[18r]

An
den (König.)Königlichen Staatskanzler
Herrn Fürsten von Hardenberg
Durchlaucht
hier.
cito.

(Ew.)Euer Durchlaucht haben mich mit-
telst hochverehrlichen Schreib-
bens vom 24ten (v. M.)vorigen Monats,
dessen beide Anlagen
hiebey in der Urschrift
zurück erfolgen, hochge-
neigtest aufgefordert, den
ehemaligen Referendarius
von Henning bei dem
öffentlichen Unterrichte
imin der1 akademischen FachLauf-bahn2 zu beschäftigen, und
demnächst, wenn die Um-
stände es gestatten, und
er seine wissenschaftliche
Qualifikation hinreichend
bewährt hat, fixirt anzu-
stellen. Bei dem günsti-
gen Zeugnisse, welches
der ausserordentliche Regie-
rungs Bevollmächtigte, Gehei-
me OberRegierungsRath
Schulz und der Professor
Hegel dem p von Hen-
ning
wegen seiner bishe-
rigen Repetitionen
der von dem p Hegel
gehaltenen Vorlesungen
ertheilt hat, scheint es mir
nicht nur beden3 unbedenk-
lich, sondern auch zur
wünschenswerthen Förde-
rung eines gründlichen
Studii der Philosophie
auf der hiesigen Univer-
sität zweckmäßig, daß
der p von Henning noch
einige Zeit hindurch als
Repetent des Professors
Hegel nicht sowohl förm-
lich angestellt, als viel-
mehr beschäftigt werde.

Das Studium der
spekulativen Philo-
sophie, und das Auffassen
[18v]eines streng gedachten phi-
losophischen Systems,
wie das des p Hegel ist,
hat für Anfänger
im spekulativen Den-
ken - und dieses sind
doch die meisten Studie-
renden - so große und
so eigenthümliche Schwie-
rigkeiten, daß der Lehrer
in dieser Wissenschaft
dieselben durch seine
Vorträge allein nicht
beseitigen kann, falls
er nicht Gefahr laufen
soll, im Streben nach
Popularität unphilo-
sophisch zu werden. Es ist
daher für viele Studierende
ein Bedürfniß, und für
den Lehrer der spekulati-
ven Philosophie eine Er-
leichterung in seinem ohnehin
schwierigen Amte, daß
ihm ein Jüngererjüngerer Mann4
zur Seite stehe, welcher
sein System bereits im
Ganzen begriffen hat,
und im Stande ist, die ein-
zelnen Vorträge des
Lehrers mit den Studie-
renden auf eine geist-
reiche Weise zu wieder-
hohlen und durchzuarbeiten,
sie in den Zusammenhang
des ganzen Systems
einzuführen, ihre blos
subjektiven Vorstellung-
gen, von welchen aus sie
nicht selten einen spe-
kulativen Begriff beur-
theilen mögten, zu be-
seitigen, und ihnen über
diejenigen philosophischen
Gegenstände, welche
ihnen beim Vortrage
[19r]des Lehrers undeutlich geblie-
ben oder von ihnen schief und
unrichtig aufgefaßt sind,
das nöthige Verständniß
zu eröffnen. Der p von
Henning
hat dieses fast
drei Semester hindurch in
Betreff der sämmtlichen
Vorlesungen des Professors
Hegel geth5 mit einem
glücklichen Erfolge aus
reiner Liebe für die
Wissenschaft gethan, und
dadurch nicht nur einen
angelegentlichen Wunsch
des p Hegel gethanerfüllt6,
sondern auch nicht wenig
dazu beigetragen, daß
der Antheil der Studie-
renden an den Vorlesun-
gen des p Hegel mit je-
dem Semester gewachsen
ist. Obwohl der p von
Henning
sich gegenwärtig als Privatdocent hier
zu habilitiren, und sich
einen selbständigen
Wirkungskreis zu bilden
beabsichtigt: so will
er dennoch aus hoher Achtung
für seinen bisherigen
Lehrer, den Professor
Hegel, fonoch7 einige Seme-
ster fortfahren, die
Vorlesungen desselben
auf die bisherige Art,
jedoch im Universitäts-
Gebäude zu repetiren.
Die Billigkeit fordert
aber, daß dem p von Hen-
ning
für den bedeutenden
Aufwand von Mühe
und Zeit, welche ihm diese
Repetitionen verursachen,
eine angemessene Beloh-
nung zu Theil werde,
um so mehr da er jetzt
fast sieben Jahren hin-
[19v]durch erst als Freiwilliger
in den Feldzügen gegen
Frankreich, dann als Regie-
rungs Referendarius, und
später als Repetent
des p Hegel unentgeldlich
gedient, und in diesen ver-
schiedenen Verhältnissen
den Rest seines ohnehin
geringen väterlichen Ver-
mögens zugesetzt hat. Da
indessen die Stelle eines
Repetenten ihrer Natur
nach nur eine vorüberge-
hende ist; so bitte ich (Ew.)Euer
Durchlaucht ganz gehorsamst
hochgeneigtest zu genehmi-
gen, daß der p von Hen-
ning
noch bis zu Ostern
1822 sein Verhältniß
als Repetent des Profes-
sors Hegel fortsetze,
und ihm in dieser Eigenschaft
von Ostern (d. J.)dieses Jahres ab eine jähr-
liche Remuneration von
vierhundert Thalern welche
auch die Repetenten der
hiesigen theologischen Fakul-
tät erhalten, aus den
Fonds der hiesigen wissen-
schaftlichen Anstalten in
vierteljährigen Raten
bewilligt werde. Während
dieses Zeitraums wird der p
von Henning als Privatdo-
cent zugleich Gelegenheit
haben, sich Ansprüche auf
eine fixirte Anstellung zu
erwerben, und überhaupt zu
zeigen, zu welchen Erwartun-
gen er als öffentlicher
Lehrer berechtigt.


(N. Sr Exc.)Namens Seiner Excellenz

Altenstein
imin der]
FachLauf-bahn]
beden]
Jüngererjüngerer Mann]
geth]
gethanerfüllt]
fonoch]
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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 8. Juli 1820. Altenstein an Hardenberg (Konzept). Z_1820-07-08_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-11ED-4