Ewr Excellenz haben mir durch Ihr gütiges Schreiben eine große Freude gemacht, weil Alles was von Ihnen kommt für mich von unschätzbarem Werth, ja mir ein Heiligthum ist. Ueberdies enthält Ihr Brief das Lob meiner Arbeit, und Ihr Beifall überwiegt in meiner Schätzung jeden andern. Besonders erfreulich aber ist es mir, daß Sie in diesem Lobe selbst, mit der Ihnen eignen Divination, grade wieder den rechten Punkt getroffen haben, indem Sie nämlich die Treue und Redlichkeit rühmen, mit der ich gearbeitet habe. ...
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Ihr Brief hat mir eine Hoffnung genommen, die sich allmählig doch bei mir eingenistet hatte, die Hoffnung, daß Sie den Wunsch erfüllen würden, den ich in meinem ersten Brief Ihnen zu erkennen gegeben hatte. So begehrenswerth für mich dessen Erfüllung seyn muß, so bin ich doch nicht so thörigt zu verlangen, daß Sie hierauf Rücksicht nehmen sollten: und wenn ich gleich nicht verhehle, daß jener Wunsch ein Motiv mehr für meine Aktivität in dieser Angelegenheit ist; so darf bei der Sache selbst doch nichts in Betrachtung kommen, als die Ehre der Wahrheit, das Heil der Wissenschaft und der Ruhm Ihres unsterblichen Namens, gegen welchen bei dieser Gelegenheit ein Heer armseliger Kathederhelden sich erhoben hat, das freilich einst das Verdammungsurteil der Nachwelt erfahren wird, besser aber schon jetzt dem verdienten Schicksal überliefert würde. -
Warum ist, wie der Lehrbrief sagt, das Urtheil schwierig? - Weil es zugleich sachkundig und unbestochen seyn soll; selten aber ein wahrer Kenner gefunden wird, der nicht schon selbst einen Stein auf dem Brett hätte, und dem nicht daher bei den objektiven Betrachtungen subjektive sich unvermeidlich einmischten. Selbstverläugnung aber muß man nicht erwarten, und jene Gäste bleiben aus, die - "ein fremdes Lied - lieber als ihr eignes hören."
Ich glaube sehr fest, daß Ew. Excellenz mir Ihren Beifall nicht, wie jetzt, mit einem gewissen Widerstreben, nicht mehr auf meine Person als auf mein Werk gerichtet ertheilen würden, wenn meine Schrift, indem sie eben das leistete und bedeutete wie jetzt, nicht zugleich einigen Nebensätzen Ihrer Farbenlehre widerspräche. - Nothwendig liegt der Irrthum in meinem Werk, oder in Ihrem. Ist ersteres, warum sollten Ew. Excellenz sich die Befriedigung und mir die Belehrung versagen, durch wenige Worte die Linie zu ziehn, die in meiner Schrift das Wahre vom Falschen sonderte? - Aber ich gestehe unverhohlen, daß ich nicht glaube daß eine solche[18]Linie sich ziehen ließe. Meine Theorie ist die Entfaltung eines einzigen untheilbaren Gedankens, der ganz falsch oder ganz wahr seyn muß: sie gleicht daher einem Gewölbe, aus welchem man keinen Stein nehmen kann, ohne daß das ganze einstürzte. Ihr Werk dagegen ist die systematische Zusammenstellung vieler (vorher eben durch die falsche Theorie Newtons theils entstellter, teils verhehlter) und mannigfaltiger Thatsachen: dabei konnte sehr leicht ein kleiner Irrtum mit unterlaufen, und kann eben so leicht, dem Ganzen unbeschadet gehoben werden. Ist aber wirklich so etwas der Fall gewesen; o dann werden jene engherzigen Gegner, denen wir die Abschwörung einer ganzen Schar hundertjähriger Irrthümer zumuthen, in Ihrem Werk ehr die kleinste Unrichtigkeit als das unzählige Wahre und Vortreffliche auffinden und anerkennen, werden eben jene Unrichtigkeit zum Vorwand nehmen um vom ganzen Werke nichts wissen zu wollen: nimmermehr aber wird bei denen (wenigstens so lange nicht eine unpartheiische Generation gekommen ist) das Gute des Ganzen den kleinsten erweislichen Fehler decken können. Ist also irgend ein Irrthum mit eingeschlüpft, so muß er zu Tage kommen, früher oder später, et pueri qui nunc ludunt, nostri judices erunt. Wie viel mehr aber wird es in diesem Fall vor Welt und Nachwelt Ihnen zur Ehre gereichen und die Anerkennung Ihres Werkes fördern, wenn jene kleine Irrthümer beiläufig, mit gerechter Schonung und Nachweisung Ihrer Anlässe, in der Schrift eines Ihrer ersten Proselyten, die Sie selbst herausgeben, berichtigt werden, als wenn es den Feinden überlassen bleibt sie mit Gehässigkeit ans Licht zu stellen und herauszuheben. Muß man nicht oft, um Leib und Leben zu retten, ein Glied des Leibes dem Messer des Wundarztes Preis geben? und ist man nicht verloren, wenn man Statt dessen dem Wundarzte entgegenruft: "Tue was du willst, nur diese Stelle rühre nicht an!"
Hierzu kommt, daß die Punkte wo meine Theorie mit Ihrer Farbenlehre disharmonirt höchst unbedeutend sind, ja beinahe verschwindende Größen gegen das worin jene dieser beistimmt und ihr volle Bestätigung und unerschütterlichen Grund giebt.
Die Hauptsache ist die Herstellung des Weißen. Daß Newton hier nur ganz zufällig und nur den Worten nach der Wahrheit nahe[19]gekommen ist, während Sie schon das Wesentliche der Sache selbst, die Aufhebung aller Farbe durch den Gegensatz gelehrt haben, wobei nur zu berichtigen daß das etwa entstehende Grau nicht der Farbe als solcher, im engsten Sinn genommen, zukommt, sondern nur der chemischen Farbe, und was ferner zu Ihrer Rechtfertigung zu sagen war, ist ausführlich gesagt worden. Die Herstellung des Weißen bedeutet bei mir nur dieses: daß wenn auf einer und derselben Stelle der Retina die Tätigkeit in welcher sie bei Anschauung des Roten ist, zugleich mit der in welcher sie bei Anschauung des Grünen ist, hervorgebracht wird, die Empfindung des Weißen oder des Lichts, d. h. die volle Thätigkeit des Auges, deren 2 gleiche Hälften Grün und Rot waren, gegeben ist: und ebenso bei den ungleichen Hälften. - Malus und Arago in Paris haben neuerlich schwierige Experimente und gelehrte Untersuchungen gemacht, über Polarisation und Depolarisation der Lichtstrahlen, wobei die homogenen Lichter zum Vorschein kommen: das Alles aber ist verlorene Mühe: sie sind auf dem falschen Wege, so lange sie mit Newton die wesentliche Ursache der Farbe in einer eigenthümlichen ursprünglichen Modifikabilität (Theilbarkeit) des Lichtes suchen, da sie statt dessen in einer ursprünglichen eigenthümlichen Modifikabilität (Theilbarkeit) der Tätigkeit der Retina liegt deren Aeußerung hervorzurufen, als untergeordnete Ursache (äußerer Reiz) ein auf eine gewisse Weise (durch Trübung oder auch durch Zurückstrahlung von der eigenthümlich modifizirten Oberfläche gewisser Körper) gehemmtes Licht, erfordert wird, welches aber bei der Hervorbringung der Farbe im Auge immer nur die Rolle spielt wie bei Hervorrufung der im Körper schlummernden Elektrizität (Trennung des +E und -E) die Reibung. Jene Herren sind also durchaus auf dem falschen Wege, so lange sie mit Newton hartnäckig die Farbe im Licht suchen und nicht im Auge. Grade so haben alle Philosophen vor Kant geirrt, da sie Zeit, Raum, Kausalität, als unabhängig vom Subjekt vorhanden setzten und nun Anfang, Ende, Ursach, Zweck der Welt, das Subjekt mit eingeschlossen, suchten.
Der zweite Widerspruch ist, daß nur der physiologische Gegensatz, nicht der physische, ein polarer sei. Ich erinnre mich dieses[20]Ew. Excellenz schon in Weimar mündlich vorgetragen zu haben, worauf Sie sehr liberal antworteten: Schreiben Sie doch einmal ein Werk in zwei dicken Bänden, ohne daß irgend etwas zu berichtigen wäre. -
Das Dritte ist die Entstehung des Violetten, eine geringfügige Nebensache. Die versprochenen Bemerkungen darüber werde ich indessen mit Freuden vernehmen.
Diese kleinen Berichtigungen sind übrigens für mich ganz und gar kein Verdienst, wiewohl die Auffindung der Theorie eines ist, aus der nachher jene Berichtigungen von selbst flossen. ...
Ich weiß mit vollkommner Gewißheit, daß ich die erste wahre Theorie der Farbe geliefert habe, die erste, so weit die Geschichte der Wissenschaften reicht: ich weiß auch daß diese Theorie einst allgemein gelten und den Kindern in den Schulen geläufig seyn wird: sei es daß meinen Namen die Ehre der Erfindung begleitet, oder den eines Andern, der entweder dasselbe entdeckte oder mich beraubte. Aber ich weiß auch ebenso gewiß, daß ich jenes nimmermehr geleistet haben würde, ohne Ew. Excellenz früheres und größeres Verdienst. ... [21] ... Was aber diese Theorie beitragen kann Ihrer Farbenlehre Gültigkeit und Anerkennung zu verschaffen, das möchte nicht wenig seyn. Ew. Excellenz selbst gaben mir einmal die Lehre, man müsse stets positiv verfahren, stets aufbauen und nicht sich mit dem Niederreißen des Fremden zu lange aufhalten: worauf ich die Worte Ihres Lieblings Spinoza anführte: est enim verum index sui et falsi: - lux se ipsa et tenebras illustrat. Der didaktische Theil Ihrer Farbenlehre ist zwar positiv, indem er die Thatsachen darstellt und ihren Zusammenhang, ihre Uebereinstimmung zeigt: die polemische, negative, war durchaus nothwendig, weil hier um Bahn zu brechen, vor allen Dingen der alte Wahn gebrochen werden mußte. Allein für die eigentliche Theorie Newtons, die Sie umgestoßen haben, haben Sie keine neue gegeben. Dies eben ist meine Arbeit gewesen: in ihr erhält das Publikum was ihm immer Bedürfniß ist und was es daher so ungern fahren läßt, allgemeine Begriffe, in denen das Wesen jedes möglichen Farbenphänomens enthalten ist, die Kenntniß der letzten Ursachen und des innersten Wesens aller möglichen Farbe überhaupt, erhält also vollen Ersatz für die Newtonische Theorie, indem meine wirklich das ist, wofür jene sich ausgab. Vergleiche ich Ihre Farbenlehre einer Pyramide, so ist meine Theorie die Spitze derselben, der unteilbare mathematische Punct, von dem aus das ganze große Gebäude sich ausbreitet, und der so wesentlich ist, daß es ohne ihn keine Pyramide mehr ist, während man von unten immer abschneiden kann, ohne daß es aufhört Pyramide zu sein. Sie haben nicht, wie die Aegypter, von der Spitze, sondern vom Fundament in seiner ganzen Breite zu bauen angefangen und Alles bis auf die Spitze aufgeführt: in diesem Ihrem Gebäude ist nun zwar der Andeutung nach auch die Spitze gegeben und vollkommen bestimmt: doch haben Sie es mir überlassen sie wirklich darauf zu setzen, wodurch allererst die Pyramide vollendet ist, die Jahrhunderten trotzt. - Die Phänomene die meine Theorie beweisen, sind von Ihnen zuerst und höchst vollkommen dargestellt, und da dieselben so unumstößlich sind, daß man nie wagen konnte sie zu bestreiten, so haben die Gegner sie, (so viel mir bekannt) mit Stillschweigen übergangen. Auf diese allein[22]gestützt und in sich vollkommen evident, steht meine Theorie unerschütterlich fest: aber mit ihr ist Newtons ganze Lehre durchaus unvereinbar, dagegen Ihre Farbenlehre in bester Uebereinstimmung. Von allen ferneren Untersuchungen einzelner Thatsachen, um welche bisher der Streit sich immer drehte, wird nunmehr wenn die Newtonische Lehre nur vorerst noch Möglichkeit behalten soll, die meinige zuvor widerlegt werden müssen, was nimmermehr gelingen kann. Darum behaupte ich daß die Bekanntmachung meiner Theorie den Umsturz der Newtonischen herbeiführen muß. ...
Anbelangend den Vorschlag welchen Ew. Excellenz mir zu machen die Güte haben, so bedauere ich, nicht wohl darauf eingehn zu können. Ich sehe nicht wohin das führen soll: das Urtheil eines Einzelnen hat zu wenig Werth für mich: in Hinsicht auf Ew. Excellenz war es ein ganz Anderes: denn Sie sind kein Einzelner, sondern der Einzige. - Ich sehe zudem wohl was Dr. Seebeck von mir erhalten soll, nämlich die Theorie, die er, da er eben wie ich, Ihre Farbenlehre als gegebene Vorarbeit überliefert empfangen und sich viel länger und anhaltender damit beschäftigt hat als ich, selbst hätte finden sollen, und nicht gefunden hat, was ihn ungünstig stimmen muß: ich sehe aber nicht was er mir dagegen geben soll: einzelne Experimente, genaue Kenntniß jener Gegner, die ich keiner Notiz werth achte, werden mir schwerlich viel nützen. Durch die Mittheilung bliebe es denn doch zuletzt seinem guten Willen anheim gestellt, ob er etwa meine Erkenntniß für die seinige ausgeben will, oder nicht. Was ich bedarf und wünsche ist Autorität:[23]Sie sind so reich daran: Dr. Seebeck kann mir keine geben, und kann mir also nicht helfen. ...
Was ich mit diesem langen und auch wohl langweiligen Briefe, dieser redseligen oratio pro corona, eigentlich beabsichtige? - Daß Ew. Excellenz sich vielleicht bewegen lassen, meinem Kindlein nochmals huldreich in die Augen zu schauen, ehe Sie in letzter Instanz abschlagen, bei ihm zu Gevatter zu stehn. ... [24] ...
... Meine Bitte ist die, daß Ew. Excellenz mir bei Zurücksendung des Manuscripts ganz aufrichtig und genau berichten, ob Sie irgend Jemanden, und wem, jene Abhandlung mitgeteilt haben. Da Sie den Dr. Seebeck begegnet sind, der sein Hauptgeschäft aus der Farbenlehre macht, so war wohl nichts natürlicher als daß Sie ihm meinen Versuch wenigstens mündlich bekannt machten oder auch ihm solchen zur Durchsicht gaben. Ich wünsche sehr nur genau zu wissen, wie ich in dieser Hinsicht überhaupt daran bin
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 11. November 1815. Schopenhauer an Goethe. Z_1815-11-11_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0CE5-3