✍ (Ew.)Euer Excellenz
werden meinen Brief vom 12ten vorigen Monats nebst dem Rizzetti
erhalten haben, worin ich Ihnen zugleich anzeigte, daß ich im Begriff sey, meine
letzten Erfahrungen über die entoptischen Figuren bekannt zu machen. Dies
hat einige neue Versuche veranlaßt, deren wichtigstes Resultat ich Ihnen
mitzutheilen eile. - Sie wissen, daß die festen einfach brechenden Körper
in einem gewissen Zustand von Sprödigkeit und Spannung, diese sey nun durch
Erhitzung und jähe Abkühlung, oder bloß durch Austrocknung bewirkt, entoptische
Figuren hervorbringen; die verdoppelnden Körper erzeugen diese in ihrem
natürlichen Zustande, doch erscheinen nur in Einer Richtung vollständige Figuren,
nämlich in der der wahren Achse der Krystalle, welche zugleich die der Grund-
gestalt (oder der allgemeinen Form der Gattung) ist. Versuche mit dem Doppel-
spath haben mich hiervon aufs vollkommenste überzeugt. Die merkwürdige
Beziehung, in welcher alle optische Erscheinungen der verdoppelnden Krystalle
zur Achse derselben stehen, veranlaßte mich an einigen Rhomboedern von
Kalkspath perpendikulär auf die Achse derselben Flächen zu schleifen, und diese
geben die erwartete Erscheinung. Einer dieser Rhomboeder ist vom schönsten
und klaresten isländischen Spath, welcher gänzlich frey von Klüften und Spalten
im Innern ist, obwohl in der Richtung der Achse über 1 Zoll dick. Die Figur
hat, bey sich kreuzender Lage der Spiegel, diese Gestalt.
Die Ringe sind farbig, nach innen zu gelb, nach außen blau,
der mittlere Theil der Ringe ist aber dunkel. Wenn man
den Spath um seine Achse dreht, so verändert sich die Figur nicht.
[87v]Zwey andere Rhomboeder von Kalkspath haben mehrere Klüfte und Spalten im Innern,
welche sogar epoptische Farben erzeugen, doch verändern diese die Gestalt der
entoptischen Figur nicht, wenn das reflectirte1 Licht durch die perpendikulär auf der Achse
stehenden Flächen fällt. (Diese geschliffenen Flächen entsprechen der Abstumpfungs-
fläche der Säule.) Fällt das Licht durch Flächen, welche der Achse des Krystalls
parallel sind, so entsteht keine solche Figur; der Spath erscheint nur in Einer
Umdrehung 4 mahl am hellesten und 4 mahl am trübesten; jenes findet statt,
wenn die Achse des Krystalls 45° mit der Einfallsebene des Lichtes2 macht, dieses wenn sie
mit derselben zusammenfällt, oder sie in 90° durchschneidet. Auch diese letzten
Erscheinungen sind ohne Zweifel eben so wohl eine Folge der Vertheilung des
reflectirten Lichtes in den krystallisirten Körpern, als die oben abgebildete
entoptische Figur, so wie alle Farbenerscheinungen vom Gyps, Glimmer und andern
Krystallen, welche erst im Spiegelungs- und Brechungsapparat entstehen, ent-
optische zu nennen sind.
Im Anfange dieses Monats habe ich von HE. Biot ein Schreiben erhalten, worin
derselbe mir anzeigt, daß das Institut Royal de France einen Preis für die
wichtigste im Laufe dieses Jahres bekannt gewordene physicalische Entdeckung
zu vertheilen habe, und daß ihm der Auftrag ertheilt worden sey, sich bey
mir zu erkundigen, ob ich, wie es verlaute, ein Mittel gefunden hätte, die
von mir früher entdeckten Farbenfiguren in den Gläsern nach Willkühr
hervorzubringen und wieder zu vertilgen. Wenn dem also sey, so möchte
ich ihm die Abhandlung, in welcher ich das Verfahren angegeben hätte, mittheilen,
damit er sie der Commission welche über den Preis zu entscheiden habe, und
zu welcher er gleichfalls gehöre, vorlegen könne; auch forderte es mich auf,
ihm von meinen weitern Untersuchungen über diesen Gegenstand Nachricht zu
geben. Ich habe ihm meine 2te Abhandlung gesandt, und ihm zugleich mehrere
von meinen neueren Beobachtungen mitgetheilt. In einem 2ten fünf Tage
später geschriebenen Briefe, zeigt er mir an, daß er meine beyden früheren
[88r]Abhandlungen auf der königlichen Bibliothek gefunden habe, und eine wie die
andere unter seinen Augen übersetzen lasse.
Vom HE. Etatsrath Storch in St. Petersburg habe ich auch eine Antwort erhalten.
Die Stelle des verstorbenen Akademikers Kraft ist bereits besetzt, durch durch einen
HE. Petrow, welcher erst Adjunct, dann mehrere Jahre außerordentliches Mitglied
der Akademie war, und nun als ordentliches Mitglied in die Stelle von Kraft
eingerückt ist. Mir ist der HE. Petrow gänzlich unbekannt, er soll auch nur einiges in russischer Sprache geschrieben haben.
HE. Major v. Knebel erwähnt in einem seiner Briefe einiger
Bemerkungen über Newtons Farbenlehre, welche er im Monthly Magazine gefunden und
Ihnen mitgetheilt habe, ohne den Inhalt weiter anzugeben. Wenn diese etwas
Neues und Beachtenswerthes enthalten, so bitte ich um nähere Notiz davon.
Mit dem Wunsche, daß (Ew.)Euer Excellenz das neue Jahr nebst Ihrer werthen
Familie im besten Wohlseyn antreten und sich desselben ununterbrochen erfreuen
mögen, empfehle mich und die Meinigen Ihrem geneigten Andenken und verbleibe
ergebenster
den 30tenDecember
1815.
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- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 30. Dezember 1815. Seebeck an Goethe. Z_1815-12-30_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0CFA-C