[82r]

Aus der Verfügung seiner p Regierung
vom 15. (d. M.)dieses Monats haben wir ersehen, daß
in Gemäßheit höherer Bestimmung
mit dem Turnwesen eine Aenderung
vorgenommen werden soll, so daß
dasselbe zu dem gesammten Erzie-
hungswesen in das richtige Verhält-
niß gesetzt und demselben unter-
geordnet wird.

Fest überzeugt von dem äußerst
wohlthätigen Einfluß der Turnübun-
gen auf das kräftige Gedeihen
des heranwachsenden Geschlechts,
tragen wir kein Bedenken, die eben
gedachte p Verfügung als einen
neuen Beweis der wohlwollenden
Sorgfalt, welche diesem wichtigen
Zweige der öffentlichen Erziehung
von Seiten der höchsten Staatsbe-
hörden zu Theil wird, dankbar
anzuerkennen.

Dabei zweifeln wir um so weniger,
daß die bezweckten desfalsigen
Anordnungen dergestalt werden
beschleunigt werden, daß durch
die vorläufig untersagte Wieder-
eröffnung des hiesigen Turnplatzes
eine die Gemüther beruhigende und
für die Jugend nachtheilige Unter-
brechung der Turnübungen nicht
entstehen wird, da in der Art,
wie diese Uebungen bisher unter
den Augen der höchsten Behörden
hier betrieben worden sind, unsers
Erachtens zu wesentlichen Abände-
rungen keine Veranlassungen
liegen, und es leicht sein dürfte,
dieselben mit den übrigen Zweigen
des öffentlichen Unterrichts in völli-
[82v]gen Einklang zu setzen.

Der p Einsicht einer p Regierung
wird es inzwischen nicht entgan-
gen sein, daß die Turnübungen
nicht bloß als ein Theil der Erzie-
hung, sondern auch für die Er-
wachsenen als ein Mittel, sich
rüstig und wehrhaft zu erhalten,
betrachtet werden müssen, und
daß es deshalb für uns p Unter-
zeichnete, die wir in diesem Sinne
an jenen Uebungen bisher Theil
genommen haben, und eine im-
mer größere Anzahl unserer
Mitbürger dafür gewonnen zu
sehen wünschen, von großer
Wichtigkeit sein muß, von der
Benutzung des hiesigen Turnplatzes
bis zur allgemeinen Wiederer-
öffnung desselben nicht ausge-
schlossen zu werden, da die zur
Fortsetzung der Turnübungen
günstige Jahreszeit bereits nahe
herangerückt ist, und wir über
den Zeitpunkt der Verwirklichung
der bezweckten neuen Anord-
nungen uns in Ungewißheit
befinden.

Ob es nun schon nach dem Inhalt
der Eingangs erwähnten p Verfü-
gung keinem Bedenken unter-
worfen zu sein scheint, daß das
erlassene Verbot, die Turnübun-
gen mit dem 31tn (d. M.)dieses Monats zu begin-
nen, nur auf die Unerwachsenen
zu beziehen ist, so haben wir doch,
da das Grundstück des hiesigen
Turnplatzes StaatsEigenthum ist,
zu Vermeidung eines jeden Miß-
[83r]verständnisses, um so weniger
Anstand nehmen wollen, an
Eine p Regierung den p Antrag
zu richten:

bei einem hohen Ministerio
des Cultus und des öffentlichen
Unterrichts dahin für uns
Verwendung eintreten zu
lassen, daß die Benutzung
des hiesigen Turnplatzes
uns ununterbrochen verstat-
tet, und daß es besonders
uns vergönnt werden
möge, den 31ten (d. M.)dieses Monats als
ein gesetzlich anerkanntes
Nationalfest, auf demsel-
ben, so wie die letzten Jahre
her, in freudiger und dank-
barer Erinnerung an die
große Bedeutung dieses Tages
feierlich zu begehen.


An
Eine p Regierung
hier.
[...]

[83v]
[...]
Leopold von Henning. (Reg: Referend:)Regierungs Referendarius bei der (Regier:)Regierung zu Erfurt.
[...]
CC-BY-NC-SA-4.0

Editionstext kann unter der Lizenz „Creative Commons Attribution Non Commercial Share Alike 4.0 International“ genutzt werden.


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 26. März 1819. Offener Brief an die Königlich Preußische Regierung (Abschrift). Z_1819-03-26_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0EEB-B