[10r]

Euer Excellenz

habe ich so vielen Dank und zugleich die Entschuldigung
solcher Verspätung desselben zu machen, daß ich nicht weiß, wo1 anzu-
fangen. Das {wohlverpakte} schöne Geschenk also, ist unversehrt
angekommen und ich habe mich nicht genug ergötzen können,
itzt an der Urgründlichkeit des Phänomens, itzt an dem Sinnrei-
chen der Darstellung, itzt an der Zierlichkeit der Ausführung,
itzt an der Fruchtbarkeit der Folgen, - und es ist nur eben
diese vielseitige Ergötzung, die sich in der Erfreuung über die
freundliche Güte Euer Excellenz vereinigt, welche mich nicht früher
zum gebührenden Worte des Danks hat kommen lassen. Weil
doch einmal das Glas beym abstracten Phänomen der Farbe
eine Hauptrolle spielt, so ist schon an und für sich das Trink-
glas ein so viel vergnüglicheres {Stük} von Apparat, als der
dreyeckige Glasprügel, womit ohnehin der Satansengel, ihn in
seinen Fäusten führend, die Physiker schlägt. Durch jenenVon jenem2 zier-
lichen Apparat sollten sich wenigstens die Weintrinker unter
ihnen verleiten lassen, sich jenen dreyschneidigen Pfahl
aus dem Fleische zu ziehen und vielmehr in das Glas zu
{guken} und damit auf das objective Hervorkommen der Farbe,
das sich hier in seiner ganzen freyen Naivität zu sehen gibt.
[10v]Auch die Phänomene der abgeleiteten Farben treten so annehmlich
hervor, wenn wir dazu schreiten, das Trinkglas seine specifischere
Bestimmung, mit dem verschiedenfarbigen Wein, erfüllen zu lassen.

So instructiv von je ein Glas Wein gewesen, so hat es nun
durch Euer Excellenz Wendung hieran unendlich gewonnen.
Wenn der Wein schon eine mächtige Stütze der Naturphilosophie
gewesen, als welche zu zeigen bemüht ist, daß Geist in der Natur
ist, somit an ihm das nächste und stärkste Document für solche
Lehre hat, - wenn schon von den Alten Bacchus wesentlich als
mystischer Dionysos erkannt und verehrt worden ist, - der alte
Freund Voß mag noch so sehr dagegen sich ereiffern, erpoltern
und ergeiffern -, so will mir nun auch scheinen, daß mir
itzt in Euer Excellenz Geschenk über meines Freundes Creu-
tzer mystischen Weltbecher, erst das rechte Verständniß
aufgegangen ist. Was kann er anders seyn als die allgemeine durch-
sichtige Umschließung mit dem gelben, von den zwölf goldnen
Zeichen durchrankten Zodiakalgürtel, der gewendet so gegen
den glänzenden Ormuzd als gegen den3 schwarzen Ahriman, die bunte
Welt der Farben zur Erscheinung bringt? Auf daß Sie aber nicht
eine Schemenwelt bleibe, dafür sorgen jene goldnen Belaubungen
und Früchte, die den Becher mit dem Blute erfüllen, aus dem
sich die bunten Schatten, wie die elysischen aus dem {Boksblute},
das ihnen Ulyßes zu kosten gab, sich zur Kraft und Ge-
sundheit herauftrinken. Es ist aber die Gesundheit Euer Ex-
cellenz, die ich zu jedem Experiment aus dem bedeutungs-
[11r]vollen Becher trinke und in diesem Andenken, mehr noch als in der
symbolischen Urgeschichte, Belebung schöpfe, und die Bewährung mei-
nes Glaubens an die Transsubstantiation des Innern und Aüssern
des Gedankens in das Phänomen und des Phänomens in den Gedanken,
und den Dank gegen dessen Bewährer feyre.

Bey diesen Vivats geschieht es denn freylich auch, daß sich da-
bey ein und anderes - Pereat für4 die Philister mit herauswirft.
Es ist mir als ob ich mich erinnerte, daß Euer Excellenz sich vor
ein zwanzig Jahren hatten entfallen lassen, daß Sie noch
den Physikern die Eselsohren auf den Tisch nageln wollten.
Wenn spätere Mildigkeit Sie solcher Gerechtigkeit den
Lauff zu lassen, abhielte, so möchte die Geschichte der
Aufnahme der Farbenlehre jedoch ein interessantes Gemähl-
de, - eine Art Gegenstück zur Aufnahme Werthers - abgeben,
und eine detaillirte Auseinander- und Widerlegung des
gegen Sie Vorgebrachten von bedeutendem Effect seyn, ja
sogar nothwendig scheinen, damit mehr der Zustand einer
Verhandlung des Dafür und Dawider herbeygeführt würde.
Das Stillschweigen, keine Notiz nehmen, ist die beliebteste Waffe
der Morgue und der Trägheit, und gegen das Publicum zu die
wirksamste, um die Autorität zu behalten. Es ist noch ein {Glük},
daß doch etliche gesprochen haben; aber {diß} gibt wieder dem
lieben Handwerk die Rede an die Hand, Euer Excellenz soge-
[11v]nannte Einwürfe seyen beantwortet worden, und dabey bleiben sie stehen,
es sei nichts erwiedert worden. Diese Getröstung wünschte ich den
vornehmen Leuten verkümmert zu sehen; dieser Wunsch wird aufs
neue rege in mir, da mir soeben ein junger Mann meines
Kollegen in Kiel, von Bergers, (Allg)Allgemeine Grundzüge der (Wissensch)Wissenschaft 2r (Th)Theil,
bringt, worin es von der Kritik der Für- und Wider-Versuche und der Schlüsse
aus ihnen simpliciter und per parenthesin heißt: - (in welcher Hin-
sicht wir auf die lichtvolle Darstellung und Beurteilung der Streit-
frage von unserem Freunde C. H. Pfaff5 in (sr)seiner Schrift u. s. w. verweisen). Wenn ich mich dieser sogenannten
Schrift des etc. Pfaff6 noch recht erinnere, so ist darin {vornemlich} auf einen Versuch
mit Linsen gefußt; ohnehin sind Sie uns in der Farbenlehre diese
Seite vom Reflex des Urphänomens noch schuldig geblieben, und
dieser Umstand würde sogar dem Abthun Pfaffs die polemische Ge-
stalt, wenn Sie dieselbe nicht in Prosa, - denn in Versen greiffen Sie
wohl dazu, - annehmen wollten, abstreiffen. - Solches simples Verwei-
sen ist aber doch in der That gar zu getrost und zu behaglich, als
daß es Euer Excellenz so ruhig gebahren lassen sollten; es ist auch
gar allein nur so lange möglich, als der Freund das letzte Wort
noch behalten hat.

Jener junge Mann, Herr Dr. von Henning, der, soviel ich weiß, die Ehre hat, Euer Excellenz bekannt zu seyn,
eröffnet mir heute die Absicht, die sämmtlichen öffentlichen Beurtheilungen der Farbenlehre in einer Schrift
durchmustern zu wollen; er besitzt Eiffer, Einsichten und gute Vorkenntnisse von der Sache, und ich habe gute
Hoffnung von ihm; doch ist er sonst sehr beschäftigt und kann nicht etwa, was wohl erforderlich wäre, ein halb Jahr
ausschließlich auf diese Arbeit wenden; ich werde nicht unterlassen, ihn aufzumuntern und ihm soviel
bey mir steht, an die Hand zu gehen. - Ich sollte {diß} etwa nicht in demselben Zusammenhange sagen, in wel-
chem ich den Wunsch, ein solches Unternehmen durch Euer Excellenz ausgeführt zu sehen, aüssere; jedoch, indem ich die
Hoffnung hiezu, wenigstens zur Abhandlung für sich interessanter Punkte durch (E. E.)Euer Excellenz nicht aufgebe, hoffe ich, daß die Arbeit
meines Freundes in ihrer Art noch7 von Nutzen sein könnte. Wenn es mit derselben weiter gedeyht, werde ich Nachricht geben,
u. Sie erlauben dann vielleicht auch, hin u. wieder Raths bey Ihnen zu erhohlen.

Und zum Schluße erlauben Euer Excellenz mir noch einen herzlichen und dankbaren Trunk aus dem
Kelche nicht nur des Glaubens sondern auch Sehens, für itzt und im Voraus auf den 28sten (d.)dieses [Monats] auf Ihre theure Gesundheit,
- nam de te cetera sumis.
Euer Excellenz
ergebenster
Hegel.
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Durch jenenVon jenem]
den]
für]
von unserem Freunde C. H. Pfaff]
des etc. Pfaff]
noch]
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TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 2. August 1821. Hegel an Goethe. Z_1821-08-02_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-15EF-E