den Herrn Professor Hegel
hierselbst
Das Ministerium hat aus Ihrem
Berichte vom 26ten (v.)vorigen (M.)Monats mit beson-
derer Theilnahme ersehen, daß die Repetitionen, die der Dr. v. Hen-
ning über die während des ver-
flossenen Semesters von Ihnen
gehaltenen Vorlesungen angestellt
hat, ihrem Zwecke entsprechen,
und von Seiten der Studierenden
ein unausgesetztes Interesse er-
halten haben. Das Ministerium
wünscht, daß dies auch im Laufe des jetzigen Semesters der Fall
seyn möge, und will Ihren wei-
tern Bericht hierüber gegen das
Ende des Monats März (k.)kommenden (J.)Jahres erwar-
ten.
Was Ihre Bemerkung betrifft,
daß die studierende Jugend so
sehr ohne Vorbereitung und ohne
die Bekanntschaft und Gewohn-
heit, mit förmlichen Gedanken
umzugehen, auf die Universität
zu kommen pflege, so entsteht
hiebei die Frage, ob es räthlich
und nothwendig sei, in den Gym-
nasien besondere philosophische Vor-
[38v]bereitungsstudien anzuordnen,
die Schüler dadurch nach und nach
zum spekulativen Denken praktisch
anzuleiten, und sie durch eine
solche stufenweise Uebung zu dem
systematischen Studio der Philoso-
phie, welches ausschließlich dem
Unterrichte auf der Universität
vorbehalten bleiben muß, noch in
besondern Lektionen vorzuberei-
ten. Das Ministerium hat bis
jetzt Anstand genommen, eine des-
fallsige allgemeine Verfügung
zu erlassen, theils weil es er-
wartet hat, daß die Lehrer auf
den Gymnasien durch strenge und
methodische Behandlung der vor-
geschriebenen Wissenschaften die
Jugend auch ohne Anwendung be-
sonderer philosophischer Vorberei-
tungsstudien zum spekulativen
Denken an den hiezu geeigneten
Gegenständen des bisherigen Gymn-
nasialUnterrichts anleitenvorüben1 wer-
den, theils weil mit Grund zu
fürchten ist, daß bei dem gegen-
wärtigen Standpunkte der Philoso-
phie in Deutschland manche Lehrer
den eigentlichen Hauptzweck, der
[39r] mit solchen philosophischen Vorberei-
tungsstudien auf dem Gymnasio
verbunden werden muß, verfeh-
len, und entweder sich in ein hohles
Formelwesen verlieren, oder über
die Gränzen des Schulunterrichts
hinausgehen, und, anstatt das spe-
kulative Denken der Schüler prak-
tisch zu wecken und zu bilden,
denselben die philosophischen Wissen-
schaften in einem System und blos
theoretisch vortragen werden. Da
aber seit einiger Zeit von mehrern
Seiten, und namentlich auch von dem
Professor Herbart in Königsberg
die Klage erhoben worden, daß
die studierende Jugend ohne die
erforderliche Vorbereitung für das
systematische Studium der Philoso-
phie auf die Universität zu kommen
pflege, so muß das Ministerium
allerdings annehmen, daß seine
oben gedachte Erwartung, wenig-
stens auf mehrern Gymnasien,
nicht in Erfüllung gegangen sei.
Zur Beseitigung des in dieser Hin-
sicht bemerkten Mangels beab-
sichtigt das Ministerium daher,
für die beiden obern Klassen
oder doch,
für die oberste Klasse2
[39v]der Gymnasien besondere philosophi-
sche Vorbereitungsstudien anzuord-
nen, und wünscht zu dem Ende,
daß Sie sich mit Rücksicht auf die
bestehende Verfassung der Gymna-
sien sowohl über die Ausdehnung
welche den fraglichen Studien zu ge-
ben, als auch über die Stufenfolge
welche hiebei zu beobachten, und
über die Lehrbücher, welche bei die-
sem Unterrichte zum Grunde zu
legen, und den Lehrern zu empfeh-
len seyn möchten, gutachtlich zu
äußern.
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- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 1. November 1821. Altenstein an Hegel (Konzept). Z_1821-11-01_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-166B-2