutter nur mit wenigen zurückgelassenen Zeilen über ihre Abwesenheit beruhigt und tapfer entschlossen den weiten Weg allein zurückgelegt. – Bei alledem wußte ich, daß ich Ihr Schicksal nicht an diesen einzigen Anker hängen durfte, ich kannte die Stimmung der Bevölkerung, die durch die unverzeihlichen Besprechungen und Speculationen der Zeitungen gegen das harmlose Mädchen erregt worden war – der heutige Tag war der entscheidende, und so machte ich mich fertig, auf jeden Fall für Sie einzustehen – Zeit und Ueberlegung hatten mir gezeigt, welcher Weg der einzig ehrenhafte war, und ich würde, als ich die Untersuchung sich zu Ihrem Nachtheile wenden sah, auch ohne Isaacs Dazwischenkunft mit der Wahrheit herausgekommen sein – der Beweis dafür liegt darin, daß ich die blutbefleckten Briefe, welche meine unglückliche Tochter dem Ermordeten entwendet, mit mir genommen hatte, um meine Angaben dadurch zu begründen. Isaacs Erzählung half dann freilich, ihnen bei meiner Mittheilung an den Staatsanwalt erst die rechte Beweiskraft zu geben. – Da haben Sie meine ganze Beichte, Sir, das Gericht wird mit meinem armen Kinde jetzt wenig mehr zu thun haben – Ihr Schicksal, Sir, aber hat sich durch meine Schwäche in einer Weise gestaltet, daß Sie mir zu meiner eigenen Beruhigung gestatten müssen, Alles, was in meiner Kraft [] steht, anzuwenden, um den angerichteten Schaden wieder auszugleichen – wie und auf welche Weise darf ich freilich nicht bestimmen, aber hoffentlich wird sich, wenn Sie mir vergeben wollen, in unserer gemeinsamen Berathung ein Weg dazu finden.« Er wandte den Kopf nach dem jungen Manne und hielt ihm die Hand hin. Helmstedt legte die seinige hinein. »Sprechen Sie nicht von vergeben, Mr. Morton,« sagte er, »wer weiß, wozu Alles für mich gut ist, was geschehen und warum es so hat kommen müssen; das größte Unglück, das ich in Amerika erlebte, diente nur dazu, um mich für das hiesige Leben brauchbar zu machen – und jetzt, wo mir schon Hilfe angeboten wird, ehe ich nur weiß, ob oder was ich verloren habe, darf ich kaum von Unglück reden.«

»Well, Sir, ich danke Ihnen,« erwiderte Morton, der den Kopf hob, als habe er ein gefürchtetes, unangenehmes Geschäft vollendet, »aber mit den bloßen Redensarten fangen wir die Ratte nicht. Ich würde sagen: lassen Sie uns warten bis morgen früh und dann in Ruhe überlegen, wenn unser Nachbar Elliot nicht ein Mann wäre, der wenig Zeit verstreichen läßt, bis er einen gefaßten Entschluß zur Ausführung bringt. Was geschehen soll, muß heute Abend beschlossen werden, morgen im Laufe des Vormittags ist der Mann mit seiner Tochter vielleicht nach irgend einem Theile der Welt unterwegs und dann, sehe ich recht wohl, wäre Alles, was außerdem gethan werden könnte, so gut wie nichts!«

»Ich glaube kaum, daß Ellen, wie ich sie kenne, jetzt ihrem Vater so ruhig folgen wird, als das erste Mal,« warf Pauline ein, mit einem halben Blicke zu ihrem Manne aufsehend.

»Was kann sie aber thun?« erwiderte Morton; »hier unser junger Freund will sie nicht eher haben, bis er nicht eine Zukunft hat und sie vor Entbehrungen schützen kann, wie er sagt, und es liegt ein Verstand darin, den ich vielen [] unserer amerikanischen jungen Leute wünschte – und wir können doch nicht, wenn wir sie auch in unser Haus aufnehmen, offene Partei gegen ihren Vater ergreifen? Dazu hat eben nur der Mann ein Recht, dem sie ihr ganzes künftiges Leben anvertraut. Wollen Sie vorläufig eine Stellung in meinem Hause oder auf meiner Farm annehmen, Sir, bis sich etwas anderes Passenderes findet, so ist wenigstens für den Augenblick der Noth abgeholfen, und das Kind hat ein Recht, bei uns zu sein.«

Helmstedt sprang von seinem Stuhle auf und durchschritt aufgeregt das Zimmer. »Es wäre Tollheit von mir,« sagte er endlich wieder herantretend, »Ihre Hilfe in der Lage, in welcher ich mich befinde, abzuweisen, ich werde Sie selbst noch an Ihre Zusage wieder erinnern – aber Ihren letzten Vorschlag, so freundlich er auch ist, kann ich nicht annehmen; für mich bliebe es doch nur immer eine Noth- und Barmherzigkeitsstellung und Sie müßten in eine ganz unangenehme Lage zu Elliot, vielleicht auch zu der ganzen hiesigen Gesellschaft gerathen – Sie hätten gleiche Sache mit dem Fremden gemacht, der nichts ist und nichts hat und doch seine Hand nach einem Mädchen aus der Blüte des Landes ausstreckt; Sie würden dem Gefühle aller reichen Eltern, die Töchter besitzen, geradezu ins Gesicht schlagen und wahrscheinlich Ihr Opfer, so aufrichtig das auch jetzt gebracht sein mag, bald genug bereuen. – Ich muß mir irgend eine Stellung, irgend eine Selbstständigkeit zu verschaffen suchen,« fuhr er fort und nahm seinen vorigen Gang wieder auf, »ich werde um Ihren Rath und Ihre Hilfe dazu bitten, aber ich weiß, daß das nicht im Nu geschehen kann. Ich werde morgen in aller Frühe nach Oaklea gehen – ich müßte ohnedies mit Mr. Elliot reden, ich bin noch nicht von ihm entlassen, habe aber mein Gehalt für ein halbes Jahr im Voraus, erhalten – ich werde zu ihm sprechen, wie es mir der Augenblick eingeben wird, werde ihm zeigen, daß er es wenigstens mit einem ehrlichen Manne zu thun [] hat, der weder hinter seinem Rücken eigennützige Pläne verfolgte, wie er es wol vermuthet, noch jetzt von all seinem Gelde Etwas verlangt, und jeden andern Weg, als den offenen verschmäht. Was das Ergebniß davon sein wird – ich weiß es nicht; aber ich weiß jetzt, daß dies mein nächster Schritt sein muß, wenn ich vor mir selbst bestehen soll.«

»Ob Ihr Weg gerade der praktischste ist, weiß ich nicht,« entgegnete Morton, seine Haare durcheinander streichend, »man tritt einem wildgewordenen Pferde nicht gern geradezu in den Weg und in Dinge, die sich nicht ändern lassen, ergeben sich die Leute meist viel eher, als da, wo ihnen noch eine Hand darin erlaubt ist. Aber ich darf gegen Ihre Gründe nichts sagen.«

»Haben Sie auch wol an Ellen und ihr Glück gedacht, wenn die Zusammenkunft mit ihrem Vater schroffer zwischen Ihnen Beiden endigen sollte, als Sie es vielleicht jetzt vermuthen?« begann Pauline und Helmstedts Auge begegnete einem so ernsten Blicke, wie er ihn noch nie an ihr gekannt. »Fast möchte ich dran glauben, daß auch die Liebe des besten Mannes sich nicht frei von Egoismus machen kann, mag der nun Ehre oder Stolz oder sonst wie genannt werden.«

»Und glauben Sie wirklich, daß ein Mann der Halt für eine Frau sein würde, – daß sie mit der Achtung zu ihm aufsehen könnte, wie es sein sollte, wenn er seine Grundsätze auch nur einen Augenblick, und sollte es selbst seinem höchsten Lebensglücke sein, aufopfern könnte?« sagte Helmstedt angeregt. »Ich habe noch wenig vom hiesigen Leben gesehen und mein Urtheil mag nicht ganz richtig sein, aber mir scheint, daß das ganze amerikanische Familien-Verhältniß ein anderes sein würde, wenn viele Männer mehr Männer in diesem Sinne wären. – Lassen Sie mich jetzt zu Bett gehen,« fuhr er dann ruhiger fort, »vielleicht kommt mir irgend ein glücklicher Gedanke während der Nacht, ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Theilnahme.«

[] »Well, Sir,« sagte Morton, ihm die Hand drückend, »ich habe schon heute während Ihrer Vertheidigungs-Rede gedacht, daß Sie einen unserer besten Advocaten abgäben, und in Allem, was Sie heute Abend gesagt, steckt Etwas, das dem Mädchen eine Ueberzeugung beibringen könnte, wenn ich auch zehnmal weiß, daß Sie Unrecht haben. Gehen Sie Ihren Weg, legen Sie sich ins Bett – viel schlafen werden Sie wahrscheinlich nicht, und haben Sie irgend einen Gedanken, so wissen Sie, daß ich nur darauf warte, für Sie Hand anzulegen.«

Helmstedt reichte seine Hand der jungen Frau. »Können Sie mir nicht Recht geben?« fragte er.

»Es gehört für eine Frau viel Liebe dazu, um Ihren Standpunkt zu würdigen,« sagte sie, ohne aufzublicken, »sehen Sie zu, daß Sie vor Ellen bestehen, dann will ich gern nichts weiter sagen.« –

Helmstedt lag in seinem Bette, aber wie Morton es vorausgesagt, ohne zu schlafen. Er überlegte sein morgendes Auftreten bei Elliot, er sann darüber nach, was er ihm sagen wollte, er arbeitete eine große Rede aus und als ein Anflug von Schlaf ihm unbewußt die Augen schloß, arbeitete er im Traume weiter, quälte sich mit den Gedanken herum, für die er den Ausdruck nicht finden konnte, bis er, geängstigt und aufgeregt, wieder erwachte. Er warf sich auf die andere Seite und suchte Ruhe zu gewinnen – aber sein Gehirn arbeitete, ohne seinem Willen zu gehorchen. Wenn Elliot ihm kalt die Thüre wies oder ihn gar nicht vor sich ließ, welchen Weg sollte er dann einschlagen? Er mochte es sich selbst nicht gestehen, aber er fühlte, daß sich sein ganzer Stolz dagegen empört hatte, »seine Frau« in eine Stellung zu bringen, in welcher er von Paulinens Mann abhing – es lag, wenn er an seine erste Begegnung mit dieser in New-York und an die Art, wie er sie von sich gewiesen, dachte, eine ganze Welt von Demüthigung für ihn in dem Gedanken. Wo war aber ein anderer Weg für ihn, wenn [] er nicht Ellen jetzt und vielleicht für immer aufgeben sollte? In fieberhafter Aufregung sprang er auf und maß die Stube mit großen Schritten, aber die fühlbare Kälte trieb ihn wieder ins Bett zurück.

»So werde ich wahnsinnig,« sagte er sich aufrecht setzend. »Ruhe, August; den Weg gerade und offen zum Alten mußt du thun; was daraus entsteht, liegt in der Hand des Schicksals, mag es walten – es ist Thorheit, sich im Voraus darüber den Kopf zu verdrehen. Jedenfalls werde ich morgen Ellen sehen, auf die eine oder die andere Weise, und was dann wird – das überlasse dem Morgen. Jetzt schlafe, August!« Er legte sich zurück, er dachte an Ellen, der ganze kurze Roman seiner Liebe zog in einzelnen Bildern an ihm vorüber und spann sich bald in ruhige rosige Träume hinüber.

Vierzehntes Kapitel.
Die Entscheidung.

Der Morgen war bei Helmstedts Erwachen weiter vorgerückt, als es ihm lieb war. Er hatte gehofft, schon gleich nach dem Frühstück in Oaklea sein zu können und jetzt konnte er Gefahr laufen, Elliot nicht mehr zu treffen. Sein Zimmer war wohlthuend durchwärmt und er warf sich rasch in die Kleider. Als er die Treppe hinabstieg, sah er die junge Hausherrin bereits fertig angezogen durch die »Halle« gehen, aber bei dem Klange seiner Tritte stehen bleiben und ihn erwarten. Mit einem Gesichte, dessen strahlender Ausdruck ihn lebhaft an das erste Zusammentreffen mit ihr in New-York erinnerte, faßte sie seinen Arm und führte ihn mit einem: »Kommen Sie, August!« nach einem der hinteren Zimmer. Die Thür öffnete sich und von einem Stuhle am Kamin erhob sich eine schlanke Gestalt in blauem Reitkleide. Helmstedt sah in ein bleiches Gesicht, das sich soeben zu einem sonnigen Lächeln verklärte, sah in zwei große dunkle Augen, [] die ihm wie in der vollen Befriedigung des Herzens entgegenblickten. – »Ellen!« rief er und sie kam ihm, beide Arme ausgestreckt, entgegen. »Da bin ich, August!« sagte sie und blieb, seine Hände fassend, mit einem Blicke der vollen Hingebung vor ihm stehen, »du sagtest, du wolltest mich erringen, jetzt habe ich dich erringen müssen und – ich gehe nun nicht wieder von dir!« schloß sie, während sie die überquellenden Augen auf seine Schulter legte. Er hatte sie umschlungen, er hatte seinen Mund auf ihren Nacken gedrückt und in der überwallenden Empfindung alle Besorgnisse und Bedenklichkeiten, die ihn gequält, vergessen, und als sie das nasse Gesicht lächelnd wieder zu ihm erhob, da fühlte er, daß ihm diesem gegenüber jede Kraft zum Widerstande fehlte. Er führte sie nach dem von ihr verlassenen Stuhle, zog sie dort auf sein Knie und sah ihr eine Minute schweigend in die feuchten Augen, – eine Minute voller ungetrübter Seligkeit. »Und du sagst, nun willst du nicht wieder von mir gehen?« Sie schüttelte mit einem Lächeln voll Glück den Kopf. »Und was sagt dein Vater, Ellen?« Einen Augenblick nur zog es wie eine leichte Wolke über ihr Gesicht, dann lehnte sie wie in der Nacht, in der sie sich Beide gefunden, ihre Stirne gegen die seine und legte ihre Arme um seinen Hals. »Du mußt jetzt nicht von meinem Vater sprechen, August,« sagte sie leise. »Als ich Nachricht von deinem Schicksale erhielt und von dem Zeugnisse, wodurch ich dich von einer ungerechten Verurtheilung retten sollte, da wußte ich, daß ich nur eine Wahl hatte – zwischen dir und meinen Eltern; es gab nichts dazwischen, August. Aber,« fuhr sie fort und richtete den Kopf langsam auf, ihm mit voller Innigkeit in die Augen sehend, »das Weib soll Vater und Mutter verlassen, heißt's in der Schrift, und daß die Sorge meiner Eltern um mich nicht rechte Liebe war, hatten sie mir gezeigt, als sie mich zu einer Heirath zwingen wollten, von der mich doch eigentlich nur Gott gerettet. Ich bin, glaube ich, in der einen schlaflosen [] Nacht vor meiner Abreise hierher von allen den Gedanken, die durch meinen Kopf gingen, um zehn Jahre älter geworden, und als ich meinen Vater hier so unerwartet traf, hatte ich, wenn mir das Herz auch noch so weh that, als ich sein starres Gesicht sah, doch Kraft genug zu thun, was ich mußte. Ich bin, wie es Pauline wollte, gestern Abend mit meinem Vater nach Oaklea gegangen. Ich saß neben ihm im Wagen und Sarah saß auf dem vordersten Sitz neben Dick, aber er sah starr in den Mondschein hinaus und kein Wort fiel auf dem ganzen Wege. Als wir zu Hause ankamen, stieg er aus, als wäre er ganz allein, aber ich ging ihm nach in die Bibliothek. Vater, sagte ich, willst du mir kein Wort geben? Er sah mich groß an, als komme er erst jetzt aus seinen Gedanken zu sich. ›Hast du mir denn ein Wort gegeben, als du dich heute vor das Gericht und die Menschenmenge hinstelltest und nicht an deine Eltern, nicht an deine Ehre dachtest?‹– Vater, sagte ich, hättest du haben wollen, daß ich ihn verurtheilen ließ, weil er meinen Ruf nicht opfern wollte, oder wolltest du lieber, ich wäre jetzt von Baker zur unglücklichsten Frau gemacht, vor dem er mich allein beschützt hat? – Er antwortete nicht und sah, als wäre ich gar nicht da, ins Feuer. – Vater, willst du nicht mit mir reden? fragte ich noch einmal, als er aber sein Gesicht nach der andern Seite drehte, da faßte mich eine Regung, wie ich sie nie vorher gekannt, ein Gefühl von der Selbstsucht meiner Eltern, die mich Baker geopfert, die dich mit ruhigem Blute dem Gefängniß überantwortet hätte. Vater, willst du mich nicht mehr als Kind haben, so sage es! rief ich und die Thränen kamen mir in die Augen, ich habe Recht gethan vor Gott und meinem Gewissen, und meinst du, ich habe Euch damit Schande gemacht, weil es nicht Euer Weg war, so will ich die Folgen allein tragen. Da drehte sich mein Vater um, er war blaß geworden, daß es mir trotz meiner Aufregung ins tiefste Herz schnitt. ›Es ist meine Strafe,‹ sagte er, ›gehe nur deinen Weg, trage [] die Folgen, aber sprich nicht mehr zu mir!‹ und damit stand er auf und ging zur Thür hinaus. Ich weinte nicht, August, es war ein starkes Gefühl in mir, daß ich nicht anders gekonnt, und nur wenn ich an das Gefühl meines Vaters dachte, brannte es mir wie ein heißer Schmerz in meiner Seele. Als ich aus dem Zimmer trat, stand Sarah noch wie sie vom Wagen gestiegen mit ihrem Päckchen in der Hand in der Halle und weinte bitterlich – Niemand hatte ein Wort zu ihr gesprochen noch ihr einen Platz angewiesen; ich nahm sie mit nach meinem Zimmer und sie schlief auf dem Fußteppich – mir war es, als sei mein Schicksal halb das ihre. Ich habe ruhig die Nacht geschlafen, ich habe Alles gewußt, wie es kommen mußte und als mir Dick früh sagte, daß Mr. Elliot schon einen Rundritt auf der Farm machte, da wußte ich, daß er mir aus dem Wege gegangen war, denn jetzt im Winter gibt's nichts zu übersehen; ich ließ mir das Pferd satteln – und hier bin ich, August!«

In diesem »hier bin ich« aber klang ein Ton, welcher dem jungen Manne durch alle Nerven schauerte – es war das gänzliche Aufgeben ihrer selbst, das Versprechen eines Himmels voll Seligkeit für ihn, und doch auch die Mahnung an eine Verantwortlichkeit, für die er noch nicht vorbereitet war. Er nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte die zwei einsamen Thränen hinweg, die noch an ihren Wimpern hingen. »Aber, Ellen, süßes Leben, weißt du denn wol, daß ich arm, wirklich arm bin?« begann er dann.

Sie nickte, ihm tief in die Augen sehend. »Ich hätte dich wol außerdem nie hier bei uns zu sehen bekommen!« sagte sie.

»Daß ich – gestern aus dem Gefängniß gekommen, wo meine letzte Wohnung war – kein Dach habe, was ich dir anbieten könnte, daß ich noch keine Stellung besitze, um auch nur das Nothwendigste für uns zu erwerben?«

Sie nickte mit einem stillen Lächeln von Neuem. »Und [] was hindert dich denn, die Hand auszustrecken und dir zu verschaffen, was nöthig ist?« sagte sie dann, »was hindert dich denn, Geld, viel Geld zu verdienen, wenn, du auch keine Farm hast? Bist du denn nicht viel reicher, so arm du auch thust, als alle unsere jungen Leute in der Nachbarschaft zusammengenommen?« Es war ein wunderbares Gemisch, halb Laune, halb Innigkeit, was aus des Mädchens Gesicht strahlte; durch Helmstedts Kopf aber schossen zehn verschiedene Gedanken, um den Sinn ihrer Worte zu ergründen, daß sie vor dem eigenthümlichen Ausdruck seines Gesichtes plötzlich in ein helles, glückliches Lachen ausbrach und von seinem Knie aufsprang. »Nicht wahr, August, ich bin noch ein leichtsinniges Kind?« sagte sie, seine Hände fassend, »aber kann ich denn anders, wenn Jemand wie vor lauter Räthseln steht, wo keine sind? Hast du denn nicht Kenntnisse, die in unserer Gegend mit Gold aufgewogen werden möchten, daß Jeder uns um dich beneidet hat? Halte mich nicht für leichtsinnig,« fuhr sie fort, an seiner Seite niederknieend und den Ellenbogen auf sein Knie stützend – »ich wußte, was mein Vater meinte, als er sagte: ›nimm die Folgen,‹ aber ich wußte auch besser, als er, was er an dir verloren, und der Folgen wegen störte, kein einziger böser Gedanke meinen Schlaf. Ich will gar, nicht davon reden, daß du eben so bald eine Stellung als Haupt-Clerk oder Buchhalter bekommen könntest, wie viele Andere, die verheirathet sind – aber du spielst ja gut Piano, du sprichst französisch, und die Familien in der ganzen Umgegend, die ihre Töchter nicht zur Erziehung weit fortgeben wollen, greifen mit beiden Händen nach einem Lehrer in den Branchen, wenn sie ihn nur haben können. Sage ein Wort und du hast mehr Schülerinnen, als du brauchen kannst, und verdienst so viel Geld, als du nur selbst willst. Und wolltest du nichts mit Privatfamilien zu thun haben, so gibt es zwei Akademien in der Nähe der Stadt – ich kenne sie und auch die Noth um Musik und Sprachen darin, [] welche die besten Schülerinnen von dort weg und nach dem Osten treibt – bis jetzt haben selbst glänzende Anerbietungen, wie es heißt, keinen guten Lehrer nach unsern Hinterwaldthälern locken können. Wolle nur, August, und du hast eine Stellung, in welcher jedes Mädchen stolz darauf sein kann, deine Frau zu heißen,« fuhr sie fort und sprang auf, »du bist so reich und weißt es selbst nicht.«

Helmstedt sah in ihr erregtes Gesicht, das von Verstand durchstrahlt in diesem Augenblicke schöner war als je und zog sie wieder auf sein Knie. »Ich bin so reich und weiß es selbst nicht!« sagte er, sie anblickend, als wolle er sich ganz in ihr Auschauen versenken, bis sie ihm mit beiden Händen die Augen zuhielt. »So habe ich es nicht gemeint und du weißt es!« rief sie, »gibt es aber jetzt noch immer Räthsel für dich?«

Er nahm ihre Hände in die seinen und sagte, ernst werdend: »Betrügst du dich denn nicht vielleicht selbst mit glänzenderen Hoffnungen, als sie sich verwirklichen können? Ich habe gestern Abend mit Mortons über meine Zukunft Rath gepflogen und Niemand wußte wirklichen Rath –«

»Weil Mr. Morton ein alter Mann ist und Pauline die Gesellschaft hier noch zu wenig kennt,« unterbrach sie ihn, »und doch wird selbst der alte Herr mir Recht geben, sobald ihm nur der Gedanke vor die Augen gebracht wird. Verlangst du denn noch eine größere Sicherheit, als daß ich alles Elend, was daraus entspringen mag, mit dir tragen will? Entscheide dich nur, ob du hier auf dem Lande bleiben oder in die Stadt gehen willst, und es wird wenig Worte kosten, um deine ganze Stellung geordnet zu haben.«

Helmstedt sah einen Augenblick nachdenkend vor sich nieder. »Laß uns mit Mr. Morton reden,« sagte er dann, »ich werde ihn jedenfalls bedürfen, um mir an den nöthigen Orten den ersten Eintritt zu verschaffen. Wenn er aber mit dir in der Ansicht der Dinge übereinstimmt,« fuhr er [] dann fort, »dann, meine Ellen, gehe ich zur Mittagszeit nach Oaklea zu deinem Vater – ich will nichts verstohlen thun, ich will mich ihm gegenüberstellen wie der Mann dem Manne.«

Die Röthe der Erregung wich aus Ellens Wangen, sie erhob sich. »Thue es, ich will stolz darauf sein,« sagte sie, »aber denke daran, daß mein Vater Gewalt über mich hat, so lange ich nicht durch das Gesetz dein bin, und daß, wenn er mich auch jetzt wie ein trotziges Kind hat gehen lassen, sich doch der Sinn der Menschen ändert, wie sich der Wind dreht!«

Helmstedt sah rasch auf in ihr dunkles, ernst gewordenes Auge und es überkam ihn, als stände er vor dem Scheidepunkte seines ganzen künftigen Lebens. Er drückte einen Moment die Hand vor die Stirn. »Laß uns mit Mortons reden,« sagte er aufspringend, »und dann mag uns das Schicksal führen, wie es will!« Er nahm sie in seine Arme, sah ihr in die Augen und küßte sie, küßte sie zum zweiten Male – es war ihm, als wisse er nicht, sei es der Brautkuß, oder der letzte Kuß vor der Trennung. »Komm!« sagte er dann und führte sie nach dem Parlor.

Im Fenster stand Pauline, die sich bei ihrem Eintritte herumdrehte und sie mit einem stillen Lächeln empfing – aber ihre Augen schienen verweint, und jetzt ging es durch Helmstedts Kopf, ein fremdartiges Gefühl in ihm erregend, daß sie ihn doch zu Ellen geführt und er nicht einmal wußte, zu welcher Zeit sie das Zimmer wieder verlassen hatte. Aber es blieb ihm nicht lange Zeit, seinen Erinnerungen nachzuhängen, denn von einem Divan, nahe dem Feuer erhob sich Morton und schritt auf sie mit der Frage zu, wie weit sie mit einander gekommen seien.

»Ich möchte mit Ihnen ein paar Minuten berathschlagen, vielleicht auch Ihre Hilfe erbitten,« sagte der junge Mann, »lassen wir die Ladies so lange allein!«

Morton nickte schweigend, faßte ihn beim Arme und [] führte ihn zur Thür hinaus nach einem Hinterzimmer. Hier »setzen Sie sich!« sagte er, auf einen Armstuhl deutend, »und nun machen Sie Ihr Herz frei!«

Helmstedt theilte ihm in kurzen Worten mit, was sich zwischen Ellen und ihrem Vater zugetragen und gab ihm deren Ideen und Hoffnungen für seine Zukunft. Morton hatte, ohne ihn mit einem Worte zu unterbrechen, zugehört. »Well, Sir,« erwiderte er dann, »ich will Ihnen zweierlei sagen. Das Kind ist klüger als wir Alle zusammen, das mag aber ihre Liebe thun, die ihr die Augen geschärft hat. Sagen Sie, Sie wollen Pianolehrer werden, so will ich Ihnen mit irgend einer Summe Ihren Erfolg garantiren – dumm genug, daß wir nicht selbst darauf gekommen sind, da doch in unserem ganzen Süden nichts mehr gesucht ist, als Männer mit solchen Kenntnissen. Morgen, wenn Sie wollen, will ich mit Ihnen nach beiden Akademien gehen, Sie können ein Wohlthäter für die meisten Familien in unserer ganzen Gegend werden, die jetzt das theuere Geld für ihre Töchter nach dem Osten schicken. Wollen Sie aber unter allen Umständen Glück machen, Sir, so müssen Sie eine Frau haben; die meisten der jungen Ladies, die Ihnen anvertraut werden sollen, sind zwar in vieler Beziehung noch Kinder, aber doch oft sechzehn, siebzehn Jahre alt – und darum sage ich Ihnen zweitens, gehen Sie vom Platze weg mit Ellen zum Friedensrichter; ich werde dafür sorgen, daß Ihnen kein Hinderniß dort in den Weg tritt – das gibt erstens ein Punktum als Schluß zu Ihrem Prozesse, der Ihnen das volle Vertrauen und die allgemeine Theilnahme sichert; zweitens aber wissen Sie nicht, was Elliot thun mag, wenn er Mittags nach Haus kommt und sein Mädchen ausgeflogen findet – er mag vielleicht nicht an die Energie des Kindes geglaubt haben – und, Sir, aufrichtig gesprochen, Sie sind es Ellen schuldig! Wollen Sie zu ihrem Vater gehen, wie Sie gestern Abend meinten, so gehen Sie wenn nichts mehr zu ändern ist!«

[] Helmstedt stand langsam von seinem Stuhle auf, das Blut war ihm hell ins Gesicht gestiegen. »Rathen Sie mir den Schritt an, Mr. Morton, als Mann, der die Verhältnisse hier kennt, der weiß, was Ehre verlangt,« sagte er, »würden Sie ihn selbst verzeihlich finden, wenn Sie als Vater dabei betheiligt wären?«

»Ich rathe Ihnen dazu als ehrlicher Mann,« war die ernste Antwort, »der mit unparteiischerem Auge die Sachen ansieht, als es ein Vater könnte – rathe es Ihnen Ihres eigenen und des Mädchens Besten wegen, die Ihnen ihren Ruf geopfert hat, den Sie ihr wiederherstellen müßten, wenn Sie auch nicht einmal an ihr übriges Glück denken wollten –«

»Es ist genug, Mr. Morton, ich danke Ihnen,« unterbrach ihn Helmstedt, seine Hand ergreifend, und athmete auf, wie nach dem Abwerfen, einer Bürde, »geben Sie mir die nöthigsten Anweisungen über wo und wie, und wenn Ellen bereit ist, so thue ich jetzt sogleich die nöthigen Schritte. Wenn wir aber zurückkommen, muß ich Sie dann um Obdach für uns bitten, bis meine übrigen Verhältnisse geordnet sind.«

»Well, Sir, das ist doch endlich ein vernünftiges Wort,« sagte Morton, seine Hand schüttelnd »Ich schreibe ein paar Zeilen an einen Freund von mir der Friedensrichter ist und keine Umstände mit Ihnen machen wird, und schicke, um jede Zögerung zu vermeiden, den Cäsar damit nach der Stadt voraus – in einer halben Stunde sollen Sie die kleine zweisitzige Kutsche haben und dann gehen Sie los. Jetzt lassen Sie aber unser Kind nicht länger warten.«

Helmstedt verließ mit Morton, der nach der Hinterthür des Hauses ging, das Zimmer zu gleicher Zeit; als er aber am Eingange zum Parlor angelangt war, blieb er stehen und drückte die Hand gegen die Stirn, er fühlte sich wie im Traume. Durch die Thür klang Ellens Stimme, derselbe klare, weiche Ton, der ihm Tags zuvor im Gerichtssaale [] wie Rettung ins Ohr geklungen – »ich komme, ich folge deinem Sterne, wohin er auch führen mag!« sagte er halblaut und öffnete die Thür.

Im Divan, nahe dem Fenster, saß Ellen, den Kopf in die Hand gestützt, und ein leichtes Roth schoß in ihr bleiches Gesicht, als der junge Mann eintrat. An einem Seitentische stand Pauline und schien in den dort liegenden Büchern zu blättern, aber Helmstedt bemerkte sie nicht. Er ging auf das Mädchen los und kniete schweigend vor ihr nieder. »Willst du mich denn annehmen, wie ich bin?« sagte er, »willst du dich denn an mich ketten und mit mir tragen, was da kommt, Leid und Freude, Sonnenschein und Sturm?« Sie bog sich nieder zu ihm, umschlang seinen Nacken und legte den Kopf gegen den seinigen. »Warum fragst du denn noch, August? Habe ich dir denn nicht gesagt, daß ich nicht wider von dir gehe?«

Die Thür klappte leise, Pauline hatte das Zimmer verlassen, aber die beiden Glücklichen hörten es nicht. – –

Die kurze Abenddämmerung desselben Tages ging bereits in Dunkelheit über, als Helmstedt, aus der Stadt zurückkehrend, das Gatterthor an Mortons Besitzung öffnete und bei dem Hause wieder vorfuhr. Morton schien nach den Ankommenden ausgesehen zu haben und trat in den Portico heraus, eben als Helmstedt die weibliche Gestalt, die den Sitz mit ihm getheilt, aus den Wagen hob. »Alles in Ordnung?« fragte der alte Pflanzer. »Da ist meine Frau!« sagte der Angekommene und schlug den Schleier von Ellens erröthendem Gesichte. Morton bog sich zu ihr hinab und küßte sie. »Denke, es sei der Kuß deines Vaters, Kind,« sagte er, »wenn der auch jetzt noch zu hartköpfig dazu ist, und Gott gebe euch Beiden seinen reichsten Segen! – Er ist hier gewesen, der Alte,« fuhr er fort, »ich ahnte doch schon heute Morgen das Rechte; geht jetzt nur zuerst nach dem Parlor, dort liegt ein Brief von ihm, nachher sprechen wir weiter!«

[] Als sie die Halle betraten, schritt aus einem Winkel eine dunkle Gestalt hervor, die Ellens Hand faßte und sie gegen ihre Lippen führte. »Sarah!« rief diese überrascht, »was thust du denn hier?« und die Schwarze brach in ein halbunterdrücktes Schluchzen aus. – »'S ist schon recht, Kinder, werdet Alles verstehen!« sagte Morton. »Geh jetzt nach der Küche, Mädchen, und das Uebrige wird sich finden.«

Der erleuchtete Parlor war leer, auf dem Mitteltische aber lag in die Augen fallend ein dicker Brief. Helmstedt half erst seiner jungen Frau aus den Hüllen, dann griff er, während sie ihre Hände auf seinen Schultern ruhen ließ, nach dem Schreiben und öffnete es mit gespannter Seele. Es war an ihn gerichtet und enthielt als Beilage ein kleines Buch. Der Inhalt des Briefes lautete:

»Sir!

Meine Tochter hat den von ihr eingeschlagenen Weg weiter verfolgt und ich komme zu spät, um sie vor einem unausbleiblichen trüben Geschicke zu bewahren. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, denn kaum weiß ich, wie Sie nach dem Vorgefallenen anders hätten handeln können; ich will Ihnen auch zugestehen, daß ich bei der geringen Zeit und Gelegenheit, welche Sie in meinem Hause hatten, nicht an eine vorsätzlich gesponnene Intrigue Ihrerseits glaube – ich mache auch meiner Tochter keine Vorwürfe, diese fallen alle auf mich selbst und die Art, wie ich mein gewesenes Kind erzog, zurück. Bei alledem werden Sie einsehen, daß Ihr heute gethaner Schritt Ellen für alle Zeit aus ihrer Familie ausschließen muß, und ich kann deshalb nichts weiter thun, als Gott bitten, daß er sie vor zu großem Unglück bewahre, wie ich für jeden Fremden beten würde, und ihr beigehend das ihr gehörende Eigenthum zu übersenden. Dahin gehört die Ueberbringerin: Sarah; ein Bankbuch, worin der aufgesammelte Betrag des für Ellens Nutznießung bestimmt gewesenen Stückes Farm in den einzelnen Depositen verzeichnet [] ist und zu ihrer Verfügung steht, zusammen 1125 Dollars. Sollte sich noch Eigenthum von ihr im Verwahr der abwesenden Mutter befinden, so hat diese heute Auftrag erhalten, es sofort an Mr. Morton für sie abzusenden. Das ihr zugehörige Pferd hat sie bereits heute Morgen an sich genommen, ich füge aber hierzu noch das von Ihnen selbst, Sir, gerittene, da ich dieses Ihnen, wenn auch unter anderen Umständen, überlassen hatte. Jeden Versuch zu einer Communication mit mir oder Ellens Mutter wollen Sie gefälligst unterlassen, da uns keiner Ihrer Briefe erreichen würde. Möge Ellen ihre zu früh gewonnene Selbstständigkeit nicht zu früh zu bereuen haben.

Elliot.«

Helmstedt sah noch, nachdem er ausgelesen, einen Augenblick wortlos auf die Zeilen; er hatte Anderes, Schlimmeres erwartet. Als er aber den Blick in das Gesicht seiner schweigenden jungen Frau warf, sah er ihre Augen in hellen Thränen glänzen. »Es wird gewiß noch Alles ganz gut werden, August!« sagte sie leise, »ich kannte meinen Vater, und wenn er sich auch jetzt zwingt hart zu sprechen, so kann er sein Herz doch nicht ganz von mir reißen. Jetzt haben wir doch schon einen Anfang und brauchen keine Hilfe von anderen Leuten und laß nur eine Zeit verstreichen, bis er dich ganz hat kennen lernen, und es wird Alles vergessen und vergeben sein!«

Es klang so wunderhübsch in dem Munde dieses jungen verwöhnten Kindes: »wir haben doch schon einen Anfang!« daß Helmstedts ganze Seele hätte lachen mögen. »Halte fest an mir, du mein ganzes Glück,« sagte er und drückte sie an sich, »und ich will dich tragen, daß kein Stein deinen Fuß berühren soll, so lange ich selbst noch aufrecht stehe!«

Sie wurden durch Mortons Eintritt unterbrochen. »Ich störe euch, Kinder,« sagte er, »aber das wird euch wol noch oft in euren glücklichsten Lebensstunden passiren, – Glück und Trauer liegen oft kaum einen Schritt von einander. [] Wir müssen einen Besuch beim alten Isaac machen, Mr. Helmstedt, es wird aber wol unser letzter sein, kommen Sie!«

»Ist er so krank geworden, oder ist sonst Etwas mit ihm vorgegangen?« rief der junge Mann besorgt; Morton aber antwortete nicht, öffnete die Thür und schritt den Beiden die Treppe hinan nach dem Zimmer voraus, in welchem Helmstedt den Pedlar am Abend vorher verlassen.

Der alte Mann lag mit geschlossenen Augen in seinem Bette – die weiße Decke, die ihn einhüllte, war mit Blut gefärbt. Seine abgemagerte Hand ruhte neben einem offenen Notizbuche vor ihm; zur Seite des Lagers stand ein Arzt, dem chirurgischen Bestecke nach zu urtheilen, das er eben zusammenwickelte, und am Fuße des Bettes lehnte Pauline, die indessen beim Eintritte der jungen Leute das Zimmer verließ. Helmstedt war rasch bis zum Lager vorgegangen, warf einen Blick auf die Umgebungen und dann in das bleiche, unbewegliche Gesicht des Daliegenden.

»Ist er todt?« fragte er nach augenblicklicher Pause mit erschütternder Stimme.

»Das Leben scheint ihn schon seit länger als zwölf Stunden verlassen zu haben,« erwiderte der Doctor, »er hat augenscheinlich während der Nacht einen Blutsturz bekommen – wie lange er aber nachher noch gelebt, läßt sich nicht bestimmen; jedenfalls scheint er schon vorher eine Ahnung von seinem Ende gehabt zu haben, nach der Art von Testament zu schließen, welches sich hier in seinem Notizbuche findet.«

»Ja, er ist todt, der alte Kamerad!« sagte Morton und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Er hat ausgewandert und sein Kasten wird ihn nicht mehr drücken – möchten wir nur Alle so leicht aus dem Leben gehen, wie er es gethan.«

Helmstedt faßte die kalte Hand des Todten. »Aber um Gottes willen,« rief er, »ich habe doch letzte Nacht ein langes Gespräch mit ihm gehabt und es war heute fast Mittag, [] als ich wegfuhr und auch da schien noch Niemand Etwas zu wissen.«

»Sehen Sie ihn nur an, ob er nicht aussieht, als schliefe er in voller Harmlosigkeit,« sagte Morton; »so fand ihn Cäsar, als er heute Morgen ins Zimmer sah und ging zurück, um ihn nicht zu stören; so ließ sich dieser das zweite Mal, kurz vor Mittag, täuschen und erst als ich Nachmittags selbst mit heraufging, um nach dem alten Manne zu sehen, wurde das Blut auf dem Bette wahrgenommen und wir merkten, wie die Sachen standen. Ich schickte nach dem Doctor hin, um nichts zu verabsäumen; aber, wie er sagt, der Tod hat wahrscheinlich schon während der Nacht stattgefunden. – Da sind seine letzten Zeilen, die er für Sie aufgeschrieben hat,« fuhr Morton fort und reichte dem jungen Manne das Notizbuch vom Bette, »lesen Sie vorläufig – ich denke, der Coroner, nach dem ich aller Vorsicht wegen geschickt habe, muß in einer halben Stunde hier sein, und dann mögen Sie das Buch ganz an sich nehmen.«

Auf einem ausgerissenen Blatte standen mit sichern englischen Schriftzügen die nachfolgenden mit Bleistift geschriebenen Zeilen:

»Ich weiß nicht, ob mir nicht während der Nacht etwas Menschliches zustoßen kann, ich habe schon den ganzen Abend Blutgeschmack im Munde und ein sonderbares Gefühl in der Brust; sollte es sein, so bedauere ich es nicht, denn ich habe jetzt nicht mehr viel in der Welt zu thun, und ich bitte nur Mr. Helmstedt, sich meiner Papiere anzunehmen, welche sich in der Tasche dieses Buches befinden. Es sind die Depositenscheine meiner Ersparnisse, welche nach meinem Tode meinem Schwestersohne gehören sollen. Alle die hierfür nöthigen Nachweisungen sind auf dem ersten Blatte dieses Buches verzeichnet. – Mr. Helmstedt bitte ich ferner, da ihm sein Stolz doch nicht erlauben würde, Etwas von mir anzunehmen, den alten Isaac nicht ganz zu vergessen [] sollte aber eine Zeit kommen, wo er doch noch die ihm gemachten Vorschläge annehmen wollte, so bedarf es nur eines Briefes von ihm an das Haus in New-York, in welchem er das kaufmännische Geschäft gelernt hat und er wird offene Aufnahme finden. Im Riverhause befindet sich mein Pedlarkasten im Verwahrsam des Wirthes. Alle Waaren darin sollen Cäsar gehören, dem ich manchen Dank schuldig bin; er mag sein Glück noch einmal damit bei Sarah versuchen. – Mit meinem Leibe mag geschehen, was da wolle, und meine Seele wird ihren Weg finden ohne menschliches Zuthun.

Isaac Hirsch.«

Das Schriftstück war bis auf die Namensunterschrift mit fester Hand geschrieben und mußte zeitig in der Nacht angefertigt worden sein. – Helmstedt schloß das Buch, legte es unter die Hand des Todten und drückte diese leise.

»Lassen Sie uns jetzt gehen,« sagte Morton nach einer kurzen Stille. »'S ist noch etwas Anderes, was ich mit Ihnen ordnen möchte, Mr. Helmstedt; dem Todten mußte zuerst sein Recht werden, doch das Leben hat an Sie heute mehr Anspruch, als an irgend einem andern Tage. Kommen Sie mit hinunter.«

Er öffnete die Thür, ließ die Anwesenden hinausgehen und verschloß sie sodann. Der Arzt verabschiedete sich, sobald sie die Halle erreicht hatten, Morton aber ging nach dem Speisezimmer voraus, wo bereits das Abendessen aufgetragen war und Pauline wartend stand. Sie streckte Helmstedts Frau die Hand entgegen und küßte sie schweigend, als diese sich in ihre Arme warf; dann reichte sie dem jungen Manne die Hand. »Sein Sie glücklich, August!« sagte sie in deutscher Sprache, daß diesem bei dem ungewohnten Klange das Herz weich wurde, und ließ ihn eine Secunde in ein Auge sehen, das lächeln wollte und doch vor Weh nicht zu können schien. Helmstedt drückte ihre Hand in einem Gefühle, das ihm selbst nicht klar war; sie aber zog sie leise [] hinweg und ging nach ihrem Platze am Tische, wo der singende Theekessel auf sie wartete.

»Einen Augenblick noch, Paully, ehe wir uns niedersetzen!« sagte Morton, »dann sind wir mit Allem fertig. Ich möchte heute gern noch einen Menschen glücklich machen, das ist Cäsar, der ganz verdreht thut, seit Sarah wieder, zurückgekommen ist – und ich glaube, so viel ich heute gesehen, wird ihn das Mädchen nicht wieder fortstoßen. Ist es nicht so, Mary?« rief er der bei Seite stehenden Schwarzen zu und diese ließ ein kicherndes: »ich glaube selbst, Sir!« hören. »Sarah ist jetzt euer Eigenthum, Kinder,« fuhr er fort, »und Ellen, die von Jugend auf an sie gewöhnt ist, wird sie schwer entbehren können, darum thut mir die Liebe, nehmt Cäsar zu euch und laßt die Beiden mit einander wirthschaften – betrachtet den schwarzen Burschen als eine kleine Gabe zu eurer Hochzeit, und wenn ihr meint, er sei zu viel fressendes Kapital für eure jetzigen. Verhältnisse, so vermiethet ihn an ihn selbst; er ist ein tüchtiger Zimmermann, der so viel verdienen kann, als er nur will. Wenn er euch auch eine ordentliche Miethe für sich zahlt, so wird er doch noch Geld genug zurücklegen können, um selbst ein kleines Vermögen zu sammeln, und Niemand wird glücklicher dabei sein, als er selber. Abgemacht, wie?«

»Ich kann doch nichts dagegen sagen, wenn heute noch Jemand glücklich gemacht werden soll?« erwiderte Helmstedt, seine Hand in die Mortons legend; »im Uebrigen aber unterwerfe ich mich Allem, was meine kleine Frau über Verhältnisse der Art beschließen wird; ich habe auch wol noch nicht die Spur von Kenntniß darin – und auch wol kein eigentliches Recht!«

»Das wird sich Alles später finden und ordnen. Heute Abend scheint Mistreß Helmstedt noch nicht viel von dem eigenen Rechte wissen zu wollen!« lachte Morton und warf einen Blick voll Laune auf die junge Frau, die still an [] Helmstedts Arme hing. »Geh, Mary,« rief er der Schwarzen zu, »und sage den Beiden, wie es steht, ich werde nachher selbst kommen und ihnen eine Predigt halten. Und nun zu Tische, Kinder.« – –

Eine halbe Stunde später geleitete Morton das junge Paar nach dem Hinterzimmer, in welchem Helmstedt am Morgen desselben Tages Ellen getroffen, und das vorläufig zur Wohnung für Beide eingerichtet worden war. Er schüttelte Helmstedt derb die Hand, küßte Ellen auf die Stirn – und die Thür schloß sich hinter Beiden, – Morton ging nach einem der hintern Flügel des Hauses, wo sich die Küche befand, aus welcher sich dann und wann das eigenthümliche Lachen fröhlicher Schwarzen hören ließ. –

Pauline hatte, schon als sich das Abendessen seinem Ende zuneigte, still das Speisezimmer verlassen und im Dunkeln ihr Schlafzimmer gesucht. Da kniete sie vor ihrem Bette nieder und drückte den Kopf in die Kissen. Lange blieb sie so und nur ein zeitweiliges Zusammenzucken ihres ganzen Körpers ließ auf den Zustand ihres Innern schließen. Als sie sich endlich erhob, verrieth nichts als noch ein unwillkürliches Schluchzen die überwundene Aufregung. Sie tauchte ein Tuch in das Wasser auf dem Waschtische und preßte es gegen die Augen; dann ging sie ruhig nach dem Parlor, um dort Mortons Rückkehr abzuwarten.

Schluß des Pedlar.


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TextGrid Repository (2022). German Novel Corpus (ELTeC-deu). Der Pedlar : ELTeC ausgabe. Der Pedlar : ELTeC ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001B-D46E-9