[] Erster Band
An Fürst Fritz Schwarzenberg

[] []Ihnen, mein lieber Fritz, dies traurige Buch? – Ja, grade Ihnen! Sie können es aushalten, Sie trift es nicht: Sie haben ein Herz. Hat man das, so giebt es freilich nichts desto weniger Zeiten in denen man dunkle, zweifelnde, verachtende Blicke in das Gewirr des Menschenlebens und auf das lähmende Schauspiel eigener und fremder Schwäche wirft; aber mit der dem Herzen eigenen Schwungkraft schnellt man den wüsten Ballast von Staub, Moder und Verwelklichkeit fort, gedenkt ihrer als melancholischer Warnung, und fühlt deshalb den goldenen heiligen Faden nicht abgerissen, der unser kleines Wesen an das große, lichte, liebende, ewige Wesen des Alls knüpft. Das Herz ist an sich selbst eine Sonne, die Licht und Wärme, die Leben giebt. [] Fehlt sie, so herrschen Chaos und Tod, und der Mensch, der dieser Finsterniß anheimfällt, ist unselig, und ich glaube es giebt manche solcher Unseligen in unsrer Welt, die so klug und so kalt ist. Darum, lieber Fritz, wende ich mich recht zu meiner Erquickung in Gedanken an Ihr gutes rasches warmes Herz, und ohne zu erwarten daß Sie als ächter und rechter Lanzknecht die Lanze für meine Ueberzeugungen und Meinungen – welche nicht immer die Ihren sein mögen – einlegen müßten, weiß ich doch daß Sie mir herzlich die Hand schütteln und sagen werden: In der Hauptsache denken wir überein! –

Dresden, den 26. April 1846.

Ida Hahn-Hahn.

[]

[] Wir Alle haben sie gekannt. Sie wohnte zwischen uns, sie lebte mit uns. Bemerkt mögen nur Wenige sie haben, doch jezt, da sie todt ist, werden Manche sich ihrer erinnern. Die Welt ist wie ein Meer: Jeder hat so viel damit zu thun das Schiff seines Lebens durch Klippen und Stürme zu bringen, daß er weder Zeit noch Ruhe noch Theilnahme genug übrig hat, um sie den fremden Lebensschiffen zuzuwenden; höchstens aus Neugier sieht er einmal flüchtig hin. Kommen aber Trümmer daher geschwommen – starrt aber von einer Sandbank ein gestrandetes Wrack schwarz und formlos empor – tauchen aber aus den Wellen Gegenstände auf, die ein untergegangenes Dasein verrathen: dann fährt man auf, das Interesse erwacht, man mögte wissen welch Schiff hier von den Wogen verschlungen ward, ob es dieses war, ob es jenes war, man sieht beklommen den Trümmern nach, man denkt: so wird auch unser Ende sein![] – Dann wirbeln die Wellen sie fort – und die Gedanken wenden sich wieder den eignen Wegen zu. Es kann den Menschen trösten oder ihn trostlos machen, daß er lebend oder todt keine bleibende Furche durch das Meer des Lebens zieht.

Diese Blätter sind Ueberbleibsel eines Daseins welches vor der Zeit Schiffbruch litt; – vor der Zeit, was die Jahre betrift, die uns ja bis »siebzig oder achtzig« zugemessen – für die also Zustände denkbar sind, welche ihnen Genüsse und Befriedigung verschaffen. Allein viel zu spät für die schauerliche Erschöpfung in der diese Frau ihre Tage hinschleppte. Nichts auf der Welt machte ihr Freude, nichts entlockte ihr ein Lächeln oder eine Thräne, nichts erwärmte ihr Herz oder beflügelte ihren Geist, nichts ruhte sie aus, nichts regte sie an. Sie stand neben ihrem unterminirten und ausgeödeten Leben wie der Genius des Todes jezt neben ihrem Grabe stehen mag: unüberwindlich gleichgültig. Gleichgültig – das war sie! aber nicht blos für Andere, sondern mehr noch für sich selbst. Es ist ja Alles gleich vorüber! – sprach sie mit ihrer tonlosen Stimme und ihrem Marmorantlitz, und Körperleiden die Andere wahnwitzig machen würden, erpreßten ihr keine Klage. Als sie im Sarge lag fiel mir dieser gleichgültige Ausdruck [] ganz unsäglich schmerzlich auf. Die Züge der Todten pflegen fast immer mit Frieden und Milde gleichsam überstralt zu werden, so daß unschöne schön – entstellte und zerwühlte versöhnt erscheinen. Ein gewisser majestätischer Ausdruck von besiegten Leiden macht das Todtenantlitz zugleich rührend und glorreich. Sie hatte ihn nicht, denn sie hatte keine Leiden besiegt, die Leiden hatten sich nur von ihr zurückgezogen; und wo kein Sieg ist keine Verklärung.

Als ich die Blätter las in welche sie ihr Leben verzeichnet hat und welche ich auf ihren Wunsch nach ihrem Tode empfing, war es mir als sähe ich einen einsamen Vogel auf einer kahlen Felsenklippe im Meer sitzen, der eine melancholische monotone Weise singt, die er der Brandung rings umher abgelauscht und der Unermeßlichkeit die ihn umgiebt angepaßt hat. Die Eindrücke ihrer ersten Jugend, die träumerischen, sehnsuchtsvollen, unbestimmten, großartigen Bilder, welche am Meeresufer, in Buchen- und Eichenwäldern, in Herbstnebeln an ihr vorüber gezogen sind, haben ihrer Seele die entsprechende Färbung aufgedrückt, und ihre Phantasie über alles Maß hinaus entwickelt. Sie hatte sich so gewöhnt in ihren Träumen zu leben, daß die Wirklichkeit ihr überall nüchtern und blaß erschien; [] und weil die Phantasie ihr den Genuß des Unerreichbaren bot, so ließ sie das Erreichbare matt und traurig fallen, hielt es nur für Täuschung des Herzens oder Irrthum des Verstandes, und suchte und suchte – erst mit Sehnsucht, dann mit Verzweiflung, dann mit Entmuthigung – das unbekannte Gut, das sie überall wahrzunehmen wähnte und nirgends fand.

Nun liegt sie still und kühl gebettet in ihrer Heimat auf einem Hügel dessen runde Kuppe einen Busch von Eichen trägt. Unausgesetzt tönt das Brausen der See herüber, eben so monoton in ihrer Bewegung wie die stille grüne Landschaft rings umher monoton in ihrer Ruhe sich ausbreitet. Inmitten der Eichengruppe deckt ein Würfel von Granit ihr Grab, und auf demselben stehen die drei Worte:

»Sibylla wach auf!«

[] Langsam und mit großen Qualen zieht sich das Leben von mir zurück und ich weiß es. Wäre irgend eine Spur von Trauer, Schmerz oder Bedauern in mir, so wäre das keine günstige Stimmung um mein Leben wahr zu beschreiben. Der Abschiedsschmerz könnte auf mich wirken wie die Glut der untergehenden Sonne auf das Auge: möge die Erde noch so fahl und grau sein, das Abendroth verklärt sie! und so könnte auch mir Manches sich schöner darstellen als es war. Oder wären jubelnde Hofnungen in mir, sänge meine Seele im Glauben Psalmen, in der Liebe Hymnen: so würde ich den Tod mit feuriger Sehnsucht begrüßen und auch dann die Erde und meine Vergangenheit wie einen Tummelplatz kindlicher Spiele betrachten wohin sich der Blick mit Wehmuth wendet. Aber so ist es nicht mit mir! ich lebe ohne Interesse für mich, daher habe ich auch keine Theilnahme für meinen Tod. Alles hört auf: Alles! [] Kein Gedanke ist wechsellos, keine Empfindung dauernd, kein Wille anhaltend, kein Gefühl unvergänglich; der Wunsch stirbt in der Erfüllung, das Verlangen im Genuß, der Schmerz an der Erschöpfung, die Freude am Ueberdruß, das Glück an der Langenweile – kurz Alles an unsrer Unvollkommenheit. Die Summe unsrer Gedanken und Gefühle, und der aus ihnen sich entwickelnden Bestrebungen und Handlungen, bildet unser Leben: da dessen sämtliche Bestandtheile vergänglich sind, wohin denn sollen wir das Unvergängliche verlegen? in welchen verborgenen Winkel unsers Seins könnte es sich eingenistet haben? und der Tod, der jene Bestandtheile und ihre Wechselwirkung auflöst, sollte im Zersetzen das Unvergängliche gestalten oder herausbilden? – Man hoft es. – Ich habe mir die Hofnung abgewöhnt! – Welche Enttäuschungen und Täuschungen mich dahin geführt haben will ich aufzeichnen, und da ich gleichgültig gegen mich selbst bin, so kann ich höchst gelassen meine Irrthümer, Fehler und Verrechnungen betrachten. Ob sie für Andere eine warnende Lehre sein können, weiß ich nicht; aber erschrecken kann wol mein Bekenntniß: ich hatte Alles was man Glück im edelsten Sinn nennt, und war dennoch nicht einen einzigen Tag meines Lebens ganz glücklich, [] weil ich ein absolutes Glück, nämlich das Bewußtsein von dessen Unwandelbarkeit und Unsterblichkeit begehrte; das relative genügte mir nicht. Daher war ich außer dem Gleichgewicht mit den Gesetzen, welche das menschliche Leben bedingen und beherrschen. Ich grämte mich keine Göttin zu sein, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Ewigkeit in ihrem Busen trägt – und darüber versäumte ich tüchtig als Mensch zu werden. In unsrer Zeit liegt etwas Bethörendes, wie in aller Schrankenlosigkeit. An den Grundgesetzen rütteln heißt nicht sie überflügelt haben; nach den Grundursachen forschen heißt nicht sie ergründet haben; dennoch traut Derjenige sich Beides zu der es versucht hat, und reichen die Flügel alsdann doch nicht zum Schwung aus – und ist der Grund alsdann doch weiter nichts als Triebsand hier und ein finstrer Schacht dort: so unterwirft er sich nicht demüthig der Erkenntniß, sondern er trotzt oder verzagt. Mir ist eins und das andere widerfahren. Zuweilen sag' ich mir ich sei dazu prädestinirt gewesen; Organisation, Erziehung, Schicksale wirkten auf einen Punkt zusammen, und das war nicht der aus welchem sich ein segenvolles friedliches Dasein entwickelt.

Im grünen Holstein am Strande der Ostsee bin [] ich geboren. Eine reiche Erbtochter war meine Mutter; mein Vater ein armer fränkischer Edelmann, der ihr zu Liebe die heitern rebenumlaubten Hügel am Main mit dem Sitz auf ihrem nordischen Stammschloß vertauschte. Das Rauschen des Sturmes in den knorrigen Aesten der alten Eichen, das Krächzen der Raben die auf ihnen Schutz suchten, das Brausen der Brandung die bis in den Garten schlug – waren meine Wiegenlieder. Am Tage Aller Seelen bin ich geboren. Ich war ein Spätling in der Familie; eine Schwester war zehn, ein Bruder sieben Jahr älter als ich, und ich schloß die Reihe der Kinder. Ich entsinne mich keines Eindrucks noch Ereignisses aus meinen ersten Lebensjahren. Später, wo mir die Erinnerung auftaucht, beginnt sie mit unbestimmten Leiden. Ich war von krankhafter Reizbarkeit: ein Wort, ein Blick, ein Lächeln genügte um mir trostlose Thränen zu entlocken. Bei einem drei- oder vierjährigen Kinde darf unmöglich von dem Herzen die Rede sein! so waren denn also die Nerven von so bebender Erregbarkeit, daß sie durch Nüancen des Tons und Ausdrucks erschüttert wurden, welche ich jezt nicht mehr zu bezeichnen vermag. Um diese Reizbarkeit zu schonen ging man nachsichtsvoller mit mir um als ich es verdienen mogte. Ich hatte [] meine Eltern lieb, meine Schwester war mir ziemlich gleichgültig, an meinem Bruder hing ich mit grenzenloser Zärtlichkeit: das erste Gefühl dessen ich mir bewußt geworden bin, gehörte ihm. Wir waren unzertrennlich so weit seine Lectionen und der Unterschied des Alters und Geschlechts es gestatteten. In einem leichten Wägelchen mit zwei kleinen Pferden von der Insel Oeland fuhr er mich spazieren; auf einem dieser Pferde lehrte er mich reiten indem er nebenher ging, und als ich etwas sicherer und ungefähr acht Jahr alt war, durfte ich auf meinem kleinen Oeländer mit ihm wirklich spazieren reiten. Zuweilen begleitete uns der Vater; aber das war uns nicht sehr angenehm, denn in seiner Gegenwart extemporirten wir nicht so unverlegen als unter vier Augen die Komödien, welche wir beständig mit einander spielten. Der Unterricht den mein Bruder genoß bot uns Stoff dazu. Bald war er Hector und ich Andromache; bald war er ein Ritter der im Turnier von einer Königin – oder ein Troubadour der von seiner Dame den Preis erhält; und hatte ich eben das holde Fräulein dargestellt, so verwandelte ich mich schleunigst in die Aehrenleserin Ruth, welche durch die Hand des Boas beglückt wird, oder in Arria, die sich mit einem majestätischen »Non dolet« den [] Dolch ins Herz stößt. Tancred und Clorinde war unser Lieblingsspiel zu Pferde; der Moment meines Todes rührte mich bis in die innerste Seele! aber nichts, nichts übertraf unser beider Entzücken, wenn mein Bruder den geblendeten Belisar und ich den Knaben seinen Führer darstellte; dann irrten wir Hand in Hand durch die verwachsenen waldigen Partien des Parks, oder auf den schmalen Fußsteigen zwischen den Feldern, oder im hohen Wiesengras umher, langten auf irgend einem jener baumbewachsenen Hügel an, die man dort zu Lande Hünengräber nennt, setzten uns nieder, – und nun mußte ich dem blinden Belisar die Landschaft beschreiben, welche sich vor uns ausbreitete; aber nicht die holsteinische Landschaft die ich wirklich sah, sondern Byzanz mit seiner Propontis, oder Rom mit seiner Campagna, oder Neapel mit seinem Golf – wozu mein Bruder mir durch Bilder und Erzählungen zuvor das Material geliefert hatte. Bisweilen war ich zerstreut und unaufmerksam; dann fiel mein Belisar aus der Rolle und half mir zurecht um nicht Capri und Ischia mit den Prinzeninseln zu verwechseln; hatte ich ihn aber durch eine treue Schilderung seiner innern Bilder ergötzt; so versetzten wir uns aus dem Traumleben der Gegenwart in das der Zukunft, und mein Bruder schilderte [] mir wiederum die Reisen die er zu machen beabsichtige, wenn er seine Studien vollendet habe.

»Aber Du mußt mich mitnehmen, Heinrich!« rief ich wehmüthig wenn er so recht im Zuge war mir Gott weiß welche Herrlichkeiten auszumalen.

»Das versteht sich, Sibylle! entgegnete er zuversichtlich; wenn Du fünfzehn Jahr alt bist ziehen wir in die weite Welt.«

Und in meinem Sinn schnürte ich schon mein Bündelchen und sah mich um nach einem Wanderstab.

Der Winter war unsre seligste Freudenzeit! dann froren die Canäle zu, welche in allen Richtungen den weitläuftigen Park durchschnitten, und wir liefen darauf Schlittschuh – eine Uebung die mein Bruder mir gleichfalls beigebracht hatte. Abends, wenn die weiße Erde, der blaue Himmel, die bereiften Bäume und das spiegelblanke Eis vom Mond und vom Frost wie versilbert flimmerten – dann hinaus! Heinrich rechts ich links auf den Canälen, ein Punkt bestimmt wo wir zusammentreffen wollten und dann fort wie der Vogel, wie der Wind! Ach, das war ein Jubel! Oder wir verfolgten, jagten und haschten uns, und fuhren dann Hand in Hand weiter, oder Arabesken und unsre Namenszüge in [] das Eis hinein. Oder wir führten dann Elfentänze aus – wie wir unsere Evolutionen nannten, denn ohne phantastische Spiele in unsren Vergnügungen hätten uns diese nur die halbe Freude gewährt.

Die Eltern, ein alter Hofmeister, ein junger Musiklehrer, eine Engländerin halb Gouvernante halb Gesellschafterin, und wir drei Kinder, endlich eine Menge von Dienstboten wie man sie auf dem Lande in reichen Häusern oft recht überflüßig zu halten pflegt – das war unsre Hausgenossenschaft. Besuch kam selten, und noch seltener wurde eine Gesellschaft zum Mittagsessen gebeten. Beides war ein Ereigniß in unserm stillen Leben, aber für mich ein höchst widerwärtiges. Bei den Diners wurde ich von der Tafel ausgeschlossen und einsam in die Kinderstube verbannt; und den fremden Besuchen gegenüber verging ich fast vor Angst und Schüchternheit. Hätte ein Tancred oder ein Hector, eine Fee oder eine Prinzessin mich angeredet, so würde ich schon geantwortet haben, allein mit diesen Menschen, die mir Alle so bekannt aussahen und so fremd waren, fühlte ich mich grenzenlos verlegen. Zeit und Verhältnisse waren auch nicht von der Art um eine fröhliche Geselligkeit zu begünstigen: die Franzosenherrschaft lastete auf Deutschland wie [] die Schwüle eines Gewitters. Jeder fühlte so könne und dürfe es nicht bleiben, während er sich doch bang nach der Explosion umschaute, welche einem besseren Zustand vorhergehen mußte. Ich war zu jung um die traurigen und finstern Gespräche der Erwachsenen über diesen Punkt zu verstehen; aber meine Schwester mag wol eine sehr trübe und freudlose Jugend gehabt haben.

Plötzlich wurde aber Alles anders! es hieß nun gebe es Krieg gegen die Franzosen. Ein Neffe meiner Mutter, ein Hannoveraner, der grade bei uns zum Besuch war, verlobte sich im Gefühl künftiger Siege mit meiner Schwester, und eilte die Rosen der Liebe mit dem Lorbeer des Helden zu durchflechten. Alles war in Begeisterung, Alles jauchzte der Befreiung entgegen, Alles war bereit Blut und Leben dran zu setzen. Wir feierten die gewonnenen Schlachten, bewunderten die verbündeten Monarchen, priesen Landwehr, freiwillige Jäger, hanseatische Legion, Kosaken; vergingen in Angst und Mitleid bei der Belagerung Hamburgs, und jauchzten bei dem Einzug in Paris. Es war solcher Schwung und solche Bewegung in das wirkliche Leben gekommen, daß mein Bruder und ich unser Phantasieleben darüber vergaßen, und unsre Helden des Alterthums und der Romantik in [] den Schatten stellten neben all den glorreichen Namen von lebenden Fürsten und Feldherren.

Paul, der Verlobte meiner Schwester schrieb aus Paris wie aus einem Wunderlande, einer Feenwelt. Im Lauf des Sommers kam er zurück und brachte mir Bonbons mit von so unbegreiflicher Schönheit, daß ich sie wie Kunstwerke anstaunte ohne den Muth zu haben auch nur einen einzigen zu verzehren. Ebenso reizend waren die Geschenke, welche er meiner Schwester machte, und seine Erzählungen übertrafen nun gar Alles was ich je von Herrlichkeiten geträumt hatte. Nur das Wort zu hören »Palais royal« machte mir einen ganz zauberischen Eindruck. Die Verlobten sprachen von einer Hochzeitreise nach Paris; zum ersten Mal in meinem Leben beneidete ich meine Schwester! – An ihren Bräutigam schloß ich mich mit einer Art von Leidenschaft, weil er durch seine Erzählungen meiner Phantasie Nahrung bot. Ich hielt mich zu ihm so viel ich konnte, und er war immer sehr freundlich gegen mich – was der armen Amalie nicht sehr zu gefallen schien, denn sie schickte mich zuweilen mißmuthig fort. Auch Heinrich war nicht so gut gelaunt wie sonst. Der Knabe wuchs in den Jüngling hinein, alle Uebergangsepochen müssen sich durch Stürme ringen. Aber das wußte ich [] damals nicht. Ich konnte nicht begreifen weshalb Heinrich gar nicht so lustig und fröhlich wie sonst – und nicht so bereit mit mir zu spielen war. Als ich ihn einmal mit Bitten plagte, rief er verdrießlich: »Ach Sibylle, Du bist mir ganz unangenehm geworden! ich kann's nicht leiden, daß sich die Mädchen immer verlieben und heirathen wollen. Amalie – nun ja, die ist schon neunzehn Jahr alt, da läßt man's hingehen! aber Du! solch ein winziges Ding und schon verliebt .... und noch dazu in den Bräutigam Deiner Schwester! O schäme Dich! das hätte ich nie von Dir gedacht.«

Ich brach in ein Jammergeschrei aus. Ich sei nicht verliebt! ich würde mich nie verlieben und nie heirathen! – Mein Bruder beschwichtigte mich, aber zum ersten Mal hatte er mich tief verletzt.

Der Wiener Congreß und die Vorbereitungen zu Amaliens Hochzeit wurden auf gleiche Weise unterbrochen – nämlich durch Napoleons Rückkehr nach Frankreich. Wieder brach der Krieg aus; wieder trat der Verlobte in die Reihen, und diesmal erklärte Heinrich er wolle und müsse auch gegen die Franzosen kämpfen; er sei im siebzehnten Jahr, groß und stark, Jüngere als er hätten den vorjährigen Feldzug mitgemacht. Es sei eine Schmach in solchem Augenblick bequem und sicher im Vaterhaus [] zu sitzen. Verweigere man ihm die Erlaubniß, so würde er heimlich fortgehen. Man mußte sie ihm gewähren und er ging mit Amaliens Bräutigam fort! Das waren entsetzliche Tage! meine Mutter und Schwester in Verzweiflung, Klagen und Thränen; mein Vater in banger stummer Sorge, alle Hausgenossen beängstigt und gedrückt; aber ich in einem Zustand von Bewilderung der mich fast aufrieb. Ich konnte nicht essen, nicht lernen, nicht spielen, nicht schlafen. Ich sah mich wachend und träumend umringt von Schlachtgetümmel, und vor mir Heinrich verwundet, blutig, sterbend. Meine Nerven geriethen in solchen Aufruhr, daß ich laut schrie wenn eine Thür schnell geöfnet wurde oder wenn ein Diener plötzlich eintrat. Doch beachtete man nicht sehr meinen krankhaften Zustand, der auch nicht lange währte, indem die Schlacht von Waterloo den Krieg beendete, und baldige Rückkehr der jungen Krieger verhieß.

Gott, welche Sehnsuchtsqual erduldete ich bis sie nun endlich da waren! und als sie kamen verfiel ich in einen solchen Taumel von Jubel und Entzücken, daß ich wie besinnungslos in Heinrichs Armen hing. Er war noch größer geworden, aber so dünn und schmal aufgeschossen, so ganz ohne Haltung und Kraft, daß seine Gestalt einen beklemmenden [] Eindruck machte. Indessen – er war da! gesund, freudig, unverwundet! man wähnte alle Gefahren überstanden zu haben, und abermals wurde Amaliens Hochzeitsfest bestimmt.

Da klagte Heinrich eines Morgens über Kopfschmerzen, über Schwere und Schwäche in allen Gliedern; – er bekam das Nervenfieber, und am einundzwanzigsten Tage war er todt. Mein Vater und Amalie erkrankten Beide an seinem Sterbetag und die gräßliche Krankheit riß sie binnen wenig Wochen ins Grab. Am Tag Aller Seelen wurden sie bestattet, und ich wurde zehn Jahr alt! Meine arme Mutter, im seelischen und physischen Lebensorganismus an der Wurzel erschüttert, verfiel in den allerkläglichsten Zustand. Die Nachtwachen, die Todesangst um das Geliebteste während sieben langer Wochen, die herzzernagende Sorge, der herzzerspaltende Schmerz am Sarge des Gatten in voller Kraft – und der Kinder in voller Blüte des Lebens; die Verzweiflung des Verlobten und meine wilde unsinnige Traurigkeit: das Alles überwältigte sie. Eine gänzliche Lähmung der Nerven, die zu Zeiten mit den heftigsten Nervenkrämpfen abwechselte, machte ihre fernere Existenz zu einer langen, trostlosen Qual. Sie lag auf dem Sopha oder im Bett, mußte gehoben, getragen, angekleidet [] und gespeist werden, war hülflos wie ein kleines Kind, behielt zwar immer ihre geistigen Fähigkeiten, konnte sich aber in keiner Weise beschäftigen und manchmal aus Schwäche nicht drei Worte im Tage sprechen. So vegetirte sie in gänzlicher Unfähigkeit sich mit mir zu beschäftigen; – aber ich begann sie leidenschaftlich zu lieben. Mein Vormund schlug vor mich in eine berühmte Pension nach Altona zu bringen; Amaliens Verlobter: mich im Hause seines Vaters in Hannover erziehen zu lassen, der ein Stiefbruder meiner armen Mutter war; aber ich bat auf meinen Knien und mit solchen fanatischen Ausbrüchen von Schmerz mich nicht von ihr zu trennen, daß Niemand den Muth hatte darauf zu bestehen. Ich blieb bei ihr, d.h. ich blieb ungefähr allein auf der Welt. Heinrichs Hofmeister und die gute Miß Johnson besorgten meine Erziehung. Der Musiklehrer, Herr Sedlaczech, pflegte mein geringes, musikalisches Talent. Mit diesen drei guten Menschen lebte ich.

Bei zehn Jahren war ich also, was den Schmerz betrift, fast durch alle Stadien des Gefühls gegangen: der Vater und die Geschwister todt, die Mutter abgestorben, und ehe ich den Bruder und in ihm den Gegenstand einer tiefen innigen und ausschließlichen Liebe verlor, hatte ich die fürchterliche Trennung [] aushalten müssen, die mir um so grauenhafter erschien als ich sie für die Grundursach seines Todes hielt. Die Vergänglichkeit des Lebens und des Glücks war mir in der grellsten Gestalt entgegen getreten; aber die Unvergänglichkeit der Gefühle schien mir ein Naturgesetz. So drücke ich mich jezt aus um meine damalige Empfindung wiederzugeben, über welche ich, wie sich von selbst versteht, gar nicht reflectirte, die sich aber in dem Lebensplan offenbarte, den ich mir für meine Zukunft machte: ich wußte daß ich die alleinige Erbin eines großen Vermögens und Herrin der schönen Besitzung war auf der ich lebte. Ich woll te nie unser Schloß Engelau verlassen, mich nie von meiner kranken Mutter und von den Gräbern meiner Dahingeschiedenen trennen, ihr Andenken wollte ich durch ein frommes wolthätiges Leben ehren, gleichsam in ihrem Namen Gutes thun, mich nicht verheirathen, und jung sterben nachdem ich meiner Mutter die Augen zugedrückt. Ich nahm entschlossen den Schmerz zu meinem unwandelbaren Gefährten an. Das Alles ist entsetzlich unreif und dümmlich, ich weiß es wol! – aber es ist doch seltsam daß das unreife Kind durch den Instinkt die Unwandelbarkeit der Gefühle als die Würde des Daseins begreift, und daß die eine wie die andre dem reifen [] Menschen verloren geht. Erfahrungen, o Erfahrungen! sie sind die Entzauberer und wenn man mir spricht von der Weisheit die sie geben, so schüttele ich trübe den Kopf und entgegne: Ja! aber um den Preis der Seligkeit! denn Seligkeit ist Ruhe in einer ewigen Gewißheit – gleichviel in welcher, aber in einer, heiße sie Liebe, heiße sie Andacht, heiße sie Unsterblichkeit, heiße sie Fortschritt; – knüpfe sie sich an die Erde oder den Himmel, an Gott oder die Menschen, an heilige Offenbarung oder ingeborne Ueberzeugung; – gebe sie uns Kraft oder Geduld, Energie oder Resignation, Muth oder Frieden; – o gleichviel! gleichviel! nur ruhen in einer ewigen Gewißheit .... nur glauben! denn allein der Glaube giebt Ruhe und diese Ruhe ist Seligkeit.

Also bei zehn Jahren glaubte ich an mich und richtete danach mein Leben ein. Engelau umfing und beschloß für mich die Welt; ich wollte Alles lernen und wissen, was sich auf Gegenstände und Menschen bezog die mich umgaben. Ich war von einer fürchterlichen Wißbegier um auf den Grund der Dinge zu kommen. Durch praktische Anschauung und wo möglich durch hülfreiche Thätigkeit machte ich mich mit allen Vorkommenheiten des Landlebens vertraut. Ich verfolgte das Weizenkorn [] von dem Punkt wo es in die Furche gestreut, bis zu dem wo es zu einem Backwerk verbraucht wird. Auf dem Felde und der Küche wußte ich gleich gut Bescheid. Mit dem Gärtner trieb ich eifrigst die Bestellung des Gartens, Blumen- Gemüse-Obstzucht, neue Anlagen, Baumpflanzungen. Ich kannte die Angelegenheiten des Hühnerhofes und der Milchwirthschaft – aber nicht aus oberflächlicher kindischer Neugier, sondern wirklich mit dem Trieb ihr kleines Räderwerk – das mir damals unsäglich wichtig schien – gründlich zu verstehen. Schreiben und rechnen zu lernen war mir ein Greuel, und nichts bewog mich dazu als die Aussicht dereinst selbst die Gutsrechnung zu führen. Der Hofmeister ließ mich gewähren und plagte mich nicht sehr mit Schulstunden.

»Sie haben Champagner im Kopf, kleine Sibylle, sagte er mir einmal, Sie müssen nur Schwarzbrot dazu essen damit Sie im Gleichgewicht und bei Gesundheit bleiben.«

Und dann ging er mit mir durch die Felder und in den Wald und ans Meer, und erzählte mir die Naturgeschichte nicht aus todten Büchern sondern aus frischer freier Anschauung, so daß sich jede Erklärung mit einem Bilde verbunden in mein Gedächtniß prägte. Das nannte er »Schwarzbrot«, [] der liebe freundliche Mann, weil ich es ohne dürre Ceremonien von Schulzwang genoß! Ach, für mich wäre Umgang mit Kindern, mit Altersgenossen und Spielgefährten, das wahre gesunde »Schwarzbrot« gewesen! – Die gewöhnlichen Kinderspiele kannte ich nicht; mit Puppen langweilte ich mich. Ich selbst war eigentlich Heinrichs Puppe gewesen und hatte mit ihm die Spiele getrieben, die ihm zusagten und die weit über mein Alter hinaus gingen. So konnte ich mich auch unmöglich mit einer Puppenküche befassen, nachdem ich in unserer Küche schon ganz ernsthaft Hand angelegt und manchen Pfannkuchen verbrannt hatte. Mein Onkel schickte mir eine solche zum Weihnachtsgeschenk. Alles Geschirr darin war von Meissner Porzellan und auf Spiritus konnte darin gekocht werden. Ich betrachtete sie mit Interesse – ungefähr so wie ich später einmal das Coliseum in Kork gearbeitet betrachtete – und stellte sie als eine recht merkwürdige Nachahmung der Wirklichkeit in meinem Zimmer auf. Ach! das Kind muß zwischen Seinesgleichen in der Kinderstube aufwachsen; da ist der Erdboden und der Horizont wie sie für die schwache Pflanze taugen. Meine Kinderstube aber war Engelau und zwischen alternden Menschen wuchs ich einsam auf! Von der Wiege an bin ich über ein [] Paar Stufen der Lebensentwickelung hinweggerissen, und so kommt es daß ich zwar ein Kindesalter, doch keine eigentliche Kindheit gehabt habe. Bei zehn Jahren war mir zu Muth als müsse ich das Leben meiner Dahingeschiedenen fortsetzen und das meiner Mutter ergänzen. Es vergingen Tage in denen ich sie nur flüchtig sah, nur ihre Hand küßte, kein Wort von ihren Lippen vernahm. Sie wechselten mit besseren ab, wo ich neben ihrem Lager sitzen und ihr von meinem Thun und Treiben ein halbes Stündchen lang erzählen durfte, und als Zeichen ihrer Zufriedenheit ein Lob, einen Kuß, eine Ermunterung von ihr empfing. Das machte mich sehr glücklich, allein es genügte mir nicht! ich ersehnte einen innigeren Verkehr mit geliebten Wesen; mein Bruder war mir von allen der liebste gewesen – mit seinem Geist oder seinem Schatten trat ich in eine Art von Gemeinschaft, sprach mit ihm, fragte ihn, gab mir selbst in seinem Namen Antwort, und fühlte mich glücklich in diesem Gemisch von Spiel der Imagination und Bedürfniß des Herzens. Im Winter, wenn ich in Mondscheinabenden auf dem Eise Schlittschuh lief – im Frühling, wenn ich bei Sonnenuntergang tief hinten im Park auf einem Hünengrabe im Grase lag – oder im Herbst, wenn die Nebel aus der See herauf[] kamen, und so geheimnißvoll auf den Wiesen sich lagerten und die Bäume und Gesträuche umspannen und verschleierten: immer glaubte ich Heinrichs Schatten an mir vorübergleiten zu fühlen. Ob die Menschen die mich umgaben das Verständniß meiner kleinen Seele hatten? – ich glaube kaum. Sie liebten mich sehr, sie beschäftigten sich viel und gern mit mir, aber sie wußten nicht in meine eigentliche Innerlichkeit zu dringen, nicht mir das Vertrauen zu entlocken, das ich für den todten Bruder hegte. Das hatte für mich den Nachtheil, daß ich, obgleich umringt von Freunden und von Liebe, mit Schattengebilden einen innigeren Umgang pflog als mit Menschen, und mich gewöhnte meine glücklichsten Stunden in einsamen Träumereien zu suchen und zu finden. Die Menschen liebte ich eigentlich nur insofern als ich ihnen wol thun konnte; die Armen liebte ich, die Kranken, denen ich eine kleine Unterstützung oder Labung und Arzenei bringen durfte. Mit unserm Hausarzt, der zweimal wöchentlich meine Mutter besuchte, ging ich zu allen Kranken und sorgte nach seiner Vorschrift für sie. Die armen Kinder liebte ich, denen ich die Weihnachtsbescheerung unten im Billardsaal um drei große funkelnde Tannenbäume aufschmückte. Das war Alles nicht übel – aber so einseitig! ich gab immer und [] empfing immer Dank – das reinste was der Mensch empfangen kann! Allein ich selbst kannte nicht die Dankbarkeit, dies weiche Gefühl welches das Kind in so rührender Abhängigkeit von seinen Eltern zeigt. Wie ein gereiftes, ichloses Wesen stand die arme Kleine zwischen ihren Umgebungen. Daher war ich zwar recht glücklich, nur heiter und fröhlich war ich nicht. Der Respect vor Eltern und Vorgesetzten, der sich zuweilen bei Kindern bis zur Furcht und Angst steigert, zuweilen eine Qual aber stets eine Wolthat für sie ist, weil sie dadurch im Zügel der Ehrfurcht und des Gehorsams gehalten werden – fehlte mir. Ich beherrschte das Haus und gehorchen hatte ich nicht gelernt. Miß Johnson liebte mich abgöttisch; mit blinder Zärtlichkeit hingen meine beiden Lehrer an mir; für die Untergebenen war ich die künftige Gebieterin, für meinen Vormund ein ungeheuer kluges wunderhübsches Kind; wer hätte mir imponiren sollen? Dergleichen Lücken welche die Verhältnisse – und Mißgriffe welche die Erziehungen mit sich bringen, rächen sich später immer. Das soll nicht heißen als wolle ich den Gang meiner Entwickelung ihnen zuschreiben und mich dadurch entschuldigen! O nein! ein andrer Character als der meine hätte sich in dieser Freiheit zu einer wolthätigen Selbständigkeit [] entwickeln können; – noch ein andrer wäre in Trotz, Eigensinn und Härte verfallen. Das Licht lockt die Farbe hervor, die in der Blume aus ihren eigenthümlichen Bestandtheilen quillt; dieselbe Sonne färbt die Rose roth und das Veilchen blau; so wirkt auch die Erziehung: sie lockt hervor. Ist sie einseitig, so wirkt sie aber nicht vollständig genug auf den vielseitigen Menschen, dessen Wesen nicht in Rosenroth und Veilchenblau, sondern in alle Farben des Prismas getaucht ist.

Alljährlich besuchte uns mein Onkel, und blieb sechs bis acht Wochen in Engelau. Er plauderte und scherzte mit mir, neckte mich nach der Gewohnheit alter Herren kleinen Mädchen gegenüber, lobte mich über alle Gebühr um meiner armen Mutter und der guten Miß Johnson Freude zu machen, und war mir ziemlich gleichgültig. Er wäre es wol ganz gewesen – aber er war Pauls Vater und interessirte mich als solcher. Denn Paul gehörte im Grunde mit zu der Gemeinschaft meiner Abgeschiedenen. Er war noch drei Monat nach Amaliens Tod bei uns geblieben, hatte meine Mutter im Beginn ihrer traurigen Krankheit mit wahrer Sohnesliebe gepflegt, hatte mit mir tausend Thränen an unsern theuern Gräbern geweint, und war endlich auf den Wunsch seines Vaters in die diplomatische [] Laufbahn getreten und nach England geschickt worden. Kam der Onkel, so war immer meine erste Frage nach Paul, und mein letztes Wort ein Gruß an ihn.

Nach drittehalb Jahren kam er zum ersten Mal nach Deutschland und besuchte uns mit seinem Vater in Engelau. Ich wußte nichts von seiner Ankunft. Ich stand in der Hausthür um den Onkel zu empfangen, als ich das Posthorn hörte das alljährlich einmal und nur für ihn im Schloßhof von Engelau ertönte. Ich hatte mich nach besten Kräften geschmückt, hatte mir einen prächtigen Rosenkranz gewunden und einen rosenfarbenen Gürtel über mein weißes Kleidchen gebunden. Mein kleiner zahmer Kanarienvogel saß mir auf der Schulter halb versteckt von meinen dicken Locken an denen er zuweilen ungeduldig pickte. Als ich in der ofnen Kalesche Paul neben seinem Vater erkannte, stieß ich ein helles Freudejauchzen aus und ich erinnere mich daß ich heimlich dachte: Wenn der Postillon doch so vorführe daß Paul zuerst ausstiege! – – – Richtig! so fuhr der Postillon vor – – und in Thränen gebadet warf ich mich in seine Arme, und konnte mich nicht fassen vor Wehmuth und Freude. Der Onkel hatte mich nie so gesehen, er wollte mich beruhigen, beschwichtigen; aber ich [] rief heftig: »Laß mich doch weinen, guter Onkel! siehst Du denn nicht daß dies der glücklichste Tag meines Lebens ist?«

»Sehr schmeichelhaft für Dich, Paul!« sagte der Onkel neckend und streichelte mir die Wangen, indem er hinzufügte: »Wenn man von den glücklichsten Tagen seines Lebens spricht, Schätzchen, so muß man hübsch in die Höhe wachsen damit man die Kinderschuhe ausziehen kann; – denn das paßt nicht zusammen.«

Er hatte wol Recht! aber ich fand es höchst grausam keine glückselige Tage haben zu sollen, weil ich klein sei. Ich sah Paul mit thränenschweren Blicken an, und seine herzliche Freundlichkeit tröstete mich. Er ging mit mir um wie mit einem Kinde, rücksichtslos vertraulich; aber daß er mich auf der einen Seite wie Seinesgleichen behandelte, mit mir ausritt, spazieren ging, plauderte, erzählte; und auf der andern mir die kleinen Schmeichelworte und Liebkosungen sagte mit denen man gegen Kinder so unbedachtsam freigebig ist und die man gegen ein junges Mädchen nicht mehr zu äußern wagt: – dies warf den zündenden Funken in meine bis dahin schlummernde Eitelkeit. Ich war im dreizehnten Jahr und er achtundzwanzig; das war ein großer Unterschied, dennoch stand er[] meinem Alter näher als irgend Jemand meiner Umgebung oder Bekanntschaft – Sedlaczech ausgenommen, der mir aber als Lehrer imponirte: ich fühlte mich zugleich geehrt und geschmeichelt, und that was in meinen kleinen Kräften stand um ihm zu gefallen. Er war grenzenlos eingenommen von England! englische Meubles, englische Parks, englische Küche, englische Dichter, englische Lebensweise – Alles war eben englisch, das hieß unvergleichlich, und ich sann heimlich darauf Engelau in eins jener bezaubernden ».... park« oder ».... lodge« zu verwandeln die er so lieblich beschrieb. Er hatte den eben erschienenen »Waverley« mitgebracht; er las uns Scenen daraus vor; Miß Johnson war entzückt – mir ging eine neue Welt auf: die der Bücher. Bis dahin hatte ich einen Abscheu vor Büchern gehabt, welk und todt waren sie mir vorgekommen; nur Erzählungen, nur das lebendige Wort machten Eindruck auf mich, prägten sich in mein Gedächtniß, lebten in mir fort; so einst Heinrichs Erzählungen, so später der Unterricht meines Lehrers. Jetzt ergriff mich ein Buch – war es eben der Zauber des Waverley, war es daß Paul ihn vorlas – Gott weiß es! aber ich war hingerissen, verzaubert. Wo ich ging und stand, wachend und träumend schwebten mir Flora[] und Fergus Mac-Ivor vor. Ich bat Paul mir dies Buch zu schenken; Miß Johnson hatte nichts gegen diese Lectüre einzuwenden: ich erhielt es. Ich bat um noch einige dieser wundervollen englischen Bücher. Paul, den meine Begeisterung sehr ergötzte, hatte die größte Lust mir »Childe Harold« zu geben, das er gleichfalls mitgebracht; allein Miß Johnson schrie Zeter über den Gedanken ein unerfahrnes Kind gleichsam auf dies Weltmeer der Leidenschaft hinaus zu schleudern, und Byron blieb verpönt. Auch andre Vorschläge Pauls nahm sie nicht an, bis sich endlich Beide im Ossian vereinigten. Ossians melancholische Nebelwelt ganz voll der »joys of the grief«, wurde einem Kinde aufgethan, dessen Phantasie ohnehin allen anderen Fähigkeiten mit Riesenschritten voraus geeilt war! – Im Besitz Waverleys und Ossians verschmerzte ich leichter Pauls Abreise, als es sonst würde der Fall gewesen sein: immer stumpften mich Träume und Beschäftigungen der Imagination gegen die Wirklichkeit mit ihrem Leid und ihrer Lust ab, und ich selbst bemerkte mit Befremden und mit Gewissensunruh, daß mich Fergus Mac-Ivor und Ossians Helden sehr vom Andenken Heinrichs entfernten. Paul hatte ihm ohnehin schon einigen Abbruch gethan. Paul antwortete mir ebenso traulich aber [] ernster und verständiger als ich mir selbst im Geist Heinrichs antworten konnte; jezt verschmolz er mir dermaßen mit meinen geliebten Büchern, daß ich ihn in ihren Helden zu finden glaubte, und mein inneres Leben ihm gleichsam widmete, wie ich es sonst dem Bruder gewidmet hatte. Ich kämpfte gegen diese seelische Untreue – doch umsonst! das Zwiegespräch meiner Gedanken – und wenn ich es auch regelmäßig mit Heinrich anfing – endete ebenso regelmäßig mit Paul. Das machte mich unglücklich, und ich kam so weit in meiner Selbstanklage, daß ich nie an Heinrich dachte ohne verstohlen die Augen zum Himmel aufzuschlagen gleichsam als müsse ich ihn um Verzeihung bitten. Aber es geschah selten und immer seltener, und somit war mir die erste Blüte vom Lebenskranz, der mir um die Stirn geschlungen war, entfärbt vor die Füße gefallen; denn ich vergaß Heinrich nicht gedankenlos, wie es in Kinderseelen auf und ab zu wirbeln pflegt, sondern ernst und sinnend wie ich war, sagte ich mir selbst: Also man kann die Todten vergessen. Und mit bitterm Schmerz warf ich mich nieder auf den Kieselwällen, welche die Brandung wie eine natürliche Mauer zwischen dem Park und dem Meer angespült hatte. Da lag ich stundenlang und weinte weil die Rosen verblühen, [] weil die Bäume kahl werden, weil es nicht ewig Frühling bleibt, weil der Mensch sterben muß und vergessen wird. Die ersten gelben Blätter erfüllten mich mit Entsetzen! ich riß sie ab so weit ich reichen, so lange ich es möglich machen konnte; und nahmen sie überhand so grollte ich mit den Gesetzen der Natur. Fiel der erste Schnee so war es noch übler! ich sehnte mich zu sterben um nur nicht die allgemeine Erstarrung zu überleben. Anfangs hatte ich Gott bitter verklagt über diese Mangelhaftigkeit seiner Schöpfung, war aber von Miß Johnson sowol als von unserm Prediger der mir Religionsunterricht ertheilte, streng zurechtgewiesen worden: die Schöpfung seiner Allmacht und Weisheit wolle angebetet, aber nicht bekrittelt und gerechtfertigt sein. Das erschien mir ungerecht; wir lebten in dieser Schöpfung und sollten nicht ihre Geheimnisse kennen? – Ich fragte nie wieder den Prediger oder Miß Johnson, denn ich hatte in diesem Punkt kein Vertrauen zu ihnen. Mit meinem Hofmeister harmonirte ich ebensowenig. Die Naturwissenschaften waren sein Steckenpferd; er erklärte mir das Leben der Pflanzen, der Thiere, der Erde aus den organischen Gesetzen welchen jedes Ding unterworfen ist, weil sie sich aus ihm selbst und seiner Eigenthümlichkeit entwickeln. Das verstand ich nun[] zwar sehr gut, allein es tröstete mich nicht. Höchst niedergeschlagen kehrte ich mich von dieser unvollkommenen Welt ab, in welcher Winter auf Sommer, Schnee auf Wiesengrün folgt, und warf mich in die der Poesie. Da war Alles schön, rein und edel! da liebte man nur Helden und herrliche Jungfrauen! da wohnte die ewige Treue! da gab es nur erhabene Schicksale! da war der Schmerz immer in Wonne getaucht, das Herz in Liebe, der Tod in ich weiß nicht welche Glorie von süßer Auflösung – denn nur für den Geliebten oder auf ruhmvollen Schlachtfeldern oder am gebrochenen Herzen starb man. Das schien mir des Menschen würdig, und ich sehnte mich Menschen kennen zu lernen, welche dies Poëm realisirten. Daß ein Paar Millionen von den Tausend Millionen auf unserm Erdball ihm entsprechen würden, bezweifelte ich natürlich gar nicht, und so stieg eine flammende Sehnsucht in mir auf Menschen kennen zu lernen, d.h. ächte, nämlich erhabene Menschen. Alle die mich umgaben ließ ich kaum dafür gelten, meine Mutter ausgenommen – denn sie litt. Das Leid poëtisirte in meinen Augen den Leidenden. Auch andre Gegenden und Stellen der Erde wünschte ich zu sehen, namentlich Schottland, das vor meinem inneren Blicke lag – – und an Schottland [] grenzte England, und in England lebte Paul – der mich in das Wunderreich der Poesie eingeführt hatte! – Eine leidenschaftliche Liebe für Musik erwachte gleichzeitig in mir. Da Ossian und Flora Mac-Ivor die Harfe spielten, so wurde sie mein Lieblingsinstrument, und so gering bis dahin meine Fortschritte auf dem Piano gewesen sein mogten, so glänzend waren sie auf der Harfe, und der gute Sedlaczech jubelte in seiner blinden Liebe für mich: er habe stets geahnt daß ein großes musikalisches Genie in mir stecke. Ich aber setzte mich an Sommerabenden mit der geliebten Harfe auf einen Hügel am Meer, und improvisirte trotz der durch die feuchte Luft verstimmten Saiten Gesänge à la Ossian – so daß Sedlaczech bald zu der Ueberzeugung kam daß auch der Dichtergenius sich in mir rege. In welcher jungen glühenden Seele regt er sich nicht? Bei mir aber bewährte er sich nur darin, daß ich auf meine eigene Hand die Kinderspiele fortsetzte, welche ich einst mit Heinrich getrieben – nur, meinem vorgerückteren Alter gemäß, gingen sie jezt mehr in mir vor, waren schweigend, still und innerlich, und gewährten mir einen so intensiven Genuß, daß ich stundenlang unbeweglich auf einem Fleck, gleichviel wo! sitzen und die Zeit und ihre Anfoderungen gänzlich vergessen konnte. Kam ich [] durch irgend eine äußere Berührung wieder zu mir selbst, so war mir als stiege ich von der Himmelsleiter auf die Erde herab, und ich eilte meine kleinen Obliegenheiten mit Liebe und Pünktlichkeit zu erfüllen um mich dann wieder mit ruhigem Gewissen in meine heißgeliebten Träume versenken zu können. Ich war sehr aufmerksam in den Lehrstunden, sehr sanft und freundlich für meine Umgebungen, beinah zärtlich und sehr fleißig für die Hülfsbedürftigen – denn während ich für die Wöchnerinnen Weißzeug und für kleine Mädchen Röcke und Schürzen nähte, ließ sich gar herrlich phantasiren, und dann that es meinem Herzchen wol auf irgend welche sichtbare Gegenstände ein kleines Bächlein vom Strom der Empfindungen abzulenken, welcher ohne Ufer, Ziel und Regel mein ganzes Wesen durchflutete. – Ach, ich hätte so glücklich in der Wirklichkeit sein können! – allein ich versäumte es aus schmachtender Sehnsucht nach einem unbekannten Glück.

Es war Ende März, ein bitterkalter aber windstiller Abend, wie wir ihn selten in unserm Norden und noch seltner in jener Jahrszeit haben. In kupferfarbenen fast versteinerten Wolken – so hart sahen sie aus! – war die Sonne untergegangen. Die Krähen flogen mit schwerem Flügelschlag rauh [] krächzend über die weißen Schneefelder und sammelten sich zur Nacht auf den kahlen Eichen, die sich wie Riesen im schwarzen Harnisch gegen den glühenden Himmel abzeichneten. Hie und da zwitscherte eine arme kleine Goldammer gleichsam ein Stoßgebet nach dem zögernden Frühling. Auf den Meierhöfen bellten die Kettenhunde. Das schallte Alles so weit durch die klare Luft und über das stille Land. Ich lief Schlittschuh auf dem festgefrorenen Canal. Ich dachte ob in andern Welten vielleicht die Seelen ohne Leiber so ätherisch dahin gleiten könnten, ob der »Geist von Loda« so auf den Wolken gefahren wäre. Ich dachte an Heinrich mit dem ich in dieser Dämmerstunde immer Schlittschuh gelaufen war und ach! mit welchem Jubel. Ich dachte daß er, wenn er lebte, jezt ein schöner Jüngling sein würde, so schön und vollkommen wie er zu werden versprach – daß ich alsdann nicht einsam zu sein und mit mir selbst zu reden brauchte – daß wir mit einander durch die Welt ziehen und Alles suchen und sehen würden, was es Schönes unter der Sonne giebt – und mit plötzlicher Rückkehr in meine Gegenwart rief ich traurig und halblaut: Ach wenn ich doch nicht so sehr und so ganz allein wäre!

Da hörte ich das Rollen eines Wagens im Schloßhof, [] und bald darauf erscholl der Ruf Hahoh! dreimal; das war ein Signal welches mich zur Heimkehr auffoderte und welches ich in den entferntesten Theilen des Parks bei abendlicher Stille hören konnte. Es war Montag, einer der Tage an denen der Arzt kam. Ich wunderte mich daß er mir so dringend etwas zu sagen habe, überflog im Geist die Reihe unsrer Kranken, schnallte geschwind die Schlittschuh ab und lief wie ein Pfeil dem Schloß zu.

»Was giebts, Herr Sedlaczech? was soll ich?« rief ich athemlos als ich ihn, dessen kräftige Stimme den Wächterruf auszustoßen pflegte, vor der Thür zu erkennen glaubte. Statt mir zu antworten kam er mir zu meinem höchsten Erstaunen schnell entgegen, und als eine andere liebere Stimme rief: »Guten Abend Sibylle!« – da erkannte ich meinen Irrthum – denn es war Paul. Mir stockte der Athem vor Freude, Ueberraschung und vom schnellen Lauf. Sprachlos umarmte ich ihn, aber ganz flüchtig, denn ich zitterte vom Scheitel bis zur Sohle und wollte es mir nicht merken lassen. Als meine Lippen scheinbar gleichgültig seine Wange streiften und ich mit keiner Sylbe ihn begrüßte, fragte er verwundert:

»Meine kleine Sibylle, freust Du Dich denn [] zum ersten Mal in Deinem Leben nicht wenn der Paul kommt?«

»O ja ja!« stammelte ich.

»Nun so gieb mir doch einen Kuß wie sonst« sagte er herzlich.

»Ja ja! wiederholte ich, komm' nur herein – es ist so dunkel daß ich Dich nicht erkennen kann.«

War es ein Instinkt von Koketterie, der mich wünschen ließ Paul möge sehen wer ihm einen Kuß gab und daß es nicht mehr die »kleine« Sibylle sei – ich weiß es nicht! ich zog ihn geschwind herein ins hellerleuchtete Theezimmer. Aber als wir eingetreten waren schwieg er vor Ueberraschung, und ich vor Verlegenheit über sein Verstummen, und es trat ein peinlicher Moment ein, bis Paul meine Hand nahm und leise sagte:

»Ich sehe schon – Du bist ein großes wunderschönes Mädchen geworden, Du machst Dir nichts mehr aus mir und wirst mir auch wol keinen Kuß geben wollen.«

Ich sah ihn an – Gott weiß wie, und ich entsinne mich auch nicht mehr wie es hernach Alles kam und wie ich mich in seinen Armen fand. Nur daß er ganz anders wie sonst vor mir stand, daß sein Blick, seine Stimme, sein Ausdruck, sein Kuß nicht mehr die früheren waren, daß er gleichsam [] in ein verklärendes Licht hinein gehoben war und daß ich diese Erscheinung in ihm bewirkte – dessen entsinne ich mich, weil kein Weib dergleichen vergißt sobald dies den Mann betrift den man zuerst geliebt – oder zu lieben gewähnt hat. Also liebte ich Paul? – Ja, was ist die Liebe? man kann von ihr alles Gute und alles Böse sagen, und es wird ganz wahr und ganz passend sein, und sich nicht blos nach einander oder in verschiedenen Individuen, sondern zu gleicher Zeit und in demselben Menschen nachweisen lassen. Sie ist zugleich der bewußtlose Trieb, der das Individuum zur Vervollständigung seiner animalischen Bestimmung drängt und der erhabene Schwung, welcher den Märtyrerschritt und den Todesgang zwischen allen Verlockungen, Reizen und Bedrohungen der Sünde giebt. Sie ist die schwüle brodelnde Glut welche das Mark aus den Knochen, die Gedanken aus dem Hirn, den Athem von den Lippen, das Herz aus dem Busen aufsaugt, und die leichte zauberische Flamme welche die Gestalt in Schönheit, das Gehirn in Schöpferkraft, das Herz in eine Glorie, das ganze Wesen in ein erneutes geistiges Dasein taucht. Sie ist die Wiedergeburt und die Vernichtung des Menschen. Sie ist eine Bachantin die ihn in mysteriöse Extasen der Wollust schleudert [] und ein tiefsinniger Genius der ihn auf schneeweißen Flügeln in Regionen erhebt zu denen sich die Sinnenwelt verhält wie das Sandkorn zu den Gestirnen. Sie führt ihn zu Thaten des Fluchs und zu Thaten des Segens. Sie drückt ihm den Stempel der Thierähnlichkeit und das Gepräge des göttlichen Ebenbildes auf die Stirn. Sie schlägt ans Kreuz und reißt empor zur Himmelfahrt. Sie befleckt im Lasterpfuhl und reinigt in einem Element gegen welches die klarsten Gebirgswasser und die frischesten Frühlingslüfte unklar und dumpf sind. Sie macht elender als alles andre Leid, und seliger als alles andre Glück. Sie macht stupid und giebt Intuition. Sie ist so reich daß sie die Welt verschmäht und so bettelarm daß ein Blick, ein Kuß sie wie mit Perlen und Demanten überrieselt. Sie ist allgenügsam und unbefriedigbar, seelisch und sinnlich, frohlockend und klagend – und das Alles in einem und demselben Herzen, am Morgen so und am Abend anders. Sie bildet eine festverschlungene Kette von Gegensätzen, die augenblicklich untereinander zu Widersprüchen werden, sobald nicht ein unerhört tapferes und starkes Herz jedes einzelne Glied löst indem es dasselbe mit Geduld und Ausdauer trägt. Nur eines übersprungen oder zerrissen, und die ganze Kette verwirrt sich! Wo aber[] wäre ein Herz stark genug um sich stets im Gleichgewicht zwischen diesen Stürmen und Schwankungen zu erhalten? von all dem Herumzerren und Hinundherwerfen wird es müde, matt, schlaff, marklos – mit einem Wort: schwach! – und dies Wort bricht den Stab über ihm: Schwäche macht elend. Der Starke ist gut und glücklich, aber nur in einzelnen gnadenvollen Momenten ist der Mensch stark wenn das »Kind Gottes« in ihm die Oberhand gewinnt und der »vom Weibe Geborene« in ihm zurücktritt. So hat die ewige Allmacht es gewollt. So hat sie die Essenz seines Wesens gemischt. – – – – – – – Ja, bei der Liebe fing ich an und bei der Schwäche hör' ich auf! das ist ganz richtig.

Als Miß Johnson nach einer Viertelstunde eintrat und Paul zu meiner Mutter beschied, waren wir schon ganz einig, gingen Hand in Hand zu ihr und baten um ihren Segen. Sie sprach sehr bewegt:

»Ists möglich, Paul! dies Kind willst Du heirathen?«

»Dies Kind ist ein holdes Mädchen, liebe Tante« – entgegnete Paul schmeichelnd.

»Aber sieh sie genau an, Paul! sieht denn so ein junges Mädchen aus?«

[] Ich trug allerdings einen etwas befremdlichen Anzug, der mir aber zu meiner Schlittschuhläuferei und überhaupt zu winterlichen Spaziergängen bequem und nothwendig war. Ich trug lange Pantalons und ein kurzes Kleid von weißem Merino, darüber einen Spenzer von dunkelblauem Sammet mit langen Schößen und mit Zobel besetzt, und auf dem Kopf ein kleines Sammetbaret ebenfalls mit einem Pelzstreif umgeben. Letzteres hatte ich nun zwar abgenommen, aber ich trug mein Haar noch immer nach Kinderart in dicken natürlichen Locken, und sie mogten mir wol ziemlich wild um Stirn und Nacken hängen. Die kindische Tracht abgerechnet hatte ich gewiß das Ansehen eines jungen Mädchens, denn meine Gestalt war ganz ausgebildet und war größer als manche Erwachsene. Das fand auch Paul, und meine Mutter willigte gern in unsre Verlobung. Er wünschte mich auf der Stelle zu heirathen; doch das gab sie durchaus nicht zu; ich sollte erst confirmirt und fünfzehn Jahr alt werden, woran mir noch sieben Monat fehlten. Paul war auf drei Tage nach Engelau gekommen. Seinen Urlaub auf sieben Monat zu verlängern, war unmöglich. Sein Vater wirkte ihm noch drei Wochen aus; dann sollte er fort und im Spätherbst wiederkommen.

[] So war ich denn fast noch Kind, kaum Jungfrau und schon Braut. Das Leben stürzte sich mir mit drängender stürmischer Hast entgegen als habe es Eil mir seine berauschenden Tränke darzubringen damit sie nicht unterwegs verschäumten. Natürlich fand mich Paul geistig ganz unreif, aber die Gefühlswelt war im Treibhaus der Phantasie gezeitigt, und die Lebendigkeit und Bereitwilligkeit meiner Auffassung verhieß große Bildungsfähigkeit. Ueberdas kam mir mein heißer Drang zu wissen, zu verstehen, zu erkennen, zu Hülfe. Ich war unermüdlich Fragen über Welt, Menschen, Bücher, Gesellschaft – über all diese Dinge welche ich nur dem Namen nach kannte, an ihn zu richten, und unersättlich seine Antworten, seine Beschreibungen und Erzählungen zu hören. »Erzähle mir vom Palais-royal!« hatte ich vor Jahren gebeten, als Paul noch der Verlobte meiner Schwester war; auch jezt war kein Ende mit ähnlichen Bitten und immer fanden sie Gehör. Paul liebte mich mit einem Gemisch von leidenschaftlicher Zärtlichkeit und von beschützender Ueberlegenheit das ihm sehr gut stand. Bald machte ihn der Liebesrausch zum Kinde, das auf mein Wesen und mein Treiben einging – bald war er ein ernster und belehrender Freund der mich im ruhigen Gespräch zu sich heraufzog[] – bald ging die Ruhe sowol als die Kinderei in dem Liebenden unter, der ein junges reizendes Geschöpf als das Eigenthum und die Freude seines Herzens und seiner Sinne betrachtete. Ich hing an ihm mit einer quälenden Anhänglichkeit. Ganz einsam war ich ohne Gefährten und Altersgenossen, ganz abgeschieden vom Umgang mit jungen Männern und Mädchen, sogar ohne eine Freundin, welche für ein fünfzehnjähriges Herzchen gleichsam der Blitzableiter dunkler Liebesgefühle ist. Auf einmal stand mir ein Mann liebend und liebeverlangend gegenüber, bereit mich in seinen Armen durch das Leben zu tragen, mich glücklich zu machen, sein Glück von mir zu fodern und in mir zu finden. Leben und Glück war für mich gleichbedeutend; glücklichwerden und lieben ebenfalls; so sank ich an sein Herz weil ich eben ein Herz zu lieben begehrte, wie die Knospe aufblüht wenn Frühlingssonne und Frühlingsregen über ihren noch verschlossenen Kelch geheimnißvoll lockend stralen und rieseln. Aber ich glaube daß ich mit derselben Wonne eine Freundin oder jeden andern liebenswürdigen Mann geliebt haben würde. Ich mögte sagen es sei der allgemeine aber nicht mein individueller Gefühlsdrang gewesen, der mich zu Paul und ausschließlich zu ihm geführt. Ich war zu [] sehr Kind, zu ungeübt, zu unerfahren um eine Wahl treffen zu können; zu jung um das Süße, Ahnungsvolle einer stillkeimenden, verschwiegenen, wachsenden, jungfräulichen Neigung empfunden zu haben. Es waren keine Uebergänge in mir, kein Erwachen zum Bewußtsein, keine Schwankungen. Die leisen schüchternen Nüancen durch die man zur Vertraulichkeit mit einem Verlobten übergeht, der noch vor Kurzem als Fremder uns fern stand, konnten bei mir nicht statt finden, indem Paul mein Vetter war, indem ich ihn seit der Wiege kannte, indem ich mich von je her an ihn geschlossen hatte Aus der Dämmerung der Existenz, ohne Aurora, ohne Sonnenaufgang, ohne Morgensonne – trat ich plötzlich unter die Mittagsglut, und die Leidenschaftlichkeit erwachte bevor die Liebeskraft gereift war, so wie es Pflanzen giebt die Blüten tragen bevor sie Blätter haben. Aber in der vegetabilischen Natur compensiren bestimmte Zwecke und Eigenthümlichkeiten derartige Anomalien, während der Mensch eine so wunderzarte reizbare Pflanze ist, daß eine überreizte Entwickelung in späteren Momenten keine Compensation – sondern eine rächende Vergeltung findet.

Wie gesagt ich hing mit quälender Anhänglichkeit an Paul. Ich ging wohin er ging, ich stand [] wo er stand, ich blickte wohin er blickte. Wäre er nicht so grenzenlos in mich verliebt gewesen, so hätte er mich unerträglich finden müssen, denn ich beging eine Indiscretion über die andre, blätterte in seinen Papieren, besah seine Bücher, durchwühlte seine Portefeuilles – nicht aus kindischer Neugier allein (obwol Alles was er hatte und was ihn umgab mir ganz neu war) sondern um mich aus allen Kräften mit ihm zu identifiziren, um seinen Geschmack zu kennen, seine Wünsche zu errathen, seine Neigungen mir einzuimpfen. Miß Johnson verwies mir einmal ich weiß nicht mehr welche Frage oder Bitte die ich an Paul richtete. Er rief lebhaft:

»O stören Sie sie nicht! mit solchen unschuldigen Augen ist man nie indiscret.«

Und er fuhr fort mir Alles mitzutheilen was mein flammendes Interesse für ihn begehrte.

Dennoch war ich nicht glücklich, denn mich quälte ein Gedanke – nämlich der, daß er Amalie vergessen hatte. Darüber nachsinnend blickte ich ihn eines Tages so lange an bis mir die Thränen in die Augen traten. Er las die Zeitung. Als er meine Thränen bemerkte warf er das Blatt fort, nahm mich in seine Arme und fragte zärtlich was mir geschehen sei. Ich sagte ihm den Grund meiner [] Betrübniß, und daß ich mir einen ebenso lebhaften Vorwurf über mein Vergessen Heinrichs mache.

»Wir haben Amalie und Heinrich nicht vergessen, entgegnete er sanft. Wir gedenken ihrer mit wehmüthiger Liebe. Aber Empfindungen an die keine Pflichten sich knüpfen genügen unsrer Thatkraft und unserm Liebesbedürfniß nicht. Erinnerungen nehmen einen Platz in unserm Leben ein ohne es ganz auszufüllen, und in edler Weise es auszufüllen suchen ist keine Untreue, meine Sibylle, sondern eine ernste und würdige Aufgabe.«

Diese ruhigen klaren Worte beschwichtigten mich und berührten mich zugleich wie mit kältendem Hauch. Mein Unverstand sträubte sich gegen jene Anschauung welche das Leben zu einer ernsten Aufgabe macht. Ich wollte einen ununterbrochenen Seligkeitsrausch daraus machen.

Der meine ging zu Ende als Paul uns nach drei Wochen verlassen und zurück nach England mußte. So weit fort, und übers Meer, und bis Ende Oktobers – ich meinte es nicht überleben zu können, und ich empfand eine Art von Verachtung gegen mich selbst, daß ich es dennoch überlebte. Er versprach mir fleißig zu schreiben – und er hielt Wort! damals aber flogen noch keine Dampfschiffe zwischen England und dem Continent hin [] und her, das machte den Briefwechsel unsicher und unberechenbar, und diese Unsicherheit versetzte mich in ein Fieber von Angst. Wenn ich meine oder Pauls Briefe auf der See wußte lief ich wol zehnmal täglich an den Strand um den Wind zu beobachten, gänzlich vergessend daß er anders an der Küste, anders auf hohem Meere wehe, daß ein Unterschied zwischen der Nord- und der Ostsee statt finden könne – und dann verloren sich die Gedanken in die Unermeßlichkeit des Meeres hinein, das mir wie ein Bild meiner Zukunft erschien und meinen Wünschen, meinem Streben, meinen Ahnungen ein Symbol grenzenloser Verheißung darbot.

War es die Gemüthsbewegung welche meine Mutter in dieser Zeit gehabt oder überhaupt eine Krisis in ihrem Leidenszustand – genug, es regte sich wieder einige Lebensthätigkeit in ihrem Nervensystem und unser Hausarzt erklärte daß eine Reise nach Gastein nothwendig zu unternehmen sei. Der Bruder meines Vaters, der Bischof von Würzburg war, hatte schon längst in seinen Briefen meiner Mutter diese Heilquelle empfohlen und sie eingeladen sich auf der Hin- und Rückreise bei ihm in Würzburg auszuruhen. Bis dahin hatte ihr Zustand es unmöglich gemacht; jezt erklärte sie selbst es für möglich eine so weite Reise zu unternehmen. [] Die Hofnung auf ihre Genesung beseligte mich, und die Reiseanstalten die ich eifrig betrieb warfen ein glückliches Gegengewicht in die Schaale meiner Sehnsucht nach Paul. Aber ich machte mir aus diesem getheilten Interesse einen Vorwurf und fragte mich selbst mit trübem Erstaunen, ob ich denn eines exclusiven Gefühls gänzlich unfähig sei? Daß der Mensch in zahllos verschiedenartigen Verhältnissen zu leben hat, daß die heterogensten Beziehungen Ansprüche an ihn machen zu deren Berücksichtigung er gestählt und bereit sein muß, daß das Menschenherz rundum tausend Berührungspunkte hat durch die es zugänglich und bewegbar wird – oder eigentlich: daß mein Herz, soll ich sagen zu meinem Heil oder zu meinem Unheil, keines Gefühls fähig war wodurch es absolut ausgefüllt wurde – dies Alles hatte ich damals noch nicht erkannt.

Zu Ende des Frühlings fand meine Confirmation statt. Meine glühende Seele erfüllt von Liebe zu Paul, von Hofnung für meine Mutter, von Erinnerung an meine Todten, von Ahnung eines liebedurchglühten Daseins – so unschuldig daß Liebe und Veredlung, Glück und Tugend ihr synonym klangen und ihr als das hohe Ziel erschienen, zu dem jeder Mensch unablässig mit festem Gang und klarem Willen vorschreite – meine Seele bedurfte [] nicht der kirchlichen Belehrungen, welche der Prediger ihr ziemlich trocken zukommen ließ, um sich freudig zu Gott aufzuschwingen und ihre Geschicke aus seiner segnenden Hand zu empfangen. Ich genoß das Abendmal als das Symbol des heiligen Bundes, welcher von Christus gestiftet sei um die ganze Menschheit zu Kindern Gottes auszubilden.

Einige Tage später reisten wir ab in zwei große Wagen vertheilt: meine Mutter, Miß Johnson, Sedlaczech, ich, zwei Kammerjungfern, und zwei Diener. Die Kranke machte diesen Schwarm der Bedienung nothwendig, und er veranlaßte wiederum Sedlaczechs Begleitung, welcher als Reisemarschall fungiren sollte. Für mich, die ich nie größere Städte als Eutin und Kiel, nie eine andere Landschaft als die holsteinische gesehen, war diese Reise eine Wonne – nämlich die Vorstellung: jezt wirst du die weite Welt, Ströme, Gebirge, Städte und Länder schauen, wirst erfahren was es Alles unter der Sonne giebt! Anfangs entsprach das aber gar nicht meinen Erwartungen! in Hamburg, in Braunschweig gab es kein Palais royal, der Thüringerwald schrumpfte neben dem gigantischen Maßstab meiner Phantasie zu einem Maulwurfshügel ein, die Ufer des Mains waren niedrig, der Fluß selbst schmal und gelb, die Rebgelände monoton, heiß [] und schattenlos. Ich vermißte die frischen Wiesen, die klaren Landseen, die Buchen und Eichen meiner Heimat, und allüberall fand ich meinen Horizont beschränkt weil ich das Meer nicht hatte, welches mehr noch für den Gedanken als für den Blick unermeßlich ist – aber nicht ermüdend wie die Ebene, von welcher die Vorstellung von Staub, Mühsal, Schmutz, Qualen, Erdigkeit untrennbar ist, sondern ausruhend weil es ein Spiegelbild des Himmels zu sein scheint.

Aber Würzburg gefiel mir ungemein – die alte Stadt, die zahlreichen Kirchen, der bischöfliche Hof, mein Onkel der Bischof, der uns mit großer Herzlichkeit und süddeutscher Ungezwungenheit wie liebe Familienglieder und alte Bekannte empfing, obgleich er uns nie gesehen – Alles machte mir einen poetischen warmen Eindruck.

»Das rührt vom katholischen und vom süddeutschen Wesen her,« sagte Sedlaczech, dem ich diesen Eindruck mittheilte und dem ich mich auf der Reise sehr angeschlossen hatte.

Am Tage nach unsrer Ankunft fand ein großes Kirchenfest Mariä Heimsuchung statt, und mein Onkel celebrirte das Hochamt im Dom. Ich wünschte demselben beiwohnen zu dürfen. Miß Johnson erklärte es mit puritanischer Trockenheit [] für Götzendienst und war dagegen, meine Mutter, die keine andre Religion als die Liebe kannte und deren angebeteter Gemal Katholik gewesen war, gönnte jeder Kirche ihren Cultus und gewährte meine Bitte. Ich ging mit Sedlaczech in den Dom. Er war Katholik. Er erklärte mir das Symbol der Messe, und gab mir sein Gebetbuch damit ich ihrem Gange folgen könne. Sie machte einen überwältigenden Eindruck auf mich. Zum ersten Mal begriff ich mit zerknirschter Seele das Opfer Christi! Musik, Weihrauch, Blumen, Prachtgewänder, Bilderschmuck, Goldglanz, Kerzenlicht, flammende Altäre, der majestätische Dom – welch ein großartiges Bild der Weltherrlichkeit, der irdischen Größe, die Christus verschmähte und gelassen in den Tod der Verbrecher ging um für seine Lehre der Barmherzigkeit: daß die opferwillige Liebe von Sünde und Furcht erlöse, zu sterben. Wie angedonnert stürzte ich auf meine Knie und fragte mich heimlich mit blassen bebenden Lippen ob ich wol eines solchen Opfers fähig sei, und gestand mir: Nein, o nein! – und betete der Kelch möge vorüber gehen! –

In dem Tagebuch welches ich damals für Paul schrieb und welches jezt vor mir aufgeschlagen liegt, lese ich an jenem 2. Julius:

»Paul! Paul! zum ersten Mal in meinem Leben[] habe ich in einer Kirche gebetet, aber so, als ob Engel meinem Herzen Flügel gegeben hätten und als ob es aus der engen Brust herauswolle. – Und zum ersten Mal hab' ich einen Mann beten sehen! Sedlaczech kniete neben mir und betete still, andächtig, gesammelt, ohne Gesangbuch und ohne Predigt, was er eben in seiner Seele fand. Ach Paul! wie das schön ist wenn ein Mann so betet und sich nicht schämt vor Gott auf den Knien zu liegen! .... und auf den kahlen Quadersteinen knieten wir, und alles Volk um uns herum, ohne Absperrung und Gitterstühle, und es fiel Keinem auf. Ach das ist auch schön, denn es ist so demüthig! – Können wir nicht den Gottesdienst in Engelau so einrichten? – Ich sag Dir, Paul: wie Sedlaczech betete kann ich gar nicht vergessen.« – – – –

Das Hochamt im Würzburger Dom war der Glanzpunkt meiner Reise. Zwar besuchte ich noch häufig die Messe mit Sedlaczech, aber immer aufpassend ob er wieder so andächtig beten würde, zerstreuten mich diese Gedanken. Ich kam nicht recht zu innerer Sammlung, und die seine schien mir auch nicht mehr so extatisch wie das erste Mal, eben weil ich ihn mit gespannter Erwartung beobachtete. Es kamen auch neue Eindrücke! die Welt [] des Hochgebirges that sich mir auf mit ihren Wasserfällen, ihrem ewigen Schnee, ihren starren Felswänden an die sich grüne Matten schmiegten. Diese unerhörte Majestät zerschmetterte mein kleines Herz. Es war nichts in mir das mit diesem erhabenen Ernst sympathisirte. Er machte mich melancholisch. Ich schrieb an Paul.

»Was wollen die Leute mit ihrer Bewunderung des Hochgebirges – ich versteh' es nicht! mich machen diese starren gigantischen Massen frieren, denn sie leben ja nicht. Das Meer lob' ich mir, nicht wahr, Paul? was da für Leben drin ist! das athmet wie ein Mensch; das lächelt, trauert, klagt, wüthet, grollt, scherzt wie ein Mensch. Ich meine immer dem Meer mögte ich mich ans Herz werfen – da würde mir wol sein. Aber den Felsen gegenüber fällt mir das nicht ein! sie locken mich nicht, sie wälzen sich mir drückend entgegen; ich mögte mich gegen sie vertheidigen und fühle da so recht meine Unmacht .... schwaches Erdenwürmchen das ich bin. Neben Dir, Paul, würde ich auch den Felsen gegenüber ein Gefühl von Sicherheit haben, das mir jezt fehlt und das mich zittern macht.« – – – –

Meiner armen Mutter that der Gebrauch von Gastein nicht gut. Nach sechswöchentlichem Aufenthalt[] daselbst traten wir unsre Rückreise an, und langten Mitte Oktobers mühselig und niedergeschlagen in Engelau an, wo ich mein Reisetagebuch für Paul mit den Worten schloß:

»Bis jezt habe ich die Welt und die Genüsse einer Reise ganz unter meiner Erwartung gefunden. Ueberrascht hat mich nichts als das Hochamt in Würzburg und daß Sedlaczech betete; alles Andre hatte ich mir schöner vorgestellt.« – – – –

Bald darauf kam Paul mit seinem Vater und der Allerseelentag beschloß mein fünfzehntes Jahr und mein allzukurzes Mädchenleben: es war ebenso unvollkommen und überreizt wie meine Kindheit gewesen.

Nun war ich Frau! – Warme schlichte Pflege des Gefühls und ein bestimmter Wirkungskreis in häuslichen Pflichten und in einer geregelten Thätigkeit, ist die naturgemäße, folglich die gesundeste Atmosphäre für die Entwickelung des Weibes. – Statt mich in sein Haus zu führen, setzte Paul mich in seinen Reisewagen! – Er war vier und ein halbes Jahr mit geringen Unterbrechungen in London gewesen, und so ermüdet und abgespannt durch die kolossalen Proportionen und die Riesenbewegungen im englischen Leben, denen das deutsche Spießbürgerthum nun einmal nicht gewachsen ist, daß er sich nach der Zwanglosigkeit des Reiselebens [] sehnte, und sich überdas ein Fest daraus machte mich in alle Herrlichkeiten, Freuden und Schönheiten der Welt einzuweihen. Er verzog mich wie nur je ein verliebter Ehemann seine Frau verzogen und sie zu seiner Puppe und zu seinem Kleinod gemacht hat. Paul war ein ganz liebenswürdiger Mensch von edler Gesinnung, von gebildetem Verstande, von tadellosen Sitten, höchst angenehm in der äußern Erscheinung; er hatte nur einen Fehler – und dieser Fehler wäre vielleicht neben einer andern Frau gar nicht zum Vorschein gekommen: es war seine grenzenlose Schwäche für mich. Er liebte in mir Alles was das Menschenherz rührt: Erinnerungen an seine frühere Jugend, an seine erste Liebe, an seine ersten Schmerzen – ein Kind das sich ihm angeschmiegt hatte, ein Mädchen das für ihn aus der Kindheit er wachte – und endlich ein reizend schönes Weib. Ich war unwiderstehlich für ihn! – Ach wie viel tausendmal mißbrauchte ich diese Allgewalt .... nicht grade zum Bösen, denn ich war nicht verderbt – aber aus Laune, aus kindischem Uebermuth, zuweilen sogar um zu versuchen wie weit meine Macht reiche. Ich erbat und erschmeichelte, erweinte und erscherzte Alles was mir durch den Sinn flog. Das soll nicht heißen als hätte ich Verkehrtes oder Unsinniges begehrt,[] sondern eben nur daß mein unbedingter Wille die Axe unsrer Existenz wurde. Als ich es dahin gebracht hatte – absichtslos, immer ungenügsamer werdend, Schritt vor Schritt bis zur äußersten Grenze vordringend! – da empfand ich Mitleid mit Paul, und dies Mitleid wuchs bis zur Mißachtung, um nicht Verachtung zu sagen. Ein Mann, und unfähig ein Nein! gegen mich zu behaupten, wenngleich Vernunft und Recht bei dem Nein waren – ich fand das unmännlich, folglich weibisch, folglich erbärmlich, folglich konnte ich Paul nicht wie ein höheres Wesen verehren: so lautete meine unerbittliche Logik. Da ich nicht im Gefühl, sondern nur in Ideen und Phantasien lebte, welche stets einen übertriebenen Maßstab an Menschen und Dinge legen, während nur das Gefühl ihn rectificirt, so war ich ohne Schonung und ohne Zartheit, und suchte nicht den Punkt zu vermeiden oder zu umgehen, der mir Pauls Schwäche im grellsten Licht zeigte. Es ist unmöglich die intimen Verhältnisse der Ehe in ihrem ununterbrochenen Zusammenhang und Contact in Worte zu bringen die nicht plump und nicht übertrieben klingen. Es finden Nüancen statt für die man Wahrnehmungen doch keine Beschreibungen hat und Erkenntnisse die mit äußerlich unfaßbaren Uebergängen in die Seele [] schlüpfen – und dann wieder Anomalien, die jeder Erklärung widerstehen, und den Character als ein planlos zusammengewürfeltes Modell von einem Menschen erscheinen lassen. Ich kann nur im Allgemeinen sagen, daß ich mich benahm als habe ich es darauf abgesehen mein Leben muthwillig zu verderben. Ich trieb Alles bis auf die äußerste Spitze, und da Nichts sich dort halten kann, so erlebte ich eine Enttäuschung, einen Sturz von der Höhe nach dem andern, und fand mich zwischen Ruinen sobald ich zur Besinnung kam.

Wie einst Don Quixote auf Abenteuer aus der Epoche der Paladine – so zog ich in die Welt um großen Menschen zu begegnen, und um im Leben der Völker, in den Leistungen der Individuen, in den Bildern der Natur die absolute Vollkommenheit und Schönheit zu finden, deren Ideal ich in meinem Kopf herumtrug. Ich suchte Charactere, Zustände, Kunstschöpfungen, Seelen, die zugleich vollkommen abgerundet wie Perlen und brillant facettirt wie Diamanten wären. Ich suchte Stoff zu ununterbrochener Bewunderung – und fand ihn nur ausnahmsweise; Genüsse die permanente Befriedigung bieten mögten – und fand sie nur in einzelnen Momenten. Pausen der Leerheit, der Dürre, der Kälte traten bei mir ein, und zwar [] schon in den Flitterwochen und während unsers Aufenthaltes in Paris – von denen ich früher keine Vorstellung gehabt hatte. Ganz natürlich! ich lebte jezt in einer solchen Aufregung, daß sie mit Abspannung abwechseln mußte, während in meinem friedlichen Engelau kein Rausch und folglich keine Ernüchterung eintreten konnte. Von den vierundzwanzig Stunden eines Tages verbrachte ich zwanzig in fieberhaftem Wachen und vier in fieberhaftem Schlaf. Alle Sehenswürdigkeiten von Paris, alle Schätze seiner überreichen und verschiedenartigen Museen wollte ich gründlich kennen, beurtheilen, verstehen lernen. Sachverständige mußten mich begleiten, mir historische oder technische Erklärungen geben, mein ungeübtes Auge auf Fehler oder Schönheiten aufmerksam machen. Mit derselben Gründlichkeit wurden die Magazine der Modistinnen, der Juweliere, der Schneiderinnen, der Schuh- und Handschuhmacher heimgesucht. Ich trieb einen unsinnigen Luxus, denn ich hielt mich für unermeßlich reich ohne zu bedenken, daß dasselbe Einkommen in Engelau für kolossal – in Paris für mittelmäßig gilt. Täglich eine neue und ganz exquisite Toilette um nach den Anstrengungen meines Morgens zum Diner, in das Theater und in Soireen zu gehen, schien mir ganz in der Ordnung. [] Nur ausnahmsweise begnügte ich mich mit dem Besuch eines Theaters. Spielte Talma oder die Mars, oder tanzte die Montessu, so mußte ich sie wenigstens in einer Scene oder einem pas bewundern, wenngleich ich bereits in einem andern Theater war. Häufig folgten noch Bälle den Soireen – so daß ich Nachts um vier Uhr in Pauls Arme sank, um Morgens um acht wieder aufzustehen und dem Maler der mein Portrait machte eine Stunde später Sitzung zu geben. Ich ließ mich für meine Mutter malen, und heimlich für Paul in meinem Schlittschuhlaufer-Anzug für den er eine große Vorliebe hatte. Aber dies rastlose Treiben ermüdete mich gar nicht körperlich. Ich blühte erst recht auf in diesem glühenden, drängenden, genußsprudelnden Leben, und der Gegensatz schlug mich häufig nieder, daß meine physische Organisation wie von Eisen und Stahl gebildet keine Ermattung kannte, während ich geistig ach wie oft! unüberwindliche Schlaffheit in mir empfand.

Unsern Aufenthalt in Paris endete nach sechs Wochen die längst befürchtete Nachricht vom Tode meiner Mutter. Berauscht aber nicht befriedigt zog ich mich aus dem Tumult zurück, dem die Trauer ein Ende machte, und wir reisten nach Florenz [] und Rom. Aus dem Gesellschaftsrausch warf ich mich in den Kunstrausch – aus der Verschwendung für Schmuck, Shawls und Kleider, in die für Gemälde, Statuen, Cameen, etrurische Vasen und Alterthümer. Wo ein Atelier war – ich mußte in ihm nach dem himmlischen Funken der Begeisterung spüren, und fand statt dessen in zehn Fällen neun Mal Eitelkeit, handwerksmäßige Berufsausübung, Hunger, als Anschürer des himmlischen Funkens. Ich fand das entwürdigend für den Künstler, nachtheilig für die Kunst. Ich unterstützte die miserabelsten Talente, nicht nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten – die waren gering! sondern nach denen ihres Elends – und das war denn freilich oft groß. Ich machte ihnen große Aufträge, die entweder gar nicht oder so kümmerlich vollzogen wurden, daß ich an der Genialität meiner Schützlinge verzweifelte und den »himmlischen Funken« eine äußerst seltne Sache fand, die eben so selten im Künstler wohne, als Geist in der Gesellschaft. Aber auch manches treffliche Kunstwerk kaufte ich, das keinen andern Fehler hatte als den – meine Mittel zu übersteigen. Durch den Tod meiner Mutter war ich in den Besitz ihres ganzen Vermögens gekommen, welches mir damals eine Rente von zwanzigtausend Thalern brachte, [] und sich erst später um die Hälfte vermehrte, als die Nachwehen des Krieges gänzlich gehoben waren, und als eine tüchtige Verwaltung an die Stelle der lässigen Vormundschaft trat, welche nach dem Tode meines Vaters und während der Krankheit meiner armen Mutter die ökonomischen und finanziellen Geschäfte versehen hatte. Zwanzigtausend Thaler waren für meinen Train, meine Liebhabereien und meine Mäcenatsallüren sehr wenig. Paul hatte als einziger Sohn ein großes Vermögen von seinem Vater zu erwarten, allein vor der Hand bekam er von diesem nicht mehr als was er als Junggesell bekommen – ein Tropfen im Meer für unsre Bedürfnisse! – Sämmtliche Diener meiner, Mutter pensionirte ich reichlich; Miß Johnson glänzend damit sie in ihrem geliebten Vaterlande bequem leben könne; ebenso meinen lieben alten Hofmeister damit er sich recht schöne naturhistorische Werke mit kostbaren Kupfern anschaffen dürfe; endlich Sedlaczech, der sich in der Musik durch Reisen nach Wien, Paris und Italien ausbilden sollte. Abgesehen von diesen stehenden Ausgaben unsers Budgets, hatten wir in dem ersten Halbjahr unsrer Ehe und Reise fünfundzwanzigtausend Thaler verbraucht.

Paul hatte wol zuweilen kleine Einwendungen [] versucht – doch immer umsonst. Jezt legte er mir schweigend die unwiderleglichen Berechnungen vor. Natürlich war ich außer mir vor Ueberraschung und Bestürzung. Ich warf mich in seine Arme und bat beängstigt um Rath.

»Laß uns auf der Stelle zurückreisen und die andern sechs Monat meines Urlaubs in Engelau zubringen, damit ich an Ort und Stelle eine Uebersicht Deiner Güter und Einkünfte gewinnen kann – und ich stehe dafür, daß Alles wieder ins rechte Gleis kommt« – erwiderte er.

»Zurück? .... ohne Neapel, Sorrent und Sicilien gesehen zu haben? unmöglich, Paul!«

»Sehr möglich, liebe Sibylle, für ein Paar vernünftige Menschen, die vermeiden wollen sich von Hause aus zu ruiniren.«

»Guter Gott! rief ich mit kindischen Thränen, wie traurig ist es daß nichts auf der Welt zu den Bedürfnissen des Menschen ausreicht! nicht einmal das Geld!«

»Verschwendung ist kein Bedürfniß, Sibylle – nur eine üble Gewohnheit, die, wie fast alle Gewohnheiten, für uns selbst und für Andere mit der Zeit höchst lästig wird – abgesehen davon daß es unsinnig ist mehr Geld auszugeben als man einnimmt.«

[] »Aber ich habe bisjezt noch gar nicht meine Vermögensumstände gekannt, Paul! .... jezt werde ich mich schon nach der Decke strecken. Wir wollen die Pferde abschaffen und ganz idyllisch in Sorrent leben, nicht wahr?«

Nach langer Berathung machten wir gegenseitig Concessionen. Paul bestand nicht auf die Heimkehr, ich gab die Reise durch Sicilien auf. Wir verkauften die sieben Pferde, welche wir bei unsrer Ankunft in Florenz gekauft, entließen die überflüssigen Dienst boten; ich nahm Bestellungen von ich weiß nicht welchen Kunstgegenständen zurück, und in den ersten Tagen des Mais verließen wir Rom und gingen, Neapel nur flüchtig berührend, nach Sorrent. Uebersättigt vom Gesellschaftstaumel verließ ich Paris – vom Kunsttaumel Rom. In Sorrent warf ich mich in den Liebesrausch. Währte er nicht länger als die beiden anderen, so war er wenigstens süßer. Wir mietheten für den ganzen Sommer ein kleines schlichtes Haus, das von einem Orangengarten umgeben und von der Stadt abgesondert war. Die Terrasse vor demselben breitete sich auf einem Felsen aus, der unmittelbar und schroff ins Meer hinabfiel. Der zauberische Golf von Neapel, die reizenden Küsten des Landes, die wilden Formen der Insel Capri, die phantastischen[] Felsen, Grotten und Hölen des Sorrentinischen Ufers – waren die feenhaften Bilder, welche sich vor unserm Häuschen ausbreiteten. Damals verband keine Chaussee Sorrent mit Castelamare; nur zu Fuß und zu Maulthier auf köstlich wilden Felsenpfaden, oder im Nachen konnte man es erreichen. Die Reisenden versäumten freilich nicht Sorrent und Tassos Haus zu besuchen, nach Capri zu schiffen und über das Gebirg nach Amalfi zu ziehen – allein es geschah ohne den brutalen und alltäglichen Tumult einer staubigen Poststraße, ohne Wagengerassel und Peitschenknall, ohne die gräßlichen Bequemlichkeitserfindungen der gegenwärtigen Menschentransporte. Es gab Momente, Tage, in denen man sich abgeschieden von der Welt da draußen fühlen konnte, verzaubert auf irgend ein seliges Atlantis; und kamen Reisende, so liehen ihre Züge der Gegend ein gewisses malerisches Interesse: hier saßen elegante Frauen ganz befremdet auf Eseln – dort trieben kecke Reiter vergeblich bedächtige Maulthiere zu schnellerem Schritt an – dort saß unter einem Oelbaum eine Gruppe von malenden und zeichnenden Dilettanten – hier wanderten rüstige Fußgänger mit dem Ränzelchen auf dem Rücken – da kletterte ein Botaniker oder ein Mineralog mit den Ziegen um die Wette über Felsabhänge[] – hier hatte ein studirender Landschaftsmaler unter einem riesigen Sonnenschirm sein kleines ambulantes Atelier aufgeschlagen – das Alles betrachteten wir aus der Ferne als Staffage des wundervollen Gemäldes, mit dem ich, was Reiz und Lieblichkeit betrift, kein anderes vergleichen kann.

O ihr Tage von Sorrent! ihr wart die süßesten meines Lebens. Ja ja, ihr müßt es gewesen sein, denn in der Erinnerung und mit der unerbittlichen Kritik der Gleichgültigkeit vermag ich nichts aufzufinden was euch entzaubern könnte. Als ihr mich umfingt suchte ich nicht das unbekannte Gut, das mich zu rastloser, wilder, thörichter Pilgerschaft zu irgend einem geträumten Heiligenbilde trieb. Bei euch hatte ich die Oasis gefunden, in der sich die lechzende Seele auf Blumen bettete. Ueber euch wehten erquickende Lüfte, euch umrieselten frische Bäche, um euch gingen lichtere Gestirne auf. Ich vergaß zu fragen ob es Schöneres und Höheres gebe; ich genoß unbefangen das Dasein: darum war ich glücklich. Es war ein Sinnenglück – ja! eine Schwelgerei in den materiellen und doch ätherischen Essenzen, welche die Seele umfließen und tragen – ja! ein Genuß der Schönheit, die durch alle Poren wie ein magnetisches Fluidum drang und das Wesen in tiefere mystische Verbindung mit[] dem Wesen der Natur brachte – ja! Ich war ganz allein mit Paul; wir sahen Niemand, wollten Niemand kennen lernen. Die Natur mit ihren immer wechselnden Schauspielen ist keine Zerstreuung für zwei einsame Menschen, sondern bewirkt ihre innigere Vereinigung. Im contemplativen Genuß einer Mondnacht, eines Meersturmes, eines Sonnenuntergangs – oder bei Streifereien durch Schluchten und Thäler, über Felsen und Klippen – bei Wasserfahrten auf den phosphoreszirenden Wellen in heißer stiller Mitternacht – welche magische Berührungen gehen da von Seele zu Seele! mit einem Augenblitz, einem tieferen Athemzug, einem Wink des Fingers fliegen ganze Gedankenreihen, ganze Gefühlsketten mit elektrischer Spontaneität aus dieser Brust in jene! mit einem leise geflüsterten Wort thut sich eine Unendlichkeit für die Sehnsucht, ein Paradies für die Erinnerung auf! mit einem Kuß senken sich Extasen aus übersinnlichen Sphären in die Sinnenwelt hinein, wie Mond und Sterne sich zitternd ins Meer senken um verklärt daraus hervor zu stralen – wie die Sonne sich in lichte Wolken senkt um sie in Rosen und goldne Kugeln zu verwandeln – wie eine mystische Essenz in den Felsenspalt dringt um als Diamant daraus aufzuleuchten. – O ihr Liebenden! warum verlaßt [] ihr die Einsamkeit! nur einsam könnt ihr das Leben der Liebe leben – sobald ihr vom Leben der Welt gefangen seid, werdet ihr zu dessen Sclaven. Ihr müßt aufstehen und schlafen gehen wie die Andern, essen und trinken, euch kleiden und euch unterhalten, loben und tadeln, denken und sprechen, lieben und hassen wie die Andern! ihr müßt Besuche machen und empfangen, spazieren fahren, Billets schreiben, Romane und Zeitungen lesen, Toilette machen, Fadaisen hören, Banalitäten sagen – und das Alles verabscheut die Liebe! Bleibt doch einsam! – – – Und wenn wir's bleiben, wird sie uns nicht verlassen? – – Versucht es! – Vielleicht ist euer Herz ein »Gefäß der Ehrer« in welchem sich die himmlische Manna in primitiver Frische erhält. – – –

So lebten wir: mit der sinkenden Sonne begann unser Tag. Die Terrasse war durch Segeltuch in ein geräumiges Zelt – und dies Zelt durch bequeme Sessel und Ottomanen, durch große Tische mit Büchern und Portefeuilles, durch eine Harfe und viele Blumentöpfe in einen sehr bequemen Salon verwandelt. Da frühstückten wir um sechs Uhr Abends, und machten einen Spaziergang nach irgend einem Lieblingsplatz um den Sonnenuntergang zu sehen und die Abenddämmerung zu genießen. [] War es finster geworden, so kehrten wir heim; unser Zeltsalon war mit Lampen erleuchtet; ich spielte die Harfe, Paul las; wir trieben eifrig das Studium der italienischen Sprache in ihren Dichtern; wir übersetzten zuweilen eine Stanze Ariostos oder Tassos, ein Sonett Petrarcas; wir sangen zusammen deutsche Lieder und französische Romanzen. Nachts um drei Uhr speisten wir zu Mittag, bestiegen dann einen leichten Kahn und erwarteten den Aufgang der Sonne auf dem Meer. Mit dem Tage kehrten wir zum Lande zurück und machten einen größeren Spaziergang, bisweilen einen Ritt auf Eseln in die Berge. Die Hitze des Tages führte uns ins Schlafgemach. Es lag ein unsäglicher Zauber in dieser Existenz, die sich so ganz von der Alltäglichkeit losgerungen hatte und sich so sehr in einer poetisch traumhaften Region bewegte, daß alle Berührungen mit dem gewöhnlichen Leben von selbst aufhörten.

Dies dauerte so lange wir es ertragen konnten! es ist aber sehr gewiß daß man in dieser wechsellos glühenden Atmosphäre des feinsten Sinnengenusses die Energie verliert, welche des Genusses fähig macht. Ich ertappte mich zuweilen auf dem heimlichen Wunsch: Könnte ich doch urplötzlich in Kamtschatka sein und nichts um mich herum sehen [] als Schneefelder! das würde mir Nerven und Augen erfrischen. – Nerven und Augen schob ich vor; im Stillen fühlte ich daß dies die Aeußerung eines noch größeren intellektuellen Bedürfnisses sei, das nach irgend einer Darlegung der Thatkräftigkeit lechzte. Bemerkte ich in Paul eine ähnliche Regung, so kränkte sie mich. Ohne ein volles Genügen zu finden begehrte ich doch daß er es finden solle. In andern Augenblicken hingegen, bei Gesprächen über Aussichten für seine Laufbahn oder über Zukunftspläne – wenn er da nicht ganz auf meine hochfliegenden Träumereien einging weil er die Verhältnisse richtiger beurtheilte als ich – oder wenn er sagte:

»Laß uns nicht die Paar süßen friedlichen Tage durch Unruh des Ehrgeizes verkümmern;« – so schien mir wiederum seine geistige Spannkraft erschlafft, und ich fand darin einen bittern Vorwurf der Unvollkommenheit unsrer Liebe. Einmal hub ich an:

»Paul, sage mir: liebe ich Dich?«

»Ich hoffe es!« entgegnete er lächelnd.

»Und liebst Du mich, Paul?«

»Gewiß, Sibylle!«

»Woran erkennst Du daß Du mich liebst?«

[]

»Daran, daß Du mein dominirender Gedanke bist, Sibylle – daß mein inneres Leben in Deinem Besitz zu einem Abschluß mit sich selbst gekommen ist und eine Regel gefunden hat: Dein Glück.«

Ich schwieg und starrte vernichtet in die See hinaus, denn ich vernahm eine in mir flüsternde Stimme: Aber du Paul bist nicht mein dominirender Gedanke – aber mein inneres Leben hat in deinem Besitz keinen Abschluß mit sich selbst gefunden! .... Wie ein entstellendes Echo hallten diese Worte in mir wieder. Mir war als sei ein Schleier von einem Abgrund in mir selbst weggezogen, und betäubt starrte ich in ihn hinein. Ach, es war ganz richtig! Paul hing mit seinem Herzen an mir – darum beherrschte ich ihn; und ich hing an der Idee der Liebe – nicht an Paul. Ich wollte durch die Liebe die ganze sinnliche und übersinnliche Welt ergründen, erkennen und umfassen; sie sollte mich wie Dante in mystisch erhabene Geheimnisse weihen, mich Ariosts zauberische Verführungen, Tassos romantischen Schwung, Boccaccios lockende Ueppigkeit lehren und sie genießen lassen; sie sollte mir Lorbeer- und Stralenkrone, unter welchen sich Dornen verbergen, ums Haupt flechten, wie dem Petrarca. Das erwartete ich von der Liebe; sie [] war meine dominirende Idee. – Wie soll das werden? murmelte ich vor mich hin.

»Hast Du Dich besonnen daß Du mich liebst, mein Engel?« fragte Paul nach einer Weile.

Ich konnte nicht antworten, ich war gelähmt, erstickt durch das plötzlich erwachte Bewußtsein eines großen innern Elends. Ich hatte meinen Kopf an die Harfe gelehnt auf der ich gespielt, und an die ich mich jezt mit beiden Armen klammerte, weil mir war als thue sich der Felsen unter mir auf. Paul sprang auf, lehnte die Harfe zurück, richtete mich in seinen Armen empor und führte mich zur Balustrade der Terrasse damit ich freiere Luft schöpfen möge.

»Kind! Kind! sprach er zärtlich, Du ängstigst mich! es gehen Dir Stürme von Leidenschaft durch die Seele, die Dich zerbrechen müssen.«

»Das ist wahr! entgegnete ich beklommen, aber laß sie nur austoben! jeder Mensch muß durch die Gewitterjahrszeit seines Lebens hindurch. In mir ist unmäßig viel Unklarheit – das erzeugt eben die Gewitter. Aber glaube nur Paul, daß Eines mir klar ist: Dein Glück soll auch die Regel meines Lebens sein.«

Und gleich jedem unsrer Gespräche ging auch dieses am Kuß unter. – – – Aber mich überfiel [] seitdem in Pauls Armen zuweilen ein maß- und namenloses Entsetzen, ein Grauen das mich bis in die Haarspitzen durchrieselte, weil ein Gespenst in mir auftauchte das lautlos doch vernehmlich sprach: Du liebst ihn nicht! – Ich verfiel darüber in unsinnige Traurigkeit, ich erschöpfte mich in Beweisen der Zärtlichkeit, ich ersehnte schwierige trübe Zustände um sie in andrer Form ihm zu bethätigen. Unsre holdselige Abgeschiedenheit wurde mir ganz lästig, und als wir Sorrent Anfang Oktobers verließen, war ich übersättigt vom Liebesrausch!

Wir kamen nach Engelau. Ach, wie war es dort so einsam und traurig. Eltern und Geschwister todt, die Freunde und Pfleger meiner Jugend fort, Miß Johnson in England, Sedlaczech auf Reisen! wie viel Gräber unter – und leere Plätze auf der Erde! Nur unser alter Hofmeister empfing uns, aber sehr niedergeschlagen, denn er fühlte sich verwaist an dem Ort der ihm zwanzig Jahre lang lieb wie eine Heimat gewesen war. Der Tod meiner Mutter berührte mich hier viel tiefer, als in dem Augenblick wo ich die Nachricht empfing. Damals machte er mir nur den Eindruck eines schmerzlichen, jedoch unvermeidlichen und längst vorhergesehenen Ereignisses; hier, an diesem Ort wo sie stets gelebt und den sie so heiß geliebt hatte[] – der Alles umfing woran je ihr Herz gehangen: hier war mir zu Sinne als stände ich immerdar an ihrem Grabe, als wäre ganz Engelau der große traurige Sarg, der ihren Staub umschloß und der selbst bald in Staub zerfallen müsse. Urplötzlich von Sorrents lachender Küste im Spätherbst an die stürmischen Gestade der Ostsee versetzt, grauete mir vor den Nebeln, den kahlen Bäumen, dem Gekrächz der Krähen, dem hohlen Sausen des Windes, der grauen Färbung der Landschaft. Hier hatte ich leben, lieben, fröhlich sein können? .... ich begriff es nicht mehr! mein verwöhntes Auge blickte befremdet umher und traf überall auf Kälte und Leere. Ich drängte Paul zur Abreise nach England; ich stellte ihm vor, daß in dieser Jahreszeit mit jedem Tage die Unbehaglichkeit der Ueberfahrt wachse, daß sie gefährlich werden könne; daß er Gefahr laufe ganz aus der Carriere zu kommen, wenn er sich so wenig pünktlich und eifrig im Dienst erweise. Paul wünschte um Nachurlaub zu bitten und den Winter mit mir in Engelau zu verbringen, theils um die Verhältnisse meines Vermögens und die Art kennen zu lernen in welcher dasselbe verwaltet würde, theils um in Folge unsrer übermäßigen Reiseausgaben auf dem Lande eingeschränkt zu leben. Aber unsre sorrentinische [] Einsamkeit hatte mich auf lange Zeit mit der Einsamkeit überhaupt abgefunden, und überdas war in mir der tumultuarische Drang das Leben nach allen Seiten hin kennen zu lernen, welcher sich nun einmal nicht in Engelau befriedigen ließ. Paul gab nach – wie immer, mit einer Güte, einer freundlichen Nachsicht, wie nur der Starke sie für den Schwachen haben kann. Aber es rührte mich nicht! ich glaubte nur Recht zu haben. Ich hatte eben kein Herz und lebte nicht mit und von dem Herzen, sondern für meine Träume.

Wolbehalten langten wir in London an. Ich hatte die besten Vorsätze gefaßt mich von jedem Luxus fern zu halten und mich in der Einrichtung meines Hauses und meiner Toilette auf die schlichten Ansprüche des Anstandes zu beschränken. Den Luxus der Pracht glaubte ich vermeiden zu können und mied ihn auch; aber ach! der Luxus des Comfort war viel verführerischer und auch viel unwiderstehlicher, weil er wie eine Nothwendigkeit aussah. Unser Haus war weder groß noch prächtig; allein ich mögte es in seiner koketten Elegance mit dem Anzug einer schönen Frau vergleichen bei welchem von der Haarnadel an bis zum Schuh herab die feinste und ausgesuchteste Wahl geherrscht hat. Ebenso ging es mit meiner Toilette. Ich wollte [] durchaus nichts Prächtiges; nur Stickereien – nur Spitzen – nur jene allerliebste leichte Waare, welche die französische Sprache so außerordentlich bezeichnend »Chiffons« nennt. Was die Kostbarkeit dieser Sächelchen erhöhte war, daß ich sie nun gar aus Paris kommen ließ, weil mir der englische Geschmack in dieser Richtung nicht zusagte.

Ich war schön, elegant, fand mich mit großer Leichtigkeit in den englischen Manieren zurecht, sprach geläufig englisch; meine große Jugend interessirte einige ältere Frauen der ersten Gesellschaft für mich, welche mich protegirten und hoben bis ich auf eigenen Füßen stehen konnte, was – Dank jenen Eigenschaften! – sehr bald geschah. Als diese gleichsam materiellen Erfodernisse nach allen Seiten hin überwunden waren – sah ich mich um: Was nun? – – Ich hatte gar keinen genügenden Wirkungskreis; meine selbstgewählten Beschäftigungen waren keinesweges aus innerer Nothwendigkeit hervorgegangen; Lectüre und Harfenspiel füllen müssige Stunden, aber kein leeres Leben, Besuche, Spazierritte, Soireen sind mehr Zeiteintheilungen als Ausfüllung der Zeit. Ich wünschte glühend für Paul etwas thun, ihm nützlich sein zu können. Ich war ihm behülflich die Zeitungen zu lesen und aus diesen englischen, französischen,[] deutschen Papiermassen die Notizen auszuziehen, die irgend ein Interesse boten. Hätte mein Verstand eine positivere Richtung gehabt, so würde er sich unzweifelhaft bei meinem Heißhunger nach Beschäftigung auf die Politik geworfen und in deren Combinationen ein Feld für die geistige Regsamkeit gefunden haben. Aber für mich waren Whigs und Tories nichts Anderes als die weißen und die schwarzen Figuren welche sich auf dem Schachbrett Treffen liefern, die von List, Feinheit, Intrigue, Benutzung fremder Schwäche dirigirt werden. Meinem armen Kopf fehlte die Capacität um Staatsfragen verfolgen zu können. Doch habe ich, vielleicht veranlaßt durch Pauls Vorliebe oder auch durch den ersten Eindruck den in dieser Beziehung meine Unerfahrenheit hier empfing – eine große Achtung, einen fast unwillkürlichen Respect vor den englischen Staatsformen bekommen und bewahrt. Dadurch daß die englische Adels-Aristokratie nie ihre Reihen schließt, und Männer von wahrem und ernsten Verdienst, gleichviel von welcher Herkunft, bereitwillig zwischen sich aufnimmt, ist sie eine durchaus organische Institution, die im Schooß des Volkes, im Grund und Boden des Landes Wurzel geschlagen und dessen edelste Kräfte in würdiger Weise sich einverleibt hat. Sie [] ist nicht zu einer Kaste mumificirt, sondern frische Säfte und junges Blut strömen unablässig ihr zu, und weil sie so kräftig ist, darum ist sie auch populär, denn sie flößt Vertrauen ein. Rastloses Streben liegt in der Natur des Menschen; aufwärts streben veredelt sie; diesen Spielraum nach oben hat die englische Aristokratie den übrigen Classen der Gesellschaft gelassen, und daraus entspringt für diese der Sporn des Ehrgeizes. In Deutschland hat der Adel nicht verstanden diese edle und weise Stellung einzunehmen und ist durch Käuflichkeit der Adelsbriefe völlig erniedrigt. Das macht ihn unpopulär; dadurch versiegt ihm der Zufluß der Lebenskräfte, und indem er sich selbst gleichsam die Wurzeln in mütterlicher Erde abgeschnitten, hat er auf die übrigen Classen fürchterlich nachtheilig gewirkt: er hat ihnen Neid eingeflößt! Können sie nicht aufwärts – wolan, so zerren sie abwärts! Diese Richtung entadelt beide Theile. Weil Alles allgemein sein soll, drum wird es gemein: das ist die Basis des Nivellirungsystems! in starrer Abgeschlossenheit scheelsüchtig und mißgünstig, ohne Athem zum Wettlauf verharrt der Adel in einer Stellung die hunderttausend Blößen bietet.

Dieser schiefen Position wegen fühlte sich Paul höchst unbehaglich in Deutschland. Seine Gesinnung[] war viel zu hoch und viel zu klar um ihn zum Ueberläufer zur Partei der Demagogen zu machen, welche damals an der Tagesordnung war. Diese Projecte von Republiken, von Bürgerthum widerten ihn an, weil er in diesen Staatsformen nur den Uebergang zu absoluten und despotischen Monarchien sah, gegen welche die Aristokratie eine heilsame und nothwendige Schranke zieht. Darum hielt er immer das aristokratische Princip aufrecht; allein er verhehlte sich nicht, daß man es in Deutschland nicht verstand oder mißverstand, und daß in Hofjunkern und Landjunkern kein belebendes Element der Aristokratie zu suchen sei. Sein Lebensplan war der: sich in England durch seine diplomatische Stellung gleichsam einzubürgern und alle zwei oder drei Jahr nach Deutschland zu gehen um seinen Vater zu besuchen und um die Güter in Holstein zu inspiciren. Die Vorstellung war ihm unerträglich die Beamten-Carriere machen oder in den Hofdienst treten zu müssen, oder in diplomatischer Stellung an einen deutschen Hof zu kommen. Das wußte ich, denn es war der Gegenstand häufiger Gespräche; ich theilte Pauls Ansichten, ich bestärkte ihn darin; ich dachte es mir gräßlich auf Paris, Rom und London einen Aufenthalt in kleinen Landstädtchen wie Cassel etwa [] oder Carlsruh folgen zu lassen. Dennoch richtete ich den Zuschnitt unsers Hauses und unsers Lebens so kostspielig ein, daß die Unmöglichkeit ihn durchzuführen vorauszusehen war. Was half es daß ich jeden Morgen mit unserm Steward und jeden Abend mit meiner Kammerfrau Rechnung hielt und abschloß! Was half es daß ich jede Ausgabe höchst pünktlich in mein Rechnungsbuch eintrug! – Nicht das genaue Verzeichniß der Ausgaben, sondern die Beschränkung der unnützen macht die gute Hausfrau aus. Paul war zu nachsichtig gegen mich; jeden Einfall ließ er hingehen; immer gab er seine Ansicht, seine Wünsche gegen die meinen auf.

Nachdem im ersten Jahr unsers Londoner Aufenthaltes das Parlament geschlossen und die Season vorüber war, schlug er mir vor auf drei Monate nach Engelau zu gehen; aber ich bat um eine Reise durch Schottland – und wir machten sie. Im zweiten Jahr wünschte er dringend die Reise nach Holstein, aber ich noch viel dringender den Besitz einer kleinen Privat-Yacht. Sie wurde gekauft, bemannt, eingerichtet, und wir machten mit ihr eine Reise längs der französischen Küste von Boulogne bis Brest, und die Fahrt rund um Irland herum. In den Hafenstädten verließen wir die Yacht und machten Streifzüge ins Land hinein. [] Im dritten Jahr bereisten wir auf gleiche Weise die Küsten der pyrenäischen Halbinsel. Als wir im Spatherbst nach London zurückkamen empfingen uns die übelsten Nachrichten aus Holstein. Es war ein schlechtes Jahr gewesen, die Schulden hatten sich gehäuft, ein Paar Gläubiger waren mißtrauisch geworden und verlangten Auszahlung ihrer Capitalien, zwei Pächter hatten den Jahreszins nicht gezahlt, der Verwalter des Hauptgutes Engelau hatte sich dem Trunk ergeben während seine Frau ihr Schäfchen ins Trockne gebracht und sich in Meklenburg ein schönes Landgut gekauft hatte; kurz die volle Verwirrung der Zustände war eingetreten, die mit Verschwendung und Verwahrlosung von Seiten des Herrn überall Hand in Hand geht. Mein Geschäftsführer schrieb mir warnende Briefe, mein Schwiegervater schrieb fulminirende an Paul; der Sinn von dem Allen war – daß uns ein Concurs bedrohe.

In vier Jahren hatte ich es dahin gebracht! bei neunzehn Jahren hatte ich es möglich gemacht mein Vermögen, das Vermögen einer alten wolbegüterten Familie zu compromittiren, und vielleicht – Pauls Zukunft zu zerstören!

Paul machte mir keine Vorwürfe und berührte mit keinem Wort weder diese Möglichkeit noch die [] Vergangenheit. Ich umschlang ihn ganz bewildert und rief:

»Aber Paul, was können wir denn thun?«

»Wir müssen nach Deutschland und in Engelau leben – – sagte er sanft und fügte beruhigend hinzu als mir die Thränen aus den Augen stürzten: Nur vor der Hand .... wie ich glaube, meine Sibylle.«

»O Paul! rief ich, warum hast Du Deine bessere Einsicht nie mir gegenüber geltend gemacht?«

Er sah mich traurig an und erwiderte:

»Weil ich schwach gegen Dich bin.«

»Leider!« flüsterte ich vor mich hin.

»Du machst mir diesen, Vorwurf!« rief er schwankend zwischen Zorn und Schmerz.

»Ja Paul, sagte ich und küßte seine Hand, das ist immer so: wer Unrecht hat mögte die Schuld von sich ab und auf einen Andern wälzen.«

»Wer könnte Dir zürnen, Engel? entgegnete Paul. Wenn es ein Fehler ist zu liebenswürdig zu sein, so hast Du ihn! Du siehst, auch ich will meine Schuld von mir ab und auf Dich wälzen.«

Paul nahm Urlaub auf ein Jahr. Wir gaben unser Haus auf, verkauften unsre ganze Einrichtung, die wir vor drei Jahren mit solcher Sorgfalt gemacht hatten, entließen unsre englischen Dienstboten, [] und schifften uns Ende Novembers nach Hamburg ein.

Diese drei Jahr in London waren mir schwer gewesen! – Wie einst in Sorrent daß ich Paul nicht liebe: so hatte ich jezt erkannt, daß ich ihn dominire ohne ihn doch eigentlich zu beglücken. Ich hatte ihn mit ich weiß nicht welchem Zauber umsponnen, der ihm zugleich süß und doch schwer war, der ihn eigentlich mehr magnetisirte als befriedigte. Ich hatte seinen Lebensplan durchkreuzt – ich veranlaßte ihn in großer Einschränkung und mit widerwärtigen Geschäften wenigstens ein ganzes Jahr und vielleicht noch länger auf dem Lande zu leben – ich erfüllte nicht seinen heißesten Wunsch, denn ich war nicht Mutter; – und dennoch liebte er mich! Es giebt fatalistische Leidenschaften! sie bemächtigen sich eines Menschen, und Alles was sie sonst tödtet, dient nur dazu sie in ihm zu entzünden. Paul hofte Kinder zu haben, hofte die Vermögensverwickelungen zu entwirren, hofte seine Laufbahn seinen Wünschen gemäß fortzusetzen, und wenn ich ihn fragte:

»Wie kannst Du immer so muthig sein?« so erwiderte er:

»Weil ich Dich liebe.«

Gott, wie mich das rührte! – Unser Herzensverhältniß [] war dadurch ganz eigenthümlicher Art; denn ich liebte ihn nicht, er imponirte mir nicht, es gab Momente wo ich mich ihm überlegen fühlte, weil ich das Bewußtsein hatte ihn lenken zu können; und dennoch hing ich mit Zärtlichkeit, ich mögte sagen mit Wehmuth an ihm. Er war mir nicht geworden was ich von einem Gatten, einem Geliebten geträumt hatte; da er aber so gut und edel war betrübte seine Unvollkommenheit mich nur und nie fühlte ich mich versucht bei einem anderen Mann eine höhere Vollkommenheit zu suchen. Es wurden mir viel und flammende Huldigungen dargebracht: sie rührten mich nicht. Ich blieb kalt wie Eis, nicht aus Tugend, nicht vorsätzlich, sondern nur weil ich nichts Verlockendes in ihnen fand. Ich hatte meine Erwartungen von den Männern in früher Jugend so hoch gespannt, daß sie denselben nicht entsprechen konnten; und ich selbst war jung genug um noch nicht meine eigenen Erwartungen vergessen zu haben. Ueberdas graute mir vor der Untreue, der Lüge, der Intrigue, der Angst und Verzweiflung, welche im Gefolge jeder pflichtwidrigen Neigung sich einfinden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß wahre Liebe sich unter diesen entwürdigenden Umständen Platz machen und entwickeln könne. Ueberdas hatte meine Phantasie [] eine ganz andre Richtung genommen; ich dachte an nichts – als an Mutterglück! und Alles was ich that und trieb und unternahm, geschah um mich gegen diese heiße ungestillte Sehnsucht zu betäuben. So schien es mir damals. Vielleicht war das aber auch nur ein unbewußter Vorwand um meine Unstetigkeit zu beschönigen! – Genug: ich vertiefte mich jezt in ebenso regellose Phantasien der Mutterseligkeit, wie ehedem in die Seligkeit Helden und Halbgötter auf jedem Schritt und Tritt zu finden. Das gab mir etwas Träumerisches, Schwermüthiges, und dieser geistige Trauerflor bildete mit meiner Jugend einen auffallenden Contrast.

Wer sich mir mit unverholener Huldigung genähert hatte war Graf Otbert von Astrau. Diesen Namen nennen heißt einen berühmten Mann bezeichnen, dem die Mitwelt und vielleicht die Nachwelt einen ehrenvollen Platz aufbewahrt. Ein Dichter betrachtet das Leben mit anderem Auge als wir übrigen Menschenkinder. Jezt habe ich das erkannt. Darum kann ich auch unparteiisch von Otbert sprechen. Er kam nach London. Seine Ankunft war uns lange vorher verkündet; seine Gedichte waren auch in England bekannt und geliebt. Man war gespannt auf seine Erscheinung, ich, die Deutsche, natürlich noch mehr als die [] Uebrigen, denn seine Gedichte hatten mich bezaubert. Otbert kam mitten in der Season und brachte an Paul ein halbes Dutzend der dringendsten Empfehlungsschreiben. Dadurch wurde er ein täglicher Gast in unserm Hause. Sein Ruhm, sein Name, seine Persönlichkeit bahnten ihm einen Siegerpfad in der Gesellschaft. Er war höchstens siebenundzwanzig Jahr alt und so recht in der Sonnennähe seiner poetisch-lyrischen Entfaltung; außerdem schön, geistreich, liebenswürdig, brillant – geschaffen um alle Frauenköpfe zu verdrehen. Das that er denn auch nach besten Kräften! nur der meine saß fest.

Ich stand in stummer Bewunderung ganz fern und demüthig, und staunte das Meteor an, das über meinen Lebenshimmel dahinzog. Natürlich hatte ich mir unter einem Dichter ein begeistertes prophetisches Wesen mit Sehergaben, mit der Intuition der Seelen und der Zukunft vorgestellt. Meine Bewunderung ging in Verwunderung über, als ich einen brillanten, eiteln und koketten Mann fand, der im Salon glänzen und die Frauen erobern wollte. Beides gelang ihm, und die Siegesgewohnheit machte ihn zum Fat. Seine Schaustellung erkünstelter Gefühle, das halbe Dutzend von Passionen, welche er im Lauf einer Season erregte, bald theilte, bald nicht theilen konnte – machte [] mir einen widerwärtigen Eindruck, und oft sagte ich zu Paul:

»Wie schade daß ich Astraus persönliche Bekanntschaft gemacht habe! mir ist der glühende Frühling seiner Poesie wie in Schneeflocken untergegangen.«

»Was ist Dir nicht schon untergegangen, arme kleine Sibylle!« entgegnete Paul einmal mit gutmüthigem Spott.

Ihm gefiel Astrau außerordentlich. Dieser hatte Männern gegenüber nicht die geringste Eitelkeit, weder Ansprüche noch Launen; er sparte sich das Alles für den Verkehr mit Frauen auf. Er ritt, er schoß, er jagte, er schwamm, er spielte, er plauderte, er erzählte – genau wie alle Uebrigen, nur mit einem so unmerklichen Anflug von Superiorität, daß Keiner sich verletzt dadurch fühlen konnte und daß Jeder seine Freude an dem geschickten Gegner oder Gefährten haben und doch dabei denken durfte: er werde dennoch einmal zu übertreffen sein.

Ich war so still und schweigsam im Umgang mit Astrau – Anfangs aus Andacht später aus Gleichgültigkeit – daß ich ihm ziemlich unbedeutend erscheinen mogte; er beschäftigte sich gar nicht mit mir. Wir verließen London früher als er um unsre erste Reise in meiner geliebten Yacht zu machen [] und als wir wiederkehrten war er fort und – wie das im Leben der großen Welt nicht anders ist – halb vergessen.

Aber eine Frau hatte ihn nicht vergessen, und das war meine Freundin Arabella –gh. Ich nenne sie Freundin, weil es die Frau ist, die mich am Meisten angezogen hat von allen Frauen die ich je gekannt – nicht durch Sympathie, sondern durch den schneidenden Gegensatz unsrer Charactere. Der Grund der Dinge und das Wesen der Erscheinung war ihr gleichgültig; nur die Oberfläche lockte und reizte sie, und mit besinnungsloser Genußsucht, die sich zu schwärmerischer Leidenschaftlichkeit steigern konnte, gab sie sich derselben hin. Sie hatte weder Tiefe, noch Ernst, noch Treue, folglich keine Würde im Character; aber die unglaubliche Wärme mit der sie sich den Eindrücken hingab und sie aufnahm, lieh ihr eine bezaubernde Innigkeit. Sie hatte die Flatterhaftigkeit und die Anmuth eines Schmetterlings. Man konnte ihr nicht zürnen und am wenigsten wenn sie es am meisten verdiente – nämlich wenn sie sich selbst anklagte. Die Selbstanklage sobald sie sich einem Andern gegenüber wiederholt und häuft, verhält sich zur wirklichen Reue, wie sich ein aus Schwäche thränendes Auge zur wirklichen Thräne verhält. [] Aber Arabella war nun einmal unwiderstehlich in ihrer Schwäche! sie ist die einzige Frau die mich je interessirt hat – vielleicht weil sie sich mit rührender Demuth an mich schmiegte, vielleicht weil ich wähnte sie ruhiger und pflichtgetreuer zu stimmen, vielleicht weil alle andern Frauen mich stets gelangweilt haben.

Astrau war der erste Mann, der ihr nicht Zeit gelassen hatte ihn zu verlassen; er war ihr zuvorgekommen. Diese Ueberraschung berührte sie in so neuer Weise, daß sie ihr Herz tödtlich verwundet glaubte. Ich fand sie tief niedergeschlagen, blaß, abgehärmt; sie sprach davon die nächste Season auf dem Lande zuzubringen, London und die Welt zu fliehen. Otbert und immer Otbert war ihr drittes Wort; sie nahm keine Huldigung an, sie zeichnete keinen Mann aus. Ich wünschte ihr Glück daß ihr inneres Leben eine ernstere Richtung genommen. Indessen kam die Season heran und siehe da! ein Brief Astraus an Paul verkündete seine nahe Ankunft. Ich theilte Arabellen ganz besorgt diese Nachricht mit, und rieth ihr jezt aufs Land zu gehen um jede Begegnung zu vermeiden.

»Was fällt Dir ein! rief sie lebhaft. Ich sollte gehen wenn er kommt? sollte die Gelegenheit meiden ihn zu sehen? O nein, jezt bleibe ich gewiß.«

[] »Daraus werden für Dich qualvolle und für Astrau peinliche Augenblicke entspringen, meine arme Arabella! .... Laß doch geschieden sein was einmal gebrochen ist.«

»Ach, Du hast nicht geliebt .... nicht ihn geliebt, Sibylle! sonst würdest Du begreifen, daß ich gern bereit bin mit unsäglichen Qualen das Glück ihn zu sehen zu erkaufen!« rief Arabella, und Flammen und Thränen funkelten zugleich in ihrem großen, sammetschwarzen Auge, und die schwarzen Locken rieselten so weich auf die zarten Schultern herab, daß ich hingerissen von ihrer Schönheit und Grazie unwillkürlich ausrief:

»Warum hat Dich Astrau aber verlassen?«

»In der Liebe giebt es keine Antwort auf ein solches Warum,« sprach sie resignirt.

Astrau kam und war unverändert der Alte. Bei seiner ersten Begegnung mit Arabellen, welche sie bei mir zu veranstalten gewußt, benahm er sich vortreflich – ich mußte es gestehen – ruhig, ernst, ohne erzwungene Freundlichkeit, ohne übertriebene Kälte, während sie eine stumme Scene machte, weinte, in mein Cabinet ging, wiederkam – was mich in Verlegenheit gebracht haben würde, da ich mit ihnen Beiden allein war, wenn Astraus Haltung nicht unbewegt geblieben wäre.

[] Endlich verließ uns Arabella. Ich begleitete sie bis ins Vorzimmer und sagte ernst:

»Welch ein unpassendes Benehmen!«

»Schweig! rief sie heftig, was weißt Du von Liebe? ... liebe ihn, und dann urtheile über mich.«

»Gott behüte mich!« rief ich und kehrte in den Salon zurück ganz erleichtert durch Arabellas Entfernung. Mein Gesicht mußte diese Empfindung verrathen, denn Astrau sah mich an und sagte:

»Ists nicht Jammerschade daß eine so liebliche Frau wie Lady Arabella es dahin bringt?«

»Wohin? .... ich habe nichts gesagt!« stammelte ich verwirrt.

»Ich habe mir nur erlaubt Ihrem Ausdruck Worte zu leihen.«

»Auf eine Conversation durch Mienen und Blicke kann ich mich nicht einlassen, Graf Astrau.«

»Fürchten Sie die Wahrheit so sehr? fragte er mit einem unglaublich feinen Ausdruck. Wesen wie Sie sollten sie nicht fürchten.«

Mir mißfiel dies Compliment und ich sprach kühl:

»Ich fürchte weder die Wahrheit noch sonst irgend etwas auf der Welt.«

»Ah bah! das ist eine kleine Prahlerei! Sie werden doch das Gewitter fürchten ... oder den [] Tod .... oder die Leidenschaft .... oder doch eine unschuldige Maus oder Spinne« .... – –

»Nichts von dem Allen, Graf! ... aber doch etwas Andres – die Langeweile! die hatte ich vergessen« .... – –

»Bis ich Sie daran erinnerte! rief Astrau. Aber glauben Sie denn daß ich mich nicht vor der Wahrheit fürchte?«

»Ah bah! das ist eine kleine Prahlerei! parodirte ich ihn. Wahrheit ist Sonnenlicht, und das bedarf der Dichter in seiner Seele .... und zu einer Glorie! – nicht wahr?«

»Schwärmerin! sprach er sanft. Wie denken Sie sich denn eigentlich den Dichter?«

»Genau so wie Sie nicht sind,« erwiderte ich schnell.

»Wollen Sie mir absichtlich weh thun, gnädigste Frau?« fragte er mit Kälte.

»Wie käme ich dazu? sprach ich noch kälter. Aeußerlich warm, schlicht und wahr, innerlich durchflutet vom Strom großer Gedanken und vom Sturm hoher Leidenschaften – daher unfähig kleinlicher Gedanken und dürftiger Gefühle: so denke ich mir den Dichter und so sind Sie nicht.«

»Sagen Sie lieber: so ist er nicht.«

[] »Weil Sie nicht so sind? fragte ich spottend. Das hieße doch dem Dichter Unrecht thun.«

Astrau sah mich starr an: »Und dies Alles .... weil ich Lady Arabella nicht liebe?«

»O Gott! rief ich lachend, wir verstehen uns ja gar nicht, guter Graf! ich spreche von meinem Dichterideal, und Sie halten mich für einen Advokaten!«

»Lassen Sie mir die Hofnung daß wir uns verständigen werden,« sprach Astrau und Besuche störten dies Gespräch, das erste welches mir eine Erinnerung zurückließ. Seitdem unterhielten wir uns viel. Ich kann nicht sagen daß Astrau sich ausschließlich mit mir beschäftigt hätte, allein er war für keine andre Frau aufmerksamer. In dieser Season spielten die Passionen der Damen für ihn keine so große Rolle als in der vorigen; das stand ihm besser. Uebertriebene Huldigungen geben dem Gegenstand derselben immer etwas Lächerliches – denn wahre Liebe, wahre Bewunderung, wahre Ehrfurcht werden nie in kindisch albernen Fetischdienst ausarten. Ihrer Natur nach sind sie wie alle Innerlichkeit schweigsam, ernst und gehalten, und nur in gewichtigen Momenten geben sie ihre Macht und Tiefe kund. Es ist ein großes Unglück wenn talent- und genievolle Menschen wie Astrau,[] durch die Gesellschaft zum »lion of the day« gemacht werden und sich dazu hergeben. Statt ihr Leben zu leben spielen sie nur ihre Rolle.

Weshalb Graf Astrau anfing sich mit mir zu beschäftigen weiß ich nicht; glaube aber deshalb: weil ich so ungewöhnlich gleichgültig für ihn und überhaupt für Alles war. Das Leben trug nicht die Glorie von Glanz, Glut, Majestät und Wonne, nicht den Purpurmantel, nicht die Rosenkrone, nicht den Sternenschleier womit ich dessen heilige Gestalt in meinen Kinderträumen auf den grünen Hügeln von Engelau ausgeschmückt hatte. Es kam mir Alles so mittelmäßig vor! ich kannte manche gute Menschen – doch sie hatten große Fehler! manche kluge – doch sie hatten große Schwächen! Ich sah wol daß recht viel und mitunter auch recht Tüchtiges gethan wurde; aber es wurde nichts Großes geleistet wie ich mir das Große dachte: im gottbegnadeten Individuum als eine neue Sonne aufgehend zu der die Menschheit betet. Ich sah mir die Liebe an zwischen den Menschen: hatte sie Schwung, so brauchte sie ihre Flügel um bald zu entfliehen; – hatte sie keinen, so blieb sie wie sie war, matt und lahm; – für junge Herzen war sie ein Rausch, für alte ein Irrthum, eine Krankheit, ein Traum – zuweilen, aber ganz ausnahmsweise! [] ein tiefer Ernst, der mit fürchterlichen Schmerzen, mit trostlosen Erfahrungen, mit Märtyrerleiden erkauft werden mußte. Ich sah mir den Genius an zwischen den Menschen: auch an seinen vollkommensten Schöpfungen haftete Staub; und Neid, Verleumdung, blinder Haß, Fetischdienst umschwirrten und verdunkelten ihn – während nun gar der Träger des himmlischen Funkens ein schwacher Sterblicher gleich uns Anderen war! – –

Da weder die That, noch die Liebe, noch das Genie sich zu jener ätherreinen Höhe aufschwang, die so hoch ist, daß es unter ihr weder Aufgang noch Niedergang giebt, weil sie Ruhe in der Einheit des ganzen Wesens gewährt: so mußte ich darauf gefaßt sein in den untergeordneten Richtungen und Sphären des Seins noch größeres Stückwerk, noch mehr Zersplitterung und Mangel an Zusammenhang zu finden; – und ich fand sie! Es befremdete mich nicht. Wer Paläste zusammenstürzen sieht erstaunt nicht wenn Hütten einfallen.

Die Aufgabe meines Lebens wäre also gewesen: mich in der Mittelmäßigkeit zurecht zu finden, und sie in mir und in meinem Kreise bis zu dem ihr gegönnten Grad von Vervollkommnung auszubilden. Dies ist überhaupt die ganz allgemeine Aufgabe jedes Menschen, und wer schlecht und recht, warm [] und wahr, mit klarem Kopf und redlichem Willen an ihr arbeitet, löst sie theilweise gewiß – wenn auch mit blutender Hand und mit blutendem Herzen. Aber ich hatte mich viel zu tief in ein phantastisches Traumdasein eingesponnen um jenes zu versuchen. Hätte Paul mich aufgerüttelt und aufgeweckt, hätte er irgend etwas Bestimmtes, Schweres von mir verlangt, so mögte ich zur Besinnung gekommen sein und mich ermannt haben. Jezt fühlte ich mich beständig wie in einer grauen Dämmerung, die man verschlafen und verträumen müsse. Die Spiegelbilder meiner Träume waren dann einzelne Handlungen, die ich unsinnig nennen muß, weil sie das Gleichgewicht meiner Verhältnisse störten – wie meine kolossale Wolthätigkeit und meine Liebhaberei für Wasserfahrten im großen Styl das ganz natürlich mit sich brachten. Für die Welt mit ihren Freuden und Genüssen war ich gleichgültig. Die fürchterliche Oberflächlichkeit ihres Lobes, ihres Tadels, ihres Beifalls, ihres Urtheils überhaupt, widerte mich an.

»Armer Graf! sagte ich einmal zu Otbert, der mit trivialen Lobeserhebungen überschüttet worden war; – wie bewundere ich Sie daß Sie nicht gähnen.«

»Gähnen wenn man mir angenehme Sachen mit[] freundlichem Lächeln und holdem Blick sagt? – wie unnatürlich wäre das! Kann ich denn etwas Anderes wünschen als die Seelen zu erfreuen? und wenn die Lippen stumm für mich bleiben, wie soll ich erfahren ob es mir gelungen ist?«

»Das muß Ihr Genius Ihnen sagen.«

»Gnädigste Frau, mein Genius thut genug für mich indem er mir meine Poesien zuflüstert. Sie hinterdrein auch noch zu loben ist nicht mehr sein Fach; – das überläßt er Anderen und ich habe dies Lob von Anderen nöthig – nicht um zu dichten, aber um mich dieser Gabe mit Freude hinzugeben. Empfindungen zu wecken, Gedanken anzuregen ist mein Streben: Lob und Dank sind mir Bürgschaft des Gelingens.«

»Ja, wenn ein würdiger Areopag sie Ihnen darbrächte! aber diese Leute – was wissen die von Poesie!«

»Und was wissen Sie mehr von ihr?« fragte Astrau höchst ungeduldig.

»Ich weiß daß Poesie ein Dreiklang ist, dessen Töne Liebe, Sehnsucht und Gebet heißen.«

»Sie wissen himmlische Geheimnisse, nahm Astrau nach einer langen Pause das Wort, aber von Liebe – wissen Sie nichts.«

»Das ist eine Phrase welche die Frau oft hört.«

[] »Nicht oft .... denn die eigentliche Wissenschaft der Frau ist die Liebe.«

»Und dennoch oft! .... und zwar immer wenn ein Mann ihr seine Liebe eingestehen oder die ihre begehren mögte.«

»Das glauben Sie von mir?« rief Otbert starr vor Erstaunen sich in dieser keimenden Richtung schon errathen zu sehen.

Aber ich hatte nur instinctmäßig gesprochen. Ich entgegnete:

»Von Ihnen glaube ich nichts, denn ich glaube überhaupt nicht an Sie. Was ich sagte war nur eine allgemeine Bemerkung, die sich auf Erfahrung stützt.«

»Sehen Sie mich einmal an!« rief Astrau, setzte sich plötzlich zu mir auf die Causeuse, nahm meine Hand und fixirte mich scharf. Ich ertrug das höchst gelassen und nach einer Weile sprach er: »Wie kann man so unglaublich schön und zugleich so unglaublich nichtssagend aussehen!«

»Wenn ich nichts zu sagen habe muß ich wol nichtssagend aussehen.«

»Aber was sind Sie denn für ein merkwürdiges seltsames Geschöpf, daß man Sie gar nicht necken, verwirren und ärgern kann! Sie sehen aus wie ein engelhaftes Kind und sprechen wie eine fünfzigjährige[] Frau! Sie kennen nichts und wissen Alles! Sie lassen Ihre Gestalt zwischen uns auf der Erde umherwandeln und Ihre Seele macht während der Zeit Peregrinationen durch andre Welten! Sie müssen sich sammeln, denn dies ist ein ganz unnatürlicher Zustand! Sie müssen sich auf einen Punkt zu concentriren suchen« .... – – –

»Richtig! unterbrach ich ihn, dieser eine Punkt ist ja eben das unbekannte Gut.«

»Suchten Sie es schon? und wo suchten Sie es?«

»In einer Höhe und in einer Tiefe die mir Beide unzugänglich zu sein scheinen.«

»Suchen Sie es doch vor sich!«

Ich blickte starr gradeaus und sagte: »Da ist es nicht! da gewahre ich immer das Ende, entweder im Leben oder im Tode.«

Astrau schüttelte ein wenig meinen Arm.

»Sibylle wach auf! sprach er; so werde ich ein Gedicht für Sie machen.«

»Das thun Sie, lieber Graf!«

»O, Sie sind ein verschrobenes Geschöpf, das mir fast Grauen einflößt, sagte er unmuthig. Sein Sie doch jung, fröhlich, genußbegierig, glücksdurstig. Sie verlieren ja Ihr Leben und das ist Schade für Sie und für Andere. Nach dreißig [] Jahren dürfen Sie denken und träumen; bis dahin müssen Sie leben.«

»Leben? das heißt das unbekannte Gut finden, den Punkt in welchem sich das Wesen für die Ewigkeit sammelt und ruht; – denn Leben heißt doch ein ewiges Sein – nicht wahr?«

»Wir wollen uns mit dem Leben beschäftigen welches der Endlichkeit angehört, sagte Otbert und als Paul eintrat rief er ihm zu indem er auf mich deutete:

»Diese Richtung ist doch allzu transcendental.«

Paul und ich wir lächelten Beide; aber von dem Augenblick an beschloß Otbert mich zu gewinnen. Nicht daß ihm eine gemeine Verführung in den Sinn gekommen wäre! solch leichtes Glück lockte ihn nicht; aber ich sollte ihn lieben. Die Liebe zu ihm sollte die Morgensonne sein die mich aus dem Schlaf meines Herzens weckte; – aus ihrer unentwickelten Existenz wollte er meine Seele erlösen und die grüne Knospe an das Licht bringen damit sie sich in holden Farben entfalte. Wie jene durch Liebe beseelte Statue an ihrem Bildner hing, so sollte ich an ihm hängen und durch diese Liebe mich selbst und das Leben und das Glück verstehen lernen. Er dichtete sich ein Poëm zurecht und beschloß dasselbe zuerst zu leben und später etwa als Stoff [] oder Sporn zu Gedichten zu benutzen. Er wurde immer allmälig wärmer, wenn er sich auf den Wellen der Poesie schaukelte; und so wurde er denn auch nach und nach so warm in dieser poetischen Phase, daß er sich bis zur Glut steigerte, gänzlich vergaß daß er sich in dieselbe hineingearbeitet hatte und von der Aufrichtigkeit seiner Liebe überzeugt war. Er glich jenen wunderbaren Schauspielern welche auf der Bühne dasjenige wirklich empfinden, was sie darstellen sollen, so daß ihre Thränen, ihre Leidenschaft, ihr Schmerz keinesweges erkünstelt oder gar erheuchelt zu nennen, und daher von wundersam hinreißender Wirkung sind. Man konnte Otbert nicht Lügner, Heuchler oder Betrüger nennen, wenn er nach erreichtem Zweck plötzlich gleichgültig ward, oder sich und sein Streben ironisirte, oder erschöpft sich selbst wie ein Maskenkleid fallen ließ. Es war in ihm eine unbewußte Verachtung der Wahrhaftigkeit, die ihn antrieb sein Wesen in immer neue Gestaltungen umzuformen. Statt in den Schöpfungen seines Geistes zu leben, wollte er stets von Neuem sich selbst gleichsam erschaffen fühlen. Fest glaubte er an die Metempsychose und schmachtete danach sie schon bei lebendigem Leibe an sich zu erfahren. Daher sein wahnsinniger Durst nach An- und Aufregung. »Dann [] kommt ein neuer Geist über mich,« pflegte er zu sagen. Hätte sein Character seinem Talent das Gleichgewicht gehalten, so wäre er ein großer Dichter geworden; bei seinem Mangel an Wahrheitsdurst, an Ernst, Tiefe und Würde fehlte ihm natürlich der Glaube an sich selbst. Man muß sich berufen fühlen um berufen zu werden. Wen dies Gefühl nicht umpanzert, der hält die Hammerschläge nicht aus, welche das Schicksal auf das Genie führt um das Götterbild aus dem Marmorblock zu schälen. Otbert konnte sich jenen Glauben vorspiegeln, allein er vermogte nicht ihn festzuhalten: deshalb war er eitel, nach Beifall lechzend; und mit einer Offenheit die etwas Kindliches und Rührendes haben konnte, gestand er selbst diese Schwäche ein. Schmeichelei that ihm wol. Kleine Seelen schmeicheln gern; sie meinen von dem Nimbus welchen sie um eine ausgezeichnete Persönlichkeit verbreiten helfen, falle doch wol ein Stral auf die ihre herab, so litt Otbert nicht Mangel an Schmeichelei, doch sie befriedigte ihn nicht. Daher waren ihm Emotionen ein Bedürfniß, denn sie betäubten ihn wie Opiumrausch gegen eine unabweisliche innere Leere, die er sich bei all seinem Talent und Verstand nicht ableugnen konnte.

Dieser Punkt war derjenige auf welchem wir [] uns begegneten – nur mit dem Unterschied daß er diese Leere um jeden Preis auszufüllen und auszuschmücken versuchte und daß es mir graute und ekelte die Lücke in mir mit Phantomen zu schließen, – – die Urbilder hielten mir ja nicht Farbe!

In Thränen aufgelöst kam eines Tages Arabella zu mir, überhäufte mich mit Vorwürfen und nannte mich eine falsche Freundin, die ihr Otberts Herz entwende.

»Erstens ists fraglich ob Astrau ein Herz hat, entgegnete ich gleichmüthig; doch habe er es und es sei Dir gegönnt! – Du weißt, Arabella, ich liebe nicht die Sorte von Liebe die in der Gesellschaft Mode ist.«

»Aber er liebt Dich – kannst Du's leugnen?«

»Nennst Du Liebe daß er fünf Mal in der Woche bei mir speist?«

»Er kommt am Morgen, er kommt am Abend, Ihr seid den halben Tag beisammen und häufig allein .... und Du solltest ihm gleichgültig sein?«

»Gleichgültig bin ich ihm nicht! ich bin für ihn ein Buch mit sieben Siegeln das er enträthseln mögte.«

»Um diese Mystik schwebt immer Liebe – entweder Liebesahnung oder Liebesbedürfniß .... und [] das ist sehr lockend. Du bist gefährlich, Sibylle, und es ist glücklich für Dich und Andere daß Du Deine Waffen nicht zu brauchen verstehst. Du könntest Otbert in ewige Fesseln schlagen.«

»In ewige?« fragte ich zweifelnd.

»Ja ja! in ewige! wiederholte sie eifrig. Grade dadurch daß Du so verhängniß- und verheißungsvoll aussiehst und Dich nicht zur Gewährung herablassen kannst.«

Sie sprach noch lange .... ich hörte nichts mehr. Das Wort »ewige Fesseln,« hatte Wurzel in mir gefaßt. Es warf einen Zauber über die Zukunft. Wie ein Glanzmeer breitete sie sich vor mir aus und ich starrte geblendet in sie hinein. Als ich Otbert wiedersah kam er mir verändert vor. Nicht er war es, sondern ich. Mein Auge war bestochen durch die Vorstellung dieser rastlosen umherschweifenden Seele ewige Fesseln anlegen zu können. Er bemerkte natürlich meine Veränderung auf der Stelle. Es war auf einem großen Rout. Die Menschenmasse stand wie eine Mauer. Ich lehnte am Kamin um wenigstens den Rücken frei zu haben; Paul sprach angelegentlich mit der östreichischen Botschafterin die ihn sehr auszeichnete. Otbert fand Mittel vom andern Ende des Saales zu mir zu dringen.

[] »Mirakel!« sagte ich als er neben mir stand.

»Kein Mirakel .... schwarze Kunst hat mir geholfen,« sagte er mit leichter Handbewegung gegen mich.

Ich trug ein Kleid von schwarzen Spitzen über rosenfarbenem Tafft und einen Kranz von schwarzen Sammetrosen mit Laubwerk von rosenfarbenem Atlas um die Stirn geschlungen. Das Haar fiel in schweren Locken zu beiden Seiten lang herab. Lawrence malte mich in diesem etwas phantastischen Anzug, der ebensoviel Furore machte als das Gemälde selbst.

»Die Wunder des lieben Gottes heißen Mirakel und die der Menschen schwarze Kunst. Ihn betet man dafür an und unsereins wagt den Scheiterhaufen. Ist das gerecht?«

»Indessen ist doch zu bemerken, erwiderte Astrau trocken, daß diese Scheiterhaufen nicht für den errichtet werden der schwarze Kunst treibt, sondern von ihm.«

»Nun dann gerathen Beide in die Flammen und haben ihren Lohn dahin: der Schwarzkünstler für seine Vermessenheit und der Wundersüchtige für seine Neugier,« antwortete ich munter und in heiterm Ton scherzten wir fort. Da streifte Arabella [] an uns vorüber. Ihr vorwurfsvoller Blick machte mich traurig und ich wurde einsylbig.

»Wie Sie ungleicher Laune sind! rief Otbert unmuthig; ein Nichts stimmt Sie um! mitten im Scherz verfallen Sie in Grübeleien, und plötzlich fahren Sie aus denselben mit einem Scherz empor. Es ist gar nicht mit Ihnen zu leben, und doch hat man unwiderstehliche Lust dazu. Ihr Gemal muß übermenschliche Geduld besitzen.«

»Das ist wahr!« bekräftigte ich aus voller Seele.

»Ich habe gar keine mit Weiberlaunen.«

»Ihre dereinstige Frau wird sie Ihnen schon beibringen!« sagte ich zuversichtlich.

»Ihre Naivetät versöhnt mich immer wieder mit Ihnen, erwiderte Otbert lachend. Halten Sie es denn für möglich, daß der Dichter auch Gatte und Familienvater sein könne?«

»Aufrichtig gestanden – nein! – Aber Sie sind kein Dichter – Sie dichten nur.«

»Ich bin nun einmal an die bittersten Wahrheiten aus Ihrem holden Munde gewöhnt, sprach Otbert gutmüthig; aber sagen Sie mir doch weshalb behandeln Sie mich härter als alle unsre deutschen Recensenten thun?«

»Car tel est notre plaisir, lieber Graf,« entgegnete ich und besah meinen Fächer.

[] »Sie sind eine Erz-Kokette!«

»Beruhigt Sie dieser Glaube?«

»Ich bedarf keiner Beruhigung, denn Ihre im steten Halbschlaf gesprochenen Worte können mich nicht erzürnen.«

Er war aber doch erzürnt, denn er fand mich nicht so einfältig wie er vorgab, und es reizte ihn heftig daß ich ihm weder Bewunderung noch Theilnahme aussprechen wollte.

»Und weshalb, fuhr er fast heftig fort, haben Sie mich vorhin ganz freundlich angesehen, wenn Sie doch nur in Ihrer kleinen falschen Seele darauf sinnen mich zu kränken?«

Ich brach in helles Gelächter aus.

»Nun muß ich mir auch noch gefallen lassen von einem Kinde ausgelacht zu werden!« sagte Otbert selbst lachend und mit einer Harmlosigkeit die ihm sehr gut stand.

Es war etwas das uns zu einanderzog, und sich in Scherz und Neckerei als in das unverfänglichste Gewand kleidete. Gegen das Ende der Season fragte er mich:

»Würden Sie es ungern sehen, wenn ich Ihr Reisegefährte bis Barcelona würde? Ihr Gemal und ich haben heute beim Spazierritt diesen Plan [] ausgesponnen. Sie haben eine unbenutzte Cabine in Ihrer Yacht – was meinen Sie dazu?«

»Daß es ein hübscher Plan ist! nun werden wir uns genau kennen lernen.«

»Immer wissen, immer auf den Grund gehen – wie unnütz das ist! ich freue mich auf die schöne Meerfahrt, und die angenehme Gesellschaft – Sie hoffen durch irgend ein Guckfensterchen irgend einen Abgrund in meiner Seele zu erspähen. Kann Ihnen das wirklich Freude machen?«

»Die allergrößte! rief ich. Wissen wie es in den Menschenseelen – besonders in den reichbegabten – hergeht, welche Keime Blüten treiben, welche Gebilde Form finden, wie die Intelligenz arbeitet, wie Leidenschaft und Wille ihre Kämpfe haben, wie heimliche Vulkane und Erdbeben sich austoben, was sie zerstören, befruchten, erzeugen – o Gott ja! das in Bildern vorüberziehen zu sehen ist mir eine Wonne.«

»Gnädige Frau, diese zersetzende Beobachtung macht nicht glücklich. Lassen Sie doch Ihrer Jugend das Vorrecht derselben: heitern Genuß der Erscheinung wie sie sich darbietet – ohne Kritik.«

»Ich habe nun einmal nicht die Gabe der Besinnungslosigkeit!« unterbrach ich ihn.

»Leider! fuhr er fort; contemplativ und reflectirend[] wie Sie durch Natur, Erziehung und Gewohnheit geworden sind, gönnen Sie dem Zweifel zu viel Spielraum, und der macht so müde.«

»Mit allen meinen Gefühlen habe ich Schiffbruch gelitten! rief ich bitter, wie sollte ich nicht an Ihnen zweifeln!«

»Die Macht des Gefühls haben Sie bis jezt noch nicht gekannt, gnädige Frau; vielleicht nur dessen Ueberfülle, wilde Ranken, doppelte Blüten; – das Alles muß geknickt werden damit jene Platz finde.«

Diese Worte ermuthigten mich unsäglich. Ich wurde heitrer als ich je gewesen. Paul fragte mich seinerseits ob Otberts Begleitung mir nicht lästig sein würde. Ich versicherte das Gegentheil und fügte hinzu:

»Es ist mir sehr lieb daß ich auf unsrer Yacht gastfreundliche Rücksichten zu nehmen habe, denn wenn wir Beide allein sind, Paul, so sind doch alle Rücksichten für mich.«

»Nun, Astrau wird sie nicht mißbrauchen, entgegnete Paul, es ist so leicht und bequem mit ihm zu leben wie mit wenigen Männern, und es freut mich recht daß Du Dein Vorurtheil gegen ihn hast fahren lassen.«

»Ich habe nie ein Vorurtheil gegen ihn gehabt! [] versicherte ich; sein Benehmen im Salon zwischen den Frauen gefiel mir nicht und gefällt mir noch jezt nicht. In der Intimität ist er jedoch weit angenehmer – das finde ich seitdem ich ihn von dieser Seite kennen gelernt; allein Du wirst doch auch eingestehen müssen, daß der Zauber des Genius ihn nicht umgiebt.«

»Ich glaube überhaupt nicht, liebe Sibylle, daß der Zauber des Genius sich auf die persönliche Erscheinung eines Künstlers und Dichters erstreckt: aus seinen Schöpfungen spricht er uns an. Große Künstler sind oft einsylbige, unbeholfene, in sich versunkene, schweigsame, langweilige Leute – was geht uns das an? wir haben nur mit ihren Kunstschöpfungen zu thun. Ich finde es eine übertriebene Anfoderung daß sie noch ganz besonders liebenswürdig sich geberden sollen! Die Liebenswürdigkeit erheischt wiederum ihr eigenes und ganz specielles Genie. Indessen mag es Ausnahmen geben.«

»Aber weshalb stellt man den Menschen in die Glorie welche dem Künstler gebührt?«

»Weil man unersättlich ist und dadurch das klare Urtheil verliert. Einer meiner Freunde verlor augenblicklich seine Passion für eine wunderschöne Figurantin der großen Oper, als er das arme Ding einmal mit schwarzwollnen Strümpfen und [] derben Lederschuhen durch den Straßenschmutz gehen sah. Sein ästhetisches Gefühl empörte sich diese Nymphe, Elfe und Najade in so gemeinem Aufzug erscheinen zu sehen. Und so geht es uns Allen häufig. Die prosaische Wirklichkeit wirft einen Schatten auf die poetische Gestalt; wir können ihn nicht leugnen und mögen ihn nicht dulden – das macht uns ärgerlich und ungerecht, und Dir ist es mit Astrau nicht anders ergangen.«

Ich mußte das eingestehen. – Wir traten sehr munter unsre Reise an. Jeder von uns hatte seine kleine Cabine, die ihm zum Schlaf- und Toilettenzimmer diente. Im Eßzimmer waren Waffen an den Wänden aufgehängt; im Salon befand sich eine kleine Bibliothek und ein Pianino. Keiner von uns litt durch die Seekrankheit, Keiner fürchtete sich vor Stürmen, Keiner langweilte sich. Wir machten Musik, sangen, lasen, Otbert schrieb viel; zuweilen mußte der Schiffskapitän sich zu den beiden Herren gesellen um eine Whistpartie zu machen. Ich lag meistens bei gutem Wetter in meiner Hängematte auf dem Verdeck. In träumerischer Seligkeit lag ich da .... und phantasirte wenn das schlanke Schiff mit ausgespannten Segeln pfeilgeschwind über die blauen Wellen flog. An die geflügelten Chimären die ich auf pompejanischen Wandgemälden [] gesehen, dachte ich: sie tragen ein Weib auf ihrem Rücken – wohin? Ich schloß die Augen. Unbestimmter bläulicher Glanz flimmerte vor meinen Wimpern; war es der Aether? waren es die Wellen? ging es in die Höhe oder in die Tiefe, in den Himmel oder in den Abgrund? .... und war es mir nicht ganz, ganz gleichgültig, wenn mich nur – meine Chimäre trug! – Und an die abendlichen Schlittschuhfahrten meiner Kindheit dachte ich, wie so anders die waren! harter Himmel, starres Eis, schneidende Luft – lauter Gegensätze zur süßen südlichen Lauheit und Beweglichkeit; und doch so viel Aehnlichkeit! dies Fessellose, Fliegende, Fortreißende! auch damals war ich ja nicht auf der Erde und versetzte mich in Regionen, welche der menschliche Fuß nicht betreten kann. – Ich rauchte in meiner Hängematte spanische Cigaritos, oder summte spanische Melodien die ich mit dem Gerassel der Castagnetten und mit dem eintönigen fronfron der Guitarre, wie die Spanier sie spielen, begleitete. Bei dem Allen aber schlief das Herz und nur die Phantasie wachte.

Otbert betrachtete mich kopfschüttelnd. Das Gegentheil hatte er gehoft, gewünscht und geglaubt. Er behauptete ich besitze die Gaben, welche zur höchsten Vervollkommnung befähigten, allein sie wären so [] wunderlich gemischt, daß immer die eine der andern im Wege wäre – weshalb ich denn auch eines der unvollkommensten Geschöpfe auf der Welt sei.

»Sie werden erst dann zur Besinnung und durch sie zur Energie kommen, sagte er einst, wenn Ihnen das Herz brechen wird.«

»So möge es geschehen!« entgegnete ich.

»Frevle nicht, Sibylle! rief Paul und sprach zu Astrau. Mißgönne ihr doch nicht ihre zarte Unerfahrenheit! es ist so selten und so schön wenn das Weib sie hat.«

»Ja wol! dann müssen aber auch die Gedanken unerfahren sein – und hier haben sie schon Kämpfe, Zweifel und Enttäuschungen durchgemacht.«

Dies war so richtig daß mir Thränen aus den Augen stürzten. Paul beachtete es nicht.

»Wer im Strudel der Welt den Kopf oben behalten will muß manche Illusionen aufgeben, entgegnete er, und man wird sich deshalb nicht tiefunglücklich fühlen. Aber die herzbrechenden Geschicke sollte man nicht herausfodern und nicht wünschen! bilden sie den Menschen, so zerstören sie ihn auch eben so oft und eben so leicht.«

Ich umarmte Paul und sagte: »Ich danke Dir für Deine grenzenlose Nachsicht.«

Astrau sagte: »Und ich tadle Dich deshalb! Ja [] ja, holdeste Sibylle, ich tadle Ihren Gemal. Wozu denn die ewigen Schlummerlieder? ein Wächterruf von der Zinne wäre Ihnen heilsamer.«

Mir schien als habe Astrau Recht. Mir war zu Sinn als müsse ich mich in seine Arme werfen und ihn fragen: »Kannst Du mich wecken?«

Unsre Reise ging glücklich von Statten. In den Hafenstädten machten wir nach Gutdünken längeren Aufenthalt, und zuweilen Excursionen tiefer ins Land hinein. Bordeaux war unsre erste Station; dann Lissabon. Andalusien fesselte uns mehr als alles Uebrige. Land, Volk, Leben, Kunst – trugen damals noch ein Gepräge von Originalität, welches bereits im übrigen Europa verwischt war, und es gegenwärtig auch dort sein mag. Astrau war ganz hingerissen.

»Andalusien ist ein Land für den Dichter! rief er oftmals; da ist Leidenschaft – folglich Wahrheit und Natur, und das sind die Urelemente der Schöpfung, denen er sich nähern soll.«

Er und Paul lernten in der größten Geschwindigkeit genug spanisch um den Frauen sagen zu können – was sie gern hören, und zum ersten Mal in meinem Leben fand ich mich – vernachlässigt! so weit es mit allem Anstand und aller Rücksicht möglich war – vernachlässigt! Das kränkte mich über alle [] Maßen, ich kann nicht entscheiden ob mehr von Paul oder mehr von Astrau. Letzteren sah ich in Cadiz fast gar nicht. Wir wohnten und schliefen an Bord, und fuhren Morgens zur Stadt und Abends zur Yacht zurück. Astrau aber nahm eine Wohnung in der Stadt; Paul war fast immer bei und mit ihm. Da es in Cadiz nicht viel Sehenswürdigkeiten giebt, mogte ich nach einigen Tagen nicht mehr hereinfahren, und da wir vierzehn Tage dort blieben war ich fast beständig allein.

Mich ergriff zuweilen eine ganz kindische Ungeduld. Unbeschäftigt wie ich war, arbeitete ich mich innerlich desto mehr ab; ich wollte durchaus etwas ersinnen um mein Leben voll, glänzend und reich zu machen! aber das hat noch Niemand ersonnen, denn nur Genie und Schicksal geben Fülle und Glanz. Ich blieb in meiner Oede – und darüber ergriff mich zuweilen ungeduldiger Schmerz.

So lag ich eines Abends in meiner Hängematte auf dem Verdeck. Es war kaum neun Uhr; daher sah ich mit Erstaunen daß ein Boot die Richtung vom Lande nach der Yacht nahm, denn Paul kam nie vor Mitternacht. Das Meer phosphorescirte prächtig! bei jedem Ruderschlag flogen Myriaden von leuchtenden Funken um das Boot. Es giebt nichts Schöneres als diesen mystischen Glanz [] über der schwarzen Tiefe. Astrau sprang aus dem Boot und an Bord.

»Ich habe Sie in drei Tagen nicht gesehen, sagte er. Paul versichert Sie wären lieber an Bord als in der Stadt; aber ich glaube das nicht! er versteht nur nicht Sie aus Ihrer Hängematte herauszulocken. Stehen Sie auf, kommen Sie! es ist wunderschön auf dem Platz S. Antonio. Es taugt nichts daß Sie sich gar keine Bewegung machen.«

»Sie sind recht gut .... aber ich mag nicht.«

»Sie müssen ja umkommen vor Langerweile.«

»Ich bin kein Mann – also muß ich schon auf eine gute Dosis Langerweile gefaßt sein.«

»Thörichtes Kind! rief er und hob mich mit einer raschen Bewegung aus der Hängematte. Und nun kommen Sie mit mir.«

Aber ich machte mich los, setzte mich auf den breiten Divan der auf dem Verdeck stand und wollte nicht fort.

»So bleibe auch ich!« rief Astrau und setzte sich zu mir.

»O das ist mir sehr lieb!« sagte ich froh.

»Großer Gott, Sibylle! wenn Sie mich freundlich und freudig ansehen, so überrieselt mich ein [] Freudenschauer. Es ist lieblich überraschend als ob Sterne vom Himmel fielen!«

»Ah bah! erzählen Sie mir etwas Andres! was haben Sie den ganzen Tag gemacht?«

»Wir haben einen wunderschönen Fächer für Sie gekauft.«

»Und um den auszuwählen haben Sie den ganzen Tag gebraucht?«

»Ich nicht .... aber Paul! ein Fächer war immer schöner als der andere, und am allerschönsten – – war die Verkäuferin.«

»Sehen Sie wol, sagte ich gelassen, so unterhält man sich vortreflich.«

»Ungeheuer! herz- und seelenloses Ungeheuer, brach Otbert aus. Ich weiß nichts von Fächern und von Paul! aber ich weiß daß Sie nicht einmal der Eifersucht fähig sind.«

»Und welchen Schluß ziehen Sie daraus?«

»Daß Sie keiner Liebe fähig, folglich gar kein Weib, sondern die Incarnation irgend eines Elementargeistes, einer Nixe oder einer Elfe sind! – – Können Sie denn wirklich nicht lieben? – ist in der kindischen Unwissenheit mit der Sie Ihrem Gemal die Hand reichten wirklich die Liebeskraft erstorben, welche so himmlische Blüten treibt? – hat die fremde Hand vor der Zeit die arme grüne [] Knospe geknickt, daß sie nun auf ewig welk dahinsiecht? – sind beim ersten Flugversuch die jungen Schwingen gebrochen und nun auf ewig gelähmt? – O armes beklagenswerthes Kind!« – – –

Er sprach so weich, und seine großen dunkeln Augen glänzten so ungewöhnlich sanft, und seine Worte klangen wie ein Bannspruch der das Leid verscheucht! Mir war als löse sich eine Eisrinde von meinem Busen. Ich weiß nicht was für ein frisches Leben sich plötzlich wie Springfluten in mir regte. Ich hätte jauchzen können über das entschwindende Weh und die geahnte Lust. Otbert umschlang mich leise. Ich saß regungslos da, umsponnen vom Zaubernetz, das sich fest und fester um mich webte. Otberts heiße Lippen berührten meine fiebernd heiße Wange wie ein sengender Funke, der aber keine Flammen, sondern Licht entzündete. Pauls Gestalt und Arabellas Wort von der ewigen Fessel blitzten mir durch die Seele. Ich sprang auf, streifte Otberts Arm herab, und floh scheu und hastig wie eine Schwalbe über das Verdeck, die Treppe hinab in den Salon; – und um mir jede Möglichkeit der Rückkehr abzuschneiden, rief ich meine Kammerfrau, klagte über plötzliches krampfhaftes Uebelbefinden, ging in meine Cabine und ließ mich entkleiden. Im Bette liegend [] hörte ich über eine Stunde Otbert auf dem Verdeck hin und her gehen. Endlich bestieg er wieder das Boot das ihn zur Stadt zurückbrachte. Da sprang ich auf, nahm einen Mantel um, schlüpfte leise herauf, kauerte mich auf dem Divan zusammen und blickte mit einem unentwirrbaren Gemisch von Sehnsucht und Befriedigung ihm nach. Aber die Sehnsucht oder vielmehr der Reiz des Verbotenen behielt die Oberhand, und mit glühenden Thränen fragte ich halblaut: Wohin geht er jezt? – Wo wird er jezt sein? – Und Er – war nicht Paul, sondern Otbert.

Endlich schlief ich erschöpft auf dem Divan ein, und so schwer, daß ich erst erwachte als Paul heimkehrend vor mir stand. Es war tiefe Nacht. Bewildert und schauernd fuhr ich zusammen als er meine eiskalte Hand nahm.

»Schlafe nicht im Freien, es ist schädlich, sagte er. Dein Haar, Dein Pelz sind ganz feucht.«

»Es war so beklommen in meiner Cabine, stammelte ich und setzte hinzu um jeder Erörterung vorzubeugen: Und .... ich wartete.«

Das war meine erste Lüge. – –

Am andern Morgen gab mir Paul wirklich einen ganz wunderschönen Fächer. Also doch! dachte ich. – Ich fuhr mit Paul zur Stadt. Wir sahen [] Astrau nicht, und es war mir ganz lieb. Aber drei Tage vergingen und ich begegnete ihm nicht in der Stadt und er kam nicht an Bord – das versetzte mich in fieberhafte Spannung. Endlich kam er mit Paul; die Abreise nach Sevilla war beschlossen und auf den andern Tag festgesetzt. Ich jubelte und ließ meine geliebten Castagnetten freudig rasseln. Die Freude galt Otbert, aber ich ließ sie auf Sevilla deuten. Kein Wort, keine Andeutung streifte an unsre Abendscene. Ich war selig daß Otbert überhaupt wieder in meinen Gesichtskreis gekommen war.

Wir machten die Reise zu Pferde und sehr angenehm. Auch unser Aufenthalt in Sevilla und später in Granada war es bis zur Bezauberung. Paul hatte ein wenig den Kopf und die Haltung verloren. Die frische Grazie, die aufrichtige Koketterie, die feurige Schönheit der spanischen Weiber war ihm so neu, fremd und überwältigend, daß ihm der Strudel über das Herz fortging. Er überließ mich mir selbst und Otbert. Dieser nahm sich wol in Acht mich wieder in meine angstvolle Scheu zurückzujagen. Mit tiefem Vertrauen sollte ich mich an seine Seele schmiegen und ein Herz zu ihm fassen. Er sprach das unbefangen aus.

»Es giebt Frauen, die den Mann hassen, welcher[] sie bethört hat und es ihm nie vergeben, weil sie es sich selbst nie vergeben für ihn schwach gewesen zu sein. Das ist für beide Theile Schmach und Elend – und das fliehe ich. Liebe muß glücklich machen, zuversichtlich und stolz.«

»Ach! entgegnete ich, den Stolz begreife ich nicht in der Liebe. Doch Zuversicht und Glück gehen für mich stets Hand in Hand! ich ahne ihre Möglichkeit .... aber nicht für mich.«

»Wer sie ahnt – ahnt sie auch für sich, denn Ahnungen beziehen sich auf geheimnißvolle Möglichkeiten im innersten Wesen, welche eine second sight nebelhaft andeutet. Aber Sie wollen immer eine gleichsam verbriefte Gewißheit. Nicht im Sturm – sondern langsam nur sind Sie zu gewinnen, Sibylle. Aber ich werde Sie gewinnen, Ihr tiefstes heiligstes Vertrauen rechtfertigen; und wenn Sie glücklich sind .... werde ich selig sein.«

Er beherrschte sich in der That auf eine so außerordentliche Weise, daß ich begann von einer platonischen Liebe zu träumen und mit sehr ruhigem Gewissen tausend Untreuen des Herzens und der Gedanken beging. Ich ließ Paul seine Freiheit ungestört genießen; er benutzte sie auf seine Weise; weshalb sollte ich es nicht in der meinen thun? Es war plötzlich ein Reiz, eine Lockung in [] mein Leben getreten. Ich behandelte sie mit geheimnißvoller Scheu, das war mir ganz fremd, denn es berührte Regionen des innern Wesens, die ich bis dahin noch nicht gekannt. Das Erlaubte, das Gestattete hatte mich beschäftigt, und ich erschöpfte und verschwendete dabei mich in den Gegenstand bis ich bemerkte, daß ich ihm müde und mit leerer Hand gegenüber stand. Den sinnlichen und geistigen Freuden des Lebens hatte ich mich zu rücksichtslos entgegen gedrängt um sie nicht schleierlos – und folglich dürftig zu finden. Sie lagen wie zerpflückte Blumen, wie geknickte Schmetterlinge zu meinen Füßen; ich sah sie mit einem Gemisch von Niedergeschlagenheit und Gleichgültigkeit an und sprach zu mir selbst: Es muß doch noch ganz andere Schönheiten und Seligkeiten unter der Sonne geben! – Ich erwartete innerlich unendlich viel; ich war so recht darauf vorbereitet mich dem Unbestimmten hinzugeben und in seiner schwülen Atmosphäre die Leidenschaft groß zu ziehen. Dies Unbestimmte nahm die Gestalt der Neigung für Otbert an. Ich vermied es mir Rechenschaft zu geben wohin sie mich führen könne. Höchst sophistisch gab ich mir selbst folgenden Vorwand: Die Ergründung hat bisher immer Nüchternheit in mir zur Folge gehabt, und sie macht muthlos [] weil sie das Leben entzaubert; aber ohne frischen Muth, ohne animo führt man eine unnütze Existenz! ich will suchen mir fortan jene zu bewahren.

Ich gab mich der Gegenwart hin, und die war so poetisch, feenhaft, anmuthig-schwelgerisch und seelenberauschend, daß ich nicht hätte das feinorganisirte, reichbegabte Geschöpf sein müssen das ich war, um unter ihrem Einfluß kalt zu bleiben. Ich hatte da mals in Sorrent mit Paul ebenso phantastische Tage verbracht; aber das flammende sprudelnde Sinnenleben der eben entfalteten Jugend hatte den ersten Platz in ihnen behauptet, und ihnen trotz aller Phantasterei einen Stempel von Wahrheit aufgedrückt. Jezt – trat es zurück, oder es trat wenigstens nicht ehrlich hervor. Es war nicht die schlichte heiße Sonnenglut die dem Sommer angehört; sondern ein fremdartiges Feuer halb ätherisch halb vulkanisch, das unwiderstehlich schlummernde Kräfte weckte und trieb.

Otbert war unaussprechlich liebenswürdig. Die seltsame Mischung seines Characters, welche vielleicht zu seiner Dichterorganisation nothwendig war, verschmolz in ihm eiskalte und haarscharfe Beobachtung mit flammender Feinheit und fliegender Glut der Empfindung; zugleich Zersetzung und Wahrnehmung des Gefühls. Daher erschien er [] stets bewegt vom Bannspruch den ich ihm zuwarf und stets beherrscht von seiner Willenskraft, und ich mußte ihn zugleich lieben und verehren. Schöne Lieder dichtete er die nie gedruckt worden sind.

»Es sind die St. Elmsfeuer, sagte er, welche beim Gewitter auf den Spitzen der Mastbäume schweben. Nach dem Sturm tritt das gemeine Tageslicht wieder an die Stelle dieser elektrischen Flammen. Ich weihe sie der Macht die sie hervorgerufen hat.«

Dann setzte er sich zu meinen Füßen nieder und las sie mir vor, oder sprach sie mit Begleitung der Guitarre, was ihre leidenschaftliche Wirkung ungemein erhöhte.

»Werde ich aber nie den Sängerdank bekommen? rief er einmal und warf unmuthig die Guitarre fort. Die alten Troubadours, Sibylle, lebten und starben für einen Kuß den die Geliebte ihnen freiwillig gab.«

»Da hatten die Troubadours sehr Unrecht, erwiderte ich scherzend, denn so einen freiwilligen Kuß giebt nur der Dank .... nicht die Liebe.«

»Und was giebt die Liebe?«

»Das Herz!«

»Falsch! – Sie giebt immer das was grade [] ersehnt wird! – Sie verstehen nichts von der Liebe, Sibylle.«

Er sprang auf und verließ mich dann immer plötzlich, so daß ich meinem träumerischen Nachsinnen überlassen zurückblieb. Das war in Granada. Ich hatte durchaus in der Alhambra wohnen wollen. Es wurde bewerkstelligt, aber nur für mich, meine Kammerfrau und einen Diener. In der Wohnung des Pförtners wurden einige unbenutzte Zimmer für mich nothdürftig eingerichtet. Die Fenster gingen in den Patio de los arraynes, und ich genoß die Wonne zu jeder Stunde des Tages und der Nacht in den Sälen, Hallen und Gärten der maurischen Könige ungestörten Zutritt zu haben. Mein Diener besorgte meine höchst einfache Küche; ich aß Reis und trank Chocolade. Paul und Otbert wohnten unten in der Stadt. Ich lebte wie es mir eben einfiel! ich ließ mir Tänzerinnen kommen und lernte geschickt ihre üppigen, graziösen Tänze. Ich ließ Zigeuner holen, die mir wahrsagen und wilde Lieder singen mußten. Einmal gab ich für Paul und Otbert ein Fest in der Sala de los Embajadores, ganz voll Tänze, Gesänge, bunter Lampen und Blumen. Sie mußten Beide in der Majo-Tracht kommen. Otbert trug sie charmant! Man muß ein bischen Schauspieler und ein bischen Fanfaron sein [] um ihre Vortheile gehörig geltend zu machen. Er verstand das! aber mit so ernster Grazie, daß er wieder einmal alle Frauen bezauberte. Ich sagte ihm:

»Wäre ich eine Königin, so dürfte kein Mann anders als in Majo-Tracht an meinem Hof erscheinen.«

»Da Ihr Hof unfehlbar nur ein Sänger- und Liebeshof sein würde, so wäre die neue Hoftracht an ihrem Platz. Aber stellen Sie sich einmal unsre Minister, Generäle, Diplomaten und Kammerherrn als Majos vor! das wäre ja ein ewiges Pasquil auf alle Grazie.«

In Sevilla hatte sich mein kleines Talent für Aquarel-Zeichnungen sehr angeregt gefühlt und ich hatte Skizzen der Gebäude und der Gemälde von Murillo gemacht, die jezt vor mir liegen und die mir trotz ihrer Unvollkommenheit verrathen, daß ich mit Fleiß, Ausdauer und Stetigkeit einen gewissen Grad der Vollkommenheit hätte erringen können; – die Ausführung ist überall höchst mangelhaft, aber in Auffassung und Wurf des Gegenstandes ist etwas Geniales. In Granada arbeitete ich mit Eifer; Zigeuner und Tänzerinnen mußten mir sitzen. Paul in seiner Majo-Tracht gelang mir außerordentlich. Ich hob sein naturtreues Bild in den Geist hinein – wie die Kunst das immer soll –[] und machte ein höchst characteristisches Porträt von ihm. Astrau hingegen gelang mir gar nicht. Stand er vor mir und fixirte ich ihn, so flimmerte stets etwas wie ein rosenfarbener Schleier zwischen uns. Wollte ich ihn aus dem Gedächtniß zeichnen, so verschwebte er mir ganz und gar in Duft und Glanz. Ich konnte ihn nicht treffen.

»Was ist denn das? rief er unmuthig; ein halbes Dutzend der gleichgültigsten Leute malen Sie sprechend ähnlich ... und nicht mich! – weshalb nicht mich, ich bitte!«

»Ich kann Sie nicht erfassen, entgegnete ich traurig; kann Ihr Bild nicht genug in meinem Innern concentriren um es aus mir selbst wieder heraus zu erschaffen.«

»Das ist ja eben kränkend für mich.«

»Nein nein, Astrau, kränkend nicht ..... denn so ist es: treten Andre vor den Spiegel meines Auges und meiner Seele, so fängt er gelassen ihr Bild auf und gelassen zeichnet die Hand es ab. Doch Sie .... Astrau! Sie werfen mir einen Regenbogen, einen Sonnenhimmel, ein tausendfarbiges Prisma über den Spiegel .... ich bin geblendet! – Kann ich dafür?«

»Ihr Auge spinnt eine Welt aus Ihrem eigenen innerlichsten Selbst heraus – und in dieser Welt [] wohne ich nicht, Sibylle! so wird es sein!« sprach er schwermüthig.

»Wenn nicht Sie – wer denn, Otbert?«

»O! rief er heftig, Du liebst mich nicht .... aber wirst Du mich denn niemals lieben? Gieb mir Hofnung, Sibylle! sprich Ja!«

Er umschlang mich stürmisch mit dem rechten Arm, hob mit der linken Hand mein Gesicht zu sich empor und sah mich so dringend, forschend, glühend an, daß ich mich magnetisirt fühlte und ganz träumerisch sagte:

»Ja Otbert .... das weiß ich nicht.«

Ein Blitz des Zornes glitt über seine Züge, er schleuderte mich aus seinem Arm und eilte fort. Dies geschah in dem sogenannten Gärtchen der Lindaraja. Ich war entsetzt, Herz und Nerven thaten mir weh. Immer wenn ich traurig war zog es mich zur Erde herab, wenn froh – in die Lüfte empor. Ich setzte mich auf die Erde und weinte bitterlich. Otbert hatte ein Paar Gänge durch den Löwenhof gemacht und kam beruhigt wieder. Er hob mich liebreich auf und sagte in dem scherzhaft hofmeisternden Ton den er oft gebrauchte um mir Wahrheiten zu sagen:

»Excentrisches Kind das Sie sind, Sie müssen mich nicht so fürchterlich quälen wenn Sie mich [] nicht lieben. Es ist freilich Frauenart mit dem Blick zu verheißen, mit dem Wort zu verneinen – allein man entdeckt doch bald welches von beiden die eigentliche Meinung ist. Bei Ihnen ist das unmöglich! Sie sind nicht falsch, aber Sie sind auch nicht aufrichtig. Sie nähren absichtlich Widersprüche in sich und verstehen keinen derselben durch einen Entschluß zu brechen. Es wühlt ein Kampf in Ihnen und Sie bringen es zu keinem Siege, denn – Sie lieben nicht. Sibylle, wach auf.«

Mit diesen Worten führte er mich nach meiner Wohnung zurück und ich war unfähig ihm etwas zu erwidern – dermaßen hatte er durch seine richtige Erkenntniß meines Innern Alles in mir aufgewühlt. Arabellas »ewige Fessel« war für mich das bethörende Wort gewesen unter dessen Einfluß ich mich bewegte.

Als wir bald darauf nach Malaga zurück gingen wo unsre Yacht im Hafen lag, fand Astrau Briefe vor, die ihn in möglichster Eil zu seiner Mutter beschieden. Er hatte mit ihr in Nizza zusammentreffen und den Winter verleben wollen; nun aber hielt ihre schlechte Gesundheit sie in Genf fest. Sie hatte den Muth verloren über die Alpen zu gehen, während die Aerzte nur in dieser Reise ihre Rettung sahen; Otbert sollte diesen Zwiespalt vermitteln. [] Ohne Zaudern entschloß er sich zur plötzlichen Abreise, da ein Schiff segelfertig für Marseille im Hafen lag. Ich war ganz betäubt! Um fünf Uhr Abends waren wir in Malaga angelangt, um fünf Uhr Morgens sollte er fort! Die Ausfertigung seiner Pässe, die Umschiffung seiner Sachen beschäftigten ihn ausschließlich; Paul war ihm dabei behülflich und ich – allein. Meinetwegen! sprach ich mit stumpfer Gleichgültigkeit, und ging zu Bett.

»Sibylle, wachst Du? ... Astrau will Dir Lebewol sagen – darf er?« – fragte Paul gegen Morgen und öfnete die Thür meiner Cabine nachdem er mich durch leises Anklopfen geweckt hatte.

Otbert trat hastig ein, nahm meine Hände, preßte sie an seinen Mund, legte die Rechte auf meine Stirn und sprach bewegt:

»Leben Sie recht wol .... und auf Wiedersehen, denn wir sehen uns wieder! – Vergebung, daß ich Sie im Schlaf gestört! ... schlafen Sie fort und träumen Sie süß.«

Fort war er! – Eine stille Betäubung legte sich über meine Seele, und verließ mich auf der ganzen Reise nicht mehr. Mir war als sei ein Vorhang zwischen mir und der Außenwelt herabgelassen. Mechanisch sah ich Valencia und Barcelona; mechanisch zeichnete ich hier einen Baum, da ein Gebäude, [] dort einen Menschen; mechanisch blieb der Körper bei seinen Verrichtungen und Gewohnheiten. Ich kann nicht sagen ob unsre Heimreise nach England traurig oder langweilig war. Meine Gedanken hatten ihre unablässige Beschäftigung: sie waren bei Otbert. Paul benahm sich sehr gut, sanft ernst und ruhig. Er mogte sich wol einen leisen Vorwurf über die Unbesonnenheit machen Astraus Reisegesellschaft angenommen zu haben.

Die Holsteinschen Angelegenheiten wirkten bei unsrer Heimkehr wie ein Sturzbad auf mich: ich kam zur Besinnung und Paul trat wieder in den Vorgrund meines Lebens, ohne daß ich jedoch in mir Otbert überwunden hätte. Ich verschleierte ihn gleichsam nur. Paul zeigte sich bei diesem Ereigniß, welches zerstörend in seinen ganzen Lebensplan eingriff, so nachsichtig und großmüthig – er wußte mir das drückende Bewußtsein daß mein Leichtsinn es herbeigeführt so zu erleichtern – er fand sich so muthig und gefaßt in Engelau und in den gebotenen Verhältnissen zurecht – er ordnete die Verwirrungen so umsichtig in allen Richtungen, daß ich begann eine wahre Achtung vor ihm zu haben. Die leichte Kälte welche sich in der letzten Zeit zwischen uns gelegt, schmolz wie ein Nachtreif vor der natürlichen Innigkeit, die [] aus einem abgeschlossenen Leben mit gemeinschaftlichen Interessen erfüllt, in gutgearteten Menschen von selbst entspringt. Ordnete Paul die Geschäfte im Großen, so wollte ich es im Kleinen thun. Ich beaufsichtigte das Hauswesen, schaffte kleine Mißbräuche ab, sorgte für hinreichende Beschäftigung der Dienstboten, nahm mich der Kranken und Armen auf meinen Besitzungen mit Rath und That an – kurz ich entwickelte einige Anlagen eine vernünftige Person werden und zu innerer Ruhe und Befriedigung gelangen zu können. Ununterbrochene Gewohnheit sanfter Pflichterfüllung, durch Theilnahme belebt, durch Wolwollen verschönt: das ist die lautre Quelle des wahren, d.h. des dauernden Glückes. Die leidenschaftlichen Seelen, die Kinder des Sturmes nennen es Apathie und fliehen es so lange bis sie sterbensmüde am vorzeitigen Ende ihrer Laufbahn zusammenfallen, auf dieselbe zurückschauen, und auf dem einen Punkt wie gebannt den Blick ruhen lassen. Und warum auf dem einen? – Weil er in dem langen Wirrsal voll kurzer Entzückungen, voll langer Schmerzen, voll ewiger Unruh, voll dauernder Reue – in diesem nachtschwarzen Gewebe, welches einzelne Faden von Gold und Purpur regellos durchschießen – weil jener Punkt unwandelbar licht ist. Nicht [] flammend, nicht glühend, nicht stralend, nicht rosig, nicht prismatisch! nur hell! hell wie der Tag, hell wie ein liebes Lächeln, hell wie ein guter Gedanke, wie ein unschuldvolles Auge, wie eine wolwollende That ..... hell, wie das ächte Glück! – Dann seufzen sie: Ja, da war es! – aber dann ists zu spät! die verwegene hastige Hand hat voreilig den Baum des Lebens entlaubt; das Paradies ist verloren. – – –

Eine lange Hofnung sollte uns endlich erfüllt und ich – Mutter werden. Bei dieser Aussicht regte sich in mir ein wunderliches Gemisch von jauchzender Seligkeit und von Gewissensbeängstigung. Ich warf mir die Schatten der Gedanken vor, die zwischen mir und Paul gewesen waren, und ich verhehlte mir nicht daß diese Hofnung mir vor einem Jahr wenn keine größere doch eine frischere Freude gemacht haben würde. Es rächt sich jede Unlauterkeit die man an seiner Seele begeht. Rohe Naturen bemerken das nur wenn sie eine äußere Wirkung zur Folge hat; feine nehmen es an der leichtesten Nüance von Frische und Zartheit wahr um welche ihr Empfindungsvermögen ärmer geworden ist.

Paul war rührend in seiner Freude. Jedes persönliche Interesse trat für ihn in den Hintergrund. [] Er gab seine Laufbahn und das Leben in England ohne Bedenken auf, obwol er seit zehn Jahren sich gewöhnt hatte es als das einzig ihm zusagende zu betrachten. Er entschloß sich das einsame und ein bischen langweilige norddeutsche Landleben zu führen.

»Denn, sagte er lächelnd, hier fehlen uns die Verlockungen zur Verschwendung, denen wir nun einmal in London nicht widerstehen können, und die nicht unser Vermögen sondern das unsers Kindes zerrütten würden.«

Es war sehr großmüthig daß er »wir« sagte! – – Sein Vater sah ihn ungern seine Carriere verlassen, und meinte da ich unverständig genug sei um mich nicht mit meinem so reichlichen Einkommen in London einrichten zu können, so müsse Paul etwa sechs Monate des Jahres als Junggesell allein dort leben und ich mit dem Kinde in Engelau; die andern sechs Monate dürfe er dann bei mir zubringen. Er unterstützte diesen Vorschlag mit verschiedenen theils scherzhaften theils cynischen Gründen, welche beweisen sollten daß eine solche Trennung für das gute Vernehmen in der Ehe höchst vortheilhaft – und für die Vergrößerung der Familie äußerst zweckmäßig sei – so daß zu gleicher Zeit die Ansprüche der Liebe und die Interessen [] der Carriere bei dieser Einrichtung berücksichtigt würden. Aber Paul ging nicht darauf ein. »Können Mann und Frau sechs Monate ganz heiter und wolgemuth von einander getrennt leben, so können sie es auch sechs Jahr und sechszig Jahr. – Man muß sich den Glauben zu bewahren suchen, daß man zu einem frohen und zufriedenen Leben einander nothwendig in der Häuslichkeit sei.«

»Ich glaube Du bist noch verliebt, entgegnete mein Schwiegervater etwas geringschätzig; das finde ich stark, Paul, und ich kann es nur mit Deiner ersten Vaterfreude entschuldigen.«

Paul nahm scherzend den Vorwurf hin ohne sich in seinem Entschluß irre machen zu lassen. Er richtete seine ganze Zukunft für Engelau ein. Ich sah freudezitternd der nächsten entgegen. – – –

Und wieder am Tage Aller Seelen gab es ein Geburtsfest. Ohne vorhergehende Furcht, ohne lange Qual gebar ich eine Tochter. Wir hatten aber Beide, und ich besonders, auf einen Sohn gerechnet. Hundertmal hatte ich gesagt zu Pauls höchstem Ergötzen:

»Nur kein Mädchen! kein Mädchen! zwölf Knaben sind nicht so schwer durch die Welt zu bringen als ein einziges Mädchen!«

Der Name, die kleinen Anzüge, die Pathen – [] Alles war auf einen Knaben berechnet. Benvenuto sollte er heißen; – und nun war es keiner! Ich empfand im ersten Augenblick einen dummen unsinnigen Schmerz darüber, der erst dann wich als Paul das Kind auf den Armen hielt und es freudig: »Benvenuta!« nannte. Ich nährte es selbst. Es war eben so frisch und gesund als ich. Ich befand mich leiblich und geistig in einem Normalzustand, ohne Excentricität oder Phantasterei irgend einer Art. Das Kind beschäftigte mich zu sehr, zu praktisch um nicht meine Grübeleien zu ersticken. Ich mußte sorgen, pflegen, nachdenken, überlegen. Das Alles hätte ich auch einigermaßen als Hausfrau und Gattin thun können; aber Paul hatte mich nicht sowol als Frau, sondern mehr als Kind und Schmuck des Hauses behandelt und keine Sorge von mir begehrt. Das kleine hülflose Geschöpf war aber auf mich allein angewiesen, und meine Aufmerksamkeit mußte ersetzen, was mir an Erfahrung und Rathgebern fehlte. Dadurch war ich auf dem Wege mich an eine gewisse innere und äußere Disciplin und mein Gefühl an gesunde Nahrung zu gewöhnen. Jene hätte meinem Leben Haltung – dieses ihm Tüchtigkeit gegeben; Beides meine Kraft geweckt, meine Schwäche überwinden helfen. Da trat die fürchterlichste Katastrophe [] ein! – – Um Weihnachtseinkäufe zu machen fuhr Paul nach Kiel, erkältete sich bei der Heimkehr und starb binnen drei Tagen an einer Gehirnentzündung, die ihm Gottlob! von Anbeginn seine Besinnung raubte. So war ihm wenigstens der Schmerz des Abschieds erspart. Er ging heim mit heitern Phantasien von Weihnachtsbäumen und Engelsgesichten! – wahrscheinlich schwebte Benvenuta an dem verschleierten Spiegel seiner Seele vorüber. Er ging heim – ein Mann wie ich nie einen ehrenwertheren gekannt habe – so gut wie es der allgemeinmenschlichen Schwäche verstattet ist zu sein – bei fünfunddreißig Jahren! und ich war Wittwe in einem Alter wo die meisten Frauen erst ihr Leben zu beginnen pflegen, und ein Kind von wenigen Wochen war meiner Unerfahrenheit einzig und allein anvertraut. Die arme Kleine mußte sogleich den übelsten Einfluß empfinden. Ich bekam heftige Nervenzufälle, konnte sie nicht mehr nähren; sie hingegen sich nicht an ihre Amme gewöhnen, so daß sie während zwei Jahre einem welken Pflänzchen glich, das in der Erde nicht Wurzel schlagen kann. Mit ihr und meinen Dienern und Untergebenen blieb ich allein in Engelau, ohne Familie, Verwandte, Freunde, einzig auf mich beschränkt – denn auch Heinrichs alter Hofmeister [] starb in dieser Zeit, friedlich wie er gelebt hatte am Nervenschlag, zwischen getrockneten Blumen, gespießten Käfern und gemalten Schmetterlingen. Er war das letzte äußere Kettenglied zwischen mir und der Vergangenheit. Er hatte meine Kindertage gekannt und meine Todten. Diese wehmüthigen und melancholischen Capitel im Buch des Lebens konnte ich mit ihm allein durchblättern, – nun fehlte mir auch dieser Trost! ich war auf mich selbst angewiesen.

Ich lebte mit einem tiefen eisernen Ernst. Alle Geschäfte die Paul geführt, übernahm ich; was er begonnen hatte wollte ich zu Ende bringen: die Ordnung meines Vermögens herstellen um es meiner Tochter zu überliefern wie ich es von meiner Mutter empfangen. Ich lebte mit der äußersten Einschränkung, versagte mir sogar Bücher und manche Gegenstände des Comforts, brauchte nur meine schlichten Trauergewänder. Paul hatte den größten Theil unsrer Einkünfte dazu bestimmt unsre Schulden abzutragen, mit dem vierten Theil hatte er leben wollen. Ich setzte es durch mit dem achten zu leben um desto früher dieser Last entledigt zu sein. Ich verkaufte äußerst vortheilhaft ein kleines Gut, das ein Hamburger Banquier zu besitzen wünschte, weil es gar freundlich am Plöner-See [] lag. Das half mir sehr! ein Paar gute Jahre – was der Landmann gut nennt, d.h. einträgliche – kamen dazu; die Pachtungen wurden gesteigert, und zwei Jahr nach Pauls Tode waren meine Verhältnisse vollkommen geordnet, die Schulden bezahlt, sichere Pächter eingesetzt. Ein umsichtiger und zuverlässiger Verwalter stand an der Spitze der Geschäfte. Brauchbare und tüchtige Leute hatte ich mit Glück, Geschicklichkeit und gutem Gehalt als Schullehrer, Förster, Gärtner gewonnen. Engelau war in vollem Flor, eine der cultivirtesten und gepflegtesten Besitzungen Holsteins. Der Pfarrhof, die Pächterwohnungen, die Bauernhäuser, die Hütten der Tagelöhner, die Schulhäuser – alle waren tüchtig, warm und ihrer Bestimmung entsprechend gebaut, immer reinlich, zuweilen freundlich umgeben. Der rothe Backstein als Baumaterial nimmt sich gut und sicher unter den Strohdächern aus, welche allgemein die Ziegeldächer überwiegen, weil sie leichter und wärmer sind; und diese in die grüne Landschaft zerstreuten rothen Punkte erheitern deren Monotonie und machen sie lustig wie Blumen eine Wiese. Täglich – das hatte ich mir zum Gesetz gemacht – auch im tiefen Winter bei Sturm, Regen und Schnee, ging, ritt oder fuhr ich aus: heute zu einem Holzwärter [] tief im Walde, morgen zu einem Armenvorsteher, übermorgen zu einem reichen Bauern oder zu einer Schulstunde. So hatte Paul es gemacht! er hatte gesagt: Die Leute müssen sich daran gewöhnen daß der Herr sie beobachtet und zugleich Theilnahme für sie hegt; sonst kommt man nicht zu einem guten Vernehmen und hat kein Vertrauen zu einander. Das hatte er während des Jahres seiner Anwesenheit treu befolgt, und da ich Aehnliches, nur nicht so systematisch, schon als Kind gethan: so wurde es mir nicht schwer. Da lernte ich die wirklichen Zustände des Landvolks kennen, welche zwar beim Tagelöhner bis zur Armseligkeit herabsteigen, aber in Elend nur in Krankheitsfällen ausarten können. Greift in solchen Momenten der Herr mit wirksamer Hülfe so zweckmäßig ein, daß der kleine Haushalt fortgehen kann, als ob des Mannes oder Weibes Krankheit keinen Ausfall im Verdienst zur Folge hätte: so tritt keine Zerrüttung in den kleinen Verhältnissen ein. Vernachlässigt der Herr diesen Moment, so ist der Ruin der Familie fast unvermeidlich. Durch diesen steten Hinblick auf das Geringe mit welchem der Mensch friedlich leben und zu der Brauchbarkeit tüchtig sein könne, welche sein Platz in der Welt von ihm begehrt – entwöhnte ich mich von [] all den entnervenden Bedürftigkeiten, welche nichts sind als niedliche Mißgeburten von dem Unverstand mit der Langenweile erzeugt. Die kriechende heuchlerische Gesinnung unsrer Tage mögte es verbergen, daß sie sich vor dem Golde im Staube wälzt; sie nennt das Raffinement eines hirnlosen Luxus Verfeinerung des Geschmacks, Veredlung des Lebens; sie setzt der Erfahrung daß dieses marklos, jener blasirt, und Beide durch überreizende Genüsse verzerrt werden, die Behauptung entgegen: die Civilisation werde ganz neue und reichhaltige Elemente entwickeln um dem Dasein frische Nahrung zuzuführen. Aber bis diese Quellen aufgegangen sind, gerathen die Menschen in die Sclaverei ihrer Bedürfnisse, und das ist die zersetzendste aller Demoralisationen. Wie der schärfste Frost sogar Steine sprengt, so weicht der materiellen überhandnehmenden Richtung jedes Bedenken und jede Scheu. Genuß! wird das Losungswort der Gesellschaft, und damit ist der in ihr gefesselte Tiger losgelassen.

Mir that mein strenges Leben wol. Ich hatte ein Ziel dem jeder Gedanke und jede Handlung sich unterordnete und das ich durchaus erreichen wollte: vollenden was Paul begonnen. Ich erreichte es wirklich. – Aber was nun weiter? – [] In meiner ganz praktischen Richtung, immer beschäftigt, umsichtig sorgsam, geregelt thätig, hatte der Gram nicht in mir aufkommen können. Auf den ersten wilden Schmerz folgte gelassene Trauer. Die Vergangenheit lag hinter mir wie ein Garten durch den ich nur selten Muße hatte zu wandeln. In der Gegenwart stand ich wie auf einem Felde das ich zu bebauen hatte. Aber recht wie der Landmann der mit seiner Arbeit immer an die Zukunft und die Hofnung gewiesen ist, so knüpfte sich auch Alles was ich wollte, that und trieb an die Zukunft. Anfangs hatte ich nur die meiner Tochter im Auge; allmälig mischte sich die meinige hinein. Jezt weiß ich daß ich sehr gut meinen Geschäften vorstehen und mein Haus führen kann; sprach ich zu mir selbst; – und mit dieser Erkenntniß wich jeder Reiz aus meinem Leben. Ich war zu ehrlich gegen mich selbst um eine Rückkehr zur Trauer um Paul zu erzwingen. Ach, in meiner ersten Jugend hatte ich das ja umsonst bei der Erinnerung an Heinrich versucht! Ist ein Gefühl wie ein Ast abgestorben, so grünt es nie wieder; anders – wenn's abgehauen ward. Ich fiel wieder meiner alten Unruh anheim. Statt mein Leben nach seinem eingeführten Zuschnitt fortzusetzen, gab ich es auf. Das Uhrwerk in Gang zu bringen [] hatte ich als eine heilige Aufgabe betrachtet. Zusehen wie es sich regelmäßig abrollt schien mir zu geringfügig. Ob ich nicht auch in der Fremde verständig und ohne jugendliche Verschwendung werde leben können? fragte ich mich. Es lockte mich unwiderstehlich hinaus sobald ich mir gestattet hatte über meine enge Begrenzung in die Weite und Ferne zu schauen. Wieder saß ich stundenlang auf dem Hünengrabe oder auf den Kieselwällen des Strandes, und dachte mir wie das schön und glücklich sein müßte alle Küsten des vor mir ausgebreiteten Meeres zu kennen, und ob man auf diesen Wanderungen nicht die Inseln der Glückseligkeit entdecken müßte. Und bei Ausmalung dieser Glückseligkeit verfiel ich in Träumereien und vergeudete meine Seele und ihre Kräfte, statt sie mit Gefühlen und Handlungen zu nähren. Das Herz dörrte ich mir förmlich dabei aus, so daß ich mich erschöpft und trostlos fühlte, wie Ixion der die Wolke statt der geliebten Göttin in seine Arme schloß.

Ich komme um! rief ich ganz laut eines Abends als das Gefühl unbestimmter erwartungsvoller Sehnsucht übermächtig in mir rege geworden war. Ich traf meine Anstalten; ich wollte reisen, wollte mich zerstreuen von dem einsamen Einerlei; wollte [] verhüten daß Benvenutas erwachendes Seelchen die Färbung annähme, welche die meine hier empfangen hatte. Heitre bunte Bilder sollten sie umgeben, ein milderes Klima ihr Gedeihen fördern. Ueber Würzburg wollte ich nach der Lombardei, die ich bei meiner ersten italienischen Reise nur im Durchflug gesehen hatte.

Acht Tage später reiste ich ab. Ich besuchte meinen Schwiegervater der mich ziemlich trocken empfing und meine Reise noch trockener mißbilligte. Ich könne ja im Sommer in ein Bad gehen, den Winter in Hannover, Frühling und Herbst in Engelau zubringen: das sei eine vernünftige und passende Lebensweise, wie sie sich für eine Frau in meinen Verhältnissen schicke. Er mogte nicht Unrecht haben, aber ich sträubte mich heftigst gegen diese Tretmühle des Hergebrachten, und erklärte in einer so kleinen Stadt wie Hannover nicht leben zu können. Das nahm er grenzenlos übel, nannte mich »mauvaise tête«, und mit großer Kälte trennten wir uns. Um desto wärmer und freundlicher empfing mich der Bischof von Würzburg. Sobald diese geistlichen Herrn das Bewußtsein ihres Berufs und ihrer Stellung haben, schöpfen sie aus demselben so viel Würde und die Umgebung erhöht diese so sehr, daß ihrer [] Erscheinung eine gewisse Weihe eigenthümlich werden kann, die ganz unabhängig von großen oder überwiegenden Gaben ist. So war mein Onkel. Er war kein philosophischer Kopf, kein brillanter Geist, kein majestätischer Character. Er war ganz Milde und Güte; – nicht Güte der Schwäche, sondern des Wolwollens. Dieselbe Milde lag im Blick seines guten Auges, in jedem Wort seines Mundes, in jeder Handlung seines Lebens. Seinen Wahlspruch hatte er von St. Augustin gelernt: »In omnibus caritas.« Er that mir wol bis ins Herz hinein. Mein Schwiegervater auch ein Greis, auch mit ehrwürdigem weißen Haar, war so recht ein alter gescheuter Mann, den die Welt charmant und respectabel findet. Freilich war er Beides! aber mir kam er vor wie jene Leiche des Klosters auf dem St. Bernhard: ganz menschlich wolerhalten in der eisigen Luft; – während mein Onkel mir den ächten Eindruck des »guten Hirten« machte. Als ich ihm Benvenuta brachte, segnete er sie und mir war zu Sinn als sei das Kind nun erst recht der Obhut Gottes anvertraut. Allabendlich wenn sie ihm zur Gute-Nacht die Hand küßte, berührten seine Finger segnend ihre Stirn, und ich konnte nicht anders als mir etwas Gutes und Frommes dabei vorstellen.

[] »Gedenken Sie Benvenutas in Ihrem Gebet!« bat ich ihn mit Rührung. Meinen Schwiegervater würde ich nur gebeten haben ihres Vermögens zu gedenken. Uebrigens wäre mein Onkel ein ebenso treuer Haushalter desselben gewesen; aber eben nur als ein Haushalter, nicht als Eigenthümer betrachtete er jeden irdischen Besitz – und darum hätte er ihn so verwaltet, daß er mit seiner Rechnung vor dem Herrn, dem barmherzigen Gott bestanden wäre – indessen jener den möglichsten Vortheil soweit Pflicht und Ehre es gestatteten, beabsichtigt hätte. Nicht die leiseste Anwandlung von kindlichem Vertrauen fühlte ich bei meinem Schwiegervater, den ich doch seit meiner Wiege kannte – und ein unsägliches überflutete mein Herz meinem Onkel gegenüber, den ich in meinem Leben etwa vierzehn Tage gesehen hatte. –

Ich fühlte zuweilen ein Verlangen in Würzburg bei meinem Onkel zu bleiben, zu seiner Kirche überzutreten, Benvenuta in derselben zu erziehen, und wenn sie erzogen und verheirathet sei in einem ernsten edlen Kloster den Schleier zu nehmen. Ich sprach sogar mit meinem Onkel über diese Möglichkeit. Er entgegnete sanft:

»Liebe Tochter, Deine unruhige Seele wirft sich an Alles was sie noch nicht kennt, und wendet sich [] von Allem ab, was sie kennt. Unsre Kirche ist Dir gleichsam eine neue Bekanntschaft, welche Dich durch innere Gediegenheit und äußere Schönheit anzieht. Aber für jezt bist Du nicht ruhig genug um den Kelch des Labsals, welchen sie den wahrhaft Durstenden bietet, mit fester Hand ergreifen zu können. Ein solcher Schritt will mit tiefer Besonnenheit gethan sein; wo nicht – so ist er kindisch oder sündhaft zu nennen. Unsre Kirche giebt Frieden Denen die ihn aufrichtig suchen; aber Du, mein Kind .... Du suchst ihn nicht.«

»Theurer Onkel! rief ich heftig bewegt, das erste und das letzte Schmachten jeder Seele, so groß oder klein, so weise oder thöricht sie sei – strebt nach Frieden, und ich allein sollte dies Bestreben nicht haben?«

»Du strebst nicht nach Frieden, erwiderte er mit unerschütterlicher Sanftmuth – sondern nach Befriedigung.«

So war's. Er las in meinem Herzen. Er fuhr fort:

»Wer den Frieden sucht, weiß was er sucht, nämlich das Eine: sich hingeben der Hand Gottes und ihrer Führung, ohne Angst, ohne Hast, mit unerschütterlich demüthiger Seele. Wer Befriedigung sucht, sucht etwas Unbestimmtes, Namenloses[] – etwas das hier sein könnte oder auch dort – etwas das in himmlischen Dingen zu finden sein dürfte oder auch in irdischen – etwas das dem Ewigen angehören mögte und zugleich dem Vergänglichen. Wer Frieden begehrt will zu Gott kommen, wer Befriedigung – zu sich selbst.«

Mir war als würde mein Herz aus der Brust geschält und durchsichtig vor meine Augen gehalten. Ich sagte:

»Ganz Recht! aber nur der, welcher bei sich selbst und in sich zu Hause ist, vermag sein Ziel und den Weg zu demselben ins Auge zu fassen, weil er einen festen Standpunkt hat. Befriedigung muß der Erdboden sein auf dem die Palme des Friedens gedeiht. Befriedigung sammelt uns in uns selbst und schmilzt unsre sich verflüchtigenden Kräfte zum Goldkorn der Einheit zusammen. Glauben Sie nicht daß eine höhere Hand das Gepräge göttlichen Friedens auf ein solches Goldkörnchen drücken könne?«

»Liebes Kind, entgegnete liebreich mein Onkel, das heißt fragen ob ich an die Barmherzigkeit Gottes glaube! – Ich sagte Dir nur .... und Deine Worte bestätigen es .... daß Du nicht genug innere Sammlung besitzest um vor der Hand den Uebertritt zu unsrer Kirche machen zu können. [] Dergleichen darf nicht im Sturm geschehen. Habe Geduld – auch mit Dir selbst.«

Er drückte mir väterlich die Hand und ich küßte die seine mit zärtlicher Ehrfurcht. Dies war nicht das einzige Mal daß wir über diesen Gegenstand sprachen; aber stets äußerte sich mein Onkel in gleicher Weise, und ich kam endlich nicht mehr darauf zurück. Allein es war mir dabei zu Sinn, als sehe ich einen Nachen sich entfernen, den ich herbei gewinkt um mich vom sandigen öden Strande an ein jenseitiges blumen- und schattenreiches Gestade zu tragen.

Bald wurden meine Gedanken auf einem andern Gebiet beschäftigt. Ich empfing folgenden Brief:

»Sibylle! ich habe Ihren Willen geehrt – dann Ihr Glück – dann Ihre Trauer; vergessen habe ich Sie nie ..... nie Ihr verheißungsvolles, verschleiertes, ich weiß nicht ob über menschliches, doch gewiß nicht menschliches Auge, in dem sich Ihre ganze Seele spiegelt! Ist diese Seele zum Bewußtsein gekommen durch Zeit, Leid und Erfahrungen, welche alle Menschen reifen und entwickeln? Darf ich Sie demnach um Antwort auf eine einzige Frage bitten? Glauben Sie mich lieben zu können? – Diese Frage würde vermessen sein, wenn Sie nicht die heimliche Ueberzeugung [] meiner Liebe für Sie hätten – und würde matt sein, wenn ich den Talisman besäße, der mich befähigte wozu noch kein Mensch befähigt worden ist: in Ihrer Wolkenseele zu lesen. Antworten Sie mir die volle Wahrheit, ohne Rückhalt, bestimmt und klar. Oder müßte ich noch immer sagen wie damals: Sibylle, wach auf! – Otbert Astrau.«

Ja, außerordentlich beschäftigten mich diese wenigen Zeilen. In Jahren hatte Astrau mich nicht gesehen und nichts von mir gehört als was zwei gedruckte Schreiben ihm sagten; und dennoch dachte er an mich, wußte er von meinem Aufenthalt, hatte er sein Gefühl für mich bewahrt, hofte er auf Erwiderung. Das ergriff mich mächtig. Aber konnte man das Liebe nennen? Ich besann mich acht volle Tage; endlich schrieb ich:

»Sie sagten mir einst ich wisse nichts von der Liebe. Da ich in dieser Beziehung keine Erfahrungen gemacht habe, und noch auf demselben Punkt stehe wie damals, so muß ich Ihnen mit voller Wahrheit auf Ihre Frage antworten: Wie soll ich wissen ob ich Sie werde lieben können. Sie haben einst meine Phantasie beschäftigt und meine Gedanken angeregt, vielleicht meiner Eitelkeit wolgethan – Sie sehen ich bin wahr! –; [] ich habe auch nie vergessen daß Sie mir jenen Eindruck machten; aber das Alles, scheint mir, ist sehr fern von Liebe. Liebe muß das Herz, diesen Mittelpunkt unsers Seins, in Flammen setzen, und das ganze Wesen dermaßen durchglühen, daß, wenn auch die Flamme erlischt, doch ihr Reflex als ein unirdisches und daher unvergängliches Licht in uns zurückbleibt. So denke ich mir die Liebe. Empfunden habe ich etwas Derartiges nie. Meine Gefühle waren auflodernd und verschwindend wie Blitze; dauernd wie Naphtaflammen die unter der Erde fortbrennen – wie die Gestirne, die über der Erde fortleuchten waren sie nicht. – Ihr Zuruf kann mich nicht wecken denn .... ich wache! fast mögt ich hinzusetzen: leider! Wer schläft, träumt – und zuweilen süß. O nein, ich wache. Leben Sie wol. Sibylle.«

Ich war, obgleich ich es mir nicht eingestehen wollte, doch heimlich gespannt auf den Erfolg dieses Briefes. Ich verschob meine Abreise von Würzburg von einem Tage zum andern, obzwar ich mir selbst sagte, daß Astrau mich ebensogut in Italien als in Deutschland auffinden könne, wenn ihm etwas daran gelegen sei. Ich dachte sogar es würde nicht viel mehr als Höflichkeit sein, wenn er von München – wohin er mir seine Adresse [] geschrieben hatte – nach Würzburg käme um mich zu besuchen. Ein fürchterlicher Schreck mit einem leichten Freudenschauer gemischt durchbebte mich, als sich eines Morgens früh um neun Uhr ein fremder Herr bei mir melden ließ. Das wird er sein, mein Gott! giebts denn wirklich eine ewige Fessel? dachte ich tiefinnerlichst erschüttert. Aber Astrau war es nicht! und meine gemischte Freude ging augenblicklich in eine ganz reine über, als Sedlaczech in mein Zimmer trat.

»Meister Fidelis!« rief ich jauchzend und flog ihm entgegen.

»Grüß Gott! grüß Gott, Sibylle!« sagte er, faßte meine beiden Hände und sah mir mit rührender Innigkeit in die Augen, während sich ein feuchter Glanz über die seinen legte. Sie wurden mir zum Spiegel meiner Vergangenheit: meine ganze untergegangene Jugend mit dem Kreise ihrer Freunde und Freuden tauchte daraus empor. Ich hatte ihn nicht gesehen seit jenem Augenblick wo ich mit Paul vom Traualtar zum Reisewagen ging. Erschüttert durch diese Erinnerungen stürzten mir heiße Thränen aus den Augen und ich rief:

»O Meister! welch ein Leben dessen Epochen durch nichts zu bezeichnen sind – als durch Leichensteine!«

[] Er schüttelte sanft den Kopf und wies auf Benvenuta, die sorglos mit ihren Puppen spielte.

»Sie ist eine Blume zwischen den Gräbern!« erwiderte ich auf diese Pantomime.

»Es giebt auch Gräber ohne Blumen,« sprach er, fuhr mit seiner langen, feinen, magern Hand über die Stirn und warf den Kopf zurück, als wolle er ihn von etwas Drückendem befreien.

Ich folgte seinen Bewegungen mit jener Aufmerksamkeit, die wir so gern lieben Erinnerungen zuwenden, und rief nur:

»O Gott! grade so pflegten Sie die Ungeduld abzuschütteln, welche Sie bisweilen während des Unterrichts zu übermannen drohte, wenn ich allzu unaufmerksam war.«

»Und das wissen Sie noch Alles? fragte er innig. Sogar meinen Namen wissen Sie noch?«

»Franziscus Fidelis Sedlaczech! rief ich; während der Lection: Herr Sedlaczech, weil das der Schülerin imposanter vorkommen mußte; außer derselben: Meister Fidelis; – – wie Paul zuerst Sie nannte als er Sie einmal die Orgel spielen hörte in Engelau – Psalme des Marcellus, sie klingen noch in mir!« –

»Meister bin ich freilich noch immer nicht, entgegnete er gerührt; aber Fidelis – bin ich wol.«

[] Obzwar ich ihn in all seinen Zügen und Bewegungen, in Haltung und Sprache, in allem was den Menschen charakterisirt wieder erkannte: so kam er mir dennoch gänzlichst verändert vor. Theils hatte er sich entwickelt und sich dadurch individueller gebildet; hauptsächlich aber betrachtete ich ihn nicht mehr mit dem befangenen Auge einer Schülerin. Während er sich zu mir setzte, von seinen Reisen und Studien mir erzählte, von seinem Vorsatz nach Italien zu gehen und sich dort niederzulassen, betrachtete ich ihn mit dem gespanntesten Interesse. Er kam mir vor wie ein sehr merkwürdiger, sehr begabter und sehr interessanter Mensch. Seine von Natur feinen Züge waren bis zur Schärfe ausgearbeitet – sei es von innern oder äußerlichen Anstrengungen! – und mit so wenig Fleisch und Farbe bekleidet, daß man sein Gesicht ein Marmorantlitz hätte nennen dürfen, wäre mit dieser Bezeichnung nicht leicht die Vorstellung von stolzer Regelmäßigkeit oder von einer an Härte streifenden Entschiedenheit verknüpft – während die tiefen Augenhölen, die ausgearbeitete Stirn, und ein unsäglich zarter fast schüchterner Zug um den Mund keine Spur von stolzer Kraft zeigten. Blut war nicht in dem Gesicht, denn es wurde durch das Herz und das Gehirn verarbeitet. In der Tiefe, [] nach Außen abgeschlossen, ging das eigentliche Leben dieses Menschen vor: das ahnte man wenn man die mächtige Stirn mit dem wehmüthigen Munde verglich; sie verkündeten zwei Gewalten, die sich vielleicht feindlich gegenüber gestanden hatten und die noch immer nach Versöhnung rangen: Genie und Gemüth. Als Vermittler lagen zwischen ihnen seine genialischen Augen, »couleur d'eau chaude« – was wir farblos nennen würden – still, gleichsam horchend, unter breiten, schweren Augenlidern, welche bis fast zur Mitte des Sterns herabgedrückt waren und eine Art von Vorhang über dem Blick bildeten, damit derselbe sich nicht zu sehr an die Außenwelt verlieren möge. Er war klein und nervig, aber so mager daß er unansehnlich und daß besonders sein Kopf zu groß für seine Gestalt erschien. Oberflächlichen Leuten konnte er unbedeutend vorkommen; aber wer auch nur eine Ahnung von dem Zusammenhang zwischen Wesen und Erscheinung hatte, mußte durch ihn frappirt werden. Ich ward es im allerhöchsten Grade. Sein Blick fascinirte mich, obgleich er mich gar nicht ansah; ich strengte mich an um die Gegenstände zu gewahren, die er zu schauen schien. Vor lauter Betrachtung kam ich gar nicht recht zur Aufmerksamkeit auf seine Worte.

[] »Also eine feste Anstellung haben Sie nicht gefunden?« fragte ich ganz zerstreut in einer Pause.

»Eine solche wie ich sie wünsche und wie ich glaube sie ausfüllen zu können, findet sich nicht leicht, weil sie immer von Tüchtigen gesucht, und vermuthlich durch den Tüchtigsten besetzt wird. Meister bei einer Kirchenkapelle, wie Mozart bei St. Stephan zu Wien – das mögt' ich werden! allein ich bin noch Schüler und kein Meister, und muß noch arbeiten und studiren um so weit zu kommen. Andre Anstellungen, als Kammermusikus etwa, reizen mich nicht. Man liebt heutzutag so wenig die Kammermusik und so sehr die Oper mit ihrer stupiden Augenlust, daß ich gewärtig sein müßte mein Leben in Rossinis und Aubers Opern zu verklimpern. Da bleibe ich lieber unabhängig, verdiene mein Brod durch Unterricht geben, und widme mich der Composition.«

»Durch Unterricht geben?« fragte ich höchst erstaunt, weil ich glaubte ihn durch sein Jahrgeld von dieser Pein befreit zu haben.

»Ihre Güte kommt mir dennoch zu gut,« antwortete er mehr auf meine Gedanken als auf meine Worte.

»Und gewiß auf eine weit edlere Weise! rief ich. O das bezweifle ich nicht! Da ich jedoch aus [] früherer Zeit weiß welche eine Marter Ihnen die Lectionen waren« .... – –

»Nein, nein! unterbrach er mich; das schien Ihnen nur so, weil sie Ihnen ein Greuel waren! Ich lebe wie ich nun einmal lebe, aus freier Wahl und aus Liebe: denn ich erwerbe mir selbständig mein Brot und gönne meinem Herzen die süßeste Befriedigung die es genießen kann.«

»Sind Sie verheirathet?« fragte ich hastig. Mir schien daß man nur einem Weibe, einem Kinde solche Opfer bringen könne.

»Nicht doch! entgegnete er gelassen; ich habe ewige Messen gestiftet für eine geliebte Seele.«

Das war mir unverständlich; und da man leicht geneigt ist zu seiner eigenen Beruhigung das Unverständliche kurzweg unverständig zu nennen: so verfehlte auch ich nicht dies Verfahren höchst unsinnig zu finden.

»Welch eine seltsame Art von Befriedigung! rief ich geringschätzig. Und wie ist denn der Genuß den Ihr Herz dabei empfindet?«

Er besann sich eine Weile und sagte dann unbefangen:

»Ich denke es ist der jener Magdalene, welche die Füße des geliebten Heilandes mit köstlichen Narden salbte.«

[] »Und Judas bedauerte daß das Geld für die Narden verschwendet – und nicht lieber den Armen gegeben würde,« sagte ich mit einem bittern Rückblick auf mich selbst, denn neben dieser Gesinnung kam mir die meine roh und niedrig vor.

»Ich verstehe Sie nicht!« sprach er aufrichtig.

»Desto besser! rief ich; – doch nun sagen Sie mir wohin Sie Ihren Wanderstab setzen wollen?«

»Nach Italien. Ich kam von Wien hieher nur um den ehrwürdigen Bischof einmal wieder zu sehen, und diese Pietät ist mir gelohnt, da ich Sie gefunden habe. Heut Abend geht die Post nach München, da will ich fort.«

»O ich bitte Sie, nicht so sehr flüchtig! bleiben Sie ein Paar Tage hier! wir haben so viel zu plaudern .... von Engelau .... von der Vergangenheit .... und – ich will auch nach Italien; da reisen Sie mit mir.«

»Ja, das thue ich gern, rief er lebhaft; mir ist wol bei Ihnen! zu Ihren eleganten Gesellschaften und zu Ihren Kunstgenüssen werden Sie mich wol aus Barmherzigkeit nicht verdammen – und sonst werden wir uns recht gut mit einander vertragen.«

»Zuweilen werden Sie mich aus Barmherzigkeit gute Musik hören lassen?« fragt' ich lächelnd.

»Was nennen Sie gute Musik?«

[] »Nun, solche welche mich von dem Kampfe innerhalb meines engen Selbst befreit und mich in eine Welt führt wo Geisterschlachten geliefert werden an denen meine Seele Theil nimmt.

»Sind Sie so ernst?« sagte er zweifelnd.

»Ich bin eine Tochter des Nordens und Sie fragen ob ich ernst sei! mein Gott, das ist ja die Mitgift welche uns in die Wiege gelegt wurde. Ich gehe nach Süden um etwas heiterer zu werden und um das Kind in eine fröhlichere Atmosphäre zu bringen.«

»Ist die Seele ernst, so wird sie durch die fröhliche Umgebung nicht fröhlich. Höchstens zerstreut sie sich, und das thut ihr nicht immer wol. Der ernste Mensch sollte darauf bedacht sein sich zu sammeln um sich dann resigniren zu können.«

»Resigniren? aber wozu?«

»O zu Allem! zu seinem Glück wie zu seinem Leid.«

»Sie lieben Paradoxen!«

»Ich mögte wol wissen ob Sie sich zu einem Glück resigniren könnten? sprach er gedankenvoll und fixirte mich mit seinen seltsamen Augen. Denn das Glück, sehen Sie, ist immer irgend eine Gestalt die am Saume unsers Horizontes schwebt, und eine aurorenhafte Glorie trägt, welche halb [] der irdischen und halb einer idealischen Welt angehört. Tritt nun jene Gestalt – die wir Ruhm, Ehre, Liebe, Genuß, oder sonst wie nennen! – an uns heran, liegt sie zu unsern Füßen, schmiegt sie sich in unsre Arme – nun ja, dann halten wir sie am Herzen, dann schauen wir ihr Aug in Aug; aber! aber! die Glorie schwebt noch immer fern am Horizont, am Saum zweier Welten! das Glück das in die Erdenwelt hineintritt, tritt aus der Glorie heraus – und da muß man sich wol vorbereitet haben zur Resignation um nicht zu verzweifeln, um nicht die Rose fallen zu lassen weil sie Dornen hat, und den Freudenbecher weil er einen schaalen Bodensatz bietet.«

»Und was thun Sie, Fidelis?«

»O ich! – ich suche weder die Rose noch den Freudenbecher.«

»Stoiker!« rief ich, schwankend zwischen Unglauben und Vorwurf.

Er lächelte und fragte dann: »Und Sie?«

»Nun .... wenn ich sie nicht suche, so rührte das wol nur daher, daß ich .... sie erwarte, und immer und ewig erwarte, und gar nicht begreife wie das Leben vergehen könnte ohne sie. – Aber wie sind Sie zu Ihrer melancholischen Ansicht über das Glück gekommen?« setzte ich nachdenklich hinzu, [] weil sie ungefähr mit meinen Erfahrungen übereinzustimmen schien.

»Wie alle Menschen: durch Erfahrung! jedoch nicht wie alle durch eigene, sondern durch fremde Erfahrung.«

»Eine solche pflegt sehr unvollkommen zu sein.

»Meistentheils, ja!« sprach er abbrechend und fragte ob ich schon etwas über meine Abreise festgesetzt hätte. Unwillkürlich erröthete ich, weil mich in der That nichts daran gehindert hatte als meine kindische Erwartung eines Briefes von Astrau.

»Ich dachte übermorgen,« sagte ich plötzlich entschlossen – und dabei blieb es.

Mit Rührung und Liebe verließ ich meinen guten Onkel und bat ihn um Erlaubniß ihn einmal wieder besuchen zu dürfen.

»Du wirst mir immer willkommen sein, entgegnete er mit seinem sanften Lächeln; da Du aber nur dann eine Zuflucht bei mir suchen wirst, wenn Dein Herz schwer ist und wenn es Dir übel in der Welt gehen wird: so kann ich nicht sagen daß ich wünsche Dich bald wieder zu sehen. Mein Segen begleitet Dich wohin es sei.«

In München blieb ich nur einen Tag; ich hatte nicht Lust Astrau dort zu begegnen, und dennoch sollte das sein! Ich fuhr am Nachmittag mit Benvenuta [] im englischen Garten spazieren. Eine Gesellschaft von Reitern und Reiterinnen begegnete mir und ich erkannte Otbert zwischen ihnen. Sie ritten rasch und ich fuhr rasch – so hatten wir nicht Zeit uns zu grüßen, und es war mir auch zweifelhaft ob er mich erkannt, ja – ob er mich habe erkennen wollen. Daß er es nicht that, machte mir einen flüchtig schmerzlichen Eindruck; jedoch bald gefaßt sprach ich zu mir selbst: So ist es natürlich – drum ist es besser so. – Acht Tage später war ich in Venedig.

Ich hatte diese Wunderstadt auf meiner italienischen Reise mit Paul nicht kennen gelernt. Sie überraschte mich mehr als irgend etwas, das ich vorher oder nachher gesehen hätte. Einzelne Vorzüge, einzelne Schönheiten mag es in höherem Grade auf anderen Stätten geben; aber eine solche Harmonie, eine solche in sich abgeschlossene Einheit und Vollendung – fand ich nie und nirgend sonst.

»Hier muß man sich ewig wol fühlen! sagte ich zu Sedlaczech, als wir an einem herrlichen Maiabend gegen Sonnenuntergang in die vom Abendroth verklärte Marmorstadt hinein schwammen. Für diesen Göttersitz haben wir kein Ideal in uns. Der gewohnte Maßstab entfällt unserer Hand – die gewohnten Ansprüche verstummen: das wäre der [] Ort und der Moment um ein neues Leben zu beginnen.«

»Aber weshalb denn ein neues? fragte er sehr erstaunt. Es ist ja bisher ein sehr gutes gewesen – leben Sie das doch fort.«

Es klang mir hart was er sagte. Sehr gut? war ich denn je vierundzwanzig Stunden ungestört zufrieden mit mir selbst und mit meinem Leben gewesen? Gewiß nicht! und er nannte es »sehr gut!« – Diese Mißempfindung fiel störend wie ein falscher Ton in den Freudenchor hinein, welcher durch meine Seele brauste. Das wird Tausenden tausend Mal geschehen; doch nur Einer von ihnen Allen wird die unselige Fähigkeit haben die momentane Verstimmung in der Erinnerung aufzuspeichern, während sie bei den Meisten, den gut und glücklich Organisirten, aus dem Gedächtniß schwindet, und ihnen die Erinnerung ungetrübt und glanzvoll läßt.

Venedig gefiel mir unsäglich, sprach mich in der Tiefe meines träumerischen Imaginationslebens an. Ich beschloß mich recht einzuspinnen in diese Wunderwelt, ruhig den großartigen Eindruck auf mich wirken zu lassen, fleißig die Geschichte zu studiren, und überhaupt nach innerer Sammlung zu streben. Sei die nur erst erlangt, so würde ich schon auffinden [] können was ich eigentlich wolle und was ich vermöge.

Ich miethete auf ein Jahr einen verödeten Palast Gradenigo am Canal grande, eines dieser unvergleichlich zierlichen und edlen Gebäude, die außerhalb Venedigs ihres Gleichen nicht haben; und die nicht sowol durch Größe und Ausdehnung – wie etwa die römischen – sondern durch einen eigenthümlichen Adel ihrer Proportionen, den Namen Paläste verdienen. Ein Gebäude ihrer Größe in Norddeutschland, aus Backstein, mit spitzem Ziegeldach, von hundert schmalen Fenstern durchbrochen, im Innern mit hölzernen Treppen versehen – wäre ein gewöhnliches Haus; aber: – Marmormauern, Marmorwände, Marmortreppen, Marmorfußboden – Marmorarbeit wie Schnitzwerk an Balcons, Fensterbogen und Fensterrosacen – Incrustationen von Verde und Rosso antico von Außen – Gemälde von Titian und Tintoretto im Innern – eine majestätische Festhalle von kleinen behaglichen Gemächern umgeben – eine Grotte zur Station für die Gondel: das ist ein venetianischer Palast.

Ich miethete den meinen für geringes Geld. Es war damals noch nicht so viel wie jezt für den Flor Venedigs geschehen. Es war noch kein Freihafen, [] der Handel stockte, der Verkehr lag danieder; die Paläste standen leer, wenn die alten Familien ausgewandert – verfielen wenn sie verarmt waren; man konnte dort, vergleichsweise, mit einem kleinen Vermögen glänzend leben. Ich richtete mich recht bequem, aber ganz einfach ein, und das war sehr gut; denn als ich mit meiner Einrichtung fertig war, bemerkte ich, daß ich zwar sehr gut für mich – aber sehr schlecht für Benvenuta gesorgt hatte. Sollte das arme Kind in diesem Marmorhause gefangen sitzen? was hatte sie von Gondelfahrten? von Spaziergängen auf dem Markusplatz? – Schnell entschlossen fuhr ich nach der kleinen grünen, ländlichen Insel Torcello hinüber und miethete bei stillen Gärtnerleuten ein kleines Zimmer für Benvenuta. Dort sollte sie mit ihrer Wärterin einen Theil des Tages zubringen und im Garten umherlaufen dürfen. Ich schenkte den guten Leuten ein Paar Ziegen, Hühner, Tauben, an denen die Kleine ihr Ergötzen hatte. Es machte sich Alles leicht und gut. Ich kaufte zwei Gondeln, ich nahm drei Gondoliere in meinen Dienst und ließ sie in meine Farben kleiden. Ich war sehr beschäftigt mit diesen verschiedenen Einrichtungen, außerdem unglaublich gefesselt durch Venedigs Scenerie und Kunst, und ich begann zu hoffen eine Stätte gefunden zu haben, [] wo ich mich auf die Dauer in meiner Bestimmung zurechtfinden könne.

Mit Sedlaczech lebte ich gut und angenehm, aber nicht eigentlich intim. Er war mir zu sehr überlegen, als daß ich das unwillkürliche innerste Zutrauen, ich mögte sagen diese Seelenströmung zwischen Gleich und Gleich, für ihn empfunden hätte. Nicht als ob mich meine Inferiorität gedrückt – nicht als ob ich nicht gewußt hätte, daß es größern Genuß gewährt sich zu Menschen hinaufals herabzustimmen! Nur fühlte ich instinctmäßig daß wir nicht auf einer Stufe der Entwickelung standen und daß die seine weit höher als die meine sei. Wird eine solche Kluft nicht durch die Liebe ausgefüllt, die Höhen und Thale gleich macht – so kann man wol zu einem gemeinschaftlichen Leben, doch nicht zu einer befriedigenden inneren Gemeinschaft des Lebens gelangen. Uebrigens war es keinesweges sein Talent, das mir imponirte – so groß es war! so hoch ichs schätzte! – nein, es war seiné Seele; eine Seele von deren Thaten und deren Wegen ich nichts wußte, denn er sprach nie über seine Schicksale. Als er vor Jahren von dem Banquier meines Vaters in Lübeck, als Musiklehrer empfohlen nach Engelau kam, sagte er: er sei ein Böhme, Waisenkind, Katholik, und zwischen achtzehn [] und zwanzig Jahr alt. Das war Alles; und auch jezt blieb es Alles. – Er studirte fleißig in seiner Kunst, mehr auf Composition als auf Ausübung, und nie beschäftigten ihn andre als erhabene und große Gedanken. Ein Oratorium mit einem dem Hohen Lied entnommenen Text – war die Idee zu welcher sich seine Kräfte zu concentriren schienen. Er bewohnte ein Zimmer über dem meinen. Wenn ich in tiefer Nacht auf dem Balkon saß, und mich verlor in Träume ohne Ziel, in Sehnsucht ohne Maß, in Wünsche ohne Gegenstand – wenn ich inmitten der Unermeßlichkeit dieser Gefühle und inmitten einer Umgebung die an Schönheit und Großartigkeit ohne Rival ist: dennoch mein Leben nicht anders empfand als der Gefangene den Kerker der ihn elend macht – o wie oft haben mich dann seine Phantasien, seine Accorde – getröstet kann ich nicht sagen, aber beschwichtigt. Von oben herab klangen sie, feierlich, fromm, tiefsinnig, klagend, unendlich melancholisch, aber in glühende Andacht getaucht wie das Gebet eines Heiligen. Ja, sprach ich dann zu mir selbst, das Leben ist ein Kerker, aber der Schlüssel des Kerkers ist die Liebe! der sprengt die Pforte zur Freiheit, und das dürftige abgesperrte Ich fliegt in ein ewiges und seliges Universum hinein. In dieser himmlischen Freiheit [] lebt mein Onkel: er liebt Gott! – lebt Fidelis: er liebt die Kunst! Ich aber verstehe nicht zu lieben, drum bin ich für alle Ewigkeit in den Kerker gebannt.

Den größten Theil der Nächte verbrachte ich in meiner Gondel. Bald fuhr ich nur in den Canälen und erfreute mich an dem feenhaften Anblick Venedigs im Mondlicht, dessen mysteriöser Glanz die passendste Beleuchtung dieser mysteriösen Existenz ist. Bald fuhr ich weiter in die Lagune hinaus, nach verschiedenen Inseln, die ich besonders gern hatte – vorzugsweise nach Torcello und zum Lido. Torcello war der Anfangspunkt der großen Stadt, des großen Staats Venedig. Das was in jener Zeit der menschlichen Vergesellschaftung Kern und Einheit gab: die Religion, in einem Monument, in einer Kirche ausgeprägt, fehlt der kleinen verwilderten und vereinsamten Insel nicht. Der alte kleine tausendjährige Dom hat Venedigs Höhe und Fall überdauert. In dörflicher Verwahrlosung steht er auf einem grünen Wiesenplatz, und vielleicht zwei Dutzend Häuschen von Gärtner- und Fischerleuten liegen ebenfalls dörflich zerstreut zwischen Hecken, Gemüsegärten, Gebüschen und Rasenflecken. Diese Vegetation so wenig gepflegt sie sein mogte, gedieh dennoch vortreflich auf dem üppigen Schlammboden, [] und erquickte mich durch Farben, Frische und Duft. Der Garten, der am Morgen Benvenutas Tummelplatz war, ruhte mich in der Nacht aus. Es war so etwas Friedliches, Idyllisches auf dieser kleinen Insel, das den einfachen Bedürfnissen der menschlichen Natur entsprach. Dies schlichte Element that mir wol! ich dachte daß Gott in seiner Schöpfung nicht Einmal sondern immer neu das Paradies geschaffen hat: erstens in der Natur, zweitens im Kinde; und daß mir ein Labetrunk aus diesen beiden heiligen Quellen gegönnt sei. Zu Zeiten konnte mich das ganz heiter stimmen; aber es dauerte nicht lange, wie denn nichts bei mir dauerte! reizbar um einen Eindruck zu empfangen, kraftlos um ihn festzuhalten, so war ich! und daher war in meiner Seele nichts dauernd als drängende Unruh – dies ächte und rechte Princip aller Thaten des Fluchs, der Thorheit, des Unheils. – Wenn diese Unruh recht in mir stürmte, fuhr ich zum Lido, der sich als ein Erdwall zwischen der Lagune und dem Meer aufwirft. Ueber den trostlosen, steinernen Gottesacker der Juden hinweg ging ich zum entgegengesetzten Strande, den das Meer bespült. Ein Gondolier trug mir ein Paar Polster nach und blieb in meiner Nähe, während der Andre die Gondel bewachte. Da lag ich manche [] Nacht, überwachte den Auf- und Untergang aller Gestirne – welche auch die meiner Heimat waren; lauschte auf das Brausen der Wellen, welche mit demselben harmonischen Takt und mit demselben weißen Schaum an die Küste meiner Heimat schlugen; und fragte mich mit unsäglicher. Trostlosigkeit, ob ich denn wirklich thöricht genug gewesen sei um zu glauben, daß es für mich am adriatischen Meer anders und besser sein könne als am baltischen. O! rief ich, die Elemente des Glücks müssen in der Schöpfung sein, sonst wäre die Organisation des Menschen mit seinem unlöschbaren Durst nach Glück ein Widersinn! aber weshalb versteht er nicht sie zu finden, zu sammeln, festzuhalten? weshalb ist er so unvollkommen beschaffen, daß er meistens nur Eins oder das Andre kann? ja, weshalb ist er zuweilen so blind daß er nicht einmal deutlich sein Glück zu erkennen vermag? .... denn mir fehlen nicht die Elemente dazu, sondern der Brennpunkt in dem sie sich vereinen müßten.

Kehrt' ich dann heim, seelenmüde und seelenwund – sah ich den ruhigen Lampenschein in Sedlaczechs Zimmer – hört ich ihn mit gleichmäßigem Schritt in der lautlosen nächtlichen Stille über mir auf und nieder gehen – klangen gar seine musikalischen Phantasien oder Eingebungen zu mir herab: [] so staunte ich fast stupid diese feste klare Seele an. Gewiß gewiß! sprach ich dann in Betrachtung über ihn versunken, sein Genius giebt ihm eine andre Stärke als die, welche uns gewöhnlichen Menschen zu Theil ward! wir verwachen in Lieb oder Leid diese versengenden Nächte – oder wir verschlafen sie; aber er ist frei genug um sich ungestört in geistiges Schaffen zu versenken.

Eines Tags kam mein Capo de' gondolieri – wie er sich nannte als er in meinen Dienst trat um meine Gondeln und die beiden andern Gondoliere zu beaufsichtigen – und trug mir die Bitte vor einen vierten Mann anzunehmen. Ich fahre, die Kleine fahre, Sedlaczech fahre – Tag und Nacht sei irgend ein Mitglied meines hohen Hauses auf der Lagune zu finden; das sei freilich eine große Ehre für die arme, schlechte Lagune, aber nichts desto weniger ein schwerer Dienst, besonders in dieser höllenheißen Sommerzeit. In diesem halb pomphaften, halb spöttischen Styl, mit einem Lächeln das auf der Grenze zwischen Harmlosigkeit und Unverschämtheit schwebte, mit unverwüstlicher guter Laune – diesem Erbtheil des venetianischen Volkes – im kleinen blitzenden Auge, ließ sich Gino äußerst wortreich über die Nothwendigkeit eines vierten Mannes aus. Ich sah das ein, nur drang[] ich auf einen erprobt geschickten und treuen Menschen, sowol Benvenutas als meiner eigenen nächtlich einsamen Fahrten wegen.

»O, rief Gino, der ist treu – treu wie die Madonna mir ist! – Er zog bei diesen Worten ein zinnernes Medaillon der Madonna das er um den Hals trug hervor, und küßte es mit Andacht. – 'Lustrissima können fahren wohin Sie wollen, thun und sagen was Sie wollen .... der schwazt nicht.«

»Ich hoffe auch Du nicht, Gino.«

»Kein Fisch in der Lagune ist stummer als ich .... was meine Herrschaft betrift, 'Lustrissima! entgegnete er mit tiefer Verbeugung. Schweigen ist die Pflicht des Gondoliers, folglich schweige ich und wenn's mir noch so schwer wird, aus Tugend. Nino schweigt aus Nothwendigkeit .... und die Nothwendigkeit ist denn doch ein noch festeres Ding als die Tugend – wenn 'Lustrissima gestatten meine Ansicht von der Sache auszusprechen. Genug, Nino ist stumm.«

Ich fühlte mich durch sein Unglück für ihn gewonnen, und fragte nur noch ob Gino ihn gut kenne.

»Wie sollt' ich nicht, 'Lustrissima! er ist ja mein Sohn .... nämlich der Sohn meiner Frau, die [] schon lange todt ist .... dolce anima, requiescat in pace! .... sie hieß Ninetta, drum heißt er Nino.«

Nino trat in meinen Dienst und wurde mir vorgestellt. Er machte mir einen unangenehmen Eindruck. Hartes rothes Haar hing ihm dick und verwirrt bis auf die Augenbrauen herab und schloß sich an einen buschigen Backenbart. Er hatte nicht den lebhaften Blick, das heftige Mienenspiel und die raschén Geberden der Taubstummen; er schien mehr das Stumpfsinnige, Plumpe, Schwerfällige des Idioten zu haben. Er stand mit niedergeschlagenen Augen vor mir während ich mit Gino über ihn sprach, und verrieth auf keine Weise eine Theilnahme, die doch sehr natürlich gewesen wäre. Sein Anblick war nicht vertrauenerweckend; drum gab ich an Gino den strengen Befehl, daß die beiden andern Gondoliere immer und ohne Ausnahme Benvenutas Gondel – er und Nino die meine fahren sollten. Und so geschah es.

Abends nach Sonnenuntergang pflegte ich täglich mit Sedlaczech eine Fahrt zu machen und dann in einem der Cafés auf dem Markusplatz Gefrornes zu nehmen. Von dort ging er gewöhnlich gegen Mitternacht zu Hause, während ich meine nächtlichen Excursionen begann. Gegen Morgen, bald früher, bald später, kehrt' ich heim und ging zuweilen [] erst schlafen, wenn die Sonne aufging. Es war ungefähr die Sorrentinische Lebensweise, die ich einst mit Paul geführt hatte; nur fehlte in dieser das sinnlich üppige, berauschende Element, welches damals dessen eigentlichste Essenz gewesen war. Dennoch – und trotz all der Lebenskraft, und Glut und Lust, die mich durchströmten – wünschte ich nicht jene Zeit zurück, noch ihre Wiederbelebung an Pauls Seite. Es war mir zu klar erinnerlich, daß sie damals in eine Art von Seelen-Marasmus übergegangen war. Daher sprach ich oft zu mir selbst: Ist in dieser sinnlichen Lebensrichtung für mich nichts Anderes zu erwarten, als eine lange Atonie für eine kurze Befriedigung: so ist das ungestillte Verlangen vorzuziehen; denn in ihm weht doch der Athem der Sehnsucht – wenn auch nur einer irdischen. Das war verkehrt, ich weiß es wol! ich hätte ja nur das Maß zu halten brauchen um nicht in Atonie zu verfallen! daß ich diese Weisheit und diese Kraft nicht besaß – daß meine zu den Extremen geneigte Natur immer über das rechte Maß hinweg bis zu den äußersten Grenzen sich drängte und dort statt der geahnten Seligkeit .... Leere fand: das eben machte mich unselig.

Als ich eines Morgens, d.h. um ein Uhr Mittags, aus meinem Schlafzimmer in mein Cabinet [] trat, fand ich dasselbe in eine blumige Laube verwandelt. Granatbüsche mit ihren feurigen Blüten übersäet, Oleander mit den großen rosenfarbenen Sternen, Jasmin und Mirthen – bildeten einen kleinen duftigen Hain um mein Sopha. Benvenuta hatte sich auf dessen dunkelrothe Polster gesetzt, und sah aus wie ein Wachspüppchen inmitten einer Christbescheerung. Da ich Abends zuvor an Fidelis gesagt hatte, ich könne gar nicht recht meine Blumenliebhaberei hier befriedigen: so zweifelte ich keinen Augenblick daß er mir diese Ueberraschung bereitet habe. Ich schickte Benvenuta zu ihm hinauf; sie sollte ihm vorläufig meinen Dank sagen. Er kam mit ihr zurück um sich eine Erklärung der ihm unverständlichen Botschaft auszubitten. Genug – die Blumen waren nicht von ihm. Die Dienstboten wurden befragt und es ergab sich, daß zwei Gärtnerburschen sie in einer Gondel hergebracht und sie meinem Kammerdiener überliefert hatten mit der Bemerkung: ich wisse schon wer sie sende. Die Sache kam mir wie ein Mißverständniß über Namen des Palastes oder der Bewohner vor, und ich erwartete jeden Augenblick daß die Gärtner wieder erscheinen und sich ihre Blumen ausbitten würden. Allein sie blieben ohne fernere Nachfrage bei mir.

[] Ich scherzte mit Fidelis über diese kleine Begebenheit und malte ihm aus, daß möglicher Weise die Erkaltung zweier Liebenden aus dieser Blumensendung entspringen könne. Der Cicisbeo finde sie nicht im Zimmer seiner Dame – oder die Dame erwarte sie vergebens an ihrem Namenstage, etc. Schließlich sagte ich:

»Die eigentliche Blume von Venedig ist aber doch die mystische auf dem Wasser schwimmende Lotosblume, dies Symbol der Vereinigung der Tiefe und des Lichts zur Liebe, d.h. zum Leben.«

Am andern Morgen stand auf der Brüstung meines Balkons eine ganze Reihe der schönsten aller Wasserblumen: der Calla aethiopica. Die großen weißen mandelduftenden Kelche neigten sich alle wie zum Gruß von dem schlanken Stengel in die geöfnete Thür meines Cabinets hinein. Diesmal wird Fidelis doch nicht seine Hand verleugnen können! rief ich entzückt. Aber er leugnete ganz bestimmt.

»Es käme mir auch gar nicht zu, Ihnen Blumen zu schenken, sagte er endlich. Ein unbekannter Verehrer wird diese Boten gewählt haben um Ihnen seine stumme verschwiegene Huldigung darzubringen.«

[] Ich fand diese Aufmerksamkeit befremdlich, da ich an kein zweites Mißverständniß glauben konnte; und noch befremdlicher die Wahl der Blumen, welche in der That auf den Lotus Bezug zu haben schien. Gino hatte sie diesmal wiederum von zwei Gärtnerburschen in einer Barke in Empfang genommen. Ich fragte ihn etwas mißtrauisch ob er deutsch verstehe.

»Bestia ch' io sono .... no, 'Lustrissima!« rief er, sich scherzhaft verwünschend nicht meine Sprache zu verstehen.

Ich befahl ihm und den übrigen Dienstboten eine abermalige Blumensendung sofort abzuweisen, und war grenzenlos erstaunt als dennoch am andern Morgen drei riesenhafte Sträuße von purpurfarbenen Nelken auf meinem Schreibtisch lagen. Ich ließ meine Leute zusammen rufen, und erklärte ihnen, ich würde sie alle entlassen so wie Einer von ihnen – ich frage nicht welcher! – gegen meinen ausdrücklichen Befehl handle. Mein Kammerdiener und meine Kammerfrau waren Deutsche; Benvenuta's Wärterin war eine Engländerin; alle drei lange und treu befunden in meinem Dienst. Aber ich hatte außer Gino und den drei Gondolieren noch einen französischen Koch bei meiner Einrichtung in Venedig genommen, und einen jungen[] Menschen, der dem Kammerdiener bei seinen Geschäften zur Hand ging und Sedlaczech insoweit bediente, als dessen einfache Gewohnheiten es nöthig machten. Ich wollte schon irgend einen Verdacht von Bestechung oder sonstigen Umtrieben auf ihn werfen, als Gino kam und mich tausendmal um Verzeihung bat für den »fanciull« – wie er den großen starken Nino zu nennen pflegte. Der poveretto habe natürlich keine Ahnung von meinem gestrigen Befehl gehabt, und daher heute früh ganz unschuldig die Nelken in Empfang genommen – und obenein die Verwegenheit gehabt eine derselben zurück zu behalten und über's Ohr zu stecken. Künftig sei nichts mehr von seiner Unwissenheit zu befürchten; er habe ihm meinen Befehl deutlich gemacht.

Es schien als habe auch der Unbekannte ihn verstanden, denn die Blumensendungen unterblieben – bis nach acht Tagen Gino mir erzählte, es habe sich abermals die Gärtnerbarke mit einer Blumenfracht gemeldet, sei jedoch von ihm zu allen tausend Teufeln geschickt worden. Seitdem kam das nicht mehr vor. Mich frappirte weit mehr eine gewisse Gondel, die seit einiger Zeit allnächtlich, wenn ich von meinen Wasserwanderungen heimkehrte, an der Einfahrt meines Hauses lag. Hier [] war kein Traghetto. Traghetti sind die Stationsplätze der öffentlichen Gondeln längs den Canälen, und sind fast alle durch ein Madonnenbildchen beschirmt vor dem Nachts eine Lampe brennt. – Man fuhr durch eine gewölbte Grotte, aus der eine Treppe in den kleinen innern sogenannten Hof führte, in mein Haus hinein. Für Fremde war da weder Landungsnoch Hafenplatz. Der Gondolier jener festverschlossenen Barke saß vermummt in seinem braunen Capot auf deren Boden und schien zu schlafen.

»Was machst Du hier? Weg da! fuhr Gino ihn das erste Mal an. Hier ist kein Traghetto! Pack Dich fort zu Deiner Madonna.«

Statt in dem nämlichen rauhen und zänkischen Ton zu antworten, wie das die Weise der Gondoliere ist, die sich in fünf Secunden zum wüthendsten Wortstreit, der aber nie in Thätlichkeiten ausartet, steigert – entgegnete der fremde Gondolier gelassen:

»Ich bin hier schon im Schutz meiner Madonna.«

»Das mag eine rare Hündin sein .... Deine Madonna!« kreischte Gino, der in Schimpfreden dieser Art all' seine Genossen übertraf.

Eine solche Herausfoderung zu Zank und Schmähung wird immer angenommen, und mit dem sanften lispelnden Dialect Venedigs der so klingt als [] sei er von Kinderlippen erfunden, schreien sich dann beide Helden die grausigsten Verwünschungen und Verspottungen zu. Als Jener nichts auf Ginos Apostrophe erwiderte, sondern sich stumm noch tiefer in seinen Capot wickelte, fuhr mir der Gedanke durch den Sinn, dies sei kein Gondolier sondern ein Verbannter, ein Flüchtling, ein verarmter Sohn des stolzen Hauses Gradenigo, der vielleicht sein Leben wage um eine Nacht unter dem Dach seiner Väter zuzubringen, und hastig rief ich:

»Schweig, Gino! hier hat Niemand zu befehlen als ich! Hält jene Barke sich ruhig, so darf sie bleiben.«

»Sia benedetta, Madonna!« rief der fremde Gondolier mit Ton und Geberden, die es ungewiß ließen ob mir oder der heiligen Jungfrau der Segenswunsch gelte.

Aber nicht Einmal, sondern hinfort allnächtlich bei meiner Heimkehr lag dieselbe verschlossene Gondel mit demselben vermummten Gondolier auf demselben Platz! Und sobald ich die Treppe erstiegen hatte, die aus der Einfahrt ins Innere des Hauses führte, hörte ich den leisen Ruderschlag womit sie sich fortbewegte. Trat ich in meinem Cabinet auf den Balkon um ihr nachzusehen, so bemerkte ich [] nur daß sie nach der Kirche Maria Salute ihre Richtung nahm. Einmal fragte ich Gino ob er nicht wisse was es mit ihr für eine Bewandniß habe.

»Da 'Lustrissima ihr die Station vor Ihrem Palast verstattet haben, so werden Sie das wol besser wissen als ich,« entgegnete Gino mit so tiefer Demuth in Ton und Haltung, daß es unmöglich war ihm die Impertinenz der Worte vorzuwerfen.

»Nein, Gino, ich weiß es nicht! entgegnete ich; und ich würde mich auch nicht weiter darum bekümmern, wär' mir nicht eingefallen daß der vermummte braune Mann ein Spitzbube sein könnte.«

Gino brach sehr unehrfurchtsvoll in ein schallendes Gelächter aus.

»Sangue di Cristo! rief er, ein Barcarole soll ein Spitzbube sein. Man sieht wol daß 'Lustrissima keine Tochter Venedigs ist, sonst würde sie wissen, daß der Barcarole neben tausend unleugbaren Fehlern auch eine eben so unleugbare Tugend hat: die Ehrlichkeit. Nein! was den Punkt betrift, dafür steh' ich ein.«

»Und nur der ist wichtig, Gino! übrigens geht mich jene Barke nichts an.«

»Ganz wie 'Lustrissima befehlen!« sagte er wieder mit der tiefsten Unterwürfigkeit.

[]

Venedig war von jeher die Stadt der Geheimnisse, sprach ich zu mir selbst, das liegt in ihrer Atmosphäre. Aber unwillkürlich beschäftigte sich meine Phantasie mit jenem geheimnißvollen Unbekannten, den ich bald zu einem verbannten Anhänger der giovine Italia, bald – und noch lieber – zum dürftigen Nachkommen eines glänzenden Geschlechts machte. Daß Einer oder der Andre sich trotz seiner tragischen Geschicke dennoch in mich verliebt haben könne, erschien mir nicht unnatürlich; erstens: weil dergleichen einer Frau niemals unnatürlich, sondern ziemlich in der Ordnung erscheint; zweitens: weil ich wol wußte wie schön ich war. Die Blumensendungen brachte ich auch mit jenem Unbekannten in Verbindung; – doch blieb mir das Alles bis jezt nur eine Spielerei für meine unbeschäftigte, ewig rege Phantasie, und wochenlang ging das so fort.

Einst kam ich zu Hause gegen drei Uhr Morgens, wo Todtenstille und Einsamkeit auf den Canälen herrscht. Es war eine tief dunkle Nacht, so dunkel, daß ich kaum die mysteriöse Barke hatte gewahr werden können. So wie ich mein Cabinet betrat stieg dem Balkon grade gegenüber aus der Mitte des Canal grande eine Rakete wie ein Signal empor, und ungefähr zwei Minuten später [] flammte im herrlichsten Brillantfeuer mein Name Sibylla Regina an jener Stelle auf. Nachdem er eine Weile gebrannt hatte, verwandelte er sich in tausend buntfarbige Leuchtkugeln, und flog wie Myriaden von Schmetterlingen in den dunkeln Himmel hinein. Dann blieb Alles stumm und finster, und ich vernahm nur den taktmäßigen Schlag einiger Ruder, welche eine große Barke, wahrscheinlich die des Feuerwerkers, fortbewegten. Ich hatte Lust an Zauberei zu glauben; denn ich hatte Tags zuvor mit Fidelis über die Schönheit eines Feuerwerks auf dem Canal grande gesprochen und hinzugefügt: Wäre ich noch in der verschwenderischen Laune meiner früheren Jahre, so würde ich mir dies Vergnügen verschaffen. Jezt verschaffte es mir ein Anderer – mir! das war kein Zweifel! mein Name sagte es mir. Und wer, um Gottes Willen! wer konnte wissen, daß ich Regina hieß .... kaum Sedlaczech!

»Nun was sagen Sie zu der Ueberraschung der letzten Nacht?« fragte ich ihn am nächsten Morgen.

»Ich sage, sprach er lächelnd, daß Jemand in Venedig lebt, welcher Sibylla zur Königin seines Herzens erkoren – wie uns die Flammenschrift gesagt hat.«

»Nicht doch! Regina ist ja mein zweiter Name.«

[] »Das ist seltsam! rief er überrascht. Das deutet auf einen alten genauen Bekannten!«

»Ich habe hier keinen andern, als Sie.«

»Nun? Sie trauen mir doch wol nicht solchen allerliebsten Unsinn zu? fragte er gutmüthig. Erstens hab ich kein Geld; zweitens aber – und hätte ich Goldminen! – würde ich einen geliebten und verehrten Namen still in mein Herz schließen, statt ihn als Leuchtkugeln verflattern zu lassen.«

Ich hatte es im Grunde auch nicht geglaubt. Nach einigen Nächten, die ich absichtlich bis zur Morgendämmerung auf Torcello zugebracht, kehrte ich eines drohenden Gewitters wegen früher zurück; und siehe! die Rakete gab das Signal und das frühere Schauspiel wiederholte sich. Ich bin von einem Dämon umgeben, sprach ich zu mir selbst, der meine Worte hört und meine Schritte sieht. Halb war dieser Gedanke mir unheimlich, halb lieblich! So gab es doch Jemand der sich für mich interessirte – wenngleich in etwas befremdlicher Weise. Ich überlegte ob ich meine Leute fortschicken und Andre nehmen sollte Wer bürgte mir jedoch dafür, daß die neuen einer möglichen Bestechung weniger zugänglich sein würden, als die alten? und waren diese es überhaupt? – Lieber keine Nachforschungen anstellen, als sie anstellen [] und zu keinem Resultat kommen! Ich verhielt mich passiv und sprach nur mit Sedlaczech über diesen mysteriösen Dämon, der seinerseits höchst activ war. Einmal wurde Beethovens C moll-Symphonie unter meinem Balkon von der vortreflichen östreichischen Regimentsmusik ausgeführt. Ein andres Mal folgte eine Barke mit Sängern der meinen, und liebliche Barcarolen und andre Volkslieder begleiteten meine Spazierfahrt. Zufall konnte das Alles nicht sein, weil es immer Bezug auf Aeußerungen hatte, die ich gemacht und deren ich mich sehr wol erinnerte.

»Aber was soll eigentlich dies Alles vorstellen? fragte ich einmal ganz ungeduldig Sedlaczech. Dieser liebenswürdige unsichtbare Sylf beginnt mich zu langweilen.«

»Soll das heißen, daß er sichtbar werden möge? entgegnete Sedlaczech. Nehmen Sie sich in Acht! er erfüllt pünktlich Ihre Wünsche .... und wer weiß in welcher abschreckenden menschlichen Gestalt er sich Ihnen nächstens präsentiren wird.«

»Das wäre unangenehm!« rief ich unbefangen.

»Also interessiren Sie sich genug für ihn um ihn in Ihrer Vorstellung liebenswürdig zu finden?«

»Aufrichtig gesagt – ja! Es ist unmöglich der Gegenstand einer so aufmerksamen und ausdauernden[] Huldigung zu sein, ohne sich mit Demjenigen zu beschäftigen der sie uns darbringt; und da ist es doch ebenso unmöglich ihn in der Phantasie zu einem Monstrum zu machen.«

»Wär' er es nicht, so würde er vielleicht längst zu Ihren Füßen liegen.«

»Wie sollt' er das anfangen? ich kenne ihn ja nicht.«

»Sie kennen ihn nicht, d.h. er ist Ihnen nicht in aller Form mit Namen, Rang und Würden feierlich vorgestellt worden! .... Ist denn diese ceremoniöse Etikette sogar Ihnen gegenüber, wenn eine Seele in Flammen lodert, nothwendig? sagen denn auch Sie: Ich bitte um Namen, Stand und Herkunft, mein Herr, bevor ich mich entschließe ob ich mich soll von Ihnen lieben lassen oder nicht.«

»So ist die Welt! entgegnete ich halb lachend und halb mißachtend; – und ich gehöre ihr an.«

»O Sibylle! rief er, das sollten Sie nicht so kalt eingestehen. Wer der Welt Aug' in Auge gesehen und sich als ihr Kind erkannt hat, dem müßte es gehen wie dem Basilisken: ihm graut vor seinem eigenen Bilde, er stirbt an seinem eigenen Blick. O Sibylle! diese hohlen Existenzen, die nach Regeln der Convenienz leben, statt nach Idealen – schmähen die ewige Wahrheit und die heilige [] Natur! Nicht daß sie alle und immer selbstbewußt der Lüge und Falschheit anheimfielen; aber Unnatur ist die Sünde wider den heiligen Geist, die ihren Fluch in sich selber trägt, denn sie entwurzelt so zu sagen den Menschen, und macht aus ihm, diesem erhaben-organischen Gebilde – eine Maschine, die ohne Zusammenhang mit der Natur, und abgelöst von der Gottesidee ist. Das rächt sich durch die sittliche Verkümmerung des Geschlechts. Das macht ehrlos d.h. bewußtlos über die wahre Ehre. O Sibylle, stellen Sie sich nicht mit so kalter Entschlossenheit in die Reihen der Welt.«

Mit grenzenlosem Staunen hörte ich ihm zu, wenn unsre Gespräche eine solche Wendung nahmen. Ich konnte seine Ansicht nicht in Einklang bringen mit seinem Leben, konnte nicht begreifen wie er zu derselben gekommen sein mogte. Er lebte fleißig und zurückgezogen wie ein Künstler der alten Tage, mäßig wie ein Brahman, keusch wie ein Anachoret, er hatte seinen eigenen Aeußerungen zufolge nie anders gelebt – woher denn dieser feindliche Contrast mit der Welt? – –

»Sie tragen die Farben Ihres Gemäldes zu grell und hart auf, entgegnete ich, und das rührt daher, weil Sie der Welt wirklich nicht Aug' in Auge – sondern sie durch irgend einen entstellenden [] Zerrspiegel gesehen haben. Es sind auch gute Elemente in ihr, und edle Geister wandeln auf ihr. Ein Mensch wie Sie, Fidelis, müßte vor allen Andern an das Gute und Wahre im Menschen glauben.«

»O ich glaube daran! rief er lebhaft. Liebe und Wahrheit sind die Gottesidee in uns, und diese bildet den Keim und Kern des Ideals zu dem wir streben, dem wir nachleben, wozu wir uns möglichst entwickeln sollen. Daran zweifle ich nicht, daß dies Aetherflämmchen die irdische Form beseelt – nur daran, daß es in der Welt zu einem reinen Feuer aufflamme. Es wird erstickt im Wust und im Staube des fremden Unwerths und der eigenen Schwäche – die auch unwerth macht und unwerth ist.«

»Die auch unwerth ist!« wiederholte ich wie ein bewußtloses Echo – dermaßen trafen mich solche Worte im Mittelpunkt meines Wesens. Ich war mir so recht dieser Schwäche bewußt, die nicht im Stande ist das heilige Feuer zu pflegen, weil es dabei Vigilien und lange kalte Nächte giebt.

Sedlaczech machte mich durch dergleichen Gespräche ohne es zu beabsichtigen namenlos traurig indem er mich zugleich exaltirte. Ich wünschte mich zu opfern, mich beherrschen zu lassen, gar Ketten [] zu tragen, nur um aus dem Bewußtsein der inneren Unsicherheit gerettet zu werden. Ich betete um irgend eine entscheidende Wendung meines Lebens, die mich auf einen bestimmten Pfad und zu einem bestimmten Ziel führen müsse. Bei diesem Gebet vergaß ich nur daß äußere Umstände von geringer Wirkung sind, sobald die innere Entschiedenheit der Seele fehlt.

Der Winter war gekommen und hatte kältere Nächte und zuweilen Stürme gebracht. Ich wagte mich nicht mehr so viel in die Lagune hinein; dadurch fiel ein großer Theil meiner Unterhaltung fort; ich sah der langen Weile entgegen und um einen Versuch zu machen ihr zu entgehen beschloß ich etwas in die Gesellschaft einzutreten und den Brief abzugeben, den mir mein Onkel an den Gouverneur von Venedig, seinen langjährigen Freund, fast aufgezwungen hatte – weil ich damals durchaus nichts von Bekanntschaften wissen wollte. Jezt schienen sie mir doch nothwendig zu sein, und heimlich hofte ich dem Sylfen zu begegnen und ihn zu erkennen.

Also ich machte und empfing Besuche, ich hatte Soireen, ich nahm eine Loge in der Fenice, ich ließ mich bei Hof vorstellen, als der Erzherzog Vicekönig auf einige Zeit nach Venedig kam – [] und langweilte mich gräßlich, weil ich mit Ansprüchen von Belebung in die Gesellschaft trat, welche nie in diesem großen Getümmel gefunden werden kann. Ich kleidete mich, ich sprach, ich tanzte, ich that wie die Uebrigen, aber mit maschinenmäßiger Gleichgültigkeit. Heimlich hatte ich wol die Hofnung gehegt irgendwo dem Unbekannten zu begegnen oder irgend etwas über ihn zu erfahren. Das schien vergeblich! nichts ereignete sich was mich an ihn hätte erinnern können – gar nichts als der eine kleine Umstand, daß die Loge neben der meinen im Theater Fenice stets geschlossene Vorhänge hatte, obgleich sie allabendlich – oder wenigstens immer wenn ich in der Oper war, besucht war. Während längerer Zeit bemerkte ich es gar nicht, man sieht häufig geschlossene Vorhänge; entweder sind die Eigenthümer nicht in der Loge oder sie wollen nicht gesehen sein. Endlich einmal, im Augenblick wo das ganze Publikum lauschend in den Gesang der Prima Donna vertieft war, rauschte vernehmlich, wiewol leise der Vorhang. Ich sah mich neugierig um, weil ich die Erscheinung einer schönen Frau erwartete, und bemerkte mit Erstaunen, daß der Vorhang nicht in der Mitte von einandergezogen, sondern nur nach meiner Loge seitwärts ein wenig [] aufgehoben worden war. Er fiel hastig herab als ich die wahrscheinlich unerwartete Bewegung machte, und ich sprach unwillkürlich zu mir selbst: Das ist er. Mir klopfte doch ein wenig das Herz bei dieser Vorstellung. Weshalb vermied dies mysteriöse Wesen so scheu meinen Blick, da es sich doch so sehr mit mir beschäftigte und den Wunsch an den Tag zu legen schien, daß ich mich mit ihm beschäftigen möge? welche Furcht entfernte – welcher Umstand trennte es von mir? Mit leisem Herzpochen betrat ich nun allabendlich meine Loge. Immer lag seitdem auf ihrer Brüstung ein köstlicher Blumenstrauß; immer verkündete mir eine leise Bewegung der festgeschlossenen Vorhänge der seinen, daß mein geheimnißvoller Nachbar gegenwärtig sei. Diese stete Aufmerksamkeit war mir weder lästig noch peinlich, und streifte doch an Beides. Wer ein so unausgesetztes Interesse mir bewies mußte, nach meiner Meinung, nicht in diesem seltsamen Schleier bleiben. Im Unmuth hierüber verließ ich einen Abend im ersten Zwischenact die Oper, und warf im Hinausgehen den Blumenstrauß vor die Logenthür des Unsichtbaren.

Am andern Morgen fand ich auf meinem Frühstückstisch ein Billet, das ich in der Erwartung [] irgend einer Einladung erbrach. Statt dessen las ich folgende Zeilen in italienischer Sprache:

»Sie zürnen mir, denn ich erscheine Ihnen trotz aller Zurückhaltung dennoch zudringlich. Darum wird ferner kein Zeichen meiner Huldigung Sie belästigen. Aber gönnen Sie mir – ich sage nicht: einen Blick; sondern nur: Ihren Anblick allabendlich in der Oper, und verkürzen Sie nicht grausam die wenigen Stunden in denen ich selig – weil in Ihrer Nähe bin.«

Eine anonyme Liebeserklärung oder eine Mystification, und Eines ist so unbehaglich als das Andre sprach ich halblaut zu mir selbst; das muß ein Ende nehmen! – Und ich ging in drei Tagen nicht in die Oper. Am Morgen des vierten ein abermaliges Billet.

»Ich habe Sie verstanden: Sie wollen mir mein demüthiges Glück nicht gönnen. Gut! ich störe Sie ferner nicht. Gehen Sie in die Oper .... ich werde nicht mehr dort sein, mein Wort darauf. Ich beschwöre Sie fürchten Sie keine Zudringlichkeit! – aber sehen .... muß ich Sie und werd' ich Sie.«

Er wird mich sehen, aber ich! .... werde denn ich ihn nie sehen? sprach ich gedankenvoll und beklommen zu mir selbst; und die unbestimmte traumhafte[] Sehnsucht richtete sich nun bestimmt auf diesen Gegenstand. Schon diese Bestimmtheit that mir wol. Mir war wie Einem, der nach langer Seereise endlich einmal wieder festen Boden unter den Füßen fühlt; ich empfand nicht mehr das ermüdende Schaukeln der Wogen; ich hatte Land gewonnen. Ich begann etwas Bestimmtes und Begrenztes zu hoffen und zu wünschen: ich war fast glücklich!

Ich ging Abends in die Fenice. Die Nachbarloge war leer, weitgeöfnet der Vorhang. Wo konnte er nun sein? mein Blick schweifte gedankenlos über die Menge dahin; was war sie mir? was war ich ihr? ein buntgefärbtes Nebelbild ohne Wesen, ohne Wahrheit; eine vergängliche Erscheinung, die heute gefällt und morgen vergessen ist. Dein Leben oder Tod .... Dein Glück oder Leid wiegt keines Sandkorns Gewicht in dem Dasein dieser Menge – sprach ich zu mir. Ist denn solche schauerliche Vereinzelung – Leben zu nennen? Leben ist Reflex des eignen Seins im andern, Gegenseitigkeit, Wechselwirkung, Entwickelung. Wo das fehlt – existirt man in einer Schattenwelt, und ihr ist der Tod vorzuziehen, der wenigstens ungestörte Ruhe bringt. Aber mein Wesen im fremden Herzen gefaßt und getragen – das lebt, [] und lebt ewig; denn die Liebe zieht die Unsterblichkeit groß.

Am nächsten Tage ging ich in die Marcuskirche, nicht zur Messe, nur zum Gebet. Bisweilen wurde mir unaussprechlich wol in diesen ernsten, heiligen Räumen, die sich seit langen Jahrhunderten feierlich über die geheimsten und tiefsten Gedanken zahlloser Geschlechter und Generationen schweigend gewölbt hatten. Wie beseelt von Allem was sie gehört und gesehen, kamen mir die majestätischen Gestalten der zahllosen Mosaikbilder vor. Es that mir wol mit so viel Tausenden vor mir und nach mir gemeinschaftlich in ihren Schooß mich zu betten, und sie in das geheime Elend meines Lebens schauen zu lassen, welches selten, selten! ein Mensch vor dem Andern enthüllt. Denn vor unsers Gleichen schämen wir uns unsrer Sünden, unsrer Thorheit, unsers Elends mehr, als vor höheren Naturen. Unsers Gleichen kennen wir als schwach, und ach! die Schwäche im Bewußtsein ihrer Unmacht wappnet sich mit Strenge und Härte gegen Andre. Die höhere starke Natur, welche die Schwäche nur kennt, aber nicht theilt, ist barmherzig. Hierin liegt die tröstende Macht der katholischen Beichte auf das Gemüth. Aber giebt es denn Menschen, die so stark und so gut sind, [] daß wir uns mit unserem Elend nie vor ihnen gedemüthigt fühlen? –

Tief in diese Gedanken versunken hatte mich ein Kapuziner nicht gestört, der ganz in meiner Nähe sein Gebet verrichtete. Endlich erhob er sich, trat zu mir heran und bat um Almosen für die Armen seines Klosters. Ungeschickter Weise trug ich nie Geld bei mir, und Gino, der bei meinen Excursionen mein Schatzmeister war, lag mit der Gondel an der Piazzetta. Ich zog eine goldne Nadel mit einem Knopf von Perlen und Türkisen aus dem Haar und gab sie ihm indem ich sagte:

»Verkaufen Sie dies, mein Vater, geben Sie den Ertrag den Armen .... und beten Sie für mich.«

Er stand gebückt vor mir, beugte sich noch tiefer und fragte:

»Sie sind jung, gesund und reich, Signora ... um was soll ich beten?«

»Um Ruhe, mein Vater, und um Kraft.«

»Dies ist das Allerwelts-Leid, Signora.«

»Ja, mein Vater, aber es drückt den Einzelnen darum nicht minder schwer! Es ist vielgestaltig und nimmt jede Form an .... daher sieht es für Jeden anders aus, so wie auch Jedem die Versuchung in andrer Form naht.«

[] »So jung .... und schon so nachdenkend!« sagte er.

Es machte mich lächeln, daß ihn eine ganz oberflächliche Bemerkung frappirt habe und ich fragte:

»Glauben Sie denn daß man nur im Kloster und bei fünfzig Jahren die Kunst des Nachdenkens üben könne?«

»Ich glaubte nur daß man in der Welt andre Dinge zu thun habe, Signora, als sich mit den Händen im Schooß hinzusetzen und den Gedanken im Kopf nachzuhängen.«

»Für die Männer ist das richtig, mein Vater; die verbrauchen ihr Leben! wir .... müssen es verträumen oder vertändeln – und da ich für das Letztere nicht die Gaben habe, so begnüge ich mich mit dem Ersteren.«

»Aber unwillig?«

»Nicht unwillig, mein Vater, nur traurig, sehr traurig wie Derjenige es sein mag, der sich verschmachten fühlt vor Hunger weil er nichts zu essen bekommt als Orangen – während er sich nach einem derben Stück Brot sehnt. Er ist nun aber einmal auf Orangen angewiesen und muß mit ihnen leben und sterben, und noch gar hören, daß Andre ihn sehr beneiden um die herrliche Kost.«

»O Signora, das ist ein eingebildetes Leid! [] Derjenige den das Schicksal in einen Orangengarten gestellt hat, kann auch über einen Bäckerladen befehlen. Umgekehrt ist es nicht so leicht.«

»Das ist so recht gesprochen wie Jemand dem ein wenig Reichthum, Jugend und Unabhängigkeit über Alles geht .... weil er sie nicht besitzt!« rief ich mit einiger Bitterkeit.

»Ich weiß zu schätzen was ich besitze und was ich nicht besitze, Signora! entgegnete er sehr gelassen. Unabhängigkeit, Jugend und Reichthum besitze ich nicht; allein ich betrachte sie als vortrefliche Mittel zu schönen Zielen, wenn sie mit Einsicht und Vernunft gepaart sind .... welche letztere Ihnen zu fehlen scheinen; – denn sonst würden Sie wol auch das besitzen um was ich in Ihrem Namen beten soll: Kraft! – Sie ist nichts als Ausübung unsrer Selbsterkenntniß.«

Er verbeugte sich und entfernte sich rasch durch das Mittelschiff, während ich ihm bestürzt nachblickte und plötzlich ganz laut rief: Ah! das war er! – denn sein Gang und die Haltung seiner Arme verriethen deutlich, daß er kein Klosterbruder sei. Ich ärgerte mich, daß ich mich in solchem unvortheilhaften Licht ihm gezeigt, und freute mich doch vollkommen unbefangen und aufrichtig gewesen zu sein. Hatte ihm das mißfallen, so – würde [] er sich mir nicht wieder nähern. Oder .... sollte es ein Maskenscherz irgend eines meiner Bekannten gewesen sein? das war nicht unmöglich .... wir waren im Fasching! und ich hatte ihm unbesonnen die Nadel geschenkt. – –

In großer Unruh verbrachte ich die nächsten vier und zwanzig Stunden; dann ging ich wieder in die Marcuskirche. Ich bildete mir ein, wenn er der Kapuziner sei, würde ich ihn dort finden. Und siehe, er war da! Er grüßte mich demüthig. Die Kapuze war tief über sein Obergesicht herabgezogen, und das Untergesicht in einem grauen langen Bart begraben; dazu die tiefe Dämmerung die stets in dieser Kirche herrscht; es war unmöglich auch nur einen Zug seines Antlitzes zu erkennen. Ich grüßte ihn wieder und sagte:

»Ich muß Sie um Verzeihung bitten, daß ich einen Maskenscherz für Ernst genommen habe. In meinem Lande kennt man das nicht, und diese Unkenntniß mag mich entschuldigen. Ich erlaube mir nur eine Frage, mein Herr: haben Sie die Nadel zum Besten der Armen verkauft?«

Ich sprach ernst und ruhig und in demselben Ton antwortete jezt der Kapuziner:

»Nein Signora! ich habe das Doppelte ihres [] Werthes den Armen gegeben und .... die Nadel behalten.«

»Sie legen dadurch ein seltsames Interesse für mich an den Tag, mein Herr, welches nicht von der Art ist um das meine zu wecken.«

»Das habe ich auch nie gehoft, Signora.«

»Durch diese Aeußerung sprechen Sie wenigstens aus, daß Sie es wenn nicht gehoft .... doch versucht haben.«

»Und wenn ich das eingestanden?«

»So würde ich fragen: weshalb diese Blumen, diese Musik, diese Unsichtbarkeit in der Loge, diese Billets, diese gegenwärtige Verkleidung – da es doch unendlich viel einfacher gewesen wäre und unsre Bekanntschaft mehr gefördert hätte, wenn Sie den Zutritt in meinem Hause gesucht hätten, den ich keinem wolerzogenen Mann verweigere.«

»Einfacher, d.h. hergebrachter wär' es gewesen, Signora; doch ich zweifle daß es unsre Bekanntschaft gefördert hätte. Denn das ist nicht Jemand kennen: seinen Namen wissen und von tausend Gleichgültigkeiten mit ihm sprechen; sondern das ist es: den Grundzug seines Herzens kennen – und Sie kennen den meinigen.«

»Nun gut, mein Herr! ich kenne ihn also! – was weiter?« fragte ich kalt.

[] »Sie interessiren sich für mich.«

»Ja, mein Herr, das Menschenherz ist so wunderlich beschaffen, daß es sich vom Geheimniß gelockt fühlt.«

»Also Sie denken an mich, Signora, Sie beschäftigen sich mit mir, Sie interessiren sich für mich – folglich nehme ich einen Platz in Ihrem Leben ein! – Ich sagte Ihnen vorhin, daß ich soviel nie gehoft hätte.«

»Mein Herr! nahm ich entschlossen das Wort, dies Alles hat seine amüsante, seine rührende, seine ridiküle und seine unschickliche Seite. Ich wünsche dringend daß diese mysteriöse Huldigung aufhören möge, und ich wünsche Denjenigen von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, der sie mir seit dreiviertel Jahren mit so seltsamer Ausdauer darbringt. Nennen Sie das Interesse oder gewöhnliche Weiberneugier; ich muß es mir gefallen lassen! aber ich sage Ihnen die Wahrheit. Haben Sie einen Grund meine Bekanntschaft zu meiden, so kommen Sie nicht; allein hören Sie auf mir Ihre Theilnahme so seltsam und unbegreiflich wie bisher an den Tag zu legen.«

»Kann ich die Ehre haben Sie morgen früh um zwölf Uhr allein zu finden, Signora? und wird [] Ihre Nadel, die ich dem Portier vorzeige, genügen um mich zu Ihnen zu führen?«

»Ja mein Herr!« sagte ich, grüßte ihn und verließ die Kirche in der größten Spannung.

So sollte ich ihn denn sehen, den Sylf, den Verbannten, den Unsichtbaren, den Flüchtling, der meine Phantasie so lebhaft beschäftigt und mir mehr Theilnahme für ihn, den ich nicht sah, als für Alles was ich sah eingeflößt hatte. Ich schlief in der nächsten Nacht nicht fünf Minuten, ich stand drei Stunden früher als gewöhnlich auf; ich befahl Denjenigen, der eine goldne Nadel mit blauen Steinen vorzeigen würde ohne Umstände zu mir zu führen; – und verbrachte darauf in zitternder Erwartung die Stunden.

Mit dem Glockenschlag zwölf gingen rasche Schritte durch den Saal – die Thür meines Cabinets flog auf – und Astrau trat ein.

»Ah, Otbert! wie kommen denn Sie hieher?« rief ich ganz freudig und ahnungslos.

»Kraft dieses Talismans!« entgegnete er und zeigte mir die Nadel, die er wie eine Blume zwischen den Fingern hielt.

»Sie .... Otbert! Sie?« stammelte ich in der höchsten Ueberraschung und lehnte mich zitternd an einen Stuhl.

[]

»Ja, nur Otbert .... sonst Niemand,« sagte er.

Spannung, Erwartung, Träume, Phantasien, Ueberraschung, Gewißheit, Freude – alle diese chaotischen Empfindungen, die mir Herz und Nerven vibriren machten – brachen sich urplötzlich in einen Strom von Thränen.

»So betrübt sind Sie, daß nur ich es bin, Sibylle?« fragte Astrau sanft und traurig.

»Nein nein! rief ich hastig; Sie wissen ja daß ich viel träume! Vielleicht bin ich jezt erwacht und danke Ihnen mit meinen Thränen.«

»Dürfte ich das hoffen, Sibylle!«

»Warum denn nicht? ich hoffe es ja.«

»Gewiß? fragte Astrau mit stralenden Augen. O Sibylle .... dann wird auch der Glaube nicht fern und die Liebe nah sein .... dann werden Sie mir verzeihen, daß ich trotz Ihres kühlen abwehrenden Briefes aus Würzburg nicht zurücktrat, sondern Ihnen hieher folgte.«

»Aber warum beachteten Sie mich nicht in München?«

»Um nicht zudringlich zu erscheinen! – nur mit meinen Gedanken, nicht mit meiner Person wollte ich einen Platz erringen in Ihrem Leben. Sie sollten gewahr werden, daß unablässig die Richtung meiner Seele zu Ihnen gehe, und daß die [] Attraction, welche Sie auf mich geübt haben nicht jene gewöhnliche sei, die eine schöne Erscheinung mit sich führt und die aufhört wenn sie verschwindet.« –

»Könnte ich das Alles glauben, Otbert, sagte ich zaghaft; ach, ich mögte es so gern glauben! Aber sehen Sie, ich kann und kann mir nicht vorstellen, daß die Seele unveränderlich von einem Gedanken bestimmt, von einem Bilde beherrscht werde. Sie folgt den äußern Eindrücken und Bedürfnissen, den innern Neigungen, je nachdem Umstände und Verhältnisse Eines oder das Andre begünstigen oder nicht. Sie fühlt dumpf daß es ihre Seligkeit sein würde in einen Hafen des Lebens-Oceans einlaufen und dort den Anker der Zuversicht: hier ist dein Platz! fallen lassen zu dürfen; aber sie bleibt schwankend auf hohem Meer, denn kein Sturm treibt sie gebieterisch in irgend einen Hafen, und sie selbst fühlt sich zu keiner Wahl veranlaßt. Jede wird ihr Gutes und ihr Schlechtes haben – jede wird von Hause aus den Stempel auf der Stirn tragen, den Alles trägt, was dem Menschen zu seinem Genuß, seiner Entwickelung, seiner Freude, seinem Streben und Gelingen und Erreichen gegeben ist – das eine fürchterliche Wort: Unvollkommenheit. Diese schließt sowol die [] Dauer als die Unwandelbarkeit aus; denn nur die Vollkommenheit besitzt Einheit, und widersteht demnach jeder Wandlung und Auflösung denen unwiderruflich die Unvollkommenheit verfallen muß .... weil sie Stückwerk ist.«

Astrau sah mich traurig an während ich sprach, und traurig antwortete er:

»Entzaubert zu werden nachdem man zuvor verzaubert gewesen ist – mag bitter sein! doch tausendmal bittrer ist es mit diesem eiskalten nüchternen Blick Bestimmung und Schicksal zu betrachten, und das Glück fallen zu lassen wie eine Südfrucht, die verschmäht wird, weil sie unter unserm gemäßigten, nicht unter ihrem eigenen tropischen Himmel reifte. Diese Nichtachtung der irdischen Zustände, Sibylle, mag die Wonne der Heiligen sein – aber sie ist die Qual des Menschen! und wenn Sie denn doch so sehr heilig sind, so sein Sie es wenigstens mit ganzem Herzen; so leben Sie ein von der Welt abgeschlossenes Leben voll Meditation, Andacht und Barmherzigkeit; so widmen Sie sich ganz der Betrachtung und Uebung göttlicher Dinge, da Ihnen menschliche zu gering sind; so wenden Sie sich überhaupt ganz und aufrichtig dem Schöpfer zu, und lassen Sie das Geschöpf nicht in dem Wahn, als wären Sie zugänglich seiner Empfindungsweise [] und seiner Sehnsucht; so trennen Sie sich von uns ab, Sibylle, und sagen Sie uns redlich: »Ich habe mit euch Allen nichts zu thun und nichts zu theilen!« – – Denn wer Sie zwischen uns sieht, beobachtet, wer Ihr phantastisches Dasein und die Melancholie und Gleichgültigkeit Ihres Wesens bei einer solchen Schönheitsfülle verfolgt – wer unter diesem schillernden Schleier Ihre hohe reine Natur erkannt hat – dem erscheinen Sie wie von einem bösen Zauber befangen, und er mögte Ihnen ein Wort zurufen, das denselben sprengte. Also sein Sie ganz ehrlich, Sibylle, und sagen Sie uns – Ich liebe euch nicht und nie; ich liebe Gott.«

»Aber Astrau! wer sagt Ihnen daß ich Gott liebe? entgegnete ich mit traurigem Erstaunen. Ich sage Ihnen: ich liebe ihn nicht! Wer nicht der Liebe für das Geschöpf fähig ist – das Meinesgleichen in Gefühl, Gedanke und Richtung ist – das mich anspricht mit meinen Worten und Blicken, mit meinem Verlangen und meiner Bedürftigkeit – das wechselsweise Mitglied, Theilnahme, Wolwollen, Anregung in mir weckt – und dennoch trotz all dieser Anklänge und Harmonien nicht den Ton trift auf den meine Seele gestimmt ist und der, Einmal berührt, nicht wieder verhallt, sondern innerlich fortvibrirt wenn er auch nach Außen nicht [] immer laut klingt – – wer nicht Schwung genug im Herzen hat um ein Wesen seines Geschlechts zu umfassen, woher soll dem Glut und Macht kommen um sich an ein höheres anzuranken und anzusaugen? Nein, Otbert! durch die Liebe zur Creatur übt sich der Mensch in der Liebe zum Schöpfer, denn in ihren Wonnen und Schmerzen, in ihrer Begeisterung, in ihrer Läuterung, in ihren Wundern der Kraft, der Ausdauer und Geduld, erkennt er die Herrlichkeit des Geschöpfs, und nur durch sie ahnt er die Herrlichkeit des Schöpfers. Immer durch seine Boten, seine Gesandten, immer durch einen menschlichen Vermittler, hat Gott seine Offenbarungen auf die Erde geschickt, und was Allen geschehen ist das wiederholt sich auch im Einzelnen und Kleinen: die göttliche Liebe muß Mensch geworden sein damit mein Herz sie fasse .... und das ist mir nicht geschehen.«

»Vielleicht lieben Sie Ihr Kind mehr als alles Andre?« fragte Astrau mit tiefster Theilnahme in Blick und Ton.

»Ich liebe das Kind mit meinem Thun, entgegnete ich nach kurzem Nachdenken. Hieße es: stirb für das Kind! oder: geh betteln für das Kind! so thät' ichs ohne Besinnen .... aber ich mögte sagen: aus Instinct meines Herzbluts, nicht aus Liebe. [] Denn Liebe, wie ich sie verstehe, füllt die Seele, und das Kind füllt die meine nicht.«

»Aber Sibylle! rief Otbert beinah fassungslos vor innerer Bewegung – was um Gotteswillen, was regt sich denn eigentlich in Ihrer Seele?«

»Die intensivste Sehnsucht nach einem unbekannten Glück, Otbert, die so drängend, so heiß, so wild, so unbezähmbar ist, daß ich Meere durchschiffen und Welttheile durchpilgern mögte um es zu suchen.«

»O suchen Sie es nicht! geben Sie es .... und es ist da!« rief Otbert, sank zu meinen Füßen nieder und ergriff meine beiden Hände wie um mich fest zu halten.

»Warum zittere ich bei dem Gedanken, Otbert, jezt mit Entschiedenheit zu sagen: ich suche nicht mehr, denn ich habe gefunden!«

»Weil Sie ihr Wesen mit unfruchtbaren Grübeleien dermaßen unterminiren, Sibylle, daß Sie in krankhafte Unentschiedenheit und Verzagtheit verfallen sind, welche sich als geistiges Siechthum immer mehr in Sie einnisten und gleichsam Ihre Seele nervenschwach machen werden.«

Mit dröhnender Wahrheit schlugen seine Worte an mein Ohr. Ich riß meine Hände aus den seinen, faltete sie angstvoll und rief in Thränen:

[] »Ja so ist es, Otbert! ach, retten Sie mich.«

»Ich kann nur den retten, der mir vertraut,« sprach er ernst.

Ueberwältigt, erschöpft, hofnungsdurstig, sehnend, zagend .... reichte ich ihm die Hand und ließ es geschehen daß er mich jubelvoll, selig in seine Arme schloß. Doch in seinen Freudenrausch vermogte ich nicht einzugehen und beklommen bat ich ihn mir zu erzählen wie er diese Jahre verlebt habe. Er that es.

»Damals in Malaga verließ ich Sie sehr muthlos, sagte er, denn es gab Momente in denen Sie mir falsch, kokett und heuchlerisch – andre, in denen Sie mir tief unglücklich erschienen. Drum freute ich mich fast Ihrer Nähe entrückt zu werden, die für mich so viel hatte, was ich bald Bethörung, bald Beseligung nennen mußte. Solche gemischte Freude thut immer mehr weh als wol. Indessen .... ich mußte zu meiner kranken Mutter nach Genf, ich begleitete sie nach Nizza, ich ließ mich dort auf zwei Jahr mit ihr nieder, und machte, während sie sich häuslich einwohnte und leiblich genas, Excursionen nach Corsica und Sardinien, in die Pyrenäen, und wohin Lust und Drang mich führten. In diese Zeit fiel die Nachricht von der Geburt Ihrer Tochter. Paul machte mir diese Mittheilung[] durch einen gedruckten Brief, der mich vielleicht noch mehr verstimmte als das Ereigniß selbst. Ja, es verstimmte mich sehr, Sibylle! Jezt wird sie vollends keinen Gedanken mehr für mich haben! sprach ich zu mir selbst; ihr Leben wird voller und befriedigter denn je – und daher ferner denn je von der Erinnerung an mich sein! ich will doch auch sehen ob die Vorstellung eines häuslichen und Familienlebens keinen Reiz für mich gewinnt! – – Meine Mutter hat immer glühend gewünscht mich zu verheirathen. Jezt fand sich eine wundervolle Heirath für mich; sehr schön, sehr reich, sehr liebenswürdig, war ein junges Frauenzimmer, das eine lebhafte Neigung für mich empfand. Bei dem Besinnen wie ich sie aufnehmen solle, traf mich Ihre Anzeige von Pauls unerwartetem frühzeitigen Tod. Meine erste Empfindung war Postpferde zu bestellen und in einem Zug von Nizza nach Engelau zu fahren. Aber mir fehlte der Muth. Sie hatten mich nie zu solchem Vertrauen berechtigt. Ich verfiel der Ueberlegung, dann der Schwankung, dann der Furcht Sie kalt und mich selbst zudringlich nennen zu müssen – und ich beschloß Ihr Trauerjahr vorüber gehen zu lassen, ohne mich Ihnen zu nähern. Aber es war mir unmöglich jezt an eine andre Verbindung zu denken; ich brach sie ab unter [] allerlei Schmerzlichkeiten für beide Theile, denn meine Mutter zürnte mir. Ich ging nach Deutschland zurück, arbeitete fleißig, schrieb viel, dachte an Sie und harrte mit brennender Ungeduld auf das Ende Ihrer Trauerzeit. Nun war es da .... und ich zagte nach wie vor. Sie liebten mich nicht, hatten mich nie geliebt, hatten in dieser einsamen Zeit, wo ein Freund Ihnen doch vielleicht ein Herzensbedürfniß hätte sein können, nie an mich gedacht, keinen Gruß, keinen Zuruf mir gesendet – – ja ja, Sibylle! lächeln Sie nur, verwundern Sie sich nur daß ich so zaghaft war! es war nun einmal so. Sie behaupteten sonst immer ich sei eitel; glauben Sie nicht daß ein eitler Mensch mehr Selbstvertrauen gehabt hätte? Mir war die Vorstellung daß Sie mich kühl empfangen, kühl ansehen, kühl behandeln könnten .... vernichtend! Ich ging nicht, schrieb nicht, fragte nicht .... ich wollte mich nicht dieser Vernichtung entgegen drängen Aber Ihrem Arzt schrieb ich: er solle mir sagen wie Sie lebten und gegen Sie über diese Frage schweigen. Er beschrieb mir Ihr ernstes, thätiges, praktisches Leben in Engelau. Da verlor ich abermals alle Hofnung, und jene Heirathsepisode, von meiner Mutter nie ganz aufgegeben, wurde wieder ohne Zuthun von meiner Seite angeknüpft. Ich [] wollte mich von Ihnen losreißen, ich fand es unbeschreiblich albern meine Seele an die Ihre zu hängen, die nichts von mir wissen wollte; ich war empfindlich, gereizt, traurig so ganz von Ihnen vergessen zu sein; ich nannte Sie kalt, herzlos .... ich zürnte Ihnen und mir – aber es war mir unmöglich den entscheidenden Schritt zu thun der mich auf ewig von Ihnen getrennt hätte. Wieder schrieb ich Ihrem Arzt und erhielt mit namenloser Freude zur Antwort: Sie wären in Würzburg und auf dem Weg nach Italien. O wie rauschten die Flügel der Hofnung in mir auf! ich jauchzte laut: Also will sie doch noch etwas Andres im Leben als ihre Tochter erziehen und ihre Geschäfte führen!! – Ich schrieb Ihnen und Ihre Antwort entmuthigte mich nicht. Ich beschloß mit dem finstern Geist zu ringen, dem Sie verfallen schienen; ich folgte Ihnen hieher; ich war als Nino in Ihrer Nähe« .... – –

»Unmöglich!« unterbrach ich ihn.

»Fragen Sie Gino, entgegnete er. Und weshalb denn unmöglich? ich wollte in Ihrer Nähe sein, mich in die wundersame Atmosphäre Ihres Wesens tauchen, die mich mit fabelhaftem Glück berauscht. Und ich hab' es im vollsten und reinsten Maß genossen! Da saßen Sie in der Gondel neben Sedlaczech, mit ihm redend, ihn anschauend, auf ihn [] hörend; mir wendeten Sie den Rücken zu – denn ich hatte mit Gino ausgemacht, daß ich immer den Platz im Hintertheil der Gondel einnehmen könne. Oder Sie fuhren allein, und saßen stumm und unbeweglich da. In beiden Fällen dachte Ihre Seele nie an mich, hatte nicht die leiseste Ahnung daß ein magnetischer Zug von ihr ausgehend den Faden meiner Existenz in die Ihre hinüberspann. Nun sehen Sie: dennoch war ich selig, denn mich beschäftigte unablässig die Vorstellung wie süß dereinst Ihr Uebergang aus dem traumumfangnen Zustand zu dem Bewußtsein so geliebt zu werden, sein müsse. Zitternd daß durch die Erfüllung Ihrer kleinen Wünsche und Einfälle irgend ein Verdacht auf mich selbst oder auf Gino fallen könne, suchte ich Ihre Gedanken auf einen Fremden zu lenken, und ersann daher die geheimnißvolle Gondel. Als im Winter Ihre langen Gondelfahrten und mit denselben Ninos Dienst aufhörte, wurde ich Ihr Logen-Nachbar. Doch allmälig ward mir schwer, ja unerträglich was mir Anfangs süß gewesen: schweigen zu müssen in Ihrer geliebten Nähe. Allmälig ersehnte ich den Moment, der mich zu Ihren Füßen niederziehen und mir ein Geständniß gestatten würde – – – und ich hab' es gethan: Sie sind die Herrin meiner Seele, die Königin [] meines Lebens; und das sag' ich Ihnen nicht blos mit Worten, die lügen könnten – sondern mit einer consequenten Reihe von Thatsächlichkeiten, die sich bis zum Anbeginn unserer Bekanntschaft erstrecken, und die unmöglich lügen können.«

Ich fühlte mich in seltsamer Weise ergriffen, mehr überwunden als überzeugt, mehr gefangen als gerührt. Und doch war ich auch gerührt, aber mehr auf der Oberfläche als in der Tiefe meines Wesens. Ich mögte sagen daß der Kopf mehr als das Herz gefesselt war. Das Alles hatte Otbert für mich gethan, so lange ohne Hofnung an mir gehalten, o! dann muß er mich lieben! so räsonnirte ich .... allein ich fühlte es nicht ohne diese Beweise. Er drang nicht in mich mit Liebeswünschen und Liebesfoderungen; er schien nichts zu begehren als seine Empfindung an den Tag zu legen. Diese Zuversicht war vielleicht das was ihn für mich unwiderstehlich machte. Ich willigte in unsre Verbindung.

Denk' ich jezt an ihn zurück, so muß ich sagen: er war ein merkwürdiger Mensch! Er hatte in seiner Empfindungsweise die feine Glut, die bewegliche Reizbarkeit und den gewissen Eigensinn – was Alles man sonst den Weibern beizumessen pflegt, was aber vielleicht ebenso sehr mit einer [] nervenfeinen und sinnlich flammenden Organisation zusammenhängt, aus welcher wiederum die Dichternatur sich entwickelt. Diese feine lodernde anregende Liebe für alles Schöne, für jeden Genuß, ist für eine solche Dichternatur das, was die feuchtwarme, treibende Frühlingserde für den Pflanzenkeim ist: sie drängt ihn mächtig aus ihrem Schooß empor und hält ihn stets im innigen Zusammenhang mit sich selbst und ihren ahnungsreichen Geheimnissen und Symbolen. Aber sie bleibt nur die Basis seiner ferneren Entwickelung. Lüfte, Gestirne, Ungewitter, alle Elemente, alle Naturwesen, gießen ihren Segen und Unsegen über den zur Blume sich entfaltenden Keim aus; und wird sie zu jener Wunderblume, die wir Genie nennen, dann stralen wiederum von ihr magische Einflüsse aus – Farbenspiele, Düfte, Stralen, welche Andere ihrer Art nicht üben und nicht haben, und welche die Essenz einer höhern Ordnung der Wesen verrathen. Allein es giebt manche Dichternatur und wenig, sehr wenig Genies. Otbert hatte schöne und reiche Gaben; frage ich mich was ihm fehlte? so muß ich sagen: eine gewisse Schwere, die ihn nach Innen gezogen und gesammelt hätte; die Schwere, welche dem Diamant, der Perle, dem Golde eigen ist und sie [] so köstlich macht. Weil sie ihm fehlte, drum verflüchtigte er sich.

In jener Zeit benahm er sich gegen mich in der anmuthig koketten Weise, welche man ebenfalls als Erbtheil der Frauen betrachtet. Wie er ging, wie er stand, wie er sprach, wie er sich kleidete, wie er sich bewegte – Alles war, ich will nicht sagen berechnet, jedoch bewußt. Es stand ihm so gut, und er vergaß nie was ihm gut stand! Zuweilen warf ich ihm seine spielerische Eitelkeit vor.

»Gefalle ich Ihnen oder nicht?« fragte er.

Dann mußte ich freilich eingestehen, daß er mir ganz außerordentlich und mehr als je irgend ein Mann gefalle.

»Nun, dann lassen Sie mich doch gewähren! entgegnete er. Ich gehöre nun einmal nicht zu jenen täppischen Gesellen, welche sich die Liebe der schönsten Frau der Welt plump gefallen lassen, und durch ihre Derbheit eine häßliche Folie zu der Anmuth des Weibes bilden. Ich kann mir den Adonis nicht als einen schönen aber brutalen Jäger – nicht den Endymion als einen schwerfälligen Schäfer vorstellen nachdem sich die Göttinnen zu ihnen geneigt hatten. Vorher – ja! nachher – nein! Zu mir hat sich die Göttin geneigt, Sibylle, und [] mich in die duftige Atmosphäre ihrer süßen Schönheit gehüllt; – wie wollen Sie mir verbieten, daß ich mir nun selbst geweiht und verschönt erscheine! – Komme ich Ihnen weibisch und verweichlicht vor? – Bedenken Sie doch daß Nino in der gemeinen Tracht des Gondoliers Ihre Barke stundenlang gerudert, und stundenlang auf den Quadern des Quais, auf dem Strande von Torcello und Lido gelegen hat!«

Das war ebenso unbegreiflich als wahr; und die Summe von dem Allen war endlich – daß ich mich heftig in Otbert verliebte. Er beschäftigte so sehr meine Phantasie, er schmolz in ihre Silberwogen die Bilder seines Wesens so anmuthig ein, er funkelte und gaukelte in so poetischem Licht um Sinne und Seele – daß ich langsam und leise von unbestimmten Mächten fortgezogen wie in ein Glutmeer von aufgelöstem Purpur, Gold und Rosen hinein schwamm. Ich vergaß meine gewohnten Zweifel, Fragen und Grübeleien. Sie sanken gleichsam in ein verborgenes Fach, in einen tiefen Abgrund meiner Seele hinein, während ich wähnte, daß sie sich in Nichts aufgelöst hätten. Ich vergaß den dunkeln Strom, der sein Bett an das Ufer meiner Existenz drängte und es zu untergraben suchte; ich saß an dessen Abhang unter Blumen, [] Lauben und Kränzen und träumte von einem unvergänglichen Frühling.

Dieser Mann, so flatterhaft, wankelmüthig und unstät in seinen Neigungen, hatte sich seit Jahren mit dem Herzen an mich gefesselt gefühlt, und keine Trennung, keine Hofnungslosigkeit, keine Entmuthigung, keine Lockung zu andrem Glück, hatte ihn von mir abgelöst: das war Treue! – und aus dieser Treue hatte er zugleich süße Befriedigung und heimlich erkräftigende Zuversicht geschöpft: das war Liebe. Wie Jemand der sich körperlich überarbeitet hat und dem ein Wolthäter die Werkzeuge aus der müden Hand nimmt – oder wie Jemand der sich bei der Lösung eines Problems bis zum Schwindel angestrengt hat und endlich durch Intuition das Wort findet – so war mir zu Muth, so ruhte ich in süßer, auflösender Befriedigung, die als Reaction der unfruchtbaren und heftigen Anspannung über mich kam. – Nie hat mir ein Mensch besser gefallen als Otbert! ging er durchs Zimmer, so sah es gut aus; sagte er Ja oder Nein, so klang es gut. Mit seiner Meinung oder seiner Richtung war ich keinesweges immer einverstanden; aber ich betrachtete es als einen Beweis, daß zwei Menschen in einer höheren Sphäre als in der des Verstandes sich harmonisch zusammenfinden konnten. [] Er war ein fascinirender Mensch wenn er es sein wollte; man hatte jeden Augenblick Lust ihn zu tadeln oder Veranlassung zu Mißbilligung; allein man brachte es nie dahin. Eine oberflächliche Ansicht, welche meint der Mensch sei derselbe heute wie vor zehn und wie nach zehn Jahren, dürfte in Erstaunen gerathen daß ich nicht früher Otberts Zauber verfallen sei. Ich kann darauf nur entgegnen: früher war der Augenblick nicht für mich gekommen. Das unbegreifliche und meistens unselige Wechselspiel unsers innerlichsten Lebens, hängt wie der Klang der Aeolsharfe von unberechenbaren und unbekannten Gewalten ab. Dieser Luftzug – sie tönt! jener – sie schweigt! und noch einer – sie braust! Durch welche innere Umbildungen und Umwandlungen ein Mensch geht, den man doch vor fünf oder zehn oder zwanzig Jahren in derselben Lage und Hauptrichtung gekannt hat: das freilich weiß nur er und Gott allein! Wären sie nicht – wie käme es denn daß die Menschen mit Freudenflaggen ins Lebensmeer hinaus segelnd nach kurzer Frist unter Trauerflagge heimkehrten? Und der Eine hält doch das ersehnte und errungene Weib in den Armen – aber an einem erkalteten Herzen! Und der Andre trägt noch seine stolze Krone – aber über einer geknickten Seele! Und der Dritte [] hat noch all sein Gold und all seine Schätze – aber sie sind ihm ohne Werth! Und der Vierte lächelt noch immer – aber aus Hohn! Und der Fünfte hält noch immer so hoch und herrscherisch sein Haupt – aber heimlich verachtet er sich selbst! – – – Du der mich liesest, sprich, ist es nicht so? – –

Einst kam etwas zur Sprache was ich nie geahnt.

»Ich bin nicht reich, Sibylle,« sagte Otbert, bei ich weiß nicht welcher Veranlassung.

»Nicht reich?« wiederholte ich sehr erstaunt.

»Warum erschreckt Sie das?«

»Es erschreckt mich gar nicht .... es überrascht mich nur! denn wenn Sie es nicht sind, wie kommen Sie alsdann zu Ihren Nabobs-Allüren?«

»Theils durch Gewohnheit keinen Werth auf Reichthum zu legen – was zur Folge hat daß die Leute mich für einen Millionär halten und mir Geld geben so viel ich verlange; theils spiele ich zuweilen sehr glücklich.«

»Ich habe oft gehört daß das Spiel die Menschen arm – nie daß es sie reich gemacht habe .... außer – Spieler von Profession.«

»Ich verachte ein wenig jede Sorte von Profession, weil sie den Menschen kriechend vor seinen Kunden macht. Aber zuweilen, Sibylle, bin ich [] in high spirit, glückerwartend, glücksgewiß: dann wag' ich enorm auf einen Satz, und der gelingt mir alsdann immer. Ich hab' auch mitunter Anwandlungen von Aberglauben, von Zeichendeuterei. Ich sage mir: Gelingt dir dieser Wurf, so ist das Glück dir hold und dir werden noch ganz andre Dinge gelingen. In solchen Stimmungen spiel' ich auch immer glücklich.«

»Und wenn Sie in low spirit sind – wie dann?«

»Dann suche ich überhaupt gar nicht zu spielen – wie ich im Allgemeinen zu nichts Gutem fähig bin, wenn ich mich matt und grundlos herabgestimmt fühle.«

»Stellen Sie Glück haben und zum Guten aufgelegt sein in eine Linie?« fragte ich lächelnd.

»Zuweilen .... warum nicht? Jedem Augenblick gewachsen und für ihn tüchtig sein ist – gut sein. Spiele ich, so will ich Glück haben, setze ich meinen Willen durch, so bin ich tüchtig« .... –

»Ja, sobald Ihre eigne Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer Ihren Willen unterstützt und geregelt haben!« unterbrach ich ihn.

»O! rief er, Sie können gar nicht wissen ob nicht der bloße Wille des Menschen ohne alle jene Stützen und Regeln von einem weit beherrschenderen Einfluß auf unsre Geschicke ist.«

[] »Das meinte ich nicht, Otbert. Ich meinte nur daß wollen und das Gute wollen zweierlei sei.«

»Leider ist es im Allgemeinen so; denn der Mensch ist zugleich roh und beschränkt. Wenn er seinen Willen von seiner individuellen Bedürftigkeit abklärte und ihn über den Horizont seiner Persönlichkeit hinaus erweiterte – wenn er sich zugleich feiner und freier aus der Brutalität und aus der Sclaverei seines Ichs herausschälte – so würde wollen und das Gute wollen immer zusammenfallen.«

Das Gespräch spann sich leicht und angenehm mit Otbert fort, und ich vergaß gänzlich daß er mir zwei Dinge gesagt, die mich im Grunde höchst unangenehm berührt hatten: daß er enorm spiele und keine Vermögen habe. Ich, meiner Natur nach, legte kein Gewicht auf Reichthum, weil ich aus Erfahrung wußte wie leicht ich ihn entbehren könne; denn ich hatte über zwei Jahr mit der größten Einschränkung in Engelau gelebt und mich nicht unglücklicher gefühlt als in Rom, Paris und London wo ich mit der unsinnigsten Verschwendung lebte. Allein grade jene zwei Jahr in Engelau hatten die Ansicht in mir gereift, daß ich das Vermögen meiner Vorfahren auch auf meine Nachkommen übertragen – daß es durch meine Hand [] gehen, jedoch nicht in derselben aufgehen müsse. Astraus Verfahren, welches ich sehr richtig mit Nabobs-Allüren bezeichnet hatte, beklemmte mich wie eine unheimliche Ahnung, und umsomehr als mir meine Besorgniß um Geld und Gut wie ein Zeichen gemeiner Gesinnung vorkam.

Unbehaglicher noch als diese Entdeckung war mir die Eifersucht, die Astrau gegen Sedlaczech an den Tag legte, weil es mir unmöglich schien, daß er sie wirklich empfinden könne. Er hatte mich ja monatelang als Nino in der größten Zwanglosigkeit meines Lebens beobachtet – hatte wahrnehmen müssen, daß eine ernste, fast mögt' ich sagen schüchterne Freundschaft zwischen mir und Sedlaczech walte, daß ich ihn nicht einmal in der vertraulichen Weise eines langjährigen Lehrers und Hausfreundes behandle, daß mehr Zurückhaltung als Hingebung, mehr Schweigen als Reden zwischen uns herrsche; – woher denn der lächerliche Verdacht? Das sagte ich ihm einmal – zwanzig Mal. Umsonst. Er blieb bei seiner Behauptung: Sedlaczech sei ein höchst gefährlicher Mensch, der mich liebe, und der eher sterben als mir seine Liebe gestehen werde, und ob ich glaube daß es ihm gleichgültig sein könne mich neben einem solchen unterirdischen Vulkan zu wissen.

[] »Warum nicht, sobald Sie die Ueberzeugung haben daß nie ein Ausbruch kommen wird?« fragte ich sorglos.

»Sehen Sie wie sich Ihre geheime Ueberzeugung in dieser Aeußerung verräth!« brach er aus.

Ich besaß die Eigenschaft aller stolzen Seelen: dem Vorwurf und besonders dem ungerechten Vorwurf gegenüber, schwieg ich kalt. Meine Gedanken dabei waren: Hab' ich den Vorwurf verdient, so darf ich nichts sagen; hab' ich ihn nicht verdient, so weiß ich nichts zu sagen. Und hier allerdings wußte ich gar nichts Beruhigendes anzuführen als mein Leben – und das sollte nicht gelten!

Auf seinen Knien bat Otbert mich endlich Sedlaczech zur Abreise zu veranlassen.

»Wie eine finstre Wolke steht er in unserm Frühlingshimmel! rief er; lassen Sie ihn doch gehen! Ich fühle mich so bedrückt durch ihn wie ehedem Venedig durch die Staatsinquisition! Er ist mir nun einmal antipathisch und macht mein ganzes Nervensystem auf die peinlichste Weise vibriren. Verstehen Sie das nicht? giebt es nicht auch für Sie Individuen bei denen es Ihnen unbegreiflich wol oder weh wird ohne daß Sie sich über das Warum Rechenschaft ablegen könnten? Nun sehen [] Sie, er thut mir weh .... durch Nichts wenn Sie wollen .... d.h. durch Alles.«

»Ein edler Sinn, ein hohes Herz, ein reicher Geist müßte sich durch das Gleichartige nicht abgestoßen sondern angezogen fühlen, Otbert, und sich hüten flüchtige Launen als unüberwindliche in der Essenz des ganzen Organismus wurzelnde Antipathie zu betrachten.«

»Sibylle, glauben Sie nicht daß um jedes Geschaffne, heiße es Gestirn oder Grashalm, Mücke oder Mensch, eine ihm und nur ihm angehörende Atmosphäre schwebt, welche sich aus seiner Gesamt-Eigenthümlichkeit entwickelt? Bei jeder Pflanze, jedem Baum ist sie wahrzunehmen: die Einen üben gedeihlichen Einfluß auf einander, die Andern schädlichen, gar vernichtenden. Die feine und reiche Organisation des Menschen ist dieser Eigenthümlichkeit aller Naturwesen nicht enthoben. Im Gegentheil! die Uressenz seiner Individualität macht sich um so stärker geltend je mehr diese ausgeprägt, je origineller sie geblieben ist – und der Duft, der Aether, das Unfaßbare und Unnennbare welches sich aus ihrer ganzen leiblichen und geistigen Beschaffenheit entwickelt, übt auf andre Organismen eine ebenso entschiedene Anziehungs- und Abstoßungskraft, wie der Magnet nur das Eisen, wie die [] Erde nur den Mond an sich zieht – wie das Glas springt wenn der Ton aus dem Instrument gelockt wird der in ihm schlummert. Warum zieht der Magnet nicht das Gold an? warum rollt nicht der Sirius um die Erde? warum springt von funfzig Gläsern nur dies eine? – weil da der Zusammenhang in der Uressenz fehlt.«

»Das sind Phänomene über welche die Natur einen Zauberschleier wirft, den die plumpe sinnliche Hand nicht heben kann, unterbrach ich ihn; allein der Mensch kann mit dem Licht des Bewußtseins diesen dunkeln Gewalten Widerstand leisten.«

»Er kann es wenigstens versuchen, und er soll es – entgegnete Astrau. Aber bei diesen Versuchen ereignen sich Phänomene andrer Art. Hier sehen Sie ein Paar Eheleute, dort Mutter und Tochter, da zwei Brüder sich abarbeiten in dem Bestreben zu einem zufriedenstellenden erträglichen Verhältniß zu gelangen. Wäre ein Theil lasterhaft und der andre tugendhaft – der eine ein Spitzbube, der Andere ein Ehrenmann: so erklärte sich die Unvereinbarkeit der Naturen. Aber nein! es sind Beides brave Menschen, Beide geben sich redlich Mühe – doch umsonst! sie reiben sich auf in unfruchtbaren Bestrebungen, fühlen sich gedrückt, gehemmt, elend, oft ohne die Ursach zu wissen oder[] sich selbst eingestehen zu wollen. Es kommt eine unwillkürliche Erstarrung über sie, eine Lähmung ihrer edelsten und feinsten Fähigkeiten; und das schwindet und zerschmilzt sobald sie dem feindlichen Einfluß enthoben und unter einen wolthätigen gebracht sind. Dann kommen sie zu Athem und zu Besinnung, und müssen dennoch zugeben, daß die Menschen bei denen sie sich wol fühlen nicht besser, nicht klüger, nicht tüchtiger als Jene sind; allein sie haben einen gemeinsamen und homogenen Lebensäther. Sedlaczech und ich – wir haben einen heterogenen.«

»Otbert! Otbert! es ist unleugbar viel Wahrheit in dem was Sie sagen und Jeder von uns hat gewiß dergleichen Erfahrungen gemacht. Aber man muß behutsam zu Werk gehen, wenn man diese Richtschnur brauchen will; man muß sich möglichst partei- und leidenschaftlos, möglichst menschenfreundlich und unselbstsüchtig erhalten; – man muß eine Seele von der sensitivsten Zartheit haben: sonst wird man in die schneidendsten Ungerechtigkeiten und in die wunderlichsten und traurigsten Irrthümer verfallen. Der Mensch – durch Cultur der Sphäre seiner primitiven Begabung entrückt – durch Civilisation zu einer künstlichen ausgearbeitet – durch Erziehung noch ganz speciel soll ich sagen gebildet [] oder zugestutzt – durch Gewohnheit der Gesellschaft abgestumpft gegen die Erscheinung des Menschen – durch persönliche Erfahrungen bald mißtrauisch bald blindvertrauend gemacht: der Mensch aus unsrer Zeit und unsrer Welt, ihren Einflüssen, Regeln und Gesetzen unterthan, durch sie gesäugt, von ihnen gewiegt – sollte eine solche clairvoyance der Erkenntniß haben, daß dieselbe mit seinem dunkeln Instinct zusammenfiele, und ihn sicherer führte als Beobachtung und Prüfung!?«

»Meine arme Sibylle, entgegnete Otbert mitleidig, Beobachtung und Prüfung führen uns meistentheils so verkehrt und in die Irre, daß der Instinct wenig zu thun braucht um es besser zu machen! – Ich für meine Person halte es, wenn es auf ein Urtheil ankommt, in den meisten Fällen mit dem Ergebniß der unwillkürlichen, unräsonirten Regung; denn unser mehr oder weniger sophistisches Räsonnement, durch das zweifelnde Dämmerlicht unsers Verstandes mehr beleuchtet als erleuchtet, ist ganz dazu geeignet um uns an der Wahrheit selbst irre zu machen.«

»Das ist richtig! entgegnete ich traurig. Ach, wie er es auch beginne, dem Menschen vom Mittelschlag ist Irrthum und Täuschung gewiß! Unsre unvollkommnen Fähigkeiten werfen ihren tiefen Schatten [] über die flüchtige Erkenntniß die zuweilen in uns auftaucht um wie eine himmlische Vision in dem Nebel der Alltäglichkeit zu verschwinden.«

»O mein Engel! nichts von diesem Rückfall ins Schattenreich! rief Otbert, kniete vor mir nieder und umspann mich mit dem eindringlichen warmen Blick seiner glänzenden schwarzen länglichgeschnittenen Augen. – Sieh, ich bin wie Orpheus! ich habe die geliebte Eurydice in jenem Reich gesucht, gefunden, be freit – ich trage sie in meinen Armen zum goldnen Tageslicht, zum süßen Liebesleben empor – ich bin freudezitternd über meinen Sieg und meine Seligkeit; – o jezt keinen Rückblick mehr, keine Gemeinschaft mit den Schatten der Vergangenheit. Sieh! Sedlaczech gehört ihr an; er ruft jene empor, unabsichtlich, nur durch sein Dasein. Laß ihn gehen, Sibylle! o ich mögte Dich von der ganzen Welt isoliren, alle früheren Eindrücke aus Dir verwischen, damit Du mit mir und durch mich das Leben kennen lerntest.«

Mit welchen Gründen sollte ich diese Bitten und Wünsche abweisen? Ich hatte keine. Wir waren im Mai; im hohen Sommer wollten wir nach der Schweiz gehen und uns dort verheirathen. Wollte Otbert in seiner jungen Häuslichkeit keinen Dritten haben – ich begriff das! allein jezt einen Mann [] zu entfernen, meinen Lehrer, Freund und Gast, den ich eingeladen hatte, das schien mir tyrannisch gegen mich und roh gegen Sedlaczech. Und dennoch erfüllte ich Astraus Wunsch! – – So wie ich den Entschluß gefaßt ihn zu heirathen, hatte ich denselben gegen Sedlaczech ausgesprochen. Er antwortete mir nichts als:

»Gott segne Sie in all Ihrem Thun.«

Seitdem hielt er sich noch ferner als sonst von mir und war auch noch schweigsamer und zurückhaltender in meiner Gesellschaft. Zuweilen in Otberts Gegenwart, angeregt durch dessen Gespräche, wurde er lebhaft und mittheilend, und dann gab es keinen größeren Contrast als diese beiden Männer sowol in der äußeren Erscheinung als in dem Ausdruck ihrer inneren Richtung. Astrau – ein Sohn der Sonne, glänzend, prächtig, herrschend, siegesgewohnt und bewußt, ein heitres süßes Spiel aus dem Leben und dessen ernstesten Gaben machend, die Schatten fliehend, also auch Wehmuth, Kampf und Schmerz fast ängstlich vermeidend – ein verzogenes Kind des Schicksals und der Menschen, dem Alles geglückt war was er sich je in den Kopf gesetzt, und daher von einem Selbstvertrauen ohne Gleichen, das ihn zu seinem eignen Gott erhob. Sedlaczech – eine Mondscheingestalt, die von[] Millionen unbeachtet lautlos zwischen ihnen dahin glitt; ein Verstoßener aus den Reihen der sogenannt Glücklichen der Welt; von der größten Schüchternheit, wie der Mangel an Erfolg und vielleicht herbe Erfahrungen das mit sich brachten; von der nachhaltigsten Ausdauer, die aus dem unabweislichen Instinct seines Genies hervorging; voll tiefem Glauben an göttliche Führung, daher voll tiefer Ueberzeugungen und gewappnet zu jedem Kampf; stolz genug um stets das Bewußtsein festzuhalten, daß er seinen Weg erkannt habe und verfolgen müsse, und wenn auch nicht Einer dies anerkenne; aber nicht eitel genug um im Selbstvertrauen eine Bürgschaft zu finden, daß seine Kräfte ausreichen würden für die Mühsale des Weges. Astrau dem Beifall der Welt entrückt, würde vielleicht ohne poetische Inspiration geblieben sein und gewiß nicht das Bedürfniß gehabt haben sich ihr hinzugeben. Er behauptete zum Improvisator oder zum Schauspieler geboren zu sein, da nichts ihn so anfeure und belebe als die elektrische Spontaneität der geistigen Berührung zwischen einem solchen Künstler und der bewundernden, hingerissenen, athemlosen Menge. Sedlaczech würde in der tiefsten Einsamkeit die mächtigsten Inspirationen gehabt und sich durch sie beseligt gefühlt haben, wenn auch deren [] Blüten, seine Schöpfungen, nie für ein menschliches Ohr erklungen wären. Jener lechzte nach Lob und Schmeichelwort; dieser wehrte kühl auch den geringsten Ausdruck des Beifalls ab. Astrau wollte die volle Huldigung der Zeitgenossen, Sedlaczech schmachtete nach dem Ruhm der Nachwelt. Jener sagte:

»Wer die Gegenwart beherrscht indem er ihrer Gesinnung den entsprechenden Ausdruck leiht, und die in ihr gährenden Elemente in eine klare feste Form gießt, welche sich jedem Auge als das tausendmal geträumte Bild befreundet entgegenstellt: der ist der König seiner Zeit, und es ist gleichviel ob eine spätere ihn dafür anerkennt .... da ohnehin die frühere es nicht kann. Für eine Epoche ist der Mensch geboren, drum soll er sie füllen wenn er es vermag. Das ist sein ächter lebendiger Ruhm. Der todte Nachruhm ferner Jahrhunderte beweist sehr häufig daß der Berühmte seine Zeit und seine Mission nicht verstanden hat.«

Sedlaczech sagte gelassen als ob es sich um die einfachste Sache der Welt handle: »Ich bin nur durstig nach Unsterblichkeit und nach dem Bewußtsein daß ich gestrebt habe als ob ich sie verdiente.«

»O! rief ich dazwischen, wie seid Ihr glücklich, Ihr Beide, daß Ihr eine Idee habt, welche Euch [] in jedem Moment beseelt – welche Ihr mit jedem Athemzug verfolgt – woran Ihr Eure Seele unabtrennbar vor Anker gelegt habt, so daß Ihr nie in der Irre auf diesem ungeheuren Ocean umhertaumelt den man Leben nennt! .... Ihr wißt was Gott mit Euch will! Ihr lebt seine Idee in Euch aus! sei das nun groß oder klein, viel oder wenig, hoch oder niedrig in den Resultaten – einerlei! Ihr verfolgt Euer Ziel. Astrau will den Genuß, Sedlaczech will das Streben .... o Ihr Beneidenswerthen! – Was will denn ich? Was will denn Gott mit mir? .... Nichts, nichts und abermals nichts. Und so verfalle ich denn auch dem Nichts.«

»Und Sie wähnen zu lieben, Sibylle! rief Otbert heftig bewegt. Ein Weib das liebt hat nie gefragt was Gott sonst noch mit ihm wolle.«

»Auch ich werd' es lernen ohne zu fragen, Otbert! sagte ich herzlich und gab ihm die Hand. Es ist nur so schwer sich von alten Gewohnheiten loszumachen.«

Als Otbert mir aber in Folge dieses Gesprächs vorwarf ich hätte mehr Theilnahme für Sedlaczechs Lebensanschauung als für die seine an den Tag gelegt, so beschloß ich diesen Quälereien ein Ende [] zu machen und Letzterem offenherzig zu sagen um was es sich handle. Ich that es.

»Lieber Meister! sagte ich, ich weiß nicht ob Sie wissen daß die Männer wunderliche Grillen haben und daß vor allen Anderen die Liebenden sich darin hervorthun.«

»Inwiefern könnten Graf Astraus Grillen mich betreffen?« fragte Sedlaczech trocken.

»Grade Sie! entgegnete ich tödtlich verlegen und daher mit erzwungener Munterkeit. Er findet Sie zu liebenswürdig um neben Ihnen seiner eignen Liebenswürdigkeit gewiß zu sein und das beklemmt ihn.«

Sedlaczech legte seine seltsamen Augen mit einem langen Blick auf mich, sagte dann ruhig:

»So leben Sie denn recht, recht wol und in eine glückliche Zukunft hinein!« – schüttelte mir die Hand und wollte gehen.

»Aber wohin werden Sie denn gehen? rief ich beängstigt. Und soll ich nichts von Ihnen hören und Sie nicht wiedersehen? Ach Gott! Sie sind mir wie ein Vermächtniß meiner lieben Todten .... ich hätte so gern mit Ihnen fortgelebt wie bisher.«

»Ich auch! sagte er traurig, setzte dann aber gleich freundlich hinzu: Einem großen Glück müssen kleine Opfer gebracht werden, theure Sibylle: halten Sie das recht fest jezt, da Sie in neue Verhältnisse [] treten, und lassen Sie getrost alles Unwesentliche, wodurch es gestört werden könnte fallen.«

»Also glauben Sie doch wirklich an ein großes Glück für mich! rief ich hofnungsfreudig. Ich gestehe Ihnen mir schien zuweilen als ob Sie daran zweifelten.«

»Kein Mensch begreift ein fremdes Glück! das Paradies des Einen würde des Andern Hölle sein. Daß ich Ihr Glück inbrünstiger wünsche als irgend Jemand – das weiß ich .... sonst nichts! – Ich denke nach Rom zu gehen, setzte er abbrechend hinzu, um die neue römische Kirchenmusik kennen zu lernen, da man die alte vielleicht nirgends seltner hört als dort – in der Charwoche ausgenommen. Ich habe viel zu arbeiten, zu studiren, zu vollenden, und ich denke es wird mir wol gehen in der Heimat Palestrinas.«

»Aber wie .... womit .... werden Sie leben?« fragte ich schüchtern.

»Wie sonst! ich habe ja meine alten Hülfsmittel und überdas wenig Bedürfnisse. Ich habe mein Leben nicht darauf eingerichtet stets in einem Palast Gradenigo zu wohnen – fügte er lächelnd hinzu – und in einer einsamen Hütte braucht man nicht viel.«

Ich weiß nicht warum, allein mir wurden die Augen feucht.

[]

»Grämt Sie das, Sie Verwöhnte! daß der Mensch wenig bedarf?« fragte er liebreich.

»Daß Sie gehen grämt mich! rief ich mit heißen Thränen, und daß Sie in die einsame Ferne, wo Niemand Ihrer harrt, ziehen – grämt mich noch mehr. Wüßt' ich Sie glücklich, sei's in Rom, sei's am Nord-oder Südpol – ich würde nichts sagen, aber jezt .... muß ich weinen.«

»Leben Sie wol, Sibylle!« sagte er mit bebender Stimme, mit schimmerndem Blick, und reichte mir abermals die Hand.

Ich umklammerte diese Hand mit der Linken, ich legte die Rechte auf seine Schulter, und sagte:

»Vor Jahren – ich selbst weiß nicht mehr vor wie langen Jahren .... hab' ich Sie einmal beten sehen; das was ich beten nenne: nicht bitten um irdische Güter oder himmlische Gaben, sondern die Seele aufschwingen zur Ruhe in Gott. Seitdem, Fidelis, hab' ich viel gesehen und viel vergessen, aber .... wie Sie beteten hab' ich nie und nimmer vergessen. Nun sagen Sie mir: können Sie noch jezt so beten?«

»Jezt erst recht!« sprach er fest.

Ich trat zurück, faltete meine Hände vor der Brust und rief: »Nun so gehen Sie denn, Sie gesegneter und verehrter Mensch! und wenn ich [] dessen würdig bin, so gedenken Sie meiner Seele in Ihrem Gebet, damit sie im Schutz der Ihren zu Gott komme.«

Eine Welt von extatischen Empfindungen trat während ich sprach in Sedlaczechs Antlitz. Als ich schwieg legte er wie aus einem Traum erwachend die Hand über die Augen, neigte sich stumm und tief vor mir und verließ langsam mein Cabinet.

Otbert schloß mich freudig in seine Arme als ich ihm Sedlaczechs bevorstehende Abreise mittheilte und sagte:

»Sie sind so bewegt durch den Abschied, Sibylle, daß ich mich derselben doppelt freuen muß.«

»Durch den Abschied bin ich es allerdings, entgegnete ich, denn die Entfernung einer treuen Seele thut immer weh; – durch unser Zusammensein bin ich es jedoch nie gewesen.«

Otbert war unendlich dankbar, höchst liebenswürdig und angeregt, und oft gedachte ich Arabellas und begriff daß sie, grade sie, seinem Zauber nicht habe widerstehen können. Obgleich mein Bewußtsein mir sagte, daß ich auf keine Weise störend zwischen sie und Otbert getreten sei, so war mir doch immer zu Sinn als müsse ich sie heimlich meines Glückes wegen um Verzeihung bitten. Einmal gerieth ich auf den Einfall ihr zu [] schreiben, daß ich auf dem Punkt sei Otbert zu heirathen; da aber unsre freundschaftliche Verbindung seit meiner Abreise von England abgebrochen und durch keinen brieflichen Verkehr wieder angeknüpft war: so schien es mir nach reiflicher Ueberlegung taktlos und grausam sie bei dieser Veranlassung wieder anspinnen zu wollen. Ueberdas gerieth ich durch das Glück in jene Verweichlichung welche uns ängstlich jede bittere oder peinliche Empfindung fliehen läßt. Ich wollte glücklich sein, und Otberts Liebe machte mich glücklich. Seine Treue und Ausdauer hatte er mir bewiesen; jezt legte er mir sein Bestreben an den Tag auch in seiner geistigen Richtung, in seinen Studien und Beschäftigungen meinen Beifall zu gewinnen. Er arbeitete damals an seiner reizenden »Sirene.« Der Gegenstand foderte Bekanntschaft mit der venetianischen Geschichte. Wir lasen sie zusammen. Wir durchfuhren und betrachteten zusammen bis in die geringsten Einzelheiten ganz Venedig um das Characteristische und Eigenthümliche bis in dem entferntesten Winkel, der abgelegensten Sandbank aufzusuchen. Wir ruhten zusammen von diesen Excursionen bei Venedigs unvergleichlichen Kunstschätzen aus und gaben uns bei abendlichen Gondelfahrten dem vollen Zauber dieser Feenstadt hin. Zuweilen [] recitirte Otbert während dieser Fahrten einzelne Strophen aus der »Sirene« welche auf die Scenerie oder auf unsre eigene Stimmung paßten; oder er besprach mit mir irgend ein Bild oder eine Idee, die er dem Gedicht einverleiben wollte. Zuweilen ordnete er Musik zu unsrer Begleitung an und dann war schweigen noch süßer als reden. So kam der Julius heran, den ich zu meiner Abreise nach der Schweiz festgesetzt hatte. Es war ein fürchterlich heißer Sommer; die Sonnenhitze verwandelte Luft und Wasser in geschmolzenes Blei und brütete, ich mögte sagen mit dumpfer Wuth über der Lagune. Ich fürchtete für Benvenutas Gesundheit; ich hatte freilich wieder die kleine Wohnung auf Torcello für sie genommen, aber sie kam ihr wenig zu gut, denn die Hitze begann mit Sonnenaufgang und dauerte bis gegen Mitternacht, so daß eigentlich nur die Paar Stunden der Nacht gegen den Morgen zu Kühlung gewährten. Ich sehnte mich nach der frischen Bergluft der Schweiz. Um so überraschender war es mir als Otbert mich eines Tages bat diese Reise aufzugeben, aber sein Glück nicht länger zu verzögern. Die Arbeit unter den gegenwärtigen Verhältnissen mache ihn so glücklich – die Umgebung wirke so harmonisch mit der innern Stimmung zusammen – die poetische Erregung [] sei so mächtig und übersprudelnd in ihm, daß ihm zu Muth sei als begehe er einen Frevel an seiner Muse wenn er von dieser geweihten Stätte weiche. Ueberdas sei ihm Venedig so lieb durch die Seltsamkeit und Seligkeit des Geschicks, welche er hier gekostet habe, daß er an keinem andern Ort der Welt den Moment der Erfüllung seines höchsten Glücks erleben möge. Er trug mir das Alles in seiner Weise vor, die ich unwiderstehlich fand, und die Folge davon war, daß Alles genau so gemacht und eingerichtet wurde wie er es wünschte. Wir wurden in aller Stille vermält. Otbert verließ das Hotel Danieli am Quai der Slavonier wo er bis dahin gewohnt hatte und bezog meinen Palast Gradenigo. Eine kleine Wohnung auf Torcello – aber eine andere als Benvenutas – erwählte er sich für Stunden und Launen in denen ihm völlige Einsamkeit nothwendig sei; und das fiel mir weiter nicht auf, da ich selbst mehr als jeder Andre die aller unabhängigsten, ja vielleicht grillenhafte Lebensgewohnheiten hatte.

So war ich denn Otberts Frau! – bis dahin hatte mich eine unüberwindliche Schüchternheit zurückgehalten mit ihm über seine pecuniären Verhältnisse gründlich zu sprechen. Jezt that ich es; denn aus den Zeiten meiner Ehe mit Paul wußte ich [] in welch ein Labyrinth von Sorgen man sich durch nachlässige Verschwendung und gedankenlose Unordnung verwickelt.

»Geliebter Engel, entgegnete Otbert sehr gelassen, ich habe unzählige Schulden.«

»Ich wünschte doch sehr daß Du sie zählen mögtest .... weiter nichts, Otbert!«

»Ja sieh, das werden die Leute, welche mir geborgt haben, wol genauer können als ich. Mit dem unseligen Gelde war ich immer übel dran. Wir haben uns nie mit einander vertragen können, drum nahm es immer mit der größten Eile bei mir Reißaus.«

»Erlaubst Du mir künftig Dein Schatzmeister zu sein?«

»O! rief Otbert entzückt, dann wird mir das Leben noch einmal so freudig vergehen als sonst. Die Qual nie Geld zu haben und immer Geld zu brauchen, ist mit keiner andern zu vergleichen! Zuweilen fühlte ich mich durch sie gelähmt an allen Sinnen und Kräften .... wahrhaft elend. Ich verstehe diese Geschäfte nicht, habe sie nie gelernt, erwuchs als der Sohn eines reichen Mannes, der aber noch zwei Söhne außer mir hatte. Nach seinem Tode wurde das Vermögen zwischen uns und der Mutter vertheilt. Meine Brüder haben [] es verstanden reiche Männer zu werden; ich habe mich nie um mein Vermögen gekümmert! meine gute Mutter hat es nach besten Kräften verwaltet .... jezt wird ihr, glaub' ich, diese Verwaltung nicht mehr viel Mühe machen. Indessen .... wenn wir einmal nach Deutschland heimkehren, wollen wir doch die Sache genau untersuchen um zu erfahren, was ich eigentlich habe oder nicht habe .... wenn's Dich interessirt, mein Engel.«

Nie hab' ich einen Menschen gesehen, der das Geld weniger beachtet und mehr verbraucht hätte! er war nichts weniger als habsüchtig; er verschenkte und verschwendete eignes wie fremdes Gut mit derselben Fahrlässigkeit; er war im höchsten Grade freigebig und großmüthig; das gefiel mir sehr! allein ebensosehr mißfiel mir diese bodenlose Unordnung. Es kam ihm nicht in den Sinn irgend Jemand übervortheilen zu wollen. So wie seine Gelder einliefen, berief er seine Gläubiger und zahlte ihre Foderungen; blieben jene aber aus oder reichten sie für seinen Verbrauch nicht hin, so beunruhigte ihn das nicht im Mindesten; er borgte aufs Neue und verzehrte in dieser Weise seine Habe. Als mein Haus das seine ward und er mir die unbeschränkte Leitung desselben übertrug, ordnete ich seine ganzen pecuniären Verhältnisse [] insoweit sie sich an Venedig knüpften aufs Pünktlichste. Er dankte mir herzlich – aber nur für meine Mühe; die Sache selbst war ihm gleichgültig. Ich fühlte mich einmal verpflichtet ihn über deren Wichtigkeit aufzuklären. Er hörte mir verwundert zu und erwiderte dann:

»Lieber Engel! ganz unabhängig ist auf unsrer Sclavenwelt Niemand. Lebt man wie ich, so ist man, wie Du ganz richtig bemerkst, etwas abhängig von Juden, Wucherern und dergleichen Gesindel; – lebt man wie Du, so ist man abhängig von seinem Budget. Der Eine fühlt sich frei durch die Ordnung in seinen Rechnungsbüchern; den Andern bedrückt der Gedanke sie in Ordnung halten zu sollen. Wenn ich gestern zehntausend Thaler ausgegeben habe, so weiß ich heute kaum – und morgen gewiß nicht mehr die Zahl. Wozu auch? Den Genuß den sie mir verschaft hat habe ich erstrebt und erlangt: und das ist der Zweck des Geldes.«

Ich sah ein daß es ganz umsonst sein würde über diesen Punkt mit ihm zu streiten. Aus Neigung und Bequemlichkeit hatte er sich ein System über diesen Zweck des Geldes gemacht, wohinter er sich mit der höchsten Gelassenheit verschanzte. Ganz wahr ging er nicht dabei zu Werk – wie [] das mit der sogenannten consequenten Durchführung jedes Systems verbunden ist – aber um so fester hing er an demselben. Kurz nach unsrer Verheirathung schickte ihm seine Mutter eine Anweisung auf 2000 Thaler, wenn ich nicht irre, mit der Bemerkung dies wären seine einzigen Einkünfte für das laufende Jahr. Was that er? – Mir war ein wunderschöner türkischer Shawl für einen enormen Preis angeboten; ich hatte ihn nicht genommen. Otbert kaufte ihn; – kaufte dazu einen Kasten von Cedernholz, der im orientalischen Geschmack mit Arabesken von kleinen vergoldeten Nägeln beschlagen war, und legte mir dies Prachtgeschenk zu Füßen. Ich freute mich eigentlich nur an seiner Freude über dasselbe. Er hing mir den Shawl um, erst so, dann so, er ließ meine übrigen Shawls bringen, legte sie alle selbst in den herrlichen Kasten, und freute sich an ihrer Zartheit und ihren Zeichnungen.

»Eine Schönheit wie Du muß nichts als die köstlichsten Stoffe tragen, sagte er, und von den köstlichsten Stoffen umgeben sein. Deine kleinen weißen Linonkleider sind mir ganz unangenehm. Warum kleidest Du Dich nicht in ostindischen Musselin?«

Ich sagte ihm ostindischer Musselin sei eine Tradition [] aus der Jugendzeit unsrer Mütter, und heutzutag aus der Mode. Er versicherte er würde mir ein solches Kleid verschaffen. Am andern Tage erschien er triumphirend:

»Siehst Du, ich hab' ihn gefunden, den zarten wasserdünnen Stoff! ich foderte das leichteste und kostbarste der Art .... da bekam ich ihn gleich.«

Ich öfnete das Päckchen welches er mir gab – es war wunderschöner Batist die Elle zu drei Dukaten. Er war so froh über seinen vermeintlichen Fund daß ich ihn nicht enttäuschen mogte. Ich versprach mir daraus ein Kleid machen zu lassen »ganz überrieselt von Brüsseler Kanten.« Das Kleid wurde gemacht, aber von dem feinsten weichsten Musselin den ich finden konnte; und als ich darin vor ihm erschien, schmückte er mich mit meinen Perlen, hing mir einen Spitzenschleier über das Haar und den neuen blaßgrünen Shawl um die Schultern.

»Nun siehst Du aus wie Adriatica des Dogen Braut! rief er entzückt. Komm! laß uns fahren!«

Bei der Gondel neue Ueberraschung! Am Tage fuhr ich immer in einer bedeckten; Abends ließ ich den Kasten abnehmen. Jezt schwebte ein Baldachin von weißem Tafft mit Silberfranzen, an allen vier Ecken mit großen Blumensträußen geschmückt, über [] ihr. Die Polster waren ebenfalls von weißem Seidenstoff und purpurfarbener Sammt diente als Fußteppich. Sie war von elfenhafter Zierlichkeit und gefiel mir sehr. Otbert sagte:

»Jezt ist sie Deiner würdig.«

Gino meinte ihm sei zu Muth als fahre er die Göttin Venus selbst, und so ging es den Canal grande hinauf und herab, von einer Barke mit Musik begleitet. Dann zur Piazzetta. Ich hatte nicht große Lust in meinem etwas fabelhaften Anzug die Gondel zu verlassen und auf den Markusplatz zu gehen; doch Otbert sagte:

»In Paris oder London, vollends in unsern deutschen Krähwinkeln, würde es unpassend sein weil Du auffallen würdest; hier ist man vernünftig und ungenirt! hier bemerkt man eine Frau um ihrer Schönheit – nicht um ihres Anzugs willen. Komm nur getrost.«

Die Wahrheit ist – daß er Recht hatte! Es war Musik und großes Gedränge auf dem Markusplatz: allein ich wurde dennoch bemerkt.

»Oh! che maraviglia!« riefen Einige.

Das machte Otbert mehr Vergnügen als mir! er sah ganz freudig dazu aus, und ich ganz ernst, so ernst daß eine Frau rief:

»Sie ist wol schön, aber sie hat ein böses Auge.«

[] »Nicht böse, nur traurig,« entgegnete ein Mann.

»Wie kann man traurig sein wenn man einen so schönen und zärtlichen Gemal hat!« sprach Jene.

Es giebt nichts Treffenderes und Unbefangeneres als die Auffassungs- und Ausdrucksweise des Venetianers! – Ein Menschenknäuel folgte uns später zu unsrer Gondel und unsre Musiker empfingen uns, weiß der Himmel warum! mit einem God save the king. Die feierliche Musik ergriff die beweglichen Gemüther: man rief Evviva's und Segensworte uns zu. Otbert warf eine Hand voll Geld worunter sich einige Goldstücke befanden, unter die Menge, wodurch sich das Entzücken noch steigerte. Ich war froh als unsre Gondel von der Piazzetta abstieß! – Aber solch ein Abend war ganz nach Otberts phantastischem Geschmack. In dem Punkt harmonirten wir mit einander – nur mit dem Unterschied, daß ich immer von innerlichen, er von äußerlichen Entzückungen träumte; daß meine Phantasie mir unerhörtes, unsägliches, aber ganz stummes Glück – die seine ihm Jubelruf, Freudejauchzen und selige Huldigung einer Welt vormalte; daß ich gleichsam in einen Feenpalast unter die Meereswellen zu versinken – er auf einen weithin leuchtenden Königsthron erhoben zu werden wünschte. Ein andrer Zug den wir mit einander gemein hatten [] war der, daß wir uns den Berauschungen durch unsre phantastischen Grillen zu sehr hingaben um je durch das, was die Wirklichkeit uns bot befriedigt zu werden.

War ich nun glücklich als Otberts Frau? ich wollte es sein, ich nannte mich so, ich prägte mir ein, daß es jezt keine andre Möglichkeit von Glück für mich gäbe und daß ich mein Herz diesem Bewußtsein weit, weit aufthun müsse. Ich bemühte mich immer tiefer in Otberts Wesenheit einzudringen, sie mit der meinen zu verschmelzen. Ich studirte förmlich seine Meinungen und Ansichten um auf dieselben einzugehen – seine Wünsche um sie zu erfüllen. Ich ließ keine meiner alten Grübeleien in mir aufsteigen: ob dies Gefühl nun das ächte, das wahre, das unvergängliche sei; ich nahm es dafür an. Das machte mich sehr ruhig – so ruhig daß ich in der Erinnerung darüber staune; denn es vergingen nicht sechs Wochen unsrer jungen Ehe und Otbert bekümmerte sich gar nicht mehr um mich. Ich hatte aber ein solches Zutrauen zu ihm, daß ich mit wunderbarer Gelassenheit zu mir selbst sagte: Dies ist der Moment der Reaction, welche auf jede übermäßige Anspannung des Gefühls folgt, um dasselbe nach einiger Zeit ins Gleichgewicht zurückzustellen. Er hat ein Jahr in so übertriebener, [] grenzenloser Erregtheit zugebracht wie sie auf die Dauer unmöglich zu ertragen ist. Er muß sich jezt von dem Schwung ausruhen, aus der Sphäre der Imagination in die des Herzens zurückkehren, und seine Liebe in dem schlichten gesunden Erdboden des Gefühls, statt in dem Treibhauskasten der Phantasie wurzeln lassen. Die Verpflanzung einer so zarten Blüte läßt sich nicht ohne einen gewissen leichten Choc bewerkstelligen; aber nach demselben kommt sie erst recht zu ihrer eigenthümlichen Kraft und Entfaltung.

Meine Betrachtung war ganz richtig und fast auf jedes Verhältniß das neu gegründet wird anwendbar, möge es Liebe, Freundschaft, Ehe, sogar untergeordnete Zustände betreffen. Im Allgemeinen ist der Moment einer Verbindung, welcher Art sie sei! zufriedenstellend; in der Folge entwickeln sich deren Schattenseiten: das pflegt man Enttäuschung zu nennen, es ist aber nur die sehr natürliche Reaction, die auf alle Uebertreibungen in der Empfindungs- oder Handlungsweise folgt. Haben sich die gährenden Elemente abgeklärt und gesetzt, so tritt bei gut- und glücklichgearteten Menschen die dritte Epoche dauerhafter Befriedigung ein – oder entschiedene Trennung, wenn nicht des Lebens, doch der Gemüther, falls ein Irrthum sie [] zusammengeführt hat. Ich traute mir Kraft zu um zu dieser dritten Epoche durchzudringen, und in Otbert setzte ich sie voraus, weil seine standhafte Ausdauer mich dazu veranlaßte. Nur vergaß ich seinen Charakter dabei in Anschlag zu bringen! Er begehrte immerwährend in Athem gehalten, in Feuer gesetzt, in Emotionen geschleudert zu werden, um Flammen zu werfen und sich an denselben zu wärmen und zu ergötzen, während sie Andre blendeten und zur Bewunderung hinrissen. Hätte ich ihn zehn Jahre lang die Komödie seiner Liebe spielen lassen und derselben mit Interesse zugesehen, so würde ihn das unbeschreiblich an mich gefesselt haben. Er empfand dabei den feinen und lebhaften Genuß den ein guter Schauspieler haben mag, wenn er sich ganz in seine Rolle versetzt und als Hamlet oder Wallenstein glänzenden Beifall einerndtet: unwillkürlich traut er sich die Ader des Philosophen oder des Feldherrn zu. So glaubte Otbert in der That etwas an seine Liebe für mich. Wie der Schauspieler, wenn er die Bühne verlassen hat und neue Rollen zu studiren findet, allmälig seine Wallensteins-Launen vergißt um etwa ein Marquis Posa zu werden: so ging es auch Otbert; nur mit dem Unterschied, daß bei ihm die Natur bewirkte, was beim Schauspieler die Kunst. [] Ich habe es schon einmal gesagt und ich muß es jezt wiederholen um sein Bild zusammen zu fassen: er war nicht gradezu falsch, lügenhaft, heuchlerisch – er hatte es nur durch unbewußte Mißachtung der Wahrhaftigkeit zu einer solchen Schauspielerschaft gebracht, daß sie ihm zur zweiten Natur ward; und in jene Mißachtung war er allmälig durch seine grenzenlose Eitelkeit verfallen: er wollte das Idol der Welt sein. Dies war das Haar an welchem der Satan ihn hielt! Sprach der zu Otbert: Bete mich an und du sollst König sein – König der Liebe, des Ruhmes, der Ehren, der Herrlichkeit! – so betete Otbert ihn unbedingt an.

Es war übel für mich, daß ich nicht im Stande war Otberts Talent so über Alles zu bewundern wie sein Beifallsdurst es erheischte. Er warf mir häufig vor, daß alle Welt ihm höhere Anerkennung schenke als ich. Ich entgegnete einmal:

»Ich liebe Dich selbst so sehr, daß ich Dein Talent mit in den Kauf nehme, ohne es besonders in Anschlag zu bringen.«

»Kühl wie Cordelia!« rief er spöttisch.

»Und wahr wie sie!« entgegnete ich sanft.

Ich fand seine Gedichte lieblich, harmonisch und doch auch tief und kräftig; aber Otbert erschien [] mir nicht als der erste Dichter der Welt, nicht als ein gewaltiges Genie, nicht als ein deutscher Byron. Letzteres besonders war seine heimliche Sehnsucht! Es war sehr natürlich daß in Venedig wo Byron so viel, so gern und vor wenigen Jahren gelebt hatte, unsre Gespräche sich häufig um ihn bewegten, und da hatte ich ebenso häufig Gelegenheit jene Schwäche Otberts zu bemerken. Da ich wirklich fürchtete daß sie ihn in eine falsche Richtung werfen könne, so warnte ich ihn einmal sich durch seine Bewunderung für Byron nicht beherrschen und zur Nachahmung hinreißen zu lassen.

»Du mußt auf andern Wegen gehen als er – setzte ich hinzu, Du hast nicht seine wilde, schroffe, melancholische Seele .... wie könntest Du seinen Genius haben.«

»Also Du meinst ich hätte eine zahme, schlaffe, lustige Seele, entgegnete Otbert tiefgekränkt. Mit einer solchen kann man freilich nur ein jämmerlicher Dichter sein.«

Meine aufrichtigen Versicherungen, daß es mir nicht eingefallen sei ihn zu Gunsten Byrons herabsetzen zu wollen, versöhnten ihn ganz und gar nicht.

»Du deprimirst mich wenn Du mich so sehr gering achtest – entgegnete er. Das ist für mich wie Regen auf den Flügeln des Vogels: er kann [] nicht fliegen. Wenn nicht einmal die Nächsten, die Liebsten mich ermuntern, woher soll mir dann die Zuversicht kommen? – Und sage mir nicht, daß ich auf Dein Urtheil nicht zu hören brauche, Sibylle! Du hast ein feines und richtiges Urtheil! überdies höre ich auf ein jedes .... um wie viel mehr auf das einer geliebten Frau.«

»Wenn ich nicht fürchtete aufs Neue etwas Ungeschicktes zu sagen, entgegnete ich verschüchtert, so würde ich meinen, daß Du nicht auf jedes Urtheil als auf einen maßgebenden Richterspruch hören solltest. Du magst sie anhören als ebenso viel Beweise verschiedenartiger Ansichten .... allein Dich danach richten – niemals.«

»Du hast eine schroffe wilde Seele! Dir würde in der Vereinzelung nicht weh sein! Aber ich kann ohne Theilnahme und Wolwollen nicht leben, nicht athmen, nicht denken, nicht dichten – nichts! ich werde dann eine todte Sache und höre auf Mensch, geschweige Dichter zu sein.«

»Der innigste Zusammenhang mit dem All, das Verständniß der Menschenseele in ihren verschleierten Tiefen, auf ihren ätherischen Höhen – die Ahnung ihrer Qualen und Wonnen – die Erkenntniß der Natur, nicht nach den Regeln der Wissenschaft, sondern nach geheimnißvollen Anschauungen – und [] mehr als das Alles: ein starkes Herz, vom Strom der Empfindung umbraust und nie untergewirbelt; das, Otbert, sind nach meiner Meinung die Nervenfaden durch welche der Dichter feiner und fester als jeder Andre mit der Menschheit zusammenhängt! Allein banales Wolwollen Aller für ihn folgt daraus nicht! im Gegentheil! so ein Dante, so ein Byron konnten nicht ein gelassenes Wolwollen einflößen. Sie sind unendlich geliebt und unendlich gehaßt. Denke doch nur welch einen Eindruck das machen muß, wenn die Welt der Liliputaner so einen Titanen über sich dahin schreiten sieht und von ihm nur als Gattung, nicht als so und so viel wichtige Individuen betrachtet wird! – und an die Schläfrigen, die Trägen, die Engherzigen denke, welche sein dröhnender Schritt aus ihrem bequemen Halbschlummer weckt und aus den Träumen welche auf schmackhafte Kost und leckere Genüsse folgen – wie die ihm zürnen werden! – und an die Zaghaften, die Schüchternen denke, welche sich in ihrem Kämmerlein, in ihrem Hüttchen verschanzt haben gegen Eindringlinge und denen plötzlich etwas wie Fanfaren zu Kämpfen, Schlachten und Triumphen ins Ohr klingt – wie die erschrecken müssen, als ob ein Feind nahe! – und an die Wolgesinnten denke, denen es so herrlich [] auf der Welt geht, daß sie meinen diese wundervolle Welt müsse in Ewigkeit in ihrer gegenwärtigen Gestaltung fortbestehen – wie die ihn verachten werden, den rohen uncivilisirten Titanen, der gelassen sagt: sie tauge so gar viel nicht! – Das bedenke, und dann sage mir: glaubst Du daß aus diesen Jammerseelen die Opferflamme und der Weihrauchduft der Begeisterung und Liebe aufschlagen könne? Nimmermehr, mein armer Otbert! nimmermehr! was die bewundern, was die mit ihrem Wolwollen beehren – das muß ihres Gleichen sein und mit ihnen Schritt halten, das muß ihren Schwächen schmeicheln und ihre Niedrigkeit – Hoheit nennen. Ich zweifle nicht daß in diesem Sinn sehr viele Verse gemacht sein mögen; ich sage nur – daß kein Dichter sie je gemacht hat.«

Wenn ich in dieser lebhaften Weise sprach, gefiel ich ihm außerordentlich.

»Meine Muse! rief er, Königin meiner Seele! führe mich zu irgend einem Stern empor, wo ich an Deiner Seite das Reich des Genius gründen könnte. Die Aera Deiner Ideen ist nicht unser Jahrhundert! Was Du begehrst vom Menschen, vom Dichter – hat Keiner geleistet und wird kein Sohn des Staubes je leisten. Er ist nicht so unantastbar und unwandelbar wie Du ihn träumst, [] denn ewig wandelt er unter nicht über dem Geschick. Haben ihm die Götter einen Silberpanzer an den Sonnenstralen geschmiedet, der ihn schützt gegen Pfeile von Menschenhand: so glaube Du jezt mir: unter dem Panzer, im eignen Busen hegt er den Geier der ihm das Herz abfrißt und ihn in namenloser unruhvoller Qual umhertreibt – grade wie Dante, grade wie Byron! O Sibylle! zu jenem alten gemarterten Titanen Prometheus, der ein Dichter der Menschheit im größten Styl war, kamen die Oceaniden um mit ihm zu klagen, denn menschliche Klage reichte für dieses Leid nicht aus. O wünsche mir nicht die einsame Felsenklippe auf dem Caucasus! gönne mir das schöne reiche bunte Leben zwischen unsers Gleichen.«

»Ich stelle mir zuweilen vor, entgegnete ich, das Wesen sehr begabter Individualitäten sei irgend einer elementarischen Essenz, irgend einem Naturwesen entlehnt und mit menschlichem Geist und Körper verwebt. Deren Sympathien und Neigungen verriethen alsdann stets die ursprüngliche Verwandtschaft. In Dich ist gewiß ein Sonnenstral hineingesponnen, Otbert, so glänzend, funkelnd, helle und licht bist Du.«

»Das klingt lieblich, Schmeichlerin! – aber nun in Byron?« – –

[] »Ein trauriger Stern.«

»Und in Göthe?«

»Ein Regenbogen.«

»Und in Beethoven?«

»Ah in den .... die ganze Welt!«

»Und in Dich selbst?«

»Nichts! .... oder Staub, was dasselbe ist.«

»Das ist falsch! Meereswellen sind in Dir .... und weißt Du wol daß sich aus Deinem Einfall ein wunderniedliches Gedicht machen ließe? und schenkst Du mir wol Deinen Einfall?«

»Gewiß, lieber Otbert! bei mir liegt er roh und grau wie ein Kiesel da. Du schleifst ihn ab und erst dann wird etwas draus! – Aber warum arbeitest Du nicht an der Sirene?«

»Sie schläft, Sibylle, und ich mögte sie mit meinen Liedern wecken.«

Allein er verfiel auf tausend andre Dinge, die ihn von der Arbeit abhielten, auf das Studium von ich weiß nicht welcher orientalischen Sprache im armenischen Kloster von San Lazaro – auf eine Regatta, die er für die Gondoliere veranstalten und an der er Theil nehmen wollte. Er übte sich stundenlang in der Lagune zu rudern und vor der Hand mit Gino Wettkämpfe anzustellen, bei denen er immer sagte:

[] »Gino! wenn Du siegst geb' ich Dir drei Dukaten; wenn ich siege .... Stockprügel!«

Dadurch war er sicher daß Gino aus Gier nach dem Gelde die Höflichkeit des Dieners gegen den Herrn aus den Augen setzen werde. Später, nachdem er sich genug geübt hatte, fand die Regatta wirklich statt und Otbert empfand bei ihrer Veranstaltung das größte Vergnügen. Er hatte sich eine leichte zierliche Barke und einen Gondolieranzug von Tafft machen lassen, der ihm ungemein gut stand; er hatte ferner drei Preise für die Sieger, und für jeden Theilnehmer ein kleines Geldgeschenk bestimmt. Trotz des Wetteifers den er zwischen ihnen entzündete und wodurch er sie zur Entfaltung ihrer Kraft und Geschicklichkeit anfeuerte, ward ihm dennoch die Freude zu Theil der Dritte am Ziel zu sein, und sich dadurch und durch seine Freigebigkeit, die Liebe und Verehrung der Gondoliere in einem solchen Grad zu erwerben, daß sie ihn fortan ihren König nannten.

Dies beschäftigte ihn in unglaublicher Weise, und als ich ihm einmal meine Verwunderung über das lebhafte Interesse aussprach, das er im Stande sei an solchen Beschäftigungen zu nehmen, entgegnete er noch verwunderter:

»Begreifst Du nicht welch ein unaussprechlicher[] Genuß darin liegt in jeder erreichbaren Region der Erste zu sein, arme Sibylle? Das gewährt stets eine süße Berauschung, und in derselben athme ich mehr poetische Inspiration ein, als mit der Feder in der Hand am Schreibtisch. Alles was das Herz klopfen macht ist des Dichters Element – wenn nicht der Dichter ein engbrüstiger Duckmäuser ist, der sich vor dem starken Herzschlag fürchtet als ob es krankhaftes Herzklopfen sei. Ich bekenne Dir, daß mir die Bewunderung meines geschickten und starken Ruderschlages, meiner Leutseligkeit und Großmuth von Seiten der Gondoliere zu Zeiten viel angenehmer, viel erfrischender ist, als das fade Lob irgend eines kritischen Journals oder eines eleganten Salons.«

Das begriff ich außerordentlich gut! was ich nicht begriff und was ich unmöglich an Otbert sagen konnte, war die Frage: warum er mich wol eigentlich geheirathet haben könne? Es gab eine Antwort auf dieselbe, allein mir grauete sie mir zu geben! sie hieß: Um eine reiche Frau zu haben! – Denn von einem intimen traulichen Leben schwand jede Spur immer mehr und mehr. Er mußte sich beständig neue Interessen schaffen, und um so heftiger sein Wunsch und sein Bestreben mich zu gewinnen gewesen war, um so größer war [] die Lücke welche auf deren Befriedigung folgte, um so eifriger suchte er sie auszufüllen. Den Winter verlebten wir in dem lebhaftesten gesellschaftlichen Verkehr. Es waren viele Fremde in Venedig. Der Carneval war außerordentlich munter und besonders darum so lustig, weil das Volk mehr als an jedem andern Ort, Rom nicht ausgenommen, Theil daran nimmt. Weil man nur zu Fuß oder in der kleinen unscheinbaren Gondel seinem Vergnügen nachgeht, so tritt eine äußere Gleichheit der Zustände ein, welche da nicht statt findet wo die eine Hälfte der Theilnehmer den Wagen und Pferden der andern Hälfte beständig ausweichen muß. Dies ist zu jeder Zeit ein auffallender und ganz characteristischer Zug von Venedig gewesen, welchem auch das von je her zwischen Volk und Vornehmen herrschende gute Einverständniß entspricht; da war weder Neid noch Mißgunst auf der einen – weder Hochmuth noch Unterdrückung auf der andern Seite! sie waren Alle Kinder der Lagune, und Alle von der Regierung auf gleiche Weise überwacht. Damals war das alte Regiment der Republik erst vor einem Menschenalter zu Grunde gegangen, folglich hatte dessen alter tausendjähriger Einfluß noch nicht verwischt werden können. Er lebte fort in Gewohnheit, Sitten und Gebräuchen, und was von denselben [] in fröhlicher Ungezwungenheit zum Vorschein kam, sprach mich ungemein an durch ein eigenthümliches Gemisch von Harmlosigkeit, Mutterwitz und Schlauheit.

Dennoch nahm ich im Grunde nur Theil an diesen Vergnügungen um mich nicht meinen Gedanken hinzugeben. Ich floh sie instinctmäßig; mir war als müßten sie mich in ihrem Strudel verschlingen. Ich wollte mich betäuben gegen meine eigene heimlich anpochende Angst – mich klammern an mein Glück und meine Liebe – nicht weichen von dem Boden des Bewußtseins einen Platz gefunden zu haben auf dem ich eine ernste dauernde Befriedigung gewähren und empfangen könne. Ich lebte auch sehr gut mit Otbert, freundlich, theilnehmend, allein lauter und immer lauter wollte in mir eine Stimme sprechen: »Aber dies Alles soll doch wol nicht Glück und nicht Liebe sein? es wird nur so genannt! und wie heißt es denn in Wahrheit? sollte es wol .... Komödie heißen, welche die Menschen mit einander spielen um die Hohlheit des Lebens mit einigen bunten Fetzen aufzuputzen?« – Es war eine fürchterliche Zeit! ich ging wie ein Seiltänzer der Thurmspitze zu, die ich mein Ziel, mein Glück nannte; und fühlte dabei wie der Schwindel in mir aufstieg, mich umspann, [] mich umschwebte, daß es mir schwarz vor den Augen ward; und wie ich ihn überwinden müsse um nicht einen gräßlichen, einen zerschmetternden Sturz zu thun; und wie dabei das Herz immer schwerer, der Fuß immer lahmer, der Blick immer umflorter werde. So durchlebte ich den Winter, so den Frühling; ich war nun zwei Jahr in Venedig. Ich schlug Otbert einen Sommeraufenthalt in Engelau vor.

»Im nächsten Sommer, lieber Engel!« sagte er abwehrend.

Nicht um ihm zu widersprechen, sondern wirklich weil ich es für zweckmäßig hielt, bat ich ihn mir Urlaub zu geben: ich müsse einen Blick auf die Geschäfte und in die Zustände meiner Heimat werfen. Er entgegnete freundlich:

»Drei Monat gebe ich Dir! Das ist grade genug um halb erstarrt aus Norddeutschland hieher zurückzukehren und um noch wieder aufthauen zu können.«

Die unbefangene Freundlichkeit mit welcher Astrau in unsre ziemlich lange Trennung willigte, sprach deutlich seine sanftgleichgültige Gesinnung aus. Mir schien als ob ich fortan gar nicht mehr in seinem Leben zählen würde, und dennoch tröstete mich zuweilen [] die Hofnung, daß in der Trennung seine Liebe wieder erwachen könne.

Als es in meinem Hause bekannt ward daß ich meine Abreise vorbereite, bat Gino mich dringend in Venedig zu bleiben. Ich entgegnete: da ich im Herbst wiederzukommen hofte, so würde ich ihn in meinem Dienst behalten, und überdas bleibe ja auch der Graf hier. – Er spreche nicht seinet- sondern meinetwegen jenen Wunsch aus, meinte Gino.

»Mir kann weder auf der Reise noch in meiner Heimat etwas Uebles geschehen, Gino!« erwiderte ich gerührt durch seine Theilnahme.

»Weder auf der Reise noch in der Heimat – das weiß ich,« entgegnete er mit einem seltsamen bedeutungsvollen Ton, der mir unwillkürlich den fast angstvollen Ausruf entlockte:

»Aber hier?«

Obwol ich allein mit ihm in der Gondel war machte er eine schweigengebietende Pantomime, und nickte dann bejahend aber fast unmerklich nur mit den Augenwimpern.

»Was kann mir hier widerfahren? sprich Gino! sagte ich ernst; – halbe Warnung ist Verrath nach zwei Seiten hin! Ich habe Dir verziehen daß Du Dich vom Grafen zu der Nino-Maskerade erkaufen ließest .... weil es eben der Graf [] war, aber ich habe Dir seitdem nicht mehr getraut. Also sei ehrlich: was führst Du im Sinn? wer hat Dich erkauft? sprich!«

»Ich kann sagen und schwören, 'Lustrissima: so wahr ich der Fürbitte meines Schutzpatrons zur Erlösung aus dem Purgatorium vertraue – so wahr bin ich von Niemand erkauft! allein sprechen, 'Lustrissima .... sprechen kann ich nicht.«

»Kannst Du denn schreiben, Gino?« fragte ich wieder ganz unwillkürlich, denn mir war als legte er mir durch seine sonderbare Betonung gewisse Worte auf die Lippen.

»Die gelehrte Wissenschaft hab' ich nie gelernt.«

»Was kannst Du denn, Gino?« fragte ich seltsam gespannt.

Er schwieg, sah mich an wie um meine Aufmerksamkeit zu fesseln, und that dann einige Ruderschläge mit der theatralischen Bewegung eines Menschen, der sich sehen lassen mögte mit seiner Geschicklichkeit.

»Du kannst rudern, Gino?« fragte ich immer gespannter.

Er nickte mit freudiger Hast.

»Nun ja! das weiß ich längst! rief ich erwartungsvoll. Aber was weiter?«

Er zuckte stumm die Achseln.

[] Auch ich schwieg und verfiel in Nachdenken. Verstand ich ihn richtig, so konnte er mir seine Ergebenheit nur dadurch beweisen, daß er mich nach einem Ort hinbrachte wo ich die Erklärung seiner Warnung finden würde. Ich verfiel den Wellen des Zweifels; aber .... wie ich denn bin! hat er mich einmal gepackt, so fürchte ich nicht bis zu dessen allerletzten Consequenzen zu gehen um zu entdecken welche Art von Gewißheit hinter ihm liegt. – – Ich hatte jezt einige Besuche zu machen. Auf der Heimfahrt sagt' ich:

»Gino, da Du so gut rudern kannst, so wär' es mir lieb wenn Du mir noch heute Deine Geschicklichkeit zeigtest.«

»'Lustrissima befehlen um zwei Uhr Nachts und mit mir allein?«

»Um zwei Uhr Nachts und mit Dir allein.«

Den späten Abend verbrachten wir wie gewöhnlich mit einigen Bekannten. In der Regel versammelten sie sich bei mir; wir musicirten, wir plauderten; zuweilen gingen wir auf den Markusplatz, oder machten eine Gondelfahrt, oder betrachteten im Mondschein irgend eines der herrlichen Gebäude von Venedig. Am heutigen Abend verscheuchte uns ein heftiges Gewitter gegen Mitternacht vom Markusplatz und Jeder kehrte nach [] seiner Wohnung zurück. Ich war gespannt ob meine nächtliche Fahrt stattfinden würde. Das Gewitter löste sich in einen sanften Frühlingsregen auf, und bis ein Uhr saß Otbert mit mir auf dem Balkon um die frische Luft zu genießen; dann ging er in sein Zimmer, welches über dem meinen lag und wo es bald ganz stille wurde. Mit Herzklopfen wartete ich auf Gino. Zuweilen wünschte ich er möge lieber nicht kommen. Aber er kam um zwei Uhr und fragte ob es mir gefällig sei, und ich folgte ihm entschlossen.

Irgend eine vorherrschende Ahnung hatte ich gar nicht. Zuweilen dachte ich an Sedlaczech im Elend, krank, sterbend – zuweilen an Astrau am Spieltisch, bei einem verliebten Abenteuer, bei irgend einer peinlichen Begegnung; allein das rollte Alles wirr wie im Kaleidoscop durch einander.

Wir fuhren nach Torcello; aus langer Gewohnheit erkannte ich die Richtung trotz der Dunkelheit. Nun wirbelte sich auch noch Benvenutas Bild in meine Phantasmagorien hinein. Wir stiegen nicht beim gewöhnlichen Landungsplatz aus, sondern an einer Stelle welche gar nicht dazu bestimmt war, denn Gino trug mich aus der Gondel ungefähr zwanzig Schritt durch Morast bis er auf trocknen Boden und wie es schien in einen kleinen Gemüsegarten [] kam. Da setzte er mich nieder, flüsterte: »'Lustrissima! .... jenes erleuchtete Fenster dort .... ich harre bei der Gondel!« und schlich leise zurück. Ich leise vorwärts, bis ich vor jenem Fenster stand und mit einem Blick das liebliche Bild übersah welches sich mir darbot. Dies Fenster war das letzte in einem unscheinbaren Häuschen, und das einzige des Zimmers das vor mir lag; Gitterstäbe sicherten es nach außen, und eine Fülle von lila- und rosenfarbenem Convolvulus umrankte dieselben. Die Fensterflügel waren geöfnet und die Vorhänge weit zurückgeschoben um die Luft einströmen zu lassen. Das Zimmer war weder groß noch hoch, wie sich das in einem solchen Hause nicht anders erwarten ließ – aber wie geschmückt! Rosenfarbener Seidenstoff mit weißem Musselin überzogen bekleidete die Wände und Decke, umgab als Vorhang das Bett, den Toilettentisch, das Fenster, und die Thür welche zu meiner Rechten in ein Nebenzimmer führte. Ein andrer Seidenstoff, weiß mit Rosengewinden, bedeckte Sopha und Stühle. Der Fußteppich war ebenfalls weiß und mit Rosen bestreut. Zu beiden Seiten des Fensters auf Marmor-Consolen brannten Lampen, und an der Hinterwand des Zimmers, dem Fenster grade gegenüber stand das Bett. In dem Bett lag eine Frau [] in sitzender Stellung, durch Kissen unterstützt. Sie hatte eine Wange in die aufgestemmte Hand gelegt. Eine Fülle von schwarzen Locken umrieselte sie, hob den wundervollen Farbenschmelz ihres Colorits hervor, und umgab ihr Antlitz und ihre Büste wie mit einem Rahmen von Ebenholz. Ich habe nie eine liebreizendere Schönheit gesehen – das sage ich heute wie ich es damals, wie ich es immer fand! – und der Gondolier der am Fußende ihres Bettes saß und sie mit liebetrunkenem Auge ansah, war der schönste Mann den ich je gesehen .... denn es waren Arabella und Otbert.

Wie in einen Zauberspiegel starrte ich in dies Fenster hinein. Ich war nichts als Auge. Mein Herz faßte, mein Verstand begriff dies nicht: sie waren wie todt in mir! nur mein Auge lebte, wachte, sah! .... und sah ein reizendes Bild, würdig durch Titians und Giorgiones Pinsel unsterblich gemacht zu werden: die Transfiguration der Ueppigkeit.

Sie sprachen ganz laut und unbefangen wie man eben spricht wenn man sich in seinen vier Wänden sicher weiß. Einmal lachte Arabella. Das Alles rauschte wie ein Waldbach an meinem Ohr vorüber. Plötzlich hörte ich; denn Arabella fragte:

»Wann reist Sibylle ab?«

[] »In acht Tagen,« entgegnete Otbert.

»Und reist sie gern?«

»Das ist schwer zu sagen! Du kennst ja ihren Mangel an Animo. Ihre Gedanken nehmen sie zu sehr in Anspruch um ihre Gefühle aufkommen zu lassen.«

»Indessen hast Du denn doch ihre Gefühle geweckt.«

»Sage lieber, daß ich ihrer Phantasie einen bestimmten Gegenstand dargeboten habe, Arabella, auf dem sie sich niederließ wie ein umhergescheuchter Vogel auf einem grünen Zweig. Die Wahl ihres Herzens wäre nie auf mich gefallen. Ich glaubte es einst und gab mir darum unsägliche Mühe. Allein .... ich glaub' es nicht mehr. Sie ist partiel ein sehr vollkommnes Geschöpf, aber sie verbraucht sich selbst in unfruchtbarer Weise durch Phantasie und Reflexion, von denen jene ihr heute eine Seligkeit vormalt, welche morgen von dieser vernichtet wird. Im Ganzen ist sie merkwürdig unvollkommen, denn ihr fehlt dasjenige was den Menschen zu Schwung erst und dann zur Ausdauer befähigt: die treibende Kraft der Leidenschaft! jenes innere Naphthafeuer welches die Elemente des ganzen Wesens zu jenem Punkt zusammenschmilzt, den man beim schmelzenden Metall [] Silberblick nennt und der durch ein liebliches Farbenspiel den Moment bezeichnet, wo es flüssig genug geworden ist um in eine Form gegossen zu werden. Für den Menschen heißt diese Form: That, und je nachdem sein Character edler, sein Wille reiner, seine Selbstbeherrschung gewaltiger, seine Erkenntniß tiefer ist, wird der That ein schönerer und großartigerer Stempel aufgedrückt. Ist der Character gemein oder lasterhaft oder roh, so wird der Abdruck desselben, seine That es auch sein; denn adeln kann ihn die Kraft der Leidenschaft nicht immer. Ich sage nur daß dieselbe den innern Adel wenn er vorhanden ist in seiner Glorie zum Vorschein bringt, und daß er ohne sie nur stückweise und ohne göttliche Fülle sich zeigt. Und diesen Mangel beklage ich an Sibyllen für sie selbst und für Andere. Sie ist aller Achtung werth und alles Bedauerns, denn sie wird nie weder glücklich sein noch machen.«

»Beklag ihn nicht! rief Arabella. Hätte sie jene erwärmende Seelenglut, so würdest Du bei ihr und nicht bei mir Dein Glück gefunden haben, und ich, Otbert, bin nun einmal so beschaffen, daß ich will Du sollst das Glück bei mir finden .... bei keiner Andern! – Ich liebe Dich zu sehr, Otbert, um großmüthig sprechen zu können: Sei [] glücklich .... aber nicht durch mich! – Das könnte Sibylle.«

»Ja, das könnte Sibylle! aus Ueberlegung ist sie zu jedem Opfer fähig .... nicht aus Liebesdrang wie Du. Spräche ich zu ihr: stirb für mich! – so würde sie der Nichtigkeit des menschlichen Daseins gedenken und gelassen sterben. Spräche ich so zu Dir, so würdest Du Dich freudejauchzend in den Tod stürzen, und wenn Dir das Leben auch noch so lieb wäre, ohne Reflexion, aus Liebe für mich.«

»Das ist gewiß!« entgegnete Arabella. Sie sprach ganz wie sonst mit ihrer tiefen gedämpften Stimme, die etwas Rührendes hatte und die mir immer so sehr gefiel. Ihre wunderschönen schwarzen Augen ruhten mit solcher Macht und Innigkeit auf Otbert, daß mir war als müsse ihr Blick ihn wie laue Luftwellen umfließen und von der Erde heben. Schöner, verführerischer, feenhafter als ich sie je gesehen, ganz wie eine Houri des muhamedanischen Paradieses erschien sie mir. Otbert mogte dasselbe finden. Er stand rasch auf.

»Du mußt schlafen, Arabella, und Dich ausruhen, sagte er. Auf morgen, Süße!«

Aber er ging nicht; er kniete vor dem Bett nieder, sie umschlang seinen Nacken, sie sprachen ganz leise[] mit einander, und tausend Liebkosungen durchschwebten das Gespräch. Endlich sagte Otbert laut:

»Nun zum letzten Mal – gute Nacht, Arabella, und gieb mir einen Kuß für Astralis mit.«

»Astralis schläft, Otbert, wecke sie nicht und behalte meinen Kuß!« sagte Arabella mit holdseligem Liebreiz einen Kuß auf seine Lippen drückend.

Dann sprang Otbert auf und verschwand hinter dem Thürvorhang zu meiner Rechten. Ich hörte unverständliche Stimmen im Nebenzimmer; dann öfnete sich die Hausthür und durch die lautlose Nacht hörte ich Otberts Schritt, der dem Landungsplatz zuging. Arabella aber hatte inzwischen schon geschellt, ihre mir wolbekannte irische Kammerfrau war eingetreten und beide sprachen irisch zusammen, was ich nicht verstand. Aber das Folgende verstand ich nur zu gut! Die Kammerfrau ging ins Nebenzimmer und kam nach einigen Augenblicken mit einer Wärterin zurück, die ein ganz kleines Kind trug und es in Arabellas Arme legte. Sie empfing es zärtlich, küßte seine Händchen, sah es an und wieder an, plauderte abwechselnd mit ihm und den beiden Frauenzimmern italienisch und irisch, und gab es erst zurück als es anfing zu weinen. Da trug die Wärterin es fort, und Arabella bereitete sich zur Ruhe. Die Kammerfrau schloß [] Fenster und Vorhang, löschte die Lampen – – – verschwunden war das Bild im Zauberspiegel und ich stand da in der feuchten, grauen Dämmerung.

Daß es Tag wurde brachte mich zu mir selbst. Ich fühlte nichts als daß eine Art von Erstarrung sich mei ner bemächtigt hatte, welche mir die Empfindung gab, als ob statt des Herzens mir ein Marmorblock im Busen liege eiskalt und schwer. Ich riß eine Convolvel-Ranke vom Fenster ab um ein sichtbares Zeichen zu haben, daß meine Vision kein Traum gewesen sei, und kehrte zur Gondel zurück in die mich Gino hineintrug. Zu meiner eigenen Ueberraschung sagte ich sehr gelassen und mit fester Stimme:

»Gino, wie hast Du dies Geheimniß erfahren?«

Er wollte Ausflüchte machen; aber ich sagte:

»Bevor ich es wußte mußtest Du schweigen, das versteht sich, Gino! allein jezt weiß ich es bereits – also rede .... und die Wahrheit.«

Da erzählte er mir, er habe längst bemerkt daß Astrau zu seinen nächtlichen Fahrten nicht unsre eigenen Gondoliere gebraucht habe, sondern zu einem traghetto gegangen sei, und dieser Mangel an Vertrauen habe ihn tief gekränkt, da er sich doch als ein Muster von Verschwiegenheit und Treue bewährt. [] Seine Ergebenheit für mich, die gute Herrin, sei dazu gekommen um ihn zu einer tadelnswerthen Handlung zu verleiten: vor acht bis zehn Tagen sei er heimlich der Barke Astraus nachgefahren, und auf Torcello vorsichtig ihm nachgeschlichen. In dem Häuschen sei es in jener Nacht sehr unruhig gewesen, viel Hin- und Her-Gehens, klagende Stimmen – ihm habe gegraut, und er habe nicht auf Astraus Rückfahrt gewartet, sondern vor ihm Torcello verlassen – was auch sehr gut gewesen indem dieselbe erst am andern Morgen um zehn Uhr erfolgt sei. Am nächsten Tage sei er wieder hinüber gefahren, habe sich beim Hauswirth von Benvenutas Wohnung erkundigt wer in jenem Häuschen wohne, und erfahren es sei eine fremde vornehme Frau, die es schon im vorigen Sommer bezogen habe, in tiefer Einsamkeit lebe und in letzter Nacht ein Kind geboren habe – wie es durch die Wehmutter verlaute, die ganz erstarrt sei über die Herrlichkeit welche die Dame umgebe und über deren Schönheit. Gino suchte in den folgenden Tagen unbemerkt dem Hause sich zu nähern, fand es nur möglich in der Weise wie er es auch heute bewerkstelligt hatte, entdeckte bei der Gelegenheit das erleuchtete Fenster mit Allem was hinter demselben vorging, und wollte mich nun von seiner [] Entdeckung unterrichten, damit ich meinen Mann in diesem wichtigen Augenblick nicht verließe.

Ich bewunderte im Stillen Ginos Takt, der ihn die hohe Wichtigkeit des Moments errathen ließ, denn allerdings! jezt konnte bei Astrau eine gewisse Gleichgültigkeit gegen – oder eine verstärkte Hinneigung zu Arabella eintreten; aber was ging das mich an? ich hatte nur mit dem einen, dem niederschmetternden Gedanken zu thun: Nichts dauert! die Gefühle des Menschen sind Seifenblasen, bunt, leer, nichtig – abhängig von den Wellen des Blutes und den Nervenfasern, welche heute angeregt und morgen abgespannt sind und ihn in diese oder jene Emotion versetzen. – – Ich saß nicht mehr auf der grünen blumigen Wiese auf der es mir vor einem Jahr so wol gefallen hatte, daß ich meinte ich wolle nie meinen Platz verlassen. Ich war aufgestanden .... war wieder an den Rand des Abgrunds getreten .... sah tief unten den schwarzen Strom fließen der Endlichkeit heißt, und der stückweise und gliederweise alle Bestandtheile des menschlichen Daseins verschlingt und fortwirbelt .... und sah starren Blicks ein Stück meines eigenen Lebens darin untergehen. Ich war nicht entsetzt, nicht verzweiflungsvoll – nur unerhört traurig. Ich hatte keine bittre, zürnende Empfindung gegen [] Andre, keine mitleidige oder resignirte mit und in mir selbst; – nur den Wunsch: O könntest du versteinern, Sibylle, um wenigstens auf Einmal und nicht so gräßlich stückweise den Sturz in den unvermeidlichen Abgrund zu thun! – und mir war als ob die Kälte des Steines langsam und schwer durch meine Adern zum Herzen hinauf kröche und mich ersterben mache.

Als ich zu Hause angelangt mich zu Bett legte, meinte ich unter einem Felsen begraben zu werden. Aber ich schlief als sei mir nichts geschehen einen traum- und leidlosen, von den Qualen der Seele unbelästigten Schlaf. Wird dereinst der Tod also sein? Ich schlief als ginge mich Glück und Unglück, Freude und Schmerz nichts an; und ebenso erwachte ich. Eine Stunde darauf trat Otbert, ausnahmsweise, zum Frühstück bei mir ein.

»Du kehrtest recht spät oder eigentlich recht früh von einer einsamen Spazierfahrt heim?« sagte er.

»Ungefähr eine halbe Stunde nach Dir, entgegnete ich ruhig; – denn nachdem Du Arabella verlassen hattest, sah ich noch Astralis, die zu ihrer Mutter gebracht wurde. Ich war auf Torcello vor dem Häuschen um dessen Fenster diese Convolveln sich schlingen« – setzte ich hinzu auf die Ranke deutend, die eine Wasserschaale umgab.

[] Astrau starrte mich an als ob ein Medusenhaupt zu ihm spräche.

»Du hast Dich einst mit dem Orpheus verglichen, fuhr ich fort, der Vergleich wird immer treffender! Eurydice hat sich umgeschaut nach der Schattenwelt, der sie nun einmal schon verfallen war; jezt ist sie es mehr denn je und unwiederbringlich gehört sie dem Orkus an.«

Bleich und stumm war Astrau vor mir auf die Knie gesunken. Er sagte leise:

»Hasse mich nicht, Sibylle!«

»Wie käme ich zum Haß, Otbert? Wer nicht liebt kann auch nicht hassen. Liebe und Haß entspringen aus einer Wurzel: Kraft des Gefühls. Der Liebende braucht nicht zu hassen, allein die Fähigkeit es zu können wird in ihm sein. In mir ist sie nicht! nicht einmal Zorn fühle ich gegen Dich und Arabella, nicht Eifersucht, nicht Empörung .... gar nichts Uebelwollendes. Aber nicht aus Großmuth, Otbert, sondern weil sich eine gewisse Mißachtung des Menschen in mir regt, der so viel von seiner Göttlichkeit träumt und fabelt, und so sehr ungöttlich ist, willenlos und wankelmüthig wie die Wolken am Himmel, wie die Nebel auf dem Meer.«

»Siehst Du, Sibylle! rief Astrau und sprang [] lebhaft auf – mir grauet vor Dir wenn Du Dich so in Deiner eigenthümlichen Wesenheit aussprichst! Das zog mich an, das lockte mich ein Senkblei in diese stille See hinab zu lassen um auf festen Grund zu stoßen! Es schien mir so schön, so beseligend Dir den Kern Deiner Nebelwelt zu enthüllen, Dir den sichern und frohen Genuß des Lebens zu erringen und mit Dir zu theilen, daß ich – Du weißt wie! – ich mögte sagen jeden Deiner Athemzüge belauscht habe um Dich zu begreifen .... und zwar jahrelang! Aber die innere Verklärung, die ich zu Deiner Beseligung und zu meinem Entzücken für Dich ersehnte, trat nicht ein! Du liebtest mich nicht: Deine Imagination war nur durch mich gefesselt. Ich beglückte Dich nicht: Du wolltest nur glücklich sein. Es legte sich immer Deine Hand ganz kühl auf mein heißes Herz. – Das soll nicht heißen, Sibylle, als sei Deine Hand nicht goldrein, und tausendmal reiner als mein Herz! – aber« .... – – –

»Sprich nur, Otbert! sprich! es wird mir wol thun Alles zu wissen!«

»Aber mir fröstelte bei Dir. Immer ging ein Suchen durch Deine Seele und durch Dein Auge! immer schweiften Deine Wünsche in einem Raum ohne Horizont umher! immer stand ich neben Dir[] .... etwa wie die Grenzsäule Deines Lebensbezirks: »es ist ziemlich erträglich diesseits derselben, und jenseits gehört mir nicht; allein es mag doch noch schöner sein .... jenseits!« – solche Gedanken verriethest Du – natürlich ohne sie zu sagen.«

Ich mußte traurig lächeln, denn dies war nicht unrichtig. Ich fragte:

»Aber warum heirathetest Du mich, Otbert?«

»Ich will Dir beweisen welch unerhörtes Vertrauen ich zu Dir habe und Dir die ganze Wahrheit sagen, Sibylle! – sprach Otbert entschlossen. – Ich dachte wol daran Dich zu bitten mir mein Wort zurück zu geben und mir meine Freiheit zu lassen. Zwei Beweggründe hielten mich ab. Erstens: nach Allem was ich gethan hatte um Dich zu gewinnen mußte ich Dir wie ein Narr erscheinen, wenn ich in der vorletzten Scene des Dramas sagte: Verzeihung! ich habe mich getäuscht!« – –

»Also Eitelkeit! Otbert!«

»Nenne es wie Du willst! solche Gründe sind mannigfach gemischt. – Zweitens war es meine Mutter! seit Jahren sann sie auf eine möglichst glänzende Heirath für mich. Ich war mehr dagegen als dafür. In Nizza lockte mich einen Augenblick die Aussicht auf ein großes Vermögen, welches sie mit Recht als eine unerläßliche Bedingung [] für mich betrachtete. Ich konnte doch nicht zu dem Entschluß kommen meine Freiheit für Gold zu verkaufen. Dich liebte ich wirklich, wie ich Dich noch jezt liebe, mit Verehrung und Bewunderung, mit Theilnahme und Freundschaft – nur nicht mit Liebe! – Bei Dir fühlte ich mich nicht an den Mammon verkauft. Als ich dennoch gegen meine Mutter mein Bedenken in unsrer sehr intimen Correspondenz aussprach, drang sie mit so trostloser Verzweiflung auf mich ein doch endlich einmal das Glück festzuhalten, welches mir aus der Verbindung mit einer so ausgezeichneten Frau erblühen müsse, daß ich mir selbst wirklich wie ein Narr mit meinen Scrupeln vorkam.«

»Welche freiwillige Selbstverblendung, Otbert! .... – Doch erzähle weiter! erzähle Dein Zusammentreffen mit Arabella.«

»Was soll ich Dir darüber sagen! – Ich begegnete ihr eines Tages in der großen Halle im Hotel Danieli: sie war eben angelangt. Du kennst sie – Du kennst mich – laß mich schweigen. Ihre wilde primitive, besinnungslose Natur that mir wol; der Kern ihres Wesens gab deren Pulsschlag an. Mogte es kein gediegener, kein reiner, kein hoher Kern sein: so war er dafür wenigstens ganz, und voll Spontaneität. Darin liegt ein unaussprechlicher [] Reiz. Deiner Eigenthümlichkeit gegenüber bildete Arabellas einen so vollkommnen Gegensatz, daß ich eine Beruhigung, wenngleich etwas sophistischer Art, in dem Gedanken fand: ich wende ihr diejenige Richtung meiner Wesenheit zu, welche bei Dir nie Anklang finden würde. So kam es, daß ich Dich bat die beabsichtigte Schweizerreise aufzugeben. Arabella verzichtete auf die Welt, auf die Gesellschaft, auf Alles – wenn sie mich nur täglich eine halbe Stunde sehen dürfe. Vom tiefsten Geheimniß umschleiert, das ich ihr zur ersten Pflicht machte und das sie als solche begriff, ließ sie sich auf Torcello nieder. Ich kann Dir nichts weiter sagen!«

»Also liebst Du sie wirklich über alle Maßen, und hast sie doch früher verlassen können!«

»Sibylle! es giebt interessante Frauen und verführerische Frauen, und Du und sie – Ihr seid der Typus derselben. Weil dieser bis zum äußersten Grade gesteigert ist, nimmt jeder Etwas von der Färbung seines Gegensatzes an: das Interessante wird verführerisch, und so umgekehrt. Als ich Arabella vor einigen Jahren .... verließ, wie Du es nennst – war es die unerhörte Ueberraschung Deiner Erscheinung, die ich mit nichts zu vergleichen wüßte, was ich vorher oder nachher gesehen; und ich folgte der anziehenden Macht« .... – –

[] »Bis Du gewahr wurdest, daß sie nur einseitig auf Dich wirkt, und daß von der andern Seite eine nicht minder gewaltige Macht Dich in Anspruch nehmen muß, wenn Du dich glücklich fühlen sollst: nicht wahr, Otbert, so ist es? Aber dies zersplitterte, getheilte, zwiespältige Dasein trägt in sich selbst den Keim des Zerfallens – was dann?«

»Die Blume blüht auch nicht ewig; aber sie hat doch geblüht und aus ihren zerstäubenden Atomen entwickeln oder ernähren sich andre Organisationen. Ausbildung, Umbildung, ist Leben. Eine absolute Dauer haben dessen Formen nicht. Ueber ihnen, nicht in ihnen webt und wohnt das Göttliche.«

»Ein trauriger Glaube, Otbert, mit Tand und Spielwerk gleichsam abgefertigt zu werden, und wie aus Neckerei nur das Rauschen der Flügel eines uns umschwebenden gewaltigen Geistes zu hören ohne jemals seiner Offenbarung gewürdigt zu werden! – So erscheint er wenigstens mir, da ich ihn nicht theile. Ich mögte die Form ehren als eine Schaale deren Inhalt etwas Göttliches ist; kann ich das nicht: so werde ich sie bald bei Seite schieben oder fallen lassen .... wie Du es machst. Es liegt eine gewisse materialistische Weisheit in Deiner Auffassung, die nicht für Jedermann ist.«

[] Astrau starrte mich sprachlos an vor Verwunderung über die Gleichgültigkeit und Ruhe mit der ich redete. Ich war nicht einen Augenblick aus der Fassung. Mir war als befände ich mich wieder in meinem recht eigentlichen Element: in der Erkenntniß der Nichtigkeit von Allem was Menschen Glück nennen; – und als hätte ich schon lange heimlich diesen Augenblick vorhergeahnt.

»Ich habe weder Vorwürfe noch Klagen, fuhr ich fort; mehr noch: ich will annehmen, daß Du auf Deinem Standpunkt nicht Unrecht habest. Dir ist das Leben nun einmal ein Spaziergang zwischen Wolkenbildern, welche eine verhüllte Sonne so und so färbt, und welche Dir gefallen je nachdem die Netzhaut Deines Auges wolthätig von ihnen berührt wird. Durch das Auge streifen sie denn auch zuweilen bald an Dein Herz, bald an Deinen Verstand; und was sie am Meisten in Bewegung setzen .... ist Deine Imagination. Vielleicht geht es mir eben so! wir sind nie so klar über uns selbst als über Andere. Der Unterschied zwischen uns wird nur der sein: daß Du zerstreuende Tröstungen für Deine Täuschungen suchst und findest, und daß mich die Zerstreuungen doppelt traurig und die Tröstungen vollkommen elend machen. Lebe Du in deiner Weise fort wie ich in der meinen! [] wir können nichts Wesentliches mehr für einander thun, und nichts sein als eine Last: das muß man meiden. Es bleibt bei meiner Abreise nach Engelau .... aber .... ich komme nicht wieder, Otbert.«

Ueberwältigt von Traurigkeit ließ ich den Kopf in die Hand sinken und verhüllte meine Augen. Otbert kniete abermals vor mir nieder.

»Sibylle, sprach er sanft, Du bist so bewegt und erschüttert als ob Du mich liebtest« .... –

»Nein! unterbrach ich ihn, wir wollen uns nicht geflissentlich täuschen. Ich habe meine Sehnsucht nach Liebe für Liebe gehalten, und Du hast Dein psychologisches Interesse für mich so genannt; von dem pecuniären will ich schweigen, weil ich die Ueberzeugung habe: den ersten Platz nimmt es nicht bei Dir ein. Aber so steht es mit uns .... und weshalb es leugnen! die Wahrheit ist besser als alles Andre. Ich gräme mich nur weil die Wahrheit eine so fürchterlich traurige Sache ist.«

»Ich wollte daß Du mir Vorwürfe machtest, Sibylle.«

»Worüber denn, Otbert? ich habe mehr Schuld als Du. Ich verschmähte es meinem Instinct zu folgen der mich, so lange ich unbefangen war, fern von Dir hielt. Das weißt Du! Du wirst auch noch wissen, daß ich dessen Stimme nicht wollte [] gelten lassen, als Du dich auf ihn wegen Deiner Abneigung gegen Sedlaczech beriefst. Der Instinct ist die Stimme der Natur, ist unser guter Genius in dieser confusen Welt, und ihn verleugnen ist – wenn nicht die größte Schuld, so doch gewiß die an welcher wir am schwersten tragen. Mich drückt die meine dermaßen, daß in ihrem Weh Vorwurf gegen Dich oder Arabella, oder Klage über Euch nicht auftauchen kann.«

Er wollte reden; aber ich bat ihn mich zu verlassen:

»Wenn das entscheidende Wort gesagt ist, so ist jedes andre unnütz, Otbert.« Er ging endlich. Ich wollte überlegen; – aber was gab es denn zu überlegen? ich war elend; ist man dahin gekommen, so braucht man keine Ueberlegung mehr. Sie taugt nur um uns dagegen zu schützen. Nein! ich mußte andre dinge vornehmen als stumpfsinnig über Trümmern brüten.

Ich griff nach den Papieren welche auf meinem Schreibtisch lagen. Es waren Rechnungen die ich wegen meiner bevorstehenden Abreise hatte einfodern lassen. Ich sah sie mechanisch durch ohne ihren Inhalt genau zu beachten. Doch frappirte mich die ungeheure Summe der einen so, daß ich zum Bewußtsein kam. Statt jeder Specificirung enthielt [] sie nur die Worte: Einrichtung eines Hauses auf Torcello – – – und darunter: Alphonse. Alphonse war Otberts Kammerdiener. Er selbst in seiner verschwenderischen Fahrlässigkeit kümmerte sich nicht um die Art und Weise in der seine Aufträge vollzogen wurden; Alphonse mußte Alles besorgen und auf sich nehmen. Das wußte ich freilich längst. Aber die Naivetät mit der mir diese Rechnung vorgelegt wurde streifte an Gemeinheit und Frechheit, und empörte mich. Ich hatte Lust sie nicht zu bezahlen. Aber wenn ich es nicht that – was sollte denn daraus werden? Es bestand doch eine Art von Solidarität zwischen uns: ich mußte es thun. Ich that es, aber mit widerwilliger Empfindung. Ich sträubte mich dagegen Astrau gemein zu finden, und meiner Denkungsart zufolge war er es sobald mein Vermögen die hauptsächlichste Triebfeder in seiner Handlungsweise gewesen war. Auch seine eifersüchtige Grille hinsichtlich Sedlaczechs kam mir nicht mehr wie Eifersucht vor, sondern wie eine Berechnung um den treuen Freund von mir zu entfernen, der vielleicht ein störender Beobachter hätte werden können. Mich ergriff eine tiefe Sehnsucht an Sedlaczech zu schreiben. Aber meine verschlossne Seele brachte es nicht dahin. Von Kindheit auf hatte ich mich gewöhnt meine geheimste Innerlichkeit [] vor keinem Menschen zu erschließen. Diese keusche stolze Scheu ist sehr gut insofern wir durch sie veranlaßt werden in uns selbst einzukehren und von uns selbst Hülfe und Klarheit zu fodern. Allein es ist ein unseliges Geschöpf dasjenige, welches nie in seiner geheimsten Innerlichkeit dermaßen vom Licht der Liebe durchleuchtet worden ist, daß es sich vor einem geliebten Herzen gleichsam transparent gefühlt, und in diesem Gefühl unbewußt Qualen ausgestammelt, Freuden ausgejauchzt hat, für welche es sonst niemals Worte gefunden. Und ich war so ein unseliges Geschöpf! Ich schrieb und schrieb für mich allein Folianten von Tagebüchern. Diese Gewohnheit mag gut sein als Anhaltspunkt für die Erinnerung, als Meilenstein auf dem Lebenswege; aber ich, meiner grübelnden Richtung folgend, wühlte mich förmlich wie in einen unterirdischen Bau, dessen Gänge kein Sonnenlicht und kein Menschenauge erspäht, in diese Gewohnheit hinein. Da speicherte ich all mein Empfinden, Denken und Sinnen auf. Wie wolthätig hätte mir die geistige Mittheilung nicht sein können! sie ist unendlich wichtig für die innere Ausbildung! sie bringt eine Menge Material in Fluß, die immer gestockt hätte; sie beleuchtet von einer andern Seite die Gegenstände, welche wir auf unserm Standpunkt nur von der [] einen erkennen; durch die Verschiedenheit der Meinung bekommen wir denjenigen Respect vor der fremden, den wir für die eigene begehren; durch den Vergleich mit einer andern Auffassung machen wir in uns selbst überraschende Entdeckungen. Wenig von dem Allen bietet ein Tagebuch wo auf der ersten Seite – Ich steht und auf der letzten – Ich, und wo wir auf den unbelebenden Vergleich mit uns selbst, zwischen dem was wir waren und dem was wir sind uns beschränken. Allein dies war nun einmal mein höchster Genuß! Meine kindischen Selbstgespräche mit Phantasiegebilden oder mit abgeschiedenen geliebten Geistern, waren voll so stiller süßer Lust, daß ich sie in das schweigsame Tagebuch verwandelte.

Astrau überraschte mich sehr als er mich in Arabellas Namen dringend bat, sie vor meiner Abreise zu sehen. Ich hatte gar keine Lust und sagte es unverholen; aber er ließ nicht nach! er solle mich durchaus dazu bewegen; sie wünsche es glühend. Ich begriff das nicht! .... vielleicht gab ich deshalb nach.

Ich fuhr eines Morgens nach Torcello und ward in ihr Cabinet geführt, das eben so anmuthig als ihr Schlafzimmer eingerichtet war. Der Vergleich mit meinem ernsten stolzen Palast Gradenigo lag [] nahe und berührte mich schmerzlich; er kam mir kalt und leer wie meine Seele vor, und ihr Häuschen war lieblich und warm wie ihr Herz. Ich fühlte mich zu ihren Gunsten, nicht zu den meinen gerührt, und konnte nicht meine Thränen zurückhalten. Da trat sie ein. Sie war eben in Hast aufgestanden; das warme Roth des Schlafes lag noch auf ihrem lieblichen Antlitz. Sie flog mir entgegen, umschlang mich inbrünstig, und rief:

»Sibylle! sage mir daß Du mir mein Unrecht gegen Dich verzeihst.«

»Wer geliebt wird hat immer Recht und nur der Ungeliebte hat Unrecht. Ich hab' es gewiß, wenn auch nicht gegen Dich, meine arme Arabella; so doch gegen mich selbst. Du sagtest mir einst ich könne Otbert in ewige Fesseln schlagen. Dies Wort hat mich tiefer ergriffen, als ein Wort von fremden Lippen uns ergreifen soll, und hat mich folglich irre geführt. Wir thun zu unsern Irrthümern stets Dasjenige hinzu was unsrer Neigung, Ansicht, Leidenschaft schmeichelt, und Niemand hintergeht uns so sehr als wir es selbst thun! denn sobald uns nichts daran liegt hintergangen zu werden, sobald wir nicht die Augen darüber schließen und die Hand dazu bieten: so hintergeht uns Niemand. Das sehe ich jezt sehr deutlich, und ich wünschte nur, daß [] ich ebenso klar über die Zukunft wäre – besonders hinsichtlich Deiner als ich es über Gegenwart und Vergangenheit bin. Denn was soll aus Dir werden?«

»Aus mir werden?« fragte sie verwundert.

Ich wußte nicht ob ich diese Zuversicht unter diesen Umständen und zu diesem Mann stupid oder sublim finden sollte. Sie, mit einer sündhaften Liebe im Herzen, die Pflichten gegen sich selbst und Andre verletzend, herausgetreten aus den Schranken der Sitte, Mutter eines Kindes ohne Namen: sie war sicher wie für die Ewigkeit; – und mein Leben ohne Schuld, ohne Vorwurf, ohne Tadel war von einem immerwährenden Erdbeben dermaßen durchzittert, daß ich zu Nichts und zu Niemand Zuversicht hatte. Das ist die Macht der Liebe! .... Sei die Liebe verirrt im Gang und Gegenstand, begehe sie Mißgriffe, Thorheiten und Fehltritte, werde sie verhöhnt oder verdammt, schleppe ihr ein Bußgewand oder ein Trauermantel nach: dennoch, dennoch, und dennoch! ist sie ein Segen für Denjenigen der sie empfindet.

»Ach Sibylle! aus mir wird nichts Anderes als was ich nun einmal bin! fuhr sie nach einer Pause fort. Mir scheint als sei mein Leben bevor ich Otbert kannte, ein langes angstvolles thörichtes [] Suchen nach ihm gewesen – und seitdem ich ihn kenne, ein Aufgehen in ihm: folglich kann ich nicht anders werden. Früher galt ich für leichtsinnig und gefallsüchtig, für eitel und weltlich; Du erinnerst Dich gewiß daß das aufhörte als ich ihn fand, und das ist so geblieben obgleich er sich von mir losriß. All diese Jahre hab ich in Irland gelebt, von Lord –gh getrennt wie in den ersten Monaten unsrer Ehe, aber ohne Zerstreuung, ohne Gesellschaft, allein mit meinen traurigen Gedanken, die immer nur Otbert und Otbert suchten, und zuletzt so traurig wurden und das Herz so zernagten, daß der Körper erkrankte. Da schickten sie mich in ein besseres Clima, und da .... ging mir meine Sonne auf in deren Stral ich mich neubelebt fühle. O Sibylle! hättest Du wie ich auf der einen Seite Tod und Vernichtung gefunden, auf der andern Liebe und Seligkeit .... o Du würdest auch nicht wählen .... nicht wählen können – sondern zu der Liebe als zu Deinem Recht ohne Dich zu besinnen übertreten. Aber mein Recht thut Dir Unrecht .... beeinträchtigt das Deine! ich weiß es! ich fühle es! .... Sibylle, Du wirst es nicht glauben aber es ist doch so: trotz des Bewußtseins meiner Schuld gegen Dich habe ich Dich dennoch lieb; – und das will viel sagen! gewöhnlich kann [] man die Menschen nicht leiden, denen man weh gethan hat, denn man fühlt sich im Unrecht und dadurch gedemüthigt. Aber Du bist so gut daß man sich nicht gedemüthigt fühlt. Du bist gut wie Gott; Du wirst mich nicht verdammen! Du nicht – obgleich grade Du es eher als jeder Andre könntest! Du bist nachsichtig und barmherzig denn Du bist stark, und wo die Macht ist auch die Gnade; nur die Schwäche ist erbarmungslos .... sie hat keine Verwandtschaft mit Gott.«

Arabella war vor mir niedergesunken, aber nicht wie eine reuige Sünderin, sondern wie ein Kind das sich voll Vertrauen und der Verzeihung gewiß an das Herz der Mutter schmiegt. Sie stüzte ihre Elbogen auf meine Knie und ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände: so blickte sie zu mir empor mit ihren großen nachtschwarzen Augen, deren Blick lind und liebkosend wie Sammet mich berührte. Hatte sie mir weh gethan, so vergaß ich es bei ihrem Anblick gänzlich; jezt that sie mir nur wol. Ich umarmte sie zärtlich und rief:

»O Arabella! warum hat Otbert nicht Dich geheirathet! ich wäre dann Eure Freundin und uns Allen wäre manche Qual erspart. Jezt, Arabella, zittere ich doch vor Deiner Zukunft bei Otberts Wankelmuth und Flattersinn.«

[] »Und wäre das in unsrer Ehe anders gewesen? fragte sie. Mir liegt nichts daran, Sibylle, seine Frau zu sein und durch sein Versprechen ihn zu fesseln. Von ihm geliebt zu sein – daran liegt mir! und sieh! ich müßte mir zuvor das Herz aus dem Busen reißen, ehe ich an das Aufhören seiner Liebe glauben könnte.«

»Du vergißt die Vergangenheit!« rief ich schmerzlich.

»Nicht doch! entgegnete sie gelassen; damals war Alles anders, denn Otbert kannte mich nicht so wie jezt.«

Es schwebte mir die Bemerkung auf den Lippen:

»Er kannte Dich nicht, aber er war immer derselbe.« Allein ich unterdrückte sie weil sie unnütz war, und sagte lieber nach einer Pause:

»Versprich mir Arabella, Dein Vertrauen auch gegen mich zu bewahren, und an mich zu denken als an eine Freundin auf welche Du rechnen darfst – wenn Dich einmal, was Gott verhüte! traurige Schicksale heimsuchen sollten.«

Ein Thräne trat wie ein silberner Stern in Arabellas Augen und machte sie doppelt schön.

»Das kannst Du Dir doch wol vorstellen!« rief sie.

[] »Und nun, sprach ich aufstehend, zeige mir Deine Tochter.«

»Nein!« sagte sie lebhaft.

Fragend und befremdet sah ich sie an.

»Nein! wiederholte sie mit Bestimmtheit – das kann ich nicht, das würde Dir allzu weh thun .... denn das ist unnatürlich.«

»Ja, meine arme Arabella, ich bin doch so weit in der Unnatur gekommen, daß ich nicht genau weiß was mir wol und was mir weh thut. Also erfülle meinen Wunsch: ich bitte Dich.«

Sie sah mich beängstigt an, ergriff dann stumm meinen Arm und führte mich in das Zimmer der Kleinen die friedlich schlummerte.

»Ein träumendes Wesen mehr auf dieser Welt!« sprach ich in ihren Anblick versenkt, nahm einen raschen warmen Abschied von Arabella und verließ Torcello.

»Du bist großmüthig, Sibylle!« sagte Otbert der mich bei meiner Heimkehr empfing.

»Ich bin nur kalt!« entgegnete ich; und das war ganz richtig. Mein Benehmen mogte einen Anstrich von Großmuth haben, wie das oft geschieht für oberflächliche Beobachter; aber sie war nicht im Herzen: ich that was ich that aus Gleichgültigkeit, nicht aus Liebe, drum wurde mir nicht [] warm und nicht wol trotz der Versöhnlichkeit und Milde meiner Handlungsweise. Wer nicht aus voller Seele handelt wird sich selbst in seinen besten Thaten elend fühlen. Sie glänzen und stehen ihm gut; ja! sehr gut! wie funkelnde Diamanten die ihn prächtig schmücken, aber ihn nicht froh und nicht schön machen. Doch ein Lächeln, ein Blick in dem die volle Seele sich ausstralt – die stehen ihm ganz anders gut und machen ihn schön und froh. Ich schleppte meine Diamanten! – – –

Bevor ich abreiste mußte ich noch einmal mit Otbert über unser künftiges Verhältniß sprechen.

»Es ist an Dir es zu bestimmen« sagte er.

»Dann bleiben wir getrennt, Otbert.«

»Aber Freunde, Sibylle?«

»Freunde .... insofern unsre heterogene Natur das gestattet. Wir sind es aber eigentlich nie gewesen – bedenke das. Die Freundschaft will auch eine Basis haben auf der sie sich feststellen könne und ich – habe weder Vertrauen zu Dir noch Verehrung für Dich – woher soll da Freundschaft kommen?«

»Du bist streng geworden, Sibylle.«

»In meiner unbefangenen Zeit – Du wirst es wissen! – war ich immer so gegen Dich gesinnt. Die der Selbsttäuschung ist dahin und ich nehme [] wieder meinen früheren Standpunkt ein. Wenn ich Dich jedoch nicht überschätze, so glaube mir, daß ich mich noch tausendmal geringer anschlage: man muß sehr erbärmlich sein um eine Komödie für Wahrheit halten zu wollen. Sie mit möglichster Wahrheit darzustellen, sich mit äußerster Geschicklichkeit in die Rolle hinein zu arbeiten – das ist reizend und dazu gehören manche Gaben; ich begreife das .... und Dich. Deine Bethörung, die doch wenigstens activer Art war, kann ich entschuldigen. Meine passive unmöglich.«

Während ich sprach war Astrau im Zimmer auf und nieder gegangen. Nun blieb er vor mir stehen, schlug die Hände zusammen und rief in einem Ausbruch der qualvollsten Ungeduld:

»Sibylle! Deine Räsonnements sind fürchterlich! .... sind gradezu tödtend! Sie sind nicht falsch, nicht ungerecht – aber daß Du sie machen kannst in einem Augenblick wo Dir das Herz zittern und Deine Seele wund und Dein Geist gedrückt sein müßte – daß Du mit Analyse zu Werke gehst statt mit Empfindung, und gelassene Betrachtungen anstellst statt eine heimliche Thräne zu trocknen – sieh, das ist mir fürchterlich! Ich erstarre neben Dir, Sibylle! und glaube mir, kein Mensch kann neben Dir glücklich sein. Paul, der Dich so liebte[] .... war nicht glücklich! Ich, der ein unbeschreibliches Interesse für Dich hegte – bin nicht glücklich! Es ist nichts Erquickendes in Deinem Wesen, Sibylle; nicht die Wärme, die Frische, die Innigkeit, die uns so wol thut, daß wir ihretwegen tausend Fehler und zehntausend Mängel übersehen! Es geht keine Belebung von Dir aus .... und Du bist doch reich und schön begabt, bist umflossen vom Glanz der Verheißung, wie ich ihn nennen mögte – der aber nie zur Erfüllung wird.«

»Und welche Verheißung wird denn überhaupt je zur Erfüllung? unterbrach ich ihn trübe. Keine, Otbert, keine. Meine Erscheinung ist der Ausdruck des Zwiespalts, der ewig zwischen sehnen und erreichen obwaltet, und der meine Seele in unfruchtbaren Exaltationen und ebenso unfruchtbaren Desolationen aufzehrt. Ich kann mich nicht umbilden .... allein ich kann mich fern von den Menschen halten, denen ich allerdings mehr weh als wol thun mag. Ich habe nicht die liebliche Gabe der demüthigen Seelen: mich an dem Kleinen zu freuen das aus dem Untergang des Großen übrig bleibt. Und ich habe auch nicht jenen mächtigen Schwung der starken Seelen, durch den sie zu einem Höhepunkt getragen und auf ihm gehalten werden, wo sie den Ariadnesfaden der durch das Leben läuft stets übersehen [] indem sie von oben herab in das Labyrinth alles Daseins schauen. Ich bin drin .... in diesem Labyrinth! Ich ergreife jauchzend den rettenden Faden – siehe! da zerreißt er in meiner Hand! Ich finde ihn wieder .... aber stückweise! immer reißt er ab! immer hat er ein Ende! immerge rathe ich auf Fragmente ohne Zusammenhang und daher ohne Sinn. So verbleibe ich im Chaos, Otbert! Gott hat noch nicht das Schöpfungswort: es werde Licht! über mir gesprochen.«

»Und denken zu müssen daß ich Dein Retter hätte sein können!« rief Astrau heftig bewegt.

»Dazu hättest Du eben eine andre Seele haben müssen, Otbert! eine Seele wie ich sie träume voll ganz göttlicher Unwandelbarkeit. Und hättest selbst Du sie, so ist es immer noch die Frage, ob ich sie würde ertragen haben. Beklage das nicht .... und laß uns scheiden.«

»Aber nicht auf immer, Sibylle!«

»Und Arabella?« fragte ich streng.

»O! rief Astrau, ich bin unselig.«

»Ja, das bist Du! entgegnete ich; aber nicht durch mich .... nicht durch Arabella .... durch Niemand als durch Dich, denn die Poesie welche Du im Leben finden mögtest ist nicht der besinnungslose egoistische Rausch, in den Du Dich aus Eitelkeit [] oder Genußsucht verlierst .... um nach einiger Zeit zu erwachen.«

»Mein Gott! mein Gott! rief Astrau in gewaltiger Aufregung, was für ein Leben führen wir denn eigentlich Alle! In Träumereien, höherer oder niederer Art, wird es verschwendet – feineren oder gröberen Genuß begehrt man bis zum Wahnsinn – die Folgen erduldet man – bei alten Klagen oder neuen Wünschen lernt man vergessen – und gethan und gehandelt wird nicht. O Sibylle! gieb mir etwas zu thun! laß mich Dich nach Engelau begleiten .... laß mich dort Dein Verwalter, Dein Geschäftsführer sein .... laß uns als Freunde leben« .... –

»Unsinn das Alles! unterbrach ich ihn. Du bist dem Eindruck des Augenblicks unterworfen wie ein schwaches Weib. Drei Wochen in Engelau .... und Du entfliehst! Uebrigens wiederhole ich Dir: denke an Arabella.«

»Aber Du begehrst doch wol nicht, daß ich meine Existenz für Arabella opfern soll?« rief Astrau sehr ungeduldig.

»Und warum nicht .... da sie Dir die ihre opfert!«

»Ah bah! .... Das wird Arabella nie verlangen.«

Ich sah ihn an mit tiefer Empörung und sagte:

[] »O könnte ich sie mit mir nehmen, die Arme! Bei Dir .... stehen ihr fürchterliche Schicksale bevor.«

»Und dennoch bleibt sie bei mir!« rief er trotzig; denn es war ihm unangenehm daß ich mich mehr für Arabella als für ihn interessirte.

»Genug! sagte ich abbrechend. Die Ehe ist eine heilige Sache, Otbert! wer nicht sein Glück in ihr findet dem ist durch sie sein Elend gewiß. Ich bleibe dem Namen nach Deine Frau. Solltest Du aber je Deine Freiheit wünschen .... so bin ich auch dazu bereit.«

Ich gab ihm meine Hand; er küßte sie kalt und ersuchte mich alle Dienstboten zu verabschieden und den Palast Gradenigo aufzugeben. Das geschah. Heulend stürzte Gino zu mir. Ob dies der Lohn für seine Treue sei? dem Grafen habe er einen so großen, hochwichtigen Dienst geleistet, mir desgleichen, – und nun würde er von uns Beiden fortgeschickt.

»Niemand kann zweien Herren dienen, Gino,« entgegnete ich und beschwichtigte seinen Jammer durch ein Geldgeschenk.

Nach einem ernsten kurzen Abschied von Otbert reiste ich grade am zweiten Jahrestag meiner Ankunft in Venedig wieder ab. Es war ein wunderschöner[] Abend als ich über die stille Lagune zum festen Lande fuhr. Myriaden Sterne breiteten ihren Glanz über den dunkeln Himmel, Myriaden leuchtender Gebilde versilberten die dunkle Tiefe: dort oben wie hier unten schwebte der Silberschleier über einem schwarzen Grund. Weshalb an diesen schauerlichen, endlosen Grund denken, wenn es sich doch so lieblich zwischen seinen stralenden und schimmernden Außenseiten dahin gleiten läßt? fragte ich mich selbst. Weshalb? .... unnütze Frage! die Antwort würde auf meine Organisation deuten, welche wiederum gleichsam die sinnliche Form ist, welche den Grundgedanken, das Princip meiner Individualität zusammenhält und ausspricht. Der Eine bewegt sich auf der Oberfläche, der Andere sinkt in die Tiefe – nicht aus Wahl, sondern weil er dem Princip seines Wesens auf die Dauer nicht widerstehen kann. Der Eine ist darum nicht besser nicht glücklicher, nicht bevorzugter als der Andre! Jeder muß nur seinen Platz und seine Bestimmung erkennen und dann – ruhig sein.

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[] Zweiter Band

Aber ich war nicht ruhig – nur stumpf. Ich mied Würzburg und eilte nach Engelau ohne irgendwo auf der ganzen Reise zu verweilen. Ich wollte es nie wieder verlassen und ward durch den herzlichen Empfang meiner Untergebenen in diesem Vorhaben bestärkt. Was hatte ich in diesen zwei Jahren der Abwesenheit gewonnen? Schmerz und bittre Erfahrung; weiter nichts! Nur Benvenutas Gesundheit hatte sich sehr gebessert; sie war blühend und kräftig und gewährte mir die Beruhigung, daß die Reise für sie nicht umsonst gewesen sei. Tödtliche Pein mit einiger Verlegenheit gemischt verursachte es mir, daß ich als Gräfin Astrau aber – ohne Gemal heimkehrte. Meinem Arzt, meinem ehemaligen Vormund und allen Personen, welche direct oder indirect nach ihm fragten, sagte ich: er könne unser Klima nicht gut ertragen und sei außerdem mit Arbeiten beschäftigt, welche ihn an Italien fesselten. Man begriff das einigermaßen, man beklagte es für mich .... und [] bald war nicht mehr davon die Rede. Was mich am meisten an ihn erinnerte war ein Schmerz am Herzen, der mich in jener Nacht vor Arabellas Fenster ergriffen hatte, und der seitdem nie ganz mehr wich. Er war aber durchaus körperlich; seelisch – war ich mehr erstarrt und durchkältet als durchschmerzt. Ein Stückchen vom Faden der Ariadne war mir in die Hand gefallen – und fiel ebenso hinweg .... das war Alles. Sollte ich mich grämen? – Warum? – Ich wußte ja daß der Gram etwas ebenso Vergängliches sei.

Wie nun das Leben hinbringen? Der Sommer verging ganz gut. Der ländliche Aufenthalt war mir neu. Die grünen Wiesen, die schönen Bäume, die üppigen Kornfelder, die Viehheerden, die demüthige und doch nicht armselige dörfliche Umgebung contrastirte so auffallend mit Venedigs Wasser- und Marmorwelt, mit seiner zerfallenden Herrlichkeit und seiner grandiosen Armuth, daß der Genuß des Contrastes mir interessant war. Ueberdas gab es eine Menge Geschäfte, die ich einmal wieder in der Nähe übersehen oder von deren gutem Fortgang ich mich überzeugen mußte. Es gab zu loben und zu tadeln, zu berichtigen und anzufeuern, zu helfen und zu rathen. Es war eine Wiederholung der Heimkehr aus England – nur [] unter günstigen Umständen, und daher ohne jenen Sporn den ein bestimmtes Ziel der Thätigkeit gewährt. Schwierige Verhältnisse keiner Art lagen mir zu überwinden oder zu entwirren vor. Die Geschäfte gingen ihren höchst geregelten Gang. Meine Schulen gediehen, meine Baumpflanzungen wuchsen. Zuweilen stiegen Gedanken in mir auf als müsse ich den gemeinen Mann auf meinen Gütern unerhört beglücken. Fragte ich mich jedoch ernsthaft welche Sorte von Beglückung ihm denn beizubringen sei: so beschränkte sie sich auf Arbeit und auf einen Sparpfennig für die Noth. Dafür sorgte ich mit wahrer ausdauernder Theilnahme und zu jeder Zeit; und nie haben mich meine Verstimmungen dagegen gleichgültig gemacht.

Als der Herbst mit seinen Tagen voll Regen und Sturm und mit seinen langen Abenden kam, sah ich indessen ein, daß ich nothwendig andere Beschäftigungen brauche; und um meine Gedanken an eine bestimmte Disciplin zu gewöhnen, beschloß ich förmlich ernsthaften Unterricht zu nehmen. Ein Cursus etwa der Chemie, Physik oder Astronomie schien mir aber gar nicht ernsthaft genug, sondern wie die Männer gebildet werden, mit alten Sprachen und mit Mathematik: so wollte auch ich es anfangen. Ohnehin hatte ich in meiner ersten Jugend [] kläglich wenig gelernt! Späterhin war mir auf meinen Reisen allerlei angeflogen, was ich mit Geschicklichkeit mir aneignete, wie Sprachen der fremden Länder, Kenntniß ihrer Geschichte, ihres Bodens, ihrer Literatur. Allein jede Beschäftigung in dieser Richtung oder mit meinem ganz hübschen Talent zur Malerei, schien mir kein genügendes Joch um den Sturm meiner Gedanken und Träumereien zu bändigen. Ich hatte so oft sagen hören welch eine Grundlage aller tiefen Bildung die alten Sprachen wären – hatte in England gesehen wie sie auf integrirende Weise zu der so ganz praktischen Erziehung gehören – daß ich mir Wunder was für Vortheile davon träumte. Ich vergaß nur den ungeheuern Unterschied zwischen einer unentfalteten Jünglingsseele, die bereitwillig den Keim aufnimmt, welcher in ihrem frischen Erdreich aufgehen soll und kann – und zwischen mir. Ich war uralt an Lebenserfahrung und Kenntniß; Leid und Lust, Schmerz und Glück, Verlust und Gewinn, welche sich für Andere über fünfzig und sechszig Jahre ausbreiten, hatten sich für mich mit so beklemmender Schnelligkeit gedrängt, daß ich mir bei fünfundzwanzig Jahren sagen mußte: glück-oder leidbringende äußere Ereignisse hätten sich für mich erschöpft. Obwol ich eine namenlose und bodenlose [] Leere in mir fühlte – obwol ich mir vorkam wie die Wüste über welche wenigstens das Weltmeer fluten muß um sie zu beleben – obwol mir manchmal zu Sinn war als hätte ich noch gar nicht gelebt und nichts gehabt: so hielt mir meine Vernunft doch immer eine und dieselbe ermüdend langweilige Predigt: Dir sind die guten und bösen Schicksale bereits zu Theil geworden welche dem Menschenleben zugemessen sind; drum halte Dich ruhig; räume die Trümmer aus dem Innern fort, vergiß Dich selbst, sei Andern nützlich und lerne daß es eine Menge Dinge zu thun giebt die weit ersprießlicher sind als mit Gebilden der Phantasie zu schwelgen.

Also: die Trümmer meines Innern wollte ich aufräumen mit Mathematik und alten Sprachen. Zu meinem Geburtstag machte ich mir selbst das Festgeschenk zweier Lehrer, welche sich entschlossen sich auf drei Jahr in Engelau zu vergraben. Herr Becker hatte so eben seine philologischen Studien vollendet und da sich ihm nicht gleich die gewünschte Stelle an der Universität zu Kiel darbot, so nahm er die in meinem Hause an, die ihm wenigstens Muße zu eigenen Studien ließ. Er war sehr jung, sehr lebhaft, ein glühender Bewunderer des Alterthums, das er in Leben und Kunst, Institutionen [] und Religion als das Ideal vergötterte zu dem die Menschheit hinstreben müsse – ein einseitiger Verächter alles Neuen (nämlich der letzten zweitausend Jahre) – kurz ein Mensch der nichts kannte als seine Wissenschaft, und die Ueberzeugung hegte durch ihre Verbreitung müsse die Welt zu ihrer wahren Gesittung erhoben werden. Dies hatte den großen Vortheil für mich daß er gern zu mir kam, weil er seinen Aufenthalt bei mir als die erste Stufe zur Gräcisirung der nordischen Barbaren betrachtete; und daß er mir mit dem zwiefachen Feuer der Jugend und der Begeisterung Unterricht gab.

Herr Müller, der Mathematiker, war ein ältlicher Mann, welcher fünfunddreißig Jahr sich abgequält hatte der Schuljugend eines Gymnasiums seine Wissenschaft insoweit beizubringen, als dieselbe ein Ingrediens der nothwendigen Examina ausmachte, welche man zu bestehen hatte. Die unendliche Gleichgültigkeit mit der Herr Müller seinen Unterricht an unendlich gleichgültige Schüler ertheilte, hatte ihn nach und nach dermaßen zerstreut gemacht, daß er sich nicht mehr bei ihnen in den nothwendigen Respect zu setzen vermogte. Mit einem winzigen Jahrgeld wurde er entlassen, und da ich ihm die Zusage machte es nach drei Jahren zu verdoppeln, so sah er sich veranlaßt [] meinen Vorschlag, auf Zureden seiner Freunde anzunehmen. Sie waren bemüht ihm eine sorgenfreie Existenz zu sichern. Er für seine Person fühlte sich sorgenfrei sobald er von dem Verkehr mit den bösen Buben – wie er die Gymnasiasten nannte – befreit war. Die Leibesnahrung und Unterkunft machte ihm keine Sorgen; er lebte von Kaffee und Brot und war, Dank dieser strengen Diät und seinem sterilen Studium zu einer so mumienhaften Ausdörrung gediehen, daß er die Bedürftigkeit des lebendigen Lebens nicht mehr empfand. Er war so genügsam und so wolwollend, daß ihm Welt und Menschen vortreflich und nur im Betreff der Gymnasialjugend etwas mangelhaft erschienen. Ein Fortschritt – Einer! war freilich für die Welt zu machen und stand ihr bevor .... sobald die allgemeine Formel für die Primzahlen gefunden sei! Was ihr aber dann noch zu ihrer Vollkommenheit und Glückseligkeit mangeln könne, das – gestand er unbefangen – sehe er nicht ein. Seine Seele war auf der Jagd nach dieser Formel. – In seinem beschränkten Berufsleben war es ihm nie vorgekommen, daß Jemand zum Vergnügen Mathematik studirt habe. Er betrachtete mich wegen dieser Neigung als ein von Gott begnadigtes Geschöpf. Meine Aufmerksamkeit und Ausdauer freuten ihn [] so sehr, daß er mich nach seiner Weise herzlich lieb gewann, und Selbstliebe und Eifersucht lagen ihm so fern, daß er mir zuweilen den Wunsch aussprach: zum Lohn meiner Achtung für die erhabenste Wissenschaft, der ich hoffentlich mein ganzes Leben widmen würde, verdiene ich die Ehre – die allgemeine Formel für die Primzahlen zu finden, und mein unsterblicher Ruhm werde ihn mehr beglücken als sein eigener.

Ich hatte also zwei Lehrer wie man sie sich nicht besser wünschen kann, und überdas den festen Willen möglichst viel von ihnen zu lernen. Im schneidendsten Contrast zu meinem vagabondirenden Leben in Venedig, wurde das gegenwärtige mit einer zuchthausmäßigen Pünktlichkeit Stunde für Stunde eingetheilt, und von sieben Uhr früh, wo ich aufstand – bis zwölf Uhr Abends, wo ich schlafen ging – gab es keine Minute, welcher nicht ein Geschäft zugetheilt gewesen wäre: denn auch die Erholungen bekamen ihrer Regelmäßigkeit wegen einen Geschäftsanstrich. Mein Haus kam mir wirklich vor wie eine Strafanstalt, während es für Herr Becker und Herr Müller, und für eine junge musikalische Gesellschafterin ein ganz angenehmer Aufenthalt war: dermaßen kommt Alles auf die Deutung an, welche wir den Zuständen geben und[] auf die Gesinnung mit der wir in sie hineintreten. Aber ich wollte es nun einmal so! ich wollte meine Thätigkeit nicht vergeuden noch versplittern, sondern sie auf einem Punkt sammeln um sie gleichsam zu einem Pfeil zu machen, der von der gespannten Bogensehne des Gedankens geschnellt, das Ziel in der Mitte treffen mußte – das Ziel nach dem ich nun schon so lange rang, das mir stets in andrer Form erschien, und das ferner denn je von mir zurückwich sobald ich der Form scharf ins Auge sah – das Ziel jedes Menschen, sein glühendstes Bedürfniß, nach welchem er heimlich seufzt oder laut schreit, und um welches er herum irrt wie um ein unentdecktes Land, das der Schiffer mit Magnet und Compaß nicht aufzufinden weiß – – das Glück!

Ich studirte mit großem Eifer, aber ohne eigentliche Vocation! Ich lag heimlich bei mir selbst auf der Lauer ob nun nicht bald ein genußvoller Zustand eintreten werde. Dadurch wurde natürlich die unbefangene Hingebung getrübt, und die übertriebene Erwartung die ich mein Lebenlang von jedem Ereigniß gehabt hatte, verließ mich auch hier nicht. Immer war mir zu Muth als stände ich an jenem Brunnen in welchem nach einer Fabel die Wahrheit sitzen soll, und als schöpfte ich mit [] der größten Anstrengung nichts als Wasser heraus! – Auch jezt war ich wieder auf Verfolgung der Göttin begriffen.

Während dieses unfruchtbaren Bemühens dachte ich doch zuweilen an Otbert und Arabella – mit Neid. Mogten sie in einem Wahn befangen sein, so war derjenige der Liebe doch der süßeste von allen. Bald nach dem Ausbruch der Julirevolution war Otbert nach Paris gegangen. Die fiebernde Aufregung der Gemüther und die tobende Gährung aller Zustände waren ihm eine zauberische Lockung. Wie ein geübter Schwimmer, der seiner Kräfte sicher ist, ließ er sich bald von dieser, bald von jener Welle heben, schaukeln, fortziehen, und fand ein eigenthümliches Behagen an ihrem Gebraus und Gewirbel. Die religiösen und socialen Fragen mit deren Lösung diejenigen sich beschäftigten, welche auf dieser Basis eine neue Ordnung der Gesellschaft aufführen wollten, interessirten ihn aufs Höchste. Mit einer Wärme gab er sich dem St. Simonismus hin, als sei er bereit ein Apostel, ein Märtyrer der neuen Lehre zu werden; und mit einer Leichtigkeit wandte er sich ab sobald der Reiz des Neuen erschöpft war, als habe es sich nicht um Ueberzeugung sondern um Persiflage der Sache gehandelt. Er selbst hätte nicht genau bestimmen können ob er [] wirklich ergriffen war oder nur das Ergriffensein spielte um es als Mittel zu irgend einem Zweck zu gebrauchen: denn bald wollte er als ein Propagandist neuer Ideen populär werden, bald suchte seine Eitelkeit ihren Genuß in dem Nimbus des Außergewöhnlichen, bald begehrte er nichts weiter als in Feuer gesetzt zu werden, gleichviel wodurch! gleichviel für wen! um nur nicht der grauen Monotonie zu verfallen. Sehr flüchtige Briefe, die er mir nur schrieb um mich von seinen pecuniären Verhältnissen zu benachrichtigen, deuteten mir das an. Ich hatte ihm bei unsrer Trennung die Hälfte meines Einkommens bestimmt. Es schickte sich nicht anders – so schien es mir – da ich seine Frau war und, mit ihm zusammenlebend, das Ganze mit ihm wenn auch ungetheilt genossen haben würde. Aber mein Schicklichkeitsgefühl ward in diesem Punkt durch seinen gänzlichen Mangel daran verletzt. War es die gemeine Gesinnung oder die kindische Nachlässigkeit die sich darin aussprach – genug, es peinigte mich in seiner Seele, daß er von seiner Frau gar nichts begehrte als Geld! und immer wieder Geld! Der St. Simonismus kostete ihn unglaubliche Summen. Später waren es die ausgewanderten Polen. Dann unterstützte er legitimistische Bestrebungen. Noch später warf er sich [] zu einem Träger des Socialismus auf. Immer hatte er das Bestreben in der jedesmal herrschenden Richtung bemerkt zu werden; und da jede derselben ihre sehr materielle Seite hatte für welche nur wenig Adepten bereit waren Opfer zu bringen, so zeichnete er sich zwischen denselben um so mehr aus. In seinen Briefen berührte freilich nur ein Postscript von zwei Zeilen den fraglichen Punkt; allein es war sehr klar, daß die Briefe überhaupt nur des Postscripts wegen geschrieben waren. Daher beantwortete ich sie mit der trockensten Kürze, und fühlte mich nie veranlaßt eine Frage nach Arabella an ihn zu thun.

Kaum zwei Jahr nach unsrer Trennung erhielt ich aber von Arabella selbst einen Brief – und zwar aus Hamburg. Sie bat mich in wenig Worten, jedoch dringend, zu ihr zu kommen; sie sei auf dem Weg nach der Heimat. Dieser Weg schien mir ein seltsamer Umweg. Ich riß mich von meinen Studien los und fuhr nach Hamburg. Gott! wie fand ich sie! Zwischen Melancholie und Schwindsucht schwankte ihr armes Leben an einem seidnen Faden hin und her. Ich war fassungslos bei ihrem Jammeranblick. Sie sagte:

»Du findest mich auf dem Heimweg .... zum Grabe, Sibylle. In meiner Familie sterben wir [] Alle vor dem dreißigsten Jahr. Ich habe das oft an Otbert gesagt! ich dachte er würde mir vergönnen die wenigen Jahre bei ihm, d.h. glücklich zu verleben. Aber nein! Du hast mein Glück mit Dir aus Venedig entführt. O Sibylle! warum bliebst Du nicht in Venedig? So wie Du fort warst hörte Otberts Liebe zu mir auf. Er brachte mich bald darauf nach Paris .... aber er dachte nicht mehr an mich. An Dich dachte er .... oder an die großen Welterschütterungen .... oder an sonst etwas! wer kann sagen woran Otbert denkt! nicht an mich – das wurde mir allmälig klar – doch unter welchen Qualen .... magst Du daraus schließen, daß ich endlich ihn verließ und hieher kam um Dir Astralis zu bringen. Nun bin ich fertig und nun – lebe wol.« –

»Ich nehme Astralis, aber ich nehme auch Dich mit mir, Arabella! rief ich mit einem namenlosen Wehgefühl. Glaubst Du denn daß ich Dich Deinem einsamen Leid überlassen könnte?«

»Ich glaube es nicht: ich will es! sprach sie bestimmt und kalt. Glaubst denn Du daß Deine Nähe mir lieb ist? Ich sage Dir mir ist nichts lieb als der Tod, und Du bist es weniger noch als tausend Andre, denn mit Dir .... zog mein Glück aus Venedig fort.«

[] Das war ihre fixe Idee und daher war sie bitter und feindlich gegen mich gestimmt. Ehedem in London hatte sie mir schon den Vorwurf des Verraths an der Freundschaft gemacht: er war ungerecht! doch dieser war gradezu unsinnig. Trübe übersann ich unser seltsames Schicksal, das sich zweimal feindlich durchkreuzte, während wir im Herzen Freundinnen waren; – denn Arabella hatte immer Vertrauen zu mir, und ich hatte sie immer lieb. Sie lehnte sich an mich, und ich freute mich ihrer. Trotz unsrer Verschiedenheit paßten wir zusammen .... aber Otbert schleuderte uns wie ein unheilvoller Komet so weit auseinander, daß jede fernere Berührung eine Anstrengung und daher schmerzlich sein mußte. Ich drang deshalb nicht heftig in Arabella mich nach Engelau zu begleiten, obwol ihr Vorsatz mir trostlos vorkam in Hamburg zu bleiben und dort ihr Ende zu erwarten. Ein Arzt in Paris hatte ihr gesagt sie würde den Herbst im Norden nicht überleben.

»Und der ist nah, ich fühl' es! sagte sie. Drum wollte ich zuvor Astralis in Sicherheit bringen.«

»Willst Du Dich aber wirklich schon jezt von dem Kinde trennen?« fragte ich.

»Ja! denn wenn ich es vor Augen habe, so wird mir das Leben nicht leichter und nur der Tod [] schwerer. Ueberdas fürchte ich die Ansteckung meiner Krankheit für Astralis. Sie wird also in jeder Beziehung besser bei Dir als bei mir aufgehoben sein.«

Ich war Arabellen behülflich in einer Vorstadt Hamburgs eine kleine Gartenwohnung zu finden, die sie mit ihren treuen irischen Dienstboten bezog. Ich begleitete sie dahin. Als sie in ihr Zimmer trat, das zu ebner Erde lag und die Aussicht auf ein schlichtes Gärtchen bot, ergriff sie eine nagende Erinnerung.

»Auf Torcello war es anders! rief sie. O Sibylle! hättest Du denn nicht in Venedig bleiben können?«

So unbeschreiblich war ihr Einfluß auf mich, daß ich mir selbst egoistisch und grausam erschien; und er rührte nur daher, weil sie ganz und rücksichtslos in einem einzigen Gefühl lebte. Mogte sie Anderen tadelnswerth erscheinen – mogten Moral und Sitte ihr Benehmen verwerfen – mogte ich selbst sie in dieser Beziehung nicht rechtfertigen: mir kam diese Einheit des Wesens, welche von einer und derselben Idee lebt und stirbt, doch so majestätisch und wunderbar vor, daß ich mehr Achtung vor ihr als vor mir empfand. Denn sie hatte eine Kraft die mir gänzlich fehlte: sie hielt fest was sie einmal hielt.

[] Ich brachte einen geschickten Arzt zu ihr und beschwor sie sich seiner Behandlung zu unterwerfen, und sie versprach es bereitwillig. Er sagte mir aber Tags darauf, daß ein fast ununterbrochenes Fieber ihre Kräfte aufzehre und daß sie es wisse.

Selten habe ich eine so melancholische Scene erlebt, als die unsers Abschieds. Arabella hatte meine Heimreise auf den vierten Tag festgesetzt und mich gebeten Astralis bei ihr abzuholen, damit die Kleine durch die Fahrt von dem dumpfen Gefühl der Trennung zerstreut würde. So geschah es. Als ich bei Arabella eintrat führte sie mir Astralis reizend geschmückt entgegen und sagte gelassen:

»Dieser Engel soll bei Gott und bei Dir für mich um Verzeihung beten.«

»Sprich nicht so .... aus Barmherzigkeit!« rief ich gequält mit erstickter Stimme.

»Gut, gut! sagte sie immer ganz gefaßt. Ich schenke Dir Astralis. Sie hat nichts als die Existenz, keine Eltern, kein Vermögen! ich kann ihr nichts hinterlassen als ein Paar Diamanten, denn nach meinem Tode fällt meine Rente an Lord – gh zurück. Verlasse sie also nicht und sorge dafür, daß sie in meiner Religion erzogen werde. Versprich mir das, Sibylle, und dann .... laß uns scheiden.«

[] Ich gab ihr mein Versprechen, nahm Astralis auf den Arm und stand unschlüssig ob ich gehen ob ich bleiben solle mitten im Zimmer. Da fiel sie mir feurig um den Hals, umarmte und küßte mich.

»O Du bist gut! rief sie; – aber geh! geh! ich kann Deinen Anblick doch schwer ertragen.«

Ich wandte mich rasch der Thür zu. Da rief sie – – oder nein! ein herzzerreißender Schrei rang sich aus ihrer Brust:

»Astralis!«

Ich flog zu ihr: »O komm' mit mir, Arabella.«

»Nein nein! geh! unterbrach sie mich wieder gefaßt. Mir war nur eben als berühre mich der Tod eiskalt. Geht! geht!«

Sie küßte noch einmal mich und das Kind, sank dann matt auf einen Stuhl, sah durch das Fenster zum Himmel auf und sang den Anfang eines Liedes das sie sehr liebte: »'T is the last rose of the summer.« O wol war es die letzte Rose ihres Lebens, die ich jezt mit mir forttrug! – –

Am Abend desselben Tages war ich wieder in Engelau. Während der Fahrt hatte ich nur einen Gedanken! Zwei Menschen kannte ich – unter so vielen nur zwei! – welche, seitdem sie über sich selbst zum Bewußtsein gekommen, nie um eines Strohhalms Breite von dem Gegenstand abgewichen [] waren, der ihre Seelen in der Grundtiefe ergriffen hatte: eine Sünderin war die eine zu nennen, und der andre ein Narr. Arabella war es und mein alter Mathematiker! Wenn dies das Resultat der Thorheit ist, so behüte mich, Gott! vor dem der Weisheit, denn diese zwei Menschen – sie mißachtet, er verhöhnt, kamen mir ehrwürdiger vor als alle die, welche aus ihrer kläglichen Eigenschaft vergessen und sich zersplittern zu können, eine Tugend zu machen wußten. Namenloses Grauen vor dem Zwiespalt in welchem der Mensch durch das Leben geschleudert wird, zerarbeitete mir die Seele. Wer da festhält kommt aus dem Gleichgewicht nach Außen, so daß die Leute hohnlächelnd mit dem Finger auf ihn weisen; – wer nicht festhält kommt aus dem innern Gleichgewicht indem er in Conflict mit seiner jammervollen Bedürftigkeit und seiner unabweislichen Ueberzeugung geräth. Wie ein zerschellter Nachen von den Wellen an die Küste geschleudert und von der Brandung wieder zurückgetrieben wird: so flogen meine Gedanken auf und ab, hin und her, und fanden nirgends, nirgends Ruhe.

Ein Brief von Astrau erwartete mich in Engelau – ein ganz widerwärtiger Brief, in welchem er Arabellas plötzliche Abreise von Paris eine ihrer [] »weltbekannten Excentricitäten« nannte und sich mit weitläuftiger Erbitterung über die unsinnigen Ansprüche der Frauen ausließ, welche von einem Mann immer und ewig nichts weiter begehrten, als daß er ihr Liebhaber sei – etwa ein romantischer, idyllischer oder heroischer Liebhaber, aber vor Allem der. Dadurch würden die Frauen zu einer so marternden Last, daß der Mann aus Verzweiflung in scheinbare Härte verfallen müsse um seine Freiheit und Thätigkeit dem Weltleben und dessen grandiosen Interessen gebührend zuwenden zu können. So häuften sich am Ende die Mißverständnisse. zu einer unübersteiglichen chinesischen Mauer – und das sei lediglich die Schuld der egoistischen Beschränktheit des Weibes. – Dieser Brief kam mir vor als werfe Astrau sich in die Maske des Zorns um sich gegen eigene und fremde Vorwürfe zu panzern. Aber es war mir entsetzlich, daß er gegen Arabella Vorwürfe aussprach, während sie sich keinen einzigen – ja keine einzige Klage über ihn erlaubt hatte. Als Antwort meldete ich ihm die Lage der Dinge und fügte schließlich hinzu:

»Ich bin so ganz der Ansicht, daß einem Mann Größeres zu erfüllen obliegt, als zu den Füßen des Weibes die Rolle eines romantischen Liebhabers [] zu spielen, daß ich auf dem Punkt sein würde einen solchen Mann zu verachten – wenn nicht zum Unglück Du selbst Dich mir gegenüber in eine solche Rolle geworfen hättest: folglich stehe ich Dir zu nah um Dich beurtheilen zu können. Unser Urtheil über einen Menschen begehrt ebensowol wie das über ein Kunstwerk die gebührende Perspective. Ich bin also gar nicht mit jenen Frauen über welche du klagst, einverstanden und bin gern bereit sie mit Dir egoistisch beschränkt zu nennen. Nur sind die Männer dieser Frauen gewöhnlich in ihrer Art ebenso egoistisch beschränkt; denn nachdem sie deren Wahn geflissentlich hervorgelockt und genährt haben – nachdem sie sich in Schaustellung aller Rasereien der unsinnigsten Leidenschaft gefallen haben – sind sie plötzlich der Sache überdrüssig, die ihnen nicht Ernst war, und begehren vom Weibe es solle nun auch der Komödie satt sein. Aber das hat die Sache für wahr gehalten und findet sich nicht so leicht in den Irrthum. Daher die Mißverständnisse! – O wollte Gott daß Ihr verständet ein Weib zu lieben ohne Euch zu deren Liebhaber zu machen! dann würden Treue und Friede, Achtung und Zutrauen zwischen uns walten. Aber zu jenem gehört Wahrheit und Wärme des Gefühls; und[] zu diesem – – Du wirst besser als ich wissen was dazu gehört.«

Umgehend antwortete mir Astrau:

»Die Welt kehrt sich um! Emancipationsideen dringen sogar bis zu Deiner ultima Thule und Du bist ganz dazu geschaffen deren Priesterin in Beziehung auf das Weib zu sein. Welch einen Fluch hat denn aber Gott auf uns gelegt, daß das Geschlecht welches die Freude und Wonne des unsern sein sollte, sich allmälig zu einer Caricatur zu verbilden droht, von der wir uns mit Schreck und Widerwillen abwenden müssen! Wir müssen auswandern und Euch die Herrschaft Europas überlassen – dann wird beiden Theilen geholfen sein. Auf der einen Seite überfällt uns eine Arabella und will im Liebesrausch uns ersticken; von der andern tritt eine Sibylle uns entgegen und theorisirt, philosophirt, dogmatisirt und systematisirt, daß uns der kalte Schweiß auf der Stirn perlt über diese Scene aus der »verkehrten Welt«. Vertiefe Dich nicht in diese Farce, die Du für ein Drama hältst, meine arme Sibylle! Du hast große Neigung und Talent dazu une froide raisonneuse zu sein. Auf deutsch läßt sich das gar nicht ausdrücken; uns fehlte bisher die Sache, also auch die Bezeichnung; aber Du [] wirst gewiß ein Wort dafür finden. Bis dahin muß ich Dich so nennen. Wäre Dein Kopf ebenso kalt wie Dein Herz es ist, so würdest Du einsehen daß Eure Räsonnements nicht die Grundordnung der Natur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Mann und Weib aufheben können. Wir spielen nicht Komödie mit Euch – wie Du behauptest – weil wir in einer Epoche unsers Lebens voll leidenschaftlicher Glut zu Euren Füßen liegen; sondern es macht sich in uns die Sphäre des Gefühls geltend, aus der wir uns allmälig in die der Intelligenz hinein arbeiten, für die wir hauptsächlich bestimmt sind. Ihr aber bleibt in der inferiören des Gemüths und verfolgt innerhalb derselben den Kreislauf Eurer Entwickelung, der Euch bestimmt den Reiz Eures Daseins als Liebende und Geliebte, die Würde desselben als schöne und heitere Mütter zu finden. Jede andre Entwickelung streitet mit dem Gesetz, das Gott in Eure Natur gelegt hat, und dieser Widerspruch rächt sich an Euch selbst durch Mißmuth und Unzufriedenheit, welche Ihr umsonst hinter hochtrabenden Redensarten und Bestrebungen zu verbergen sucht. Ja, diese letzteren machen Euch immer elender, denn sie bringen Euch um Euer Glück und um Eure Glorie: Ihr werdet nicht [] geliebt! – Ich gestehe Dir aufrichtig die Vorstellung peinigt mich daß Astralis bei und von Dir erzogen werden soll. Ich mögte das Kind für mich in Anspruch nehmen, sobald der traurige Fall eintreten sollte, daß es seine arme Mutter durch den Tod verliert. Freilich würde das eine Umgestaltung meiner Lage mit sich bringen auf die ich vor der Hand nicht eingerichtet bin.« – – – Es folgten Auseinandersetzungen derselben, die mir deutlich zeigten, daß sie verwickelter denn je sei.

Ich war fest entschlossen ihm unter keiner Bedingung Astralis anzuvertrauen und hatte außerdem die Ueberzeugung daß er sie nie ernsthaft begehren würde. Daher schickte ich ihm eine ziemlich bedeutende Summe und schrieb ihm dazu: er möge sie zu der Einrichtung verwenden, die er zu machen habe wenn Astralis zu ihm käme. Ich wußte sehr gut daß er sie für ganz andre Zwecke verwenden würde, aber ich suchte fast vor mir selbst Vorwände um sein Verfahren zu bemänteln. Indessen brauchte ich doch die Vorsicht Arabella zu bestimmen, daß sie mir in einem rechtsgültigen Testament die Erziehung, Bildung und Versorgung ihrer Tochter anvertraute. Auf den ersten Theil [] von Astraus Brief antwortete ich mit ungeheuchelter großer Ruhe:

»Du nennst mich froide raisonneuse. Dieser Vorwurf hat mich getroffen. Ich glaube selbst daß keine Harmonie zwischen meinem Kopf und meinem Herzen ist. Ich habe mich von der Wiege an mit Träumereien und Phantastereien abgemattet, gegen welche jede Wirklichkeit armselig war – und dann habe ich diese Wirklichkeit mit dem Verstande durchforscht und das Sinnenleben wie das Gefühlsleben unvollkommen und daher unbefriedigend gefunden. Dies gebe ich zu. Aber was beweist es? – weiter nichts als daß ich unvollkommen bin. Die arme Arabella blindlings versunken in das Gefühls- und Sinnenleben ist in andrer Art ebenfalls unvollkommen; und Du fühlst Dich so verletzt und beklemmt durch die weibliche Unvollkommenheit, deren thörichte und übertriebene Richtungen wir versinnlichen, daß Du vor derselben in eine neue Welt entfliehen mögtest. Ich habe hierauf nur mit einer einzigen Frage zu antworten: bist Du vollkommen? – – Genug der dürftigen Persönlichkeiten! ich rede jezt nicht von Dir und mir, sondern von Mann und Weib. Du hältst dieses für ein inferiöres, jenen für ein superiöres Wesen. Warum? – Weil [] hier mehr dunkles Gefühl, dort mehr klarer Verstand herrscht. Wer hat festgesetzt daß der Verstand etwas Göttlicheres sei als das Gefühl? – der Mann. Warum hat das Weib diesen lächerlichen Ausspruch angenommen? – weil in der Welt materielle Stärke dermaßen auf der materiellen Schwäche lastet, daß im zwölften Jahrhundert des Christenthums christliche Theologen noch darüber disputiren konnten: ob das Weib eine Seele habe. Zwölf Jahrhunderte der humanisirendsten aller Religionen – und noch eine solche Frage! – Die Seele, insofern man darunter den unsterblichen Theil des Menschen begreift, ist im Lauf von sechs andern Jahrhunderten dem Weibe, ich mögte fast sagen – octroyirt worden. Versteht man aber den erkennenden, bildenden, selbstthätigen Geist, die Intelligenz darunter – ja, dann stehen wir auf dem Punkt der alten Scholastiker. Das Weib als eine Unmündige behandelt, kann sich nicht als eine Mündige benehmen. Es unterwirft sich und vegetirt so hin in dumpfen Gefühlen, welche häufig zu unbändigen Leidenschaften aufflammen, und welche durch eine verschrobene, hohle, prunkende Erziehung wol geschwächt, jedoch nicht gelichtet werden können. Ach ja! das Weib unsrer Tage ist [] eine kläglich unvollkommne Erscheinung; – aber durch den Mann unsrer Tage wird es warlich nicht in Schatten gestellt, nur durch die einseitige Richtung in welche es gezwängt wird. Und ebenso geht es dem Mann! in der handwerkernden Beamten- in der pedantischen Gelehrtenwelt mögen wol Studien genug zu Hause sein, aber was hat mit denen die Intelligenz zu thun? Oder wohnt sie etwa in den Köpfen der Soldaten die in Parade aufmarschiren? der Virtuosen, die von den vierundzwanzig Stunden des Tages zwanzig ihren Fingerübungen widmen? der Journalisten, die ihre Zeitungsartikel aus Klatschereien, Lügen und Träumen zusammenschmieden? der Philosophen und Menschenbeglücker von denen die Welt strotzt, während dieselbe Welt nie ärmer an Weisheit und Glück war als eben jezt? der Künstler die zu Tausenden in den Akademien und Ateliers herum vagabondiren? – Du wirst nicht behaupten daß in diesen verkümmerten, leeren, dürren Geschöpfen der Geist zur Entfaltung gekommen sei. Sie sehen auf das Gefühl herab, während sich die Weiber vor dem Verstande scheu zurückziehen. So bleibt jeder Theil in seiner Einseitigkeit, und ohne Verschmelzung beider Elemente ist für keinen Theil an Vollkommenheit zu denken, und ebenso [] wenig an die wahre heilige Gemeinschaft, die der Schöpfer zwischen den beiden Geschlechtern gewollt hat, indem er die eine Hälfte zum Vertreter der Intelligenz, die andere zum Vertreter des Herzens bestimmt hat. Das sind zwei Stralen die von demselben Licht ausgehen – und dies Licht heißt göttliche Liebe. Schmelzen sie zur Einheit zusammen, so stellen sie das Abbild jenes Urbildes dar. Ihr verhöhnt Gott und lästert die Natur wenn Ihr sprecht das Weib sei ein inferiöres Geschöpf. Laß Dir Eine nennen in der vollen Glorie wie Gott und die Natur sie gewollt haben, und dann sprich: ist der Mann superiör? – nicht blos der, welcher neben ihr steht; nein! der allergrößte, den die Welt aufzuweisen hat? – Gewiß nicht! Heloise darf neben einem jeden stehen. Diese Schönheit, diese Liebe, dieser Geist, diese Entsagung, diese Treue, diese Weisheit, dies Marterthum, diese lichtvolle Klarheit, diese flammende Glut, diese standhafte Ausdauer über allen Schmerz, alles Elend, alle Zeit hinweg, dieser Stralen- und Dornenkranz von Seligkeit und Jammer, den Abälards finstre Liebe auf ihre Stirn drückt – bildet das Alles nicht ein geistig bewegtes Leben von solcher Entwickelung und solcher Intensität daß einem das Herz – der Mutterschooß dieses [] Lebens – als ein Weltmeer von Macht und Tiefe erscheint. Nein, Otbert! ich bin sehr unvollkommen und meine arme Arabella ist es auch und Millionen unsers Geschlechts sind es mit uns; aber wir sind es weil wir auf einer embryonischen Stufe unsrer Entwickelung stehen – nicht weil uns die Fähigkeiten zu einer höheren mangeln. Deine Bemerkung daß ein Geist der Unzufriedenheit und des Mißbehagens sich in uns rege – ist vollkommen richtig: die Chrysalide erwacht, fühlt sich in Haft und Dunkel, und strebt nach Befreiung und Licht. Aber Deine Behauptung, daß dies Bestreben uns um das Glück bringe geliebt zu werden – hat mich herzlich lachen gemacht, weil sie so sehr nach deutschem Spießbürgerthum schmeckt. Es muß wirklich namenlos schwer für einen Deutschen sein den Philister auszuziehen, da es sogar Dir, einem Dichter! einem Cosmopoliten! nicht gelingt. Um bei Heloisen stehen zu bleiben, so vernichtet sie Deine Behauptung; und ich frage Dich: würde es Dir nicht eine größere Genugthuung sein ein Weib wie Heloise geliebt zu haben, obwol sie lateinisch und griechisch verstand, als ein Dämchen unsrer Tage, welches statt dessen die hergebrachten Theetisch-Phrasen versteht. Bist Du denn auch, mein armer Otbert, [] mit des Philisters fixer Idee von der versalzenen Suppe behaftet? Ach, gieb sie auf! schon deshalb, weil heutzutag auch des Philisters Frau viel zu gebildet, elegant und bequem ist um sich mit Suppenkochen zu beschäftigen. Glaube mir – wenn Ihr doch so sehr an dieser gebenedeiten Suppe hängt – Heloise würde sie Euch eher kochen, als Philisters-Frau; denn eine Königin fühlt sich durch Mägdedienst nicht erniedrigt, weil sie ihres Königthums gewiß ist; aber die Magd sträubt sich, weil sie für etwas Besseres gelten mögte als was sie ist.«

Diesen Brief beantwortete Astrau nicht. Bis er bei ihm anlangte mogte er Arabella, welche die eigentliche Veranlassung unsrer Correspondenz gewesen war, bereits ganz vergessen haben. Sie starb im Spätherbst desselben Jahres. Das Leben hatte ihre Kräfte zu sehr aufgeregt um sie nicht zu verzehren, als sie keinen Gegenstand fanden an dem sie sich üben konnten. Sie starb an Erschöpfung in ihrem achtundzwanzigsten Jahr. Zu der Zeit wußte Astralis schon nicht mehr, daß sie eine andre Mutter gehabt als mich. Sie wuchs zwischen uns auf als mein italienisches Pflegekind – wie meine Hausgenossen sie nannten.

Ereignisse gab es in jener Zeit gar nicht, also [] keine äußere Veranlassung zu Glück oder Unglück. Mein Schwiegervater brachte alljährlich im hohen Sommer vier Wochen bei mir zu. Dann gab ich zu seinem Empfang und zu seinem Abschied zwei große steife langweilige Diners, zu denen sich meine wenigen Nachbarn zwei bis drei Meilen weit herbemühten. Ab und an mußte ich auch ihre Einladungen annehmen, was denn freilich eine große Plage war; denn zwei Stunden brauchte ich zur Hinfahrt, zwei Stunden saß man an der Tafel, eine Stunde trank man Kaffee und ging man im Garten spazieren, und zwei Stunden währte die Heimkehr. Das gesellschaftliche Landleben in Norddeutschland ist auf einen ceremoniösen, steifen Fuß gesetzt, der Alles erdrückt was man Vergnügen nennen könnte. Da man sich nie anders als in Galla und bei Tafel sieht, so tritt man nie aus einer förm- und feierlichen Stimmung zu einander heraus. Möge man zehn Jahr im sogenannten nachbarlichen Verkehr gelebt haben – dennoch kommt man immer wie Fremde zusammen. Das Familienleben wird dadurch gehegt, spricht man, und das ist gewiß ein großer Vorzug. Ich leugne es nicht! ich sage nur daß jene Geselligkeit mir schwerfällig erschienen ist und höchst reizlos.

Mein Verkehr war lebhafter mit den Personen [] zu denen ich als Herrin von Engelau in Beziehung stand. Wie das zur Zeit meines Vaters gewesen war, so richtete ich es wieder ein: an jedem Sonntag speisten meine beiden Pfarrer, mein Arzt, mein Gerichtshalter, und etwa ein oder zwei Pächter mit ihren Frauen und Töchtern bei mir. Das war kein eleganter und kein geistreicher Zirkel; aber er war hausbacken praktisch. Ich lernte durch ihn Verhältnisse, Zustände, Ansichten und Bedürfnisse kennen, die mir sonst fremd geblieben wären – was immer ein Mangel ist; und hauptsächlich lernte ich Theilnahme gewinnen für das Leben im kleinen Zuschnitt, an welchem man, wenn man es größer und weiter gekannt hat, so leicht wie an etwas Geringem und Kleinlichen vorübergeht – und das ist ein großer Gewinn. Man kommt durch ihn zur Erkenntniß der einzigen Gleichheit, welche zwischen den Menschen etwas Andres als ein Phantom ist: zu derjenigen, daß, welchen Platz der Mensch auf der socialen Leiter einnehmen möge, Licht und Schatten wird ihn immer umgeben, und immer werden sich Licht und Schatten ungefähr die Waage halten. Das soll nicht heißen, man dürfe nun gleichgültigen Auges auf Leid und Elend und Armseligkeit blicken. Nein, im Gegentheil! es ist eine dringende Auffoderung, so viel an uns ist [] den Mangel an gleicher Vertheilung von Licht und Schatten zurecht zu rücken, damit dieser nicht jenes überwuchere – denn der Schatten wird ohnehin nimmer fehlen.

Was ging mir ab um mich in diesen friedlichen Verhältnissen glücklich zu fühlen: freiwillige Beschränkung – denn ich war nicht vernünftig! Resignation – denn ich war nicht fromm! Ich sprach zu mir selbst: Du erfüllst Deine Pflicht, Du thust das Gute, Du suchst es in Andern zu wecken und zu fördern – warum giebt Dir das denn nicht Befriedigung? Wo das Leben ein klarer stiller reiner Bach ist, sollte da der Durst nicht aus dessen Wassern gelöscht werden können? – – O mit welcher heimlichen trostlosen Verzweiflung that ich mir nicht tausendmal diese und ähnliche Fragen. Ich vergaß nur daß ich meine Befriedigung nicht da suchte wo ich sie hätte finden können, weil ich fortwährend von einem idealen Glück träumte – und meinen Durst mit einem Nectartrank stillen wollte, der freilich aus meinem Bach nicht zu schöpfen war.

Inzwischen lernte ich fleißig und gern – wenigstens in den beiden ersten Jahren. Da waren mir die Sachen noch fremd genug um mich durch den Reiz des Unbekannten zu locken. Geheimnißvolles [] Licht spielte über der untergegangenen schönen Alterthumswelt, wie über vergrabenen Schätzen blaue Flämmchen tanzen. Aber je mehr ich die Schwierigkeit des Studiums überwand, desto mehr schwand auch jener Reiz. Ja, ich las mit großem Vergnügen Homer und Sophokles; ja, ich folgte mit tiefem Interesse der antiken Weltanschauung – allein mit dieser nämlichen, gleichsam unpersönlichen Freude, hatte ich auch Shakspeare, auch Dante gelesen. Der Horizont welcher sich um die Geschichte der Menschheit wölbte wurde weiter; aber mein blödes Auge kehrte immer wieder zu dem eigenen zurück, den es, trotz dessen Enge, nicht überblicken lernte. – Und dann erschrack ich auch vor dem ungeheuern, titanischen Ringen des Geistes zu allen Epochen, in allen Religionen, unter allen Formen, welches – was Glück spenden und Glück genießen betrift – so geringe Resultate gehabt hat. Jeder Mensch muß sein eigenes Leben von der Wiege bis zum Sarge durchleben; Einer wie der Andre muß die Befangenheit der Kindheit, den Rausch der Jugend, die Erkenntniß reiferer Jahre, die Hinfälligkeit des Alters willenlos erleiden, und die Freuden, Leidenschaften, Erfahrungen und Schwächen, welche mit diesen vier großen Epochen verbunden sind, willenlos annehmen. [] Er kann sie ein wenig modificiren und ordnen – darin besteht sein freier Wille! – aber er kann nicht heraus aus dem Bannkreis der Natur. Wenn er Alles liest was über das Glück geschrieben ist – Alles thut was Andre gethan haben um glücklich zu sein – Alles studirt und bewundert, wodurch Andre das Glück erstrebt oder erlangt haben: so hilft das gar nichts, sobald er nicht seine volle ganze Seele mit in den Kauf giebt und daran setzt. Es ist mit dem Glück wie mit dem Reich Gottes von dem geschrieben steht: »Siehe, es ist inwendig in Euch.« Und eben darum verhilft uns die ganze majestätische Erscheinung einer vieltausendjährigen Weltgeschichte nicht dazu.

Bei der Mathematik war mir nun vollends zu Muth wie dem Fisch auf dem Trocknen! Ich, die immer auf den Grund der Dinge losging, die sich nicht abfertigen ließ mit der äußern Erscheinung sondern den Lebenspunkt in ihr suchte – ich hatte mir von der Mathematik ich weiß nicht welche Grunderkenntniß alles Daseins versprochen – ich weiß nicht welche Wissenschaft, die mir das Räthsel der Natur, den Zusammenhang zwischen dem Endlichen und Unendlichen, offenbaren würde; – und statt dessen fand ich eine Methode, welche die Auffindung [] der quantitativen Verhältnisse der Dinge erleichtert. Indessen – ich hatte mir vorgenommen drei Jahr lang Mathematik zu treiben; und ich that es – aber immer matter und matter. Hätte mein guter alter Müller nicht seine Bewunderung und Freude der ersten Zeit allmälig in Wolwollen für mich verwandelt, so vermuthe ich, daß er sich mit gänzlicher Nichtachtung von seiner ignoranten und oberflächlichen Schülerin abgewendet haben würde.

Die Tage vergingen; mit ihnen die Zeit sehr schnell, zu schnell. Ich habe nie begreifen können warum die Menschen so oft freudig sagen: Schon wieder sechs Monat vorüber! man merkt gar nicht wo die Zeit bleibt! – – Ist denn das ein Vorzug daß sechs Monat wie sechs Stunden vergangen sind? Im Gegentheil! ein Mangel ists, eine Leere! – Nichts hat Epoche gemacht, nichts ist geleistet, nichts erstrebt worden; keine ernste Mühe, kein hoher Genuß bezeichnet die Tage. Ein Winter ist durchgemacht, etwa wie die Pflanzen im Gewächshause, in gemüthlicher Ungestörtheit. Ist es das was den Menschen erfreuen soll? – Wol giebt es Perioden, die einen merkwürdigen Anstrich von Monotonie haben; aber unter ihrer stillen Hülle ist die Menschenseele in großer, rastloser Thätigkeit, [] und hören sie auf, so zeugen die Resultate von derselben – wie die wegschmelzende Schneedecke das grüne Saatfeld zum Vorschein bringt, das während der kalten starren Winterruhe sich festgewurzelt hat. Eine Zeit die uns nichts bringt, nichts gewährt, oder die wir so wenig zu nützen und auszufüllen verstehen, daß weder ihre Gegenwart noch ihre Erinnerung anders in unsrer Seele zählt, als eine Aneinanderreihung von Tagen – ist mir immer als eine verlorne erschienen. Und so kamen mir jene Jahre vor. Das wollte ich zuweilen nicht in mir aufkommen lassen. Ich rechnete mir vor, was ich gelernt, was ich gethan; dann zog ich die Summe und die war: Nun ja! aber was geht das mich, meine innerlichste Bedürftigkeit, an? – Ich trieb Spiegelfechterei mit der Annehmlichkeit so Manches zu wissen, was Anderen viel Kopfbrechens koste, und was ich Alles so hübsch zu lesen, zu begreifen, zu erklären verstände; und wenn ich mir Mühe gab so recht damit einher zu stolziren, verfiel ich in ein bittres trauriges Lachen, das mich fragte: Also ist es mit Dir schon zu dem letzten Stadium bettelhaften Dünkels gekommen, daß Du zu Papierfetzen greifst um Dir daraus einen Staatsrock zu schneidern? – Oder ich überdachte das sogenannt Gute was ich geleistet, [] woran die Menschen so viel Vergnügen zu finden pflegen. Nun ja! ich hatte mich der Glücklichen und Unglücklichen, der Verabsäumten und Verwahrlosten angenommen; ich hatte in meinem Kreise Keinem das Leben schwer – Manchem es leichter gemacht; ich hatte vielleicht einige Veranlassung mit mir zufrieden zu sein; o mein Gott! das machte mich erst recht traurig – denn wo lag die Befriedigung wenn nicht in jenem Bewußtsein? – Ich verfiel in einen fürchterlichen Zwiespalt, weil sich mir die Frage aufdrängte: Ob nicht das Böse und das Unrecht einen größeren Reiz gewähren indem sie in eine Spannung versetzen, welche man bei Verfolgung des Guten nicht findet? und ob die Stürme welche Kampf und Widerstand mit sich führen, nicht einen größeren Aufschwung des inneren Lebens erzeugen, als so ein negativer Friede; – denn Schwung, der war es doch hauptsächlich, der Trank der Begeisterung! nach dem ich lechzte; und war der zu theuer erkauft durch die Region der Gewitter in welche sein Rausch uns zu schleudern pflegt? – – –

Und während dies Alles in mir tobte, wühlte, grollte, arbeitete – nahm ich Lectionen der Mathematik und andrer vortreflicher Dinge, die mir ein Greuel waren! und gab meiner armen Benvenuta [] Lectionen der englischen Sprache, die ihr wiederum ein Greuel waren. Die Schulmeisterei riß dermaßen in meinem Hause ein, durch mein Beispiel angespornt war Jeder so eifrig zu lehren und zu lernen, daß mir Astralis als die Einzige von uns welche noch nicht den Wissenschaften oblag, beneidenswerth erschien; und daß ich dem Himmel dankte mich nur auf drei Jahr und nicht auf drei Jahr und drei Tage den Studien angelobt zu haben. Denn in diesen drei Tagen hätte ich ohne Zweifel närrisch werden müssen und meine Umgebung mit mir, meinte ich.

Letzteres war aber mit nichten der Fall. Herr Becker und meine Gesellschafterin Fräulein Mathilde hatten sich durch Philologie und Musik die Seele nicht absorbiren lassen, sondern sich mit einander verlobt – was mir, obgleich Beide blutarm waren, unendlich vernünftig und erfreulich vorkam. Ich fragte ihn lächelnd, ob er nicht fürchte daß sein Apostelamt der Gräcisirung in den Schatten treten würde neben den Pflichten des Hausvaters. Er entgegnete ebenfalls lächelnd: ihn wolle jezt bedünken als sei die Familie eine eben so trefliche Schranke gegen Barbarei als das Griechenthum, und er wolle es lieber auf beide Weisen versuchen[] – worin ich ihn mit Aufrichtigkeit und Theilnahme bestärkte.

Sogar Herr Müller hatte bei mir einen Fortschritt wenn nicht in der Wissenschaft doch so zu sagen im Menschenthum gemacht, indem er sich ganz unsäglich für die polnische Revolution, ihre Anhänger, ihre Auswanderer, interessirte. Der Grund war nämlich – Copernicus! Er fand es nicht zu viel wenn ganz Europa diesen Mann in seinem Volk geehrt hätte, und aufgestanden wäre zu dessen Wiederherstellung. Mit dem unsterblichen und unvergleichlichen Verdienst dieses Mannes könne Keiner in die Schranken treten, denn er habe durch sein System, worin die Erde sich um die Sonne drehe, doch zuerst Ordnung in die Welt gebracht und diese gleichsam erst auf die Füße gestellt. Er seines Theils könne nicht begreifen, daß die Menschen bei einem so grundfalschen Princip wie die Bewegung der Sonne um die Erde, nicht ihrerseits in die größten Verkehrtheiten verfallen, und etwa auf allen Vieren umhergewandelt oder auf den Köpfen umhergehüpft seien. Freilich wisse man auch nicht was in den germanischen, hercynischen und sonstigen Wäldern passirt sei! und daher sei es ein Greuel des Undanks nicht vor einem Volk auf den Knien zu liegen, das einen Copernicus [] geboren. Das System ging dem alten wunderlichen Mann über Alles, und von allen menschlichen Empfindungen war es nur die Dankbarkeit, welche seine mumificirte Seele vor gänzlicher Abtödtung rettete. Mit einiger Freude nahm ich wahr, daß dies Gefühl bei mir in ihm wach geworden sei. Sah ich mich überhaupt in meinem Kreise um, so konnte ich mir nicht verhehlen, daß mehr oder weniger alle Menschen die ihn bildeten sich in ihrer Weise entwickelt hatten; und nur ich selbst machte eine Ausnahme. Bei den günstigsten äußern Bedingungen fehlten mir nach wie vor Glück, Ruhe, Sammlung – Alles was nothwendig ist um jene schätzen und genießen zu können.

Der Gedanke daß meine drei Studienjahre zu Ende gingen mit dem nächsten November, bereitete mir einerseits ein unsägliches Wolbehagen; – wie erlöst kam ich mir vor! Jedoch auf der andern überschlich mich ebenso namenlose Angst womit dann – ich sagte nicht die Zeit, denn die blieb leer! aber die Stunden, aber die Tage, auszufüllen sein mögten. Nur nicht mehr lernen und lesen! – war ein Hauptwunsch; nur nicht mich langweilen! war ein zweiter. Wol fielen mir Reisen ein; doch wohin? mit unbesieglicher Bestimmtheit lockte mich kein Ort und keine Stätte in der weiten Welt. Sollte [] ich mich selbst, und Benvenuta und Astralis mit mir ins Blaue herum schleppen? Darin lag für mich keine Erquickung, und vielleicht ein Nachtheil für die Kinder; also war ich entschlossen in Engelau zu bleiben – nur hätte ich gern Men schen um mich gehabt, verschieden geartete, verschieden gebildete Menschen, die das Leben verstanden – nicht ihr Fach, ihre Wissenschaft, ihre Kunst, u. dgl. mehr. Ich setzte mich eines Tages plötzlich hin und schrieb:

»Meister Fidelis, wo sind Sie in der Welt? Wie oft seit Jahren thue ich Ihnen in Gedanken diese Frage, und wie traurig war mir's oft, daß Sie mir nie darauf geantwortet haben. Vielleicht haben Sie's gethan in derselben Weise wie ich Sie fragte; aber die Geister, durch die Körper von einander abgesperrt, können sich nicht verständlich machen und in trauriger Einsamkeit schleicht Jeder dahin und wähnt sich vergessen. Sie haben es schlecht auf dieser Welt, die Geister! wie Sennen auf Bergeshöhen kommen sie mir vor; durch Klüfte und Abgründe sind sie unüberwindlich von einander getrennt, und von ihrem Dasein zeugt nichts als der schallende Laut den sie zuweilen ausstoßen wenn ihnen die Seele übervoll ist. Ob übervoll von Lust oder Leid, von [] Angst oder Jubel, von Jammer oder Seligkeit – das hört man nicht heraus! O Fidelis, was ist das aber für eine unharmonische Welt in welcher die Frage ohne Antwort, und der Grundton ohne Terz bleibt. Statt in majestätischen Harmonien zu erklingen, verursacht sie uns eine Art von gellendem Ohrensausen, aus welchem Dissonanzen häufiger aufkreischen als Melodien emporschweben. Da bin ich ja bei der Musik angekommen, von der ich mit Ihnen zu reden habe. Ich bitte, schaffen Sie mir einen tüchtigen Musiklehrer für meine Tochter, der außer den erfoderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten eine musikalische Seele habe. Das ist selten, ich geb' es zu! Zum Handwerk und Broterwerb durch Musik braucht man weder eine musikalische noch sonstige Seele, nur gleisnerische Geschicklichkeit. Aber ich weiß nicht .... es ist etwas so Ausdörrendes, Saftloses in diesen Geschicklichkeiten, daß ich mich fürchte sie meiner Tochter quasi einimpfen zu lassen! Die mit ihnen behafteten Menschen kommen mir vor wie die Chinesen: petrificirt in ihrer wundersamen Geschicklichkeit, daher unerquicklich wie alle Curiositäten, welche stets einen linden Beischmack von Monstrosität haben. Also schaffen Sie mir einen Lehrer nach meinen Andeutungen, lieber Meister, und [] schreiben Sie mir einmal. Vielleicht ermuntert mich das. Meine vereinsamte Seele verfällt immer tiefer und tiefer in einen murmelthierartigen Winterschlaf, aus dem es nur für das Thier, nicht für den Menschen ein Erwachen giebt. Wird der Mensch kalt und müde bei seiner Winterwanderung, und läßt er sich gehen an die Erschöpfung: so schläft er ein – und stirbt. Ich suche mich zu vertheidigen gegen diesen Tod; allein es wird mir schwer. Helfen Sie mir! und leben Sie wol.«

Nach Rom schickte ich diesen Brief an die Adresse unter welcher ich Sedlaczech seine Pension seit unsrer Trennung in Venedig beständig zahlen ließ. Ich wartete lange auf die Antwort. Endlich kam sie – und zwar aus Hamburg. Er selbst brachte einen jungen Italiener und fragte an, ob er ihn nach Engelau begleiten dürfe. Meine Erinnerungen waren so stumpf und grau, daß ich mich kaum mehr seiner Verbannung durch Otbert entsann. Ich lud ihn ein so schnell wie möglich zu kommen, und er kam an dem für mich so ereignißreichen Tage Aller Seelen. Er wurde sehr gefeiert; er war so wichtig für Engelau, denn er war mein und meiner Tochter Geburtstag. Sie wurde acht Jahr alt, ein schönes Kind mit den guten Augen und dem [] lieben Herzen ihres Vaters, aber still und verschlossen wie ich selbst es gewesen war. Am Morgen gab es Gesänge und Blumenkränze, am Abend Musik und Tanz. Ich hatte mich ein wenig ermüdet gegen zehn Uhr in mein Cabinet zurückgezogen, als plötzlich die Thür geöfnet ward und Sedlaczech eintrat.

»Da sind Sie! sprach ich bewegt. O Fidelis! Gott segne Ihren Eintritt in dies Haus, das Haus meiner Väter und meiner Kindheit!«

»Er segne diesen Tag!« entgegnete er und drückte meine Hand innig zwischen den seinen.

Ich kehrte in den Salon zurück um den Italiener Herrn Mezzoni zu begrüßen. Philologie und Mathematik sollten morgen auswandern, und statt ihrer zog die himmlische Kunst unter mein Dach; das stimmte mich sehr heiter, ja sogar fröhlich. Doch diese seltene Stimmung entschwand als Sedlaczech fragte:

»Graf Astrau ist doch nicht krank?«

»Er ist wol – so viel ich weiß! entgegnete ich .... und weshalb sollte er denn krank sein?«

»Weil er am heutigen Tage unsichtbar ist.«

»Er lebt schon seit Jahren in Paris« – erwiderte ich ruhig, aber ich fühlte daß ich erbleichte.

Verlegen darüber etwas Unpassendes gesagt zu[] haben, fiel der arme Sedlaczech um dies Gespräch abzubrechen auf etwas ebenso Unpassendes.

»Heute vor dreizehn Jahren war Ihr Vermälungstag« – brachte er fast stotternd hervor.

Wol hatte ich daran gedacht, und meine ganze Kindheit und Jugend, und mein ganzes Schicksal voll seltsamer Einsamkeit waren auf diesem Gedanken an mir vorüber gerauscht und hatten mich während des Tages trübe gestimmt. Jezt vergaß ich es einen Augenblick in der Freude Sedlaczech wiederzusehen und er, er selbst mußte mich daran erinnern.

»Schon dreizehn Jahr den bewußten Traum des Lebens zu träumen .... ist fast zu viel, erwiderte ich kalt. Ueberdies ist dreizehn eine schlimme Zahl. Mir graut vor diesem Jahr.«

Man beruhigte mich damit daß das vierzehnte beginne und die böse Dreizehn überwunden sei; und bald darauf trennten wir uns. Du bist ein Novemberkind, vergiß das nicht! – sprach ich zu mir selbst, als ich mein Cabinet wieder betrat, das ich vor einer Stunde so fröhlich verlassen hatte. Der Monat ist ein Symbol Deines Lebens: die Sonne sendet wol zuweilen einen Stral herab, allein er geht unter in Wolken und Nebeln und sie selbst steigt nicht hoch genug um das wüste [] Grau zu überwinden. Abwärts, abwärts sinkt sie in den ersterbenden December hinein .... da erlischt sie im Eise.

Am andern Morgen reiste Herr Becker ab, nach Paris. Ich fühlte mich verpflichtet ihm nach der tödtlichen Langenweile der drei Engelauer Jahre die Erholung dieser Reise zu verschaffen. Er wollte freilich von der Langenweile nichts wissen, und es ist auch ganz richtig: wenn man sich verliebt langweilt man sich nicht. Um desto größer war aber seine Freude, und sie contrastirte lebhaft mit den Thränen welche Fräulein Mathilde wegen der Trennung vergoß. Indessen auch diese versiegten. Sie war ein gutes Geschöpf; doch glaube ich daß sie binnen Jahresfrist im Stande gewesen wäre Mezzoni ebenso gern zu heirathen als Becker. Aber Mezzoni verabscheute sie, eben um diese ihre negative Natur, die ihn auch über ihr Clavierspiel zu der Bemerkung veranlaßte: Ihm sei dabei zu Muth wie zwischen den Perlfabriken seiner Heimat – (er war ein Venetianer) – so glatt, kalt und sauber gehe da Alles von statten. Zwei Jahr später bewerkstelligte sich endlich Mathildens Verheirathung und Beckers Anstellung, und ich denke sie leben in friedlicher Ehe. – Der alte Müller ließ sich in Eutin nieder und widmete sich mit erneutem [] und gänzlich ungestörten Eifer der Forschung nach jener bewußten Formel. Ich trug sorgsam all meine mathematischen Bücher in die Bibliothek und begrub sie dort zwischen ihres Gleichen. Die Stöße Papiere aber die mich mit meinen Arbeiten angähnten, begrub ich noch viel sorgsamer in den Flammen meines Kamins. Wie sie dort als ein Häufchen zerstiebender Asche lagen, sagt' ich ganz laut zu mir selbst: Da sind drei Jahre meines Lebens in Rauch aufgegangen .... und um zu diesem Resultat zu kommen hab' ich die Existenz eines Gymnasiasten – jugendlichen Uebermuth abgerechnet – durchgemacht. Welch ein Unsinn! – – –

Als ich mit Sedlaczech allein war, erzählte ich ihm ausführlich und aufrichtig wie ich mit Otbert gelebt, und warum wir uns getrennt. Er kam mir noch immer – und in Engelau mehr denn je! – als eine Autorität vor und es gewährte mir Erquickung mich an eine solche zu wenden, da grade sie mir seit meinem zehnten Jahr gefehlt hatte. Die kränkliche Mutter, der zärtliche Paul, der gleichgültige Otbert, ließen mich gewähren – aus sehr verschiedenen Gründen, welche aber für mich die nämliche Wirkung hatten. Mein Schwiegervater würde vielleicht versucht haben mich zu dominiren, wenn wir mehr zusammen gelebt hätten; [] allein grade ihm würde es schwerlich gelungen sein, weil ich nur kühle Achtung, keine warme Verehrung für ihn empfand. Und mein Onkel der Bischof, für den ich letztere im hohen Grade hegte, mied mit zarter Vorsicht jede persönliche Autorität um nicht unwillkürlich die geistliche hinein zu mischen. So hatte ich Niemand als mich selbst und meine eigene Zustimmung und Abmahnung, woraus ich mir das Tribunal meiner Handlungen zusammensetzen konnte; – und wie bestechlich .... im besten Fall wie einseitig, ist ein solches.

»Wie glauben Sie denn daß Ihre Zukunft sich gestalten werde?« fragte Sedlaczech.

»Da giebt es zwei Wege, entgegnete ich. Entweder ich verfalle in die schaale Routine des Lebens, welche die Eigenschaft besitzt die Leute – wie man es nennt zu conserviren; nämlich so wie Leichen sich in manchen Gewölben mit dem Anschein von Leben erhalten; und dann kann ich es zu grauen Jahren bringen .... vor denen der Himmel Alle behüten möge die er liebt! Oder solche Existenz ohne Reiz, ohne Nerv, ohne erhebende Gedanken, ohne beseelende Idee, ohne Leidenschaft – führt eine Atonie sämtlicher Kräfte herbei .... welche bald gänzliche Auflösung zur [] Folge hat. Acht bis zehn Jahre geb' ich mir noch. Dann ist meine Tochter erzogen, dann bin ich fertig, dann werd' ich vielleicht erfahren zu welchem Zweck ich gelebt habe; – denn bis jezt, das gesteh' ich Ihnen, begreif' ich es nicht. Das Leben aus Instinct fortzupflanzen, welches mir meine Eltern aus Instinct gegeben haben, scheint mir keine erschöpfende Bestimmung zu sein, und alles Uebrige: diese Gesetze nach denen – diese Pflichten für welche – diese Genüsse um welche man lebt: entsprechen so wenig unsrer Natur, sind so sehr das Product eines künstlich zusammengesetzten Zustandes, daß man sich selbst verkünsteln muß bevor man sich an sie gewöhnt.«

»Wer kann sagen: ich begreife das Leben! erwiderte Sedlaczech. Niemand! Das ist eben die Sache Gottes. Wir aber, die wir es nicht können, sollten die Hände davor falten, weil es eine Hieroglyphe ist, die ein göttliches Geheimniß verbirgt.« –

»Immer die Fabel von der verschleierten Isis!«

»Ja! aber auch immer im Fabelkleide die urewige Wahrheit.«

»O Meister! rief ich, wie sind Sie nur zu Ihren unumstößlichen Ueberzeugungen gelangt.«

[] »Als ich in meine Seele hinein blickte fand ich sie dort vor; denn sie sind uns eingeboren.«

»Nimmermehr!« rief ich.

»Doch! unterbrach er mich sanft. Als die Engel in Menschengestalt zu jenen Zeiten von denen nur Legenden uns erzählen, auf der Erde umher wandelten, hatten sie ein geheimnißvolles Wort, kraft dessen sie augenblicklich zu ihren Gestirnen und ihren Himmeln emporsteigen konnten. Die Menschenseele weiß auch von einer solchen Bannformel mit der sie sich über den Staub hinaufschwingen kann, und die ist ihr eben eingeboren, ohne Unterschied der intellectuellen Gaben – Allen! sie heißt: Glaube und Liebe! – der Glaube einer ewigen Einheit anzugehören, die ihrer Essenz nach nichts Andres als eine Vollkommenheit sein kann: das ist der Schöpfer! .... die Liebe, welche uns die Vielheit, das Geschöpf, als unsers Gleichen, als Gefäß seines unerforschten Willens, als Symbol seiner Idee zeigt.«

»Das ist genug für erhabene Menschen, entgegnete ich traurig; – nicht für mich. Diese gleichsam unpersönliche Gemeinschaft mögte ich die der Heiligen nennen .... und die Heiligen, Fidelis, über welche Dornen und Kohlen sind sie gewandelt ehe sie dahin gelangten. Lesen Sie doch [] die Bekenntnisse des heiligen Augustin, der heiligen Theresia! ist nicht jede Zeile, jedes Wort in ihre Thränen getaucht, von ihrem Herzblut überrieselt? wie sich eine wunde Brust aus unsrer harten nordischen Luft in eine südlichere flüchtet: so haben sie ihre Herzen einer Region zugewendet, deren Aether feiner als unser derber irdischer ist, den die kaum vernarbten Wunden nicht ertragen wür den. Sie tragen eine Glorie, ja! aber deren Stralen sind verwandelte Dornen.«

»War Christus nicht von seinem Herzblut überrieselt auf dem Weg zu Golgatha? – Sie fürchten das Leid zu sehr, Sibylle!«

»Ich fürchte es nicht! ich weiß nur aus unseliger Erfahrung, daß es uns nicht fördert und nicht hilft – und darum meid' ich es« .... – –

»Das heißt Sie lassen es fallen anstatt es reifen zu lassen.«

»Das Leid pflegen .... ist Mißverstand.«

»Es reifen lassen .... grenzt an Weisheit! sprach er lächelnd. Es lebt sich dann durch alle Phasen durch und aus; es gestaltet sich zuweilen zu einer köstlichen Essenz – wie starker Wein, das Leben kräftigend, wie Rosenöl, es mit Balsamduft durchhauchend. Zuweilen wird es freilich auch zu einer sehr, sehr bittern Frucht, durch die man nichts gewinnt [] als – eine schmerzliche Warnung oder Erfahrung. Doch gleichviel! bei dieser inneren Arbeit ist der Boden so zergraben und gelockert, daß er fähig ist ein neues Samenkorn zu empfangen. Wird aber die Frucht hastig und unreif abgerissen – wie Sie es thun – so ist die ganze Entwickelung gewaltsam unterbrochen, und ringende Kräfte reagiren schädlich .... ja feindlich, weil sie nicht ihren natürlichen Gang gehen durften. Sie stocken, und es wird daraus das Allertraurigste was den Menschen befallen kann und was ich versetztes Leid nenne: Bitterkeit. Hüten Sie sich davor, theure Sibylle.«

»O Meister! rief ich bewegt und mit feuchten Augen, wie thun Sie mir wol! bleiben Sie nur immer bei mir! bei Ihnen fühl' ich mich zu Hause und bei meines Gleichen; denn Sie denken, empfinden und sprechen wie ein Mensch – während ich so lange! so lange! nur sprechen höre vom Standpunkt aus, den Beruf oder Gelehrsamkeit oder Verhältnisse zur Pflicht und zur Gewohnheit machen. Das ist natürlich .... ach, es mag sogar respectabel sein! aber .... ich kann's nicht aushalten – ich kann es nicht! All dies kluge Wissen, all dies brave Thun kommt mir vor wie der Teich Bethesda, dessen Gewässer stagniren und [] ohne Leben und Wirksamkeit sind bis ein Engel über sie dahin rauscht und sie segensvoll macht. Nach diesem lebendig machenden Geist schmachte ich – und von Ihnen weht er mich an. Bleiben Sie hier.«

»Und wenn Graf Astrau kommt?« .... – –

»Er wird nicht kommen! Käme er aber, so würde er ein Gast unter meinem Dach sein gleich Ihnen – und das Gastrecht meines Hauses genießen wie ein Fremder – und nicht wie Sie, mein Freund.«

»Ich werde bleiben so lange ich kann! entgegnete Sedlaczech nach einigem Schweigen und mit gepreßter Stimme. Kann ich nicht mehr so« .... –

»So sind Sie frei – das versteht sich! unterbrach ich ihn. Aber jezt .... bleiben Sie bei mir. Und glauben Sie mir: es ist Ihre Pflicht! wo der Mensch die heilsamste Wirsamkeit übt – ist sein Platz. Es ist nicht Jedem gegeben wolthätige Lebensluft um sich zu verbreiten. Trockne, dürre, harte Seelen hauchen Stickstoff aus, worin das Leben erlischt, das in ihre Atmosphäre geräth. Aber Sie entzünden das bereits halb erstorbene« .... –

»Wozu dies Alles! unterbrach er mich unruhig. Ich kenne ja Ihre Art: heute fanatisiren Sie sich für einen Menschen der Ihnen ein Prophet zu sein [] scheint, und binnen drei Wochen sind Sie seines falschen Prophetenthums überdrüssig, klagen ihn der Täuschung, sich selbst des Irrthums an, und geben sich einer ebenso übertriebenen Schwermuth hin als Ihre Freude übertrieben war.«

»Mit Otbert war es allerdings so,« antwortete ich beschämt.

»Und nicht mit ihm allein, sondern mit Allen und Allem was Sie je ergriffen haben.«

»Wolan es ist so! rief ich entschlossen, denn meine Seele will Ruhe finden in dem was sie liebt, und findet statt dessen Unruh, Angst, Verzweiflung – weil die Gegenstände ihrer Liebe wesenlos an ihr vorüber und in das Nichts hinein schweben dem sie angehören. Ich kann das nicht ändern, weder meine Sehn sucht noch meinen Schmerz kämpfen. Beide sind gleich groß, gleich gewaltig. Wie jene Halb-Verdammten des Dante befinde ich mich in einem beständigen Wirbelwind. Das Unbekannte lockt mich mit den süßesten Verheißungen, die in dem Bekannten ebenso sicher untergehen, wie eine gewisse flammende Morgenröthe einen Tag voll Regen bringt. Zwischen jenen Chimären und dieser Nichtigkeit stehe ich auf einem so ungewissen Punkt wie der Krater eines Vulkanes ist! ich habe ihn nicht gewählt, nicht gesucht! ich bin durch [] meine angeborne Richtung zu ihm hingeführt worden .... und Sie machen mir Vorwürfe! ist das gerecht?«

»Ja, ich mache Ihnen Vorwürfe, Sibylle! Wer klar genug über sich selbst ist um die Richtung zu erkennen in welche seine Natur ihn drängt – wer dieselbe unablässig verfolgt: dem ziemt keine Klage wenn deren letzte Consequenzen ihm begegnen – denn er sollte auch über sie allmälig klar werden und sie als Bedingungen der Existenz annehmen. Ein Ringen aus der Unvollkommenheit zur Vollkommenheit – das ist das Leben; das ist das Ziel des Menschen; dahin muß er streben durch Licht und Schatten, in Sieg und Niederlage, durch handeln und denken, mit Kreuz und Schwert; darin muß er seine Seligkeit suchen – denn seine Bestimmung ist Seligkeit. Nur muß zuvor mancher herbe Kelch geleert werden, der auf ewig geheiligt ist weil ihn der Allerheiligste nicht verschmäht hat. Aber Sie .... lassen ihn fallen! Aber Sie .... mögten in der Vollkommenheit geboren sein und bequem die Seligkeit als Hausmannskost genießen in Ihrer olympischen Trägheit!«

»Ja! denn ich bin mir bewußt sie nimmermehr verdienen zu können!«

»Verdienen? Wer spricht von verdienen .... ich[] gewiß nicht, Sibylle! die Seligkeit kann nicht verdient – sie muß errungen werden. Sie verdienen wollen wäre Knechtes- und Miethlingswerk, von denen geschrieben steht: »sie haben ihren Lohn dahin.« Der Freie ringt. Das braucht kein sichtbarer Kampf zu sein voll Getümmel und Geschrei; – er kann ebensowol in tiefer Stille entschieden werden und der erbleichenden Lippe nicht eine Klage entlocken. Der Eine ringt .... und die Erde bebt, die Völker zittern, die Welt droht aus ihren Angeln zu gehen; – der Andre ringt .... und die Thräne eines Dankbaren fällt auf seine Pfade, und der Segen eines Geretteten folget ihm nach. Dieser ringt um sich zu verstehen – Jener um sich zu beherrschen – Der, um sich zu entwickeln – und Der nach Weisheit! und Der nach Brot! und Der nach Ruhm! Alle .... auf ihre Weise, nach ihren Einsichten, mit ihren Kräften, welche so verschieden sind wie die Individuen selbst. Aber sie ringen, das heißt sie sammeln ihr ganzes Wesen auf einen Punkt, von wo sie den Zug ins gelobte Land beginnen – vielleicht, wie Moses, es nie erreichend! – Und auch Sie müssen ringen, Sibylle, sonst werden Sie untergehen.«

»Und wohin – wohin soll ich ringen?« rief ich.

»Zu Gott!« sagte er sanft.

[] Himmlisch mild wie der Schlußaccord einer Hymne fiel dies Wort und diese Stimme in mein Ohr. »Zu Gott!« wiederholte ich leise, und mein Gesicht sank in meine Hände, und mit tausend Thränen brach ich in mir selbst zusammen und ihre heiße Flut hob den starren Frost unter dem mein Herz seit Jahren eingeschrumpft war. Als ich aus diesem Paroxismus wieder zu mir selbst kam und mich ganz bewildert umsah – war Sedlaczech fort! – –

Hatte ich eine Vision gehabt? – hatte unter Orgelton und Glockenklang eine Stimme zu mir geredet? – Ich war doch jeden Sonntag in der Kirche gewesen und hatte ein Paar hundert Predigten gehört und hatte außerdem manches ernste gute Wort über religiöse Dinge mit meinen Pfarrern – und nicht blos mit ihnen! – geredet, und nie war mir so zu Muth gewesen. Nie bebte meine Seele vor ihrem Wort und dennoch ihrem Wort entgegen! Nie stand ihnen der Mosisstab zu Gebot, der aus dem Felsen Wasser schlug! – Und jezt kommt ein Mensch, sagt das Allereinfachste, das Allernatürlichste, was ich, was Jeder ebensogut oder besser hätte sagen können – schöpft es aus dem warmen tiefen Quell seines Herzens – und bewegt mich so .... aber so, daß ich zu mir selbst sprach:

[] Vielleicht ist der Engel über den Teich Bethesda dahin gerauscht, und die Blinden und Lahmen, welche jezt in ihm baden, werden genesen! – Vielleicht ist Ostertag gekommen .... der Morgen der Auferstehung. – O welche Gotteskraft ist im Menschen .... wenn er ein göttlicher Mensch ist! – – –

Das Leben bekam jezt eine andre Färbung, als ob ein wärmerer, farbenreicherer Himmel einen kühlen und eintönigen verdrängt habe. Freilich war nicht mehr jeder Stunde ihre unveränderliche Bestimmung wie von einem Fatum zugewiesen. Freilich waren meine Beschäftigungen willkürlicher und unregelmäßiger. Ich trieb nicht mehr die Eintheilung der Zeit bis zu pedantischer Genauigkeit. Eben daher ward mein Leben mannigfaltiger weil Stimmung und Neigung des Augenblicks befragt wurden, weil der Tag nicht wie die Musik einer Spieluhr mechanisch abgearbeitet wurde. Was war das nur für ein unsinniger Einfall sich dermaßen in ein Extrem zu sperren? fragte ich mich selbst ganz verwundert – und bedachte nicht, daß ich mir diese Frage wol schon zwanzig Mal vorgelegt hatte und immer aus einem Extrem in das andre geschwankt sei. Jezt wollte ich auf der schönen klaren Mitte bleiben. Ein stiller Geist kam über mich. Mir[] ward woler denn je. Ich weiß nicht was für friedliche Anklänge voll süßer Melancholie aus den Tagen meiner Kindheit, aus der Erinnerung an meine Todten, mich anwehten! Sedlaczech war der Repräsentant jener Vergangenheit! unwillkürlich sah ich ihn von dem Kreise geliebter Geister umringt; unwillkürlich reihte ich ihn einer andern Ordnung der Wesen an. Ich hegte ihn mit zärtlicher und ehrfurchtsvoller Pietät in meinem Hause, wie den Barden aus den Tagen der Väter in den Ossianischen Gesängen. Ich sagte ihm das.

»Bin ich wirklich so sehr alt und ehrwürdig?« fragte er lächelnd.

Ich mußte ihn auf diese Frage einmal gründlich betrachten. Nach einer Pause sagte ich:

»Das Genie hat kein Alter, und Sie haben ein merkwürdiges Antlitz, Meister Fidelis – als hätte die Natur bei dessen Bildung mächtig tiefsinnige Gedanken gehabt, und als hätten Sie diese Gedanken alle errathen, alle ausgeführt.«

Dies war ganz richtig! die Züge waren fest geschnitten und fester noch ausgebildet. Flammenfinger schienen magische Zeichen auf seine Stirn geschrieben – Elfenfinger deren strenge Furchen geglättet, und den Abglanz ihres eigenen Schimmers über sie gebreitet zu haben. Die graden [] starken Augenbrauen, der festgeschlossene Mund zeugten von unüberwindlicher Entschiedenheit; aber wenn diese Lippen sich im Lächeln oder im bewegten Sprechen lösten, so legte sich ein schmerz- und seelenvoller Schmelz weich und fast zitternd über sie. Das Auge ruhte unter der Felsenstirn in tiefer Höle wie ein farbenspielender Diamant, der sein Licht nach innen wendet und nur zuweilen dessen Reflex nach Außen blitzen läßt.

»Sind Sie eine Jüngerin Lavaters? fragte er scherzend; und glauben Sie an dessen Physiognomik?«

»Ich glaube an die Urmacht der Natur. Ist der Mensch nicht der Aus- und Abdruck der in ihm wohnenden, ihm uranfänglich eingehauchten Idee: so ist er ein Larvenbild, und dieses ist von einer wahrhaften Gestalt zu unterscheiden. Ich glaube daß Genius und Größe nicht wie Zieraffen aussehen und sich geberden; und glaube daß im Zieraffen ebensowenig Größe und Genius stecken. Ich glaube daß ein Engel nicht aussieht wie ein Teufel – daß ein Teufel die Maske eines Engels vornehmen und Diejenigen täuschen kann die gedankenlos mit ihm umgehen und sich täuschen lassen wollen – und daß der unbefangen beobachtende Blick sie unterscheidet. Und ich glaube endlich daß unser in dieser Beziehung ursprünglich scharfer Blick [] stumpf wird, weil er die allgemeine Sitte mitmacht den Menschen nach dem Rock zu beurtheilen. Und Rock nenne ich nicht blos seine Kleider – sondern die ganze Form unter der er zur Erscheinung kommt, und die von den gekräuselten Haarspitzen bis zu den viereckigen Schuhspitzen conventionel ist.«

»Wäre es nicht ein unerhörtes Unternehmen, entgegnete Sedlaczech, aus einem modernen Schuh auf das schöne Gebilde eines menschlichen Fußes mit seiner feinen und festen elastischen Gliederung schließen zu wollen? Und wie der Schuster mit unserm Fuß, so verfährt der Mensch mit dem Menschenantlitz.«

»Aber dem unbezwinglichen Herzens- Geistes- und Leidenschaftsleben bleiben dennoch immer Canäle geöfnet in denen es sich ausströmt und ausstralt. Und ich meine auch nur daß der Grundzug einer Natur, die Hauptrichtung eines Characters erkennbar sind – etwa so wie Beethovens Antlitz die sturmbewegten und durchfurchten Züge eines Titanen an Macht und Tiefsinn nicht verleugnen kann – und Rafael nicht die liebende Anmuth seiner Seele.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung! sagte Sedlaczech, und da ich finde daß die Hauptrichtung eines Menschen die einzige ist, welche bei seiner Beurtheilung[] von Wichtigkeit ist, so freut mich stets die Wahrnehmung, daß sie sich zwischen den kleinen verwickelten Zickzacklinien der Zufälligkeiten Platz macht.«

»Wenn Sie mich nicht kennten, Fidelis, sprach ich gedankenvoll, was würden Sie über meine äußere Erscheinung sagen?«

»Das ist schwer .... fast unmöglich! .... Vielleicht würde ich sagen: eine schöne schicksalträumende Walkyre! – Vielleicht .... eine Somnambule, so ahnungsvoll, aber befangen und gebunden; eine immense Seele – aber leer.«

Fräulein Mathilde hatte dem Gespräch zugehört in ihrer Weise, d.h. jedes meiner Worte als einen Orakelspruch bewundernd. Als ich jezt ernst und sinnend schwieg, nahm sie gekränkt das Wort und rief lebhaft:

»Herr Sedlaczech! besinnen Sie sich! wie können Sie die Gräfin eine leere Seele nennen! sie ist ja so voll Güte und Wolwollen! Ich hätte gemeint daß Sie auf Ihren Reisen mehr Menschenkenntniß erworben haben müßten.«

»So wird man verkannt – und gar von seinen Freunden!« rief ich scherzhaft und abbrechend. Aber zu Sedlaczech sagte ich später:

»Sie hatten ganz Recht, Fidelis! statt zu leben[] – träume ich mir Schicksale, und ich suche die Seele durch Handlungen der Güte und des Wolwollens zu füllen – denn sie ist leer.«

Er schwieg. Ueberhaupt schwieg er viel, und ich hätte doch gewünscht er möge viel sprechen. Ich fragte ihn auch einmal weshalb er so wortkarg sei? er habe doch Gedanken vollauf.

»Worte sind nicht die eigentliche Sprache meiner Gedanken; antwortete er. Ich bin so daran gewöhnt die besten und tiefsten in Musik auszusprechen, daß ich, wenn ich reden soll immer jene Unbeholfenheit fühle mit der wir uns in einer fremden Sprache ausdrücken. Ueberdas habe ich nicht jene Gabe der Unterhaltung, die man nur im Verkehr mit der großen Welt entwickeln kann.«

»Ganz Recht, Fidelis: mit der großen Welt, in der alle Menschenbildungen ihren Platz einnehmen, sich durch einander drängen und bewegen, und jede auf ihre Art die Sprache verstehen und handhaben. Da muß der Gedanke schnell und beweglich, der Ausdruck fein, schmiegsam und doch präcis sein, und immer wechseln je nach dem Verständniß Desjenigen mit dem man eben redet. Dazu gehört ein erstaunlicher Scharfblick und eben so erstaunliches Wolwollen. Die große Welt bietet zu diesen Uebungen einen vortreflichen Tummelplatz. [] Aber ihre Fractionen, diese Masse von kleinen Welten welche sich sämtlich nur darum groß finden und nennen, weil sie für die wirklich große weder Maßstab noch Ahnung noch Verlangen haben: die sind recht eigentlich dazu geschaffen den Menschen um die edle Gabe der Sprache zu bringen. In der eleganten Welt – welch ein frivoles Gezwitscher! in der gelehrten Welt – welch ein pedantisches Dociren! in der literarischen – welch ein babylonisch verwirrter Wortschwall! Wer sich nur in einer derselben bewegt und mit ihrer Redeweise unwillkürlich auch ihre Gedankenrichtung annimmt, wird in den andern so unverstehend und unverständlich sein, wie ein Kamtschadale zwischen Hottentotten und Botokuden. Und es kann unsereinem wol begegnen in eine derselben hinein zu gerathen! .... aber Ihnen, Meister, Ihnen steht die ganze große Welt geöfnet.«

»Was hilft das einem schüchternen Menschen? ich bin schüchtern – meine Seele ist's! Das mag mit meinem Schicksal, mit meinen Fähigkeiten zusammenhängen. Meine Gedanken und Empfindungen kommen mir so beschränkt, alltäglich und armselig vor wie Nachtviolen, die unschönen grauen Blumen, die nur dann zu duften wagen, wenn die Nacht mit ihren ewigen Gestirnen heraufzieht; [] dann verschwinden sie unbemerkt unter den goldnen Sternen. Meine Nacht – ist die Musik. Sie breitet ihren Sternenmantel über mich und in ihrem Schutz öfnet sich unbefangen meine Seele.«

»Ihr inneres Leben mögt' ich kennen, Meister, sagte ich gedankenvoll. Es muß gleich dem Karfunkel sein: mystisch und licht.«

»Ist nicht jedes innere Leben so?«

»O nein! so ist es! statt der Mystik – Verwirrung, und statt des Lichtes – farblose Wässrigkeit!« rief ich.

»Sie sind sehr hart, Gräfin Sibylle!« sprach er.

»Nur gegen mich, Fidelis! meine Bemerkung galt hauptsächlich mir! .... aber freilich nebenbei manchen Anderen. Denken Sie doch nur: der bewußte Geist, der die Persönlichkeit genau bestimmt und ausprägt – der macht licht. Und die Inspiration, die Begeisterung, die Gefühlsströmungen von Andacht und Liebe, welche jene Persönlichkeit durch- und umfließen und sie im unbewußten Zusammenhang mit dem Ganzen, mit dem All zeigen – die sind mystisch. Glauben Sie wirklich daß dieser hochheilige Tag und diese tiefheilige Nacht eine alltägliche Erscheinung in unsern verschrumpften, verfinsterten, engen, matten Seelen sei?«

»Ich glaub' es nicht, erwiderte er sanft, und [] daher glaub' ich auch nicht daß sie in mir zu finden sind. Aber ich denke so Einer wie Sie ihn meinen muß Beethoven gewesen sein! frei im Geist, wie ein ächtes Kind Gottes; und im Einklang mit den Gestirnen, den Elementen, seinen Geschwistern! In der Symphonie seines Daseins, welche unter der Hand Gottes dahin gerauscht ist, bildet sein Geist die ewig lichte, sonnenschöne Melodie, die auf dem Zusammenbrausen unirdischer Ströme – auf dem Zusammenklingen unirdischer Glocken – auf einer Unendlichkeit von Harmonien ruht, die alle in der Urtiefe seines Wesens wiederhallen und neugestaltet aus ihr emporquellen.«

Wenn Sedlaczech durch den Gegenstand hingerissen sprach – wenn er gleichsam das Wehr öfnete und die Flut der Empfindung nicht länger hemmte – wie veränderte sich dann sein Gesicht, sein Ausdruck, seine Stimme! Die Stirn wurde so transparent, daß man meinte hinter ihr die Gedanken weben und walten zu sehen; – das hagre bleiche Antlitz war erfüllt und erwärmt von der Ueberfülle der Seele; – die kalte monotone Stimme klang und vibrirte wie ein tonreiches Instrument das erst jezt seinen Meister gefunden. Ebenso war es auch wenn er spielte. Ich würde geglaubt haben, daß jene Veränderung nur für mein Auge [] mit ihm vorgehe, wenn nicht Fräulein Mathilde mich überrascht und neugierig gefragt hätte, ob ich dieselbe bei vielen Menschen außer bei Sedlaczech wahrgenommen habe; was ich verneinte.

»Welch ein herrlicher Schauspieler hätte er werden müssen, setzte sie hinzu, da er im Stande ist seine Mienen und Bewegungen so in Uebereinstimmung mit seinen Worten zu bringen.«

Sie war mir immer ziemlich einfältig vorgekommen, die gute Mathilde! jezt fand ich sie gradezu dumm: sie konnte wähnen daß er absichtlich diesen und jenen studirten Ausdruck annahm! – Und wenn ich es recht bedachte machte sie keine Ausnahme von der Regel; denn in der Regel betrachtet die Gewöhnlichkeit die Zeichen und Gepräge des Außergewöhnlichen wie Jonglerie, Kömödie und Maskenspiel, wel che aufgeführt werden um Staunen und Aufmerksamkeit zu fesseln. Das kann sie nun einmal durchaus nicht begreifen – abgesehen von allem Uebrigen was sie ebenfalls nicht begreift! – daß der Außergewöhnliche sich gehen läßt in der Sorglosigkeit seiner Natur, statt zu schwimmen in ihren bodenlosen Ansprüchen von Bemerkt- und Begafftwerden.

Zwischen Sedlaczech und Mezzoni entwickelte sich Mathildens bis dahin etwas seelenloses Talent. [] Letzterer spielte wunderschön das Violoncello, Ersterer die Geige, Mathilde den Flügel; damit wurden herrliche Sachen von Haydn, Mozart und Beethoven ausgeführt. Oder Mezzoni und Sedlaczech spielten auf zwei Flügeln – oder endlich dieser allein! Ich liebe nicht das Piano; Holz bleibt Holz! hat das Holz eine Seele, so ist sie darin eingesargt, während sie um die Saiten vom Bogen berührt, mit Schmetterlingsflügeln schwirrt und wirbelt. Aber wenn er spielte so war es kein Holz, überhaupt kein Piano mehr, sondern ein niegehörtes Instrument, das er nach eigener Erfindung behandelte. Ich Ungeschickte mußte immer zuhören! ich hatte es auf dem Piano nie bis zur Mittelmäßigkeit, und auf der Harfe nur so weit gebracht um meinen Gesang zu begleiten. Jezt wurde ich zuweilen meiner passiven Theilnahme überdrüssig und begann meine Stimme wieder zu üben, woran ich stets Vergnügen gefunden hatte. Dadurch kamen wir auf die Vocalmusik und nun in Sedlaczechs geliebtes Fach – den Kirchengesang. Er verstand es seine Liebe, seine Bewunderung, seine Andacht uns Andern einzuflößen, und ohne daß Einer von uns eine wahrhaft schöne oder glänzend ausgebildete Stimme gehabt hätte, wurde es uns doch möglich durch Fleiß, Ausdauer und [] Ernst von den altitalienischen Kirchenmusiken Manches vierstimmig auszuführen. Mit ihren Worten voll übermenschlicher Klage und Sehnsucht – voll göttlicher Verheißung und Barmherzigkeit – den Psalmen und Propheten entnommen – von Palestrinas, Leos und Durantes glaubensstarken Seelen in die mächtige Sprache ihres Genius übertragen, der sich von allen Qualen, Sünden und Leidenschaften der Welt in dem geweihten Born eines unantastbaren Glaubens frischbadete: machte diese Musik mir einen ganz unerhörten Eindruck. Ich kam mir wie geadelt vor indem sie über meine Lippen ging. Die dumpfen Aengste meiner Seele lösten sich auf in dieser Ruhe welche das Leben und den Tod überwunden hat und von den Wonnen des Paradieses nichts erwartet – als dessen unzerstörbaren Frieden. Immer war mir dabei zu Muth wie einem sterbensmüden Pilger, der erschöpft im Schlaf gefallen ist und der in seines Traumes seligen Visionen nicht merkt, daß sein Leib auf steinigem Boden liegt und seine Füße von Dornen bluten. Ich begann nie anders als mit Andacht; ich schloß nie anders als in Extase. Dieses Ringen zwischen Körper und Seele – diese Uebermacht der letzteren mit der sie sich schauernd, bebend, die flammendste Kraft zusammenfassend, allendlich in [] den Aether einer Region schwingt, die ihr im gewöhnlichen Zustand versagt bleibt – diese Extase, welche uns in einzelnen, in den höchsten Momenten von Glück, von Liebe, von Opfer, über uns selbst emporrafft: nie empfand ich sie reiner und stärker, weder vorher noch nachher, als eben bei jener Musik. Daher lebte und webte ich in ihr. Nach meiner excentrischen Art ging Alles neben ihr unter. Der Tag hatte nur Werth für mich weil er den Abend und mit ihm meinen Hochgenuß brachte, der bis tief in die Nacht hinein fortgesetzt wurde. Mezzoni und Sedlaczech dachten ebenso wenig als ich an das Aufhören. Fräulein Mathilde dachte wol zuweilen im Stillen daran, betrachtete aber die Sache zu sehr als eine trefliche musikalische Uebung, die ihr in Zukunft, als Lehrerin vielleicht, zu gut kommen könne, um sie nicht mit Eifer obgleich ohne Andacht zu treiben. Unser Auditorium störte oder befeuerte uns nicht, denn wir hatten keines. Ich hatte ein Musikzimmer neben dem Salon eingerichtet in welchem wir uns Abends Alle versammelten – auch die beiden Kinder und Benvenutas Gouvernante und Hofmeister. Aber die ersteren gingen früh schlafen, und die letzteren, zwei leidenschaftliche Schachspieler, blieben immer im Salon vor ihrem Schachbrett und kümmerten [] sich so wenig um Palestrina als wir uns um Philidor. Ich hatte freilich versucht meine Sonntagsgesellschaft durch unsre Musik zu entzücken; aber das gelang nicht! Der geistliche Theil hörte nicht ohne Erbauung wenn auch ohne Vergnügen zu; der weltliche kämpfte mühsam mit Schläfrigkeit; er war nicht daran gewöhnt zu diesem ernsten Gedankenkreis sich zu erheben. Fräulein Mathilde mußte spielen und singen, oder Mezzoni eine Scene aus einer Opera buffa oder die Barcarolen seiner Heimat vortragen, was er mit unbeschreiblich guter Laune und Gewandtheit that: das war ihnen angenehmer, erheiternder, gleichsam mehr ein Sonntagsvergnügen voll Contrast mit ihrem Alltagsleben. – – –

Wieder vergingen die Tage ungezählt und unbemerkt; Winter und Sommer; und wieder ein Winter und noch ein Sommer. Ich war wol nicht glücklich, aber ich vergaß daß ich es nicht war – und damit war viel gewonnen nämlich etwas Beruhigung! denn das suchen, sehnen und jagen nach Glück ließ nach, und daher war mir das Leben nicht länger ein heißer Kampf oder eine lähmende Last. Ich forschte nicht, ich fragte nicht. Ich glaube zum ersten Mal seit ich geboren, gewährte mir die Gegenwart wie sie eben war stillen [] Genuß. Ich hätte vielleicht Zuwachs, Vermehrung und Erhöhung desselben gewünscht, doch gewiß nicht um den Preis irgend einer Veränderung. Die alten Astrologen sagten: diejenigen sind unfehlbar unglückliche Menschen, deren Stern bei ihrer Geburt unter dem Horizont gestanden hat; das Glück wird auch stets unter demselben bleiben. So ging es mir! mein Glücksstern warf nur höchstens eine zarte Dämmerung in meinen Horizont herein; er selbst schwang sich nicht so hoch empor. Mehr noch! wenn diese Mondaurora, wie ich sie nennen mögte, sich zeigte – so war fast mit Gewißheit darauf zu rechnen, daß sie Vorbote eines Ungewitters sein würde.

Ich hatte der Kirche von Engelau eine neue Orgel geschenkt, so groß und schön wie die Räumlichkeit es nur immer gestattete. Der Organist verstand durchaus nicht sie geltend zu machen; – Sedlaczech erbot sich sie einmal zu spielen damit ich ihre eigentliche Kraft und Fülle hören könne. Wir gingen eines Nachmittags sämtlich in die Kirche. Es war ein warmer milder Septembertag, ein letzter Gruß des scheidenden Sommers. Die uralten Ulmen, welche mit einem tiefen Schattenkreis den Gottesacker, die Heimat der Schatten, umgaben – zeigten schon manch welkes Blatt[] zwischen ihrem fahlen Grün. Die Drosseln zirpten ihr Wanderlied und sammelten sich zur gemeinsamen Rückkehr in die Winterquartiere. Die Felder waren Stoppeln; die Wiesen noch grün, aber moos- und nicht mehr smaragdgrün. Das Laub der Hecken und Bäume war überall schon gelichtet. Nur die Eichen standen noch in voller Kraft und Frische, wie behelmte geharnischte Helden, bereit mit dem Feinde Herbst einen Kampf zu bestehen, während alle andern Bäume die Waffen streckten. Sie rührten mich, die alten Helden! sie sahen so kräftig und schön aus im Goldglanz der tiefstehenden Sonne, welcher sich mit zitterndem Geflimmer um die gewaltigen Aeste wob. Es hilft euch nichts, sagte ich und sah sie wehmüthig an, ihr müßt auch in den Staub! etwas früher, etwas später – aber er bleibt nicht aus .... der Tod! – Da fiel mir ein daß eben heute Heinrichs Todestag sei; und plötzlich zog an meiner Seele ein langer Trauerreigen vorüber: gestorbene Menschen und gestorbene Freuden und Hofnungen! gestorbene Leben der verschiedensten Art! und über ihnen Allen, von Heinrich bis auf Arabella, ein Tropfen meines Herzbluts ausgegossen, und mit ihnen .... verwest? .... verweht? – –

Hundertmal schon glaubte ich bemerkt zu haben,[] daß Sedlaczech die geheimsten Regungen meiner Seele ahnte und mir dies Verständniß in einer Weise kund gab, die wiederum nur mir verständlich war. Jezt – begann er Mozarts Requiem. Die Trauerflöre verdichteten sich um meine Seele. »Dies irae« donnerte mich an, mich! nicht meine Todten. Aus dem Zornbrand der Welten waren sie bereits hinüber gerettet in die ewigen Hütten. Aber ich! aber ich! »Quid sum miser tunc dicturus?« – diese Figur wechselte unter Sedlaczechs Hand immer ab mit dem: »Nil inultum remanebit;« – und erfüllte mich mit unsäglichem Verzagen. Ströme von Traurigkeit ergossen sich um mich; schwarze Schaalen voll Schwermuth leerten sich über meinem Haupt. Für die Sünde für die Tugend hatte die göttliche Gerechtigkeit Strafe und Lohn; allein was konnte sie mit einem Wesen machen, das ihre höchste Gabe, das Leben! nicht gebraucht, und eigentlich nicht gelebt hatte? – Es vergessen! weiter nichts. »Quid sum miser tunc dicturus?« klagte die Orgel. Ja, ich war die Elende, die nichts zu sagen wußte, als das eine Wort, welches schon jezt der Fluch und das Schreckbild meines Daseins war: Nichts! und abermals: Nichts! Schwer mogte es sein mit Sünden und Verbrechen belastet zu erscheinen; jedoch aus [] dem Munde dieser Beladenen wie inbrünstig ertönte es: »Recordare, Jesu pie!« Fleisch und Blut und ihre Sünden konnten nicht strenger gerächt werden, als ein Schattenleben, das in Nichts Verlockung und Genuß gefunden – in Nichts seine Rechtfertigung zu suchen hatte. Wer wird mich erlösen! ächzte ich in der schauerlichen Finsterniß welche sich in der Kirche verbreitet hatte.

»Salva me, fons pietatis!« klang es von der Orgel herab; und darin ließ Sedlaczech wie in ewiger Wonne die Töne verhallen. Wir verließen Alle tief er griffen die Kirche. Keiner sprach ein Wort. Der Mond ging langsam auf. Ich nahm Sedlaczechs Arm und schlug mit ihm den längern Rückweg durch den Garten ein; die Uebrigen gingen gradesweges nach Hause. Ich theilte ihm den gewaltigen Eindruck des Requiems auf mich mit:

»Wie ein Donnerruf des Gewissens klang es.«

»Ich denke nicht daß das Ihre mit so fürchterlicher Stimme zu Ihnen spricht,« sagte er mit seinem gewissen kalten Ton, der mir häufig das Wort auf den Lippen tödtete, weil er mehr zum Schweigen als zum Reden auffoderte.

Allein es war Sturm in mir gewesen; da gingen die Wellen noch hoch! ich fragte kurz:

»Wie kommt es, Meister, daß Sie, ein so innerlicher [] Mensch, so wenig lieben von innern Zuständen zu sprechen?«

»Das dächte ich nicht! ich spreche darüber wenn ich grade in der Stimmung bin; aber ich habe sie freilich nicht immer und ich setze sie noch seltner bei Andern voraus. Was in uns vorgeht hat doch eigentlich nur für uns selbst Wichtigkeit, sobald es sich nicht durch das Organ der Kunst oder der menschenfreundlichen und gemeinnützigen That an den Tag legen läßt. Ich meide gern das Unnütze, am Meisten das unnütze Wort.«

»Wer sagt Ihnen daß jedes gesprochene Wort ein unnützes sei? es kann nicht Jeder große Thaten thun, nicht Jeder Kunstwerke schaffen, der doch ein hohes Streben und einen Schatz von Poesie in seiner Seele trägt: mir ist es ebenso wichtig wenn das im Wort zum Vorschein kommt als durch Handlungen.«

»Sie setzen innere Herrlichkeiten voraus – Perlen und Korallen unter den Wellen des Busens; ich leugne sie nicht! nur sind sie umschlungen von wüsten wirren Thier- und Pflanzengebilden, und abschreckende Ungeheuer verdecken sie oft gänzlich. Wenn der Mensch genau wüßte, wie es in der Seele seines Geliebtesten aussieht – so würde er sich von unüberwindlichem Schauer ergriffen fühlen. [] Nicht von Abscheu, Entsetzen oder Verachtung – obgleich auch das vorkommen könnte! Nein! nur von Schauer über die maßlosen Zerrüttungen und Verwilderungen, über die stillen Unsinnigkeiten einer sogenannt schönen, edlen, reinen Seele. Es ist sehr gut daß die Brust mit ihrem gleichmäßigen stummen Wellenschlage die schauerlichen Geheimnisse der Tiefe zudeckt, und sehr verwegen sie durch irgend eine magische Beschwörung hervorlocken zu wollen.«

»Und doch glauben wir daß Gott die dunkeln Abgründe unsers Wesens kenne ohne sich von uns abzuwenden.«

»Gott ist barmherzig und gnädig: das ist die Essenz seiner Liebe. Bei dem Menschen aber geht in Gnade und Barmherzigkeit häufig die Liebe unter – die Liebe welche ihn beseligt hat.«

»Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Ich habe diesen Ausdruck der bilderreichen Sprache des Orients nie anders verstehen können, als daß ein Hauch seines Wesens auch uns beseele – auch uns befähigen solle den Reflex der göttlichen Liebe warm und licht in uns zu bewahren; folglich kann unsre Liebe in der Barmherzigkeit nicht untergehen, Meister Fidelis.«

»Gott ist barmherzig, der Mensch nur mitleidig,[] theure Sibylle! nämlich der gewöhnliche Mensch von dem wir sprechen, der seine Selbstsucht mit sich herumschleppt, welche das Bild nach welchem er geschaffen ist in ihm verdunkelt. Der Heilige, der unselbstische Mensch, kann allerdings auch barmherzig sein, weil in ihm jene Flut göttlicher Liebe wogt, die ohne Anfang, ohne Steigerung, ohne Ende ist.«

»Ohne Ende! ja Fidelis, das ist das Wort des Geheimnisses unsrer Qual.«

»Es könnte auch das Wort: ohne Anfang! sein.«

Ich sah ihn befremdet an. Er hatte mit einem seltsamen Ausdruck gesprochen, wie bebend von zurückgehaltenem Schmerz.

»Ohne Anfang .... wie das Keimen und Aufblühen unsrer Gedanken, wie die Manifestation unsers Willens, wie die Entwickelung unsrer Neigungen – was Alles schon im Wiegenkinde zum Vorschein kommt! – fuhr er fort. Und so finden wir auch in uns Richtungen, Bestimmungen, Schicksale, die fertig und mächtig in uns aufstehen, und die – wenn wir zitternd fragen: Woher kommst du? – gelassen entgegnen: wir waren immer bei dir! –

»Glückseliger! rief ich; o dreimal Glückseliger, der ewig im Tempelhain seiner Gottheiten geblieben ist. Die Unseligen sind nur die, Fidelis, welche [] einem ewigen Abfall unterliegen, und den Rubin, welcher nach jener Sage purpurflammend vom Himmel in die Kaaba fiel, vor ihren Augen in kohlenschwarz verwandeln sehen. Die sind unselig, denn sie können nicht lieben, nicht hoffen, nicht einmal leiden! sie wissen daß der Karfunkel der Liebe, der Hofnung, der heiligen Schmerzen, in eine todte Kohle sich verwandelt, weil etwas so Entzauberndes an ihrer Hand ist, daß dieselbe, wohin sie streift, Farben erbleichen, Blüten fallen, Licht erlöschen macht. Sie wissen daß das Ende kommt, die Harpye in deren Erwartung die Gegenwart zunicht wird so daß ein Chaos daraus entsteht worin nichts hausen mag und kann als Chimären. O Sie sind glücklich! was Sie auch bedrücken möge weil es ohne Anfang ist – es ist nicht so schwer als die Last der Erkenntniß .... daß Alles ein Ende hat!«

Ich ließ seinen Arm los, umschlang mit beiden Armen einen Baum und rief:

»Sehen Sie! der Baum erquickt mich! er hat keine Seele – drum weicht und wankt er nicht. Was Seele hat .... wankt! Irrthum, Täuschung, Wankelmuth, Verlust, Tod – umspinnt uns von Außen und Innen – die ganze Masse dieses Gewebes heißt Leben, und mit demselben sollen wir [] uns befreunden indem wir Vernunft, Entschlossenheit, Resignation und Frömmigkeit zu unserm Trost herbeirufen. Aber es ist ja ein Elend sich zu trösten, Fidelis! es ist ja ein Elend abzufallen von unsrer Liebe, unsrer Zuversicht, unsrer Erinnerung, und dann mit gelassener Nüchternheit zu sprechen: Nun ja! ich hab' mich geirrt .... und irren ist menschlich! – Oder: Gott hat mir gnädig einen Ersatz meines Verlustes geschenkt! – Und so sprechen doch die Vernunft und die Frömmigkeit, und das wird von Andern sehr verehrt – während es mir jämmerlich vorkommt! Ich' hab es ebenso gemacht, mich auch beruhigt, mich auch getröstet – aber ich gehe an diesem Ersatz und diesem Trost zu Grunde .... denn jeder Wechsel ist ein Abfall .... und weiter nichts.«

Ich preßte meine Stirn an die Rinde des Baumes, als wolle ich mich durch äußern Schmerz gegen die Gedanken betäuben. Sedlaczech sprach langsamer:

»Eine immense Seele .... aber leer!«

»Das haben Sie schon einmal von mir gesagt! rief ich. Ich bin's ja nicht allein die so beschaffen ist wie ich es beklage! alle Anderen sind ja ebenso .... nur daß sie sich die Schmach zur Ehre rechnen, und die traurige Naturnothwendigkeit Product [] ihrer Vernunft, Philosophie oder Religiosität nennen – zur Jämmerlichkeit die Lüge gesellend! Alle Anderen halten mir ja ebensowenig Farbe und Stich als ich mir selbst. Fände ich nur einen Menschen, einen Einzigen! der keinen Abfall begangen hätte, so würde mir der zum Eckstein werden an den ich meine Hütte lehnen könnte. Aber ich finde keinen in der ganzen Weltgeschichte von Adam an – denn Christus ist unsers Gleichen nicht! vor Dem liegen wir auf den Knien! unsre eitle Armseligkeit ist denn doch nicht eitel genug um sich neben Den zu stellen. Also ich finde keinen Einzigen, Fidelis! wie Einer ist sind Alle. Ich las heute früh einen Ausspruch Luthers: jeder Christ sei zum Priester berufen. So hieß der Commentar den ich dazu machte: Und diese Priester haben auch ihren gemeinsamen character indelebilis: den Abfall. Welch ein Priesterthum! welch eine Menschheit! – Es kommen nicht Alle zum Bewußtsein darüber, ich will es glauben – ich sehe es sogar; doch ich kann nicht mein Auge willkürlich dagegen schließen. Ich bin nun einmal in die Sphäre gerathen, die von Licht, doch gewiß nicht vom himmlischen, beleuchtet ist. Ich stehe in deren Centrum, und die Welt, die wie immer nichts weiß und noch weniger ahnt, nennt mich einen Engel. Ja, ich bins! immer fragend [] und die Frage verneinend – immer gestaltend und die Gestaltung wieder zerstörend – immer isolirt, weil ich – ich weiß nicht durch welche Mächte aus dem Zusammenhang geschleudert bin und in dem gesammelten Stückwerk keine Einheit finde – bin ich so recht das Bild eines abgefallnen Engels: ich stelle mich Gott gegenüber und frage ihn und meistre ihn: Warum hast du mich so geschaffen? Sollte ich Tochter des Staubes sein – wozu denn dieser Durst nach Ewigkeit? Ist aber Etwas in mir für die Ewigkeit bestimmt – wozu diese Wirbel und Wolken von Staub, die mich so betäuben und verwirren, mich in solchen Strudel reißen, daß mich vor Zeit und Ewigkeit ein Ekel anwandelt.«

»Sibylle!« rief Sedlaczech wie um mich zur Besinnung zu bringen; – »Sibylle!«

»O ich bin sehr besonnen! unterbrach ich ihn; – aber ich will reden! ich will einmal sagen wie mir zu Sinn ist, und diese Last meiner Gedanken in eine fremde Brust wälzen! Wir haben ja keine Priester zu denen wir beichten können. Unsre Geistlichen sprechen: das sei sündiger Mißbrauch. Ich weiß es nicht! aber das weiß ich: ich bin in Euren Kirchen in solchen Stimmungen gewesen, daß wenn ich einen Priester im Beichtstuhl sah, ich mich hätte vor ihm niederstürzen und [] schreien können: »Rette mich .... denn ich verderbe.« Möglich daß er mich nicht gerettet, nicht beschwichtigt hätte! – aber schon diesen Schrei auszustoßen an geweihter Stätte im Schutz und Schirm des Altars, wäre eine halbe Seligkeit gewesen. Es kann eine unerhörte Erlösung und Befreiung, eine wahre Seligsprechung in einem solchen Wort liegen, und jeder Mensch bedarf derselben wenigstens Einmal in seinem Leben; – denn Einmal wenigstens thürmen sich um Jeden die Schrecknisse dermaßen auf, daß er schreien muß: rette mich, denn ich verderbe! – Wir haben keine Priester; wir müssen diesen Jammerzustand allein abmachen, in uns selbst, mit uns selbst .... eine geschlagene, gequälte, verzweifelnde Seele und ganz allein! wer im Stande wäre dies Alleinsein im vollen Umfang zu ermessen – müßte wahnsinnig werden! aber wir sind nun einmal von vollkommner Unvollkommenheit und können ihn daher nicht ermessen. Und dann hängt die Seele auch an einem Faden, nur von Seide und über einem Abgrund – und das ist ihr Instinct von Gott; das ist grade genug um sie in ihrem Leid zu erhalten .... ganz allein! Freunde sollen wir um Rath ansprechen: das soll uns stärken, anfeuern, erfrischen – so sagt man. Hat die verzweifelnde Seele Freunde? gewiß nicht! [] es wäre dann nie so weit mit ihr gekommen. Sie ist und bleibt allein! Wendet sie sich einmal in ihrer tiefsten Noth an Einen, dem Friede, Kraft und Klarheit die Weihe des Priesters gegeben haben, so wendet der sich entsetzt und schaudernd von ihr ab – wie Sie es thun, Fidelis! .... so mögte er ihre Klagen ersticken, weil er nicht helfen kann und nicht mit ihr leiden mag – wie Sie, Fidelis.«

Ich hatte mit fieberhafter Glut und Hast geredet. Meine verschlossene Natur, durch die erschütternde Musik aufgewühlt, zugleich für und wider die Gewohnheit des Schweigens ringend, hatte diesen Ausbruch nicht unterdrücken können. Es mag ergreifend sein Zeuge einer solchen Haltungslosigkeit zu werden, wo man sonst immer gefaßte Sammlung gesehen. Sedlaczech wenigstens stand mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck von Desolation vor mir; und als ich sein früheres Wort nachsprach:

»Dies sind die stillen Unsinnigkeiten einer edeln Seele vor denen Sie so große Furcht haben!« – –

Da sank er wie zerbrochen auf seine Knie und flüsterte leise:

»Aber sehen Sie denn nicht daß Sie mich vernichten?«

[] Als ich ihn so erblickte, im stillen kühlen Mondlicht, auf den Knien und doch nicht vor mir kniend – nahmen meine Gedanken eine andere Wendung und ich fragte:

»Können Sie noch beten, Fidelis? so wie damals – Sie wissen was ich meine.«

»Noch kann ich es!« sprach er ganz, ganz leise und erhob sich langsam.

Ich nahm wieder seinen Arm, und wir gingen schweigend dem Hause zu. Als wir uns näherten ging auf der Terrasse eine Männergestalt auf und nieder, die mich frappirte, weil das vor den Fenstern meiner Zimmer nie zu geschehen pflegte; und als wir ganz nah waren ging sie in den erleuchteten Salon wie um uns dort zu empfangen. Ich ging hastig die Stufen zur Terrasse hinauf, trat ein – und stand vor Otbert. Diese unangenehmste aller Ueberraschungen, so plötzlich folgend auf die heftigsten Emotionen, traf mich wie ein eiskalter Luftzug an einem glühend heißen Sommertage. Jener Schlag auf das Herz, den ich vor Arabellas Fenster empfunden, berührte mich abermals aufs Heftigste und ich sank leblos in Sedlaczechs Arme. Alles gerieth in Aufruhr: – aber es währte nicht fünf Minuten, so hatte ich meine Besinnung und folglich auch meine Kräfte wieder, und ich grüßte [] Otbert höflich und befremdet. Er beobachtete mich mit scharfen fast lauernden Blicken, suchte aber sehr ungenirt, vertraulich, ganz wie zu Hause zu sein, und sagte mir die größten Schmeicheleien über mein gutes Aussehen. Es muß für meine Hausgesellschaft ein merkwürdiges Schauspiel gewesen sein dies Wiedersehen von zwei Eheleuten, die nach mehr denn fünfjähriger Trennung in den ersten Stunden von nichts sprachen als von Fieschis Attentat gegen König Louis Philipp, das im Lauf des Sommers statt gefunden hatte. Die gewohnte Abendstunde hatte sie Alle versammelt und ich merkte ihnen – Sedlaczech ausgenommen – ihr Unbehagen an. Astralis war nicht wol und kam daher nicht zum Vorschein. Benvenuta hatte Otbert gänzlich vergessen, und hielt sich in scheuer Ferne von ihm.

Gleich nach dem Thee verschwand Einer nach dem Andern. Da wandte ich mich freundlich aber eisig an Otbert und fragte ihn welcher Umstand ihn nach Engelau führe. Er sprang auf, ergriff meine Hand und rief lebhaft:

»Die Sehnsucht Dich zu sehen, Sibylle!«

Ich ließ ihm meine Hand mit tödtender Gleichgültigkeit und erwiderte:

»Lieber Otbert, Eines merke Dir: Komödie wird[] nicht mehr gespielt – und jezt wollen wir schlicht und verständig über den Zweck Deines Kommens reden; – denn Du hast einen Zweck.«

»Traust Du Dir wirklich so wenig Attractionskraft zu, Sibylle?«

»Du selbst hast mich gelehrt wie wenig Veranlassung ich habe mir die geringste zuzutrauen.«

»Erinnere mich nicht an meine Thorheiten, theure Sibylle! ein Weib mit allen Tugenden und Grazien so reich geschmückt wie Du, bleibt auf die Dauer der einzige Magnet für einen Mann. Nimm mich auf! rief er mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Unterwürfigkeit; – nimm mich wenn auch nicht gleich zu Gnaden auf! laß mich ein Noviziat bestehen .... aber hier, bei Dir!«

Ich betrachtete ihn mit seltsamen Empfindungen. Er war immer derselbe schöne eitle Otbert, er wollte immer gefallen und – merkwürdiger Weise! er gefiel mir auch noch immer, jedoch so wie etwa ein Kunstwerk zweiter Ordnung, das in unsrer Seele Raum läßt für die Kritik, uns gefallen mag. Von warmen vibrirenden Lebensfibern so wie einst, regte sich nicht eine einzige für ihn.

»Otbert! sagte ich sehr gelassen, ich nehm' es Dir nicht übel, daß Du in Deine Schauspielerkünste verfällst! sie sind Dir genugsam zur zweiten [] Natur geworden um Dich glauben zu machen ich sei noch zu täuschen – ich! die einen tiefen Blick in Deine Coulissenwelt gethan. Ich habe nicht das geringste Talent und folglich auch nicht die geringste Lust zur Schauspielerei: Du bist zu klug um das nicht längst erkannt zu haben – was ist also Deine eigentliche Absicht? Nimm Dich zusammen und sprich die Wahrheit.«

»Ich habe sie Dir gesagt: ich will Dich sehen und bei Dir leben.«

»Bei mir und nicht mit mir ist peinlich.«

»Es lebt ja Deine ganze Hausgesellschaft nichts weniger als peinlich, sondern sehr ungenirt bei Dir, mit Dir – .... ich weiß nicht was Du da für spitzfindige Unterschiede machst!«

»Ich kann sie Dir erklären: meine Hausgenossen leben unbefangen und zufrieden bei und mit mir innerhalb der Verhältnisse in denen wir zu einander stehen sollen. Du und ich hingegen – wir leben innerhalb eines schiefen, zerrissenen Verhältnisses. In der Ehe bedeutet mit einander – die Intimität der Liebe – also Glück; bei einander – Schein, Lüge, Rücksichten, Zwecke .... was weiß ich! also – ein äußerliches, unbefriedigendes und deshalb auf die Dauer peinliches Thun und Treiben. Spare es Dir und mir.«

[] »Das heißt mit andern Worten: geh!« rief Otbert mit aufwallender Empfindlichkeit.

»Wenn Du das fühlst – weshalb bist Du gekommen?«

Fast mit Haß im Blick entgegnete er ruhig:

»Um meine Tochter zu holen.«

»Deine Tochter? und bei mir?« fragte ich gedehnt.

»Nun ja, Astralis! wen sonst?«

»Astralis ist Arabellas Tochter und ich habe der heimgegangenen Mutter den Eid abgelegt Mutterstelle bei ihr zu vertreten, bei dem verwaisten Kinde, welches sie mir in ihrem Testament zu Erziehung und Versorgung anvertraut hat.«

»Das Alles ist ganz gut .... allein der Vater hat nähere Rechte – und ich nehme sie in Anspruch.«

»Astralis Flowrence lautet der Taufschein meiner Pflegetochter. Arabella hat sie mir als ihr verwaistes Kind übergeben. Ob Du der Vater bist, ob ein Andrer es ist, kümmert mich nicht.«

»Ah jezt spielst Du Komödie! rief Otbert; Du weißt sehr gut daß ich und kein Andrer Astralis Vater bin.«

»Ich habe gesagt: es kümmert mich nicht; und das ist mein voller Ernst.«

[] »Wie? die Gattin hab' ich in Dir verloren und mein Kind soll ich durch Dich verlieren? das ist ja aber himmelschreiend.«

»Ja es ist entsetzlich welch Unrecht Du zu erleiden hast!« sagte ich mit kaltem Spott, stand auf, schellte, und zu dem eintretenden Kammerdiener:

»Der Herr Graf befiehlt sein Zimmer, das grüne.«

Astrau verbeugte sich kalt und förmlich und folgte dem Diener; ich ging todtmüde in mein Cabinet. Am andern Morgen ließ er mich um ein Gespräch bitten. Heute hatte er die Taktik verändert. Nicht schauspielerisch sondern cynisch griff er mich an.

»Ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, begann er. Ueberlaß mir meine Tochter und ich lasse Dir den Herrn Sedlaczech.«

Ich hatte mir vorgenommen von eiserner und eisiger Unbeweglichkeit zu sein und es wurde mir auch gar nicht schwer es durchzuführen. Ich erwiderte:

»Glaubst Du Rechte an Astralis beweisen zu können, so wende Dich an die Gerichte, welche ich alsdann zur Anerkennung der meinen auffodern werde. Was Herrn Sedlaczech betrift, so bedienst Du Dich eines unstatthaften Ausdrucks. Er ist hier nach seinem Belieben.«

»Das bezweifle ich nicht; – auch nicht, daß [] sein Belieben das Deine ist. Nur ich bin in diesem Bunde nicht der Dritte.«

»Ich darf sagen, daß dies auch keinesweges mein Wunsch ist.«

»Du trotzest mir?«

»Wer in seinem Recht zu sein glaubt, spricht sich dem gemäß aus, ohne dem andern Theil trotzen oder ihn beleidigen zu wollen. Beides sind Waffen des uneingestandenen Unrechts.«

»Wir kommen von unserm Thema ab. Du benimmst Dich hier wie eine Königin .... Deiner Scholle, was beiläufig gesagt einen Anstrich von landjunkerlicher Krähwinkelei hat, die mich sehr belustigt. Du hast Dir einen vollständigen Hofstaat organisirt; ich lasse das gelten – nur nicht den böhmischen Trabanten.«

»Werde ich allendlich den Zweck Deines Kommens erfahren?« fragte ich unmäßig gelangweilt.

»Eine wunderliche Frage in dem Munde einer Gattin! freundlich und liebevoll, mit den theilnehmendsten Gesinnungen komme ich, und werde wie ein Fremder aufgenommen. Man empfängt mich nicht, man spaziert zwei Stunden im Mondschein mit dem Günstling, man läßt mich bei dem Hofstaat und der Langenweile, man kehrt endlich heim und begrüßt mich mit Verstörung und Ohnmacht [] und sucht zuletzt hinter hochmüthigem Fremdethun innere Unruh zu verbergen. Ist das die Art einen Gemal zu empfangen?«

»Ich konnte Dich nicht empfangen weil ich Deine Ankunft nicht wußte, und ich ging mit Sedlaczech – was sehr oft geschieht – weil ich mich ungestört mit ihm unterhalten wollte« .... – –

»Und worüber, ich bitte!«

»Ueber Dinge welche ich mit Dir nicht besprechen kann.«

Astrau wurde leichenblaß; ich weiß nicht ob er in diesem Augenblick Zorn und Eifersucht nur heuchelte oder wirklich empfand. Wahrscheinlich wußte er selbst es nicht! aber ich glaube daß er aus beleidigter Eitelkeit in der That gereizt wurde. Ingrimmig stieß er die Worte aus:

»Das ist allzu frech!«

»Wer mich geflissentlich beleidigt hört auf mein Gast zu sein!« sagte ich aufstehend.

»O ich begehre auch nicht Dein Gast zu sein – ich bin Dein Gemal.«

»Du bist mein Gemal .... allerdings! was weiter?«

»Was weiter? ich will wachen daß meine Rechte nicht gekränkt werden.«

»Die Rechte auf meine Person hast Du durch [] Deine Schuld verloren. Die Rechte an meinem Vermögen habe ich nie geschmälert, sondern dessen Einkünfte mit Dir getheilt. Also: was weiter?«

»Dermaßen versteinert bist Du also in der Sünde, daß nichts Deine eiserne Stirn erröthen macht!.... Oder begreifst Du wirklich nicht meinen Verdacht? Schon vor Jahren habe ich Dir gesagt daß dieser verhaßte Sedlaczech Dich liebe und ich habe auf seine Entfernung gedrungen. Ich komme wieder – und finde ihn tiefer in Deiner Gunst als je. Und das soll ich ruhig ertragen?«

»Du wirst es müssen.«

»Er soll fort .... auf der Stelle!« rief Otbert wild.

»Er bleibt .... oder ich gehe und mein ganzes Haus geht mit mir« .... – –

»Ihm nach? und in die weite Welt zum allgemeinen Scandal – nicht wahr?«

»Du läßt mich nicht ausreden! oder ich gehe mit meinem ganzen Hause, wozu auch Sedlaczech gehört, zu meinem Schwiegervater nach Hannover, unter dessen Aegide ich den äußern Schirm gegen Deine Brutalität finden werde, vor welcher die innere Schutzwehr meines Selbstgefühls mich nicht behütet.«

Dieser Entschluß kam ihm unerwartet. Er wußte[] wol, daß mein Schwiegervater ihn nicht leiden konnte, mir dringend die Heirath mit dem »hirnlosen und leichtsinnigen Verschwender«, wie er ihn nannte, abgerathen hatte und mir auch jezt Rathschläge nicht zu seinen Gunsten geben würde. Daher suchte er mich von einer andern Seite anzugreifen.

»Also die Emancipirte ist inconsequent genug, hinter einem siebzigjährigen Greise sich verschanzen zu wollen!« sagte er höhnisch um mich in ein neues Gebiet zu locken.

»Bleiben wir bei der Sache! entgegnete ich streng. Du hast die Wahl: entweder Du bleibst hier unter den Bedingungen die man an einen Gast machen kann – oder übermorgen um diese Zeit steht dies Haus leer und ich bin auf dem Wege nach Hannover. Du weißt, Otbert, ich thue was ich sage.«

»Ah Du bist ein königliches Weib! rief Astrau abermals eine andre Maske ergreifend. Du bist zum herrschen geboren. Befiehl! befiehl auch mir, Sibylle! was willst Du?«

»Bleiben!« sprach ich kurz.

»So bleib' auch ich .... im grünen Zimmer!« sagte er mit einem kleinen Seufzer, den ich nicht [] Lust hatte zu beachten. »Darf ich die Kinder sehen?« setzte er hinzu.

Ich ließ sie rufen. Er überschüttete sie mit Liebkosungen, namentlich Benvenuta. Das mißfiel mir. Sollte diese Verleugnung seines väterlichen Gefühls eine Schmeichelei für mich sein, so war sie schlecht gewählt, denn das göttlich schöne Kind Astralis lag mir ebenso am Herzen wie Benvenuta Genau so wie in der ersten Zeit unsrer Bekanntschaft fand ich jezt Otbert: – verschroben von Eitelkeit. Und dieser Mann hat dich fangen können indem er deiner eigenen Eitelkeit schmeichelte! sprach ich zu mir selbst; welch eine unerhörte, erbärmliche Schwäche.

Otbert blieb; allein er trug nichts zur Annehmlichkeit unsers Lebens bei. Er war einen andern Schauplatz und andere Anregungen gewohnt als er in Engelau finden konnte; er verlangte sie von uns, wir konnten sie ihm nicht geben: das versetzte uns sämtlich in Unbehagen; Jeder von uns empfand einen Mangel. Unsre Lectüren geriethen in Stocken, denn er wollte vorlesen und fand keine Bücher nach seinem Geschmack. Unsre Musik verstummte, denn er erklärte er sei zu sehr Laie um an diesem überernsten Styl Vergnügen zu finden. Mezzonis Barcarolen ließ er gelten – aber nicht [] lange, denn er ertrug es auf die Dauer nicht Zuschauer und Bewunderer zu sein. Zuweilen las er einige seiner Gedichte vor; das war am angenehmsten! sein schmiegsames Organ, sein Feuer im Vortrag, hoben die Schönheit der Verse noch mehr hervor. Nahm er Bewunderung und Interesse bei uns wahr, so versetzte ihn das in die liebenswürdigste Laune; er begann zu erzählen wo und wie er das Gedicht gemacht; er kam auf tausend Dinge die freilich nicht zur Sache gehörten, aber sehr unterhaltend waren. Er kannte Paris wie ich Engelau. Mit allen Sommitäten der Politik, der Gesellschaft, der Literatur, des Theaters, der Fremden – mit Allem und Jedem was in irgend einer Beziehung Ruf und Namen hatte – verstand er sich in Berührung zu bringen; – ob in die intime, funkensprühende mit der er ein wenig prunkte, sei dahin gestellt. Aber er konnte einen Tag mit den religiösen Ceremonien der Jünger des Père Enfantin beginnen, ihn durch die Ateliers der Künstler, die Kammern und ein diplomatisches Diner führen, und ihn in den rococo Sälen des Faubourg St. Germain oder in dem Dachstübchen eines socialistischen Weltverbesserers beschließen. Das unterhielt uns natürlich sehr, und auch ihn – so lange er davon erzählte und mit [] seiner Person und durch seinen Vortrag dabei glänzte. Aber ein Magazin von Wissen, Studium und Erkenntniß, das ihn in der Stille genährt – oder einen Heerd an dem er in der Stille sich gewärmt – hatte er sich nicht daraus gebildet. Von Schätzen umgeben lechzte er, wie ich, nach einem unbekannten noch höheren, noch erschöpfenderen Gut: und das war eben der Punkt in welchem ich mich noch jezt ihm verwandt fühlte – ganz wie sonst. Jedoch nur in dem Punkt selbst! sein verlangen und streben, sein ringen und thun waren schnurstracks den meinen entgegen. Ich achtete seinen Charakter nicht, aber seine Seele flößte mir Theilnahme ein – und diese war mit im Spiel gewesen, nicht blos die Eitelkeit! als ich mich von ihm fesseln ließ. Diese Entdeckung gewährte mir einen großen Trost. Es ist dem Menschen unendlich angenehm wider Erwarten in sich selbst bessere Motive seiner Handlungen zu finden! Er ist niemals so versöhnlich als wenn es gilt mit sich selbst sich zu versöhnen.

Astrau war aber nicht immer und nie lange in muntrer Laune: das Damen-Auditorium war ihm nicht glänzend genug. Der armen Mathilde gab er zuweilen beißende Antworten.

[] »Welch ein Vorrath von Erinnerungen für's Leben!« rief sie bei einer seiner Erzählungen.

»Da haben Sie gleich Ihre Speisekammer im Sinn in die Sie täglich gehen und sich regelmäßig ein Stück Brot, ein Stück Fleisch und ein Stück Kuchen holen würden; und an Sonn- und Festtagen gäb' es ein Glas Wein dazu: nicht wahr, Fräulein Mathilde?« fragte Astrau spöttisch.

Sie erröthete und wurde verlegen; vergaß es aber bald wieder in ihrer Harmlosigkeit. Benvenutas Gouvernante ging es übler! sie war eine vortrefliche Person – jedoch sehr häßlich und sehr vielwissend – Beides ein Greuel für Astrau; umsomehr da sie von ihrer Häßlichkeit keine Ahnung hatte und auf das Wissen einen großen Werth legte, wie alle Menschen bei denen es größer ist als der Verstand. Bei Otbert war es grade umgekehrt, und daher der Disputationen kein Ende zwischen ihnen, obgleich sie ihm gegenüber beständig im Nachtheil und er schonungslos war. Mit wahrer Todesverachtung kämpfte sie für Geist und Gaben, Herrlichkeit und Würde, Befähigung und Berechtigung ihres Geschlechts, welches Astrau angriff weil er sie nicht leiden konnte und mir dabei einige Nadelstiche zu versetzen hofte. Gott weiß wie er erfahren hatte daß Madame Schütz – (so [] hieß sie und sie war Wittwe) – Gedichte mache und zwar recht hübsche. Er bat ihm einige mitzutheilen und obzwar ich ihr dringend davon abrieth, widerstand sie nicht der Lockung. Eines Abends gab er ihr das Heft höchst verbindlich zurück und sagte mit der größten Freundlichkeit: er habe nur zwei kleine Fehler an diesen sämtlichen Gedichten entdeckt; der erste, daß sie überhaupt gemacht – der zweite, daß sie Gedichte genannt worden wären. Die arme Schütz war aus der Fassung. Ehe sie Zeit hatte etwas Ungeschicktes vorzubringen sagte ich geschwind und auch höchst freundlich:

»Und Deine Kritik, lieber Otbert, hat gar nur einen einzigen kleinen Fehler; nämlich den, daß ein Dichter sie macht.«

»Dieser Rivalität glaube ich ohne Unbescheidenheit überlegen zu sein!« rief er spöttisch.

»Die wahre Ueberlegenheit ist nachsichtig, lieber Otbert, und reicht die Hand um weiter zu helfen. Die unächte – sucht in den Staub zu drücken.«

»Das ist excellent! sagte er lachend. Glaubst Du wirklich daß diese Gedichte den meinen gefährlich werden könnten?«

»Ich sprach nicht von Deinen Gedichten, nur von Deiner Gesinnung.«

[] »Vermuthlich trittst Du nächstens mit einem Bändchen Gedichte vors Publikum, und brandmarkst im Voraus jeden der sie nicht bewundert mit neidischer Gesinnung.«

»Darauf entgegne ich wie jener Gelehrte, den Johannes Falk fragte ob er dichte? – Nein! so gemein hab' ich mich Gottlob nie gemacht.«

»Vor Dir muß man die Waffen strecken! sagte Otbert verbindlich. Du bist wie gepanzert.«

»Man muß es sein wenn man mit Euch in die Schranken tritt.«

»Dann muß man aber auch noch mit Göttern und Dämonen in Verbindung sein, die einen solchen Panzer schmieden.«

»Ganz und gar nicht! man braucht nur seine Eitelkeit abzulegen. Da uns das eher möglich ist als Euch: so sind wir dann im Vortheil.«

»Mit Dir ist auf keine Weise zu streiten! die Verblendung für Dein eignes Geschlecht – hinter der sich natürlich die über Dich selbst verbirgt – ist allzu kolossal! der Mann soll eitler sein als das Weib! .... unerhörte Behauptung, da Ihr nur lebt, webt, athmet und denkt in Bezug auf Eure Eitelkeit oder in deren Genuß – da Ihr von der Schleife an, die Ihr an Euren Busen steckt, bis [] in Eure Leidenschaften, ja, Tugenden hinein, unter deren Scepter steht!«

»Ganz richtig! dies behaupten, mein lieber Otbert, heißt aber nicht das Gegentheil für den Mann beweisen. Nachdem ich also den Vorwurf dieser großen Sünde für mein Geschlecht angenommen, nehme ich auch eine Tugend für dasselbe in Anspruch, die es sich, an lange Unterwerfung, ja Unterdrückung gewöhnt, angeeignet hat – Selbstverleugnung: die Fähigkeit hinter das Geliebte zurückzutreten. Dies Geliebte, Otbert, braucht nicht immer ein Mann, nicht immer ein Kind zu sein. Es kann auch eine Ueberzeugung, ein Glaube, eine Liebe, eine Idee sein. Wo die herrscht – ist die Eitelkeit todt.«

»Ob sie nicht Ideen hatten, und für diese sterben wollten? – spricht Platens Mopsus neben seinen zwölf todten Kindern. Du willst daß das Weib für Ideen lebe! Er vervollkommnet Deine Weltanschauung, theure Sibylle.«

»Er persiflirt sie .... und das unterhält mich sehr. Es wäre gar langweilig wenn man ernste Dinge immer mit feierlichem Ernst, und nicht zuweilen mit jenem Humor betrachten wollte, den ihre Uebertreibung oder ihre Kehrseite in jedem aufrichtigen Gemüth hervorlockt.«

[] »Du nimmst also auch den Humor für Dein Geschlecht in Anspruch? ein humoristischer Mann gilt bisjezt für einen halben Phönix! Indessen .... die elektrische Schnellkraft, die aus dem Gebiet der Empfindung in das der Ueberlegung hinüberspringt – die sich mit überraschendem Schwung aus den Rosenwolken der Gefühle auf die Gletscherspitze der Ironie oder in den klaren Aether der Betrachtung erhebt – deren bedürft Ihr dazu nicht. Ihr macht Verse, plaudert von Emancipation, raucht Cigarren und findet das ungemein humoristisch .... während man es in der That burlesk nennen müßte! Diese Verschrobenheit ist eben eine Folge des Emancipationsprincips, das jezt in der Welt grassirt.«

»Otbert! eine Welt die Ihr, Ihr Männer! durch Eure Civilisation so verschroben, so materialistisch gemacht habt, daß Weiber wähnen können durch dichten und durch rauchen einige Stufen ihrer Entwickelung zu erklimmen – kommt mir lächerlich vor, und so öde, so hohl, daß sie nicht dauern kann. Und wenn die Weiber Rauchclubs stifteten, es würde ihnen zu ihrer Emancipation ebensowenig, als Euch Eure Jagd-Spiel- Jockey- Rauch- Schach- und sonstige Clubs zum Fortschritt helfen. Lange Meditationen, tiefe innere Sammlung, ruhige fragende vergleichende Einkehr in sich selbst, müssen [] jeder höheren Entwickelung vorhergehen. Davon ist jezt bei Männern und Weibern keine Spur! sie sind zerfahrner, haltungsloser, äußerlicher denn je. Vielleicht werden die Weiber zuerst darüber zum Bewußtsein – und somit zur Besinnung kommen, daß ihre Emancipation nicht mit Cigarren und dergleichen Unsinn, sondern mit der gleichmäßigen Ausbildung ihrer Innerlichkeit, mit der Pflege ihrer Pflichten und ihrer Rechte beginnen müsse. Warum sie zuerst? weil in ihnen große Kräfte sich dunkel regen. Wenn die licht werden« .... – –

»So tritt eine Regeneration ein, nach der auch alle socialen und religiösen Emancipationen streben und drängen! Nun sprichst Du ächt sibyllinisch, theure Sibylle! d.h. Du sprichst aus was Jeder ohnehin sagt, ohne es zu verstehen. Bei der Möglichkeit der Weltumgestaltung muß auch der ewiglebendige Weltgeist, der alle Regenerationen hervorruft: die Vernunft, in Anschlag gebracht werden.«

»Hat Christus mit der Vernunft die alte Welt aus ihren Angeln gehoben?« sagte zu meinem Erstaunen Sedlaczech, der sich fast immer fern von unserm Kreise und Gespräch Abends im Musikzimmer aufhielt. »Die großen Regenerationen die über das Menschen geschlecht vom Anbeginn gekommen, [] sind durch zwei Mächte bewerkstelligt, welche mit der Vernunft so wenig zu thun haben als die Sonne mit einem chinesischen Feuerwerk – durch Glaube und Liebe. Wo der Glaube und die Liebe sein werden, da wird die segnende Kraft sein welche rettet was die Schwäche verwahrlost – die Schwäche, dies Symptom des Verfalls einer Epoche, welche heutzutage durch den ganzen Aufwand von speculativer Vernunft nur bemäntelt werden soll.«

»Jezt werde ich versuchen meine Niederlage zu bemänteln indem ich mich von dem Felde der Discussion in die Freistatt der Kunst flüchte und Herrn Mezzoni bitte um seine liebliche Composition von: Ah senza amare;« – sagte Astrau.

Er wollte immer nur necken und ärgern. Wir waren keine Gegner bei denen er es der Mühe werth hielt sich in voller Ueberlegenheit zu zeigen: diesen Eindruck beabsichtigte er zu machen.

Aber das war Alles nichts weniger als angenehm, und die Aussicht er könne den Winter in Engelau zubringen, im höchsten Grade störend. Ich ließ eines Morgens seinen Kammerdiener, seinen Geschäftsführer und Vertrauten zu mir bescheiden, und da erfuhr ich denn nach unendlichen Umschweifen und verwickelten Redensarten, daß der Herr Graf [] in Folge seiner Großmuth und Munificenz, die von Anderen zur Ungebühr gebraucht und mißbraucht worden sei – die nächste Aussicht auf St. Pelagie gehabt habe. Also eine vollkommene Zerrüttung seiner Finanzen? – Auf diese Bemerkung antwortete Monsieur Alphonse durch ein trostloses Achselzucken. Mit Mühe preßte ich ihm die Summe der Schulden ab; sie war enorm. Dennoch mußte ich sie bezahlen – das sah ich ein! – um Otberts unheimlichen Aufenthalt in Engelau zu beenden; und andrerseits war es mir ebenso klar, daß sich dies Ereigniß noch zehn Mal wiederholen und ich durch diese unsinnige Ehe das Vermögen meiner Tochter ruiniren könne. Ich begriff jezt daß er sich zu einer Art von Execution bei mir mache, wie sie sonst säumigen Schuldnern von Gerichtswegen ins Haus gelegt wird. Nur sein erstes drohendes Auftreten hab' ich nie begreifen und nur vermuthen können, daß er irgend eine Schuldhaftigkeit bei mir voraussetzte, bei der er mich würde fassen und durch sie genug einschüchtern können um mir gleichsam meinen Ablaß von ihm zu erkaufen. Da er seinen Verdacht nicht bestätigt – und mich in Betreff seiner Tochter entschlossen fand ihm nicht nachzugeben: so stand er von seinem anfänglichen Verfahren ab, und ließ [] uns dafür sämtlich seine üble Laune empfinden. O wie oft dachte ich an Scheidung! Aber ich wußte vorher, daß er mir eine Komödie voll Verehrung u.s.w. vorspielen würde, hinter welcher sich sein Entschluß verbarg sich von einer reichen Frau nicht zu scheiden. Um meines Vermögens willen hatte er mich ja doch nur geheirathet: diese Ueberzeugung stand fest in mir, und machte mich so kalt, daß ich beschloß unser Verhältniß als ein kahles Geschäft zu behandeln.

Als ich ihn eines Tages in dieser Absicht zu mir bitten ließ, bekam ich eine Staffette aus Hannover, die mich an das Sterbebett meines Schwiegervaters rief. Auf der Stelle war ich entschlossen dem Ruf zu folgen und befahl den Dienern die nothwendigen Vorkehrungen zu treffen. Zu Astrau sagte ich: ich setzte voraus daß er mich nach Hannover begleiten würde. Er willigte sehr verbindlich ein. Alphonse hatte ihm bereits unser Gespräch mitgetheilt. In dem Augenblick wo mir eine große Erbschaft bevorstand hätte ich ihn mit mir nach Sibirien nehmen dürfen – dermaßen abhängig war er vom Gelde, er! dem die geringste sittliche Fessel unerträglich war. Binnen zwei Stunden waren die Anordnungen gemacht, und ich nahm von den Kindern und Hausgenossen Abschied. Sedlaczech[] kam mir fürchterlich verändert vor, fast entstellt. Ich hatte es schon bemerkt in diesen letzten Wochen; aber nie so wie heut.

»Erkranken Sie nur nicht in meiner Abwesenheit, Meister!« sprach ich beklommen.

»Wann kehren Sie zurück?« fragte er hastig.

»Das kann ich nicht bestimmen.«

»Können Sie bestimmen, daß Sie überhaupt zurückkehren werden?«

»Ja! wenn ich nicht sterbe.«

»Halten Sie es nicht für besser sich mit Graf Astrau zu versöhnen?« sagte er noch hastiger, noch murmelnder, wie Jemand der sich mit Ueberwindung eines Auftrags entledigt.

»Hat Graf Astrau Sie um seine Fürsprache ersucht?« fragte ich und ein unbeschreibliches Gemisch von Zorn und Trauer quoll in meiner Brust auf.

»Nein,« sagte er verlegen.

»Nun, lieber Meister, dann haben Sie eine Gehirnentzündung! lassen Sie mich bei meiner Heimkehr Sie genesen finden,« sprach ich und gab ihm meine Hand, die er nach seiner Weise drückte und gefaßt sagte:

»Jezt hoff' ich es.«

[] Ich stieg in den Wagen und Astrau setzte sich zu mir. Sein erstes Wort war:

»Leugnest Du noch immer daß Herr Sedlaczech Dich anbetet?«

»Ich habe das nie geleugnet!« sagte ich gefaßt; denn als ich diese Frage stellen hörte war es mir unmöglich eine andre Antwort zu geben.

»Und das rührt Dich nicht?« fragte er, immer in einem halbspöttelnden Ton, der mich verletzte.

»Lassen wir die Geheimnisse meines Herzens so unberührt als die des Deinen, entgegnete ich eiskalt, umsomehr da sie für Dich nur Nebensache sein können! die Hauptsache ist für Dich .... mein Vermögen.«

»Ich finde Dich sehr undankbar, daß Du meine Entsagung nicht anerkennst.«

Es wurde mir schwer nicht zu lächeln als ich sprach:

»Ich will glauben daß Du großmüthig sein kannst! – Uebrigens bin ich nur gerecht gegen Dich und mich wenn ich behaupte daß Du es in diesem Fall nicht bist. Ich bin Dir gänzlich gleichgültig! um mich zu gewinnen hattest Du Dich in eine künstliche Wärme hinein gearbeitet, die genau in dem Augenblick verdampft war, als Du Dein Ziel erreichtest. Meine Eitelkeit könnte sich dadurch [] verletzt fühlen – allein ich habe ja eine ähnliche Schuld gegen Dich begangen – so sind wir quitt. Es würde Dir ebenso unmöglich sein Liebe für mich zu erzwingen, als mir – sie zu erwiedern. Es giebt Frauen deren Widerstand lockend ist, weil Trotz, Scheu, Eigensinn, kurz etwas Positives ihn begründet. Aber meine unendliche Gleichgültigkeit ist ganz negativ und wirkt demnach nur lähmend auf Dich. Und jezt laß uns von Deinen Geschäften reden.«

»Meerweib! Amphibie! froide raisonneuse! rief Otbert mit künstlichem Zorn, Du machst einem Mann das Blut in den Adern gefrieren! mir graut vor Dir!«

»Da Du mir das Alles schon Einmal oder ein Paarmal gesagt hast, so begreif' ich nicht warum Du nach Engelau gekommen bist.«

»Weil ich hofte Dich verändert zu finden.«

In diesem Kreislauf bewegte er sich. Die Reise ging rasch durch Tag und Nacht vorwärts. Ich fand meinen Schwiegervater noch am Leben; ein Fieber zehrte ihn auf, aber er war bei voller Besinnung, und sagte mir den Inhalt seines Testamentes, das ganz zu Benvenutas Gunsten war und ihr für dies enorme Vermögen Vormünder bestimmte.

[] »Ich kenne Dich, und wußte daß ich Dir durch diese Bestimmung nur eine Last abnahm,« sprach er freundlich.

Astrau zu sehen, was dieser sehr wünschte – Gott weiß warum! – kostete ihn Ueberwindung.

»Ein schlechter Nachfolger unsers guten Paul! sagte er später. Laß Dich scheiden, arme Sibylle.«

Dieser Rath war fast sein letztes Wort. Er entschlief vor Erschöpfung. – – –

Astrau war ebenso unzufrieden mit dem Testament als ich zufrieden. Bei den Geschäftserörterungen die jezt mehrfach zur Sprache kamen, drang ich denn auch auf die seinigen, und fand die Angaben des Kammerdieners bestätigt. Ich erklärte ihm ich sei bereit diesmal seine Schulden zu bezahlen, aber auch entschlossen mich für die Zukunft gegen eine ähnliche Zumuthung zu verwahren. Was kümmerte ihn die Zukunft! war er doch für die Gegenwart wieder frei. – Natürlich nahm er die Sache auf als geschähe mir der größte Gefallen durch seine Abreise nach Paris, die er ersehnte; und als lasse er mir Astralis aus besonderen Rücksichten für Arabella, die mich zu ewiger Dankbarkeit im Namen meiner Freundin verpflichteten. Mit der größten Kälte trennten wir uns. Ich fühlte mich grenzenlos gedemüthigt an einen[] Mann geschmiedet zu sein, dem ich ein äußerliches Interesse widmen mußte ohne ihn zu achten oder zu lieben. Ach »die ewige Fessel« – dies Wort der Bethörung welches Arabella einst mir zuwarf, wie seltsam hatte es sich bewährt! nicht um Otbert – nein! .... um mich selbst hatte ich sie geschlungen! – Und was war das für ein unbegreiflicher Einfall von Sedlaczech ich solle sie noch fester ziehen .... von ihm der mich anbetete. – –

Nun ja, ich wußte es! Otbert hatte es ausgesprochen und seitdem sprach auch ich es aus! aber ich hatte es schon länger gewußt, ohne bestimmen zu können wann, wie, wodurch. Meine Mathematik ließ mich hier im Stich, und ohne ihre Hülfe wußte ich daß Sedlaczech mich anbete – lange, o schon sehr lange! vielleicht – immer! Welch eine Labung lag in dem Gedanken – immer! gleich war es mir als baue sich am heißen, leeren, bestaubten Lebenswege ein Kapellchen auf und ein mächtiger Baum breite seine grünen kühlen Aeste schattig darüber aus. Auf diesem Plätzchen voll himmlischer Andacht und voll irdischem Wolbehagen war es zugleich selig und süß zu ruhen, und wie das Loretto-Häuschen von Engeln getragen schwebte es mir vor und winkte mir als holdselige Freistatt in die ich von der öden langweiligen[] Landstraße fliehen durfte. Solch ein reizendes Bild zauberte mir das arme kleine Wort immer herauf. Wol sträubten sich meine Erfahrungen und Zweifel dagegen! .... was half es? – wie heilig lag die Kapelle da! wie frühlingslieblich wehten die grünen Zweige in denen die Vögel sangen und die Morgenlüfte rauschten und die Goldfunken der Abendsonne blitzten! – – –

In dieser Stimmung kehrte ich nach Engelau zurück! Freudig wäre ich wol stets empfangen worden; jezt wurd' ich es doppelt da ich allein kam. Obzwar Keiner mir diesen Grund sagen konnte, fühlte ich ihn dennoch bei Allen im Hinterhalt. Sedlaczech sah verklärt aus vor innerem Jubel.

»Ich habe nicht geahnt daß Sie sich so freuen könnten, lieber Meister!« sagte ich.

»Ach, ich bitte um Verzeihung!« entgegnete er und in seinem Blick, seiner Stimme, seiner Bewegung erlosch urplötzlich das Freudenlicht. Er war wieder der stille verschlossene kühle Mensch als den er sich gewöhnlich zeigte.

Das Leben ging alsbald wieder fort im gewohnten Gleis der kleinen Pflichten und der friedlichen Beschäftigungen. Der Todesfall meines Schwiegervaters und Astraus Erscheinung hatten keinen umgestaltenden Nachhall. Die Musik trat wieder [] in ihre früheren Rechte. Ich erklärte, nachdem wir uns bis dahin dem Kirchengesang der Alten gewidmet hätten, würde ich in diesem Winter nichts singen als Compositionen von Sedlaczech, und er mußte seine Psalme und seine Pastoralmesse vierstimmig für uns setzen. Seine Musik war gleich seiner Seele: ernst und geheimnißvoll wie ein Dom, der die Klagen, Kämpfe, Schmerzen und Aengste des gesamten Menschengeschlechts wiederhallt. Nur die Feier der Heiligen Nacht machte eine Ausnahme: wie eine himmlische Vision von Fra Angelico kam sie mir vor. Der ganze Himmel mit seinen Engeln, Glorien und Paradiesen öfnete sich über der Erdennacht der Welt und der Seele, die mit mystisch seligem Schauer die Offenbarung der Liebe empfing. Das Halleluja das am Schluß die Hirten, die Magier und die Könige sangen – die Armuth die Weisheit und die Macht! – und in das die Engel wie aus seliger ferner Höhe herab einstimmten, war ein Meisterwerk der Idee wie der Ausführung nach. Sedlaczech componirte den Text immer selbst, immer lateinisch und möglichst bibeltreu, und die feierliche majestätische Sprache, die man nie in einer Opernarie, nie in einer Chansonette, Romanze oder Bolero gehört, verstärkte den religiösen Eindruck außerordentlich indem sie die [] Ausdrucksweise beseitigte, welche profane Gedanken mit sich bringen. Diese Vigilie der Heiligen Nacht wurde unser Aller Lieblingsmusik.

»Wo ist Ihnen diese Vision aufgegangen, Fidelis?« fragte ich ihn eines Morgens als wir allein im Musikzimmer waren.

»In Venedig,« sagte er.

»In Venedig? als wir zusammen dort waren?«

»Ja! aber erst in Rom wurde sie mir klar genug um sich in Tönen fassen zu lassen. Bis dahin .... umrauschte mich ein melodischer Strom, dem keine Einzelheiten abzugewinnen waren.«

»Es müßte von hohem Interesse sein zu erfahren wo und wie die Ideenkeime großer Kunstwerke oder großer Thaten sich einer Seele bemeistert haben. Es müßte uns wichtige psychologische Aufschlüsse geben.«

»Und würde uns zu tausend Trugschlüssen veranlassen! rief er lebhaft. Der Geist Gottes, der alles gute, edle und schöne Thun hervorruft, weht wo er will und meistens ohne irdische Spuren. Wir können ihn nicht locken, nicht bannen; nur ihm folgen! aber am wenigsten ihn zersetzen.«

»O Fidelis! rief ich mit einem jener Ausbrüche von Schmerz die mich zuweilen überwältigten – wenn ich Sie sehe und höre – fest, klar, eins [] mit sich selbst, nicht forschend, grübelnd, deutelnd, Ihre Kräfte verschwendend, sondern sie sammelnd zum bewußten Ziel – sehen Sie, Fidelis! so komme ich mir vor wie jene unseligen Adepten der vergangenen Jahrhunderte, welche grade wie ich das unbekannte Gut suchten und darüber das bekannte verloren. Schätze von Gold und Diamanten warfen sie besinnungslos in den verlockenden Schmelztiegel! – Freuden, Pflichten, Gesundheit, ja sogar Vernunft und Leben, opferten sie dem Wahn ihrer Goldmacherei! In Rauch lösten sich die Herrlichkeiten auf, oder schrumpften über dem schmelzenden Feuer und durch die zersetzenden chemischen Versuche zu Materien ein, welche ihren Erwartungen durchaus nicht entsprachen. Aber das Alles störte nicht den Reiz der Alchymie, nicht die rastlosen, verzehrenden Anstrengungen um den Stein der Weisen zu entdecken, der die Schätze der Erde und das Geheimniß des Lebens verlieh. Ich bin ein solcher Adept – nur nicht für irdische Dinge! die himmlischen Güter mögte ich unermeßlich und unendlich besitzen!«

»So wenden Sie sich mit Hingebung, aber nicht mit Fragen denselben zu.«

»Der Rath ist gut – nur kann ich ihn nicht befolgen! meine Seele ist auf die Frage gestellt.«

[] »So entschließen Sie sich .... zu leiden.«

»Geh unter, weil du nicht schwimmen kannst! – o wie oft hab' ich so zu mir gesprochen!« – sagte ich und bittere Thränen traten mir in die Augen.

»Ich sage nicht: Geh unter! ich sage: Kämpfe!«

»Aber wofür denn? aber weshalb denn? rief ich in Verzweiflung. O Fidelis! Sie haben so recht die starre Kälte der Glücklichen! ein frommer Mensch sind Sie und ein großer Künstler .... doch kein Freund, denn Sie geben mich gleichgültig auf.«

Ich verstummte weil er plötzlich vom Flügel aufsprang und in heftigster Bewegung etwas entgegnen wollte. Aber mit ungeheurer Selbstüberwindung faßte er sich, schwieg, setzte sich wieder und spielte den Trauermarsch aus Händels »Samson,« der für den todten Helden erklingt. Als er ihn durchgespielt sagte er:

»Sie wissen wol daß ich Ihr Freund bin.«

Ich kann's nicht beschreiben, nicht einmal andeuten welch einen erschütternden Eindruck er auf mich machte! Er fürchtet in mir eine Dalila; – dieser Gedanke erfüllte plötzlich meine ganze Seele; – und er will sich gegen sie waffnen und wird gewaffnet bleiben. Ich hätte diesen Willen ehren sollen. Ich weiß auch daß alle Frauen Zeter! [] über mich schreien werden, weil ich es nicht that; daß sie sagen werden: Also doch Koketterie, trotz all der Kälte! – Aber ich weiß ebenfalls daß sie Alle es ebenso gemacht haben würden wie ich, nur vielleicht aus andern Motiven. Ich dachte: mein Gott! wenn der Mann dich liebte, so lange, so immer .... das wäre doch eine Versöhnung mit dem Unbestand des Lebens, eine Errettung aus dieser Leichengruft des ewigen Zweifels! – Und dachte ich ferner: Wenn er dich liebt – was wirst du thun? – so war nie die Antwort: Ihn wieder lieben! – sondern immer: Ihm danken, o Gott! danken, wie man für das Leben – wie das Geschöpf dem Schöpfer dankt. – – – Ach! als ob die Liebe sich mit einem auch noch so glühenden Dank begnügen könnte! als ob sie nicht verkümmern oder verzweifeln muß wenn sie nicht volle Erwiderung findet!

Seiner einfachen ernsten Antwort entgegnete ich an jenem Morgen nichts; aber er kam mir vor stärker als Simson, den er wie seinen Schutzpatron anrief, und es regte sich in mir etwas von jener diabolischen Neugier der Eva, welche um jeden Preis Dasjenige wissen will, was eine höhere Macht vor ihr verbirgt. Indessen imponirte er mir viel zu sehr und es widerstrebte auch meiner [] Natur zu sehr in Koketterie ihm gegenüber zu verfallen. Ich zeigte ihm eben nur wie sehr ich an ihm hing, ihm vertraute, auf ihn rechnete, mein Leben mit ihm eingerichtet hatte; und er nahm das hin mit dem größten Dank, mit dem tiefsten Ernst, wie Jemand der sich mit seinem Loos zu bescheiden sucht, nicht mehr verlangt noch erwartet – aber in seinem verschwiegenen Busen und hinter seinen stummen Lippen eine ganz andre Sehnsucht trägt. Wendete sie sich zu mir? – Ich wußte es nicht! – Oft flüsterte mir mein guter Genius zu: Laß ruhen was ruht! wecke nicht das Schlummernde! Du hast es jezt besser denn je! halte dich still! – Aber nein! dagegen stand ein andrer Geist auf und sprach: Im Traum verrinnt dein Dasein und mit ihm das Glück, das du immer verlangt und nie gefunden nie genossen hast! aus der elektrischen Berührung einer starken flammensprühenden und zugleich tiefgesammelten Seele kann dir eine Metamorphose erblühen: versäume das nicht! – Ueber diesen Zwiespalt fiel ich in Unruh und Beklommenheit, und die wirkte dermaßen auf Sedlaczech, daß er in eine weit heftigere gerieth. Etwas fieberhaft Gespanntes und Aufgeregtes überfiel ihn; endlich hieß es er sei krank und könne nicht sein Zimmer verlassen. Mezzoni sprach von Heimweh, [] von Abzehrung, von nordischem Winter: mich überfiel Todesangst bei dem Gedanken er könne abreisen wollen. Ich schickte ihm den Arzt; der empfahl ihm Ruhe, calmirende Mittel, Bewegung, Zerstreuung – im Grunde .... nichts! denn es sei keine Gefahr vorhanden nicht einmal Krankheit. Mezzoni sprach aber immer vom nordischen Winter, der einen schwächlichen Menschen tödten könne. Ich versicherte ihn Sedlaczech sei durchaus nicht schwächlich. Er meinte man könne es werden. Das war richtig. Ich verbrachte einen qualvollen Tag.

Am nächsten Morgen ließ ich Sedlaczech zu mir bitten, wenn's ihm möglich sei. Er kam; aber er sah geisterhaft aus. Entschlossen fragte ich sogleich das was ich ahnte:

»Ist's wahr, daß Sie nach Italien wollen?«

»Ich denke das wird am Besten für mich sein« – entgegnete er nach einer Pause in der er sich zu dieser Antwort Kraft gesammelt hatte.

»Warten Sie bis zum Frühling, Fidelis, dann wollen wir Alle fort – nach der Schweiz, nach Italien .... wohin Sie wünschen, bat ich mit Thränen.

»Mein Wunsch kann keine Richtschnur für Sie abgeben, theure Gräfin!« sprach er sanft.

»O doch! doch! lassen Sie mir die seltne Freude, daß ich Ihren Wunsch erfüllen darf! ich habe [] wenig Menschen, Fidelis, ach! ich mögte sagen keine – wenigstens keine Freunde, deren Wünsche mein Leben bestimmten. Gönnen Sie mir doch dies Glück.«

»Mein Wunsch ist .... jezt und allein zu gehen!« entgegnete er noch sanfter.

»Und fühlen Sie nicht daß ich fürchterlich allein sein werde, wenn Sie gehen?«

»Nicht so wie ich.«

»Daß mir ein belebendes und beseelendes Princip fehlen wird, welches die Nähe eines treuen und verständnißvollen Freundes, der Ihr Herz und Ihren Charakter hat, in mein hinfälliges Wesen bringt?«

»Nicht so wie mir.«

Mir war als bräche er mit entschloßner Hand mein Herz entzwei. Ich wurde kalt und starr, mein Blut wie Eis, und so sagte ich:

»Wolan, Meister, gehen Sie und .... beten Sie.«

»Wenn ich kann,« sprach er tonlos.

»O Sie können! – beten können Sie .... aber nicht lieben, Fidelis!«

Er wich einige Schritte zurück, sah mich fest an und fragte mit einem furchtbaren Ernst:

»Sie wissen also wirklich nicht daß ich Sie liebe?«

[] »Wer beten und glauben kann – der kann auch lieben! – ich wußte es, Fidelis!« rief ich und sank auf die Knie, überwältigt von ich weiß nicht welcher Macht, welcher Freude, welcher Angst, welchem innerlichen Jauchzen und Weinen, das mich mit heißem Dank in den Staub warf.

»Heiliger Gott! was nun?« sagte er und preßte die gerungenen Hände gegen seine Stirn.

»Nun bleiben Sie hier, Fidelis! nun bleiben Sie bei mir, immer – o immer! immer!« sagte ich, stand auf, und ergriff sanft seine Hände, die ich auseinander löste indem ich hinzu setzte: »Nicht mehr in Qual dürfen sie gerungen sein, nur gefaltet in liebender An dacht, wie sich das für Sie geziemt.«

»Und Sie verzeihen mir? fragte er ganz, ganz leise. Sie kennen meine Gefühle und nennen sie nicht Thorheit .... nicht Vermessenheit .... nicht Wahnsinn? – wie ich selbst so viel tausendmal sie genannt! – Sie verbannen mich nicht von Ihrem Angesicht .... darf ich es glauben?«

»Warum wollten Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben zweifeln?« sagte ich.

»Weil dies eine Gewißheit sein würde, welche mich weit .... weit über alle Grenzen und Schranken des Daseins hinweg in die Seligkeit heben [] würde! .... Weil es eine Himmelfahrt bei lebendigem Leibe wäre! .... – O Sie sehen wol, Sibylle, daß man daran zweifeln muß, so lange man nicht rasend ist.«

»Bleiben Sie immer bei mir, Fidelis! entgegnete ich mit unbeschreiblicher Rührung. Ich kann's Ihnen nicht sagen wie glücklich Sie mich machen!«

Er sank vor mir nieder mit der nämlichen extatischen Geberde mit der ich einst im Dom zu Würzburg ihn auf den Knien gesehen, und dieselbe Ueberfülle der Empfindung stralte von seinem Antlitz aus. Und wie damals meine kindische Seele – so ward jezt die bewußte Seele gleichsam angedonnert von der Ueberlegenheit, welche die seine über sie hatte, blos darum .... weil er liebte. Klein und unwürdig erschien ich mir selbst, und mit unsäglicher Trauer sprach ich:

»Fidelis! ich bin Ihrer nicht werth.«

Er hörte nicht auf mich; er blieb in seiner Stellung, nahm meine Hände und sagte:

»Ja, ich liebe Sie mit einer Liebe von der ich nicht weiß ob sie mir den Himmel ob die Hölle bringt .... aber ich liebe Sie! – nicht jezt nicht früher, nicht seit dieser oder jener Zeit .... nein, immer! eingeschreint in meiner Seele, wortlos, maßlos, grenzenlos, wie Sie es nie verstehen [] noch begreifen können, weil Sie nur den Maßstab der andern Männer haben, welche Sie zur Abwechselung liebten! ich, ohne Wechsel, nur Sie! nur Sie!«

Er sprach beinah flüsternd, wie man eben ein Geständniß macht, und doch mit einem solchen vibrirenden Nachdruck, daß mein Herz erbebte, und von diesem Beben aus ein leises Zittern durch meinen ganzen Körper rieselte. Wenn Geister unsichtbar an uns vorüberschweben, mag ein solcher Schauer die Folge ihrer unirdischen Nähe sein. Ich sagte:

»Stehen Sie auf, Fidelis! Sie sind außer sich .... und sprechen Sie nicht so heftig – ich bin nicht daran gewöhnt.«

Er stand auf, sank in einen Lehnstuhl und entgegnete fast mitleidig:

»Das glaube ich gern! Arme Sibylle, so wenig sind Sie an die Sprache tiefer, das Leben durchglühender Empfindung gewöhnt, daß Sie vor deren Ausdruck erschrecken .... während mir kein andrer zu Gebot steht. Und so werden wir ewig wie auf zwei Planeten fern von einander bleiben, weil uns die unausfüllbare Kluft trennt, welche lieben von nicht lieben scheidet. Ich liebe Sie, ohne jene Zwischenspiele der Sinne, der Gedanken, der [] Phantasie, welche alle Menschen mehr oder weniger mit gutem Gewissen sich erlauben: daher ist meine Liebe von andrer Kraft, von andrer Sehnsucht, von andrem Schwung, und von einer Intensität, welche Vernichtung, Wiedergeburt und ewiges Leben in sich schließt.«

Er hielt immer meine Hand; ich kann nicht sagen daß er sie drückte, nein! er hatte sie nur in der seinen begraben. Seine mächtige, ausgearbeitete, wunderschöne Hand, die ganz Nerv war, hielt mich wie an einem ehernen Anker. Er kam mir als der Herr meiner Seele vor. Wie der Magnet beim Nordlicht zittern soll, so zitterte ich .... denn zum ersten Mal in meinem Leben stand ich einer Leidenschaft gegenüber – der Leidenschaft eines Mannes, welcher unangetastet durch die Welt, die Jugend und den Frühling seines Lebens gewandelt war, und jezt, in dessen Sommer, mit all' ihren Gewittern und Gluten, mit ihren langen Sonnentagen und ihren tropischen Sternennächten, mit ihrer unendlichen Fülle und unermeßlichen Sehnsucht mir entgegen trat. Gott weiß welche Himmel sich mir öfneten! Gott weiß welch ein Paradies sich vor mir erschloß! Ich werde ihn lieben! blitzte es wie mit Stralen und Flammen auf mich herab.

[] »Ich liebe Sie!« stammelten die Lippen fast tonlos, fast gedankenlos, als Echo eines innern Traumes hervor.

Mit einer elektrischen Vehemenz umschlang mich Fidelis; aber im nämlichen Augenblick ließ er den Arm wie gelähmt sinken und sagte, mir tief ins Auge sehend:

»Das ist nicht wahr, Sibylle! .... Eine immense Seele .... aber leer!«

»Sie wollen mich lieben! rief ich, und zweifeln daß jener Strom der Empfindung, der Sie so reich macht, in meine Brust hinüber wallen könne? – daß jene Gluten die in Ihnen flammen in mir ein homogenes Element finden können? – Aber, Fidelis, wogt die Liebe denn so ins Blaue ohne Ziel hinein? erfaßt und umschlingt sie nicht ihren Gegenstand mit dem tiefen unabweislichen Bewußtsein ihres Rechts und ihrer Macht, welches in jedem unräsonnirten primitiven Gefühl liegt? – Ist meine Seele leer, so lieben Sie mich nicht .... sonst müßten Sie darin den Reflex einer Sonne finden.« – –

Er sank zu meinen Füßen hin und fand keine Worte mehr. – – – Er blieb. – Das Leben bekam eine wunderbare Färbung. Ich stelle mir vor daß es den Opiumessern so erscheinen mag .... [] wie durch einen rosenfarbenen wehenden Schleier! Fidelis hatte ganz Recht: mir fehlte der Maßstab für seine Empfindungsweise. Mir war dergleichen nie vorgekommen, nie in mir, nie außer mir. Diese Intensität der Leidenschaft, die ein ganzes Menschenleben absorbirte, ließ andre Kräfte, andre Gaben, andre Fähigkeiten .... eine andre Organisation voraussetzen.

»Wie sind Sie so ganz anders als die Uebrigen!« sagte ich zuweilen mit ungeheucheltem Erstaunen.

»Ja, ich bin's! sagte er einmal; denn es leben sich Alle in Bruchstücken ihres Daseins zu Tode, von frühster Jugend an. Das that ich nicht. Von diesen Tropfen am Nectarbecher des Lebens fühlte ich mich nie angelockt.«

»Erzählen Sie mir den Gang Ihrer innern Entwickelung, Fidelis! ich kenne Sie so lange, aber immer verschlossen schweigend.«

»Schweigend? hab' ich nicht mein Herz in Ihre Hände gelegt? spricht meine Seele nicht zu Ihnen in Rhapsodien der Liebeslust und Klage? gießt sie nicht ihre tiefsten, traurigsten, süßesten Mysterien in Gedanken und Tönen, in Wort und Musik, wenn auch nur dithyrambisch vor Ihnen aus? – Was soll ich in der Vergangenheit wühlen? und [] doch ist sie mir lieb und heilig – denn Sie waren da, ewig da! als Kind – lieblicher denn alle Kinder, und dann urplötzlich dies Kind verwandelt in ein Weib, und mir entrückt in jene Ferne und jene Heiligkeit die es mit der Himmelskönigin theilt – den Regenbogen zu ihren Füßen, den Morgenstern zu ihren Häupten – meinen Sinnen und Gedanken wie meinen Augen entrückt! und dennoch mit mir in heiliger Gemeinschaft, denn das reinste Band welches unsre Sinnenwelt mit einer übersinnlichen verknüpft – denn die reinsten Schwingen welche Gott uns gab um zuweilen aus der Region des Staubes in die des Aethers aufzufliegen – wurden mein Theil! die Kunst nahm mich unter ihren Sternenmantel und ihre heiligen Gestirne verdeckten mir die Dunkelheit meiner Wege, und ihre Sphärenmusik verbarg mir die unendliche Oede meiner Tage – bis allendlich mit einem Accord die Sonne mir aufging und mein Schöpfungstag anbrach.«

»Und keine Erinnerung aus der Kindheit senkte ihren balsamischen Thau in dieses flammende, dürstende Herz, mein armer Fidelis?«

»O, rief er mit wildem Schmerz, wozu dies Zerwühlen der Vergangenheit, Sibylle!«

»Ich bin eifersüchtig, Fidelis.«

[] »So wahr Gott über uns ist: in meiner Vergangenheit war nur das Weib das auch in meiner Gegenwart ist, und kein andres, Sibylle.«

»Kein andres Weib und keine andre Liebe?«

Das Feuer in seinen Augen, die Farbe auf seinen Wangen, die Bewegung in seinen Zügen verschwand. Er legte die Arme auf die Lehne des Sophas und den Kopf auf die Arme indem er langsam die Worte der Apokalypse sprach:

»Ich habe wider dich daß du verlässest deine erste Liebe.«

Bei dieser Bewegung schob sein Aermel sich zurück und ich sah daß er einen Goldreif über dem linken Handgelenk trug.

»Was für ein Amulet tragen Sie da?« fragte ich und berührte mit dem Finger den Reif.

Statt zu antworten reichte er mir die linke Hand; ich betrachtete den Reif. Zwei Steine bildeten sein Schloß: ein Rubin, warm und glühend wie ein Tropfen Bluts, und ein wunderschöner Saphir, der wie ein Stern oder wie ein Auge beruhigend daneben lag. Ich weiß nicht was für eine melancholische Symbolik aus diesen schönen Steinen mich ansprach! ich fragte traurig:

»Also doch ein Abfall, Fidelis?«

Immer noch schweigend richtete er sich auf, zog[] aus dem Busen an einem schwarzen Bande ein goldnes Medaillon auf dem jene apokalyptischen Worte eingegraben waren, und drückte es auf nachdem ich sie gelesen hatte. Ein liebliches Miniaturbildchen kam zum Vorschein, ein süßes Köpfchen überflutet von blonden Locken und einem schwarzen Schleier, unter welchem zwei göttlich schöne dunkelblaue Augen, tief und stralend wie Saphire mit einem Ausdruck hervorblickten, der zittern machte – solch eine Glut und solche Schwärmerei schmolzen in ihrem Feuer zusammen. Ich fand eine unbestimmte Aehnlichkeit mit Fidelis, ungefähr wie eine Tochter ihrem Vater ähnlich sieht.

»Ah Fidelis! es ist also doch ein Weib in Ihrer Vergangenheit!« rief ich mit Schmerz.

»Eine Mutter ist kein Weib,« entgegnete er und legte die Hand beruhigend auf mein Haupt.

Ich drückte sie dafür an meine Lippen und sagte:

»Ich weiß es ja längst daß Du anders bist als wir übrigen Menschen, und dennoch erfüllt es mich immer wieder mit Andacht und Rührung! – Aber erzähle mir von Deiner Mutter.«

Fidelis verwahrte wieder das Bild im Busen, knöpfte sorgsam den Hemdärmel über dem Goldreif zu, damit kein profanes Auge seine Reliquien entweihe, und sagte:

[] »Von meiner Mutter! .... Ich kannte sie nicht; ich wußte nichts von ihr; ich wuchs auf in dem kleinen Städtchen Aussig in Böhmen bei meinem Pflegevater der für meinen Oheim galt und der Organist an der dortigen Kirche und ein tüchtiger Musiker war. Ich hatte eine wilde selige Kindheit. Ich verbrachte sie mit Musik und mit Wanderungen durch die romantischliebliche Gegend. Die Kunst und die Natur, und deren gemeinsame Mutter die Schönheit, theilten seit meinen frühsten Jahren den Cultus meiner Seele. Es war etwas in mir das Thränen in mein Auge trieb und mich auf die Knie warf, wenn ich ergreifende Musik hörte, einem Sonnenuntergang oder einem Gewitter zusah, oder einen Frühlingsmorgen auf den grünen, nußbaumbeschatteten Abhängen der Ruine Schreckenstein verlebte. Denn immer trug die Schönheit, welcher Art sie sei, für mein Auge eine Glorie; sie war mir heilig. Nie vergesse ich den Moment als ich zum ersten Mal das Kleinod und den Stolz von Aussig, das Altargemälde von Carlin Dolce sah! Ein kleiner Madonnenkopf ists im dunkelblauen Schleier. Eine Thür schließt sich sorgsam über dem Gemälde, das in einem Schrein von weißem Alabaster wie in einem Wandschränkchen über dem Altar verborgen ist und nur bei großen [] Festen oder wenn Reisende und Fremde es begehren, zum Vorschein kommt. Eine fremde Gesellschaft ließ sich das Bild zeigen; ich war aus Neugier ihr gefolgt. Als sich die Thür aufthat, sank ich auf die Knie, und murmelte andächtig mein Ave Maria! Als ich fertig war bemerkte ich zu meinem Erstaunen daß ich allein kniete, und daß eine lange dürre blonde Dame aus der Gesellschaft mich streng und mißbilligend ansah. Ich stand auf und schlich erröthend bei Seite, hörte aber wie die Dame mit scharfer Stimme sagte:

»Bemerktet Ihr den fanatischen Ausdruck des Knaben? ist es nicht unerhört daß solcher heidnische Götzendienst in unsrer aufgeklärten Zeit und in unsrer Nähe noch existirt!«

»Es ist sündhaft Kinder für die Heiligenverehrung dermaßen zu fanatisiren,« bemerkte ein fetter Herr mit großer Salbung.

Obwol ich nur die Worte, nicht den Sinn verstand, machten sie mir einen starken Eindruck. Später sind sie mir oft eingefallen. Götzendienst ist: wenn die Form statt der Idee angebetet wird, wenn die Formel mehr gilt als der Inhalt, wenn die verknöcherte Gestalt ohne Geist jene Huldigungen empfängt, welche ihm gebühren. Demnach trieb ich damals keinen Götzendienst.

[] Meine Pflegemutter, eine sanfte zärtliche Seele, und mein Pflegevater ein rechtschaffner warmherziger Mann, waren beide wahrhaft fromm und erzogen mich in wahrer, inniger Andacht und Liebe zu unsrer heiligen Kirche. Was in ihnen milde erquickende Frömmigkeit war, wurde in mir, zufolge meiner wilden schwärmerischen Natur, flammender Glaube, inbrünstige Andacht. Dies religiöse Element entsprach vollkommen der Richtung und dem Bedürfniß meiner Seele, und die Pflegeeltern nährten es sorgsam in mir. Sie hatten keine Kinder und liebten mich zärtlich, verwöhnten mich weit über meinen Stand, hatten unbegreifliche Nachsicht mit mir. Ich sollte in die Schule gehen; ich that es nicht, es langweilte mich so sehr – der pedantische Lehrer, die gedankenlose Bubenschaar, die kahlen Wände der Schulstube, diese gräßlichen braunen Bänke und Tische! – Menschen und Dinge kamen mir so unerhört häßlich vor, und draußen die Sonne, die Berge, der Fluß, die Vögel, die Schmetterlinge – ach Alles! so schön, so wunderschön! – Lesen hatte ich früh bei der Pflegemutter gelernt, der Legenden wegen die ich zu lesen wünschte, weil sie nicht immer Zeit hatte sie mir zu erzählen. Auch rechnen lernte ich bei ihr um ihr behülflich zu sein bei den Wirthschaftsrechnungen, [] die der Vater nicht immer correct finden wollte. Bis zum schreiben bracht' ich es endlich auch noch – hauptsächlich durch den Gedanken angefeuert, Noten copiren und den Text darunter setzen zu können. Weiter nichts! freilich auch Clavier- Orgel- und Geigenspiel und den Generalbaß; aber in der Schule galt das nichts, sondern ich für einen dummen und trägen Buben. Es liefen Klagen über mich ein; doch die Eltern meinten das müsse Schuld der Lehrer sein, denn Alles was sie mich lehrten lerne ich mit Fleiß, Ausdauer und Geschick. Es machte sich endlich so, daß ich im Winter mit Leidenschaft die Musik trieb, so daß ich ganz mager und abgezehrt wurde, und im Sommer mich davon erholte, meine Kräfte übte und meine Nerven stählte, indem ich wiederum mit Leidenschaft in Berg und Thal, stromauf, stromab umherschweifte. Tagelang blieb ich fort! nach Tetschen pilgerte ich, und nach Teplitz. Einmal durchwanderte ich die sächsische Schweiz; auf Prebisch-Thor hatte ich ein furchtbares Gewitter; – in Schandau gesellte ich mich zu böhmischen Musikanten und setzte die ganze Bande durch mein Geigenspiel in Erstaunen. Liebe Erinnerungen – das! Geld hatte ich nicht viel auf meinen Wanderungen. Der Vater schenkte mir nie Geld: ich[] mußte es mir mit Notenschreiben verdienen; aber die Mutter gab mir zuweilen ein blankes Fünfkreuzerstück. Damit zog ich ins Weite. Sie sorgten auch nie um mich! sie hatten Vertrauen zu mir und ich rechtfertigte es. Ich kehrte heim an dem Tage, zu der Stunde, die ich ihnen vorher bestimmt hatte. Aber ich selbst ließ mir nichts vorschreiben! es mußte Alles nach meinem Willen gehen, jedoch blieb ich meinem einmal gegebenen Wort mit einer unerschütterlichen Festigkeit treu. Die Freunde und Nachbarn sprachen zuweilen ihr Erstaunen gegen meine Pflegeltern über meine seltsame Art aus, und fragten was aus mir werden solle. Dann sagte die Mutter immer mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit: »Was Gott will!« und der Vater meinte: »Ein tüchtiger Musiker.«

Zu Letzterem war ich fest entschlossen. Musik! Musik! ich begriff nichts Anderes, und begriff auch sie wiederum in meiner Weise. Die Seele welche ich der Natur und dem Weltall lieh, sprach zu mir in Musik. Ich hörte Musik auf den Wellen der Elbe, im Rauschen der Bäume, im Summen der Insecten – Musik am hohen heißen Sommermittag wenn tiefe Stille und Schwüle über der Natur brütete – Musik an Winterabenden wenn der Sturm pfeifend und sausend wie ein ungestümer [] Eroberer daher tobte – Musik in lauen Frühlingsnächten wenn ein süßer wilder Schauer wie ein träumerisches Erwachen der Leidenschaft, wie ein ätherischer, entzündender Kuß, die Natur durchrieselte. Die Berge hatten eine Stimme für mich; sie hieß Musik. Ja die Sterne wandelten für mich am Firmament im harmonischen Reigen einher, und ich hörte Musik wenn ich zu ihnen emporsah. Aber gleichsam nach Innen mußte ich lauschen um all jene Musik zu verstehen. Meine Seele mußte jene ungeheuern Harmonien in sich aufnehmen und verarbeiten, und sie mir dann in ihre Sprache übersetzt mittheilen. Mein Pflegevater rieth mir meine musikalischen Gedanken aufzuschreiben; ich that es auch nach den Regeln der Composition, die ich fleißig bei ihm studirte. Doch das waren schwache, matte Exercitien, und fand sich einmal eine musikalische Idee dazwischen, so war sie nichts als eine Reminiscenz. Die kleine kindische Seele hörte nur die gewaltigen Schwingen des Genius der Musik um sich rauschen und klingen; sie zeigte nur Verständniß, nur Befähigung. Die Schöpferkraft liegt nicht in der Sphäre der Kindheit. Unsinn ist es sie von ihr zu erwarten, Missethat – sie erzwingen zu wollen. Wer nicht mit sich selbst gerungen hat, kann auch nicht mit dem Genius [] ringen, ihn bannen, ihn zu Red' und Antwort zwingen, ihm das Zauberwort ablocken wodurch er seinen Gebilden die Weihe ertheilt, und welches er nicht auf die erste Bitte und an den Ersten Besten verschwendet. Wer bestimmt ist die Weihe zu empfangen muß andre Wege gehen als die Talentvollen, die Begabten, welche bei ihrem ersten Erscheinen ein Paar Rosen um sich her streuen und dann mit leeren Händen weiter ziehen. Ihn muß eine Göttin, die einzige, die ewige Göttin alles Lebens und alles Seins, die Liebe, in ihre Arme nehmen und an ihrem Busen muß sie ihn groß ziehen und nähren mit zwei Quellen die ewig strömen: mit Schmerzen und mit Meditationen. – – Ich lebte bis zu meinem fünfzehnten Jahr unbändig, seelig und phantastisch dahin.

Da trat eine vollständige Revolution ein. Mein Pflegevater und mein Beichtvater, Pater Melchior, verkündeten mir: ich sei für den geistlichen Stand bestimmt. Dabei kam es für mich zum ersten Mal klar und deutlich zur Sprache, daß meine geliebten und geehrten Pflegeltern eigentlich gar nicht mit mir verwandt waren. Ich weiß nicht welche von diesen bei den Nachrichten mich tiefer erschütterte. Nur das weiß ich, daß ich auf der Stelle in mir selbst sprach: Beides gilt mir nichts! ich werde [] nicht Geistlicher und ich bleibe ihr Kind! – Mit herzzerreißendem Schmerz stürzte ich zu meiner Pflegemutter. Ich schrie, ich weinte, ich schluchzte: ich sei ihr Sohn, ich wolle es bleiben; sie solle nicht leiden daß man mich ihr raube! und Geistlicher wolle ich nicht werden, sondern Musiker. Sie suchte mich zu beschwichtigen indem sie mit mir weinte und mit Liebkosungen mich tröstete: ich sei ihr Fidelis; wenn nicht ihr Sohn .... doch immer und ewig ihr herzeigener Fidelis! sie habe mich groß gezogen an ihrer Brust! Gott habe ihren Sohn zu sich genommen und dafür mich in ihre Arme gelegt, und so viel Thränen habe sie geweint um seinen Tod und um mein Leben, daß etwas ebenso Heiliges als die Mutterliebe für mich daraus zusammengeschmolzen sei.

»Nun so rette mich, Mutter, rette mich von dem geistlichen Stande!« flehte ich.

»Deine Mutter hat es so bestimmt, Fidelis!« entgegnete sie sanft und traurig.

Ich war wie wahnsinnig. »Was ist das für eine Mutter die mich erst ins Leben gestoßen hat und mich nun in den Tod .... in mehr als den Tod! stoßen will. Ich weiß von keiner Mutter!« schrie ich.

Mein Pflegevater sprach mir mit Ernst zu; [] Pater Melchior mit linder Güte. Ich ließ mir auch all ihre Ermahnungen und Tröstungen gefallen; gingen sie aber auf den fraglichen Gegenstand über, so geberdete ich mich wie ein junges Pferd auf den Steppen der Ukraine, das eingefangen werden soll. Ich, lernen? ich, studiren? ich, ein heiliges Amt regelmäßig verwalten und es nie verlassen? ich, im geistlichen Gehorsam meinen Obern mich unterwerfen? thun, treiben, denken, lehren, wie sie gebieten? – Nimmermehr! Ich wollte in die Welt.

»Ich will ja nichts Böses und nichts Verbotenes in der Welt thun! – aber ich will und muß in die Welt, sagte ich so recht in kindischer Weise; – und wenn mir das nicht erlaubt wird, so laufe ich heimlich fort.«

Mein Entschluß schien so fest, daß man mir Ruhe gönnte. Allein nach kurzer Zeit kündigte Pater Melchior mir an ich solle ihn nach Prag begleiten, wo man mich zu sehen und zu sprechen wünsche. Abermaliger, heftiger Widerstand, der doch zulezt überwunden ward! während dieses Kampfes bildete sich mein Entschluß fest aus die Flucht zu ergreifen, wenn mir keine andre Rettung übrig bliebe. Das machte mich ruhig, und [] ich fuhr mit Pater Melchior nach Prag, erwartungsvoll aber gewappnet.

Dort geleitete er mich in ein ernstes stilles alterthümliches Gebäude, dessen Pforte sich uns geheimnißvoll öfnete; dann über einen einsamen Hof, durch lange hallende öde Gänge, in ein düstres, unschönes Gemach: ich stand im Sprachzimmer eines Klosters. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nah: die Luft war so beklommen .... die Wände so dunkel .... und das Gitter, das fürchterliche Gitter und der braune Vorhang hinter demselben erfüllten mich mit Vorstellungen von Kerker und Grab.

»Wenn ich hier eingesperrt werden soll, so renne ich mit dem Kopf gegen die Mauer!« sagte ich fassungslos zum frommen Pater Melchior, der sanft entgegnete:

»Was fällt Dir ein, Fidelis! Hier lebt Deine Mutter und sie wünscht Dich zu sehen.«

Indem rauschten schleppende Gewänder jenseits des Gitters, der Vorhang wurde zurückgezogen, und eine Klosterfrau in der Ordenstracht der Karmeliterinnen stand mir gegenüber.

»Hier ist Fidelis,« sagte der Pater.

Sie neigte ihr Haupt zum Gruß, zum Dank, und er verließ das Sprachzimmer. So wie ich [] diese Frau sah flog meine Seele ihr entgegen und ich liebte sie. Ich stürzte wie zerschmettert am Sprachgitter nieder, ich rang die Hände, ich breitete meine Arme gegen die starren Eisenstäbe aus und stammelte schluchzend, athemlos:

»O meine Mutter .... Du meine wahre, meine wirkliche Mutter – wie lieb' ich Dich!«

Welch ein Antlitz schaute auf mich herab! Sibylle, dies holde kleine Gemälde entzückt Sie und spricht Sie an wie ein verkörperter Sonnenstral. Nun stellen Sie sich vor daß dies himmlische Wesen durch ein Läuterungsfeuer nach dem andern hindurch gewandelt, nicht verzehrt sondern verklärt davon geworden ist, und endlich wie von einem andern Gestirn, und aus einem andern Licht auf uns herabschaut: so war sie.

»Fidelis!« sagte sie und immer wieder und wieder: »Fidelis!« – und mit ihrem zarten Finger durch das Gitter schlüpfend berührte sie segnend meine Stirn, und zärtlich meine Wange, mein Haar; und dann faltete sie ihre Hände, die aus den dunkelbraunen weiten Aermeln ihres Ordenskleides weiß heilig und rein wie Taubenflügel hervor leuchteten und sagte: »In Deine Hände, o Herr! befehl' ich ihn.«

O Sibylle! ganz unirdisch sah sie dazu aus! [] solche Augen hat man nicht in der Welt! solche Augen sind der Spiegel einer höheren – und höhere Gestalten wandeln stralend an ihnen vorüber, und ihr Wiederschein wirft noch eine Verklärung auf uns herab. Und diese Stirn! sie mußte Kronen getragen haben, um durch die Wolken von Schmerz und den Schleier der Entsagung hindurch noch in solcher Majestät zu stralen. Ganz bewildert von extatischer Liebe rief ich:

»O Mutter wer bist Du? wo kommst Du her? bist Du eine Heilige oder eine Königin?« – –

»Ich bin eine große Sünderin, sagte sie mit gelassener heiliger Demuth; allein ich vertraue Dem, der in die Welt gekommen ist um die Sünder zu erretten und nicht die Gerechten – zu Dem ich flehe Tag und Nacht in heißen Gebeten, daß er eine Leuchte sei auf Deinem Pfade, Dich zu sich ziehe in Israels ewige Hütten, und die Versuchung und den Fall von Dir abwende .... in die ich gestürzt bin. Ich lebe für dies Gebet und für dessen Erfüllung.«

Ich verstand sie nicht recht; allein ich hörte nichts als Musik, und mein Herz pochte vor Freuden daß sie für mich bete.

»O meine Mutter! sagte ich, Dein Gebet ist [] wie der Schild des Erzengels über mir: er beschirmt mich in allen Gefahren der Welt.«

»Thörichtes Kind! erwiderte sie, Du weißt nicht, was Du sprichst! Du hast noch keine Vorstellung von den Gefahren, welche Dir drohen, grade Dir, mit Deiner .... ach, mit meiner Seele! – und vor denen es keine Rettung giebt als Flucht – Flucht zu den Altären des Heils. Wende Dich zu ihnen, Fidelis, und ab von der Welt! tritt in den Dienst der heiligen Kirche, weihe Dich den göttlichen Dingen und bringe Deine Seele dar im ununterbrochenen Opfer.«

»Ich will auch meine Seele im Opfer darbringen, rief ich, sie soll nicht verloren gehen! glaube mir, meine Mutter! aber ich muß frei bleiben! ich kann nicht studiren, kann nicht lernen und nicht lehren – ich mögte lieber sterben, als Priester werden.«

»Thörichtes Kind!« wiederholte sie kopfschüttelnd.

»Ja! rief ich in einem Paroxismus von Todesangst; ich werde sterben wenn man mich gegen meinen Willen zum Priesterstande zwingt. Ich will in die Welt .... in die schöne freie weite herrliche Gotteswelt! ich will mir mein Brot verdienen! ich will so brav, so rechtschaffen, so fromm werden, daß Dein Herz, meine Mutter, keine [] Sorge um mich haben soll .... aber Priester kann ich nicht werden! ich kann nicht! ich kann nicht!«

»Niemand zwingt Dich zu Deinem Heil, Fidelis! entgegnete sie resignirt und melancholisch. Du bist noch nicht reif zur Erkenntniß dessen was dem Menschen Noth thut: da wünschte ich daß Gott durch meine schwache Stimme Dich derselben entgegen führte. Aber Du willst sie nicht hören .... vielleicht kannst Du sie nicht hören .... Du bist noch so sehr jung! – – Wir wollen warten, Fidelis! die Gnade kommt zuweilen in einer Nacht, und ich bete daß Du derselben mögest würdig befunden werden. Der Herr sei mit Dir!« fügte sie mit unaussprechlicher Zärtlichkeit in Blick und Ton hinzu, berührte wieder meine Stirn und verschwand hinter dem zusammenrauschenden Vorhang.

Ich blieb noch eine Zeitlang allein in einem Mittelzustand von Betäubung und Berauschung; dann erschien Pater Melchior, dem ich den Schluß meines Gesprächs mittheilte, welchen er seinerseits bestätigte; – und noch am Abend desselben Tages saßen wir wieder auf dem Postwagen von Aussig. Ich – selig! denn ich hatte meine Mutter gefunden und meine Unabhängigkeit gerettet. Schöner denn je kam mir die Erde vor, namenlos herrlich Prag, das mir aus lauter Kirchen und Palästen [] zu bestehen schien und das ich zu meinem Leid so schnell verlassen mußte. Und dies war doch nur Prag! wie mußte erst Wien sein, unsre Kaiserstadt, wo Beethoven lebte! oder gar London, wo Händel gelebt hatte und wo er sein Grabmal in der Westminster-Kirche zwischen Englands größesten und höchsten Männern hatte – er, ein deutscher Musiker! – Tausend phantastische Bilder liefen mir durch den Kopf, und nur ein Gedanke stand unwandelbar fest in ihm: ich wollte tüchtig und groß werden! meine Mutter sollte nicht umsonst für mich beten! – –

Mit rührender Liebe empfingen mich meine Pflegeltern, hörten meine Erzählung und den Ausspruch Pater Melchiors:

»Wir warten auf die Vocation.«

»Da wird gewartet bis in die Ewigkeit!« flüsterte ich ins Ohr der Pflegemutter und zog sie hinaus um sie mit Fragen über meine Mutter zu bestürmen – zwischen denen mir denn auch einfiel, daß ich gleichfalls einen Vater haben müsse, und wer und was und wo der sei? Auf die ersten Fragen entgegnete meine Pflegemutter nur Liebes, Gutes, Schönes – aber stets ganz unbestimmt; auf die letzten sehr bestimmt, fast hart, wie ich sie nie gehört:

[] »Von dem weiß ich nichts, und Niemand weiß von ihm! – Armes Kind, Du lebst durch seine Sünde.«

Einen furchtbaren Eindruck machten mir diese Worte und dieser Ton auf den Lippen meiner guten zärtlichen Pflegemutter.

»O! rief ich, was hab' ich für ein verfluchtes Dasein! der Vater sündhaft und unbekannt, die Mutter im Kloster büßend! könnt' ich doch lieber sterben als solchen Gram und solche Schmach mit mir herumtragen!« .... – –

»Sprich nicht so, Fidelis! unterbrach sie mich liebevoll. Wie Du geboren bist – dafür hast Du nicht Rechenschaft abzulegen. Wie Du lebst – dafür, mein Kind! Sind Andre schwach gewesen, so nimm es Dir zur Warnung und sei um desto stärker; sind sie gefallen, so hüte Dich zu straucheln; haben sie gesündigt, so bleibe Du gottgefällig und gottgetreu.«

Wie Morgenthau nach einer versengenden schwülen Sommernacht fielen diese guten klaren Worte in mein Herz und beschwichtigten die Extasen welche dasselbe neben meiner Mutter und bei dem Gedanken an sie durchzitterten. Ich legte meine beiden Hände auf ihre Schultern, sah dankbar in ihre unaussprechlich guten Augen und sagte:

[] »Mutter! Du bist meine Mutter, Du verstehst, Du tröstest, Du belehrst mich, Du weißt wie mir zu Muth ist! sie weiß es gar nicht, die betende büßende Heilige hinter ihrem Kerkergitter – aber .... ich liebe sie doch!«

»Liebe sie, Fidelis, ich gönne es ihr und Dir!« sagte meine Pflegemutter.

Mit grenzenlosem Eifer gab ich mich fortan dem Studium und der praktischen Uebung der Musik hin. Sie war meine Vocation und in jeder Weise wollt' ich mich für sie ausbilden. Da ich mir durch sie nicht blos den zukünftigen Ruhm – sondern für näherliegende Zeiten auch Unterhalt und Fortkommen verschaffen mußte, so versuchte ich Unterricht zu geben – und auch das gelang. Mein Pflegevater war karg mit Lob; aber er mußte mich loben. Mein Talent begann sich zu emancipiren, selbständig zu werden. So jung ich war hatte ich doch schon einen unwandelbaren Entschluß gefaßt und eine bestimmte Richtung ergriffen: das ist die Basis aller Selbständigkeit. Mein rastloser Fleiß und meine geliebten Arbeiten brachten mich über die unruhvolle Epoche des Eintritts in die Jünglingsjahre hinweg. All die drängenden gährenden Kräfte brauchte ich als Sporn für meinen Eifer, [] als Stärkung für meinen Willen. Wie im Sturm ward ich vorwärts getrieben.

Mit Pater Melchior hatte ich häufige, lange Gespräche an denen ich aufrichtige Freude hatte, sobald sie sich nicht meinem in Frage stehenden geistlichen Beruf zuwendeten, was immer seltner geschah. Ich war nicht blos religiös, sondern durch und durch gläubig. Mit inbrünstiger Andacht hing ich an den Lehren der Kirche, und sie selbst, diese heilige Kirche war für mich den Einsamen, den Ausgestoßenen, so recht die heimatliche Freistätte auf Erden in deren Schooß ich die Gemeinschaft mit allem Geliebten fand. Mein Herz faßte all ihre süßen und tiefsinnigen Mysterien, ihre Wunder, ihre Opfer, ihre Gnadenmittel mit Liebe auf, und weil ich mich in Liebe ihnen hingab, so erquickten sie mich unsäglich und bildeten mir eine Himmelsleiter auf der ich schüchtern und selig heilige Boten wandeln sah, die mein armes dürftiges strebendes Wesen mit dem Allerreinsten und Allerhöchsten in eine ebenso geheimnißvolle als gewisse Verbindung brachten.

Aber Priester wollte ich nicht werden. Ich fühlte mich dazu nicht stark, nicht selbstlos genug. Er – unter dessen Gebeten das Sacrament des Altars sich vollzieht; er – in dessen Ohr Tausende von [] Sündebeladenen, von Gramgebeugten das Elend und die Aengste ihrer Seelen durch die Beichte ausschütten; er – der über alle Trauer- und Freudenfeste unsers Lebens Worte des Heils und des Segens ruft und selbst ein Fremdling bleibt in den Wonnen und Schmerzen zu denen er weiht; er muß sich durch Gott selbst zu seinem erhabenen Amt berufen fühlen – und dieser Ruf war nicht an mich ergangen.

Das Alles erklärte ich dem Pater Melchior öfters mit dem Ton warmer Ueberzeugung und Wahrhaftigkeit, und ich durchdrang ihn dermaßen mit meiner Unerschütterlichkeit, daß er mir unaufgefodert die Zusage gab: er selbst wolle meine Mutter zu bewegen suchen ihren frommen Wünschen für mich eine andre Richtung zu geben.

So wurde ich siebzehn Jahr alt, als ich wieder mit Pater Melchior nach Prag berufen wurde. Mit gefaßter ernster Sammlung ging ich diesem Wiedersehen entgegen. Zu jedem Opfer der Liebe war ich entschlossen – nur nicht zu dem Einen. So stand ich vor ihr. Wieder erfüllte mich ihre Erscheinung mit wunderbarem Entzücken. Ich meinte sie schwebe auf Wolken; ich meinte in einer Glorie von Engeln ruhe ihr Haupt; – so ätherisch sah sie aus! – Es zog mich zu ihren [] Füßen nieder. Sie blickte mich lange an, traurig, zärtlich, stumm.

»Das waren zwei schwere Jahre! sprach sie endlich mit bebender Stimme. Fidelis, hast Du denn nie mein Angstgebet gehört?«

»Ja, meine Mutter, und es hat mich stark gemacht! Du willst mein Heil .... laß es mich finden auf meinem Wege.«

In diesem Sinn hatten wir ein langes Gespräch, das uns Beide heftig erschütterte ohne den einen Theil zur Ueberzeugung des Andern hinüber zu ziehen. Ihre schwärmerische Seele war eine Opferflamme: und um so heißer wallte sie empor, als sie Buße dafür that, daß der Altar ihres Herzens nicht immer dem Höchsten geweiht gewesen war. Die klösterliche Abgeschiedenheit, ihre Einsamkeit mit traurigen Erinnerungen voll Reue und Leid, das ewig wache Liebesbedürfniß einer zärtlichen Seele, das heiße Verlangen zur innersten Versöhnung mit Gott und ihrem Gewissen zu gelangen, das eben so heiße ihr Kind gerettet zu sehen vor den, wie es ihr schien, unwiderstehlichen Verlockungen – dies Alles ungestört durch lange Jahre mit Thränen, Gebeten, Buß- und Andachtsübungen genährt, hatte meine Mutter in jene tiefe religiöse Schwärmerei versetzt, in welcher [] Wesen wie sie vielleicht einzig und allein ihre Befriedigung finden können, weil sie zu schwach für den Kampf mit der Versuchung – und zu rein sind um ihr ohne Verzweiflung zu unterliegen. Für solche Wesen ist mit tiefsinniger Kenntniß des Menschenherzens die Freistatt des Klosters geöfnet, und diese Kenntniß ist es eben, welche unsrer Kirche den Stempel einer ganz göttlichen Liebe aufprägt, denn man kann den Menschen nicht kennen wenn man ihn trotz seiner Sünden, seiner Fehler, seiner Schwächen nicht liebt. Ihre Kirche, Sibylle, belehrt den Menschen, die unsre liebt ihn. Ihre Kirche stellt ihn auf seine Füße, giebt ihm die Bibel die Tausende nicht lesen und Zehntausende nicht verstehen, und spricht: nun mache deinen Weg. Die unsre behält ihn an der Hand sorgsam warnend und beschirmend, tröstend und erquickend, durch das Bewußtsein der Gemeinschaft ihn rettend von dem trostlosen Verzagen, das für Manchen aus dem Gefühl seiner Vereinzelung und Nichtigkeit quillt. – – Aber eben weil jenes Bewußtsein damals so lebendig in mir war, konnte ich mich nicht auf den Standpunkt meiner Mutter stellen. Mir war die Welt ein Tempel, und rein aber frei und ohne Priesteramt wollte ich in ihm dienen.

[] »Fidelis! sagte meine Mutter, unsre erste Liebe ist Gott und unsre letzte Liebe ist auch Gott – allein .... die Liebe für die Götzen liegt zwischen beiden. Ich hatte mich früh dem Herrn gewidmet, war im Kloster erzogen und wollte den Schleier nehmen. Da riefen mich weltliche Feste ins Haus meiner Eltern. Den Vater ängstigte mein früher Entschluß; ob er wolüberlegt sei sollte sich erproben bei den Freuden und Feierlichkeiten, die zur Vermälung meiner beiden Brüder statt fanden. Dieser Glanz, dieser Jubel, dieser Reich thum, diese Schönheit, diese Weltherrlichkeit betäubten mich. Ihre trügerischen Wellen von Goldschaum und Blumenstaub schlugen über mein bethörtes Herz und mein besinnungsloses Haupt zusammen. Es giebt immer Menschen welche unsre Schwäche zu benutzen wissen. Der Versucher fehlte auch mir nicht .... und meine Schwäche nicht ihm! – Er war gefesselt durch unzerreißbare Bande .... und meine Seele, von der Liebe zu Gott zur Anbetung des Götzen hingerissen – ward vergiftet! – Sieh, Fidelis! so bist Du geboren! – und daß ich es Dir sage und vor Deinem unschuldigen Auge mich mit unabwaschbarer Schmach bedecke, geschieht um Dir ein Beispiel zu geben, welche unwiderstehliche Bethörung in dem Anhauch des üppigen Weltlebens [] liegt, weil es zu keiner höheren Richtung Deines Wesens als zu Deinen Sinnen und Deiner Eitelkeit spricht. Die priesterlichen Gelübde sind Helm, Panzer und Schild gegen sie: der Gehorsam giebt dem übermüthigen Sinn die heilsame Demuth; die Armuth erhält den Leib in Nüchternheit und Abhärtung; die Keuschheit giebt ihm eine heilige Kraft – denn, wer sich selbst bei dem Reiz der Sinne überwinden kann, der kann die ganze Welt überwinden, und die Engel dienen ihm, mein Sohn.«

Langsam glitt sie hinter dem Gitter auf ihre Knie und hob die Hände gefaltet zu mir empor.

»Meine Mutter! entgegnete ich feierlich, steh' auf. Ich will Dir die Gelübde thun in denen Du eine Rüstung meiner Seele zu ihrem ewigen Heil erblickst. Ich gelobe Gehorsam gegen göttliche Gebote; Armuth .... und wenn ich von den Schätzen der Könige umgeben wäre; und Keuschheit. Ich gelobe es Dir feierlich vor dem Angesicht Gottes! .... aber Priester werd' ich nicht! ich muß frei sein.

Mit einem Lächeln voll seliger Beruhigung entgegnete sie: »Wen der Herr so weit geführt hat, den führt er auch noch einen Schritt weiter in das Tabernakel hinein! – Sei gesegnet, Fidelis! [] und nimm und trage dies zum Gedächtniß dieser Stunde.«

Den Goldreif hieß sie mich an- und nie ablegen.

»Der Karfunkel ist Dein Herz und der Saphir ist mein Auge; es wacht darüber! sprach sie. Und dies Bildchen zeigt mich Dir wie ich war vor achtzehn Jahren, ehe ich verlassen hatte meine erste Liebe. O Fidelis! verlasse Du die Deine nicht.«

Und abermals rauschte der Vorhang zusammen, und abermals kehrt' ich aufgewühlt in den Grundtiefen meiner Seele zu meinen Pflegeltern zurück. Aber nun war es aus und vorbei. Nun hatte ich Alles gethan was ich für die Wünsche meiner Mutter thun konnte; ferneren Bitten und Eindringen, deren Andeutung in manchem ihrer Worte lag, fühlte ich mich nicht gewachsen. Ich wollte fort – und ich ging fort! ich floh, heimlich, ohne Abschied! ich konnte nicht diese Herzzerreißungen des Abschieds ertragen. Ich fühlte unbestimmt das Bedürfniß mich zu sammeln und nicht zu zerfließen. Daß ich mir würde mein Brot verdienen können, davon war ich so fest überzeugt wie von meinem Leben. Nach England wollte ich über Hamburg. Dies Alles schrieb ich in einem zärtlichen dankbaren Brief an die Pflegeltern, versprach ihnen Nachricht[] und Wiedersehen, steckte meine 27 ersparten Gulden zu mir, packte mein Ränzelchen und ging in einer stillen Juliusnacht über die Berge meiner Heimat nach Sachsen hinaus.

Da gab es Krieg und Krieg, Beängstigungen und Hofnungen. Ich nahm Theil daran, aber nur oberflächlich. Andre Gedanken bewegten sich zu mächtig in mir. Man widerrieth mir nach Hamburg zu gehen: da wären die Franzosen, aber keine Schiffe für England. Ich ging nach Lübeck in der Hofnung eine Ueberfahrt nach Kopenhagen zu finden, und mir dort weiter zu helfen. In Lübeck las ich am Tage meiner Ankunft in den Zeitungsanzeigen, in Holstein auf dem Lande werde ein Musiklehrer gesucht; wer dazu Neigung habe solle sich melden bei dem Cantor der Marienkirche. Das kam mir vor wie eine Weisung ruhigere Zeiten abzuwarten. Ich meldete mich – – und so kam ich hieher.«

Mit fieberhafter Bewegung, bald abgebrochen, bald bei einzelnen Momenten verweilend, hatte Fidelis gesprochen; Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und seine Lippen zitterten; der Doppelausdruck seines Gesichts, die geistige Kraft und die Macht der Leidenschaft, war noch nie so lebendig mir entgegen getreten. Hinter seiner äußern Ruhe und schüchternen Zurückgezogenheit mogte es, [] wie hinter dem Nonnenschleier seiner schönen zärtlichschwärmerischen Mutter, nicht so gelassen zugegangen sein, als man es nach der ewigen Selbstbeherrschung glauben durfte, mit der er sich selbst im Zügel zu halten gewohnt war. Wol hatte ich ihn in der letzten Zeit von jenen Orkanen des Gefühls durchstürmt gesehen unter denen das Herz wie der Frühling nach Wiedergeburt ringt. Doch so wie heute sah ich ihn nie! Er lag am Boden, der Titane war gefesselt, überwunden und zerbrochen. Meine elende Seele erschrack vor ihm und vor seiner fürchterlichen Liebe, die gleichsam mit Gott um seine Seele rang. Also auch er, dieser Mensch von Stahl und Gold, war nicht unerschütterlich, harrte nicht aus bei dem Einen, kämpfte nur so lange es eben ging – und ergab sich dann! – Und wem? – Mir! – Einem Weibe das die Verwirklichung einer Chimäre suchte, und gänzlich unfähig war seine Liebe in gleichem Maß zu erwidern.

Er schwieg und ich schwieg auch. Ich dachte an meine Verblendung neben ihm in Venedig ein Bild meiner Phantasie, einen Otbert zu lieben! – ich dachte daran wie mein Herz seitdem so morsch, so hohl in diesen Enttäuschungen geworden sei, daß es wol noch sich nach Liebe sehnen, aber nicht [] mehr sie empfinden, ja nicht einmal die seine begreifen könne. Ich hielt in diesen wenigen Secunden Gericht über mich – aber in dem Augenblick wo ich den Stab hätte brechen sollen warf ich mich in Todesangst in die aufschwellende Flut des Gefühls und dachte: Vielleicht trägt sie mich dennoch an ein lieblicheres Gestade! leiden ist nichts; – lieben ist Alles! –

»Nun weiter, Fidelis!« sprach ich sanft und nahm seine Hand.

»Es giebt nichts weiter, entgegnete er. Jezt wäre nur noch von den Resultaten meiner jugendlichen Entschlüsse und Bestrebungen zu reden, und die sind dürftig genug. Ich bin allerdings ein ziemlich tüchtiger Musiker, aber sehr fern von der früher geträumten Größe. Und was die Freiheit betrift von der ich mein höchstes Heil erwartete: so habe ich erkannt, daß ich derselben nicht fähig war. Eine Liebe – die unsinnigste und zugleich die göttlichste, hat mich unfrei gemacht! Sie war verboten .... aber zugleich durch eine solche Kluft von Unmöglichkeiten von mir getrennt, daß diese mich sicher machten. Wie auf den schwindelnden Brückenstegen des Hochgebirges fühlte ich mich: Hält dich der wankende Steg über dem Abgrund – wolan! so zeugt das von Muth, Macht und[] Glück; trägt er dich nicht, so geht deine Schuld vielleicht in dem Sturz unter! – Aber weil ich mich von dieser Liebe umstrickt fühlte, so hatte ich keine feste Zuversicht zu mir selbst. Ich mißtraute mir und meinen Leistungen. Ich glaubte in ihnen allen die Fessel wahrzunehmen, die mich zu Zeiten dermaßen band, daß Kunst und Genie mir Puppenspiel und Fratze schienen, und ein Wort, ein Blick der Liebe – Wahrheit und Heil! Ich glaubte sie trügen den eisernen Reif, der sich zu Zeiten um meine Stirn und Brust schmiedete und sie unzugänglich für den labenden Anhauch aus einer höheren Welt, unempfindlich für die frischen Lüfte aus geistigen Regionen machte. Die stolze Jugendfreude an mir selbst, an der Welt und dem Leben ging mir unter, und ohne diese Freudigkeit – welche den tiefen Melancholien jeder schöpferischen Richtung die Waage halten muß – ist es schwer, wol gar unmöglich Ausgezeichnetes zu leisten. Meine Liebe machte mich schüchtern, und der Genius will auf einem sichern Boden die Grundlage seines Tempels gründen. In ein Meer von Verworrenheit und Wirrsal, von Anziehungs- und Abstoßungskraft, von Selbstbeherrschung und Erschlaffung, von Feigheit und Tollkühnheit bin ich durch sie gerathen, und tausendmal hab' ich gedacht: Wer doch [] den Rath seiner Mutter befolgt und sich aus diesem Wellenstrudel zu dem Crucifix auf der Felsenklippe gerettet hätte! – Aber nichts da! Unüberwindlich lockte mich die Lorelei .... nur sie! Dieselbe Allmacht welche bewirkte daß sie mich unangetastet in ihrer Zauberwelt hielt, machte auch daß ich mich von ihr nicht losreißen konnte. Durch lange Jahre der Trennung herrschte sie! in den bittersten Erkenntnißschmerzen meiner Thorheit und Nichtigkeit herrschte sie! über meinem künstlerischen Thun und Treiben herrschte sie! über meine Entschlüsse, meine Richtung, meine Gedanken, meine Seele herrscht sie dermaßen, daß keine Vernunft, noch Kraft, noch Uebung stark genug waren – um ihr in meinem Herzen stumm zu huldigen und sie stumm darin zu begraben. Dies ist das »Weiter« wonach Sie fragen.«

Immer wenn Fidelis schwieg erschrack ich. Jezt wird er hoffen daß ich ihm etwas Aehnliches sage – dachte ich mit Herzpochen – ach, Du Unselige, weshalb hast du ihm ein Geständniß abgelockt? Veranlaßt eine Frau einen Mann zu solchem Vertrauen, so ist es ein Beweis daß sie bereits durch ihn gerührt ist. Erheuchelt sie die Rührung, so ist sie eine erbärmliche Kokette! Aber ich hatte sie nicht erheuchelt, nur ersehnt. Was ich eigentlich [] wünschte war: unter dem Tropenhimmel seiner Liebe meine Erstarrung zu verlieren. Seine Wärme that mir wol, sein Schwung hob mich, seine Kraft labte mich – das Alles brauchte ich, fand ich bei ihm .... und wie auf mein Eigenthum legte ich meine harte kalte Hand darauf. Ich schauderte vor mir selbst. Um nur Etwas zu sagen, sagte ich ganz stupid:

»Sie verleumden sich indem Sie sich schwach nennen, Fidelis! Ihr ganzes Leben ist ja eine Kette aus Ringen von Erz.«

»Ein Gelübde kann man immer erfüllen – Gott allein weiß wie! – Aber die Kette selbst doch zuweilen als eine Kette zu fühlen: das eben beweist daß man schwach ist! Schwäche ist Knechtschaft .... und ich! ich! der nicht äußerlich gebunden sein wollte, bin innerlich Knecht – ich! der äußere Sclaverei mehr als den Tod fürchtete, bin nicht im Stande zu sagen: ich bin frei! Obgleich mir die weite Welt offen steht, obgleich ich vor Niemand außer vor meinem Gewissen Rechenschaft meines Thuns abzulegen brauche, obgleich meine Bedürfnisse noch geringer sind als meine Gewohnheiten, und Entbehrung mich nicht drückt – trotz all dieser Bedingungen der Freiheit bin ich nicht frei! – Sclav des Goldes, der Eitelkeit, der Sinnlichkeit, [] des Ehrgeizes zu sein – hab' ich gemieden, denn das Alles lockte mich nicht, war unschön, kleinlich oder roh. Sclav der Liebe mußte ich werden – der Idee der Liebe! denn ich liebe kein Weib, sondern eine von den Schicksalsgestalten, welche hie und da ins Leben hinein gestellt werden, damit sich an und in ihnen, und für und um sie seltene Geschicke ausleben, Anderen zur Warnung oder zum Beispiel.«

»O Fidelis! wenn Sie mich so erkennen, wie können Sie mich denn lieben?« fragt' ich schmerzlich.

»Ich weiß es nicht! sagte er niedergeschlagen. Es ist etwas Gewaltiges in Ihnen. Dies rastlose Suchen, das durch kein Glück und keinen Genuß der Welt befriedigt – durch keine Polster des Glanzes, des Reichthums und des Behagens ausgeruht – durch kein Lernen, Wissen und Thun beschwichtigt – durch kein Schellengeklingel der Eitelkeit und Thorheit betäubt wird: das gehört keiner gemeinen Natur an. Sie haben eine ganz abgründliche Seele, so abgründlich daß Niemand deren Tiefe ermessen hat, denn kein Senkblei reicht so weit hinab. Was ist denn da unten, Sibylle? soll es ein ewiges Geheimniß bleiben? lagert sich diese Wolkenschicht über einem Sonnenhimmel oder, über der Leere? Sie sind klug, gut, tugendhaft,[] großmüthig, menschenfreundlich – aber ohne Freude darüber, ohne Genuß daran. Sie sind ohne Schwäche und ohne Leidenschaft, Sie hassen nicht, Sie können verzeihen« .... – –

»Ja ja ja! rief ich in einem Paroxysmus von Schmerz: so bin ich! das kann ich! Aber ich kann Eines nicht .... ich kann nicht lieben! – ich handle nie aus vollem Drang und Trieb des innersten Lebens. Meine Phantasie malt mir das Gute und Schöne mit den bezauberndsten Farben vor; dann betrachte ich diese Gebilde mit der Reflexion, die Farben schwinden, aber die Ueberlegung sagt mir, auch die Pflanze ohne Blüte verdiene Pflege. Dem gemäß handle ich klug, gut wenn Sie wollen; aber .... ich behandle das wie ein Rechenexempel, welches ein richtiges Facit ergeben muß. Schwung der Seele macht allein glücklich. Er führt jene Stürme herbei welche diese verhüllenden Wolkenschichten, wie Sie sie nennen, zerstreuen. Mögen dabei Fehltritte und Schwachheiten vorkommen – sie werden schon ihren Rächer finden – es kommen auch wunderschöne, schmetterlingsartige Entwickelungen zum Vorschein und hauptsächlich: man fühlt sich unter Einfluß und Lenkung einer höheren Gewalt als unsre Klügelei ist! – Es ist vernichtend für einen ganzen Lebensweg [] auf die Klügelei angewiesen zu sein! Die Menschen nennen es Klugheit, Tugend, Vernunft; – ich Fidelis – nenne es von Gott vergessen sein.«

»Wer geliebt wird ist nie ganz von Gott vergessen,« sagte er und kniete vor mir nieder.

»Das mag sein! – aber ich verstehe Ihre Liebe nicht;« entgegnete ich, wieder aus diesem fragenden Forschungstrieb, der mich wünschen ließ ein Herz wie ein anatomisches Präparat vor mir zu haben.

»Ich glaub' es!« entgegnete er entmuthigt.

– – – – –

So war denn nun ein fürchterlich qualvolles Verhältniß zwischen ihm und mir. Seine Erzählung hatte es in uns Beiden so recht zum Bewußtsein gebracht, daß ich ihn nicht liebe. Hätte ich sonst nicht überwunden von dieser unbegreiflichen Liebe in seine Arme oder zu seinen Füßen hinsinken müssen? hätte ich nicht den Lohn für die Treue und die anbetende Huldigung eines halben Lebens in die Extase einer Minute zusammendrängen können? hätte ich nicht diesem Herzen, das ich mit meiner ewigen Wissensqual durchgraben und aufgewühlt hatte, ein beseligendes Ausruhen an dem meinen gönnen sollen? – – Aber nichts von dem [] Allen. Ich wußte nun daß und wie er mich liebe, und ich gestand mir ein, daß ich, so lange ich dies nur geahnt, mir eine größere Wirkung davon versprochen hatte – Beseligung, Verklärung, Offenbarungen die ich nicht empfand.

Fidelis verfiel in eine unsägliche Schwermuth. Tagelang kam er gar nicht zum Vorschein, oder wenn – so doch nur in den Stunden wo die ganze Hausgesellschaft um mich versammelt war. In der ersten Zeit nachdem ich ihm sein Geständniß entlockt und ihm dadurch Hofnung gegeben hatte, war es ihm Bedürfniß und Labsal gewesen den Goldstrom der Empfindung schrankenlos an mir vorüberfluten zu lassen; nun wurde er wieder sorgsam eingedämmt. Allein das kostet eine ganz andre Mühe als wenn der Damm nie weggerissen worden ist. Ich zitterte vor ihm; ich war unsinnig genug zu fürchten er könne mir in einem Ausbruch von Verzweiflung Vorwürfe machen daß ich ihn nicht damals abreisen ließ. Ich hätte mein Leben drum gegeben, wenn ich das Verhältniß wieder auf den Standpunkt hätte führen können wo es bei meiner Rückkehr von Hannover war, als ich mich unbestimmt hofnungsfreudig neben ihm fühlte. Ich fragte ihn einmal ob er jezt viel arbeite.

»Sehr viel,« entgegnete er. Doch ich hörte an [] seinem Ausdruck daß er nicht musikalische Arbeit im Sinn habe.

Indessen nach und nach schien er doch wieder zu einiger Sammlung zu kommen, und der geliebten Musik mit Andacht sich zu widmen. Sie war ja seine erste Liebe! – Es währte nicht lange so brachte er uns einige Gesänge aus dem Salomonischen Hohen Liede. Als ich sie hörte rief ich:

»Fidelis! ich sehe den Karfunkel und den Saphir auf Ihrem Goldreif!«

»Nicht wahr?« fragte er und sah mich an.

»Aber sie sind auch noch mit Perlen überrieselt,« setzte ich hinzu.

»O, sagte er mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck, Sie sind klug, Sibylle, so klug daß Sie das Gefühl nachfühlen ohne es wirklich zu fühlen. Das klingt etwas mystisch, nicht wahr? Ich bitte, halten Sie es der Nachwirkung des mystischen Salomonischen Liedes zu gut.«

Er selbst hatte wie immer den biblischen Text zusammen gestellt, aber nicht lateinisch – sondern zum ersten Mal deutsch. Mir traten die Thränen in die Augen über diese deutschen Worte. Sein Herz spricht darin – sagte ich zu mir selbst – zum ersten Mal hat es der Liebe Worte gegeben und das konnte nur in der Muttersprache sein.

[] O ich begriff das Alles! ich verfolgte all diese Schattirungen mit Rührung, mit Freude; aber bei dem himmlischen Schluß des Gesanges, der so ganz auf Fidelis paßte:

»Ich schlafe, aber mein Herz wacht« – sagte ich: »Bei mir ist's grade umgekehrt: ich wache, und mein Herz schläft.«

Der Frühling war gekommen in seiner ewigjungen Lieblichkeit, mit seiner ewigneuen Erlösungskraft. Die winterliche Befangenheit schien sich zu lösen und vor den weichen Lüften zu schmelzen. Fidelis sah aus als habe er eine Auferstehung gehalten; ich faßte wieder etwas Muth zum Leben; da kam er eines Morgens zu mir mit der Erklärung: er müsse nun fort.

»Fort? jezt fort? aber weshalb denn jezt?« stammelte ich starr vor Erstaunen.

»Gerade jezt! entgegnete er mit einer himmlischen Liebe im Blick. Jezt ist es wieder uns Beiden möglich ohne Verzweiflung an einander zu denken – folglich ist die Trennung auszuhalten; meinerseits sag' ich nicht .... zu ertragen.«

»Meinerseits .... nicht auszuhalten! rief ich bewildert. Fidelis, ich komme um wenn Sie mich verlassen.«

»Nicht doch! nicht doch! Sie ertragen Schmerz,[] Verlust, Täuschungen, Erfahrungen mit seltner Kraft. Sie haben früh gelernt sich zu fassen und zu überwinden, und das Schicksal hat Sie eine tüchtige Schule in dieser Richtung durchmachen lassen; ich sage mit Ueberzeugung: Sie werden es ertragen, meine geliebte Gräfin.«

»Ja, Fidelis, ja, ich werd' es ertragen! rief ich außer mir; aber wie Niobe, indem ich versteinere. O bleiben Sie bei mir! es ist in Ihnen ein Gemisch von Wärme und Kraft, von Energie und von Innigkeit, von Schwung und von Klarheit – welches um Sie eine eigenthümliche Atmosphäre voll Glanz und Frische verbreitet in der mir wol ist. Im tiefeinsamen Wald, im Hochgebirg, auf dem Ocean – da weht auch so ein wunderbar erfrischender Lebenshauch, so ein Aether der in unsrer engen schwülen kleinlichen Alltagswelt nicht wehen kann, und der sich daher in die Seelen der Auserwählten flüchtete, welche die großartigen Anlagen der Natur wie durch Mirakel auch großartig entwickelt und deren Tiefe, Höhe und Weite mit einer göttlichen Essenz von Liebe gefüllt und durchdrungen haben. Alle Menschen kommen mir vor wie Schatten .... aber Sie haben ein Sein. Sie können was Sie wollen – nicht heut und nicht morgen, sondern immer! Sie halten fest, Sie vergessen [] nicht, Sie trösten sich nicht mit dem Endlichen darüber daß die Unendlichkeit nicht mit Händen zu greifen ist! Sie sind unüberwindlich wie die gefeyten Helden der Romantik! O lassen Sie mich leben von Ihrem Leben und bleiben Sie bei mir, Fidelis!«

»Aber siehst Du denn nicht, Du unseliges Weib, daß Du zehren willst vom Mark meines Lebens?« fragte er mit einem Ton der mich durchschauerte.

»Ja, ich seh' es,« sagte ich vernichtet.

»Nun dann werden Sie auch sehen, daß ich nicht bleiben kann, nahm er nach einer Pause das Wort. Ich liebe Sie – ich mögte aus Liebe den Athem meiner Seele und das Blut meines Herzens Ihnen geben – und Sie .... Sie mögten wie ein himmlischer Vampyr dies Herzblut saugen, diesen Seelenhauch trinken um .... ja warum? – um zu erproben ob ich Stich halte Ihren abstracten Vorstellungen von Unwandelbarkeit. Das ist Unsinn, Sibylle! Unsinn es zu begehren, Unsinn darauf einzugehen. Ich würde ewig in die Versuchung geführt werden den Blick Ihres schönen Auges, das Lächeln Ihres holden Mundes, jeden Händedruck, jedes Wort, jede Frage, jedes Zeichen von Theilnahme mit und nach mienem [] Herzen zu deuten, und da ich Sie liebe, so wäre das ganz aber ganz unaushaltbar.«

»O bleib .... aus Erbarmen!« rief ich und fiel halb besinnungslos auf meine Knie und hob flehend die Arme zu ihm empor.

»Welch eine Folter! sagte er dumpf. Sibylle, wenn ich bleibe, so bleib' ich aus unheilvoller Schwäche der Liebe .... nicht aus Erbarmen.«

»Er bleibt! o Gott, er bleibt!« rief ich jubelvoll.

Er riß mich auf vom Boden und in seine Arme.

»Willst Du denn durchaus daß ich zu Deinen Füßen sterben soll?« fragte er mit erstickter Stimme.

»Nein nein! o nein!« jauchzte ich, bog seinen Kopf zu mir herab und küßte seine Stirn.

– – O ich unseliges Weib! armer Fidelis! – – – – – – –

»Lebewol!« sagte ich mit vernichtender Kälte.

»Sibylle!« schrie er mit einem Ton als würde ihm ein Dolch in die Brust gestoßen. Er lag zu meinen Füßen; er wollte meine Hand nehmen; ich zog sie zurück. Die Vergötterung, die Andacht waren dahin! geliebt hatte ich ihn nicht; – er war mir nichts mehr als ein ganz gewöhnlicher Mann. Auch an ihn glaubte ich nicht mehr! – »Erbarmen! nur jezt kein Lebewol! nur nicht in diesem Augenblick!« flehte er.

[] »Lebwol, Fidelis! sagte ich mit unbeweglicher schauerlicher Kälte, die mein ganzes Wesen paralysirte; – lebwol! und kannst Du auch noch beten, Fidelis?«

Er stand langsam auf. Er trat von mir zurück mit einem unbeschreiblichen Ausdruck in welchem Zorn und Schmerz, Entsetzen und Liebe kämpften, und über welchen eine namenlose Wehmuth wie ein schwerer Trauerflor gebreitet war. So sagte er:

»Ob ich beten kann fragst Du? ich weiß es nicht, Sibylle! .... aber das weiß ich: Du – wirst es nie und nimmer können! – Lebwol.«

Langsam ging er der Thür zu. Auch ich war aufgestanden, hatte meine Arme um eine Säule geschlungen die einen Candelaber trug, und lehnte meine Stirn an den Marmor. Ich sah nicht mich um, nicht ihn an! ich sah nichts .... als jenen schwarzen Abgrund vor mir, in mir, in welchem Alles! Alles! untergewirbelt wird. Aber er blieb stehen. Er konnte nicht in Groll und Zorn von mir scheiden. Er wollte nicht daß ich den Dolch in seiner Brust sehen sollte. Er kehrte zurück, legte die Hand auf mein Haupt und sagte mit seiner tiefen von Empfindung vibrirenden Stimme:

»Sibylle! nicht für mich, aber für Dich, Du [] ewiggeliebtes Geschöpf, werd' ich dennoch beten können. Lebwol.«

Er drückte meine Hand an seine Stirn und Lippen, und ich fühlte an dem eisernen und doch bebenden Griff der seinen in welcher Bewegung er war. Aber kein Wort, kein Blick, keine Regung verrieth ihm Theilnahme oder Trost. Da sagte er abermals mit jenem unsäglich schmerzhaften Ausdruck:

»Oh! Sibylle!« und verließ mein Zimmer. Er ging. Durch mein Cabinet, durch das Musikzimmer, durch den Salon hört' ich seinen raschen Schritt hallen – und verhallen. Dann hört' ich nichts mehr. Ich horchte .... horchte .... umsonst! .... nichts mehr! – Da machte es sich um mich herum wie eine ungeheure Leere zurecht. Ich glitt an der Säule nieder und ächzte:

Er kann beten, denn Er liebt! – aber ich nicht! Und der wilde Schmerz am Herzen, der mich bei großen Emotionen mit der Gewalt eines Starrkrampfs packte, bemeisterte sich auch jezt meiner.

Ich habe Fidelis nicht wieder gesehen.

– – – –

Jezt folgen zwei Jahr von denen ich eigentlich gar keine andre Erinnerung habe, als daß ich körperlich litt! Bei der geringsten Anstrengung einen [] ganz lähmenden Schmerz! Ich lag auf dem Ruhebett und – litt. Die Kinder, die Geschäfte – Alles ging wie es ging! ich konnte mich um nichts kümmern, denn mir fehlte die Kraft meine Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand zu richten. Mißachtet hatte ich immer das Thun und Treiben der Menschen; das war übel! – jezt verachtete ich mich; das ist am schlimmsten! Vielleicht war das die Eisscholle die mir auf dem Herzen drückte und in dessen Wunden immer scharf und frisch hineinschnitt. Ich kann nicht sagen, daß ich Fidelis verachtet hätte; aber ich bemitleidete ihn. Ich hatte den Sohn der Sterne zum Sohn des Staubes gemacht! ich konnt' es ihm nicht vergeben, daß er nicht stärker gewesen, daß er für und durch mich aus seiner Glorie herausgetreten war, zu der ich aufgeschaut hatte mein Lebenlang mit der einzigen wahren Andacht meiner Seele. Und andrerseits konnt' ich ihm nicht vergeben daß ich ihn verloren hatte, daß sein belebender, geist- und seelenvoller Umgang, daß die Nähe eines zuverlässigen, rücksichtslos ergebenen Freundes mir fehlte – daß ich ihn in meinem an Entbehrungen über reichen Leben auch noch entbehren mußte. Ich hatte nun gar nichts mehr; denn ich besaß nicht einmal das, was alle Menschen in ihr späteres Leben mitnehmen: [] Erinnerungen. Sie waren todt oder welk, und mir fehlte die Gabe sie lebendig zu machen und meine arme Gegenwart mit ihnen zu schmücken.

War es eine Wiederkehr physischer, oder ein Zusammenraffen geistiger Kraft – genug, plötzlich überfiel mich die Angst ich könne in den nervosen Marasmus meiner armen Mutter versinken und mein Kind derselben innern Entwickelung oder Verwahrlosung – wie soll ich sie nennen! – Preis geben, die ich bei mir selbst für so schädlich erkannt hatte. Die Aerzte riethen mir überdas Veränderung der Luft und Umgebung, und ich fühlte mich durch diese acht Jahr eines ununterbrochenen Aufenthaltes in Engelau so ausgesogen, so zusammengeschrumpft, daß mir wie einem Kranken im abgesperrten Zimmer die Lebensluft ausging. Gespenster, Gespenster wohin ich blickte! Gespenster meiner Menschen, meiner Hofnungen, meiner Thaten, meiner Gefühle! Gespenster von Epochen, Tagen, Stunden, an diese Räume, an diese Localitäten gebannt, äußerlich mich umzingelnd, die innere Oede nicht füllend. Ich wollte fort um etwas Andres zu sehen als diese Gespenster und um den Kindern etwas Andres zu zeigen als die melancholische kränkliche Mutter. Ich wollte fort um meine Geschäfte welche sich in diesen zwei [] Jahren durch Otberts wahnsinnige Verschwendung und meine Untüchtigkeit bedenklich verschlechtert hatten, zu ordnen. Ich selbst konnte es nicht. Ich übertrug also die Verwaltung meines Vermögens einer Vormundschaft von redlichen und verständigen Männern, welche das Recht meiner Tochter hauptsächlich gegen Otberts Foderungen vertheidigen sollten. Uebrigens theilte ich mein Einkommen nach wie vor mit ihm, und so trat ich meine Reise zu meinem Onkel dem Bischof an. – Sie that mir wol, die Bewegung, der Wechsel, die freudige Neugier der Kinder zerstreuten mich; der herzliche Empfang des geliebten und verehrten Greises erquickte mich. So gab es doch wirklich noch einen Menschen auf der Welt, der an mir Theil nahm, der sich für mein Wol ergehen interessirte! – Aber er war bereits fünfundsiebzig Jahr alt, und körperlich sehr schwach. Er konnte gar nicht sein Zimmer, kaum seinen Lehnstuhl verlassen: die Füße trugen ihn nicht mehr. Und doch keine Spur von Abgestorbenheit! sein Herz war frisch. Er hatte es immer für Andre, nie für sich in Athem gehalten, daher fehlte ihm auch jezt die Thätigkeit und Regsamkeit nicht, welche bei Denjenigen im Alter so leicht versiegt, welche ihr Herz mit selbstischen Bestrebungen überfüllt haben. Es wird ertränkt [] im Durst der Ichsucht. Den kannte er nicht. Er schien Alles zu besitzen – für Andere. Was Jeder begehrte fand er bei ihm: Rath oder That, Gold oder Liebe.

Mir war in Würzburg als wehe ein linder Thauwind über die Eisgefilde meiner Seele. Zum ersten Mal seit meiner Trennung von Fidelis trat mir sein Bild ohne herbe Bitterkeit nur mit unsäglicher Wehmuth entgegen. Ich ging in den Dom zu jenem Platz am Pfeiler wo ich einst ihn beten sah. Ich fand ihn gleich. Er kam mir geweiht, geschmückt, erleuchtet vor, als sei ein Engel über ihn fortgeschritten. Ich bin's nicht werth ihn zu betreten, sprach ich zu mir selbst. Aber daneben sank ich zu Boden. Ich kann nicht sagen, daß ich kniete, daß ich betete; nein! ich lag nur da und ächzte stummen Jammer aus. Hier ahnte ihn zum ersten Mal das kindische Mädchenherz; aber unbewußt ging es an ihm vorüber und zu einem andern Mann. Hier fand das Weib ihn nach Jahren wieder, befähigt ihn zu erkennen und zu würdigen; aber es war verblendet, erkannte und würdigte ihn nicht, und ging abermals an ihm vorüber und zu einem andern Mann. Jezt war ich zum dritten Mal auf dieser Stätte, doch ohne ihn. Auch er, sogar er! war dem Fluch des Daseins [] erlegen: der Schwäche. Dennoch blieb er das Altarbild in meinem Leben, aber – es war verschleiert.

An die Kirche zu der er gehörte, welche die Ihren liebt und nicht belehrt – wie Fidelis sagte – dachte ich viel. Eine geistige Gemeinschaft mit ihm, vermittelt durch Gebet, geheiligt durch Andacht, wäre mir süß gewesen. Ohnehin hatte ich Veranlassung mich mit ihr zu beschäftigen, denn ich vergaß nicht Arabellas letzten Wunsch Astralis in der Katholischen Religion zu erziehen; ich wollte sie in eine gute Erziehungsanstalt geben. Die der Damen vom Sacré Coeur zu Freiburg in der Schweiz wurde mir sehr gerühmt; das paßte zu meinem Vorhaben mich auf einige Jahre in der Schweiz niederzulassen, und Benvenuta in Genf oder Lausanne zu erziehen. Einstweilen aber bekamen Beide in Würzburg passenden Unterricht, denn ich konnte mich nicht entschließen meinen guten Onkel jezt zu verlassen, da die Aerzte mir sagten: das friedliche Erlöschen seiner Lebenskraft stehe täglich in Aussicht.

Nicht nur Sommer und Herbst, auch den ganzen Winter blieb ich bei ihm, und nicht blos aus Anhänglichkeit, sondern auch aus Interesse andrer Art: ich dachte an meinen Uebertritt zur Katholischen [] Kirche, oder vielmehr: ich nahm diesen Gedanken wieder auf. Ich hatte lange Gespräche mit meinem Onkel über religiöse Fragen und Lehren; ich las mit Aufmerksamkeit Alles was diesen Punkt betraf, Controversen für und gegen; die alten Kirchenväter und die neuen Rationalisten der protestantischen Theologie; Lamennais und Schleiermacher, Fénélon und Strauß. Ebenso unsinnig wie ich im Studium der alten Sprachen und der Mathematik – Weisheit zu finden gewähnt hatte, wähnte ich jezt in der Theologie – Religion zu finden. Ich folgte ziemlich geschickt den Subtilitäten der Dialektik, welche wie auf dem gespannten Seil der Tänzer seine Schritte, vorsichtig und pünktlich ihre Beweise setzt. Kam nun aber der Augenblick wo der letzte Beweis dem fraglichen Punkt die Krone aufsetzen oder ihn zu Boden schmettern sollte, so faßte ich ihn gelassen ins Auge und sprach zu mir selbst: Also die sogenannte Wahrheit dieses Lehrsatzes ist bewiesen; nun gut! was man mir bewiesen hat glaub' ich aber nicht, und mir thut Glaube noth! – – Das war höchst richtig; nur bedachte ich nicht daß man aus Büchern freilich Ueberzeugungen, aber nimmermehr Glauben schöpfen kann. Glaube ist das Element in welchem eine liebende, schwungvolle, kräftige [] Seele zugleich ihre Wiege, ihre Ruhe und ihre Nahrung findet. Da unsre Zeit einen unermeßlichen Mangel an Liebe, Schwung und Kraft hat, und da ich eine ächte und rechte Tochter unsrer Zeit bin, so war meiner Seele nichts so fern als grade der Glaube. Ich las und las unermüdlich weiter.

Gott, wie disputirte ich zuweilen mit meinem guten Onkel über die Mysterien und Wunder der Kirche. O wie oft sagte er gelassen:

»Kind! Du weißt nicht woher der Wind weht – nicht wie die Sterne der Milchstraße gehen – nicht woher der dürre Zweig die Rose treibt – nicht was das Leben ist – nicht wohin der Tod Dich bringt. Wenn Du das Alles wirst ergründet haben, dann sage: es giebt keine Mysterien! dann will auch ich zweifeln! bis dahin glaub' ich an sie. Was bedeutet denn das: Mysterien und Wunder verneinen? sehr wenig, mein liebes Kind! nur etwa dies: den Sternenhimmel leugnen, weil man die Nächte hindurch schläft; oder die Sonne leugnen, weil man in einer Nebelatmosphäre lebt. Die Verneinung, Kind, hat es immer nur mit Schatten, nicht mit den Wesen zu thun. In der Bejahung liegt ein Sein, eine Essenz, ein Leben; sie verfährt schöpferisch, wie die Wahrheit, wie die [] Allmacht, wie die Liebe. Die Negation ist impotent, und ich meine daß nur dürftige Naturen, nur unvollkommne Charactere bei denen die kritisch forschende Richtung das Herzblut in Gehirn verwandelt hat, sich ihr hingeben können. Hast Du diese Richtung so wende Dich der Wissenschaft zu: da kannst Du ergründen und erkennen, und das kann Dir vielleicht eine gesunde, heilsame Nahrung sein. Die Religion bietet freilich ein ganz andres, höheres Labsal, allein nur glauben und lieben gilt in ihr, und dies beruht auf Intuition nicht auf Forschung.

»Welch eine Ungerechtigkeit des gerechten Gottes, rief ich heftig, mit dieser Intuition nur einige Auserwählte begnadet zu haben.«

»Meinst Du? sagte er mild. Nun, laß Dir doch einmal von dem geschwätzigen Alten eine Parabel erzählen. Ein Gärtner sprach zu seinem ältesten Sohn: In diesen Blumentopf habe ich den Kern einer köstlichen Frucht niedergelegt. Laß ihn keimen, treiben, wachsen im Stillen und in der dunkeln Erde; gieb ihm Wasser, gieb ihm auch Sonne und Schatten je nachdem er es bedarf; laß Dir Zeit, und es wird daraus der schönste Baum der Welt werden Der Sohn that nach des Vaters Gebot, ließ sich keine Mühe, [] keine Zeit, keine Geduld verdrießen, und siehe! allendlich kam der Keim glänzend grün über der schwarzen Erde zum Vorschein, wuchs, trieb Blätter, ward ein Stämmchen, ein Stamm, ein Baum, immer ganz langsam und allmälig – und zuletzt .... der schönste Baum der Welt, der Orangenbaum! Wie freute sich der Sohn über diese Herrlichkeit! Laub, Blüten, Früchte – Alles war unvergleichlich! Schatten, Duft und Erquickung strömten in Fülle auf ihn nieder, und alle Tage seines Lebens dankte er dem Vater für dies segensreiche Geschenk und bat ihn es vererben zu dürfen auf Kind und Kindeskind; und der gute Vater Gärtner entgegnete freundlich: Dazu habe ich Dir eben den Baum geschenkt. – Für seinen jüngern Sohn hatte er desgleichen einen Kern in die Erde gesteckt; er gab ihm dieselben Lehren und Rathschläge und dieselben Verheißungen, aber dieser Sohn befolgte sie nicht! Wie? sprach er zu sich selbst, der ganze herrliche Baum soll in dem Kern stecken? wie ist das möglich? wie kann das zugehen? ich muß sehen wie das zugeht! – Um das Werden zu belauschen kratzte er sorgsam die Erde ab und beobachtete den Kern. Natürlich sah er nichts. Das langweilte den Knaben. Man muß ihm helfen! sprach er, begoß ihn übermäßig, [] stellte den Blumentopf in die Sonne, dann auf den Heerd, grub auch die Erde um – kurz, er that alles Mögliche unnütze und nur nicht das Eine: er gönnte dem Kern nicht in der Stille und Dunkelheit zu keimen und Wurzeln zu schlagen. Was ist denn das? sprach unwillig der Knabe; so viel Mühe habe ich mir gegeben und es kommt und kommt nichts zum Vorschein! das muß kein ächter Kern sein! Er kratzte ihn heraus, betrachtete ihn rundum, stach mit einem spitzen Messerchen hinein, schälte die Oberhaut ab, und steckte ihn zuletzt unwillig wieder in die Erde. Aber all diese Experimente hatten den Kern getödtet. Er war saftlos und kraftlos zusammengeschrumpft. Der Knabe aber stand neben dem Blumentopf in dessen fetter guter Erde die Regenwürmer treflich gediehen, und klagte und zürnte daß sein Vater, der gute Gärtner, ihm einen tauben Kern gegeben habe, was doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit sei.«

»Ah! schrie ich, mein Vater, das ist allzu gräßlich, denn es ist ganz wahr: in der guten Erde meiner Natur gedeihen Würmer! der Kern, aus dem der schönste Baum der Welt hervorgehen sollte, ist verschrumpft. Kann er nie mehr grünen?«

Ich warf mich vor ihm nieder und legte den [] Kopf auf seine Knie, während er sanft meine Stirn berührte und eben so sanft sagte:

»Hofnung läßt nicht zu Schanden werden! Bete, meine Tochter! Es ist viel Gutes in Dir; ein großer Durst nach Wahrheit und ein mächtiges Ringen; nur ist es zu himmelstürmerisch, zu sehr äußere Mittel verwendend. Denk' an den Kern des Orangenbaums, gönne ihm Stille, Schatten und Sammlung. Durch sie mußt Du den Mangel einer innerlich religiösen Erziehung zu ersetzen suchen; sie hat Deiner Kindheit und Jugend gefehlt. Die Lücke die dadurch in der Seele entsteht, kann in spätern Jahren nur durch gewaltige und meistens zerreißende Umwälzungen gefüllt werden.«

Ich sah das ein; aber auch, daß diese Einsicht mich um nichts förderte. Ich sollte beten, ich sollte in frommer Stille harren; – – ja, hätte ich das gekonnt, so wäre mir freilich geholfen gewesen. Ich sagte meinem Onkel was ich früher zu Fidelis gesagt hatte:

»Meine Seele ist auf die Frage gestellt. Der fragende Ton ist der unsrer Zeit. Es wird Alles zur Frage gemacht: Gott in seinem Himmel, die Macht auf ihren Thronen, die menschlichen Zustände in ihren Höhen und Tiefen – Glaube, Geschichte und Tradition. Aber so verwegen man [] fragen, so geschickt und spitzfindig man antworten möge, welche subtile Erklärung oder stupide Negirung von Kanzel und Katheder erschallen mögen, wie man sich aufblase in dem Bewußtsein durch den Geist al pari mit Gott zu stehen und durch die Vernunft das Schöpfungswort der Welt, die Grundursach der Dinge erfaßt zu haben – dennoch, mein Vater, dennoch geht eine Geisterstimme über den majestätischen Wust unsrer Weltweisheit dahin und fragt ebenso heimlich als vernehmlich: Warum? Weshalb? Wohin? – Aber die Zwillingsstimme welche ihr sonst antwortete: Glaube, hoffe, liebe! ist übertäubt und verstummt durch die Lehren der Weltweisheit, welche doch für jene Fragen keine genügende Antwort haben. Und so hallt wie ein Klageruf voll unendlichem Weh jene Geisterstimme fort und fort, und unsre Hymnen an das Licht und an die Freiheit gellen unter ihr dahin. O mein Vater! die Erde war immer dunkel; – aber da wo an unserm Gesichtskreis der Himmel sie zu berühren scheint, schwebte sonst ein Genius im silbernen Gewande, mit goldnen Flügeln, mit einer Sonnenglorie ums Haupt, und bei seinen leisen Schwingungen quoll solch ein Strom von Glanz herab, daß die Erde davon verklärt wurde. Der Glaube war's. Nun heißt's ein [] Popanz sei es gewesen und Eure Priester hätten ihn aufgestellt. Das ist nicht wahr! was sie Popanz nennen ist nur ein Spiegelbild der höchsten und allmächtigsten Sehnsucht in jeder Menschenbrust, und haben Eure Priester verstanden diesen Wiederschein in eine himmlische Form zu gestalten: so waren sie es werth Führer und Lehrer langer Generationen zu sein.«

»Wenn Du jezt dies Vertrauen zu unsrer heiligen Kirche hast, warum trittst Du nicht in ihre Gemeinschaft? – Welche Befriedigung kannst Du in der Deinen finden?«

»O nicht die geringste, mein Vater! der Protestantismus ist in meinen Augen keine Kirche, sondern das reflectirende, opponirende, kritisirende Element, welches scharfe Wache neben der Katholischen Kirche hält. Deren immanente religiöse Lebenskraft fehlt ihm gänzlich. Er lebt von der ewig regen und thätigen Verstandesrichtung im Menschen, und wird in dieser immer fortbestehen. Eine Kirche auf ein unantastbares durch fast zwei Jahrtausende unbewegtes Dogma gegründet, bildet er nicht! höchstens Kapellen stiften seine zahllosen Secten! die Einheit fehlt ihm, dies Symbol der Göttlichkeit! das Gehirn des Menschen ist seine Basis; die der Katholischen Kirche ist das Herz. Aber ich, [] mein Vater, im Protestantismus geboren, in einer protestirenden Zeit zum Bewußtsein gekommen, ich habe eben nur die Fähigkeiten zu denen er den Impuls giebt: ich begreife Eure Kirche, ich knie vor ihr – allein .... ich glaube nicht an sie.«

Damit war Alles gesagt und mein Uebertritt unmöglich. Das sah mein Onkel auch klar ein. Er beklagte mich aufrichtig, doch ohne die geringste Beimischung von Verachtung oder Selbstüberhebung. Er hielt sich mir gegenüber als Katholik keinesweges für besser; nur für glücklicher. Und so betrachtete ich ihn auch, aber so veredelt durch inneres Glück, als ich verfinstert war durch innere Desolationen und Zwiespältigkeiten. Meine theologischen Studien setzte ich fort so lange ich in Würzburg war. Es fehlte nicht viel so hätte ich mich auf die orientalischen Sprachen geworfen, auf hebräisch namentlich um das Alte Testament in seiner wahren Sprache zu lesen, denn ich kannte genug fremde Sprachen und ihre Uebersetzungen um zu wissen, daß diese sich zu jener verhalten, wie eine Lithographie zu einem Oelgemälde.

Aber der Tod meines theuern Onkels gab meinem äußern Leben eine andre Richtung. In den ersten schönen Frühlingstagen entschlummerte er am geöfneten Fenster sitzend, durch welches Maiengrün, [] Blütenduft, Vogelsang und der Gold- und Rosenglanz des Abendhimmels ihn überströmten. Die Kinder wollten sich eben zurückziehen und küßten ihm die Hand zur Guten Nacht. Wie immer segnete er sie zärtlich, lehnte sich zurück, schloß lächelnd die Augen – und war nicht mehr. Sein Antlitz schwamm in der Verklärung zu der seine Seele aufstieg. Ich erkannte sogleich daß er todt war. So himmlisch sieht das Leben nicht aus.

»Er ist bei Gott! – Auf Eure Knie, Kinder!« sagte ich, kniete mit ihnen nieder, und ein Strom von schwarzer Traurigkeit, nicht um den Tod, sondern um das Leben, wälzte sich schwer durch meine Seele. – – –

Am Vorabend meiner Abreise nach der Schweiz ging ich in den Dom zu der bewußten Stelle, und auf ihr vergaß ich für ein Paar Augenblicke die schauerliche Vereinsamung meines Daseins. Mich überfiel eine Sehnsucht ohne Gleichen nach Fidelis – nicht ihn zu sehen, ach! nur von ihm zu wissen. In solchen Momenten war mir zu Sinn als entdecke ich in mir ein ungeahntes Gestirn, in welchem ich die Bedeutung fand: Du hast Fidelis nicht geliebt, aber Du hättest ihn lieben können unter einem schöneren Schicksalshimmel! – Und [] die bloße Ahnung von lieben können, war mir schon eine halbe Beseligung.

Bei meiner Heimkehr lag ein Brief von seiner wolbekannten Hand auf meinem Tisch, der nach Engelau adressirt und von dort hieher geschickt war. Nach drei vollen Jahren das erste Lebenszeichen von ihm! – also lebte er doch wenigstens noch! Die erste Empfindung war freudig; die nächste – namenlose Angst. Was konnte, was würde er mir sagen. Es zog sich eine furchtbare Schwüle um mich zusammen; ich ahnte einen niederschmetternden Wetterstral. War's Furcht, war's Demuth? genug, mein Instinct warf mich zu Boden und auf meinen Knien erbrach ich den verhängnißvollen Brief.

»Sibylle! Alles leiden, aber frei sein – war der Traum und der Wunsch meiner Jugend. Ich litt und war nicht frei. Die eine, die fürchterliche, die verzehrende Leidenschaft meines Lebens machte all meine Freiheit zunicht, und hat weder meinem Genius, noch meinem Herzen, noch meinem Character ihre volle Entwickelung gegönnt, wenn sie ihnen auch zuweilen Flügel gegeben hat. Es ist umsonst die Vergangenheit zu durchwühlen und zu sagen: Dies hättest du als Jüngling – jenes als Mann thun oder nicht thun sollen. Es ist gethan. Erkenntniß reift durch die That als [] bittre Frucht heran. Ich kann innerlich nicht frei sein, so mag ich es auch äußerlich nicht sein – denn ein Magnet, der stärker ist als Vernunft und Wille zieht mich in der Freiheit allewig an – – und zu Ihnen. Ich widerstehe ein Jahr, ein Paar Jahr .... länger nicht. Wozu das aber? Sie lieben mich nicht; Sie werden höchstens einmal wünschen mich wiederzusehen um mir ein Wort des Trostes zu sagen – oder der Vergebung, oder des Mitleids – lauter Dinge vor denen ich zurückschaudere, weil sie mich so fürchterlich an meine Schwäche mahnen. Mich in der Welt herum zu schleppen mit diesem Dorn in der Seele wie bisher, vermag ich länger nicht. Das Gebet meiner armen Mutter wird im vollsten Umfang Erhörung finden: ich bin auf dem Punkt das Ordenskleid der Benedictiner zu Kloster Lilienfeld zu nehmen. Meine Mutter lebt noch immer – nur um zu beten. Mein Entschluß hat sie beseligt und ich denke sie wird nun bald ihre irdische Laufbahn vollendet haben. Leben Sie wol, Sibylle! sollten Sie meiner gedenken, so sei es in Milde. Hätte ich mich meinen Jugendträumen zufolge, die in tiefer Uebereinstimmung mit meinen natürlichen Gaben waren, einzig der Kunst gewidmet, so mögte Großes aus mir geworden [] sein statt des jetzigen Stückwerks. Der Mensch entwickelt sich durch und um die Idee, die seiner Individualität zum Grunde liegt; bleibt er derselben treu, so hat er Freiheit, Macht, Muth, Energie, Alles was dazu dienen kann sie hervorzutreiben und auszubilden. Sie begehrt, braucht und verzehrt das Alles, und entfaltet sich dann zur höchsten Kraft und Schönheit in ihm, weil sie sich von den reinsten und besten Elementen seines Wesens nährt. Wird er aber seiner Idee untreu: so wird er schwach, abhängig von Zufälligkeiten, zwiespältig mit sich selbst; – und das ist mir geschehen. Aus Bruchstücken kann nichts Ganzes mehr werden! sie müssen bei Seite gebracht werden – und das thue ich mit mir selbst. Verzeihen Sie mir diese lange Auseinandersetzung, ich hielt sie für nöthig damit Ihre rastlosen Gedanken über mich zur Ruhe kommen könnten. Sibylle .... Gott segne Sie.«

Ich stand auf nachdem ich diesen Brief gelesen und sagte gelassen und ganz laut: Ja ja! der Mensch wird fertig mit seinen Qualen und seinen Wonnen! und was nach dem Zersetzungsproceß seines Wesens durch die Leidenschaft noch übrig bleibt, das wird in Sicherheit gebracht – bald bei der Gottseligkeit, bald bei der praktischen Thätigkeit; [] im Kloster oder in der Welt! Es findet immer sein Plätzchen – und nur ich! nur ich ... finde keines.

Es schien mir eine Art von Unrecht gegen mich, daß Fidelis kampfesmüde gegen die Sehnsuchtsqual, sich hinter jene Mauern zurückzog, die ihn in stillem Bann hielten. Mit ächtprotestantischem Hochmuth sah ich eine Feigheit darin sich zu einer äußerlichen Scheidewand zu flüchten. Konnt' er sich nicht verlassen auf Gott und auf die eigne Kraft? Haha! auf die eigene Kraft! rief ich mit bitterm Lachen nach einer Pause. Armer Fidelis! vielleicht hat er sich aus Demuth und Weisheit in sein Ordenskleid gehüllt! – –

Unter den zahlreichen schlaflosen Nächten meines Lebens war dies eine der finstersten. Am andern Morgen fuhr ich mit den Kindern den Main entlang nach Frankfurt und dann weiter über Basel und Bern nach Freiburg, wohin ich für die Superiorin der Damen vom Sacré Coeur Empfehlungsbriefe hatte. Astralis war jezt grade neun Jahr alt. Es wurde mir sehr schwer mich von dem lieblichen Kinde zu trennen, aber Arabellas Wunsch bestimmte mich: sie sollte in ihrer Kirche erzogen werden, d.h. sie sollte sich nicht dermaleinst in der Welt zur Katholischen Kirche halten und [] bekennen, sondern vielmehr schon jezt in der Kindheit jene religiöse Erziehung empfangen, welche den Menschen befähigt eine organische Pflanze auf dem Erdboden seiner Kirche zu werden. Nachdem ich Astralis jener Erziehungsanstalt übergeben, und um ihre neuen Verhältnisse kennen zu lernen einige Wochen in Freiburg zugebracht hatte, ging ich mit Benvenuta an den Leman um mir dort irgendwo ein Plätzchen zu suchen wo ich Hütten bauen könnte.

Das war aber unsäglich schwer wegen der verschiedenen Rücksichten welche zu beobachten waren. Pestalozzis großer Name hat der Schweiz eine pädagogische Berühmtheit verliehen, und bedeutende Institute zu Genf, Lausanne und Yverdun rechtfertigen sie. Ich wünschte mich in einer kleinen Villa bei Genf oder Lausanne niederzulassen und rechnete darauf alle Lehrer zu finden, welche Benvenuta nöthig hatte. Ich hatte mich in Bern, im Oberland und in den Ur-Kantons sechs Wochen – dann wieder in Freiburg aufgehalten; so kamen wir Anfang August aus der schönen frischen Berg- und Wiesenluft in die erstickende Hitze von Genf. Kein Landhaus, nicht einmal das einfachste Gartenhaus war für uns zu finden – Alles von Einheimischen und Fremden überfüllt. Wir wohnten im Hôtel des Bergues das eine wunderschöne [] Aussicht auf den See hat; aber Benvenuta, ungewohnt des städtischen Treibens, des Gasthofs, der beschränkten Räumlichkeit, vielleicht hauptsächlich ihrer eigenen Einsamkeit in der Fremde, bat mich schüchtern aber mit heißen Thränen die Stadt zu verlassen, und am nördlichen Ufer des Sees nach einem Landhause zu suchen. Dort fand ich nun wol einige die mir sehr zugesagt hätten, aber zu fern von Lausanne und Genf um mir Lehrer verschaffen zu können. Am nördlichen Ufer war es übrigens noch heißer! von dem Rebgelände des Jorat prallten die Sonnenstralen auf das Ufer herab und reverberirten mit scharfer Blendung aus dem See. Der Aufenthalt in den kleinen Städten – so lieblich ihre Lage – und in deren Gasthöfen – so groß ihre Bequemlichkeit war – wurde mir und meiner Tochter ganz unerträglich. Mein Herzkrampf regte sich wieder – und halbtodt vor Ermattung und Anstrengung fiel ich förmlich in der kleinen kühlen Villa paisible, eine Stunde von Vevay nieder, welche durch ein glückliches Ungefähr zu miethen war. Vor der Hand mußte ich durchaus Ruhe und Erfrischung haben. Ich richtete mich ein und fühlte mich während der ersten drei Tage ganz behaglich – aber da erkannte ich, daß diese einsame Existenz wol für mich, doch nicht [] für meine Tochter zu ertragen sei. Zum ersten Mal war sie ganz allein mit mir. Mezzoni war von Würzburg nach Italien, die Schütz nach Holstein zurückgegangen; Astralis in Freiburg geblieben! mit tiefer Anhänglichkeit umfaßte Benvenuta Lehrer und Gespielin – und urplötzlich fand sie sich von ihnen Allen getrennt und einsam bei ihrer melancholischen Mutter! – Sie gab sich unendlich viel Mühe ihre Traurigkeit zu bemeistern, und ich gab mir noch größere Mühe sie zu zerstreuen; ich übte sie nach der Natur zu zeichnen, übertrug ihr kleine häusliche Geschäfte und die Aufsicht über den Garten; überwand mich sogar genug um Musik mit ihr zu treiben – Musik die ich gänzlich verlassen hatte seitdem Fidelis abgereist war! – allein ich konnte weder ihren Tag noch ihr Herz genügend füllen. Sie war in dem Alter wo das Gefühl leicht eine krankhafte Färbung annimmt weil die Nerven in gereizter Spannung sind; – sie wurde im November vierzehn Jahr. Sie durchweinte halbe Nächte und härmte sich dermaßen ab, daß ich sie oftmals mit Thränen bat mir zu sagen was ihr fehle und was sie wünsche – es solle Alles geschehen. Da wünschte sie denn bald nach Engelau heimzukehren, bald ein Paar Lachtauben, bald einen Besuch von Astralis, bald eine Fahrt [] nach Chamouny; häufig auch gar nichts. Armes Kind! sie wußte eben nicht was sie wünschen sollte. Ich hatte sie von je her mit Sorglichkeit und Liebkosungen überstürzt. Ich wollte durchaus sie sollte glücklich sein und nicht meine freudenlose ernsthafte Kindheit haben. Allein ich verweichlichte sie anstatt sie glücklich zu machen. Dazu kam noch ein großer Uebelstand: ich hatte eine namenlose Scheu sie in meine Seele blicken zu lassen, die von so manchem Erdbeben verwüstet war. Kinder jedoch sehen klar und scharf! und so strengte ich mich übermäßig an im Gespräch mit ihr stets auf meiner Hut zu sein um keine Bemerkung zu machen, die ihre junge reizbare Seele in Unruh hätte versetzen können. Das veranlaßte mich häufig meine Ueberzeugung nicht unumwunden auszusprechen, und dadurch verfiel ich oft in Widersprüche. Denn da ich meine wahre Meinung nicht gesagt hatte, so konnt' ich mich nicht immer besinnen ob ich sie halb oder dreiviertel – mit himmelblauer oder rosenfarbener Färbung ausgesprochen. Das befremdete und verstimmte das Kind – und mit Recht! aber ich konnt' es nicht ändern, weil ich mich selbst nicht ändern konnte.

Hätte Benvenuta die geringste Vorliebe für die katholische Kirche an den Tag gelegt: so würde [] ich sie mit Astralis zusammen dem Institut zum Sacré Coeur anvertraut haben. Ich fragte sie darüber und mit kindlicher Pietät entgegnete sie: sie wünsche bei der Kirche ihrer Eltern und ihrer Heimat zu bleiben. Was diesen Punkt betraf durfte ich, meiner Ueberzeugung zufolge, mir keine Einmischung erlauben. Bei Fidelis hatte ich so recht gesehen wie ein heftiges Eingreifen der Eltern, sogar in der allerbesten Absicht, die Kinder in beängstigende Unruh und oft für ihr ganzes Leben in eine unheilvolle Richtung schleudert. Aber ich erkannte daß Benvenuta an meiner Seite, unter diesen Umständen, Eindrücke empfangen müsse, die ihr ebensowenig segensvoll sein könnten als für mich die lange Krankheit meiner Mutter gewesen war, und ich entschloß mich sie in eine Erziehungsanstalt in Ouchy bei Lausanne zu geben. Diese war nicht groß, nahm nie mehr als zwölf junge Mädchen auf, war auf einen höchst einfachen, häuslichen Fuß eingerichtet, lag inmitten eines herrlichen Gartens am See, und er füllte durch sorgsame Aufsicht und vortrefliche Lehrer meine Ansprüche. Benvenuta fand dort fröhliche Gefährtinnen; nicht nur Beschäftigung, sondern, durch Wetteifer belebt, auch Interesse für dieselbe; und endlich in der Einfachheit des Zuschnitts des Lebens eine höchst nothwendige [] Schranke gegen übermäßige Verwöhnung, in die sie als einziges Kind und als Erbtochter eines reichen Hauses verfallen war.

Es kostete mich einen harten Kampf diesen Entschluß festzuhalten. Mir graute vor der grenzenlosen Einsamkeit die mich nach Benvenutas Abreise umgeben würde. Ich sagte mir, ich könne ja in der Villa paisible so gut wie in Engelau Gouvernante, Hofmeister, Lehrer für sie halten – diese Lieferanten des Bildungsproviants. Aber die Gespielen, die jugendlichen Gefährten bei Unterricht und Erholung konnte ich ihr nicht schaffen, und das bestimmte mich vorzugsweise. Zum neuen Jahr brachte ich sie nach Ouchy, und hatte die Freude, daß sie sich leicht in ihren fremden Umgebungen zurechtfand. Die Villa paisible war für das junge Wesen zu abgeschieden gewesen! Ich aber kehrte beruhigt dahin zurück und sah mich mit einem halb beklemmenden und halb wolthuenden Gefühl in gänzlicher Einsamkeit. – – – – – –

Ich hatte wieder einen Gegenstand gefunden, von dem ich Beschäftigung und Nahrung für meinen ewigarbeitenden Geist hofte. Im Canton Waadt herrscht die Calvinische Kirche, die sich an manchen Orten zu äußerst streng religiösen Secten, deren Anhänger dort Methodisten und Momiers genannt [] werden, zugespitzt hat. Sie ziehen sich ganz von der Welt zurück, verschmähen nicht nur die geselligen Zerstreuungen dermaßen, daß Bälle und Schauspiele ihnen sündhaft erscheinen, sondern meiden auch geistige Unterhaltung, Musik, Lectüre, sobald sie nicht religiösen Inhalts sind und sich um Christus, um Gnade, Rechtfertigung, Erlösung und Genugthuung bewegen. Sie lesen nur derartige Andachtsbücher und hauptsächlich die Bibel, kommen nur mit Gleichgesinnten zusammen, und unterhalten sich in ihren Vereinigungen nur durch geistliche Gespräche, Bibelerklärung, Lesen von frommen und ascetischen Schriften – zuweilen mit einem geistlichen Gesang. Uebrigens sind es stille Leute, nicht besser und nicht schlechter als Andre, und etwas langweiliger und dafür weniger frivol. Am ganzen Leman, in Genf, Lausanne, Vevay, Montreux sind sie sehr zahlreich in allen Ständen und Classen, und ich war in der höchsten Spannung Menschen kennen zu lernen, die ihr Leben um einen einzigen Gedanken, das Sterben Christi, aufgebaut hatten. Es wurde mir auch möglich durch einen Arzt aus Montreux, den ich durch eine Krankheit meines Kammerdieners kennen lernte, mit ihnen bekannt zu werden, denn dieser Mann und seine ganze Familie war ganz methodistisch. Ich fand bei [] ihnen die Lehrsätze mit einer Schärfe und Strenge ausgeprägt und festgehalten wie nur immer in der Katholischen Kirche – aber nach meiner Ansicht ohne die Consequenz der letzteren.

»Was hält denn Eure Dogmen aufrecht, was giebt ihnen Basis und Krone, da Euch die Autorität der Kirche und die Gemeinschaft des Glaubens fehlt?« fragte ich zuweilen; und erhielt immer die Antwort:

»Das Wort Gottes, die heilige Schrift, ist unsre Autorität. Was sie sagt und gebietet, nehmen wir an, was sie nicht sagt – verwerfen wir.«

»Aber kein Mensch wird geboren mit der Kenntniß der heiligen Schrift; sie muß ihm gedeutet und erklärt werden. Wer erklärt sie Euch?«

»Die lautre Milch des Wortes gewährt auch dem unmündigsten Geist eine leicht verdauliche Nahrung. Wir haben die Verheißung des Herrn: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter Euch.« Wir getrösten uns derselben und wissen, daß beschirmt vom heiligen Geist die Wahrheit wächst und gedeiht.«

»Eure eigene Autorität ist also Eure letzte Instanz?«

»Unsre Lehre ist es in Uebereinstimmung mit der[] heiligen Schrift, wie sie uns von unsern Lehrern und Geistlichen überliefert wird.«

»Also haben Eure Lehrer doch für Euch die Autorität der Unfehlbarkeit! aber letztere ist gegen das Princip der Reformation, welche die Unfehlbarkeit antastete und verwarf.«

»Und eben deshalb besitzt ein Jeglicher in der heiligen Schrift die Leuchte, welche seinen Fuß auf den Weg des Friedens führt.«

»Also dennoch wie ich sagte in letzter Instanz Eure eigene Autorität, wie sie sich aus den Bedürfnissen und der Auffassung des Individuums herausbildet! rief ich. Mein Gott! ist die ein Anker für die unruhige schwankende Menschenseele?«

»Wir sind fest im Glauben und ruhen in Gott.«

»Wol Euch! sagte ich; es ist eine glückliche Gabe sich über alle Widersprüche hinweg in den Schooß des Glaubens flüchten zu dürfen.«

»Sie wird auf dem Weg des Kreuzes gefunden – in der Schule des Leidens, nennt es die Welt! Drum segnen wir die Trübsale und damit sie jeden Stachel für uns verlieren, gedenken wir des herben Leidens und Sterbens des Heilands unaufhörlich. Durch den Gedanken daß er sie mit uns getheilt hat, wandelt sie sich in Wonne. Halleluja! meine Seele lobe den Herrn!«

[] Die Person mit der ich dies Gespräch und zahllose ähnliche hatte, war die Schwester des Arztes, eine Frau in meinem Alter, Wittwe und Mutter von sieben Kindern. Ihr Mann, ein wolhabender Kaufmann in Genf, hatte sich ums Leben gebracht in einem jener spleenitischen Anfälle, welche nicht selten durch religiöse Schwärmerei veranlaßt werden. Die Gegner der Methodisten behaupteten, er, ein Mensch voll Lebenslust und Kraft, geistvoll, mittheilend, regsam, habe nicht gewußt wohin mit all den Gaben, die nicht zum Vorschein kommen und nicht in ihrer homogenen Richtung verbraucht werden durften. Er verkümmerte bei den Predigten und Bibelerklärungen seiner Frau. Die graue Atmosphäre frömmelnder Andacht beklemmte zuerst und lähmte zuletzt seine Fähigkeiten; und als sein Geist ganz paralysirt war – gab er sich den Tod. Anders sprach seine Wittwe und deren Familie:

»Ihn drückten die Sünden und Uebertretungen seiner Jugend, denn ihm fehlte der Glaube an die Versöhnung und Genugthuung durch das theure Blut des Heilands. Wer schwach im Glauben ist welkt dahin wie eine Blume des Feldes.«

Diese gelassene Ergebung bei einem solchen Donnerschlag des Schicksals, der zugleich den äußern[] Wolstand zertrümmerte, imponirte meiner Vernunft ohne mein Herz zu erquicken. Ich sah keine Thräne, hörte keine Klage, fühlte keinen Pulsschlag; halb erstarrt, halb gleichgültig ward ich neben diesen vom Stoicismus ihres Glaubens umpanzerten Seelen. Weicher, lieblicher, tröstender schien mir der Quietismus der Katholischen Kirche; es wehte in ihm ein wärmerer Hauch: die Liebe zum Heiland. Thomas a Kempis, die Guyon, Fénélon, haben zuweilen Worte wie Balsam so lind und labend, Worte in denen sie gleichsam durch Thränen lächeln und der Melancholie einen Anflug von rührender Grazie geben. Das Wort Fénélons auf die Frage: »Was würdest du thun wenn du nichts von Gott wüßtest?« – J'aimerais! – ist die bezeichnende Quintessenz dieser Richtung. Der protestantische Pietismus mit seinen Bibelstudien, Traktaten-Lectüre und reflectirenden Betrachtungen über Tod und Genugthuung des Heilands, hatte für mich einen dürren und herben Beischmack, als hätten sich seine Anhänger zur Frömmigkeit resignirt, anstatt daß dieselbe aus ihren Seelen quellen müßte. Es war keine Frische, kein Duft, keine Anmuth um sie; zuweilen etwas Respectables, in einzelnen Fällen etwas Imponirendes, häufig eine abstoßende Trockenheit und Kälte welche mit ihren salbungsvollen [] Worten verglichen, letzteren den Anstrich von Heuchelei gaben.

Wie oft, wenn ich meinem verstorbenen Onkel zuhörte, hatte ich mit heißer Sehnsucht gesagt: O welche Erquickung mit diesem liebenden Schwung glauben zu können. – Aber den zuversichtlichen Glauben meiner neuen Freunde zu theilen hatte ich nie! nie gewünscht! Ich fühlte mein Herz würde durch ihn noch mehr brach gelegt werden, als es in meinem gegen wärtigen Zustand der Fall war. Unsre Freundschaft war auch nicht von Dauer; sie warfen mir philosophische und freigeisterische Ansichten vor, wogegen ich mich nicht vertheidigen konnte; – und ich ihnen Intoleranz und Inconsequenz, bei denen sie im Recht zu sein behaupteten. Ich sagte ihnen:

»Im Katholicismus setzt die Kirche – die gemeinsame Einheit im Glauben – eine unantastbare Schranke, vor welcher der Menschengeist sich beugen, oder sich daran brechen, oder sie überfliegen und dann von der Gemeinschaft abfallen muß. Im Protestantismus haben Individuen Schranken gesetzt nachdem sie selbst deren niedergerissen hatten. Ich sage nicht daß der geistige Horizont nicht beträchtlich dadurch erweitert sei; ich sage nur daß die Protestanten sich nicht wundern dürfen, wenn [] im Namen dieser Geisteserweiterung und Geistesbefreiung Schranken weggerissen werden, welche sie um ihren Glauben aufgebaut haben. Der Schatz der christlichen Lehren ist ein lauterer Quell. Die Katholische Kirche hat ihn mit einem feierlichen, grandiosen Tempel überwölbt und ihre Priester zu dessen Hütern bestellt. Die schöpfen das Wasser, spenden und vertheilen es nach gewissem Maß und Gesetz an die Dürstenden, und wachen über dessen Gebrauch. – Der Protestantismus fand den lautern Quell in der Bibel enthalten, er verwarf die Tradition und gab den Zutritt zu demselben Jedermann frei. Der Priesterstand ward fortan unnütz, denn Jeder durfte schöpfen und Jeder nach seinem eignen Bedarf – viel der Eine, der Andre wenig, Dieser mit einem schönen Krystallbecher, Der mit einem unsaubern Eimer, Jener mit einer reinen – und noch Einer mit einer schmutzigen Hand. Wer von ihnen darf jezt behaupten er schöpfe das richtige Maß und mit dem richtigen Gefäß? Keiner oder Jeder. Die Katholische Kirche ist consequent: ein Priesterstand, Autorität und Glaubenseinheit. Den Protestantismus vermag ich nicht Kirche zu nennen, denn er ist ohne Priesterstand, ohne Autorität, ohne Glaubenseinheit. Dennoch gilt er für eine Kirche und herrscht als solche, aber nur durch [] Widersprüche und Inconsequenzen. Um sie zu vertheidigen wirft er sich auf Gelehrsamkeit; um sie zu betäuben auf Fanatismus; um sie aufzuheben auf Rationalismus; und fällt dadurch immer mehr auseinander, wie seine zahllosen Secten das beweisen, die sich in Ermangelung einer Kirche jede ihr eigenes Betstübchen zurecht machen.«

»Wol uns wenn unsre Seelen in ihren demüthigen schlichten Betstübchen die Ruhe und Zuversicht im Herrn finden, welche Denen stets fehlen werden die in prachtvollen Domen papistischen Greuel treiben, und Jenen die in der Welt dem rationalistischen Baal huldigen.«

»Ja! wol Euch wenn Ihr neben der Ruhe im Herrn auch Demuth für Eure Seelen fändet! aber Ihr seid von geistlicher Hoffahrt besessen, die bei dem separatistischen Wesen fast unvermeidlich ist, denn die Abtrennung von der Gemeinsamkeit ruft stets ein Sichbesserdünken hervor. Ihr nennt das begnadigt sein, auserwählt sein; aber das ist doch weiter nichts als eine Art von Selbst-Heiligsprechung.«

Man wollte mir das Gegentheil beweisen; vielleicht bewies man es mir auch – ich hab' es vergessen! Dies Alles war nicht das was ich brauchte. Das unbekannte Gut, welches ich in jeder dem [] Menschen gegönnten Richtung gesucht hatte, in der Welt, in den Gefühlen, in der praktischen Thätigkeit, in der geistigen Ausbildung, und immer umsonst! – ich suchte es jezt im religiösen Glauben – und ebenso vergeblich; und es war doch das einzige was ich brauchen konnte.

»Ihnen ist bei uns nicht zu helfen! sprach meine Freundin. Ihre Phantasie wird durch den Katholischen Pomp gefangen, und Ihr Verstand huldigt dem Rationalismus. Diese zwei Elemente ersticken den wahren Glauben.«

Es halfen keine Discussionen mehr! ich konnte ihr nicht anschaulich machen, daß nicht der Katholische Pomp sondern die Katholische Einheit mich anzog; nicht, daß ich den Rationalismus als ein Attribut steriler, dürftiger Naturen betrachtete, welche sich im Uebersinnlichen dermaßen unheimisch fühlen, daß sie es sinnlich sich erklären müssen; und endlich nicht, daß es mir unmöglich sei mich einer religiösen Gemeinschaft hinzugeben, so lange ich entweder äußerlich mit ihrer Form – oder innerlich mit ihrem Princip und mit meiner Anschauungsweise in Conflict gerathen könne.

So war mir der einsame Winter in der Villa paisible vergangen; fast täglich ging ich nach Montreux, und jeden Sonntag fuhr ich zu Benvenuta [] nach Ouchy. Lectüre und Spaziergänge füllten meine übrigen Stunden. Im Junius mußte ich sie aber den Besitzern räumen. Ich besuchte Astralis in Freiburg, und hatte die herzliche Freude sie ebenso zufrieden, und geistig und körperlich in gesunden Elementen gedeihend zu finden, als Benvenuta. Beide waren kräftiger, munterer, frischer als bei mir. Otberts Behauptung fiel mir ein: jeder Mensch habe einen eigenen Lebensäther um seine Persönlichkeit, und dieser wirke entweder belebend oder vernichtend auf andre Persönlichkeiten. Der meine schien in der That verzehrender oder austrocknender Art zu sein. Es konnte Niemand so recht behaglich neben mir bestehen noch gedeihen.

Ich ging nach dem Berner Oberland um mir dort ein stilles Plätzchen zu suchen. Das ist schwer genug. Allüberall wimmelt es von Reisenden. Grindelwald schien mir am meisten von dieser Stille zu bieten. Der weite Kessel am Fuß des Wetterhorns von dem die Lavinen donnernd herabstürzen – die grünen Matten der Abhänge auf denen zahlreiche Heerden weiden – der nackte Fels der höheren Bergwände und der ewige Schnee ihrer Häupter – unten die blumigen duftenden Wiesen mit einzelnen Bauerhäusern, Sennhütten und Gehöften, mit Gärten und Obstbäumen übersäet – machen [] das Thal von Grindelwald vielleicht nicht so malerisch und reich als das von Interlachen, Lauterbrunn und Meyringen; aber sie geben ihm den Character eines einfachen Hirtenlandes, der mich wolthuend ansprach. An Reisenden fehlt es freilich auch dort nicht! die beiden Gletscher, welche ihre Eisblöcke von den Bergen herab und auf den lachenden Teppich der Wiesen schieben, sind Merkwürdigkeiten welche die Touristen locken, ohne sie jedoch zu längerem Aufenthalt zu veranlassen.

Am unteren Gletscher, der über dem Quell der Lütschine einen saphirfarbenen Betthimmel von Eis wölbt, lag ein Bauerhaus zwischen einem Nußbaum und einer Linde. Wer kennt sie nicht diese malerischen Hütten des Berner Oberlandes, ganz von Holz, mit flachem, breitem, weitschirmendem Dach, mit zierlich geschnitztem Altan rund ums obere Geschoß laufend, mit frommen Sprüchen am Gesims des unteren; ein Brunnen daneben und zwei Schuppen: der größere für die Kuh und die Ziegen, für die Bienen der kleinere. Aus schönen Bildern oder aus der schöneren Wirklichkeit kennt Jeder sie und jenes Haus glich ihnen vollkommen. Nur war es ganz frisch und neu, und nie bewohnt gewesen; denn eine Engländerin hatte es bauen und einrichten lassen zu ihrer Villeggiatura; [] aber sie war im Frühling gestorben ohne es je gesehen zu haben, und ihre Erben wünschten dringend es zu verkaufen. Ich widerstand dieser Lockung nicht: für einen mäßigen Preis brachte ich das trauliche Hüttchen an mich, und mit unbeschreiblichem Wolbehagen nahm ich auf der Stelle davon Besitz. Es war so recht in meinem Sinn und nach meinem Geschmack in Harmonie mit Umgebung und Bestimmung eingerichtet: das untere Stockwerk für Dienstboten und wirthschaftliche Räume; das obere für einen einsamen Menschen – vielleicht für zwei, wenn sie genügsam waren und sich liebten – und Alles mit der größten Einfachheit und Sauberkeit, die Wände nach Schweizersitte getäfelt mit braunem polirten Nußbaumholz; von demselben Holz Tische und Schränke; Vorhänge und Meublebezüge von hellem buntgeblümten Zitz – ein wahres Ideal von Einfach heit! Schlaf- Wohn- und Eßzimmer nahm ich sogleich für mich in Besitz. Das vierte Zimmer bestimmte ich für Benvenuta, wenn sie in den Schulferien mich besuchen würde.

Wie immer ging es mir Anfangs wol, denn ich genoß mit vollen Zügen den Zauber der Hochgebirgsnatur – aber nicht wie auf der Reise, sondern in einer selbstgewählten Heimat. Das war [] mir neu! eine Eigenthumsstätte hatte ich in fremden Landen nie gehabt. Es würde mir vorgekommen sein als nähme ich Besitz von einer neuen Welt im Kleinen, wenn ich die Frage hätte beschwichtigen können, welche sich vorwitzig aus meiner Selbstkenntniß mir entgegendrängte: Wie lange wird der Reiz währen? wann wird er abgestumpft sein? Das störte meinen Genuß. Uebrigens gab ich mich lediglich meinen Gedanken und den Einflüssen und Eindrücken der Natur hin. Ich hatte so viel gelesen und so wenig Befriedigung davon gehabt, daß Bücher mich angähnten; ich verdankte das meiner eingewurzelten Thorheit: statt in ihnen die relative Wahrheit zu suchen und mir aus derselben einen Nahrungsschatz für eigene Meditationen zu sammeln, hatte ich nach der absoluten in ihnen geforscht und sie muthlos fallen lassen, als ich dieselbe nicht fand, nicht finden konnte. Immer wußte ich hinterher sehr genau was ich hätte thun, was meiden sollen, und meine ganze Erkenntniß bestand darin, daß ich mit immer klarerem Blick die Summe meiner Irrthümer überschaute, ohne ein einziges versöhnendes Resultat erspähen zu können. Durstend wie Keiner hatte ich mich in das Leben geworfen um mich an dessen Bächen und Quellen, Meeren und Strömen satt zu trinken. [] Durstend wie Keiner sah ich es um mich herum rinnen und verrinnen .... wie Wasser, das man mit der hohlen Hand schöpft und das zwischen den Fingern hindurchfließt, bevor es die lechzenden Lippen erfrischt hat. Aber wo gab es denn noch zu schöpfen? zu welchem Brunnen konnte ich noch pilgern? – Die Einsamkeit, die Natur, die Dürftigkeit der Verhältnisse die mich umgaben und mich zu wolwollender Theilnahme auffoderten – sollten sie meiner Seele ihr Genügen bereiten? – – – Die Einsamkeit ist gut und nothwendig für mächtige Naturen die zum Bewußtsein über sich selbst, über ihr Ziel und ihre Mittel kommen wollen und einer erhabenen Bestimmung entgegen gehen. Sie ist der Concentrirung aller Gedanken auf einen Gegenstand günstig, und ist dieser ein großer, ein würdiger, so kann sie die ganze Seele unauslöschlich für ihn in Flammen setzen, die dann ausbrechen, wenn sie genug Nahrung gesammelt haben und der staunenden Welt ein neues Licht zum Himmel hinauf oder über die Erde hinweg anzünden. Aber für uns dürftige Menschen, die wir unser Ich zum Hauptgegenstand unsrer Betrachtung machen, taugt die Einsamkeit nicht, eben weil sie die Gedanken so concentrirt; sie macht uns sehr leicht egoistisch, einseitig und fanatisch. Größe und Genie [] sind Könige in der Einsamkeit, denn sie ist ihr ihnen angebornes Reich: sie sind immer einsam. Aber die Masse der Menschen zählt nur als Gattung etwas, weil ihre Individuen der intensiven Kraft entbehren, welche ein eigenthümliches Leben erzeugt. Sie müssen in Schaaren leben; für sie ist die Einsamkeit ein Kerker oder ein Grab.

Ich fiel sehr bald in derselben der schwärzesten Melancholie anheim. Dies ungestörte Leben in der Natur, ohne ein beseelendes Gefühl, ohne eine beherrschende Idee, ohne jene glückliche physische Organisation die von ihren Elementen mit Wonne zehrt – überwältigte mich mit namenloser Traurigkeit; denn ich fühlte mich außer Zusammenhang mit ihr: sie brauchte mich nicht – wie konnte ich mich an sie schmiegen? Kein einziges der Bande womit sie den Menschen umschlingt und ihn heimisch und nützlich macht auf der Erde und ihm in diesem Bewußtsein süßen Genuß gewährt – kein einziges hielt mir Farbe! Nicht von den Todten zu reden, deren Erinnerung mir längst wie Schatten in der grauen Dämmerung entschwebt war; – nur von den Lebenden: von dem Gatten, von der Tochter, von dem Freund – was war ich ihnen und was waren sie mir? Mit keinem Einzigen von ihnen hatte ich verstanden mich in [] das rechte Gleichgewicht zu setzen. Dem Einen war ich nur gleichgültig, dem Andern nur schmerzlich, und meinem Kinde entbehrlich. Sie hatten Alle sich von mir trennen können, und wir Alle lebten fort – in Freuden die Einen, in Qualen die Andern; aber wir lebten. Auch wir Gequälten lebten äußerlich ruhig genug! Wir standen alle Morgen auf, versäumten am Tage nie für unseren Lebensunterhalt zu sorgen, und gingen jeden Abend schlafen. Mit der Pünktlichkeit einer Uhr rollte sich die animalische Existenz mit ihren Functionen ab: sie allein hatte Bestand. Aber die Liebe, die Kraft, die Andacht, die Treue, der Glaube – diese Genien welche dem Menschen die Lehmhütte seines materiellen Daseins zu einem Tempel ausschmücken und lichten, in welchem er sich selbst geadelt und einer höheren Bestimmung würdig erscheint: sie hatten sich in mein Leben nicht wie ewige Gestirne, sondern wie zerplatzende Seifenblasen herabgelassen, und ich fühlte mich in das Nichts zerfließen, weil sie ins Nichts zerflattert waren. Ich verging an der allgemeinen Vergänglichkeit.

Und das Ende von dem Allen – war der Tod! und er konnte kommen heut, morgen – und ich mußte fort, und hatte nicht gelebt! fort mit meiner [] weiten leeren Seele, die sich in dieser Welt des Unbestandes von nichts hatte fesseln lassen, und die nun vielleicht durch Aeonen ihren unerquicklichen Lauf fortsetzen mußte um das zu finden was sie ersehnte. Aber ist denn überhaupt für eine leere Seele, ohne Glaube und ohne Liebe, die Unsterblichkeit bestimmt? hat sie sich durch ihre Leere nicht als unwürdig derselben erwiesen?

O wie beneidete ich Diejenigen, welche den Tod lieben als ihren Erlöser und Befreier von dem Folterbette des Daseins! .... und wie viel mehr jene Anderen, jene Begnadeten, welche das Leben lieben, weil sie sich ihm trotz verzehrender Wonnen und Schmerzen gewachsen fühlen! Ich konnte keins von Beiden! – – – – – – –

Gott, welche Nächte durchwachte ich in dem Thal von Grindelwald! Das waren nicht die üppigen von Sorrent, nicht die phantastischen von Venedig, die meiner Jugend angehörten und durch deren Hofnungen, Träume und Erwartungen gelichtet waren. O nein! ich war nicht mehr jung, ich hatte zu früh, zu viel, zu verzehrend, zu gewaltsam gelebt, um nicht vor der Zeit alt zu sein! Jezt war eine Nacht wirklich für mich Nacht, dunkel, kalt und kerkerhaft. Nicht ihre süßen Geheimnisse erzählten mir die Sterne, sondern meine eigenen [] traurigen Gedanken, Fragen und Geschichten knüpften sich an sie. Nicht in großen Harmonien umrauschten mich die Naturstimmen, die Nachts so vernehmlich vom Gebirg herabkommen, auf den Wipfeln der Bäume und auf den Wellen des Flusses säuseln, und in die Ferne hinein hallen; – denn sie klangen mir wie eine lange, unendlich lange, ewig wiederholte Frage .... ohne Antwort! und das macht müde. Aber dennoch war mir die Nacht lieber als der Tag mit seinem angstvollen Menschengewimmel, das nach nichts Anderem als nach Zerstreuung und Vergessenheit ringt! der Arme: nach der Leibesnothdurft eines Bissen Brotes, der Reiche nach Befriedigung imaginärer Bedürftigkeit. Darum verschlief ich die Tage, und die Nächte – verträumt' ich.

Im Herbst besuchte mich Benvenuta, und vierzehn Tage lang unterhielt sie sich vortreflich bei mir. Sie hatte mir so viel zu erzählen, daß sie meistentheils die Kosten der Unterhaltung trug. Ueberdas gefiel ihr das ganz ländliche Leben das sie an ihr geliebtes Engelau erinnerte. Ich machte große Spaziergänge mit ihr, besuchte mit ihr die Hütten der Landleute, meiner Nachbarn, mit denen ich auf einem viel freundlicheren Fuß lebte als mit den Nachbarn von Engelau – nicht nur[] weil ich im Stande war ihnen zuweilen Hülfe und Beistand zu leisten, sondern hauptsächlich weil ich sie besuchen durfte ohne weiße Handschuh anzuziehen. Indessen nach vierzehn Tagen waren wir wiederum Beide von der Anstrengung erschöpft uns gegenseitig dieselbe zu verhehlen, und ich brachte sie nach Ouchy zurück. Besorgt fragte sie mich ob ich wirklich dem Winter in meiner einsamen Cottage zwischen Schnee und Gletschern trotzen wolle. Ich war dazu entschlossen; meine Gesundheit hatte sich in der frischen Bergluft, bei der höchst einfachen Kost und Lebensart sehr gebessert; dazu waren mir meine vier Wände behaglich, die ganze häusliche Einrichtung bequem; weshalb sollte ich diese Vortheile aufgeben für die ich in Lausanne oder Genf kein Aequivalent fand, da Geselligkeit und Umgang mich langweilten und abstießen?

»Und wirst Du Dich nicht zu sehr langweilen, so ganz .... ganz allein? meine arme liebe Mama!« fragte Benvenuta, mich zärtlich umschlingend und mit den guten Augen ihres Vaters mich ansehend.

»Nein geliebtes Kind! entgegnete ich wehmüthig und durch die Wehmuth die Vorsicht vergessend: – wenn ich ganz allein bin langweile ich mich noch am wenigsten.«

[] »Ach! da bin ich Dir wol auch langweilig!« rief sie betroffen.

»Du bist mein Kind: das zählt nicht als Gesellschaft!« erwiderte ich lachend.

Aber solche kleine bedenkliche Aeußerungen fielen auf beiden Seiten doch bisweilen, und darum war es gut wenn wir nicht lange beisammen blieben.

Im October fiel schon Schnee und ich machte mich zu meinem Winterschlaf zurecht. – Die große Schaar der Reisenden hatte sich längst im Oberland verlaufen; nur einige Nachzügler kamen noch zuweilen nach Grindelwald, wenn ein schöner Tag und ein tiefblauer Himmel das Gebirg und die Gletscher in ihrer Pracht zeigten.

Es war um die Mitte eines solchen Tages. Ich war lange umhergestreift und hatte hier und da nach mei ner Gewohnheit in einigen Hütten eingesprochen um zu sehen ob und wie sich das arme Volk zum Winter einrichten könne, wo so mancher Verdienst und Vortheil wegfällt, den der Sommer mit sich bringt. Ich kehrte heim. In einiger Entfernung hinter mir gingen zwei Männer, ein Reisender und sein Führer. Durch die klare stille Luft drangen ihre Worte zu mir als der erste fragte:

»Wer ist die Dame die vor uns geht?«

»'s ischt die guti Fru vom Grindelwald,« entgegnete [] der Führer, dessen Stimme ich kannte, denn ich hatte mich seiner Schwestern angenommen, die hier lebten – zwei brave blutarme Weiber.

Da ich nicht zweifelte daß nun der gute Aloys eine lange mich betreffende lobende Geschichte erzählen würde – und da ich es nie habe ertragen können mein Lob zu hören: so blieb ich am Wege stehen und sagte:

»Grüß Gott, Aloys! Ihr habt einen stärkern Schritt als ich: da geht nur erst vorüber ehe Ihr weiter von mir sprecht.«

Aloys zog seine Kappe und entgegnete unverzagt:

»Nichts für ungut, Fru! der Herrgott thut's auch hören wenn man ihn lobpreist.«

»Wohin geht's, Aloys?« fragte ich abbrechend.

»Ins Gasthaus zuerst, denn wir kommen von Meyringen, und dann zu den Gletschern! morgen früh nach Lautérbrunn über die Wengernalp, und Abends nach Interlachen; – von da gen Bern.«

»Glückliche Reise!« sprach ich und winkte dem Reisenden an mir vorüber und weiter zu gehen, was er mit einem etwas verwunderten Gruß auch that. Aloys folgte ihm.

Einige Stunden später machte sich ein großer Auflauf beim unteren Gletscher und es verbreitete sich die Nachricht ein Paar Engländer wären in [] einen Spalt hinabgestürzt. Allmälig berichtigte sie sich dahin, daß ein Fremder einen höchst gefährlichen Sturz gethan und schwer verwundet aber noch am Leben sei. Nach einiger Zeit brachte man den Reisenden von heute früh besinnungslos getragen, und Aloys stürzte voran und zu mir mit der Bitte ihn bei mir aufzunehmen. Ich hätte es ohnehin gethan. Mein Gastzimmer war schon bei der ersten Kunde in Bereitschaft gesetzt. Als die Leute ihn bei mir untergebracht sahen, entfernten sie sich mit der tiefen Zuversicht: nun würde er schon wieder gesund werden und es könne ihm keine Pflege fehlen. Mich rührte dies Vertrauen, weil es mir ihre wolwollende Gesinnung bewies; aber zerbrochene Glieder und ein zerschmetterter Kopf begehrten ärztliche Behandlung. Ich schickte reitende Boten nach Unterseen, nach Thun und Bern. Bis aus Bern ein berühmter Wundarzt kam, vergingen über vierundzwanzig Stunden. Die beiden Andern waren früher da, und es erwies sich zu meinem nicht geringen Entsetzen, daß das rechte Bein und der rechte Arm an der Schulter gebrochen sei. Die Verwundung am Kopf war ebenfalls höchst gefährlich. Es war ein junger, schöner, gesunder Mensch, der vielleicht sterben – vielleicht Zeitlebens ein Krüppel bleiben konnte. [] Mich erbarmten die Seinen .... seine Mutter, die ihn in frischer Jugendblüte entlassen hatte und Gott weiß wie und wann wiederfinden mogte. Ich gab mir das Wort ihn wie einen Sohn zu pflegen.

Wie er hieß, wer und woher er war – davon hatte Niemand die leiseste Ahnung. Von Luzern war er mit Aloys über den Brünig ins Berner Oberland gekommen und seinen Koffer hatte er von dort nach Genf geschickt. In seinem kleinen Mantelsack befanden sich so wenig Sachen und Geld als man zu einer Fußreise braucht – übrigens weder Briefe, noch Paß, noch legitimirende Papiere. Aloys meinte er habe ein kleines Portefeuille in der Brusttasche seiner Blouse getragen und dasselbe vermuthlich bei seinem Sturz verloren. Mich beunruhigte dies nur in dem traurigen Fall seines Todes. Blieb er am Leben, so würde er sich mit der Zeit schon legitimiren.

Er blieb am Leben; aber es war qualvoll, der Leib gemartert, der Kopf fast immer besinnungslos; und traten lichte Augenblicke ein, so waren sie von so unerhörter Schwäche begleitet, daß Gedanken und Gedächtniß sich nicht sammeln konnten. Außer meiner Mutter hatte ich nie einen Menschen so heftig, so lange, so in jedem Nerv vom [] Scheitel bis zur Sohle leiden sehen. Aber er hielt es aus! der Körper ist eine wunderbar kräftige Pflanze so lange sie in der Jugend wurzelt. Wir hatten Alle schwere Zeiten! er – durch Leiden; wir – durch leiden sehen und nicht helfen können. Unter wir verstehe ich Aloys, den ich zu seinem speciellen Dienst bei mir behielt, mich und meine Dienstboten. Ich befand mich vielleicht von ihnen Allen am wolsten: ich vergaß mich selbst, und meine Tage waren mit etwas Andrem gefüllt als mit meinem erbärmlichen Ich. Ich konnte noch nützlich sein, noch einem Menschen zu demjenigen helfen, was eine so köstliche Gabe sein kann, wenn man sie zu benutzen versteht: zum Leben! konnte für Eltern ein Kind retten, vielleicht ein Einziges, vielleicht den letzten Trost einer elenden Mutter.

So vergingen Wochen und Monate. Um Weihnachten trat endlich wahrhafte Besserung ein; die Lethargie wich, die Besinnung kehrte zurück, Fieber und Phantasieen hörten auf. In den qualvollen Schienen eingezwängt konnte er nur seinen linken Arm brauchen und bedurfte daher einer Menge kleiner Dienstleistungen. Sein erstes Wort an mich das er mit Bewußtsein und mit dem Ton innigster Dankbarkeit aussprach, war:

»O! die gute Frau vom Grindelwald!«

[]

Der fieberhafte Schleier war also endlich von seinen Blicken genommen. Jenes Wort des Aloys war nicht das letzte welches er gehört – aber das letzte welches Eindruck auf ihn gemacht hatte; seine Erinnerung war bei demselben stehen geblieben und kam mit ihm zur Besinnung.

»Gott sei Dank! Sie erkennen mich!« sagte ich froh. – Mit erleichtertem Herzen konnte ich nun daran denken zum Neujahrsfest, das in der Schweiz den Platz unsers Weihnachtsfestes einnimmt, die Kinder zu besuchen. Am Tage vor meiner Abreise kündigte ich dieselbe meinem Kranken an, und fragte ihn ob in Genf oder Bern keine Briefe ihn erwarteten, die ich ihm mitbringen oder zusenden könne. Auf dem Postamt in Genf müßten deren wol einige sein – meinte er.

»Dann muß ich um Ihren Namen bitten, sagte ich lächelnd, damit ich die richtigen fodern kann.«

»Nicht einmal meinen Namen wissen Sie! .... und wo ist denn mein Paß geblieben?«

»Da ich kein Thorwächter bin der nach Paß und Namen zu fragen hat, so habe ich mich bisher um Beides nicht gekümmert. Was ersteren betrift, so glaubt der Aloys Ihr kleines Portefeuille sei bei Ihrem Sturz verloren gegangen.«

[] »Darin war mein Paß und ein Creditbrief an einen Banquier in Genf,« sagte er besorgt.

»Trösten Sie sich! entgegnete ich lächelnd. Ein Paß ist Ihnen vor der Hand ganz überflüssig da Sie Grindelwald nicht verlassen können; – und ich gebe Ihnen mehr Credit als Ihr Banquier in Genf! – Aber den Namen muß ich wegen der Briefe wissen.«

»Ich heiße Graf Wilderich Wildeshausen, sagte er, und auf einem Schloß dieses Namens in Ostfriesland lebt meine Mutter, der ich gern Nachricht von meinem Unfall zukommen ließe.«

»Ich will ihr schreiben und ihr die Wahrheit nicht verhehlen, aber auch die Gewißheit Ihrer Genesung ihr geben!« unterbrach ich ihn lebhaft.

Er nahm meine Hand, küßte sie und fragte:

»Sie verlassen mich nicht? Sie kommen wieder?«

»Gewiß, in vierzehn Tagen komme ich wieder, und Sie werden während meiner Abwesenheit keine Pflege entbehren.«

»Aber Ihre Gegenwart!«

»Allerdings! denn eine Doppelgängerin bin ich nicht.«

Er lächelte. Es war mir eine stille Freude ein Lächeln auf diesem Antlitz zu sehen, das so lange von Schmerz und Krankheit zerstört war; mit dem [] Lächeln ging das Menschliche wie eine Sonne über ihm auf; Leidensausdruck hat auch das Thiergesicht.

Tags darauf reiste ich ab, über Bern und Freiburg nach Ouchy. Ich hatte schon viel von meinem unbekannten Kranken an Benvenuta geschrieben, die sich wie alle junge Mädchen außerordentlich für das Geheimnißvolle interessirte. Jezt mußte ich ihr noch viel mehr von ihm erzählen; aber als sie erfuhr daß er ein ganz gewöhnliches Menschenkind – kein entthronter Fürst, kein Flüchtling, kein Verbannter, kein großer Künstler, Maler oder Dichter sei: nahm diese Theilnahme wenigstens um die Hälfte ab, denn es blieb nur noch die für sein Unglück, und die für seine Persönlichkeit fiel weg.

Ich schickte meinen Diener nach Genf, der sich Wilderichs Briefe und Effecten einhändigen ließ; und ich selbst schrieb an die Gräfin von Wildeshausen. Ich bekam jeden dritten Tag ein Bülletin seines Befindens von meiner Kammerfrau, die seit zwanzig Jahren in meinem Dienst und eine so zuverlässige Person war, wie man es unter diesen Umständen nur wünschen konnte; deshalb hatte ich sie zurückgelassen. Die Nachrichten lauteten befriedigend, und als ich wieder nach Grindelwald kam [] fand ich Wilderich merklich besser und sehr erfreut über meine Heimkehr. Die Briefe die ich ihm mitbrachte erhöhten seine Freude, obgleich die letzten große Besorgniß ausdrückten veranlaßt durch sein langes Schweigen.

Ein Schreiben seiner Mutter an mich, das bald darauf anlangte, sprach mir den Dank eines sorgengedrückten, tiefbekümmerten Herzens aus. Wie sie wünsche anstatt dieses Briefes selbst zu kommen! wie ihre zahlreiche Familie und ihre Verhältnisse es unmöglich machten! Ich gab den Brief an Wilderich; er las ihn mit Thränen.

»Immer muß ich ihr Sorgen machen!« – sprach er bewegt.

»Das ist das allgemeine Schicksal der Eltern ihren Kindern gegenüber; entgegnete ich tröstend. Aber wie man um einen Sohn Sorgen haben könne – die abgerechnet, daß er sich Arme und Beine bricht – begreif' ich nicht. Unsre Welt ist für die Männer eingerichtet, nämlich so daß man durch ringen, stoßen, drängen, ja einiges boxen vorwärts kommt – und das verstehen die Männer, das können sie aushalten, das bekommt ihnen sehr gut. Eine Frau kann daran zu Grunde gehen und wird immer fürchterlich leiden. Darauf muß eine Mutter für ihre Tochter vorbereitet sein! [] die Chancen des Glücks sind unendlich viel seltner für sie.«

»Sie haben kein Herz für die Söhne weil Sie nur eine Tochter haben, gnädige Gräfin, sagte Wilderich. Ich denke mir daß das Kind der Mutter Sorge macht, und ein Sohn ist auch ein Kind.«

»So wird's wol am richtigsten sein, mein armer Wilderich! und eben deshalb sagte ich, Sie sollten sich nicht zu sehr um die Sorgen Ihrer Mutter quälen; denn die sind nun einmal dem mütterlichen Herzen eingeboren.«

»Mein Vater ist seit zehn Jahren todt, ich bin der Aelteste von acht Kindern, und meine Mutter muß uns mit einem sehr geringen Vermögen erziehen: das ist eine unsäglich sorgenschwere Aufgabe.«

»Ach! rief ich, ohne die Verwöhnungen des Reichthums erzogen zu sein ist ein außerordentlicher Vortheil! darin liegt der Sporn zur Entwickelung des Mittelstandes. Wenn unsre Zeit höhere Interessen als die des Materialismus, des Genusses in höchster Potenz, hätte: so könnte dieser Sporn der Unverwöhntheit zu etwas Tüchtigem und Großen treiben. Aber die Idee, welche der Mittelstand von den Bedürfnissen des Jahrhunderts, der Zeit und der Völker hat, ist folgende: Jezt sollen [] mir die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, welche bisjezt dem einen bevorzugten Stande zugeflogen sind! – An diese fixe Idee von den gebratnen Tauben und wie ihnen beizukommen sei, vergeudet er seine Kräfte, denn all seine liberalen Machinationen und seine schwindelnden Speculationen sind ja weiter nichts als Bestrebungen um den Traum von den gebratnen Tauben zu realisiren. Lassen Sie ihn fahren, Wilderich! er macht den Menschen nicht gut und nicht glücklich, sondern das, was er am meisten fürchten und fliehen sollte – gemein.«

»Sie sprechen wie eine reiche Frau, die Sie auch sind, gnädige Gräfin« .... – – –

»Lebe ich wie eine reiche Frau? unterbrach ich ihn. Wo sind Pferde und Wagen, Livreebediente, Sofas von Sammt, Vorhänge von Seide, goldene Spiegel? .... was Alles die erste beste Doctorsfrau in unsrer Heimat hat.«

»Sie leben dennoch wie eine reiche Frau: nämlich – unabhängig! und das ist der größte Vorzug des Reichthums.«

»Lieber Wilderich! der Reichthum knechtet die Seele und macht sie in zehntausend Fällen höchstens Einmal unabhängig.«

»Ach, gnädige Gräfin, Sie würden anders [] sprechen wenn Sie nicht reich, und hingegen Mutter einer zahlreichen Familie wären! Ich habe vier Brüder: die beiden jüngsten sind schöne, prächtig aufgeweckte Kinder, die sich schon ihr Fortkommen in der Welt erringen werden. Aber die beiden andern sind arme unfähige Knaben. Was soll aus ihnen werden? In welcher Weise sollen sie es möglich machen ihren Stand, ihren Namen zu vertreten, da ihnen jedes Mittel dazu versagt blieb? Wären sie die Söhne einer unbemittelten bürgerlichen Familie, so wäre ihre Unfähigkeit ein stilles Unglück das eben nicht über die vier Wände ihres Hauses hinaus reichte; sie könnten ein leichtes Handwerk lernen, sich ihr Brot erwerben und Keinem zur Last fallen. Bei uns ist das anders! uns wird solche ein Unglück zur Schmach und zum Vorwurf gemacht! Da heißt es hier: »nichts als Dummköpfe sind diese Hochgebornen!« – da heißt es dort: »Wie diese sogenannt Vornehmen degeneriren und nichts als Blöd- und Schwachsinnige erzeugen, welche dennoch mit uns in die Schranken treten und sich gar über uns erheben wollen!« – Dieser Hohn ist schwer zu ertragen, gnädige Gräfin. Der Reichthum ist ein Bollwerk gegen ihn. Sie werden das nicht glauben, weil Sie nicht solche gemeine Brut gekannt haben; aber ich weiß [] es: sie hat Respect vor Demjenigen, den sie beneidet.«

Wilderich schwieg ganz erschöpft und ich ganz erstaunt. Dies war unser erstes längeres Gespräch und ohne meine Absicht hatte es eine Wendung genommen die ihn so schmerzlich ergriff. Dies war eine neue Phase des Leides welches durch unsre Welt geht! Nach einer Pause rief Wilderich:

»O wie tausendmal hab' ich gewünscht lieber ein Taglöhner zu Wildeshausen zu sein, der unter körperlichen Anstrengungen sein Schwarzbrot gewinnt, als der Graf von Wildeshausen, dem es obliegt als Herr, als Haupt einer Familie für seine Untergebenen und seine Verwandten zu sorgen und dem dazu die Mittel fehlen!«

»Mein armer Wilderich, was sind das für unzeitgemäße Gedanken: für etwas Anderes sorgen zu wollen als für sich selbst!« entgegnete ich, die traurige Wahrheit hinter einem scherzhaften Ton verbergend um ihn von seiner Verstimmung abzulenken. Aber heftig und traurig fuhr er fort:

»Die Isolirung durch den Egoismus .... diese anti-aristokratische Richtung unsrer Zeit, welche das Individuum ohne positive Religion, ohne Liebe zur Heimat, ohne Anhänglichkeit an die Familie, ohne Respect vor Tradition, ohne Gefühl [] für die Untergebenen, in den grauen Wust einer communistischen Menschenverbrüderung hinausstößt – durch philosophische Speculation dermaßen die Thatkräftigkeit abschwächt, daß wir der Praxis einer schlichten Lebensweisheit ich weiß nicht was für eine fade spitzfindige Theorie von Fortschritt, von Freiheit vorziehen, welche uns aber nicht fördert, nicht befreit – diese fürchterliche Vereinsamung des Menschen, ohne Gott, ohne Herz, ohne Kraft, ohne Basis, ohne Ziel – ohne irgend einen der großen Gedanken für welche es der Mühe lohnt zu leben oder zu sterben – o die eben ist es welche mir an der Seele nagt und nicht für mich, sondern für uns Alle mich martert.«

»Die Krankheit hat Sie ermattet, sagte ich. In Ihrem Alter muß man Zuversicht haben, Wilderich, denn ein halbes Jahrhundert der Wirksamkeit liegt vor Ihnen und wie wollen Sie derselben gewachsen sein, wenn Sie nicht daran gehen mit Zuversicht auf regenerirende Elemente! Die rückkehrende Gesundheit wird Ihnen das schöne Vorrecht der Jugend: die ewige Hofnung – wiederbringen. Ich begehre nicht daß Sie eine herrschende Mode mitmachen, und unsre Weltzustände rosenroth gefärbt betrachten sollen! aber Sie sollen nur nicht schwarz sehen wo höchstens ein sanftes [] Grau ist. Grau, lieber Wilderich, ist immer das Chaos – und über dem Chaos schwebt immer der Geist Gottes.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Die Geschichte lehrt es.«

»Eine Lehre welche unser Herz oder unsre Erfahrung nicht bestätigen – ist für uns todt. Deshalb frage ich ob Sie aus Ihrer Seele oder nur nach Büchern sprechen.«

»Und wenn ich sagte: nicht aus meiner Seele!«

»So würden Ihre Worte eben nur todte Worte sein – wie fast alle sind die heutzutag gelehrt werden.«

»Da mögen Sie Recht haben! sagte ich immer mehr und mehr erstaunt. Aber was sind Sie für ein trauriger ernsthafter Mensch!«

»Ich bin's! denn in mir ist ein Chaos und ich weiß nicht ob der Geist Gottes darüber schwebt.«

»Kind! Kind! rief ich, Sie thun mir weh!«

»Sie sehen wol, gnädige Gräfin, daß man auch um einen Sohn Sorgen haben könne,« sagte er.

Auf dies erste Gespräch folgten viele derselben Art. Er hatte eine von inneren Kämpfen ganz zerarbeitete Seele. Ich kam zu der Ueberzeugung daß seine Krankheit eine große Wolthat für ihn gewesen sei indem sie den Geist in Schlaf gelullt. [] Der Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen, zwischen Altem und Neuem, zwischen Vergangenheit und Zukunft, welcher in unsrer Gegenwart keine befriedigende Lösung gefunden, hatte sich auch in ihm noch nicht zur Versöhnung durchgebildet. Er war ja noch nichts als ein deutscher Student! Er kannte noch nichts als seine Familie und die Schule; und was jene gepflanzt, hatte diese entweder zerstört oder in Frage gestellt. Jeder hohe Grad von Civilisation bringt eine solche Complication der Verhältnisse mit sich, daß die Einheit des Characters, die Uebereinstimmung zwischen Gesinnung, Wort und That, fast eine Anomalie genannt werden dürfte. Nun giebt es aber Menschen welche das Bedürfniß empfinden zur Aufrichtigkeit und Einheit sich zu entfalten, Menschen welche in der Lüge eine unwürdige Feigheit – in der Zersplitterung eine Schwäche sehen – Menschen welche nicht handeln, nicht sprechen und nichts thun können, sobald ihre Ueberzeugung sie nicht dazu auffodert, und welche sich nun darauf angewiesen finden die Widersprüche zu lösen oder zu leiden, welche bei ihrem Eintritt ins Leben aus jedem Verhältniß ihnen entgegen springen. Im Staat, in der Kirche, in der Wissenschaft, in der Gesellschaft – all überall Parteien, welche ihre Rechte,[] ihre Wahrheiten, ihre Ansichten und ihren Standpunkt in ein System gebracht haben, das seiner Natur nach immer einseitig ist, folglich mit Consequenz durchgeführt eine gewisse starre Abgeschlossenheit erheischt, welche Demjenigen schwer fällt, der Recht und Wahrheit überhaupt, und nicht vom Standpunkt einer Partei sucht. Ein solcher Mensch war Wilderich: stolz, grade, aufrichtig, vom allerempfindlichsten Ehrgefühl, unfähig in diesem Punkt Concessionen zu machen, und daher jeden Augenblick in seinem vielleicht übertriebenen Begriff von Ehre tödtlich verletzt.

Er bekam einmal die Verlobungsanzeige seines Vetters mit einer Banquierstochter, und gerieth darüber in solche Trostlosigkeit, namentlich über ihren großen Reichthum, daß ich ganz ernsthaft ihn fragte ob er den Verstand verloren habe um über ein so alltägliches Ereigniß zu jammern.

»Wenn sie arm wäre könnt' ich's verzeihen, entgegnete er, aber reich – sehen Sie, das finde ich nichtswürdig.«

»Sie sind unsinnig, Wilderich! Aehnliches geschieht täglich in England, denn da ist die Aristokratie nicht blos stolz und würdig, sondern auch klug und praktisch, und versteht es frisches Blut und frisches Geld sich zu assimiliren. Dadurch ist [] sie ein immergrüner Baum. Der deutsche Adel aber – von einer Aristokratie dürfen wir Norddeutschen schon gar nicht sprechen! – hat es nicht verstanden den Zufluß jener Lebenselemente sich offen zu erhalten; drum stirbt er ab.«

»Da sei Gott vor! rief Wilderich. Dann ginge ja die Ehre verloren! – Was fragt der Büreaukrat, der Industrielle, der Speculant, der Gelehrte – nach der Ehre! Nach ihrer persönlichen Ehre, oder daß ihnen die gebührenden Ehren widerfahren – o ja! danach fragen sie sehr! Aber die Ehre des Standes, der Genossenschaft kümmert sie nicht, denn sie haben keine Genossen, sie sind nicht von einer gemeinsamen Idee beseelt, von der Idee: die Besten sein zu müssen weil sie die Ersten sind. Sie sind nur durch ihr Interesse zusammengehalten, sei es für ihre Carriere oder ihren Geldbeutel, und ein solches Interesse ist nur äußerlicher Art. Jeder vertritt seine Person, seine Meinung, seine Stellung, und was ihn zuweilen zur Gemeinsamkeit schaart ist – Opposition gegen uns! das ist jedoch kein Lebensprincip. Wir aber vertreten die Idee der Ehre, und Individuen gehen unter, allein Principe leben ewig! drum kann der Adel nicht absterben, denn die alte Tradition kann nicht untergehen.«

[] »Er hat aber keine Basis mehr in den Zuständen! versicherte ich unermüdlich. Ihm fehlen seine eigenthümlichen und wesentlichen Bevorzugungen und Verpflichtungen seitdem er seinen lebenskräftigen Character als Grundherrschaft verloren hat und als solche um die alten Rechte gekommen ist, die ehedem zwischen dem Herrn und den Unterthanen bestanden haben. Ihr seid Alle die ersten Bauern auf Euern Besitzungen und weiter nichts. Herren seid Ihr gar nicht mehr! die Regierung – das ist der Herr! die schreibt Euch aufs Genaueste Euer Verhalten vor Darüber müssen Sie sich keine Illusion machen: adlige Bauern, das seid Ihr.«

»Warum bemühen Sie sich so sehr mich herab zu stimmen? fragte Wilderich. Gönnen Sie mir doch wenigstens meine Idee und die Begeisterung für dieselbe! in der Wirklichkeit ist wenig genug wofür ich mich enthusiasmiren könnte.«

»Ich mögte nicht daß Sie Ihre Begeisterung so zu sagen schlecht unterbrächten. Ihre Gesinnung: »weil wir die Ersten sind müssen wir die Tüchtigsten sein,« ist durchaus aristokratisch, ist das Band zu der edelsten Gemeinschaft die nur zwischen den Menschen statt finden kann; aber verabsäumt nicht die Mittel, die im Stande sind Eure Gesinnung durch äußere Macht zu unterstützen. [] Sie betrachten den Reichthum als ein Mittel zur Unabhängigkeit. Ihn zu erwerben ohne kaufmännische und industrielle Speculationen ist heut zu Tage unmöglich; Sie fühlen keine Neigung für dieselben, oder Ihre Stellung, Ihre Laufbahn gestatten sie Ihnen nicht; Sie finden ein schönes angenehmes Mädchen, deren Erscheinung Ihnen gefällt, deren Character und Bildung Ihnen zusagt – und Sie wollen sie nicht heirathen weil sie eine reiche Banquierstochter ist: lieber Wilderich, in dieser Ansicht finde ich mehr Subtilität als Zartgefühl.«

»Reiche Frauen sind mir überhaupt unerträglich! sagte er. Ich meines Theils werde nie ein andres Mädchen heirathen als aus einem guten alten Hause und ohne Vermögen« .... – –

»Wie das gewöhnlich bei uns Hand in Hand geht!« setzte ich lachend hinzu.

Was ich ihm dringend rieth – waren Reisen in fremden Ländern, zu fremden Völkern, um das deutsche Spießbürgerthum abzuschleifen, dieses kleben und klauben an Formen, deren Inhalt ausgestorben ist, diese Devotion vor dem Fremdländischen, diese Ueberschätzung der Magistergelahrtheit, diesen matten Dünkel auf Geist und Bildung.

»Das muß man gestehen, Sie sind nicht blind eingenommen für Deutschland! rief Wilderich. Haben[] Sie denn je in der Fremde eine stolze Wallung bei dem Gedanken gehabt eine Deutsche zu sein?«

»Ja, eine sehr stolze!«

»Nun bei welcher Veranlassung?«

»Wenn ich eine Symphonie von Beethoven aufführen hörte .... dann war ich stolz, denn so aufgefaßt und so ausgedrückt ist nie der Geist des deutschen Volks als von ihm! Er hat ihn wiedergegeben den Tiefsinn in der Verklärung. Sonst aber erinnere ich mich keiner Veranlassung.«

»Und das sagen Sie so gelassen! ich würde darüber verzweifeln.«

»O all diese schlaffen Verzweiflungen muß man sich abgewöhnen! Man muß die Welt nehmen wie sie ist; und warum soll man nicht eben so stolz sein auf einen Genius der Symphonien componirt als der über Staatsökonomie schreibt?«

»Wenn man sich in der Welt wie sie ist zurechtfinden muß, warum denn, gnädige Gräfin, sind Sie in diese Einsamkeit geflüchtet, wo Sie durch nichts an dieselbe erinnert werden?«

»Weil ich mein Leben bereits verbraucht habe und zu nichts Tüchtigem mehr brauchbar bin – – als höchstens .... um die gute Frau von Grindelwald zu sein.«

[] »Kann man mehr sein als gut?«

»O ja! man kanns auf dem rechten Fleck, zu rechter Zeit und Stunde, am rechten Ort sein. Die gute Herrin von Engelau, die gute Gattin, die gute Mutter zu sein: das wär' ein Lob. Jenes ist keins. Ich bin gut – was man hier gut nennt, nämlich wolthätig – weil ich es angenehmer für mich als das Gegentheil finde.«

»Ich verstehe Sie zuweilen gar nicht! entgegnete Wilderich. In Ihren Handlungen sind Sie ein hohes und edles Herz, in Ihren Worten – welche man schwer von Ihrer Gesinnung trennen kann, da Sie nicht lügen – haben Sie gar kein Herz.«

»Daraus sehen Sie daß ich die Kraft zum thun .... nicht die zum sein habe. Ich habe vielleicht weniger Unrecht gethan als Tausende meines Gleichen und dennoch weniger Befriedigung als eben sie.«

»Das ist unnatürlich!« rief er.

»Davon bin ich vollkommen überzeugt! entgegnete ich gelassen. Mein Dasein ist wie eine Tropfsteinhöhle: darin stehen allerlei schöne Sachen, Altäre, Kapellen, Heiligenbilder .... aber versteinert und in Finsterniß; und das sollte nicht sein.«

»Und warum ist es so?«

[] »Weil der Geist der Liebe fehlt.«

»Das ist ja aber eine fürchterliche Gleichgültigkeit!« sagte er fast mit Entsetzen. Und wie kann man sie mit Ihrer Barmherzigkeit, mit Ihrem Mitleid in Einklang bringen?«

»Barmherzigkeit auf und über der Welt – von Ewigkeit zu Ewigkeit gehend – ist das Eine woran ich glaube.«

»Weil Sie sie üben!«

»Nein! .... weil ich ihrer bedarf.«

Ich sprach zwar immer wenn unsre Unterhaltung eine Wendung auf mich nahm in einem möglichst kalten Ton von mir selbst, aber er machte dennoch auf Wilderich Eindruck.

»Giebt es viel Frauen wie Sie?« fragte er einst.

»Ganz wie ich – vielleicht Keine! mir ähnlich – Unzählige! – Natürlich werden sie das aber nicht eingestehen. Verstand und Phantasie werden übermäßig entwickelt, und das Herz vertrocknet. Solch Mißverhältniß macht elend. Da soll nun die Oede durch Emotionen ausgefüllt werden: die Einen werfen sich in die Andacht, die Andern in die Studien und schönen Künste, noch Andre ins Weltleben mit seinen blasirenden Genüssen. Es muß immer etwas gethan werden! Natürlich läuft zwischen all dem unsinnigen und abgeschmackten [] Thun zuweilen auch etwas Gutes mit unter – grade wie bei mir! – aber es ritzt Alles nur die Haut, höchstens die Nerven – nicht das Herz.«

»Gott! rief Wilderich, und an dies Geschlecht sind wir mit unsrer Liebe gewiesen!«

»Nun! entgegnete ich lachend, Eure Liebe wird es wol noch erwidern können! Und dann giebt es ja immer Ausnahmen, und die Geliebte, mein Wilderich, ist ein für alle Mal eine Ausnahme.«

That ich ihm wol oder weh? ich vermuthe das Letztere. Nichts – und auch ich nicht – war so wie er es geträumt, wie es seinen Idealen entsprach.

»Was soll ich glauben, lieben, hoffen, wollen – da neben dem Allen der Zweifel steht! rief er einmal in schmerzlicher Aufregung. War die Welt gut wie sie bisher gegangen ist – warum legt sie sich denn auf die andre Seite? War sie schlecht – wie hat sie so lange bestehen können? – O wie beneide ich die, welche an einen unbedingten Fortschritt glauben und daher im Stande sind aufrichtig mit der Vergangenheit zu brechen. Ich kann es nicht! ich finde nicht mehr Lebensweisheit, mehr Tugend, mehr Glück, mehr Freude in den Lehren welche unsre Tage beherrschen und unsrer Zeit als Richtschnur dienen und als Ziel vorleuchten[] – als in früheren Epochen. Ich finde nicht daß die Menschheit hochherziger und kernhafter wird – nicht daß die Aufklärung sie klar macht über das was ihr Noth thut, über Bestimmung und Pflicht. Klüger wird sie insofern als sie mehr lernt, und zwar bis zum letzten Mann des Volks herab, und als mancher Aber-und Wahnglaube z.B. an Gespenster, Hexen und Zauberei schwindet. Dafür glaubt sie jedoch an politische, sociale, wissenschaftliche Charlatans – was doch ein sehr verdumpfender Glaube ist! und ob sie an Gott glaubt – das ist wol nicht unbedingt zu bejahen. Die Weltweisen sprechen zwar von einem Gott in der Geschichte, von einem Gott im eigenen Bewußtsein: das ist ein Gott ungefähr so wie ein Kartenkönig einen König von altem Schrot und Korn vertritt. Ich meine – Gott, den Lenker des Weltalls, den Vergelter des Guten und Bösen, den Vater der Barmherzigkeit, ohne dessen Willen mir kein Haar gekrümmt werden kann! Gott – wie der Mensch ihn braucht, zu welchem ich schreien kann in meinen Schmerzen, jauchzen in meinen Freuden, und zu dem ich den Glauben habe, daß er mich hört und erhört zu seiner Zeit! Gott – zu dem das Herz und der Blick emporfliegt bei großen Geschicken, weil es einen Dank [] und eine Klage giebt, die man nur vor ihm aussprechen kann und weil diese Geschicke, so reich oder so schwer sie sein mögen, immer eine Stelle unbesetzt lassen in unsrer Seele, welche nur durch ihn auszufüllen ist. Glaubt die Christenwelt in dieser Weise ihrer Väter noch an Gott?«

»O Kind! rief ich gerührt, was kümmern Sie sich um den Unglauben der Welt, wenn in Ihrer Seele die ewige Ampel des Glaubens brennt? – Was wollen Sie mehr?«

»Ich will die Gewißheit nicht in Traum oder Irrthum dahin zu taumeln! Und der Zweifel der mich umringt macht mich irre an mir selbst.«

»Der Zweifel ist so alt als der Glaube! Petrus glaubte und Thomas zweifelte, und dennoch hat neben diesem Zweifler der Glaube des Petrus eine Kirche gestiftet von der geschrieben steht »daß die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden.««

»Nur ein Zweifler zwischen zwölf Aposteln! In unsrer Zeit ist's anders! da wohnen Schwankung, Unsicherheit und Zweifel wenigstens in eilf Köpfen unter zwölf.«

»Das beweist weiter nichts als daß jene Eilf eben nicht zu Aposteln bestimmt sind, obzwar sie sich wol dazu berufen finden mögen und sich ja auch Apostel der Wahrheit, der Freiheit, des [] Fortschritts und des Lichts nennen – wie sich das für die Aufgeblasenheit geziemt. Glaubt doch unser Nachbar im Waadtland, der Schneider Weitling, eine sociale Weltreform predigen und einleiten zu müssen – warum sollen sich da nicht Andere an die religiöse machen?«

»Was haben Sie gegen den Schneider, da Hans Sachs und Jacob Böhme Schuster waren?«

»O gar nichts! ich meine nur – da alle hundert Jahr einmal das Mirakel eines Lichtes aus der Werkstatt hervorgegangen ist: so könnte ja auch wol einmal ein Irrlicht draus hervor gehen. Uebrigens hab' ich nichts weder gegen Reformen noch gegen Schneider. Im Gegentheil! da Staat, Kirche und Gesellschaft mir wenigstens in Deutschland vorkommen wie Adam nach dem Sündenfall, der seine Blöße kennt, sich schämt oder fürchtet, und nach einem Feigenblatt greift; so wäre wol sehr ein Mann zu ersehnen, der ein großartiges Gewand, einen neuen Purpur und Königsmantel ihnen umhinge.«

»Das ist es ja ebenfalls was mich so sehr irre macht! ich habe Augenblicke in denen ich mir selbst mit Aufrichtigkeit gestehen muß, daß viel abgenutzter und verbrauchter Plunder sich bei uns in [] allen Ecken angesammelt hat und uns sehr zur Last fällt. Allein das Aufräumen ist eine schwierige Sache! das alte Gerümpel stürzt über den Haufen und reißt vielleicht noch Brauchbares mit um.«

Er konnte sich stundenlang in diese Gespräche vertiefen, bei denen es jedoch unmöglich war zu einem Abschluß zu kommen. Die Jugend braucht ihn nicht! im Gegentheil würde er ihr schädlich sein weil sie Gefahr liefe pedantisch und systematisch zu werden. Sie lebt sich zum Abschluß heran. Ob je ein Mensch die ganz klare und richtige Summe seines Strebens in sein Rechnungsbuch, und nicht zuweilen halb unbewußt ein X. für ein U. schreibt – ist die Frage. Indem wir leben wachsen wir in unser neues Wollen und Denken dermaßen hinein, daß wir uns nicht mehr genau besinnen wie es ehedem damit beschaffen gewesen ist. Zwanzig Mal denken wir: jezt sind wir zum Abschluß gekommen, jezt wissen wir was wir zu erwarten, zu geben, zu thun, zu meinen haben – und über's Jahr, oder über drei Jahr, oder doch ganz gewiß über zehn Jahr ist Alles anders. Und dann spricht man von Treue als von einer Tugend! Treue ist Gewohnheit mit Nothwendigkeit und Bequemlichkeit .... vielleicht sogar mit ein klein wenig Heuchelei vermischt.

[] »Sie sind eine fürchterliche Frau!« rief Wilderich als ich einmal diese Aeußerung machte.

»Für Sie und Ihresgleichen mag es anders sein. Ihr Herz mag einen so starken und gleichmäßigen Schlag haben, daß seine Ermattungen und seine Fieber nur die Oberfläche bewegen ohne es im tiefsten Grunde zu erschüttern. Oder auch liegt es an einer großen Idee, deren Realisirung das Leben füllt, vor Anker und ist mit ihr still, fest und treu. Aber Treue gegen den Menschen – dazu gehört eben außer Ihnen noch ein Gegenstand, und wer bürgt Ihnen für den?«

»Mein Vertrauen.«

»Und wenn das nicht auf den Rechten gesetzt ward?«

»O! rief Wilderich, haben Sie denn nie einen Menschen geliebt?«

»In dieser Frage hat Ihr Instinct Ihnen die richtige Antwort eingegeben.«

»Und warum .... mein Gott, warum denn nicht?«

Ich zuckte die Achseln. »Auf manches Warum giebt es gar keine – oder die trostlose Antwort: Weil man es nicht verstanden oder nicht verdient hat.«

Wilderich nahm meine Hand, drückte sie lebhaft an seine Lippen und rief:

[] »O Sie Himmlische! was kann bei Ihnen von verdienen die Rede sein! Auf Sie müssen alle guten Gaben wie Morgenthau und Sonnenlicht herab sinken.«

»Auf die fürchterliche Frau? .... wie Sie eben mich nannten! Sie verfallen in Widerspruch,« sagte ich spöttisch und zog meine Hand kühl zurück.

Er erröthete flüchtig und sah traurig zu Boden. – – – – So verging die Zeit. Wilderich hatte allmälig wieder den Gebrauch seiner Glieder erlangt; aber sein Gang sowol als seine Armbewegungen waren steif und schwer. Der Arzt rieth ihm nach Baden zu gehen. Er hatte gar keine Lust dazu. Er behauptete die Bergluft des Oberlandes sei viel heilsamer, viel gesünder, und die Bemerkung daß sie steife Glieder nicht geschmeidig mache, ließ er fallen. Er wollte eben nicht fort. Das fing an mich zu beängstigen. Wilderich war ein Mensch der sich aus Dankbarkeit für eine Frau fanatisiren konnte.

Benvenuta sollte mich in den Frühlingsferien besuchen. Ich benutzte das um ihm eines Tages zu sagen:

»Es ist zwar sehr unfreundlich einem Gast und einem Kranken die Thür zu weisen, aber es hilft nichts, lieber Wilderich, Sie müssen meiner Tochter[] das Feld räumen! Ich habe in diesem engen Häuschen nur ein Gastzimmer.«

»Sie haben mich so lange geduldet aus übergroßer Güte; nichts als Beschwerden und Last habe ich Ihnen gemacht und doch mißbrauche ich Ihre Güte genug um nicht von selbst Ihr Haus zu verlassen! das wäre eine grenzenlose Unbescheidenheit – wenn« .... – – –

»Es ist keine! unterbrach ich ihn schnell. Sie fühlen sich noch nicht vollkommen hergestellt, und fühlen ebenfalls – was Sie auch von Beschwerden u.s.w. sagen – daß Sie mir nicht lästig sind: drum wollten Sie die trüben Winter-Erinnerungen und den Rest von Schwäche an demselben Orte in der schönen Frühlingsluft abbaden; das ist ganz natürlich.«

»Ich werde mich also im Gasthaus niederlassen; denn Ihre Tochter, gnädige Gräfin, muß ich durchaus kennen lernen! sie ist wol so ziemlich das einzige Geschöpf auf der weiten Welt für das Sie sich interessiren.«

»Von Ihnen, Wilderich, hab' ich diesen Vorwurf doch kaum verdient.«

»Es ist kein Vorwurf .... wenigstens keiner für Sie, sondern für Andere. Aber Ihre Tochter muß ich kennen lernen!«

[] »Ich habe gar nichts dagegen,« sagte ich ein wenig befremdet, da ich nicht begriff welch Interesse er plötzlich an der unbekannten Benvenuta nahm, deren Porträt ihm nicht einmal sehr gefiel.

Er blieb also in Grindelwald nahm ein Zimmer im Gasthof und verbrachte übrigens seine Tage bei und mit mir.

Bald darauf kam Benvenuta. Sie war jezt in ihrem sechszehnten Jahr, und lieblich .... ach lieblich, wie man eben nur in dem Alter ist, frisch, blühend, rosig und doch so zart wie eine Purpurwolke am Morgenhimmel. Ihre frühere Kränklichkeit hatte sie wie es schien gänzlich überwunden. Ein lebhafter Wechsel der Farbe bei jeder Gemüthsbewegung – in welcher sie überdas immer schwieg – deutete auf eine feine reizbare Organisation und auf ein stilles tiefes Gefühl. Von der fliegenden Heftigkeit meiner jugendlichen Empfindungsweise war Gottlob! keine Spur in ihr. Ich glaube nicht ein holdseligeres Mädchen je gesehen zu haben. Sie war so recht ein junges Mädchen – unbefangen und doch schüchtern, schelmisch und doch blöde. Was weiter in ihr war – wer konnte es wissen? – –

Wilderich empfing Benvenuta mit stralender Freude. Ich verstand das gar nicht. War es [] Dankbarkeit gegen mich? hatte sich seine Phantasie zuvor von ihr fesseln lassen? war es eine urplötzlich entzündete Liebe? Zuweilen glaubte ich eines dieser Motive in seinem Benehmen zu finden, zuweilen keines. Was er nur erfinden konnte um Benvenuta zu unterhalten, wendete er an. Zuerst ließ sie sich das nur gefallen; allmälig war es ihr angenehm der Gegenstand einer so unausgesetzten Huldigung zu sein. Ich erinnerte ihn täglich an seine Reise nach Baden; er behauptete sie täglich mehr entbehren zu können.

»In dem Fall würde Ihre Mutter doch sehr froh sein Sie nach all diesen überwundenen Gefahren wiederzusehen;« sagte ich.

»Allerdings! .... und ich auch die gute Mutter! entgegnete Wilderich. Allein ich bin überzeugt sie gönnt mir von Herzen daß ich jezt ein wenig die Schweiz genieße – und umsomehr da ich meine Zeit nicht verliere, sondern bei Ihnen perfect englisch gelernt habe! denn Zeitverlust ist nun einmal den Müttern ein Greuel.«

»Sie genießen aber gar nicht die Schweiz, lieber Wilderich, wenn Sie immer hier bleiben.«

»Kann man sie schöner genießen als hier? liegt mir nicht grade hier ihr characteristischer Zauber vor Augen: feierliche Majestät und idyllische Anmuth?[] Dies Thal ist eine Wiege in der wie Zwillinge Gletscher und Wiese friedlich bei einander ruhen. Um unsre kleinen niedrigen Hütten halten die Titanen der Natur, die hohen Berge Wache, recht wie es sich ziemt für die Großen daß sie die Kleinen beschützen. Da oben donnern die Lavinen, hier unten summen die Bienen! – Und waren wir nicht gestern in Interlachen und vor drei Tagen in Lauterbrunn? – Wollen wir nicht morgen zum Rosenlaui-Gletscher, und ein andres Mal zur Handeck und auf das Faulhorn; und immer wieder hieher zurück unter dies gesegnete Dach? Nein, gnädige Gräfin, weder in der Schweiz noch in der Welt kann ich etwas Schöneres sehen.«

»Ich kann mir nicht helfen, Wilderich, ich bin eine ächte Mama: mir thut Ihre Zeitverschwendung leid!«

»Ach! die sogenannt verschwendete Zeit ist fast immer eine glückliche von der uns später für Nachwirkung und Erinnerung kein schöner Augenblick, kein seliger Athemzug verloren geht, von der ein erquickender Duft und ein melodischer Nachhall in der Seele bleibt.«

»Kind! was wissen Sie mit Ihren zweiundzwanzig Jahren von Erinnerungen?«

[] »Wenn ich auch nichts weiß, so ahne ich doch ihren Zauber und ihre Macht.«

»Wie das jugendlich gesprochen ist! Von den Erinnerungen erwartet die Jugend allgewaltige Magie; aber auch von der Zukunft! .... und auch von der Gegenwart, nicht wahr? Ihre ungeübte und ungeprüfte Kraft erscheint ihr so maßlos und unerschöpflich, daß sie von keiner andern Empfindung als von unendlichen – sogar in der Erinnerung noch unsterblich! – wissen will. Aber! aber! die Kraft ist nicht übermäßig, mein armer Wilderich! sie hält nicht so fest wie der Magnet das Eisen; sie umschließt nicht so fest wie die Muschel ihre Perle! – Meistens ist sie ein Sieb; zuweilen eine Schaale von Porcellan oder Krystall, der nichts fehlt als daß sie einen kleinen feinen Riß hat, durch den ganz langsam, ganz unmerklich der Inhalt entströmt oder verfliegt. Nein nein, rechnen Sie nicht auf die Wonne der Erinnerung.«

»Und was hätte ich denn am Schluß meines Lebens um mein müdes Haupt darauf zu betten wenn nicht den Blumenpfühl der Erinnerung?«

»Und wer sagt Ihnen denn daß Sie am Schluß Ihres Lebens Ihr müdes Haupt auf einem Blumenpfühl betten müssen? – Es kann ja auch sein [] auf den Dornen des Schmerzes oder in der Asche der Trostlosigkeit.«

Benvenuta nahm meine Hand, legte sie auf ihre Augen und sagte bittend:

»Mama, ich kann's nicht aushalten vor Traurigkeit wenn Du so sprichst.«

Zu gleicher Zeit sagte Wilderich mit Zuversicht:

»Nein, so elend ist und macht das Leben nicht! Sei es drum daß die Blumen fehlen, daß die Dornen ihren Platz einnehmen! .... aber Asche – nein! so lange mein Herz schlägt, und es kann ja nur mit meinem letzten Athemzug still stehen, lebt ein Funke in ihm, der es vor dem Zusammensinken in Asche bewahrt! sei es ein Glaube, eine Hofnung, eine Liebe – sei es noch Anderes was ich nicht kenne oder nicht zu nennen weiß! Der Mensch soll Leid und Schmerz haben damit er sich bei ihrer Bekämpfung stähle; aber umkommen .... so in der Asche von ich weiß nicht was für namenlosen Dingen – das soll er nicht, das ist nicht seine Bestimmung; und geschieht es dennoch, so geschiehts durch seine eigene Schuld.«

Benvenuta hatte ihren Kopf von meiner Hand allmälig gehoben, und sah mit einem Ausdruck von rührender klarer Zuversicht auf Wilderich. Ihre Gesinnung entsprach der seinen. Ein Blick auf [] dies liebe unschuldige Gesicht machte mich schweigen; sonst schwebte schon die Frage an Wilderich auf meinen Lippen: wie er die Schuld vom Leben trennen – und wie er die Verschiedenheit der Individualitäten aufheben wolle, welche bewirke daß der Eine leicht, der Andre schwer, der Dritte gar nicht das Schuldbewußtsein von sich werfe. – Statt dessen sagt' ich:

»Um wieder auf unser eigentliches Gespräch zurück zu kommen, Wilderich: wann gehen Sie nach Baden?«

»Wenn Fräulein Benvenuta abgereist sein wird;« entgegnete er, nicht eben in froher Laune.

Benvenuta rief aber ganz vergnügt und freudig erröthend: »Mit der Einrichtung bin ich sehr zufrieden!«

Am andern Tage ritten wir zum Rosenlaui-Gletscher, den Benvenuta noch nicht kannte, und der unstreitig zu den allerschönsten Punkten gehört, welche die Schweiz aufweisen kann, denn er ist phantastisch – und das ist ihre Natur nur ausnahmsweise. Diese saphirfarbenen Eisblöcke, Eisgrotten, Eispfeiler, liegen da wie Trümmer einer wundersamen fremden Welt an deren Erstarrung man nicht glauben kann weil sie so schön ist. Man meint sie müsse sich wieder zu Tempeln und Hallen [] auf den Wink eines geheimnißvollen Baumeisters zusammenfügen um dann der Tummelplatz von einem Elfengeschlecht oder von Elementargeistern zu werden. Es ist die schönste Ruine eines Undinen-Palastes von blauem Krystall, welche die Phantasie eines Märchendichters erfinden könnte. Von einer ungeheuern Gewalt ist sie in diese Scenerie hineingeschoben, die mit ihren scharfen Gebirgesspitzen, ihrem zerklüfteten Boden, ihren rauschenden schwarzen Tannen und brausenden milchweißen Bächen, ein ächtes Bild der wilden Bergnatur darstellt.

Benvenuta war ganz bezaubert und ich ganz erstaunt daß sie es war. Ich hatte sonst nie bemerkt daß dergleichen Bilder einen solchen Eindruck auf sie machten. Und doch konnte es nicht anders sein! in dem Kinde schläft die Seele, giebt sich nur in einzelnen aufblitzenden Regungen kund, die aber noch weiter nichts als Träume sind. Beobachtung und Wißbegier sind vorherrschend im Kinde: es will die Welt der großen Leute verstehen. Ist es später in die Jugend hinein getreten – aus der Vorhalle des Lebens auf dessen Tempelschwelle – dann wird es gedrängt das Räthselwort seiner eigenen innerlichen Welt zu suchen; dann braucht es seine Seele, dann schüttelt diese ihren Schlummer ab, erwacht – und mit diesem Erwachen geht [] das Gefühl in ihr auf, diese Sonne um welche sich tausend Planeten der Gedanken drehen. Benvenuta war still nach ihrer Weise, aber ihre Augen stralten, und als ich sie auffoderte eine schöne Baumgruppe neben dem Gletscher zu zeichnen, sagte sie bittend:

»Ich muß heut' einen Feiertag haben, liebe Mama! es ist hier so sehr feierlich.«

»Wir setzten uns Beide auf das frische Moos und lehnten uns an den rauhen Stamm einer ungeheuern Tanne, deren mächtige Zweige ganz still über uns hingen wie zerrissene Trauerflöre durch welche der tiefblaue Himmel und der goldne Sonnenstral freudeverheißend schimmerten. Vor uns lag die Wunderpracht des Gletschers. Ringsum war Alles still, nur die Bäche brausten. Die ganze Natur hielt Mittagsruhe. Seitwärts von uns saß Wilderich mehr zu uns als zu dem Gletscher gewendet. Sein tiefes ernstes Auge schlug zuweilen glanzvolle Blicke zum Himmel auf und sank dann wieder nach Innen blickend unter die Wimpern zurück. Einmal sagte er:

»Als ich ein kleiner Knabe war erzählte mir meine Mutter: allüberall sei der unsichtbare große gute Gott. Wenn ich nun in der tiefen Stille der Mittags- oder Abendstunden, wo kein Lüftchen sich [] zu regen scheint, doch die allerhöchsten und feinsten Wipfel der Bäume ohne bemerkbare Ursach sich sanft umbiegen sah, so glaubte ich in meinem kindischen Sinn sie beugten sich unter den Schritten Gottes, der unsichtbar über ihnen dahin wandele um zu sehen ob auf Erden Alles gehe wie es gehen solle; und hauptsächlich ob ein gewisser Knabe Wilderich auch seine Schuldigkeit thue. Das erfüllte mich mit so namenloser andächtiger Ehrfurcht, daß mir zuweilen helle Thränen langsam aus den Augen liefen und ich mir vornahm immer ein ungeheuer guter Knabe zu sein und Mann zu werden. Jezt streifen meine Blicke freilich mehr über die Erde und die Menschen hinweg, senken sich auf Bücher und Papier und allerlei nichtswürdiges Treiben, wo freilich die Schritte Gottes nicht wol zu erkennen sind. Kommt es aber einmal so wie heut daß ich in feierlicher Stille zu den sanftbewegten Baumwipfeln aufschaue, so wollen ihre leisen Beugungen mich noch immer fragen, ob ein gewisser Wilderich auch seine Schuldigkeit thue; und das stimmt mich ernst – ganz wie damals.«

»Und thut er sie?« fragte ich.

»Darauf ist schwer zu antworten.«

»Doch nur in dem Fall daß er sie nicht thut.«

»Wie unerbittlich hart sind Sie!« rief Wilderich.

[] »Und ungerecht, Mama! rief Benvenuta lebhaft. Soll er sich denn selbst loben? – das würde Dir auch nicht gefallen!«

»Er soll eine aufrichtige Antwort geben! sagte ich. Ob das nun ein Selbstlob sein würde .... bleibe dahingestellt.«

»Sie haben eine bessere Meinung von mir als Ihre Frau Mutter, sagte Wilderich freundlich zu Benvenuta. Dafür muß ich Ihnen recht dankbar sein.«

»Mama scherzt nur, entgegnete sie erröthend. Wenn sie keine gute Meinung von Ihnen hätte würde ich ja auch keine haben.«

Sie sprang auf und pflückte schöne Genzianen, die wie dunkelblaue Sterne den Boden an manchen Stellen bedeckten. Wilderich half ihr; dann kam sie zurück und wand einen Kranz immer fröhlich mit ihm plaudernd. Ich saß unbeweglich auf meinem alten Platz. Es kam eine große Stille über meine Seele. Das Rauschen des Baches, der Duft des Tannenharzes, der Kräuter und des Mooses, der Sonnenstral der mich in sein Licht und seine Wärme hüllte – webten einen Schleier um mich, hinter welchem ich wie aus weiter Ferne Benvenutas und Wilderichs junge frische Stimmen zu mir klingen hörte; – aber aus der Ferne der[] Zeit, nicht des Raums. Ich dachte sie könnten dereinst Beide glücklich mit einander werden, glücklicher als ich es je gewesen und wie ich es doch stets ersehnt. Und bei dem Gedanken an mich wollte diese uralte ewige Sehnsucht wieder ihre Geierkralle in meinen Busen schlagen. Aber wie man zuweilen im Halbschlaf sich beschwichtigt über einen bösen Traum, so sprach ich jezt heimlich zu mir: Laß das! denke nicht an dich selbst! das macht dir Schmerz. Die intenseste Sehnsucht und das intenseste Bewußtsein von ihrer Unerfüllbarkeit – das allein ist Schmerz .... die ächte Perle des Schmerzes, wogegen alle andern nur Glasperlen sind. Die Offenbarung der Liebe, so stralend und stark, daß sie momentan den Schmerz überflutet: das ist Extase! – Freude, Wonne, Entzücken, Seligkeit, sind keine Extase; sie müssen mit dem Schmerz versetzt sein. Er allein ist dein Erbtheil. Dir ward die dunkle Folie ohne den funkelnden Diamant .... aber die Kinder werden es vielleicht besser haben; denk' an sie.

Ich schlug langsam meine Augen auf und begegnete Wilderichs, die mit melancholischer Glut auf mich gerichtet waren während er mit Benvenuta plauderte und ihr die Genzianen zum Kranz reichte. Sie hatte ihren Hut abgenommen.

[] »Setze Deinen Hut wieder auf! rief ich hastig. Die Sonne brennt, Benvenuta! das schadet Deiner Haut und Deinen Augen.«

»Du bist eitel für mich, Mama, und nicht für Dich, entgegnete sie lächelnd und gehorchend. Du sitzest hier seit zwei Stunden ohne Hut. Jezt da ich meinen Kranz vollendet habe kann ich ihn nicht tragen. Da muß ich ihn verschenken.«

Und mit rascher graziöser Bewegung setzte sie den Kranz auf Wilderichs glänzend braune Locken. Aber er nahm ihn ab und sagte:

»Verzeihung! wir Männer sehen mit Kränzen eigenthümlich ungeschickt aus, so etwas wie Ungeheuer. Finden Sie nicht, Fräulein Benvenuta? – Was Ihre schönen Hände geflochten haben muß zu Ehren kommen.«

Mit diesen Worten erhob er sich und setzte mir den Kranz auf

»Da Ihr Beide ihn verschmäht, so muß ich ihn freilich behalten .... und überdas erfrischt er mir angenehm die Stirn,« sagte ich.

»Mama! rief Benvenuta lebhaft, erlaubst Du mir den Versuch Dich so zu zeichnen? Du glaubst nicht wie Du schön aussiehst mit diesem dunkelblauen Kranz – ganz wie ein Bild der Melancholie, das ich einmal in einem englischen Album [] gesehen habe. Die herrliche Tanne – Deine halb liegende Stellung – Alles ist so schön.«

»Gut! – ich gebe Dir eine Viertelstunde. Erlaubniß.«

Benvenuta schrie das sei unmöglich. Wilderich sagte:

»Fangen Sie nur geschwind an! ich werde nach meiner Uhr sehen und Ihnen sagen wenn die Frist abgelaufen ist. – Jezt ist es halb drei.«

Benvenuta machte sich emsig an ihre Arbeit. Mehrmals sah sie fragend zu Wilderich hinüber, der die Uhr in der Hand hielt und immer den Kopf verneinend schüttelte. Ich ließ ihr den Spaß, ich weiß nicht wie lange. Endlich sprang ich auf und sagte:

»Die Viertelstunden scheinen unter diesem Baum verzaubert zu sein.

»Ja, sagte Benvenuta lieblich, das hat ein guter Geist mir zu Gefallen gethan, denn die Zeichnung ist weit genug vorgeschritten um sie zu Hause vollenden zu können.«

»Warlich, ein guter Geist! rief Wilderich. Meine Uhr steht noch immer auf halb drei – ist also vermuthlich abgelaufen.«

»Die meine ist vier! sagte ich. Jezt zu Pferde.«

Während des ganzen Heimrittes bat Wilderich[] Benvenuta um dies Bild. Sie wollte es nicht geben.

»Bedenken Sie doch welch eine dreifach liebe Erinnerung sich für mich daran knüpft, bat er: an Ihre Mutter, an diesen Tag .... und an Sie.«

»Genau so geht es mir auch!« entgegnete sie.

»Aber Sie haben dabei eine Erinnerung weniger.«

»Nicht doch! Sie waren der gute Geist der die Zeit still stehen hieß damit ich überhaupt das Bild vollenden könnte.«

Endlich vereinigten sich Beide darüber, daß Benvenuta das Original behalten und für Wilderich eine Copie machen solle. Zufriedengestellt langten wir in Grindelwald an. Da erwartete mich ein Brief aus Ouchy mit der Nachricht, daß die Vorsteherin des Instituts plötzlich an einer Brustentzündung gestorben sei. Ihre Tochter schrieb tief traurig an Benvenuta, welche mich sogleich mit heißen Thränen bat zu ihrer betrübten Freundin zurückkehren zu dürfen. Ich sagte ihr ich würde am nächsten Tage mit ihr abreisen und Wilderich, welcher Zeuge dieser Scene gewesen war erklärte: dann würde er nach Baden gehen. Sein Entschluß war mir sehr lieb! hatten er und Benvenuta Neigung zu einander, so mußte sich diese in der Ferne entwickeln und bestärken. Geschah das nicht, [] so war die Trennung doppelt nothwendig, indem ein Zusammenleben aufhörte, welches durch seine Intimität unerfahrne Herzen in einen Traum von Liebe hätte verwickeln können.

Wilderich fragte mich nach meinen Plänen. Ich hatte keine vor der Hand. Er sah ganz verstört aus und bat mich um Erlaubniß mir aus Baden schreiben zu dürfen, was ich gern bewilligte. Ich zählte fast mit Gewißheit auf seine Werbung um Benvenuta. Die große Jugend und Unerfahrenheit Beider abgerechnet war es mir ein lieber Gedanke. Ich hatte Wilderich sehr lieb. Vielleicht sind uns immer die Menschen lieb denen wir wolgethan, so wie wir selten die leiden können gegen die wir ein Unrecht begangen haben. So paradox das klingen möge hängt es dennoch eng mit unserm Bedürfniß zusammen uns selbst achten zu können.

Wirklich fuhr ich am andern Morgen mit Benvenuta fort, und Wilderich begleitete uns bis Bern, wo sich unsre Wege trennten. Es war keine heitre Fahrt! Benvenuta schwamm in Thränen. Wilderich im Wagen ihr gegenüber sitzend, starrte sie stumm und beinah finster an. Ich, nur dann gesprächig wenn ich eine innere Auffoderung dazu empfand, war von Natur, durch Gewohnheit, Richtung und Schicksal schweigsam, konnte tagelang [] schweigen und fühlte mich gar nicht berufen jezt gesprächig zu sein. Dieser Tag war so recht ein schneidender Contrast zu dem vergangenen! wir waren die nämlichen Menschen; wir befanden uns in einer der schönsten Gegenden der Welt; wir fuhren leicht und bequem durch die herrlichen Thäler von Grindelwald und Interlachen, am Ufer des Thuner Sees, und über die anmuthige Ebene von Thun nach Bern; – aber Niemand beachtete es, und Jeder wickelte sich in seine traurigen Gedanken einsam ein – während wir uns gestern in glänzender Heiterkeit und inniger Theilnahme einander nah fühlten. Solch ein Wechsel – ist leben! sprach ich heimlich. Aber es mußte halblaut gewesen sein, wie mir das in tiefen Gedanken zuweilen begegnete, denn Wilderich sagte:

»Jedoch ein trauriges Leben.«

»Der Wechsel ruht aus und erfrischt – heißt es.«

»Auch Sie?«

»Nein, mich nicht! im Gegentheil! mich zehrt er auf, mich verbraucht er stückweise – denn ich will immer etwas das ohne Ende sei! es brauchte nicht grade Glück .... es dürfte auch Schmerz sein .... und ohne Ende! Daß Alles ein Ende hat, das frohe Gestern, das trübe Heute, so Alles! Alles! .... das konnte ich eben nicht ertragen, und deshalb [] habe ich wenig Ruhe genossen im Leben. Phantastische Sehnsucht schmachtete nach dem Unendlichen; frühe Erfahrung ließ mich überall das Ende sehen oder ahnen! Eine Hand streckte ich nach geliebten Chimären aus; die andre streute erblaßte Bilder gleichgültig in den Wind. Und dies Alles rührte daher weil ich nicht stark genug war das Leben wie es ist und wie Gott es uns gegeben hat – nicht blos zu tragen, sondern zu ehren.«

»Das Leben ehren mit seinem schaalen Wechsel, seiner dumpfen Verwirrung, seiner schreienden Ungerechtigkeit, seiner gekrönten Erbärmlichkeit – mit seinen Qualen der Leidenschaft und des Zweifels, der Sorge und der Schwäche – ist das möglich?«

»Das Leben ehren, Wilderich! denn so lange Ihre Augen offen stehen, Ihr Herz klopft, Ihre Hand sich regt – können Sie das Gute thun und das Schöne lieben! und dies nenne ich das Leben ehren wie Gott es uns gegeben hat.«

»Das Schöne lieben und das Gute thun,« wieder holte Wilderich ernst und sank in sein Schweigen zurück.

In Bern ging Benvenuta sogleich schlafen, und ich mit Wilderich auf die wunderschöne Promenade vor der Kathedrale, genannt die Plateforme, wo [] man die herrlichste Aussicht auf die Jungfrau und ihre majestätischen Genossen hat. Es war um Sonnenuntergang und im stralendsten Glanz lagen sie da wie goldene Riesenpfeiler welche den Himmel tragen. Wir setzten uns auf eine Bank unter den Kastanienbäumen. Mein Auge hing an dem Farbenspiel der Berge; meine Seele flog unbestimmten Höhen und Fernen zu. Ich erschrack fast wie ein Nachtwandler den man bei seinem Namen ruft, als Wilderich mit bebender Stimme sagte:

»Gnädige Gräfin .... morgen sehe ich Sie nicht mehr, und meine Seele hat sich an Sie gewöhnt.«

Während er sprach sah er aber nicht mich, sondern die Berge an. Ich fühlte nun wol daß »sie« nicht die Berge waren; aber voll meiner Voraussetzung, daß zwischen ihm und Benvenuta eine Liebe keime, glaubte ich ihr gelte dies »sie«. Und als er nach einer Pause noch leiser und beklommner sagte:

»Werde ich Sie nie wiedersehen dürfen?« – – entgegnete ich liebevoll:

»Warum denn nicht, Wilderich! Aber versuchen wir eine Trennung von einigen Wochen; sammeln und besinnen Sie sich, überlegen Sie die Zukunft was Sie zu thun und zu bieten haben; – und wenn Sie nach vollendeter Badecur mich in Grindelwald [] oder wo es sei besuchen: so wollen wir darüber sprechen. Jezt nicht. Es scheint mir noch zu früh, zu unreif.«

Ein ganz extatischer Freudenschimmer blitzte in seinem Auge auf und zu mir herüber, als er rief:

»Also wiedersehen! .... o gelobt sei Gott!«

Damit war unser Gespräch zu Ende, und Jeder von uns hing wieder seinen Träumereien nach – lange! lange! Ich hatte nun einmal die Gewohnheit mich nicht um die Zeit zu kümmern. Der starke Schlag der Uhr, die an der Kathedrale zehn schlug, machte mich auffahren. Es war ganz finster geworden.

»Warum erinnern Sie mich nicht an die Heimkehr, Wilderich!« rief ich schnell aufstehend und seinen Arm nehmend.

»Ich fühlte mich daheim in meiner Seligkeit,« sagte er.

»Hoffen Sie nicht zu viel, Wilderich! .... ich weiß ja nicht einmal ob Sie überhaupt hoffen dürfen.«

»O still! still! Sie sagten selbst: jezt nicht! – Einige Wochen voll himmlischer Hofnung liegen vor mir und dann – .... dann wird mir zu Sinn sein als würde ich von Rosenwolken zum goldnen Gipfel der Jungfrau emporgetragen.«

[] »Welche Schwärmerei!« sagt' ich lachend.

»O lachen Sie nicht! bat er sanft; ich bin ja glücklich.«

»Ist Ihre Liebe wirklich so tief?« fragt' ich gerührt.

Er antwortete nicht, aber er nahm meine Hand die auf seinem Arm lag und drückte sie mit tiefer Bewegung an seine Lippen und an sein Herz.

In unserm Gasthof angelangt setzte ich mich an den Theetisch; Wilderich ging auf und ab im Salon mit einer Hast die beunruhigend war. Ich bat ihn sich zu mir zu setzen: er wollte nicht. Ich fragte dies und das: er antwortete zerstreut. Endlich sagt' ich:

»Sie sind ungeselliger Laune; also gute Nacht, mein Wilderich! gehen Sie schlafen!«

»Und morgen früh um fünf Uhr muß ich mit dem Zürcher Eilwagen fort ohne Ihnen zuvor Lebewol sagen zu können!« rief er.

»Desto besser! Abschied nehmen ist so traurig.«

Er kniete plötzlich vor mir nieder. Ich sagte kurz:

»Auf, Wilderich! diesen Ausdruck der Andacht nicht zum Spaß mißbraucht!«

»Zum Spaß? .... mißbraucht? – o meine Gräfin! selten mag wol ein Mensch mit so tiefem heiligen Dankgefühl niedergekniet sein – Dank für [] das Erbarmen der Vergangenheit – Dank für die Huld der glückseligsten Hofnung. Sie haben mir das Leben gerettet! in langen Nächten haben Sie mich bewacht, in schweren Tagen mich gepflegt, immer ein Lächeln, einen Trost, eine unbesiegliche Geduld für mich gehabt, den Unbekannten, den Fremdling! – dann haben Sie mich gelehrt welch eine herrliche Gabe das Leben sei, weil wir darin das Gute thun und das Schöne lieben sollen – und allendlich haben Sie mir ein überirdisches Glück zugesagt! .... – Und dafür gäbe es einen übertriebenen Ausdruck von Dank und Andacht? – – O sehen Sie denn nicht daß ich nicht anders kann als vor Ihnen knien?«

Dieser junge warme Ausbruch des Gefühls that mir unsäglich wol. Ich sagte:

»O Wilderich! es ist doch wunderschön wenn das Herz den Regenbogen der Empfindung – und sei es nur auf Secunden! – über unser graues Lebensgewölk wirft.«

Er hatte sein Gesicht in meine Hände und auf meine Knie gelegt. Ich hob seinen Kopf empor; an seinen Wimpern hingen Thränen. Sanft legte ich meine Hand über seine Augen und sprach:

»Ich bin wie die Männer! ich kann in lieben Augen keine Thränen sehen.«

[] Und ich bog mich herab um seine Stirn zu küssen. Aber eine fürchterliche Erinnerung schmetterte urplötzlich wie ein Wetterstral durch meine Seele. Ich lehnte mich zurück, ließ die Hand sinken und sprach ruhig:

»Und nun genug, lieber Wilderich! dieser Augen blick ist mir süß und freudig gewesen wie eine Frühlingsblume die man im Spätherbst unter welken Blättern findet. Ich wünschte sie nie zu vergessen. Leben Sie wol – bis zum frohen Wiedersehen!«

Ich gab ihm die Hand, und verließ den Salon. – Wie oft habe ich es später beklagt ihm jenen Kuß nicht gegeben zu haben! er hätte vielleicht Wilderichs Lippen gelöst und den wahren Zustand seiner Seele zur Sprache gebracht. Er kann Wunder thun – ein Kuß! kann die Herzen entsiegeln oder besiegeln die in Beklommenheit und Schwankung zitterten. Aber ich in der Verkehrtheit meines Herzens verstand nie! nie! das Rechte zu treffen. Am Abend des andern Tages war ich mit Benvenuta in Ouchy. Sie war unterwegs noch viel betrübter. Sie sprach gar nicht von Wilderich was mir unnatürlich vorkam, da sie ihm nicht Lebewol gesagt hatte; aber ich ließ sie gewähren, denn ich hatte Scheu etwas anzurühren oder aufzustören,[] was vielleicht der Stille bedurfte um klar zu werden. Es ist unsäglich schwer ein junges Wesen zu verstehen, das sich selbst nicht versteht. Die Mütter behaupten freilich immer sie kennten ihre Töchter bis in die Seele hinein; ich mögte behaupten, daß sie durch immer neue und die allergrößten Ueberraschungen zu dieser Kenntniß gelangen.

Die ganze Erziehungsanstalt war durch den Tod der Vorsteherin in Auflösung. Deren Tochter Gabriele ein durch Geist und Bildung ausgezeichnetes Mädchen, war bei einundzwanzig Jahren noch nicht erfahren genug um den Platz der Mutter auszufüllen, und die Oberlehrerin genoß nicht eines so unbedingten Vertrauens. Ich war schnell entschlossen und bot Gabrielen an als Benvenutas Gesellschafterin zu mir zu kommen. Das erfüllte beide Mädchen mit Freude und Dank. Binnen acht Tagen waren die alten Verbindungen gelöst, die neuen geknüpft, und Benvenuta bat mit freudig überwallendem Herzen:

»Nicht wahr Mama, nun gehen wir geschwind nach Grindelwald zurück?«

»Es wird sehr eng für uns drei in der Cottage sein!« entgegnete ich um zu erfahren welche Sehnsucht sie dahin treibe.

»O, Gabriele und ich – wir werden uns schon [] zusammen in einem Zimmer vertragen! wir sind daran gewöhnt. Ach Mama! es ist so lieb, so herzig in der Cottage von Grindelwald wie nirgends sonst.«

»Auch nicht in Deinem geliebten Engelau?«

»Nein! – nirgends!«

»Im vorigen Herbst gefiel sie Dir doch gar nicht besonders.«

Benvenuta wurde purpurroth und erwiderte verlegen und schüchtern:

»Jezt aber sehr! .... ich meine .... im Frühling sehr.«

»Es wird aber jezt nicht so munter dort sein, weil Wilderich fehlt;« sagte ich unbefangen, zum ersten Mal seit seiner Abreise seinen Namen aussprechend.

Sie erbleichte und schloß momentan die Augen, als habe sie eine heftige und schmerzliche Erschütterung empfunden. Ich sah daß sie unfähig war mir eine Antwort zu geben die arme Kleine! darum fuhr ich gelassen fort:

»Indessen wird er ja auch bald wieder kommen.«

»Ist es möglich!« rief Benvenuta durch namenlose Freude über ihre Schüchternheit emporgehoben.

»Wenn Du es wünschest – ist es gewiß! Wilderich kommt wohin es sei, sobald ich ihm nicht [] ausdrücklich schreibe er solle nicht kommen; und dies würde ich nur in dem Fall thun, daß er Dir gleichgültig wäre und daß Du mir den Auftrag gäbest ihm das schonend beizubringen.«

»Wenn er kommt, Mama, so ist es mir ganz einerlei ob wir hier bleiben, oder nach Grindelwald oder sonst irgend wohin gehen! sagte Benvenuta wieder ganz blöde und erröthend. Aber glaubst Du wirklich daß mein Wunsch ihn wiederzusehen Einfluß auf sein Kommen oder Nichtkommen haben könnte?«

»Ich glaube es nicht – sondern ich weiß es! am Abend in Bern hat er es mir gesagt. Er wünscht innig Dich wiederzusehen um Deine Neigung gewinnen und Dein Herz fesseln zu können. Und dazu hab' ich ihm Hofnung gemacht.«

»O Mama! wie himmlisch gut bist Du!« rief Benvenuta und warf sich entzückt in meine Arme.

Gleich nach diesem Gespräch schrieb ich an Wilderich:

»Es ist so eben bestimmt worden, lieber Wilderich, daß wir für den ganzen Sommer nach Grindelwald gehen. Sie wissen also wo Sie uns finden und daß Sie uns willkommen sein werden, in dem Fall daß Sie Ihren Entschluß nicht [] geändert haben. Zuvor müssen Sie aber fein ruhig Ihre vierwöchentliche Badecur abmachen. Den großen Festen des Lebens muß man gesund und kräftig entgegen gehen. Adieu, Wilderich. Eine Menge angenehmer Dinge die Sie vermuthlich wissen mögten, mag ich nicht schreiben, weil sie unendlich viel lieblicher zu hören und zu sagen – als zu lesen und zu schreiben sind. Gott mit Ihnen.«

In Grindelwald erhielt ich seine Antwort. Sie war kurz wie mein Brief, ein unterdrücktes Freudejauchzen, ein Herzpochen der Seligkeit. Ich gab das Blatt an Benvenuta. Sie las es, küßte es mit feierlicher Rührung, faltete die Hände darüber und sagte indem sie ihre schönen unschuldigen Augen thränenvoll zum Himmel aufschlug:

»Gott, wie danke ich Dir daß es wirklich wahr ist.«

Uebrigens sprach sie nach ihrer Art fast gar nicht von Wilderich weder mit mir noch mit Gabrielen; allein ich sah an ihren Beschäftigungen, daß er der Mittelpunkt ihrer Gedanken war. Mein Bild unter der Tanne am Rosenlaui-Gletscher machte sie im Original und in der Copie fertig, und alle Spaziergänge die Wilderich mit uns gemacht, suchte sie als die schönsten und liebsten auf. [] Je näher der Tag seiner Ankunft rückte, um desto bewegter wurde sie.

»Ich glaube ich freue mich zu sehr ihn wiederzusehen! sagte sie am Morgen des Tages dessen Abend ihn bringen sollte. Wenn nur dem Dampfboot auf dem Thuner See kein Unglück geschieht.«

»Und wenn eins geschähe?« fragte ich.

»Dann wär' es aus und vorbei,« sagte sie so merkwürdig gefaßt, daß ich staunend fragte:

»Was wäre aus und vorbei, seltsames Kind?«

»O, ich weiß nicht was! .... ich denke nur .... Alles.«

»Beruhige Dich, Benvenuta! das Dampfboot wird friedlich seinen Weg machen und um acht Uhr Abends, wie er es geschrieben hat, wird Wilderich hier sein; sonst gewiß morgen früh.«

Um acht Uhr Abends war Wilderich nicht da; nicht um neun und auch nicht um zehn. Benvenuta war fast bewußtlos vor nervoser Unruh.

»Er hat in Interlachen weder Wagen noch Pferde bekommen können – wie das in dieser Jahreszeit bei großem Fremdenzudrang ziemlich häufig geschieht – morgen zum Frühstück ist er hier,« wiederholte ich wol funfzig Mal; aber ich selbst gerieth in fiebernde Aufregung und bat Gabriele Benvenuta zum Schlafengehen zu bewegen. Das geschah. Ich [] aber warf mich halbtodt vor Erschöpfung auf die Chaiselongue die auf dem Altan stand, und lag dort gedankenlos von unerklärlicher Angst befallen bis gegen Mitternacht.

Rasche Schritte draußen auf dem festen Wege weckten mich aus meiner Lethargie. Ich sprang auf, bog mich über den Altan und fragte halblaut:

»Sind Sie es, Wilderich?«

»Freilich bin ich es,« rief er und sprang in großen Sätzen die Freitreppe zum Altan hinauf.

»Aber warum so entsetzlich spät?« fragte ich ganz matt und gab ihm die Hand.

»Der Maschine des Dampfboots geschah ich weiß nicht was für ein Unfall, der uns über zwei Stunden aufhielt. Dann fand ich kein Pferd in Interlachen. Um die Nacht dort zu bleiben fehlte mir die Ruhe; ich nahm einen Burschen der meinen Mantelsack trug, und wanderte zu Fuß von dannen. Eine unbestimmte Hofnung flüsterte mir zu, daß Ihre Gewohnheit tief in die Nacht hinein zu wachen Sie gewiß auf dem Altan festhalten würde. Da konnte ich Sie sehen, oder Ihr Kleid, oder das Licht in Ihrem Zimmer .... oder doch wenigstens die liebe Cottage! – – und so bin ich hier .... selig wie nie ein Mensch gewesen ist.«

[] Auf der Brustwehr des Altans stand eine Reihe von Nelkentöpfen. Aber nicht steif an Stäbe gebunden war die schöne Blume, sondern lang und geschmeidig, wie es der Gebrauch in den Schweizer-Bauerhäusern ist, fiel sie mit ihren feinen Blättern graziös über die Brustwehr herab und bildete eine Art von Teppich oder Behang über derselben. Ich hatte mir einen Strauß gepflückt dessen gewürziger Duft mich erquickte, und während Wilderich hastig bis zur Athemlosigkeit sprach, drückte ich mein Gesicht ein Paarmal in die frischen kühlen Blumen, denn es lastete eine gewitterhafte Schwüle auf der ganzen Natur.

Als Wilderich schwieg nahm er mir plötzlich den Nelkenstrauß aus der Hand und bedeckte ihn mit Küssen. Ein namenloses Entsetzen kroch bei dieser leidenschaftlichen Bewegung wie eine Schlange an mich heran. Wir saßen auf dem Altan, der durch die Lampe im Salon und durch den überwölkten Sternenhimmel nur matt erleuchtet war, so daß ich Wilderichs Gesicht nicht deutlich sehen konnte; allein es giebt Momente wo man den Ausdruck eines Gesichtes fühlt ohne ihn zu sehen, und dies Gefühl war nicht beruhigend. Indessen gab ich seinem letzten Ausruf mit Fassung zur Antwort:

[] »Wir wollen über diese Seligkeit sprechen, kommen Sie herein, Wilderich.«

Ich stand auf; aber er blieb sitzen, umschlang mich heftig und rief mit gepreßter Stimme halblaut:

»Nein nein nein! ich mag nicht sprechen.«

Ich wich zurück, ging in den Salon, trat an ein Fenster und sagte:

»Wenn Sie zu müde oder zu aufgeregt sind um noch heute ein ernstes Gespräch führen zu können, so wollen wir es auf morgen verschieben. Gute Nacht, lieber Wilderich.« Ich schloß das Fenster.

Er kam schnell herein. »Verzeihung, meine Gräfin! sagte er wieder mit seinem alten lieben innigtreuen Ausdruck. Draußen ist Gewitterluft; in mir ist ein wenig Fieber; ich bin die vergangene Nacht und den heutigen Tag durchfahren, zuletzt tüchtig marschirt, dann die Ungeduld, endlich die Freude! .... – – Hier sind auch die Nelken welche Sie draußen vergessen haben.«

Er gab mir den Strauß zurück, schenkte aus einer Caraffe voll Limonade, die immer auf einer Console stand, ein Glas ein, leerte es und sagte indem er sich zu mir setzte:

»Worüber befehlen Sie mit mir zu sprechen?«

»Nun, über das was Sie am meisten interessirt: über Ihr Glück.«

[] »Darüber ist schwer zu sprechen, meine Gräfin!« entgegnete er sanft und gedankenvoll und verschränkte die Arme über der Brust.

»Vielleicht schwer mit mir; mit Benvenuta wird es Ihnen leichter werden.«

»Was könnte ich mit Ihrer Tochter über mein Glück zu sprechen haben? Sie wissen ja daß es einzig in Ihrer Hand liegt.«

»Ja .... als Mutter,« sagte ich bebend.

»Wie das – ich verstehe Sie nicht,« erwiderte er unsicher und fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Sie werden mich sogleich verstehen wenn ich Ihnen sage, daß Benvenuta um Ihre Liebe weiß und sie erwidert,« entgegnete ich mit einer Entschlossenheit die aus einer innern Folterung entsprang.

Ein dumpfer Schrei rang sich aus Wilderichs Brust und bewußtlos sank er im Lehnstuhl zurück. Mir war zu Sinn als müsse der Himmel auf uns herabstürzen und uns alle drei begraben. Durch starke Essenzen weckte ich ihn aus seiner Ohnmacht.

»Ich will nicht leben wenn Sie mich nicht lieben!« rief er mit einem Ausdruck von unerhörter leidenschaftlicher Verzweiflung, und begrub sein eiskaltes Gesicht in meinen Händen.

[] Ich war keines Gefühls, keines Gedankens, keines Wortes mächtig. Krampfhaft schlugen meine Zähne an einander; mein Herz klopfte so unbändig daß ich mich dem Ersticken nah fühlte. Ein Bild aus der Hölle umschwirrte mein Gehirn: der Mann den mein Kind liebte – liebte mich! – Aber die Todesangst um dies Kind lieh mir Worte:

»Wilderich! rief ich, dies Alles ist ein Traum, ein Alp, ein Unsinn! nicht wahr, lieber Wilderich, Sie lieben meine Tochter?«

»Meine Gräfin, sagte er traurig, wie käme ich dazu Ihre Tochter das liebe Kind .... aber doch ein Kind nur! – zu lieben. Ich bin ihr gut wie einer kleinen Schwester; ich beschäftigte mich mit ihr und interessirte mich für sie auf das Lebhafteste – weil sie Ihre Tochter ist, weil es Ihnen angenehm war uns in gutem Vernehmen zu wissen, weil es eine Verbindung zwischen Ihrem Herzen und mir war, weil ich ein Mittel darin sah Ihnen immer näher zu kommen – – o, Sie sehen wol aus diesen tausend »weil«, daß nicht ein Funke tieferer Empfindung sich in mir fand! Mein Herz ist kalt für Ihre Tochter; meine Seele weiß nichts von ihr! und wie könnte das auch anders sein .... neben Ihnen! Wer von uns bemerkt ein [] niedliches Kind wenn eine Göttin tiefsinnig und geheimnißvoll durch unser Leben geht?«

»Aber dies Kind ist ein junges Mädchen, unterbrach ich ihn, das in der zarten Einfalt seines Herzens Ihre Freundlichkeit anders – und weit natürlicher gedeutet, und sich dieser Deutung mit tiefer warmer Innigkeit hingegeben hat.«

»Davor hätten Sie Ihre Tochter warnen sollen, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich eiskalt.

»Aber, Unseliger! rief ich händeringend, ich deutete Ihr Wesen in dem Sinn meiner Tochter! Ich müßte rasend gewesen sein um Ihren Wunsch bei uns zu bleiben, mit uns zu leben, uns wiederzusehen – auf mich zu beziehen! Die Jugend paßt zur Jugend! Es ist unnatürlich in Ihrem Alter von einem sechszehnjährigen blühenden Mädchen sich wegzuwenden und zu deren Mutter hin, die zwanzig Jahr älter ist.«

»Ich habe nie nach Ihrem Taufschein gefragt, gnädige Gräfin!« sprach Wilderich immer eiskalt.

»Es ist unnatürlich, fuhr ich fort, gleich beim Eintritt ins Leben die Blüte und Kraft der Empfindung in einer Richtung zu verschwenden, die mit dessen eigentlicher und ernster Bestimmung nichts gemein hat. Die Liebe soll uns tüchtig [] machen für die Mühsale die uns erwarten, indem sie unser Glück an ein bestimmtes Ziel knüpft: an ein gemeinschaftliches Leben mit einem geliebten Geschöpf, das uns ergänzt und vervollständigt.«

»Der Meinung bin ich auch, gnädige Gräfin!«

»Nun Wilderich, wenn Sie dieser Meinung sind, wie können Sie dann Ihre Liebe an eine Frau verschwenden, die durch Alter, Erfahrung, Verhältnisse und Richtung gänzlich derjenigen Sphäre entrückt ist, welche Ihrer in der Gegenwart und für die Zukunft harrt! Ich bin ermattet vom Leben – und Sie sind erwartungsvoll und dürstend nach seinen Gaben. Ich zweifle an dem menschlichen Glück – und Sie sehen es an diese Zweiflerin geknüpft. Ich glaube nicht an die Dauer der Liebe – und Sie lieben als müsse sie in Ewigkeit fortbestehen. Ich spreche nur von inneren Verschiedenheiten. Der äußeren mag ich nicht erwähnen. Sie würden erschrecken wenn ich sie Ihnen grell vor die Augen hielte.«

Ich hätte lange fortreden können; aber ich schwieg, denn Wilderich starrte mich wie geistesabwesend an. Er hielt seinen Kopf in beiden Händen, und zuweilen überlief ein Zittern seinen ganzen Körper. Als ich schreckenvoll verstummte sprach er matt und tonlos:

[] »Es ist aber doch gräßlich so mißverstanden zu werden! nicht verstanden – ist schon traurig; allein so mißverstanden – das ist noch nie geschehen! Sie Gräfin, Sie mit Ihrem tiefen Blick und Ihrer ernsten Erkenntniß, Sie konnten nicht das schlichte Herz begreifen, das sich Ihnen zu eigen gab? .... O, das ist unnatürlich, meine Liebe ist es nicht! – Das Schöne zu lieben sei die Glorie des Lebens – lehrten Sie mich. Ich hab' es gethan .... weiter nichts.«

»O Kind! Kind! rief ich mit herber Trostlosigkeit, was hilft der Tiefblick der Erfahrung und der Erkenntniß, wenn er unser Herz nicht zu Rath zieht! das eigene Herz lehrt uns das fremde verstehen, und ich – Sie wissen es ja! – lebe in meinen Gedanken und Träumen, jedoch nicht mit meinem Herzen. Drum war ich nicht glücklich an der Seite des besten und zärtlichsten Mannes; – drum täuschte ich mich über Otbert in einem solchen Grade, daß ich an seine Liebe für mich glauben konnte; – drum erkannte ich nicht die mächtige flammende Liebe, die Fidelis für mich empfand; – drum wähnte ich daß Sie mit Dankbarkeit an mir und mit einer erwachenden Neigung an meiner Tochter hingen. O sehen Sie diese schauderhafte grenzenlose Verwirrung meines Daseins, [] Wilderich, und vermehren Sie sie nicht durch Hingebung an Ihre Schwäche.«

»Ich hatte mir ein Leben geträumt, sagte Wilderich mit heißer Wehmuth, edel reich und gut, wie Sie mir den Impuls dazu gegeben hatten. Es ist etwas Großes in Ihnen, das meine Seele weit macht; und da Sie dafür keinen festen Anknüpfungspunkt gefunden: so war ich stolz genug zu wähnen, daß Sie ihn in mir finden sollten und festhalten müßten. Ich wollte meinen Weg gehen, meine Laufbahn machen, meine Wirksamkeit auf mich nehmen mit jenem Bewußtsein der inneren Berufung, welche uns über all dessen Sorgen und Aengste erhebt. Ich wollte Sie stolz machen – ja ja, meine Gräfin, stolz darauf daß Sie dies stille Feuer einer unüberwindlichen Beharrlichkeit im Guten entzündet hätten. Ich wollte unausgesetzt mit Ihnen leben – nicht bei Ihnen – in der schönsten Gemeinschaft die zwischen Menschen denkbar ist: in einem Geist, mit einer Gesinnung, zu einem Ziel; stets eingedenk daß das Leben göttlich sein kann, wenn wir das Gute thun und das Schöne lieben.«

»O! rief ich tief bewegt, das kann ja Alles so werden – nur ein wenig anders!« .... – –

»Nicht so und nicht anders! unterbrach er mich[] schwermüthig. Denn ein Wort der Ermunterung wollt' ich hören und das sollte heißen: Ich liebe dich, Wilderich.«

»O Wilderich! rief ich – ich will Sie lieben wie die zärtlichste Mutter den edelsten Sohn liebt, wenn Sie nur zur Besinnung über Ihre eigene Empfindung kommen könnten!«

»Ich bin über sie zur vollständigsten Besinnung gekommen .... und grade jezt, meine Gräfin! – Da muß ich Ihnen denn der Wahrheit gemäß und auf meine Ehre bekennen, daß ich Sie nicht liebe wie ein Sohn seine Mutter.«

»Ueber's Jahr wird es anders sein, Wilderich, oder doch in fünf oder zehn Jahren!«

»Ich weiß wol daß dies Ihre Ansicht ist.«

»Und Sie vertrauen ihr?«

»Ich kann es nicht mehr da Sie mich so fürchterlich mißverstanden haben! folglich muß Etwas in mir sein, das Ihr Auge nicht ergründet – und dies Unergründliche ist vielleicht meine Liebe für Sie.«

»Mein Gott! ächzte ich, welch ein Unstern waltet über meinem Leben, daß Alles mir zum Fluch wird, was einem Andern Heil und Segen bringt! – Aber was liegt an mir? – gar nichts! – [] desto mehr an Ihnen und an ihr .... mein Gott, an ihr!«

»Ich fühle daß wir jezt nicht mehr wie sonst zusammen leben können, sagte Wilderich. Es soll auch sogleich anders werden!«

Er stand auf und ging einmal durch den Salon als wolle er jeden Gegenstand der ihn füllte in seine Seele prägen. Das Bild vom Rosenlaui, Original und Copie, zierlich in purpurfarbenen Sammt eingerahmt, stand auf der Staffelei. Er nahm eins derselben, betrachtete es und sagte:

»Es ist gut! .... ich nehme es mit mir!« – kehrte dann zu mir zurück, kniete vor mir nieder und sprach in einem Ton der durch seine Ruhe mein Herz beben machte:

»So leben Sie denn wol, meine Gräfin! ich bitte Sie nicht um Verzeihung für meine Liebe; das wäre eine Schmach für mein Herz; – aber dafür daß ich Ihren Wunsch hinsichtlich Ihrer Tochter nicht erfüllen kann. Zum Beweis Ihrer Vergebung geben Sie mir einen Kuß – und dann leben Sie wol! ich sehe Sie nie wieder! ich verdamme mich selbst zur ewigen Trennung.«

»Sie dürfen nicht fort, Wilderich! sagte ich ganz außer mir und umklammerte seine Hände. Benvenuta liebt Sie. Ich selbst habe die Hofnung [] in ihr geweckt, die Gewißheit ihr gegeben daß Sie sie liebten. Sie zagte, sie zweifelte .... ich zweifelte nicht. Sein Sie barmherzig! machen Sie mich nicht meiner Tochter gegenüber zur Lügnerin! ersparen Sie ihr und mir den gräßlichen Schmerz, woran ich weiß nicht was für ein sündhafter verbrecherischer Anstrich klebt, daß Sie – die Mutter lieben! besinnen Sie sich ein Jahr, zwei Jahr auf Ihren Irrthum, auf diese Täuschung Ihres schönen warmen dankbaren Herzens! – O Wilderich! wenn Sie mich je geliebt haben, so erbarmen Sie sich meiner!«

Er war aufgestanden und sagte nun langsam und beklommen:

»Wie ist es denn aber möglich mich nicht zu verstehen, wenn ich doch sage und wieder sage: ich liebe Sie!«

»Ich verstehe nichts, nichts, gar nichts .... als daß ich meine Tochter vielleicht fürs Leben elend gemacht habe – wenn Sie nicht Erbarmen haben.«

»Meine Gräfin, wie kann ich das?« fragte er sanft.

In einem Paroxismus von Schmerz sank ich vor ihm nieder und flehte mit gerungenen Händen:

»Wilderich .... Sie müssen meine Tochter lieben!«

Angstvoll hob er mich auf und rief:

[] »Um Gotteswillen, Sie sind außer sich; fassen Sie sich .... dann werden Sie einsehen daß Sie Unmögliches von mir verlangen! – Ich liebe nicht Ihre Tochter, kann und werde sie nie lieben, denn bei dem bloßen Gedanken packt mich ein namenloses Grauen. Und gar sie zu heirathen – das wäre sündhaft, das wäre verbrecherisch. Und dann wissen Sie ja auch, setzte er schwermüthig lächelnd hinzu, daß ich kein reiches Mädchen heirathen mag.«

»Sie scherzen und mir zerspringt der Kopf oder das Herz, Wilderich! .... was soll ich denn morgen meiner Tochter sagen? wie soll ich ihr gegenüber treten? wie ihre Fragen, ihre Unruh, vielleicht ihre Klagen oder Vorwürfe aushalten? ich muß umkommen in dieser Qual.«

»Sagen Sie ihr, meine Gräfin, ich sei todt.«

»Wieder eine Lüge! .... und sie wird es nicht glauben.«

»Oder sagen Sie ihr ich hätte mich als unwürdig erwiesen! ich sei ihrer nicht werth – leichtsinnig, Spieler, unbeständig – was Sie wollen.«

»Ich soll Sie verleumden, Wilderich?«

»O, rief er lebhaft, es ist mir ganz gleichgültig was Benvenuta von mir denkt! ich sinne nur auf Erleichterung für Sie.«

»Wollen wir einmal ruhig überlegen! sagte ich [] da ich ihn so sehr gesammelt sah! Wilderich, erfinden Sie einen Brief von Ihrer Mutter, der Sie plötzlich zurückgerufen hätte! – Eine Unzufriedenheit mit der Neigung welche Sie in so früher Jugend fesselt, ein Verlangen zuvor Rücksprache mit ihr zu nehmen, würde nicht ganz unwahrscheinlich sein. Einige Zeit würde darüber hingehen und Benvenuta vielleicht gleichgültiger werden – oder Sie können sich ändern! Wenn Sie uns in zwei oder drei Jahren wiedersehen, staunen Sie vielleicht über Ihre jetzige Verblendung.«

»Möglich, meine Gräfin! möglich!« sagte er mit einer himmlischen Sanftmuth, denn ich sah an seinen entstellten Zügen und seiner leichenhaften Blässe wie sehr er litt und welche ungeheure Gewalt er sich anthat um nicht in Ausbrüche von Schmerz und Leidenschaft zu verfallen. Aber ich hatte kein Mitleid mit ihm; ich dachte nur an Benvenuta, nur an ein Mittel den Schlag zu lindern, der ihr bevorstand. Ich bat ihn einen Brief zu schreiben des obigen Inhalts. Er entgegnete:

»Mir ist als käm' ich von der Folterbank, der Kopf wüst und schwindelnd, die Hände lahm« ... –

»Desto besser, d.h. unruhiger und schmerzvoller, also passender für unsern Zweck, wird er sein;« – [] erwiderte ich unbarmherzig, drängte ihn zum Schreibtisch und schob ihm Papier und Feder zu.

»Also in dieser Weise soll ich die letzte Stunde unsers Zusammenseins verbringen?« rief er.

Ich sah ihn nur bittend an. Er setzte sich und schrieb was ich ihm angedeutet hatte. Während er schrieb ging ich auf und nieder und überdachte Alles was ich an Benvenuta sagen wollte. Im September sollte eine Reise nach Italien und ein längerer Aufenthalt daselbst ihren Gedanken eine ganz andre Richtung geben; und wie eine noch spätere Zeit sich gestalten würde, mußte ich äußern Fügungen und inneren Umgestaltungen überlassen. Nachdem ich mich einigermaßen über Benvenuta beruhigt hatte, kehrte sich doch endlich meine Theilnahme auf Wilderich. Er hatte den Brief vollendet, überschrieben und gesiegelt, und saß unbeweglich am Schreibtisch die Arme fest über der Brust verschlungen. Ich legte die Hand auf seine Schulter:

»Dies ist Ihr erster Schritt ins wirkliche Leben, Wilderich, sagte ich; das erste Glied der langen Kette genannt Enttäuschung aus der wir uns heraus oder hinein – ich weiß nicht recht! – wickeln müssen. Das darf Sie nicht zu Boden werfen, nicht einmal momentan. Ich weiß auch daß Sie [] es überwinden werden – aber weil Sie doch einmal dahin kommen, so sei es lieber gleich. Werfen Sie mit einem starken Entschluß die unnütze Last ab, schütteln Sie den Druck von der Brust und die Wolke von der Stirn, und sein Sie tapfer.«

»Wenn ich Ihrem Rath folgte, entgegnete er mit großem Ernst, so würde ich mich nur als leichtsinnig nicht als tapfer zeigen, meine Gräfin. Vielleicht giebt es Naturen von so merkwürdiger Spontaneität oder von so eiserner Willenskraft daß sie auf der Stelle Herr ihrer selbst werden können. Ich kann es nicht. Ich brauche Zeit um mich zu sammeln, zu fassen und zu trösten. Die Gaben sind verschieden! Sie überwinden vielleicht in einer Minute wozu ich ein Jahr brauche. Und dann sind mir auch die Ereignisse meines Lebens wichtig – mögen sie Anderen noch so dürftig erscheinen! Ich will sie nicht gleichgültig bei Seite schieben oder fallen lassen und zu etwas Anderem übergehen; sondern vielmehr bis in den Kern hinein ihre Bitterkeit oder ihre Süße kosten und mein Wesen mit ihnen nähren, damit sie in dessen Nerv, Blut und Kraft übergehen. Gefühle, Begegnisse, Empfindungen die so zu sagen aus meinem Herzblut geboren sind, kann ich nicht willkürlich von mir abschütteln wie eine Last die etwa meinen [] Schultern aufgebürdet wird. Sie müssen sich in mir austoben bis zu ihrem Ziel, und dieses ist nicht der Tod – denn sie hatten ein organisches Leben – sondern eine Verklärung, eine Auferstehung, eine Befruchtung neuer Keime, ein Fortschritt in der Wahrheit oder Selbsterkenntniß, ein frischer Aufschwung. So, als eine organische Entwickelung, verstehe ich überhaupt das Leben! so finde ich Zusammenhang und Einheit darin, und wo diese sind kann jenes zu einer großen herrlichen Harmonie ausgebildet werden. Fliegt Alles nur wie Staub an mich heran und wieder ab: so gewinnen die Gedanken und Bilder des Staubes die Oberhand, und ich werde untergewirbelt in ihrer Nichtigkeit. So bin ich beschaffen, meine Gräfin, und demgemäß muß ich handeln.«

Ich faltete meine Hände über seinem Haupt und sagte mit maßloser Traurigkeit: »O des Jammers daß Sie nicht mein Sohn sein wollen! O des Glückes mein Kind an Ihr Herz zu legen!«

Da sprang er hastig auf und sagte zum ersten Mal mit einer wilden Heftigkeit: »Dies will ich nicht hören! es ist Lästerung meines Gefühls für Sie. In einer hohen Empfindung mißverstanden zu werden vom Pöbel – ist natürlich; von Gleichgültigen – ist erklärlich; aber von einem edlen und [] befreundeten Wesen – das ist ein scharfer Dorn, welcher den Schmerz sehr wild macht. Was soll mir dies Kind und immer dies Kind! es ist mir verhaßt da ich die Mutter liebe.« – – Und sich mit aufflammender Leidenschaft vor mir niederwerfend rief er: »Ja ich hasse es, denn es steht zwischen Ihnen und mir! Sie würden mich lieben, wenn es nicht da stände! Sie opfern mich und vielleicht sich selbst den exaltirten Phantasien eines Kindes, das sich einbildet beim ersten Schritt aus der Kinderstube einen Geliebten finden zu müssen. Wie kommt sie dazu grade auf mich ihre Wahl zu werfen? Vier Wochen voll brüderlicher Intimität berechtigen doch warlich nicht dazu?« – –

»Ich kann Ihnen mit denselben Fragen antworten, unterbrach ich ihn kühl. Wie kommen Sie dazu bei Ihrem ersten Schritt aus der Schule sich für eine Frau zu fanatisiren, die Ihnen während vieler Monate keine andre Berechtigung gegeben hat als die: eine mütterliche oder schwesterliche Freundin in ihr zu sehen?« – – – Ich hob ihn auf und fuhr sanft fort: »Nein, Wilderich! Schuld ist nicht bei Ihnen, nicht bei meiner Tochter; – nur bei mir! Weil ich ohne Herz bin – drum verstand ich Eure Herzen nicht und tappte so hin in der Dämmerung meiner uralten Träume. Vergeben [] Sie mir den Schmerz den ich Ihnen hätte ersparen können, mein lieber Wilderich! ich will Ihre Vergebung als ein Wahrzeichen betrachten, daß keine Rachegeister aus diesem trüben Wirrsal sich gegen mich erheben. Wiedersehen können wir uns nur unter einer Bedingung, die ich nicht aussprechen darf« .... – –

»Weil ich sie nicht erfüllen kann! warf er ein. Auf diesen Brief, meine Gräfin, werden Sie schon eine Fabel zu bauen wissen, welche Ihre Tochter auf dasjenige vorbereitet was unvermeidlich ist. Unsre Trennung ist es auch – drum sei der Abschied kurz! ich fühle daß ich matt werde.«

Ein krampfhaftes Zittern flog um seine Lippen, und seine Augenlider sanken müde und krank über die trüben Augen herab. Ich dachte mit Entsetzen an die Möglichkeit daß er vor Erschöpfung vielleicht nicht mehr mein Zimmer verlassen oder auf dem Wege zum Gasthof ohnmächtig werden könne.

»Kommen Sie, mein armes liebes krankes Kind, sagte ich und nahm seinen Arm; ich bringe Sie zur Ruhe.«

Mit unnachahmlicher Innigkeit des Ausdrucks und der Bewegung warf er einen langen Blick durch das ganze Zimmer, grüßte es mit der Hand und sagte:

[] »Lebewol du liebes unvergeßliches Haus!«

Dann ergriff er das Bild und ließ sich von mir über den Altan, die Freitreppe hinab und auf den Weg zum Gasthof führen.

»Schlafen Sie ein Paar Stunden, bat ich ihn unterweges. Sie sind noch angegriffen von Ihrer Badecur und die Nerven furchtbar erschüttert. Nicht blos den Festen des Lebens – wie ich Ihnen nach Baden schrieb – auch dessen Kämpfen und Schlachten muß man mit dem Panzer einer stählernen Gesundheit entgegen gehen. Wenn Sie mich wirklich lieben, so machen Sie mir Ehre und sein Sie stark.«

»Ich werde es sein! entgegnete er. Ich werde schlafen und morgen über den Rosenlaui-Gletscher nach Meyringen gehen. Das war der Weg der mich vor dreiviertel Jahr in dies geliebte Thal zur »guten Frau von Grindelwald« brachte, und beim Rosenlaui hatte ich meinen letzten seligen Tag. Mit diesen Bildern und Erinnerungen kehr' ich heim nach Wildeshausen. Dann weiter in's Leben .... wie Gott will!«

Ueberwältigt von heimlich nagendem Gram sagte ich:

»Es wird ein mühseliges Leben sein, mein Wilderich. Solche diamantene Herzen wie das Ihre [] schafft Gott nicht umsonst. Klar, rein, fest und schroff wie der Diamant, muß es in schwerer Arbeit sich selbst und Andere schleifen. Verbrennen kann der Diamant – nicht schmelzen wie der Rubin, der dann Glanz und Feuer verliert und trübe wird. Es giebt auch Rubinherzen, Kind! aber ein diamantenes ist höher. Denk' daran.«

Meine Seele zitterte in der Erinnerung an Fidelis. – –

So kamen wir zur Thür des Gasthofs. Wilderich pochte und bis Jemand von Innen öfnete, sagt' ich:

»Lebwol! lebwol!« – küßte flüchtig seine Lippen und lief rasch von dannen.

Es dämmerte schon; der Morgenwind löste die nächtlichen Gewitterwolken in einen starken Regen auf, der mich durchnäßte und erquickte. Ich trug ein weißes Musselinkleid, keinen Hut, keinen Shawl; mein Haar hing aufgelöst über meine Schultern herab. So kehrte ich heim, stieg die Freitreppe hinan, ging langsam über den Altan in den Salon und sank unter einer plötzlichen Erstarrung meines Herzens bewußtlos zu Boden, als Benvenuta mir freudig mit der Frage entgegen trat:

»Nicht wahr, er ist gekommen?« – – –

Mein altes Herzübel, das sich in dem verhältnißmäßig [] ruhigen Zustand des letzten Jahres beschwichtigt hatte, brach mit neuer Gewalt herein. Und doch mußte ich, kaum zu mir selbst gekommen, meiner Tochter Red' und Antwort stehen! – Leugnen war vergeblich! Sie hatte seine Stimme gehört und es fehlte ein Bild vom Rosenlaui! – Der Brief auf dem Schreibtisch befremdete sie freilich: war Wilderich hier, wozu der Brief? – Ich half mir mit einer Unwahrheit und sagte:

»Sein Inhalt ist so wichtig daß er ihn selbst bringen – und für ihn so peinlich daß er denselben nicht mündlich mittheilen wollte. Wider Erwarten traf er mich .... und sagte mir Alles! – aber ich behielt dennoch den Brief – Deinetwegen!«

»Meinetwegen?« stammelte sie erblassend, erbrach und las ihn aufmerksam, faltete ihn dann zusammen und sagte leise: »Er liebt mich nicht!«

Ich hatte nicht den Muth sie des Gegentheils zu versichern. Ich schwieg und zitterte wie eine Verbrecherin welche Entdeckung fürchtet. Es war mir lieb, daß jede Gemüthsbewegung mich paralysirte; so litt ich weniger; d.h. mehr physisch. Benvenuta schwieg auch. Sie sprach nicht mehr von Wilderich, sie fragte nie nach ihm. Es war als sei er gar niemals da gewesen! Und nicht blos [] gegen mich beobachtete sie diese Zurückhaltung, sondern auch gegen Gabriele, welche ich gebeten hatte mit möglichst linder Hand die Wunde ihres Herzens zu sondiren. Nach einiger Zeit sagte mir Gabriele ihre Bemühungen wären umsonst, und fügte hinzu:

»Es kommt mir vor als fände ich in ihr nicht sowol eine Wunde, als ein Grab.«

»Und über dem Grabe wachsen Blumen,« sagte ich mit Zuversicht zu meinen Erfahrungen.

Das war ein trauriger Sommer! Ich, fast immer leidend; Gabriele in Trauer um ihre Mutter; Benvenuta still und ernst, vor der Zeit eingeweiht in das große Geheimniß des Schmerzes. Nichts interessirte sie; sie sprach keinen Wunsch und keine Hofnung aus. Es war ihr gleichgültig ob wir zum Winter nach Italien oder nach Engelau gingen oder in der Cottage blieben. Sie las und zeichnete, sie ging und ritt spazieren, sie besorgte kleine häusliche Verrichtungen mit großer Pünktlichkeit und großer Sanftmuth, aber ohne Theilnahme und Freude. Ihre liebliche Heiterkeit war ganz von ihr gewichen, und ihr liebes Gesicht auf dem der wundervolle Schmelz der ersten Jugendblüte lag, ward blaß und welk. Unerhörte Angst um sie, und ein unerhörter Gram über Wilderichs Verblendung, [] der sich zuweilen zu zürnendem Groll steigern konnte – marterten mich in einer Weise die mir bisjezt unbekannt geblieben war. Es gab Momente wo ich sie Beide hartnäckige, eigensinnige Kinder nannte, welche durch ihren Trotz Unheil auf sich selbst und auf Andere herabziehen würden.

Im September entschloß ich mich zur Reise nach Italien. Beim Abschied von Grindelwald schien Benvenutas Herz brechen zu wollen. Dies waren nicht Thränen wie die Jugend sie weint: ein Frühregen auf welchen der schönste Tag folgt; es waren Blutstropfen aus einer tödtlich verwundeten Seele. In Genf erkrankte sie bedenklich. Der Arzt erklärte ihre Nerven müßten einen gewaltsamen Stoß erlitten haben, und müßten durch wolthätige Einflüsse von Luft, Klima, Zerstreuung und Freude gehoben und ermuntert werden. Blieben sie in dem gegenwärtigen Zustand, so sei Melancholie oder Abzehrung zu fürchten. Ich dachte an meine arme Mutter, bei der auch Seelenleiden die traurige Krankheit herbeigeführt hatten – und erbebte. Nicht mehr über mir sondern über der reinen Stirn meines Kindes sah ich den Unglücksstern schweben, der mein Dasein beherrschte.

Wir gingen nach Neapel. Dort und in Sorrent verlebten wir ein Jahr – o Gott, welch ein Jahr! [] Eine Dolchspitze berührte meine Brust, anfangs nur drohend, aber bald eindringend, ganz allmälig, Tag um Tag, ohne Barmherzigkeit, ohne Gnade, und als sie bis zum Heft mich durchbohrt hatte – starb Benvenuta. Sie starb am Tage Allerseelen als sie siebzehn Jahr alt wurde. Sie starb in Sorrent in demselben Hause wo ich mit ihrem Vater meinen Liebesfrühling verlebt hatte. Sie starb an einer Nervenverzehrung – wie die Aerzte es nannten. Ihr Organismus sei überangestrengt, meinten die klugen Männer, entweder durch zu anhaltende geistige Arbeit, oder durch zu rasches Wachsen des Körpers. Vielleicht haben sie Recht! vielleicht kam Eines zum Andern um sie aufzureiben! Aber ich meine, sie starb an dem Gefühl für welches sie, der Natur und ihrer Bestimmung zu Folge, hätte leben und glücklich leben sollen. Durch mein unheilvolles Sein wurde es unheilvoll für sie, und ich – die an keine Macht und Dauer der Gefühle glaubte – mußte meine Tochter daran sterben sehen. – – – Sie verging, sie schwand dahin, sie ward immer stiller und stummer. Die Komödie einer allmäligen Entfremdung und Ablösung Wilderichs, die ich mir anfänglich ausgedacht, hatte ich nie vor ihr spielen können. Ihre Augen sahen so seltsam wissend aus. Ueberdas ließ sie [] jedes Wort, jede Andeutung, die zu einem Gespräch über ihn hätte führen können, augenblicklich fallen. Nur in ihren allerletzten Tagen sagte sie einmal zu mir:

»Grüße Wilderich .... wenn Du ihn wiedersiehst.«

»Ich werde ihn nicht wiedersehen,« sagte ich – um irgend etwas zu sagen.

»O doch! jezt grade wirst Du es können!« erwiderte sie mit Ueberzeugung.

Ich schüttelte schweigend und verneinend den Kopf. Später begann sie:

»Ich hätte eine Bitte, liebe Mama! – Versprich mir Wilderich wiederzusehen.«

»Ich kann Dir das nicht versprechen, Kind! Es hängt nicht von mir allein ab, und Wilderich hat gar kein Interesse, glaube mir, mich wiederzusehen.«

»In Allem was Du von Wilderich sagst – verzeihe mir! – kann ich Dir nicht glauben, denn ich weiß es besser! Er wird glücklich sein wenn er wieder nach der lieben Cottage von Grindelwald kommen darf.«

»Benvenuta, Du weißt nicht wie weh Du mir thust.«

»Ich weiß es wol – und darum hab' ich nie [] mit Dir über Wilderich gesprochen, entgegnete sie und küßte meine Hand. Nachdem ich in jener Nacht seinen Brief gelesen und Dich so verstört gesehen hatte: wußte ich daß er nicht mich sondern Dich liebe.«

Ich winkte ihr zu schweigen; ich fühlte mich hinsterben wie unter dem Richtbeil. Sie wußte also daß ihre Mutter ihre Nebenbuhlerin war! – Mir vergingen die Sinne, Gedanken, Worte. Was sollte ich ihr erklären? wie mich rechtfertigen? ich kam mir schuldbeladen vor, als habe ich eine Todsünde begangen. Als Rächer für die lange Verkehrtheit meines Lebens stand diese Minute wider mich auf, diese gräßliche, wo der Gipfel aller Verkehrtheit in dem Wort erreicht ward, welches die Tochter zur Mutter über den Geliebten sprach: Er liebt dich! – – –

Dies war Benvenutas letzte selbstbewußte Lebensäußerung. In Phantasien mit Lethargie abwechselnd, verbrachte sie noch dreimal vierundzwanzig Stunden, und träumte sich hinein in den Tod oder in das ewige Leben. – – – – –

Das ewige Leben! – Ja, sie hat es, denn es war ein Kern in ihr aus welchem sich in einer neuen Phase des Daseins eine neue Blüte entwickeln kann. – – – – –

[] In die Heimat zu den Gräbern der Meinen wollte ich die geliebte Leiche bringen. Es ging nicht. Ich kam nur bis Rom, wo ich erkrankte. An der Pyramide des Cestius wurde sie bestattet.

Als ich mich im Frühling ein wenig erholt hatte reiste ich nach Freiburg um Astralis zu sehen. Schön und lebenstralend fand ich sie, aber ich fühlte mich durchaus unfähig das vierzehnjährige Mädchen zu mir zu nehmen und die Vollendung ihrer Erziehung und ihren Eintritt ins Leben zu überwachen. Ich schrieb seit Jahren einmal wieder an Otbert, der immer in Paris im Strudel des großen und ereignißvollen allgemeinen Lebens die Emotionen ersetzte, welche seiner Persönlichkeit nach und nach entschwanden. Ich sagte ihm daß ich den größten Theil meines disponiblen Vermögens, das sich durch Benvenutas Tod mehr als verdoppelt habe, auf Astralis vererben wolle, sobald ich mich überzeugt halten dürfe, daß er ihr wahrhaft ein Vater sein und nicht nach meinem Tode über ihr Vermögen mit seinen verschwenderischen Händen herfallen wolle.

Er antwortete mir tief erschüttert: er werde jede Bestimmung heilig halten, die ich anzuordnen für gut fände. Er bat auch mich besuchen zu dürfen; aber dankbar für seine Theilnahme und freundlich [] lehnte ich es ab, nicht aus Widerwillen, sondern nur weil es so sehr überflüssig gewesen wäre.

Die Cottage von Grindelwald sah ich auch nicht wieder. Ich schenkte sie an Gabriele, die mir in meiner Jammerzeit eine treue Freundin und feste Stütze gewesen war. Sie blieb in ihrer Heimat, und ich ging nach Engelau, das ich schon nicht mehr als mein Eigenthum betrachtete, denn nach meinem Tode fiel es meinem Mann zu. Ich ordnete auf's Pünktlichste meine Geschäfte, machte für Astralis das bewußte Vermächtniß, und ein kleineres für jene beiden Brüder Wilderichs deren Zukunft ihm Sorge machte; Legate für alle meine Diener. Damit waren die irdischen Angelegenheiten abgethan, und da der Aufenthalt in Engelau auf mir lastete wie der Deckel eines Sarges, so ging ich unter dem Vorwand berühmte Aerzte zu consultiren nach einem mir gänzlich fremden Ort – nach Dresden. – – – – – –

Zwischen Dresden und Aussig hab' ich mich fast zwei Jahr umher geschleppt. Auf den grünen nußbaumbeschatteten Abhängen um Schreckenstein war mir am wolsten auf der Welt; – so, als habe Fidelis mir diese Stätte bereitet. Er hat Frieden, möge er leben, möge er todt sein. Er hat die Seele die ihn befähigt zum ewigen Leben. Mit [] diesem Bewußtsein kommt der Mensch früher oder später zum Frieden. Aber habe ich sie? – »Salva me, fons pietatis!« .... klingt es wie das Echo einer höhern Welt durch meine Seele. Von Rettung spricht man mir. Mich dem Leben der Menschen wiedergeben, wäre das Rettung? – O nein! Gott und ich – wir wissen es anders. »Salva me, fons pietatis!« – – – –

Nicht gelebt hab' ich durch mein Herz; es rächt sich, und ich sterbe am Herzen – – – –


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TextGrid Repository (2023). German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-deu). Sibylle : ELTeC ausgabe. Sibylle : ELTeC ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-3EEA-5