Einleitung.
An einem glikerigen Sommertag des Jahres 189 . {aß er in jeinem Garten unter dem Kifpelnden Walnußbaum und [ah fajt wehmütig in den blauen Rauch, den er von fih blies. Was mochte ihn befhäftigen, den fonjt fo munteren Mann? Er feierte feinen Geburtstag und gerade darum war e3 ihm weder feierliH noch feltlih zu Mute: in fonn-täglidgem Gewand iIritt der Geburtstag nur den Jungen entgegen, den Alten ift er ein Griesgram, der fie zu weh-mütiger Einfehr und unerquiclidem Grübeln einladet. So wenigjtenz dünkte e& Robert Wunderli; denn es war der erfte 6. AMuguft, da er das Alter Hletig im Mark feiner Knochen fühlte, „Fängt das mit 58 Jahren jo an, wie foll’8 fpäter werden ?”Bon BZeit zu Zeit wandte fichH fein Blid nad dem Ein-gangsäthor und dann entrann ihm etwa ein Seufzer: „Wenn fie wüßten, wie unbehaglich iq Hier fike, fie fäumten f0 lange nicht!” (Er meinte damit feine Gäfte, denn er Hatte die Gepflogenheit, feinen Geburtstag mit einigen Menfchen zuzubringen, an denen fein Herz hing.
Endlich hörte er ein lebhaftes Disputieren die Straße herauffommen. Sein SGeficht hHellte fichH auf. „Sie Haus-halten wieder übel mit dem Atem“, fagte er Lächelnd, „folche Schreihälje giebt’8 im beften Theater nicht!“
Auf der Straße Kamen zwei Burfjhen von etwa 22 Sahren daher, ein fYlanker, fOwarzer und ein gedrungener Nötling, der erfte im Feuer der Rede, der andere ftill ver-gnügt, wie ein Kartenfpieler, der meint, den beften Trumpf in Händen zu haben und gelaffen feine Zeit abwartet. Das waren Wunderlis Neffen, Zwilingsbrüder, die aber ungleich geraten waren an Leib und Seele, denn der eine Hatte der []Einleitung.
Mutter, der andere des Vaters Art geerbt. Sie waren ver-fchieden wie die Berufsftudien, denen fie feit einigen Se-mejtern oblagen: der im fchwarzen Rod war ein Theologe,heiß wie Kochendes Waffer; der nüchterne Kleine Hatte fich bagegen ein Zach gewählt, bei dem es Kühl zugeht und Sitte ift, die langen jHwarzen Röcke auszuziehen: er wollte der Natur in die Karten jehen. Die beiden lebten in einem be-jtändigen Wortftreit, ohne daß darunter ihre brüderliche Liebe gelitten Hätte; denn zu Haus war ein gemütvolles Mütterchen, das wußte, wie man zwei Herzen zufammenhält.
Vor dem SGartenthor hielten fie an, um ihren Streit zu einem Abjhluß zu bringen.
„so kann mir nichts trübfeligeres denken alS eine folge Weltanfhanung !“ eiferte Ludwig, der Theolog, wie ein zürnender Prophet des alten Teftamentes, „Käme ih einmal zu der Einficht, daß ih nichts anderes wäre als eine Loko-motive, die auf vorgezeichneten Gleijen ihr Reischen durch die Welt machen muß, die nicht3 zu fhım Hat, als etwa Kohlen und Waffer zu fchluden und ein wenig zu puften und zu {Anauben, deren SGejchit aber von der Stellung einiger Eijenftangen abhängt, die da und dort wie ibel-geratene Ausrufezeichen in die Luft guden und vor Gefahr warnen, die nicht fagen kann: ih will ftürmen! oder: ich will rajten! Bruder Franz, ich, würde mich fürz Leben höflich bedanfen !“
Der Onkel war den beiden entgegen gegangen und alz Hranz zu einer Erwiderung ausholte, fuhr er dazwijchen:„Senug, ihr Streithämmel! mir Jaujen die Vhren noch von eurem Ießten SGezänk! es i{ft mir lieber, ihr arbeitet Heut mit den Zähnen, als mit der Zunge!“[]Einleitung.„8 find Lebensfragen, die wir beiprechen,“ entgegnete Qudwig halb ernfit Halb fHherzhaft, nachdem die üblihen Glüd-wünifche abgeftattet waren.
„DazZ bildejt dur dir ein“, meinte der Onkel, „Schulfram HU3, nicht mehr und nicht minder! Mit dem was fürz Leben dabei Herauskömmt, Fönnte man feine NMußjhale füllen.“
Franz, der die Menfjchen gern nad der Unzahl der Hojen fchägte, die fie auf den Schnulbänken verrutfcht Haben,au) gerne die Schnüre feines Schulfaces Xockerte, al wollte er jagen: gucdt da Hinein und dann laßt mal fehen,wa3 in eurem NänzehHen fteckt! ließ auf die Schule Keinen Schimpf fallen und fagte in feiner trodenen, wenig zart-Hihlenden Art: „Wir leben nicht in Umerika, Lieber Onkel,wo alles nach Dollar und Cent gewertet wird! Der Ge-bildete darf fih Hier Ihonm einigermaßen vom Krämer unter-fcheiden, defjen Leben aufgeht in Gewichten, Papiertüten,Raffeebohnen und Suppenwürzen !“
Das Kompliment freute den Onkel offenbar nicht, aber in feiner @utmütigfeit febte er fih über die Ungezogenheit mit den Worten hinweg: „E38 [Heint, daß fich der Krämer Wunderli Heute mit Rohprodukten abgeben muß!“ Franz bereute nun jeine Unartigfeit, aber ehe er ein pajffendes Wort der Ent{hHuldigung gefunden, KHopfte ihm der Alte auf die Schulter: „Schon gut! Kommt jebt herein, Jungens, und Jeid vergnügt, fo ihr mich gern Habt.“
QAl3 die drei bei der Treppe angekommen waren, trat der Onkel Hinter die beiden und fagte: „@®eht voraus, ich liebe eine gemütlide Gangart,“
„Auf die wirft du nun für einige Zeit verzichten mülfen,“meinte Franz, der die Zurechtweifung fchon wieder vergeffen Hatte,[]Einleitung,
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Der Onfkel {tand {till. „Was [ol das bedeuten?“ fragte er.
„Nun, im Berner Oberland find die Wege nicht immer mit Gemütlichteit gepflajtert!“
„Was Habe ih mit dem Berner Oberland zu {Ohaffen ?“
„Sanz recht! ich Hätte das vorausfhicen f{ollen: du wirft ja nächfte Woche mit un8 eine Alpenwanderung machen.“
„Wirklih? Wann habe ih {o etwas gefagt?“
„Sar nichts Haft dur gejagt, aber dır wirft dennoch die Freundlichkeit Haben. . .“
„Bift du von Sinnen, Junge? Oder bin ich eine Drahtpuppe, die man regiert, wie e8 einem juft in den Hingern juckt?“
„Ach, Drahtpuppen find wir in einem gewiffen Sinne alle und fo befreunde dih mit dem Gedanken!“
„So fage dir, ih will mid in meiner Gemächlichteit nicht {tören Xaffen!“
„Rege did doch nicht auf, Onkel! Daß dur nicht wollen würdeft, das wußten wir zum voraus; aber darum Handelt e8 fi nicht, für uns lautet der Sa fo: du mußt!“
„sc wiederhole dir: ih will nicht!“
„Onkel, man foll auf feinen Willen nie pochen! Denk an die Lokomotive: was Hilft eS ihr, daß fie fiH im Majchinenhaus ganz leidlich befindet? Da kommt einer und heizt fie, ohne daß fie e8 ihm wehren Kanıt und bald fährt fie davon und weiß kaum, wie e8 {jo Fam.“
„Albernes Zeug!“ fagt Robert Wunderli unwillig.Nun mifchte fi Ludwig in den Handel: „Franz, dur fihult unrecht, die Sache fo anzugreifen, unZ unfere Aufgabe und dem Onkel den Ent{hluß zu erfchweren. Höre midh an,Onfel! Doktor Huber war geftern bei un8 . . .“[]ß
Emleitung.„So, fommt der Wind von der Seite! Das Liedchen fenn’ ich, das er pfeift! Seit act Wochen Hör’ ich Kein anderes 1“
„Du follteft auf Doktor Huber Hören! Du Haft eine Natur, die Bewegung verlangt und dur zwängft fie hier ein in deinen Gartenzaun und in die engen Mauern. Daher die Mübdigkeit, die dich befällt, daher die quälende Schlaf-Lofigfeit 1“
„Sch Gabe mid in den zwölf Fahren fo an mein Häuschen und Gärtchen gewöhnt, daß ich fie keinen Tag entbehren fönnte und ih Laffe mich nicht davon Losreißen,mit Striden und Strängen nicht! Du freilih, Ludwig, maglt die Reife machen! feit du von der Univerfität zurücgekehrt bijt, fennt man dich nicht mehr, wo’3 froh zugeht, da wird dir unwohl. Hat eS dich etwa da gepadt, am Herzen? Aha,haben wir’3 fchon? Nur nicht tragijdh genommen, Herzen8-junge!“Sn dem Augenblide fnarrte die SGartenthüre, die zwei anderen Säfte kamen an und befreiten Ludwig auZ der pein-fihen Lage, in die ihn die wenigen Worte des Onkels ver-jeßt Hatten.
Der Gaftgeber ging feinen Freunden entgegen und be-grüßte fie Herzlich. Beide waren Iunggejellen wie er. Der eine war ber Forfimeifter Weidmann, ein „Stiller im Land“,eine in fih gefehrte, bejauliche Natur; Robert Wunderli fchwor nicht Höher al3 bet ihm. Der andere war Jakob Rappeler, eine gute Seele, bei der aber das Glück nie Ein-fehr Halten wollte; er Hatte aus feinem Leben nicht? Er.bauliches zu machen gewußt. Al er noch mit feinem Kame-raden Wunderli mit Schiefertafel und Oriffel Herumlief,[]Einleitung
Hatte er den felten Ent{Hluß gefaßt, ein „Schiller“ zu werden und feine Gefährten fanden das ganz felbjtverftändlich, denn er war voller Reime wie ein Liederbuch. Unter dem Druck der väterlidhen YWutorität wurde er aber Commis in einem Qedergefchäft. Und nun kamen fih der „Schiller“ und der Ledercommi3 beftändig in die Yuere, einer ftellte dem andern, wo immer e3 anging, ein Bein und die Folge war,daß beide Hinkten und hHumpelten und daß die Haut, in der fie bei einander Haufen mußten, ein Sorgenfac wurde. Die fhönften Stunden verbrachte Jakob Kappeler bei feinem Freunde Wunderli. Der war geduldig wie ein Neitfattel und ließ {ich ohne ein einzigesmal zu gähnen, die Kängften Reimereien vorlejen und fand immer, wenn e8 Überftanden war, ein freundlidhes Wort. .
AB die fünf Männer in Wunderlt’8 freundlicher Stube um den duftenden Tijh faßen, kam bald über alle eine Heitere Stimmung. Der Wirt vergaß feinen Trübfinn und Jakob Rappeler Hatte beftändig ein Lächeln auf den Lippen, denn er feierte im Seifte {hon einen Triumph feiner Mufje: er Hatte feinen Freund im Liede befungen und als die rechte Beit gefommen war, erhob er fih und begann feierlich in woHlge[hmiedeten Herametern. AWber der Götter Neid wollte e8, daß er mitten in feinem Gedicht vor einer Zäfur ftubte,wie ein Rennpferd vor einem Graben. Er febte an und wieder an, feine Lippen bebten und feine Stirn betaute fich,aber der Sprung über den Graben gelang nicht. Seine Hand fuhr in die Bufentajdhe und fuchte nach dem Manuffript;unıjon{t! Da wurde der arme Mann auf einmal um einen Fuß Heiner und endlich ließ er fihH auf feinen Stuhl fnken:„Sch hab’ feine Zeit zum Memorieren gehabt!“[]z Einleitung.
Man umringte ihn, tröftete ihn, KMopfte ihn auf die Schulter, drückte ihm die Hand, ftellte fich, um ihn mit Luftigfeit anzufteden, Hheiterer als man war. Er aber war hartnädig in feinem Schmerz und glättete feine Falten erft,als die Fröhlichkeit natürlich und fajt übermütig geworden war. Dem Wein wurde wader zugefprochen, ein Gefpräch fam in Fluß, an dem alle ihr Behagen Hatten, und merk-würdig: als der Abend anbrach und die zweite Flajche Veuve Cliquot in die Gläfer [häumte, da ftieß man an „auf gut Heil zu der Bergfahrt,.“ Die Reife ing Oberland war be-Idloffen, die ganze Sefelljhaft wollte Robert Wunderli be-gleiten.28 der Wirt feine Gäfte verabjchiedete und Franz die Hand drückte, fagte er mit fauerfüßer Miene: „Mich bedüntkt,ih follte in den Bergen nicht nur den Leib {tärken, fondern auch den Willen, der kommt mir jeßt bedenklich morjch und wadelig vor: da Kommt einer und heizt die Majchine und darauf fährt fie davon und weiß jelbft nicht, wie e3 Jo Kam ...“
Ein paar Tage fpäter fuhr die Gefelljchaft im Morgen-glanz über Luzern nach Lungern. Robert Wunderli drückte fi ichweiglam in eine Ede des Wagen3, und gudte er zum Henfter hinaus und erblidte zufällig ein Häuschen mit einem Särtchen dran, fo befhlich ihn das Heimweh. Die Gefährten dagegen waren guter Dinge, bejonders der Dichter, dem das Reifen GHerzenshedlürfnis war.
Sn Sungern verließ die Gefelljhaft den Zug, um zu Suß über den Brünig nach Meiringen zu wandern; der Horfimeijter, der den ganzen Reifeplan entworfen Hatte, meinte,das jei die rechte Tour, um feinen Freund Wunderli anz Sehen zu gewöhnen. Der aber fahH die Bwedmäßigfeit des []Einleitung.
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Weges einftiwveilen nicht ein; [don nach den erften Hundert Schritten Hatte er den Hut abgezogen und fuhr nun beftändig mit feinem Tajchentuch über feinen fahlen Scheitel auf dem unermüdliche Schweißiropfen Herausquollen, und mehr al8 einmal fagte er zu dem Forfimeijter, der getreulich an feiner Seite ging: „©, ir Rader, ihr Racker !“
Voraus ging Jakob Kappeler und die Nägel feiner Schuhe Krakßten ungeduldig die Straße wund; die beiden Studenten dagegen benußten die Yangfame Gangart, um Abe jteher in den Tannenwald zu machen, der eine, um zu botanifieren, der andere, um Erdbeeren zu pflüden und von Beit zu Beit jtießen fie gellende SJauchzer aus, die an den nahen Felswänden zurücprallten, al8 Hätte man KHingende SGloden hinge[chleudert.
Diefer erfte Tag erwedte in keinem der Gefährten rechte Befriedigung, aber {hon am zweiten ging eS beffer: man befuchte die Marefchlucht und die Neichenbachfälle und {ftieg zur Paßhöhe der großen Scheidegg Hinauf, um Nacht»quartier zu nehmen. Dann ging e8 unter Alphornklängen und Mörferjhüffen nach Grindelwald hinab und wieder hinauf nach der Heinen Scheidegg und der Wengernalp,jenem herrlichen Balkon, von dem man den Bergriefen gerade in ihre Kalt/dhaurigen Gefichter fehen kann und wo man ihren eifigen Atem Jpürt.
SFeßt Jagte der Onkel nicht mehr: „OD, ihr Racer!“ Er war zum erftenmal in feinem Leben mitten in der Gebirgs:welt drin und wurde von deren Größe ganz überwältigt.Sange fjaß er auf dem warmen RMajen und Haute hinüber in die troßigen Zelswände, in die grünliche Zerriffenheit der Sleticher und horchte auf den Donner der Lawinen, die über
[19]Sinleitnng.die Feljen Herabftürzten und fo Hein fchienen, daß man wähnte, fie in einem Korb auffangen zu Können. Und wieder Haute er hinauf zu den fhwarzen Spigen und Ranten, an denen die Sonne abfprang, wie an einer Meffer-finge, und er murmelte vor fih hin: „Könnt ich zwanzig Yahre abfchütteln, fie wären mir nicht zu graufig!“
Schon nach wenigen Tagen fühlte er die Wohlthaten des Wanderns. Mübde ftrecte er fihH des Wbend3 auf das Qager; aber e8 war nicht jene Schlaffheit, die wie Blei durch die Wdern fchleicht und den Schlaf raubt: fie kam mit der Anftrengung und floh im Schlaf wieder, eine natlir«fie Äußerung des Körpers wie Hunger und Durjt. Die Streden, die die Gejellfhaft täglich zurüclegte, wurden immer größer und fehon nach etwa zehn Tagen faßen die fünf Gejellen im großen LandhauZ zu Saanen, an der Brenze des Greyerzerlandes, Sie waren alle gut gelaunt und tHatenluftig. Da kam den beiden Studenten der Ge-danke, die Reife mit einer wirklidhen Bergtour abzufchließen und den guten Onkel auf daz OldenhHorn und die Diablerets zu führen. Sie {Ohilderten ihm, wie {tolz e8 den Menijchen mache, feinen Fuß auf eine Hohe Bergjpibe zu febßen, wie ergreifend e8 fei, zu den Bergluppen und Zaden hinüber zu JOauen wie zu Brüdern und den Blik hinab zu fenden in das fOhattige Grün der Thäler und hinaus in den blauen Dunijt der EChene. Robert Wunderli |träubte fih lange, noch traute er Jeiner raft nicht recht, aber da ihm auch der Horfimeifter zu dem Unternehmen riet, willigte er {hließ-iQ ein.
So ging’® denn tag3 drauf dem OldenhHorn zu. Der Onkel war ernft, als Hätte e8& gegolten eine Schlacht zu []Einleitung.
11 jchlagen. In Gfteig, dem Ießten Pfarrdorf des Thales,nahm man einen Bergführer an, den waderen, auf den Bergen ergrauten Peter Schneiter, der die Gefelljchaft gegen den Col de Billon und dann link zur Oldenalp emporführen follte.Oben in der Sennhütte gedachte man die Nacht zu ver-bringen, um am folgenden Morgen mit frijhen Kräften die Spibe zu erflimmen.
Nach einem etwa Dreiftündigen Marjdh erblidten die Wanderer vor fich eine andere Meifegefjellichaft; e& waren drei Männer und eine Dame, denen ein weiß und grau gefledtes SGeißlein auf den Ferfen folgte. Die vier wurden bald eingeholt, denn einer, der diefte von ihnen, Hatte es gar nicht eilig. Ale fünfzig Schritte hielt er an, 30g ein Büchlein aus der Tafhe und notierte feine Eindrücke,
Die beiden Karawanen [Omolzen unmerklich in eine zujammen und al vor einem {teilen Aufftieg der Führer die Seinen jJammelte, da {harten fihH auch die Fremden um in und baten um die Erlaubnis, fidh der größeren Schar an[dhließen zu dürfen, wa3 ihnen gerne geftattet wurde. Nun fing man an hin und her die Fäden anzuknüpfen, wa3 leicht war, da fih die meijften dem Namen nach fchon kannten.Bejonder3 der „Dide“ war eine weit im Lande bekannte Rerjon: er war edakteur einer der größten Zeitungen der Oftichweiz und ftellte fich vor als Menageriediener, defjen Mufgabe e8 fei, täglich zweimal die Hyänen und Bären,Wölfe und Aifen, Schlangen und Slefanten abzufüttern. Er be-dachte nicht, daß er einen Teil feiner Menagerie eben vor fich hatte.
Er jet ein erbarmenswerter Mann, jagte er, e8 fei Hm nicht einmal geftattet, vernünftig einen Tag inZ blaue Hinein-zureifen, immer Liege ihm {ein Feuilleton, immer lägen ibm []©
GSinleitung.die Hungernden Augen feiner Hyänen im Sinn, und fo fomme e8, daß er unwilig und beftändig fHhimpfend und wetternd während der Reife einen Zeitungsartifel {AHreibe.So jehr fei er zur Mafchine geworden, daß er meine, die Drucerfchwärze würde vor Entfjeben bleich, wenn fie erführe,er hätte einen Tag Hinabfinken Iaffen, ohne die gewohnte Beilenzahl hingeworfen zu haben.
Der eine feiner Begleiter war Gymnafialprofeffor, ein bürres Männchen, mit einem auffallend langen Hal, um den fih ein Kragen aus Celluloje fo eng {Hloß, daß fich das Blut im Kopf fing und ftaute und die Halsadern weitete. Sonjt war nicht viel merkwürdiges an dem Manne.
Neben dem Profeffor nahm fih der dritte der Männer wie ein NRieje aus. Er war Direktor einer Verficherungs-gejelljhaft, ein ftämmiger, auffällig jung gebliebener SHünfe ziger, dem ein Paar Muger und wohlwollender Augen aus dem Kopfe gucten. Die Dame war Blanka, feine Tochter,in der Zülle des zwanzigjten Sommers {tehend, {Hien fie von der Natur die Gabe erhalten zu Haben, beim eriten Undlid zu beftriefen.
Die vierfüßige Gefährtin endlich, die Ziege, Hatte unten auf einer Matte geweidet, al3 die Tourijften nahten. Sie fOhien fich gelangweilt zu haben oder von bejonder8 neu-gieriger Art gewefen zu fein, Kurz, als die Fremden nahten,eilte fie ihnen in fröhlihen Springen entgegen, nahm aus der Hand des Menageriedieners ihr Futter, ein Stück rot,in Empfang, und fOloß den freundliden Mann fo feft in idr Ziegenherz, daß fie ihm nun hartnädig folgte und durch nicht® zur Umfehr zu bewegen war.
Während die beiden Trüpphen in jener ungezwungenen []Einleitung.f
Weifje, deren rechte Heimat daz Gebirge ift, miteinander Be-fanntihaft machten, benahm fih Ludwig Höchft fonderbar.Schon lange hatte er den Direktor und fein TöchHterlein, die den ihrigen etwa fünfzig Schritte vorangingen, mit unruhigen und ungewijjen Augen gemiuftert; al fie fich zu den andern gefellten, zuckte er zufammen und über fein Geficht flog es wie Morgenrot. Einige Augenblide jpäter {ah man ihn an der Halde emporfkflettern, von Alpenrofenftrauch zu Alpenrofen-ftrauch, obfhon er wußte, daß fie jHon Iang ihre roten Sträuße in den Wind geftreut Hatten.
„Dh, wie rächt fidh ein einziges unbedachtes Wort,“fagte er zu fich, „und wie Launifjch find die Wege des Lebens!Sie führen auseinander und zufammen, wenn man fich’3 am wenigjten verficht. Wie foll ich mid nun benehmen? Und fie, wie wird fie mir entgegen treten ?“
Einen Augenblid wandelte ihn die Luft an, Heimlich umzufehren, aber der Gedanke an den ängitlihen Onkel und das Gefühl, daß das feig wäre, Hielten ihn zurüc. ES dauerte lange, bis er fich’8 zurecht gelegt Hatte. Endlidh job er fich unauffällig und fajt unvermerkt in den fi langjam empor-{Olängelnden Zug, nicht ganz in Blankas Nähe, aber auch nicht allzu ferne von ihr.
Die Thäler füllten fiH fhon mit Schatten, als die Reifenden Herdengeläute Hörten und ihnen der Führer fagte,nun fei das Biel, die Sennhütte, nah. Die Kühe graften oben an einer Halde und fHauten neugierig zu dem fremden Volt herab, ja einige übermütige Kälber machten Kühne Sprünge thalwärts, als wollten {ie den Fremden ihr „Gottwilche“ *)iy
Wilfomm.[]|
Einleitung.bringen. Da öfte fid unter den Hufen eines diefer Springer ein [hwerer Stein Io8; man fahH von unten, wie er erft glitt und dann zu rollen anfing, erft fachte, dann immer {Aneller, erft am Boden hin, dann in immer fühneren Bogen. „Werft euch zu Boden!“ fchrie der Führer.
Aller Augen folgten den Sprüngen des Blockes, angft-erfüllte Rufe rangen fih aus den Fehlen, inftinktiv Legten ih die Hände auf den Kopf, um das Eheljte, das man hatte, zu jhüßen; jeder machte fid fo Hein al8 möglich und hätte gewünfcdht, wie eine Mau3Z in den Boden fHlüpfen zu fönnen. Nun ftießen die Borderften einen Seufzer der Erleichterung aus: der Stein war Frachend auf einen anderen geprallt, Hatte die Richtung geändert und bedrohte nun die hinteriten.Dem Erleidhterungsfeufzer vorn antmwortetete Hinten ein gellender Schrei: e8 mar Jakob Kappeler. Er Hatte die Wendung der Dinge auch wahrgenommen und meinte, die Gefahr Habe es auf Keinen, al3 auf ihn abgefehen. (Er [9oß empor, und ftürzte fih, ohne zu überlegen, platt auf jeinen Vordermann, vielleicht in dem dunkeln Beftreben, daz Schifal diesmal um den Genuß zu bringen, mit ihm, wie gewohnt, allein feinen Schabernad zu treiben: „Will’8 mich,jo {003 au einen andern dazu nehmen!“ Sr Hatte fich no) nicht fejtgebettet, al3 alles vorbei war. Der Stein jJaujte hinter dem Xegten vorbei, auf das Ziclein zu. Das hatte die Gefahr auch begriffen, that einen Keden Sprung abwärts, aber noch im Flug wurde e& von dem grimmigen Stein erfaßt und zerfegt.
Die ganze SGefellfchaft Iprang auf, Ketterte und roch und zappelte den Berg hinan, al3 ob die Hölle ihre Schleufen []Einleitung.
'5 dort Hinten geöffnet Hätte, und Keuchend wurde die Senn-Hütte erftürmt.
Nur einer kam nach einiger Zeit in feinem gewohnten Gang Heran. E83 war der Forfimeifter. In feiner Ruhe jtach er von den anderen, die fih von dem Schrek nicht er-holen Fonnten, gar ftattlich ab.
Die allgemeine Aufregung legte fich erft, als die Sennen ihren Gäften in Meinen Eimern dampfende Milch vorjebten und einen Laib Brot und ein [Hiweres Stück Käje von Hand zu Hand gehen ließen.
Etwa um 9 Uhr ftieg man auf einem Leiterdhen in den Heuboden Hinauf; denn Betten gab’3 in der Hütte nicht.SXeder fuchte fih ein Plägcdhen aus, bohrte ein Loch ins Heu und roch hinein, fig mit duftenden Blätter und Halmen warm zudedend. Für Blanka Hatten die Sennen im Wohn-raum au8 Brettern und Balken eine Bettitatt aufgefchlagen und mit ihren Woldeken fo gut e& ging gepolitert.
Unter dem Heuboden war der Stall, mit Kühen und Rälbern gefüllt, und wenn eines der Tiere den Kopf drehte,fei e8, um fi mit dem Horn zu ragen, oder mit der Zunge zu beleden, oder um einer guten Freundin zu bedeuten: „SO bin auch da, ganz in deiner Nähe!“, da ertönte die ganze Hütte vom Klang der Gloden; denn den ganzen Sommer lang löft man fie dem VieH nie von den Hälfen. Kaum Hatte ein Baß fein Yangjames, volles: „lang, glang!“ er-tönen laffen, fo fiel ein Alt ein: „Tong, tong, tong!“ und darauf ein Sopran mit feinem nervöjen: „ling, gling,aling, gling!“ dem der Baß in feiner ruhigen Art wieder antwortete: „lang, glang: nur nicht fo Haftig, Freundehen!“
Wer an dieje Glodenunterhaltung nicht gewöhnt ift,[3]Einleitung.hat ein fchlimmes Stüg Arbeit, bi3 er den Schlaf gefunden hat. Auch verriet das Rafcheln im Heu, daß die Touriften alle nad) Schlummer rvangen. Bon der Stelle jedoch, wo der Führer und die Sennen ruhten, erkflang jener Iangfame,tönende Atem, auf deffen Schwingen die Mübdigkeit aus dem Leibe getragen wird.
Nur einer aus der Gefelljhaft wünfjchte fi Keinen Schlaf. € war Ludwig, dem quälende, aber auch füße Gedanken die Zeit ausfüllten. Weldhe Wonne, mit der unter ginem Dache zu wweilen, die er liebte mit jeder Fafer feine8 Ihwärmerifchen Gerzgen3; peinigend nur die Gewißheit: fie ft für dig dahin! Er trug alle Einzelheiten feiner Liebes gefchichte zufammen, um die {höne Zeit noch einmal durch-zufoften.
Sm Januar, auf einem afademijchen Balle, Hatte er fie zum erftenmal gefehen. Sie war viel umfhwärmt und e8 wäre ihm nicht gelungen, fih ihr zu nähern, wenn nicht der Cotillon e3 gütig mit ihm gemeint Hätte. Zum Dank tanzte er ihn fo {let wie noch nie, denn feine Augen hingen an ber Tänzerin feines Nachbars. Wie leicht und ge[meidig e$ ihr von ftatien ging; jede Stellung, jede Bewegung fo natürlich und darum fo anmutig, und das Auge fo froh,wie von der Mufik in himmlifjcdhe Sphären entrüct und das Wort, daz fie dann und wann |prach, fo glodentönig. Als Sudwig fih in jener Nacht auf fein Lager ausftredte, rannen im die Thränen aus den Augen und e8 war ihn unendlich weh im Herzen, Wie fehnte er fid nach dem nächften Ball,dem legten des Winters. Sie war wieder da und diesmal gelang e8 ihm mehrmals, fie zum Tanz zu führen. Und jie war freundlich zu ihm, und al8 fie mit ihrer Mutter []Einleitung.
17 den Saal verließ, reichte fie ihm im Vorbeigehen die Hand und fchenfte ihın, wie er meinte, einen gar gnädigen Blick.
Er hatte im Frühjahr eine deutjhe Univerfität beziehen wollen, nun gab er den Plan auf. Das Sommerfemejter ward für ihn eine Hoffnungsreiche Zeit. . Er wußte e& zu fügen, daß er Sfter mit Blanka zufammentraf und dem Mädchen fchien feine Gefellihaft nicht Läftig zu fein, fo .daß er unter ®ameraden eine etwas beneidete und hefehdete Größe wurde.Das Kfränfkte ihn nicht fjehr, war e8 ihm doch ein un-trüglicher Beweis feines Erfolges. In feinen Träumen führte er Blanka jhon zum Altar, er befang fie in überfchmwäng-lichen Reimen, und wo er ftand und ging, Owebte ihr Bild auf Engelflügeln um ihn. Ja, der Schwärmer betrachtete fie Ihon fo zuverfichtlich als die Seine, daß ihm oft das Wörthen „du“ auf der Zunge fOwebte, wenn er mit ihr {prach.
Die größten Erwartungen Inüpfte Ludwig an das Wald-fejit, das die Studentenberbindung, der er angehörte, jedes Jahr im Iuli veranftaltete und wo auf einer reizendD ge legenen Waldwiefe bei Wein und SGefang getanzt und ge-\dwärmt wurde. Unter den eingeladenen Damen befand fich auch Blanka. Wber e8 ging Ludwig, wie e& im Leben gar zu Däufig geht: die Würfel, auf die man am beiten hofft,jind die faljcheften: er wurde feiner Geliebten nicht froh an jenem Tage, e8 Hatte fi alle gegen ihn verfhworen !
€3 blieb ihm nur noch eine Hoffnung: e& war Brauch,beim Waldfejt in vorgerücter Stunde Tänzer und Tänzerinnen dur den Zufall oder daz Glück zufammenzuführen. Man jtattete zwei Rörbghen ganz gleich mit allerhand Abzeichen
3. Boßhart, Im Nebel. 2 []‚5
Einleitung.aus, mit Sternen, Schmetterlingen, Orden, Kreuzen, Schleifen,bot dann das eine Körbehen unter den Damen, das andere unter den Herren herum und die dazZ gleiche Zeichen HerauS-griffen, {ollten für den Reft des AWbend3 zujammengehören.
Ludwig griff eine weiße Rofette Herauz und fuchte nun mit podjendem Herzen die Gefährtin dazu. Und fieh! dort heftete eben Blanka das gefuchte Zeichen an die Bruft. Er wußte nicht mehr, was er that, er ftürzte auf fie zu und rief im Jubel feiner ftürmijchen Bruft: „Du gehörft mir!“
3 entjtand eine ANufregung: „Was? Ihr fetd auf du und du?“ Blanka, glühend übergoffen, fuhr den AWrmen an: „Hab’ ih Ihnen je Gelegenheit geboten, mich [vo an-zureden? Sprechen Sie!“
Som war, er erhalte einen Keulenflag. Er bedurfte eine geraume Weile, um fih feines FehlerZ bewußt zu werden.
„Nun, Haben Sie keine Antwort auf meine Frage?“
„E38 war Iauter Mutwille,“ {tammelte er endlich,
„Sch erfuche Sie, mid in Zukunft mit Ihrem Mut-willen zu ver]honen!“ Das Wort war Icharf wie eine Mefferklinge.
Ludwig hörte SGekicher hinter und neben fih und ftahl jich davon,
Um Tage darauf verließ er die Univerfitätsftabt und fehrie in die Heimat zurüd. Sein Mütterchen, der Onkel und Franz fanden ihn fjehr verändert, e& war, wie wenn ein Trauerflor fihH über daz fjHwärmerijche Antlig gelegt Hätte.
Ludwig Hatte von der Reife mit dem Onkel Linderung jeine8 Schmerzes gehofft, und nun? Faft dünkte ihn, fein Bruder Habe recht mit feiner traurigen Theorie und der Menfch fei nicht3 als ein eitler Gummiball, der fliegt, wie []Einleitung.
1Y ifn eine fremde Hand geworfen und wie ihn der Wind jagt.Was ihn bejonders untröftlih machte, war, daß Blanka ihm den ganzen Wobend gefliffentlih auZzgewidhen war. €war Mar: fie grollte noch wie am erften Tage. War e8 denn jo gar {limm, was er begangen Hatte? Ihn dünkte nicht,aber fie mochte anderer Meinung fein.
Die Nacht verging langjam. Unten erfhallte unermüdlich da3 Glang! und Tong! und Gling, Gling! oben rafdhelte im Gen die ungeduldige, nervöje Schlaffucht. Da, e& mochte etwa 3 Uhr fein, zudte ein Schein durch die Spalten des Sebälts und fuhr eS über die Hütte weg wie ein grimmiges Anurren. Gleich darauf fing der Wind an, auf den Fugen der Hütte zu mufizieren, wie auf einer Yuerpfeife und fHwere Kegentropfen trommelten, tap, tap, fab, auf den dürren Schindeln. Blig und Donner wiederholten fiH und das Dach begann zu raufchen wie unter einem Wafjfjerfall. Das Gen wurde Lebendig und hub an in abgebrochenen Sägen zu Hagen und zu ächzen, zu fragen und zu vermuten. Der Hührer ftieg die Leiter Herunter, öffnete die Thüre und {treckte den Kopf hinaus,
„Wie fteht’3 Better?“ fragten alle wie einer.
„Nicht gut; bleibt nur ruhig liegen.“
DazZ Heu wurde wieder ruhiger, Regen, Wind und Donner mufizierten Iuftig weiter und als fie endlich in ihren Weifen etwas fanfter wurden, drang der Tag wie mit grauen Mefferflingen durch das Holzwerk in den düftern Heuboden.Man erhob fih, ftieg herab und durch die Zhlröffnung jtrecten fi lange, übernächtige Gefichter in den dichten Nebel hinaus, der die Hütte einhüllte.DA []ll
Einleitung.
„WazZ {ft zu fhım, Peter?“
„Warten, biz e8 beffer wird. Bei dem Wetter Können wir weder hinauf noch hinunter.“ Sprach’3, 3z0g feine Pfeife aus der Tajche und fing an mächtige Rauchwolfen in den Nebel hHinauszublafen, als wäre deffen noch nicht genug ge-wefen, und doch war er fo die, daß man glaubte, ihn wie Räfe mit dem Meffer abjHneiden zu Können.
Die Reifenden ftanden und fjaßen und Kkauerten miß-mutig in dem niederen rußigen Maume und fprachen kaum ein Wort. Ludwig fuchte ih in YBlankaz Nähe anzufiedeln,fie aber vereitelte feine Abficht. Auch durch das Frühjtück,das die Sennen bereiteten, wurde die allgemeine Stimmung nicht Dbeffer. Eine Stunde, zwei Stunden ungeduldigen Wartens verftridhen und immer noch dichtete fich der Nebel um die Hütte und machte fogar Unftrengung in diefelbe ein-zudringen, und immer noch blies Meter Schneiter mit ent»jeglicher Seelenruhe feinen Rauch in die graue Hülle hinaus.
„Ir tragt Wafjer in den Rhein, Peter!“ rief ihm der Onkel Wunderli zu; er aber lächelte ruhig in feinen grauen Bart und blies nach wie vor.
Um meiften fchien [ih der dide Redakteur zu lang-weilen; er ftampfte in der Hütte umher, wie ein Eisbär in Teinem Bwinger. Endlich faßte er einen jhweren Holzklog an und rollte ihn in die Nähe der Thüre.
„Ih Halte das nicht aus,“ Jagte er. „Zum Glück hab’ih für jolde Fälle vorgeforgt.“
Er griff in feine Nückentafhe, deren mächtige Rundung feinen Gefährten längit aufgefallen war, 30g einen großen papierenen fram daraus Hervor und fing an darin zu Blättern.[]Einleitung.
11 „Was haben Sie da?“
„Manujfripte find’3 für mein Feuilleton. ch will ein-mal {jehen, mie fi die Redaktionsarbeit in einer Semn-Hütte anläßt.“
Damit fing er an feine Handfehrift zu überfliegen. Da machte {ih Blanka an ihn heran: „Wir Langweilen un8 alle 19 {Orecklich“, fagte fie, „mid dünkt, Sie würden den meiften von uns, vielleicht allen, einen großen Gefallen erweifen,wenn fie Ihre SGejchichte, oder was e8 fein mag, aut vorläjen.“„Sin trefflider Einfall!“ rief e8 von allen Seiten.„Sa, Herr Redakteur, thun Sie unz den Gefallen !“Er ließ fih nicht bitten und fing alfo zu lefen an: [] Wenn’z Tem. [] L
„Na, Konradl“ Hang e8 durch die Halbgeöffnete Rüchenthüre in die Scheune hinaus,
„Was fol ich, Mutter?“
„Wie lange willfet du noch auf dem Heuboden Herum-töbern? Du follteft {hon lang an der „SGant“*) fein. Im „Unterhaus“ ftehen die Leute fhon fo dicht wie Rreffe!“
„09 mag nicht Hinuntergehen.“
„So, fo, dır magft nicht! So i{t Heutzutage das junge Bolt: e8 mag nicht! Ihr meint wohl, das Glück müffe fjelber die Stiefel anziehen und euch nachlaufen, ihr...
„Du fprichit, al ob man an der Gant für jeden Fünfer einen Franken friege !“
„Si’8 fein großer „Schi“ 2), fo ift’3 vielleicht ein Keiner und dazu joll man die Schuhfohlen nicht fparen !“
„Was foll ih ‚Framen‘? Ih wüßte wahrhaftig nicht31!“
„Seh erft, dır wirft dann fchon jehen, was wir etwa brauchen fönnen. Heuagabeln, Rechen, Kärfte, Hauen, Senfen:
') Auktion.2) Outer Handel.[]»6
Wenn’3 lenzt.bäume, Wegiteine, das wird gewöhnlich Halb gejchenkt LosS-gefchlagen. Und dan die neue Weintanje, die ihnen der Rüfer lebten GHerbit gemacht Hat... Gi? find das nicht Sachen, die man immer braucden kann? Steh'n fie auch ein Sabhr oder zwei müßig Herum, was fHhadet’3? Einmal ift man boch froh drüber! Geh’ jebt! aber Kaufe nichts zu teuer und laß’ dihH nicht Heben!“
Die Küchenthlüre {hloß fihH wieder; Konrad ftieg auf einer furzen Leiter vom Heuboden in die Tenne hinunter,griff nach einer Gabel und machte aus dem Heuhaufen, den er Hinuntergeworfen hatte, längs der Wand einen duftenden Wall. Dann Hängte er die Gabel an einen hHölzernen Nagel,nahm einen Befen aus Birkenreifern aus einem Winkel hervor und fehrte die Tenne, bis fie Jauber ausjah wie eine Stube. Nachdem das Werk gethan war, ftand er ein Weil-en ratlo3 bei jeinem Heuwall und Kraßte fich Hinter den Ohren; hierauf trat er durch daz Thürchen, daz von der Tenne in den Stall führte, um nachzufehen, ob das Vieh jeine Ordnung habe. Born lagen die Dchfen, in der Mitte die Kühe und zu Hinterft in dem niederen, von zwei Heinen Henjtern dürftig erhellten Raum die Kälber. Alle Käuten wieder mit regelmäßigem, dumpfem Geräufch, von Zeit zu Zeit einen Augenblif innehaltend, um den fein geriebenen Biffen hinunterzujhluden und mit gurgelndem Ton einen neuen aus dem fatten Magen Heraufzufchaffen, und dazZ eine ober andere Stück dehnte fih zuweilen in der Behaglichkeit der Verdauung und puftete dabei wie eine Baßtrompete.Konrad ging den Stall entlang und brummte vor jih Hin:„Alle fireden die Beine nach der gleichen Seite, das jhöne Wetter wird nicht lange währen!“[]Wenn’8 lenzt.
57 GHinten im Stall war ein Kalb noch nicht zur Ruhe gefommen, weil jein fjelbjtfüchtiger Nachbar fihH der Krippe entlang ausSgejtrecdt Hatte und fo den lab verlegte, der für zwei ausreichen jollte, Der in feinen Rechten Verkürzte {tand traurig da, muhte mit Magender Stimme, als Konrad ihm näher trat und {trete ihın den Kopf entgegen. Der junge Bauer verftand des armen Viehes Sprache, trat zu ihm hin und fragte ihm begütigend das Fell unter der Schnauze,wa3 dem anderen unjäglich wohlzuthun fchien. ©€3 Hätte gern die freundliche Hand beleckt, aber Konrad, ohne auf die Liebfofungen zu warten, feßte fihH auf eine Strohwelle, die da lag, und fchienm mit feinem Ent{jhluß nicht inZ Reine zu fommen. Endlich fagte er Halblaut: „IH mag den Sammer ba unten nicht mit anfehen.“
Sn diefem Augenblide hörte er die Küchenthüre Inarren und glei darauf erflang die Stimme feiner Mutter wieder:„Konrad!“Er gab Feine Antwort. „Konrad! Konrad! wo jtectit dur denn {Hon wieder !“
„WaZ giebt’3?“ rief er unwillig.
„So thu” doch endlidh, waz ih dir fagte! Du glaudbit wohl gar, man warte mit dem Ganten, bi e8 dir gefällt zu fommen. Was wird der Ütti jagen, wenn er Heimkommt und dır Haft nicht einmal die neue Weintanje erftanden!Dur Haft immer etwas Eigenes und willft nicht fein, wie andere Leute,“
Konrad erhob fihH noch nicht von Jeiner Strohwelle und begnügte fich, unwirjdh den braunen Kopf zu fHütteln. AS er wieder ein WeildHen gefefjen Hatte, hHörte er feine Mutter die Heine Treppe Herabfteigen, die von der Küche in die []1°)Wenn’3 fenzt.Tenne führte, und bald darauf trat fie in den Stall. Da fie ihren eigenfinnigen Jungen in dem Halbdunkel nicht gleich erblickte, rief ie: „Wo bijft dur? Koh bringe dir da deinen Barchentrod; zieh’ ihn weidlih an und nun Iüpf die Beine!“Konrad fahH, daß nun kein Entrinnen mehr war, denn jeine Mutter machte nicht Miene, unverrichteter Sache in die Küche zurüczukfehren, und fo Ichlüpfte er bedächtig in den Kittel.Er ging vor. der Mutter her aus dem Stall und ver-ließ das Haus. Draußen fHwirrten die Schwalben durch die frühlingsblaue Luft, und wenn fie an ihrem Nefjt vorbei»fMogen, das an einem Dachfparren angeklebt war, Kreifchten fie wie Rinder beim übermütigen Spiel. Konrad that diefe jubelnde, fOreiende Luft in den Ohren weh und weh in den Augen that ihn das Sonnenlicht, das in warmen Fluten das Sand überfhwemmte. Denn fo ift einmal der Menfch:fann er felbit nicht Iuftig und vergnügt fein, fo meint er,die ganze Welt jollte eine Leichenbittermiene machen.
Konrad Hatte keinen weiten Weg zu machen, denn auf dem Wieshof liegen die Dinge nicht weit auseinander: das Sehöft beiteht nur aus ein paar Häujern, um die {ich ein dichter Obitbaummwald {AHließt und Äängitlich darüber wacht,daß feines fich zu weit vom anderen entfernt. Soldjer Göfe giebt e8 in jener @egend etwa zwanzig; fie liegen, wie von einem Sturm Hingefegt, zerftreut auf den Hügeln und in den Thäldhen, fo daß eine {tarfe Stimme von einem zum anderen dringt. Ale zujammen bilden ein Semeinwefen, das man die Hofgemeinde nennt; das Dorf mit der Kirche it drunten im hal, etwa eine Stunde entfernt, und nur wenn der []Wenn’8 lenzt.
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Wind gut gelaunt ift, trägt er das Ölodengelänute hinauf zu der zerfprengten Häuferherde der Höfe.
3 Konrad etwa 50 Schritte gethan Hatte, Kam er bei dem jogenannten „Unterhaufe“ an, in welchem die Steigerung itattfand. Um den Leuten nicht in die Augen zu fallen und beim Eintreten möglichft wenig beachtet zu werden, nahm er jeinen Gang um das Haus herum, um von Hinten in die Tenne zu treten, in der die Leute verfammelt waren. Wie zr aber um die Hausede bog, gewahrte er jemand, der das Seficht an das Scheunenthor lehnte, und er blieb {ftehen.3 war der Kellerjofel, der Nachbar, deffen Habe eben aus jeinen Händen in Hundert andere wanderte. Er Hatte KXon-cadS Schritte offenbar nicht gehört und guckte durch ein Loch,da3 durch das Herausbröckeln eines Altes entftanden war,unbermandt in die Tenne hinein. Konrad fah, wie e8 ihn jedesmal durchzuckte, wenn drinnen ein Gegenftand 108-gejdhlagen wurde: wie viel Schweiß Hatte er e8& fich Koften laffen, um jeine Habe Stück um Stück zufammenzubringen und jeßt riß man fie ihm gefühllos aus den Händen und warf fie zu SchHleuderpreijen den Leuten vor die Füße: arme Senje, arme Säge, arme Schaufel, wirft dur dem SEichjörli und dem Tobelfelix auch wieder fein, was du dem Keller.jafob warjt: ein Feben feines Leibes und ein Stück feines Veben3, weil erworben mit feiner AUrme Rührjamkeit und feines ganzen Lebens Mühen? Denn er Hatte gearbeitet und fi gejhunden, der gute Jakob; aber was hHalfz? Er Hatte das Heimwefjfen vor fünfundzwanzig Jahren gekauft, zu einer Beit, al8 die Güter fehr hoch im Preije ftanden, und wenn er auch etwas Erfpartes in den Hof fteden Konnte, fo war er doch in der Alemme und e8 wollte ihm nie recht wohl []Zi
Wenn’8 lenzt.werden. Vor einigen Jahren brach dann nochH das Unglüc in feinen Stall ein: in einem SXahre ftanden ihm drei Kühe um und er wußte nicht, wie die Lücden wieder füllen. Da trat einmal ein Männlein mit gutmütigen, frommen Augen,(äcdhelnden Baden und einer frummen Naje zu ihm in den Stall, al8 er eben fchweren Herzenz den {ftark gelichteten Viehjtand Ffütterte, und ließ fihH fein Unglüd erzählen. Es war der Viehhändler Guggenheim, der pfiffigjte Kumpan im ganzen YWargau. Der gute Jakob Hüttete fein Herz aus und die freundliche Teilnahme des Männleins im blauen Überhembd that ihm wohl wie Baljam. AlS er fein Leid geflagt Hatte, drückte ihın Guggenheim mitleidig die Hand und entfernte Jich; aber draußen auf dem Plage blieb er {tchen und jchien etwa zu überlegen, und als der Ent{hluß ge-faßt mar, Fehrte er mit Haftigen Schritten zu Jakob zurüd,der unter der Stallthüre ftehen geblieben war, und fagte zu im, er fönne ihn nicht in der mißlidhen Lage Xaffen, er wolle ihn aus der Enge ziehen, wenn e& ihm jo recht fei; für einen anderen thäte er e8 nicht, aber er jehe, daß ihm das Unglüg au gar zu fchlimm mitgefpielt habe und {Hließlich habe er au ein Oriftlihes Gewifjen. SYakob wollte fich freili helfen Iaffen und fah erft nachher, daß er fihH dem Teufel verfchrieben Hatte. Denn nun wanderte in ein paar Sahren fein ganzes Gut in den Sad des MännchenZ mit den gutmütigen, frommen Augen. SYakob aber ließ Keinen jeiner Nachbarn in feine Not Hineinguden, weil er fich jchämte; die Nachbarn aber fagten auch nichtz und Halfen dem Bedrängten weder mit Mat noch mit That, objhon fie mit ihren gleichgültig fHeinenden Augen gar wohl fahen,daß e3 mit ihm rafh bergab ging.[]Wenn’3S lenzt.
31 So it der Bauer auf jenen Höfen: e3 it eine ftolze,unabhängige Kaffe: jeder lebt für fih, forgt für fichH und behilft fi Jelbit; er fcheut e& wie Gift, von feinem Nach-bar Hilfe zu verlangen und erwartet, daß die anderen 23 ebenio Halten.
Lieber den Ufer ungepflügt Iaffen, wenn das Zugvieh nicht ausreicht, als den Nachbar bitten: „Sei jo gut und leih’ mir einen Ochfen!“ Lieber einen Tag ang fein Brot effen, al8 zur Nachbarin fagen: „Wir ‚find mit dem Brot zu Ende und der Müller Hat uns im Stich ge-(affen, leih’ mir einen Laib biz morgen, da werd’ ich baden 1“So fommt e8, daß auf diefen entlegenen Höfen, wo man erwarten würde, daß die Leute notgedrungen zu einander Hielten, der Verkehr zwifdhen den verjhiedenen Haushaltungen nicht viel über „®uten Tag“, „Grüß Sott“ und „Oute Nacht“ Hinausgeht. Ka, im Vertrauen auf die eigene Kraft und die erprobte Selbfjtändigkeit, befinnt man fih gar nicht lange, dem Nachbar einen Fluch inz Geficht zu fOHleudern oder ihm den Friedensrichter auf den Nacken zu Iaden, wenn man findet, er Habe das Waffer von feiner Wieje dahin geleitet, wohin er nicht durfte, oder von einem Markitein zum andern, zu feinen Sunften natürlich, mit dem Pflug eine Erumme Surche gezogen, oder im Wald einen Baum gefällt,der auf der Marklinie ftand.
Bu diefem unabhängigen und freitbaren Schlage paßte der Yakob nicht; er war im Dorf aufgewachjen und auf den Höfen in zwanzig Sahren nicht Heimifch geworden und fühlte wohl, daß er fihH unter feinen Nachbarn ausnahm wie die Meije unter den Spakgen. Und nun mußte er jehen, wie fie feine fauer erworbene Habe unter fich teilten und dabei
[29]Wenn’3 lenzt.
Xachten und fchlechte Wige machten: oh, das wollte ihn fchier das Herz abdrüden. Er Hatte der Sant fern bleiben wollen,aber er hielt e8 nicht aus, er mußte feinen Ärten und Kärften,feinem Pflug und feinen Eggen noch einen legten Blik geben und fo Hatte er fich, wie gebannt, an dasz Hintere Scheunen-thor geftellt, mo er durch daz Loch alles fchen Konnte, ohue jelber beobachtet zu werden, wie er wähnte.
Konrad fahH ihm ein Weilchen zu und erriet, was in ihm vorging. Da er bemerkte, wie er fihH mandhmal mit dem Daumen über die Wugen und die Baden ftrih, um deutlicher zu fehen, pacdte ihn das Mitleid und er wäre gern zu ihm hingegangen, um ihm ein Wort des Troftes zu Jagen, Hatte er doch den guten Mann immer wohl gemocht.Sleich aber wurde der Bauer wieder Herr in ihm, der Hofe bauer, der in Thränen nichts al3 eine lächerlihHe Schwäche fieht; um den Jakob nicht zu demütigen, fchlich er fich {til und ungejehen davon, indem er leife zu [ich fagte: „Er ift halt Fein Mann, der Kellerjakob, er ift Halt kein Mann.“
Konrad trat nun von der vorderen Seite in die Tenne,Der Raum war fajt ganz mit Leuten gefüllt, ale Bauern der Hofgemeinde waren da, oder Hatten doch ihren ältelten Buben gejchidt. Mitten in der Tenne, auf einem Hogigen Tijcdhe itand der Weibel, KenntliG an dem {hweren, Kupfernen „SGemeindejchild“, den er auf der Bruft trug, und an der aus blauem Militärtuch verfertigten Kappe. Zu einen Süßen ftanden ein Glas und eine große Safche, die mit Friftallflarem „Birnenmoit“ nod) bis zur Hälfte gefüllt war.Un dem gleichen Tifd auf Stühlen faßen der Gemeinde-ammann und ein Mitglied des Gemeinderates; die Hatten eine Slajche Rotwein vor ih und tranken aus dem aleichen []Wenn’S lenzt.
Slaje. Die beiden überwachten die „Sant“ und trugen die Käufe in ein Buch ein.
Die größeren Gegenftände, wie Wagen, Pflug und Cggen waren {con verfteigert, übrig blieben nur noch der Hausrat und die leichteren Geräte. Diefe lagen zum größten Teil auf dem fonjt ganz leeren Heuboden und der Wächter bot eines nach dem anderen dem Weibel Herunter. Chen reichte er ihm ein Viehgefjchirr; der Weibel nahm e3 in die rechte Sand, hob eS in die Höhe und rief mit feiner {hon etwas heijeren Stimme:
„Da Yt ein VBiehg’ihirr! was ijt da3Z wert?“ wobei er den Hauptton auf „das“ fallen ließ.
Einige Bauern traten näher, mufterten das Koch, die Stride, die Schnallen und die ledernen Riemen und tIraten dann wieder in den Haufen zurück, Da niemand fichH ver-nehmen ließ, rief der Weibel wieder: „It das nüt (nichts)wert?“
Da tönte eine dünne Stimme aus der Menge: „Einen Franken!“
Der Weibel wiederholte: „Einen Franken zum erften!einen Franken!“
Wieder Hang eS aus dem Anäul der Bauern: „Zwei Franken!“
Der Weibel: „Zwei Franken zum andernmal, zwei Franken!“
Einer au3 der Menge: „Drei Franken !“
Der Weibel: „Drei Franken zum erften, drei Franken.“
So ftiegen die Angebote ziemlich traf biz zu fünf Hranfen, denn daß das Viehgefchirr unter Brüdern feine fieben oder auch acht Franken wert war, Jah jeder. Von
S. Bokhart, Im Nebel. >
[34]Wenn’3 fenzt.fünf Franken an aber wurden die Bauern behutjam, fie über-boten fih nur um zehn, Höchjten3 zwanzig Rappen, denn um einen „Schi“ zu machen, muß man thıunm wie die Kaße beim Maufen: gut paffen, wenig gehen und mit der Take zur rechten Zeit drauf!
Das Viehgefchirr Hatte befonders zwei Liebhaber, die {ich gegenfeitig den Preis in die Höhe trieben. AYWl3 der Weibel von feinem Tijh Herunterrief:
„Sechs Franken fünfzig zum andernmal,“ raunte Klaus,ber eben geboten Hatte, dem anderen zu:
„’3 fommt ja noch ein8 auf die Sant!“
Der Angeredete zwinkferte mit den Augen, zum Zeichen,baß er ihn verftanden Habe und bot nicht mehr. Sin dritter aber hatte die Abmacdhung der beiden beobachtet und, um Klaus zu ärgern, bot er fechS Franken fechzig. Klaus fuchte den neuen Nebenhuhler mit den Augen und rief dann dem Weibel zu: „IH Halte fech3 Franken fechzig!“ den Stören-fried aber jOrie er an: „Und du HanZ, magft dein Maul halten!“ Die Umftehenden fanden dazZ Iuftig und achten jo laut, daß der Weibel Mühe Hatte, mit feiner Stimme durchzudringen: „Sech3 Franken fechzig ift gehalten!“
Der boshafte Spielverderber, durch das Gelächter ge-reizt, wollte fi rächen und die Rachfucht war fo ftark in ihn, daß fie jeinen Bauerngeiz übermand: er bot fieben Srankfen fünfzig für das Gefchirr, eine fühne That in den Augen der Bauern, die nun neugierig und verfhmigt nach KlauS guten. Der machte ein verlegenes Geficht, warf einen rajdhen Blick auf den umftrittenen Gegenftand und, man fah e8 ihm an, der Spaß war ihm gründliH verfalzen. Wie man aber um ihn zu Fichern begann, faßte auch er []Wenn’3 lenzt.gr
‘3 einen heroijdhen Ent{dluß und rief: „Sieben Franken fiebzig !“
Die Antwort ließ nicht Lange auf ich warten: „Sieben Hranfen neunzig !“
„Und ih Halte!“
„Acht Franken zehn!“
„Und ich Halte!“
So trieben fie e8 bi8 neun Franken fünfzig. Bei jedem neuen Angebot rief ein alte3 dürres Männchen den beiden zu: „So i{t’3 recht! Haut einander!“ und Ficherte babei ganz glücfelig, und fHüttelte fein BZwerdhfell bis er einen Huftenanfall Iriegte, fo daß auch ihm der Spaß ver-borben war. Endlih kam Klaus zur Befinnung, fein „Sch Halte!“ blieb aus und unter allgemeiner Stille rie} der Weibel: „Neun Franken fünfzig zum erftenmal! Neun Franken fünfzig zum ... zum ... zum zweiten und zum ... zum britten,“
Wer nun ein dummes SGefiht machte, das war Hans,ber bas Sefchirr eigentlich gar nicht begehrt Hatte und jeßt einjah, daß er nichts weniger al8 einen „Schi“ gemacht habe. Die Einficht jeiner Dummheit Lähmte feinen Wiß dermaßen, daß er nicht einmal gute Miene zum böfen Spiel machen Fonnte. Der Weibel {trete ihm den Kram entgegen,er aber brummte: „Sch mag den FuchH nicht!“ Da Tangte Raus danad und legte das Joch dem Käufer unfjanft auf die Schultern, wobei er laut in die Menge rief: „ZH will ihm da3 Viehgefchirr gleich anlegen, e8 fteht ihm beffer als jein Rittel!“
Die Bauern {Hüttelten fiH vor Lachen, HanZ aber murde rot wie ein Hahnenkamm, warf das Gefchirr über
5%[]>
Wenn’S lenzt.die Köpfe hinweg an die Wand und drang mit der Fauit auf aus ein. Da erhob ih der Gemeindeammann, fuch-telte mit einer Schelle in der Luft Herum und fein FJnjtru-ment gellte fo gebieterijch, daß die beiden voneinanderließen.Darauf nahm die „Sant“ wieder ihren gewöhnlidhen Gang.Konrad ftand wie ein Träumer unter feinen Nachbarn, die Mutter Hatte Recht, er war nicht mie die anderen, er Jann an alles, nur nicht an einen „Schi“. Von BZeit zu Beit hHefteten fi feine Blide an das Hintere Scheunenthor. €berührte den Boden nicht ganz und er fahH deutlich den Schatten von zwei Füßen, zwei dunkle, unbewegliche Flede,und weiter oben glänzte etwas durch das Brett des Thores:ein lauerndes, feuchtes Auge, daz die Bilder der entfliehenden Habfeligfeiten aufnehmen wollte al3 ewiges Andenken, der Linie eines Photographenapparate3 vergleichbar.
Konrad mußte ganz vergeffen Haben, zu waS er Here gefommen war. Der Weibel rief nacheinander Heugabeln,Rechen, Schaufeln, Kübel zum Verkauf aus, er fchien nicht?zu hören, er hörte e8 auch nicht, al3 es vom Tijh heruntere freijchte: „Da ift eine Weintanfe, was ift die wert?“ (Erft als der Weibel mit den Worten: „und zum dritten“ das Gefäß fenkte, um ec dem Meijtbietenden zu übergeben, fielen Konradz3 Blide darauf und er befann fihH rafh feines Aufe trages, {pürte im feinen Ohren noch die unbewußt auf-gefangenen Zahlen auf und rief, al3 fhon der neue Eigen-tümer die Tanfe faßte: „Sieben Franken fiebzig !“
Man drehte fich nach ihm und Iachte; Konrad aber ver-frod fi in den Haufen. Da ftieß er auf den Mann mit der Tanje und, um feinen Fehler wieder gut zu machen,oder doch wenigjtens den Vorwürfen der Mutter zu entachen,[]Wenn’3 lenzt.
57 fieß er fih mit ihm in ein Feiljhen ein und erftand IHließ-fi die Tanfje, indem er zum Verkaufspreis noch zwei Fränk-fein legte. Das war Fein „Schi.“
ANmählich wurde die Heudiele leer; Kellerjokel8 Geräte waren Stüd um Stück in die Hände des Weibels und aus diejen in Hundert andere geglitten. Der Gemeideammann verfündete, daß nach einer kurzen Paufe der Hausrat an die Reihe komme. Die Tijdhe, Stühle, Schränke und Betten, die Pfannen und Töpfe, Schüffeln und Teller waren alle in der neben der Tenne liegenden Küche aufgefpeichert, bunt durch-einander wie fich’3 traf, und wurden vom Wächter YHeraus-geboten. Nun erfchienen au Frauen auf dem Plabe und unter ihnen eine mit roten Augen, die den NMaden bog und nicht aufzubliden wagte: das war Kellerjofels Frau, die Büft. Sie Hatte, ehe fie heiratete, al3 Magd gedient. Was fie da mühlam erfparte, Hatte fie auf die Sparfaffe getragen und mit dem Sümmchen, daz in den 25 Jahren ordentlich gewachjen war, follten nun au8s dem Schiffbruch einige Trümmer, das AWllernotwendigjte, gerettet werden. Wurde ein Gegenftand ausgerufen, der ihr unentbehrlich fAhien, [0 that Büfi gleich daz erfte Gebot, mit [Hüchterner, kaum ver-nehmlicher Stimme. Die anderen Käufer wollten ihr nicht weh t9um und Überboten fie gewöhnlich nicht, ja eine gutmütige die Bäuerin Nüfterte ihr ein paar Mal ins Ohr:„Bietet doch nicht {jo viel für den Kram, Ihr Kriegt ihn ja gleichwohl!“ Büfi aber bot, was ihr recht jhien und was fie vorher mit ihrem SJakvb ausgemacht Hatte. Dabei {Hrieb fie alles mit einem Stück Kreide auf die Küchenthlire, denn fie wollte nicht mehr Kaufen als fie bezahlen konnte. Der Gemeindeammann, der fie beobachtete, Jagte zu feinem Nachbar:[4]Wenn’8 lenzt.
„Hätte die Züfi in dem HauZ die Stiefel getragen, e& wär’nicht zu dem gefommen.“
DaS legte Stüd war au der Küche in die Tenne Hinausgereicht worden; die Gant fchien beendigt zu fein und ihon fOhicte fidhh der eine und der andere an, was er ge-fauft Hatte auf die eigen Schultern zu laden und den Heim-weg anzutreten, Da durchlief der Gemeindeammann feinen Rodel und fagte nach einigem Zögern: „E3 fehlt noch ein Bett, wo mag das fein, Züft?“
Büft befann fig ein Weilden, dann fahH man, wie es fie fchmerzlich durchfuhr: „Herrje, jebt Hab’ ich daZ ver-geffen !“
„Wo ijft e8?“ fragte der Beamte.
„Sn der Stube,“ fhluchzte Züfi und eilte in die Küche von da in den Wohnraum.
Der Gemeindeammann meinte wohl, fie habe das Bett verheimlichen wollen und fagte leife zu feinem Nach-bar: „ES thut mir leid um die Frau, aber ig Kfönnt’3 nicht verantworten: wir. müffen das Bett auf die Gant bringen.“
Der andere nidte.
„Holen zwei oder drei das Bett Heraus!“
Zwei Männer traten mit dem Wächter in die Stube.Da fie drinnen etwas lange Jäumten, fiel e8 dem Weibel,der jhon etwas tief in fein Moftglas geguckt hatte, ein,er Könnte das Publikum unterdefjen ein wenig unter-halten. Er ergriff die Fafche, die auf dem TijdHe {tand, und hob fie mit der etwas zitternden Rechten in die Höhe.Man Hatte fie eben wieder mit dem hellen, grünlichgelben Tranke gefüllt.[]Wenn’8 lenzt.
S)
“3
„Da ft e Outtere!)! Was it die wert? It die nüt wert?“
„Mit dem, was drin it?“ fragte einer aus dem Haufen.
„Mit dem, was drin ft,“ beftätigte der Weibel.
„Sünfzig Rappen!“ rief eine Stimme.
„Sünfzig Nappen zum erfienmal, fünfzig Rappen!“freifchte der Weibel. Dann febte er die Flajche an den Mund und trank daraus bebächtig und in langen Zügen,mit den Augen blinzelnd, um die Wirkung feines Scherzes zu Kontrollieren. Die Bauern begriffen ihn und Lachten; er aber jebte ab, {Onitt ein möglichjt ernjtes Geficht und rief:„Sünfzig Rappen zum erften und was zum zweiten ?“
„Vierzig Rappen!“
Der Weibel verkündete das zweite Angebot, Jebte wiederum die Flache an und erneuerte die Heiterkeit der Bauern, die noch nie gefehen Hatten, daß daZ zweite Angebot niedriger war al3 dazZ erfte,
„Was Hit die ‚Öuttere‘ jet wert?“
„Dreißig Rappen!“
So ging e8 weiter, der Preis der Flafche nahın ab mit ihrem Inhalt und war endlich bei fünfzehn Kappen angelangt. Die „Öuttere“ war leer, der Weibel aber Hatte fich mehr zugemutet, als er vertrug und als er die Flajche mit den Worten: „Fünfzehn Kappen zum erften, zweiten und... und... zum ... dritten“ dem Käufer übergeben wollte, entfiel fie feiner Hand und ging auf dem harten Boden der Tenne HMirrend in Scherben. Die Bauern wanden
‘) Eine Sale,
[19]Wenn’3 lenzt.ji vor Lachen ob dem Spaß; der Weibel aber, der auf dem Hohen Standpunkt zur Ichivanken anfing, fahH ernfthaft aus, denn nun fam ihm die Überlegung, daß er die Flafche vielleicht felber bezahlen müffe und fünfzehn Rappen feines Taglohnes „verunfchit“ Habe, Diejer Gedanke dämpfte feinen Raufch etwas, er ftieg vom Tijche herunter, nicht ohne Anftrengung und Fehltritte; dann, fih zum Gemeindeammann wendend, ftammelte er: „Kommt das Bett nicht zum Weibel,fo geht der Weibel zum Bett.“ Sprachy8 und wankte in die Küche und von da in die Stube. Ein Teil der An-wejenden folgten ihm, mehr aus Neugierde, al3 auZ Kauf-{ujt; die anderen blieben jHivabend in der Tenne oder traten den Heimweg an. Konrad IHloß fihH dem Weibel an. Al er ins Stübchen trat und fiH umfah, entfuhr ihm ein Aus-ruf des Schredens: „Ums Himmels willen!“
Dort in der Ede ftand das Bett, daran faß, das Ge.fiht ins Kiffen gedrüct, die Züfi und Ihluchzte, daß e8 fie jchüttelte; darin aber Iag Pauline, SKakob3 einziges Rind,und fuchte fi emporzurichten mit den abgemagerten Armen,erfchrecdt durch das Nahen jo vieler Leute. „Um8 Gimmel8 willen!“ wiederholte Konrad Halblaut, „ic ftirbt ja!“ Er Hätte auf das Bett Losjtürzen mögen und jchreien: „Bauline,meine Pauline!“ aber die Erziehung auf den Höfen forgt Ion dafür, daß die Gefühle nicht überfprudeln: mag drinnen in der Brujt alles zerreißen, der Kittel deckt e8 zu und bebt nicht einmal und die zufammengeklemmten Zähne find gute SThorwächter.Bauline war Konrad Schullameradin, die beiden wurden im gleiden Jahre geboren und waren während fechs Jahren die einzigen Schulfinder des Hofes. Als am erften Schul-[]Wenn’8 lenzt.
41 tag Xonrad das Mädchen abholte und der Kellerjatob {her-zend zu dem Heinen Mann fagte: „Aber, Chueri, verlier’mir die Pauline nicht! gelt?“ Da kam über das Büblein das Gefühl feiner Wichtigkeit, er Jah den Bauern jelbftberwußt an und fagte: „Hab’ ich den Fünfer vom Götti!) nicht ver-{oren, fo werd’ ich auch die da nicht verlieren!“ damit nahın er daz Mädchen bei der Hand und führte e8 Hinaus auf den Weg und die Halde empor, dem Hof zu, auf wel-dem das Schulhaus ftand. Der Kellerjakob fah den beiden nach, bis fie im Tannenwald verjdhwanden und fagte bei fich:„Das giebt gute Kameraden.“ Und er Hatte Recht.
Gerade jet, da Konrad das Mädchen fo zerfallen vor fi fah, zucten Bilder ‚aus früheren Tagen durch feinen Seijt und jagten fich, Bilder, in denen Pauline anderZ aus-fah, wo fie Iachte mit Mund und Augen, wo fie tanzte mit glühenden Wangen und queckfilbernen Füßen.
3 ijt Winter; auf dem Land liegt tiefer Schnee und immer wirbeln neue Sloden herab. Den Schulweg findet nur, wer ihn au mit verbundenen Augen nicht verfehlen würde. Bwei Kinder arbeiten fi mühjam an der Halde empor. Der Knabe geht voraus in Jeinen Hohen Gamafchen und {chleift die Füße dem Boden nach, um eine gangbare KRinne in den Schnee zu bahnen. SE3 ift eine fHwere Arbeit und tiroß der Kälte riejelt ihm der Schweiß über den Rücken.Bon Zeit zu Zeit blidt er rücwärts, hinter ihm {chreitet,das Köpfchen in ein warmes Tuch gehüllt, feine Kameradin und ihre Yıglein lächeln ihm zu aus dem wollenen Veriteck und das macht ihm das Schneeftampfen zur Luft und er
‘) RNathen.[]ee +>.
Wennu’3 lenzt.dreht die Fußlpiken wader nach außen, um die Bahn recht breit zu machen ...
€ it Sommer. Die Thüre des Schulhaufes fliegt auf und hHerau8 lärmt die freiheitsdurftige Kinderjhar. Wber alle jtußen: denn fchwarz ift der Himmel und {Hon rollt e3 mächtig über dem Tannenwald und jeden Augenblief werden glühende Zaden auf die Wolfen gekrißt. Nun Heißt e3 ausgezogen, fonft feßt e& naffe Gäute! Die nadten Füße fliegen nad allen Seiten auseinander und die Hanfenen Schuljäde mit den Schiefertafeln und Feder/hachteln Happern auf den Rücken. Ein Bub eilt dem Wald zu; auf feinem Rüden tanzen zwei Säde. Ihm Hart an den Ferfen Käuft ein Mädchen und beide laden dann und wann Hell auf,denn die eilige Flucht lächert fie, Sie haben zwei Wälder zu durchqueren, der Weg ijft weit, aber patichend geht e8 dahin zwijchen den mächtigen Buchen und Tannen und der feuchte Lehm des Pfades KihHlt die emfigen Fußjohlen.Schon traben fie auZ dem zweiten, dem Tannenwald heraus und eilen jebt den Gügel hinunter. Da aber fegt ein ge-waltiger Windjtoß an der Halde empor und Hinter ihn drein fommt ec3 durch die Luft gefauft, raufchend und tofend wie ein Wafferfall, Auf dem Boden zerplaßen die erften Tropfen,groß, wuchtig und mit dumpfem AWuffchlag. DazZ Tojen wird lauter, Angft erfaßt die Kinder, das MädchHen ftößt einen Schrei aus: ein Hagelforn, groß wie eine Nuß, ilt idm ins Haar gefahren und andere folgen nach, bedächtig und fOwer und fpringen von den Steinen in die Höh und durchlöchern daz Kraut und zielen nach den Köpfen. Die Kinder jtehen fill, ratlos den Kopf einziehend. In dem nahen Ader jteht ein Hoher Kir]dbaum, das Mädchen, ohne []Wenn’3 lenzt.
13 ich lange zu Bbefinnen, galoppiert über die Surdhen und Schollen dahin; fhon ift e8 dem Biel nah: da leuchtet e8 herab mit fürchterlichem Krachen, daz Mädchen bettet ich zwijden die Schollen und liegt regungslos, der Knabe, vom Schreden gelähmt, finkt in die nie und bebt wie Zitterkraut.AS er fih etwas erholt Hat, Friecht er zu feiner Gefährtin Hin und rüttelt fie am Rod. Sie rührt fich nicht: bei Bott, fie ift tot! Immer zuden neue Blibke und e8 dröhnt durch das Thal, wie wenn riefige Steinblöcde übereinander rollten. Der Junge fühlt’8: er darf nicht unter dem Baume Sleiben. Er faßt daz Müdhchen an, um e8 dabvonzutragen,aber e3 ift {dHiver wie Blei, viel {chwerer als fonft und ihm jelber jchlottern die Knie. Er verfucht es nochmals: um-jonit. Er fängt zu weinen an und befchließt nach Haufe zu eilen und dort Hülfe zu fuchen. Da aber fährt ihm ein Wort durch den Kopf: „Chueri, verlier' mir die Bauline nicht!“ (Er Dat e8 nicht vergeffen und doch find fjeitdem bier Jahre verfirichen, Wieder faßt er das Mädchen an und fiehe! diesmal gelingt e&: mübhfjam, mühfjam hebt er es auf die Schulter und {Hleppt fich mit der Laft über die Schollen hin, dem Fußweg zu und dann die Halde hinunter.Schloßen fallen nicht mehr, aber der NMegen {trömt herab in biden Strängen und durch die trübe Landjhaft zittert das weiße Sicht der Blige und bei jedem Leuchten fährt der Rnabe zujammen, wähnend, der Strahl falle auf ihn herab.Unten im Thal, wo die Brücke über den Bach führt und der Weg zu fteigen beginnt, fintt er zufjammen, erJhöpft und atem(los: feine Lajt gleitet ihm au8 den Händen und er finkt neben fie auf den Boden Hin. Wie er fichH wieder erhebt,da hat das Mädchen die Mugen aufgefchlagen und [haut
[44]Wenn’3 lenzt.eritaunt in den Megenhimmel hinauf und dann wieder nach jeinem Güter, Dem Anaben aber windet fihH ein Freuden-jchrei aus der Kehle Heraus, fchmerzhaft und Iuftvoll zu-glei: „Sineli!“
Wieder ift es Winter. Die Kinder find fechszehn Yahre alt geworden, fie befucdhen unten im Dorf die „Unterweifung“und lernen viel Fromme Dinge. Das hHindert fie aber nicht,am Schlittenfahren und am Schleifen auf dem Siz ihre Herzenskuft zu Haben. Abfeitz vom Weg, in einer feuchten Wieje, liegt ein Teich, oder, wie man dort zu Lande fagt,eine „Roo3“, in weldher die Hubbhäuerin im Spätjommer ihren Hanf taucht, damit der Holzige Stengel mürbe werde und dann unter den Schlägen der Breche fichH leidht von den Safern Iöje. Dorthin nehmen die zwei ihren Lauf durch den Schnee, das Mädchen voraus, denn nun macht e$ fich jHon felber Pfad. Die Roos it zugefroren, das Eis glatt und glänzend, wie eine gefdheuerte Glasfcheibe; aber ift e& auch feft? Das Mädchen, das feinen Gefährten zögern ficht, ruft lachend: „IH wag3!“ nimmt feinen Anlauf und gleitet über den leife Inadenden Spiegel. Der Burfche, um nicht feig zu erjcheinen, macht das Wageftück nach; drüben aber hat die andere Kehrt gemacht und mitten auf der Fläche Freuzen die beiden ihre Bahnen. Da3z war dem Eis zu viel zugetraut: der Junge fteht bis unter die Schultern, daz Mädchen bi3 ans Kinn im Eis. € dauerte lange, bis fie fich aus der Patjche Herausgearbeitet haben und nun kommt noch der Heimweg: eine Vierteljtunde in Kleidern, die auf dem Leibe gefrieren. Der zühe, trog feiner Yugend wetterharte Burjcdhe zieht zu Haufe andere Kleider an und geht wie Tonit feiner Arbeit nach; das Mädchen aber erkrankt an []Wenn’? lenzt.
‘3 einer Lungenentzündung und Hat von da an feine gefunde Stunde mehr.
Uber anz Sterben dachte die Iebensfrohe Bauline noch lange nicht. Noch an der lebten Kirchweih war fie mit den anderen Mähchen inz Dorf Hinabgegangen, um zu tanzen.Auch Konrad war dabei und die beiden drehten und wiegten li in der „Linde“ bis fpät nach Mitternacht. RPaulinens dünne Wangen blühten wie Kofen beim gelben Lampenjhein und Konrad fagte ich mehr als einmal: „Bei Gott, {fie wird immer jhöner!“
3 aber die beiden den Heimweg antraten und Konrad jeine Mundharmonika aus der Tajdhe zog denn das war ein Injirument, das er trefflich fpielte und einen Marich zu blajen anfing, machte fich Pauline, ohne ein Wort zu Jagen, von feinem Aım 103 und feßte fiH an den Rand der Straße.
„Was it dir?"
„9 bin jo mid’, ih kann nicht mehr!“
„Das wird vorbeigehen! Bleib’ nur ein Weilchen fiken.“
Nach einiger Zeit brachen die beiden wieder auf; der Weg fing nun rafh zu fteigen an und Bauline Hängte fich [wer an Ronrads Arm. Wber e8 Half nichts, e8 ging wirklich nicht mehr, das Möädchen blieb jtehen, drückte die Schürze an das Geficht und fing bitterlih zu weinen an.
„Aber was ift dir denn?“
Da brachte fie hervor, was fie fih felber noch nie offen geftanden Hatte: „Konrad, id muß fterben.“
Er jOlug einen Ton an, wie manchmal Leute aus dem Volfe thun, wenn fie ihre Gefühle nicht zeigen wollen oder einem anderen etwaS ausreden möchten, das fie felber fürchten ;
[16]Weun’8 lenzt.„Schwaße Keinen Unfinn, Pauline! Du und fterben! Eine Nacht lang tanzen wie eine Bachftelze und dann vom Sterben seden! Schlag’ foldhe Grillen in den Wind!“
Sie aber fagte: „E83 ijt Leine Grille, ih fühl2, e8 geht nicht mehr lang.“ DaZ rafende Tanzen Habe ihr den legten Stoß gegeben. Die Jchmetternden Noten Haben ihr freilich die Füße gelüpft, jebt aber feien fie wie Blei und der Atem wolle ihr nicht mehr in die Bruft Hinabjteigen, wenn e8 nur fon vorbei wäre, fie Habe fo angft.
Konrad war der Gedanke, Pauline möchte fterben, {hon mehr al8 einmal gefommen, aber er war ja jung und bei der Iugend Hat die Hoffnung noch immer willige Ohren gefunden, Ießt aber, da er den bangen Gedanken aus ihrem eigenen Munde vernahm, übermannte er ihn, ein unfägliches Weh fcOnürte ihm die Kehle zu und feine Hand fuhr unwillfürli über die Augen. Und nun fagte er ihr mit weich gewordener Stimme, wa3 die Schen fonft lange in feiner Bruft zurüdgehalten Hätte: „Aber weißt dır denn nicht,Rauline, wie gern ih dich Hab’ ?“
„Doch, ich merk’ e3 und da3 eben macht mich [d gar traurig!“
„So haft dur mich auch ein wenig lieb?“
„Konrad!“
Da redete ihr der Burfhe zu, fie foWte doch nicht ans Sterben denken, fondern Iuftig fein, wie damals al8 fie zu-jammen zur Schule gingen. Sie müffe nur gefund werden wollen, dann werde fie e8 ficherlich auch bald fein. „Und, wenn dur gefund bift und wieder magjt fpringen und tanzen, dann iteen wir „Maien“ *), du ins Haar und id an den Rod,und e8 foll hoch Hergehen. Willit du’s fo?“
1) Sträuße.[]Wenn’3 Lenzt.
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Sie hatte nicht dagegen: bei feinen Worten war auch in fie die Hoffnung wieder eingezogen und merkwürdig:baß Bleigewicht fchien von ihren Füßen abgefallen zu fein und fie jagte zu ihrem Begleiter: „Nun fpiel’ noch eins auf, und ein Iuftiges!“
So ging e8 ganz leidlih zum Wieshof hinauf.
Nun waren die beiden Iugendgejpielen „verfprochen“,aber niemand wußte e& noch, dazu Hatte e& jhon noch Zeit,und waren Leute zugegen, fie ließen fih nichts anmerken und fhaten gar, al3z vb fie fihH nicht recht leiden Könnten.
Bauline wehrte ich tapfer gegen ihr Leiden. Im Sommer ging es gut und im Gerbit nicht viel fOlimmer.Da aber kam der Winter mit feinem Kalten Nordwind, der da meint, eS fei nicht recht, wenn nicht Yandauf, Iandab alles Hufte und belle wie die Füchfe zur Zeit der Dürre. Pauline hatte feine gute Zeit, aber Konrad kam hie und da ins Unterhaus, wenn er abend3 aus dem Walde nach Haufe kehrte und fand dann Gelegenheit ihr Mut einzuflößen: das fei eben der Winter, aber der währe nicht ewig und der Früh-fing fei ein guter Doktor.
Sie lächelte dazu mit ihren dünnen Lippen und Wangen,glaubte ihm Halb und glaubte ihm Halb nicht und fragte fih: „Werd’ ih den Kuckuck nochHmals jHreien Hören ?“
Der Frühling kam. Pauline vernahm den Ruf des Kucucks, aber an jenem Tage wollte der Kellerjakob gar nicht zu Mittag effen, und als man in ihn drang, da ftotterte er e3 Heraus: e3 fei alles fertig, in vier Wochen werde der Sof und alles was daranf fei „tübis und rübis“ vergantet,er habe fiH lang, Yang gewehrt, jeßt Habe er die Gabel ins Heu geworfen.[]RR
Wenn’3 lenzt.
O9, diefe Schande! „Verlumpen“ nennen e3 die Bauern auf den Höfen. Alfo Bauline ift das Kind eines Ver-Iumpten! Nun wird Konrad nicht? mehr von ihr wiffen wollen und fie verachten, wie die anderen Nachbarn e8 nun alle thun werden! An jenem Mittag legte fie fichH zu Bette und ftand feither nicht wieder auf. Die Schande Hatte ihren Widerftiand und daz Reftchen Kraft gebrochen, fie ließ eS jeßt gehen wie e8 mochte und dachte jtet$: „Wenn’8 nur jhon vorbei wäre.“Da fie von Tag zu Tag elender wurde, Hatte man fie in das Stübhchen gebettet; die Hülfe war fo gleich zur Hand,wenn ihr etwas fehlte. Eines Tages, als fie mit ihrer Mutter allein mar, Hörte fie Tritte vor dem Haus: fie Kannte fie wohl: e3 war Konrabs Gang. Die Freude durchfuhr fie:Er fommt doch noch, er verachtet die Verlumpte nicht!“ AWber gleich folgte der Umfehlag: fie fönnte ihm nicht ins Geficht jehen, Jie, deren Schmadh auch auf ihn fallen würde, wenn jemand erführe, daß . . . Nein, e& mußte abgebrochen fein!um jeinetwillen! Sie fuhr im Bett auf: „Mutter, riegle die Thüre zu!“„Was fällt dir ein, Mädchen ?“
„Stoße den Riegel für, oder ich gehe felber!“
Büft erfhrak vb der Aufregung ihrer Tochter und, um fie zu fchonen, gehorchte fie. AlS ec gefchehen war, trat fie vor das Bett Hin: „WazZ fol das heißen, Kind?“
„Scht! fer mäuschenftill !“
Bült feßte fi Kopffchüttelnd auf ihren Stuhl.
Draußen Nopfte e& an die Thüre. Niemand gab Antwort.3 Hopfte wieder. Vergebens. Da drückte eine Hand auf die Klinke,aber die Thlre Hütete ih wohl, jich in den Anaeln zu drehen.[]Wenn’3 lenzt.
N „Sit niemand da?“ Alles fhwieg.
Noch mehrmals Freifchte die ThHürklinke, erft JHlchtern dann heftiger, und ‚als alles nicht? . nüßte, entfernten fich draußen die Schritte. Im Bette Halb aufgerichtet Hatte Bauline gelaufcht wie ein Reh, das den Yäger wittert. Wie bie Schritte verhalten, jank fie ins Kiffen zurück, 309 das Seinentuch über ihr SGeficht und fOluchzte bitterlih. Sie hatte ihm den Riegel vorgejhoben, ihm, den fie über alles gern hatte, den fie vielleicht nun nicht wieder fehen follte,ihre erfte und lekte Liebe, Sie that e8 nicht auZ Eigenfinn,lie that e3 ihn zu lieb, mußte e3 fYun, und nun blutete ihr das Herz.
Bült ahnte, was in ihrem Rinde vorging, fie nahm den Kopf der Kranken in ihre Gände und fuchte ihr Troft zu-zuiprechen.
Zwei Tage jpäter machte Konrad noch einen Verfuch,um in ®ellerjafobs Haus einzudringen: er ftieß wieder auf eine verriegelte Zhüre, man wollte ihn nicht fehen, er mußte e3 aufgeben und fi begnügen, vom Kellerjakob zu erfahren,wie e$ dem Mädchen gehe, und der fprach feit einigen Wochen nur noch mit den Achfeln.
WS am Ganttage Konrad mit den Bauern in die Stube trat, trafen jeine Glide Paulinenz Augen und e8 lag darin eine flehende Angft. Was mochten fie Jagen? „Verachte mich nicht in meiner Schande!“ oder: „Verzeih’, daß ich dir den Riegel vorfchob!“ oder: „Laßt mich doch in Frieden f{terben!“Ja, er jah’8: der Tod fchaute ihr auZ den tiefen Augen mit den bläulidhen Rändern und dumpf, bei dem Klange der Schritte und. dem Summen der Stimmen nur wenigen vernehmlich,rang e8 {jich Heraus: „Um’3 Gimmels willen! . .. Um’8
3. Bofßdhart, Im Nebel. Ä []Wenn’8 lenzt.Himmels willen, fie ftirbt ja!“ Er drängte fih an das Bett Yeran und fagte: „Pauline!“
Sie {ah zu ihm auf und Hätte gern gelächelt, wie fie einjt that, wenn er vor ihr den Schnee furchte und feinen Lohn in ihren Augen fuchte; denn fie fah wohl, daß er ihr immer noch gut war. Da aber erfchallte dit am Bett die freijdhende Stimme des Weibels, der in feinem Raufch nicht wußte, wa3 er that: „Da ift ein Bett, was ift daZ wert?“
Ein Murren des Unwillens ging durch die Stube. Die Leute, die neben und Hinter dem Weibel ftanden, ftießen ihn mit den Ellbogen, um ihn zur Befinnung zu bringen. Er wurde aber jtörrig, ftieß mit den Fäuften um fich und wieder holte: „Da ift ein Bett! it das nüt wert?“
Pauline Jah den Weibel mit Augen des Entjegens3 an.Die Bauern riefen: „Halt dein Maul!“ Der Betrunkfene aber {Olug auf die Arme, bie fihH nach ihm ausftrecten und rief: „IH muß ganten! was fein muß, muß fein! Was ift das Bett wert?“Konrad zuckte e8 in der Hand, aber er beherrichte fich und jann auf ein Mittel, um dem Skandal ein Ende zu machen. Wer e3 Jollte rafdh, ralch gefunden fein und er fand den richtigen Weg nicht und rief dem Weibel die Unt-wort entgegen: „Hundert Franken!“
Kaum war ihm der Ruf entfahren, da ward e8 ihm flar, wa8 für eine Unfchicklichkeit er gemacht Habe und als nun gar der Weibel anfing zu wiederholen:
„Hundert Franken zum erjten . . .“, da Fochte ihm das Blut, er umfoOlang den Grobian mit Jeinen rüftigen Armen,ftieß die Leute, die iYın im Wege {tanden auf die Seite und trug ihn in die Tenne hinaus, wo er ihn unfanft in eine Ede warf.[]Wenn’3 lenzt.
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US er wieder im die Stube trat, war Pauline inz Kiffen zurüdgejunken, ein Schleier Hatte fihH über die Augen gelegt, fie mar dahin. Züft ftieß einen Schrei aus, der allen durch Mark und Bein ging und warf fih über ihr Kind;die Bauern |Hlihen verlegen hinweg, ohne jedoch zu ver-geffen, die erftandenen Waren mitzunehmen. Konrad blieb allein mit Züfi und der Toten in der Stube zurüd, er hätte gerne der armen Frau fein Gerz ausge[chüttet, aber die gab fidhH fo fehr ihrem Schmerze Hin, daß fie die Gegenwart des Nachbar3 gar nicht gewahrte. Er Konnte den Sammer nicht mit anhören und ging hinaus wie die anderen. Er nahm den Weg Hinten um das Haus herum, um dem Keller-jafob das Unglück mitzuteilen, aber der war verfhwunden.& war Mittag und Ejjenszeit; Konrad Hungerte nicht; im Oberhaus angekommen nahm er eine Art auf die Schultern und fhlich ungefehen davon, dem Walde zu. Erft am AWoend fehrte er wieder zurück; den Bäumen Hatte er fein Leid ge-than und die Art war noch roftig wie am Morgen.
Beim Mittageffen gab es auf allen Höfen viel zu er-zählen. Der Eihbauer SJörli {Hloß feinen Bericht mit den Worten: „Des Schulpfleger3 Konrad ijt fonft ein Burfche,ber feinen Strumpf für eine ®appe Hält, aber Heute muß der Teufel in ihn gefahren fein. Ein Gebot auf ein Bett thun, in dem eins frank liegt, wer Hat das fhon erlebt?Sebt weiß man nicht, wer der Kaukine geholfen Hat, der Weibel mit feinem „Wa3 ift dazZ Bett wert“, oder er mit feinen Hundert Franken.“
„Wie ih den Konrad Ffenne, Hat er nichts Schlechtes g’meint!“ fagte eifriger, als fie e8 wollte, Sörl’8s Tochter KRofine.[39]Wenn’S lenzt.
„So? wie dur ihn Fennft?“ meinte der Bauer, „du fennit ihn alfo? So, fo, wie du ihn fennit?“
Nofine legte ihren Löffel in den Teller und flüchtete damit in die Küche; man jahH e8 ihr am Rüden an, daß fie ein Seficht bekam rot wie ein gefochter Rrebs.
„Dho,“ dachte Yörli bei fich, „will’3 dort hinaus?“
Kofinenz Bruder, der Bert, der die geheimen Gedanken feiner Schwefter {hon längft erraten Hatte, hielt die Gelegen-heit für paffend, ihr einmal feine Meinung zu fagen und rief ihr nach: „Auf den Chueri Kannft du warten, bis die Ruh einen Bagen gilt!“ In der Küche aber Jagte Nofine zu fi, alS fie, ärgerlich über ihr dummes SGebahren, den Teller etwas unfreundlich auf einen Tijh f{tellte: „Und ich will ihn doch!“ Dabei ftampfte fie mit dem Fuße auf den roten Biegelboden.
,r-als Um folgenden Tag, ging ein Mädchen von GehHöft zu SGehöft und meldete dem ledigen Volk, daß am Samstagabend im Schulhaus Kellerjakobs Pauline „gefhäppelt“ werde.
Die Hofbauern hHangen an alten Gebräuchen fo zäh, wie an ihrer lehmigen Erdfholle, und was anderwärtz fchon längit vergeffen ift, wird dort noch Kiebreih in Ehren ge-haften. Wenn eine Jungfrau ftirbt, thum. fiH die Jugend-Freundinnen und Kameraden zufammen, flechten aus Jmmer-grün und Moos lange Kränze, die um den Sarg gewunden werden. Mit Kränzen wird auch ein fchiwarzes, hohes Kreuz gefOmüdt, an das ein Porträt mit einer Widmung befeftigt ijt und das dem Sarg vorangetragen wird. Früher, al8 {ich []Wenn’3 lenzt.
53 die Sandestracht noch nicht in die alten wurmftichigen Käften verfrochen Hatte, febte man oben auf das Kreuz das „Schäppeli“, den fOmucen Hut, den die Bräute an ihrem Hochzeitstage al3 Zeichen der Reinheit trugen. Al eine Himmelsbraut follte die Freundin im Friedhof Einzug Halten.Daher kommt es, daß das bekränzte Rreuz „Schäppeli“, das Slechten der Kränze aber „Schäppeln“- genannt wird.
Um Samstag-Nachmittag verjammelten fich die Mädchen beim Schulhaus, dazZ auf einem Weiler etwa im Mittelpunkte der Hofgemeinde fteht. Als fie vollzählig waren, f{tiegen {fie zum Schloßrain hinauf. Dort ragen zwijhen mächtigen Höhren die geborjtenen, von den Wurzeln der Sträucher zer-nagten Mauern und Türme einer alten Ritterburg empor und rings um den Hügel im SGebifch und auf dem grauen Mörtel wuchert üppige Ymmergrün, daz einzige, das in der Gegend wild mwächft und, wie die alten Leute verfichern, vom Schloßgarten hHerrührt. €3 war eben in voller Blüte und e5 {chien, al Hätte fih ein Stück des Haren Frühlings»Himmels auf den Schloßrain niedergelaffen und ins frifhe Grün gefhmiegt.
Die langen Stengel des ImmergrünZ mit den glän-zenden Blättern wurden nun forglih mit den Fingern aus dem grünen und blauen Teppich herausgeholt und ordentlich in $örbe gelegt; andere Körbe wurden mit gelbgrünenm,weichem Moos gefüllt und von den riffigen Stämmen der Höhren Löfte man einige Epheuranken. Al3 die Sonne in bie dunkeln Tannenproßen des Hafenwaldes Hinunterfank,nedijch durch die Üite und Zweige hindurch blikte und plöb-li nochmals eine Saat von Goldftaub über den Schhlofrain auSfchüttete, da waren die Rörbe gefüllt, die einen mit hellem,
[4]Wenn’S lenzt.die anderen mit dunkelem Grün. Die Mädchen ergriffen zu zweien die nach dem Waldboden duftenden Laften und nun ging’3 wieder hinab, dem Schulhaufe zu. Hinter ihnen aber begann ein füßes Flöten. Eine Amfel, der das junge Volk den ganzen Nachmittag verdorben Hatte und die ihr Lied nicht mehr in der fangesluftigen Kehle zurüczuhalten vermochte, Hatte fig auf den Höchjten Zweig einer Führe ge Tebt und fang nun in das warme Wbendrot hinein, und mit ihr der ganze Schloßrain, fo daß fihH au in der Bruft der Mädchen etwaZ regte wie ein Lied und e8 wäre mächtig jauchzend GHerausgequollen, wären nicht die erniten grünen Körbe gewefen.
Bor dem SchulhauzZ Harrien jüngere Mädchen, die noch zur Schule gehen mußten. Die brachten ihren älteren Schweitern das YWbendbrot und betrachteten mit feierlichen Mienen die grünen Körbe und ihre Schweftern und Hatten Heute vor diefen mehr Refpekt al3 fonft und dachten: „Wenn auch ih einmal groß fein werde und jHäppeln darf!“
Die Schäpplerinnen traten in das Schulzimmer, feßten fi® in die Iangen Bänke, in denen fie fi jo oft nach ihren Höfen und deren Ungebundenheit gefehnt Hatten und auf denen fie nun die unvderwijdhHbaren Spuren der Mefferklingen ihrer Leidensgefährten fanden: „Da Hat der Paul feinen Namen eingefhnitten!“ „Diejfes Zoch hHat Yörlis Bert ge bohrt.“ „Da muß der Kafpar gefejjen Haben, fieh’ nur her!“
Nachdem die Mäbhchen ein Weilden nach Erinnerungs-zeichen und nach früher kaum beachteten, jeßt lieb gewordenen Initialen gefucht Hatten, machten fie fich über die Körbe her,die man ihnen gebracht Hatte. Ihr Inhalt verriet, daß auf den Höfen der Hunger feine mächtige Herrichaft befißt:[]Wenn’S lenzt.
44 vor dem Roggenbrot und der Butter, dem Magerkäs, dem rofdurchzugenen Sped und den Nauchwürften und all den Dingen, die da Hervorgezogen wurden Hätte er das Feld räumen miüfjen und wäre er auch mit einer ganzen Kom-panie eingerüdt, und an fMarem, perlendem Mofte fehlte e8 wahrlidH au nidht. Die Zähne bekamen nun wader Arbeit und die Zunge wurde gezügelt: man wollte den guten Sindrud, den man fihtlidherweije auf die Schulmädchen ge-macht hatte, nicht mutwillig wieder verwifjdhen und das Konnte man nur, indem man mit den Brot und Käfebiffen auch die Wörter Hinunterfehlucte: denn was Können fünfzehn Ieben3-frohe Mädchen von achtzehn Sis fünfundzwanzig Yahren und wären fie aud) Schäppelenz halber bei einander anderes plaudern, al was zum Lachen Kigelt und die weißen [Oekmifchen Zähne aus ihrem Verftede lockt.
US das Ejjen nicht mehr {Hmedte, wurden die Körbe hen wieder gepacdt und die Meinen MäddHen mit einem freundlichen Klapp3 auf die Wangen nah Haufe gejohict.Die Nacht brach Herein, die große Gängelampe wurde an-gezündet und das Flechten der Aränze konnte beginnen. Die einen fjortierten das Ymmergrün und das Moo3S und ver-einigten zujammenpaffendes zu feinen Büfjfcheln, die von anderen, die Erfahrung und gefdhikte Hände Hatten, an Schnüre gereiht wurden. Einmal fchlih {ih eine der Schäpplerinnen an8 Fenfter und Horchte in die Nacht hinaus.
„Steht der Mary draußen?“ rief ihr eine andere neckifch zu und der ganze Schwarm fing an zu Kichern. i
„Ir feid wohl närr’Ih! ich wollte nur jehen, vb der Mond jhon komme!“
„Hreilich, der M0ond!“ meinte eine in trodenem Tone.[16]Wenn’8 lenzt,
„Schfht!“ unterbrachen die Gelächter.
3 die Flechterinnen recht im Zuge waren und die Arbeit weidlich von ftatten ging, Hörte man Tritte draußen:„Sie kommen!“ Große Bewegung im Schulzimmer, die Blätter und Moosfegchen wurden von den Schürzen ge {Hüttelt, die Hände fuhren über die glattgefämmten Haare,man feßte fig in Pofitur, al3 Hätte man photographiert werden folen; dann wurde alles {till und mit doppeltem Eifer zappelten die Finger der braunen, an Arbeit gewöhnten Hände. Die Thlüre Inarrte in den Angeln und herein traten die Burfdhen in ihren fjHıveren Schuhen, unter denen der tannene Zimmerboden ächzte, und fie machten möglichft gleihgültige SGefichter und fogen an ihren Kırzen Pfeifen.Man drückte fich die Hände, bald ftärker, bald fhwächer, wie man’8 gerade meinte oder im Sinne Hatte. Al$ die Mädchen ihre Arbeit wieder aufnehmen wollten, Jagte einer der Burfjchen:„Erft müffen wir den Grabgefang einüben, Hol’ einer den Schulmeifjter herunter!“
„Wir HNopfen an die Diele“, fagte ein anderer, „er wird fchonm merken, was wir wollen.“
Sejagt, gethan. Bald darauf leuchtelen zwei dunkle,freundliche Augen dur das Schulzimmer. Sie gehörten einem alten Männchen, dem ein ehrwürdiger Bart biz auf die Bruft wallte, während ein [Hwarzes Sammetkäppchen ihn die Haupihaare erfeben mußte.
„Suten AWoend, Kinder!“ „Outen Wbend, Herr Schullehrer!”
„For werdet das ‚Ruhe fanft‘ {fingen wollen?“Diez fagend überblidte der Alte mit feinen Leweglichen
ÜÄÜlteren das Lo3brechende []Wenn’8 lenzt.
57 Augen die Schar feiner einftigen Schüler, öffnete fein In-Ürument, ein HNeines, baufälliges Harmonium, und fing ar zu treten und die Tafjten zu drücen und jHnarrend gab der braune Kaften Töne,
Die jungen Leute kannten das Lied, e8 war das Grab-fied, das fich auf den Höfen von Generation zu Generation vererbt Hatte und man {ah feinen Grund, ein neues zu lernen. Die einfadhe Weife und die fOlichten Worte Hatten ihre Wirkung in der Kirche noch allezeit ausgeitbt und Hätte man einen Sterbenden gefragt: „Was follen wir dir fingen,wenn’8 vorbei ift?“ er Hätte ficherlidh geantwortet: „Wie fönnt’ ihr auch fo etwas fragen! Ich Habe mein ganzes Leben Iang nie recht ausruhen Können, drum fingt mir: Ruhe janft im Örabe, Ruhe fanft im Grab.“
Die jungen Leute ftellten fih vor das Harmonium,jeder zu feiner „Stimme“, nur einer zögerte, e& war Schul-pileger3 Konrad.
„He, Chueri“ da3Z war fein Kojenamen geblieben „He, Chueri! was treibft dr dort Hinten ?“
„3% mag nicht fingen!“ und er jagte die Wahrheit.
„Mögen, mögen! e3 Heißt müffen!“
„IH Habe einen HalZ fo rauh wie eine Teile.“
„Begreiflih“, fagte Xajpar der Wigbold, „Hätten wir geftern auf der Gant fo laut geboten, ’3 wär’ auch unfereiner Heiler geworden!“
Konrab, ohne ein Wort zu erwidern, griff nach feinem Hute und wandte fihH zur Thüre. Spott ertragen, das fehlte ihm gerade noch!
Man durfte ihn nicht gehen XCafjen, er war der beite Baßfänger der SGefellijihaft, e8 ging nidht ohne ihn. Man []AR Wenn’3S lenzt.umdrängte ihn, verfperrte ihm bie bleiben.
Den beften Trumpf fpielte aber Rofine, Jörli’3 Tochter,aus, Die rief dem Spaßmacher zu: „Kajpar, ich Kenne einen,der war freilich nicht heifer, als wir für Steffens Lisbeth fangen !“Man Ficherte; Jörli’s Bert aber meinte, er müffe einen Kommentar zu den Worten feiner Schweiter geben: „Ka,damals hat einer gebrüllt wie ein Ochs, den man allein im Stall läßt!“
$ajpar brauchte nicht zu fragen, von wem man fo freundlich redete. Er bildete fihH nicht wenig auf feine Tenorftimme ein, Hatte aber bei einem Begräbnis das Un-glüc gehabt, in eine Baufe zu Frähen wie eine Bojaune, die zum jüngjten Gericht ruft. Damals Hatte man im Dorfe über die Hofbanern gelacht denn Berg und Thal Haben jich ewige Fehde gefhworen und man Hatte boshafte Bemerkungen herumgeboten: wenn die Höfler fingen, mijffe Ionen der Geißbub auf feinem Horn Tenor blajen, oder:wenn man im Dorfe einen Nachtwächter brauche, wife man jebt, wo ihn Holen. Sie fo lächerlich gemacht zu Haben,verziehen die Hofburfhen ihrem Kameraden lange nicht. Er jelber aber Hatte fih am meiften darüber geärgert und fo trafen ihn Rofinenz Worte wie ein Guß Kalten Waffer8.Konrad andererfeitz empfand eine große SenugtHuung, den fo gedemütigt zu fehen, der ihm fo unfanft an feine {chmerz-fichfte Wunde gerührt hatte und er wußte e8 dem Mädchen Dank.
Während die anderen fi über den verlegenen Kafpar noch weiter Iuftig machten, ihm aber dabei auf die Schultern Fopften, zum Beiden, daß eS {vo bd8 ja nicht gemeint jet,[]Wenn’3 lenzt.
FM
Y ©)machte {ih Rofine Hart an Konrad Heran und fagte Halbleife zu ihm: „Was fällt dir auch ein, davon zu Iaufen? da wären wir {Hön dran! Den Dörflern freilich hieße das Wafjer auf ihre Mühle richten; denn wer fjollte das Solo fingen mit dem tiefen Ton drin? Etwa der Franz, der eine jtarfe Stimme Yat, aber entweder eine Halbe EMe zu hoch oder zu niedrig fingt? Den tiefen Ton bringt keiner fo fhön heraus wie du! Willjt dır den Dörflern den Spaß machen?“
Ent{chieden, das Mädchen verftand e8&, Schulpflegers Konrad zu baden, denn von Eitelfeit war der Burjche nicht frei und daß er eine Hübfhe Stimme Hatte, wußte er, bevor e8 ihn RMofine fagte. Indejjen fämpfte er noch mit fich jelber, al8 der Schulmeifter ungeduldig mit feinem Talkt-ftöckchen auf den Deckel des Harmoniums KMopfte und rief:„Nun, Konrad, feit wann Läßt man fich fo drängen, wenn €gilt, einer Kameradin auf dem Grabe zu fingen!“
Die Autorität des allgemein geachteten Alten brach feinen lebten Widerftand, dazZ Konnte man ihm am SGeficht ablejen;zwei Bur]hen nahmen ihn ohne weitere Umfhiweife in ihre Mitte und er ließ fih vor das Harmonium führen.
Yun wurde dazZ Lied geübt, zuerft jede Stimme einzeln und dann alle zufammen. Konrad, nachdem ihn einmal die Bunge gelöft war, ging ganz im Gejange auf und als zum Schluffe das Solo probiert wurde und er das: „Ruhe, ruhe,ruhe fanft“ fingen mußte, dachte er an das Möüdchen, das drüben Kalt im Wieshof lag und feine Stimme vibrierte vor Nührung und die anderen {jtießen fihH mit den Ellbogen an:„Der Chueri fingt Heut wie eine Orgel.“
Der Schulmeifter Nappte den Deckel feines Infirumentes herunter, drehte daz Schlüfjelhen Herum und, fih zur Thüre [0]Wenn’S fenzt.wendend, fagte er zu dem jungen Volk: „Gute Nacht, Kinder!Seid mir nicht zu laut, ich und meine Alte möchten nun gern bie Augendedel Herunterlaffen.“ Da trat ein Bur]che herein, der fi Kurz vorher entfernt Hatte; er trug in der Hand ein hHölzernes Gefäß, einem Fäßchen vergleichbar, eine „Segle“, wie man dort zu Lande fagt. Die „Legle“ ift zur Erntezeit die erquidende Quelle der Schnitter, erwies fich aber auch beim „Schäppeln“ al8 brauchbar. Der Burfche {ftellte das Gefäß auf eine Bank: „Herr Schulmeifter, ihr müßt mit uns den Schäppelitrunkf thun, fo Yt8 immer gehalten worben.“ Der Angeredete machte ein fauerfüßes Geficht, nicte aber beifällig. Derweil Hatte man einen Korb mit Gläfern und einen großen braunen Brotlaib Hereingetragen. Man griff zu ben Öläjern, hielt diefelbe an daz dünne Kupfer-röhrohen der „Legle“ und Kieß den perlenden Rotwein hHinein-iprudeln. Dann ftellte man fih in zwei Reihen, Hier die Burjchen, dort die Mädchen und zwilchen drin pflanzte fich der Schulmeifter auf, dem man ein feineres GlaZ mit einem Zuß in die Hand gegeben Hatte.
Konrad, ohne zu wijfen, wie e& kam, befand fi Rofinen gegenüber und war froh, daß e8 fih fo traf, denn des Mädchens Verhalten wirkte noch nad und that ihm wohl.
Alles war möuschenftill wie in einer Rirche. Da 309 der Schulmeifter fein Sammetfäppdhen ab und da er gerade unter der Hängelampe ftand, Leuchtete fein fahles Haupt freundlich durch das Schulzimmer, wie der Mond durch die Nacht und eS war, al3 Lege fich ein HNarer Schein, ein Geiligen-jdein darum. Er fchaute eine Weile fein Glas an, wie um fich zu befinnen, und fprach dann mit leijer, ettvas fingender Stimme und mit altväterifcher Ausiprache den Spruch, den []Wenn’3 lenzt.
4 er Telbft einjt in jüngeren Jahren verfaßt und jeither mit Heinen Underungen immer beim Schäppeln vortrug :„Liebe Freund’!Sam der od einhHergejHritten Und aus un]rer Mitten Riß er eine weg fürwahr,Die ung allen teuer war,Die als Kind mit uns gefprungen,Die fo Iuftig einft gefungen,Wenn wir Kingelreihen Tanzten im Maien.Oh, wie in der Erntezeit Über’3 Feld weit, weit Ihre Jauchzer halten,Bis wir’3 ihr vergalten!Und wie fie fih froh gemacht,Wenn wir in der Winternacht Schlitten fuhren am Rain Beim Mondenfhein,Und in warmer Stube drauf Nach dem wilden Lauf Nüjje Enadten, Lieder fangen Und zur Luft im Tanz uns fÖwangen!Und nun hat fie g’nug gefprungen @’nug gejauchzt und ausgefungen !Nie mehr Hört man ihre Lieder,
Nie mehr, nie mehr tanzt fie wieder,DochH wir wijjen, daß fürwahr Sie uns allen teuer war.
Wenn einer aus der Heimat zieht Und die alten Freunde Nieht,Sims ein Brand in diejem Land,Daß er nimmt ein Glas zur Hand []6°
Wenn’3 lenzt.
Und beim Abfohied3trunk, vereint,Allen zeigt, wie er eS meint.Darum ftellt euch jegund vor,Daß durch diejes Haufes Zhur Die Sel’ge tret’ herein,
Nehm’ dies Gla8 mit Wein
Und mit jedem ftoße an:
Bricht daS Gla3 ihr dann,
Sft’8, al3 wär’® das Leben,
Das der Schöpfer ihr gegeben;Denn das Leben ijt wie Glas,Glänzt wie Glaz und tönt wie Glas Und bricht wie Glas.
Heute Irijft e8 diefeS hier,Morgen kann e3 gelten dir:Sebde8 geht einmal in Scherben Beim Sterben,
Uber wie die Scherben fpringen,Darf der Geift in Himmel dringen Saben fig an Gimmelskoft.
Das {ft unjer Troft.
Kauline Keller ruh’ in SGotte8 Namen,Mmen.“
Während der Alte fprach, ftanden die Burihen und Mädchen ftillfhweigend da, wagten nicht fih zu rühren und Hielten fajt den Atem zurück, denn diefe Zeremonie gehörte zu dem feierlichjten, was jie Kannten und gar von der gemütvollen Pauline Abjchied zu nehmen, die keinem etwas Hätte zu Leide fun Können, die fie alle fo gern Hatten, das ging den meiften nahe. Konrad kämpfte mit den Ihränen, aber er Hätte fich fein Leben lang gefhämt, fihH in Gegenwart der anderen die Augen zu wifjdhen, und fo fuchte er das Bild der Geliebten aus feinem Geifjte zu vertreiben. AWber wie daz anfanaen?[]Wenn’3 lenzt.jr a}
Erft wollte er überlegen, was er die nächjte Woche alle8 in Haus und Feld zu ihun Habe, aber wenn er anz „Öber-haus“ dachte, tauchte glei daneben das „Unterhaus“ auf.So ging’8 nicht! Sein Vater, der Schulpfleger, war IHon drei Tage abwefend, er war in8 Oberland verreift um Vieh zu erhandeln, mußte aber jebt, als am Samstagabend, wohl Heimgekehrt jein. Hat er wohl einen guten „Schiet“ gemacht ?Was wird er jagen, wenn er erfährt, daß Kellerjakobs Bau....Wieder war Konrad bei ihr angekommen, und fo ging e$im mit allem, ma3 er überdenken wollte, jeder Gedanke jührte ins „Unterhaus“. AWber er erreidhte doch, wa er wollte: bei biefem Suchen nach BZeritreuung kam der Ver-itand zu feinem Recht, und das Herz bäumte fichH umfonft.So merkte ihm niemand etwa3 an, nicht einmal Rofine, die im zwar gegenüberftand, aber mit fih felbft zu thun Hatte und den Blik auf den Boden hHeftete. Sie war die einzige,die den Worten des SchulmeifterS nicht mit Andacht gefolgt war:fie hatte einen Plan gefaßt, der nun ausgeführt werden jollte,aber e8 fam eine Bekflommenheit über fie, die dem ent-IHloffenen Mädchen fonft fremd war und fie {pürte, wie das Sla8 in ihrer Hand leicht zitterte und fie Hörte hr Herz pochen.
KRofine und Konrad wurden aus ihrem Brüten gewedt dur das Klingen von SGläjern. Ein Baar war zu dem Schulmeifter hingetreten und Burjhe und Mädchen Hatten gleichzeitig von entgegengejeßten Seiten mit dem SGla3 an-gejtoßen, das der Alte in der Hand hielt. Nach dem erften Paar kamen die anderen der Reihe nach, langjam, mit der Haltung, die fie annehmen, wenn fie in der Kirche zum Tauf-itein treten müffen. Man giebt dem Schulmeifter ein be-Jonder8 dünnes Glas, weil die Meinung ijt, daSjelbe follte []6.1
Wenn’3 lenzt.bei der Ceremonie in Brüche gehen. Nichts wäre leichter gewefen, als diefe Mataftrophe herbeizuführen, aber eS Hatte fih mit der Zeit der Wberglaube ausgebildet, daß daz Paar,unter deffen Stoß das Glas in Scherben fpringe, Anlaß gebe entweder zum nächjten „Schäppelen“ oder dann zum nächiten Hochzeitstanz. Wirklich wußten alte Leute von Zällen zu berichten, mo dies zutraf und fie glaubten fo feft an das Schäppeliorakfel wie an ihre Bauernregeln. Die jungen Leute lächelten zwar, wenn die Alten davon {prachen und mahnend zu ihnen fagten: „Fa, daS junge Volt glaubt eben nichts mehr!” dennoch benahmen fie fi beim „Schäppelitrunk“ recht vorfichtig und Hüteten fih wohl, fefter zu jtoßen, al38 das las ettva ertragen mochte. Den Hoch-zeitätanz, nun, den Hätte man fih ja unter Umftänden ge-fallen laffen, aber den anderen, mit dem Senfenmann . . .Der AWberglaube fit auf den Höfen fo feit wie der Klee.teufel im Acker und fjeht ihr einen Hofbauern lächeln, wenn von einem „bvermworfenen Tag“ oder vom Berfpringen des Schäppeliglafes gefprodhen wird, fo mißtraut ihn. Thatfache ijt, daß feit vielen Jahren beim Schäppeln kein Glaz mehr gefprungen ift.
Die Reihe kam an Kofine und Konrad. Das Mädchen war immer noch nicht mit fih einig und zögerte, ehe e& den Suß vom Flede hob: „Soll ich, oder foll ich nicht?“ Sie jah Ronrad ar, den ftarfen Burfichen mit den breiten Schultern und den blühenden Baden und vergegentwärtigte fich ihre eigene Gejtalt, wie fie fich auS dem Spiegel kannte:Das lebte Bedenken war überwunden: wahrhaftig, daz müßte ein närri{ches Glas fein, daz beim Zerfpringen rufen Könnte:„SO bin dein Totenglöclein 1“[]Wenn’3 fenzt.
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Sicher trat fie zum Schulmeifter hin, Konrad gegen-über. Sie ftießen gleichzeitig an: Diesmal läutete das Glas nicht wie ein Silberglöclein: „Out fo, gut Jo!“ e8 war, wie wenn e8 |qrie: „Du thuft mir weh!“ ANes fuhr auf und jah Din. Ein Stück Glas KHirrte auf dem Zimmerboden und der rote Wein floß Hüber des Schulmeifters Hand und plät-Icherte einen YWugenblid wie ein Bächlein.
Man {ah fich verlegen an und außer Rofine fiel e8 im erften Augenblid niemand ein, über den Schäppeli-aberglauben zu lächeln. Sie aber lächelte wirklich und dabei (euchteten ihre dunklen Augen zu Konrad hinüber, und der,um feine Verwirrung zu verbergen, lächelte nun auch fo 'gut er e8 fertig brachte. Die anderen drängten fihH um das Baar: fie follten fiH doch wegen des dummen AWoerglaubens feine grauen Haare wachfen Xaffen, e& gucde wahrhaftig jebt noch feinem von beiden der Tod anZ den Augen; fie jollten nun erft recht und zum Troß den ganzen AWoend guter Dinge fein.
Um die gedrücte Stimmung zu verfhenuchen, die die fallenden Slazjdherben erzeugt Hatten, machte Kafpar den Borichlag, auf die Lebenden anzujtoßen, nachdem man der Toten die Ehre gegeben Habe. Man reidhte dem Schulmeifter eig anderes Glas und nun HMingelte das Schulzimmer wie eine Wirtsjtube an der Kirchweih, und bei jedem Klingeln Sficten über die beiden Gläfer hinweg zwei Augen ineinander,denn fo ijft e8 Brauch; die lebten aber, in die Konrad {ah,waren |dHwarz und glänzend wie an einem Freudenfejt und er wich ihnen aus.
Der Schulmeifter leerte fein Glas zur Hälfte, ftellte e3 dann auf eine Bank und griff nach der Lhürklinke.
5, Boßbhart, Yın Nebel.[]Pe vB
Wenn’S lenzt.Man machte fiH an ihn Heran, um ihn zurüczuhalten, er aber fagte: „Bei Leibe nicht, Kinder! Einmal und nicht wieder! AS ich al3 junges BürfhchHen zum erftenmal hier in diefem Haus fHäppelte ’8 {ft fchon mandes Jährchen jeither auf Reifen gegangen da bin ih au) mit den anderen geblieben und mußte {Oließlid noch Tanzmufik {pielen, bi8 der Tag graute. Seither... na!...“ Sprach’s und wünfchte allen mit feinem freundlichen SGeficht eine gute Nacht. Auf der Schwelle wendete er fih nochmals zu dem jungen Volk und hielt {Halkhaft drohend den Finger IMHO.Der Gedanke, daß einmal beim Schäppeln getanzt worden war, imponierte den Burfhen. „Ja, die Alten trieben’3 viel toller als wir,“ fagte Majpar, der eine gar bewegliche Zunge hatte, „und jebt, wenn wir einmal an der Rirchweih oder am Jahrmarkt ein bißchen über die Stränge hauen, thun fie, als ginge darob das ganze Heinwejen zu Grunde. Ih werd’8 aber meinem Ütti unter die Nafe reiben, wenn er mich wieder einmal Herunterfanzeln will!“
In diefem YMugenblit Inarrte die Thür in den Angeln:
„SIt8 erlaubt?“
„Wer {ft da?“
Nun tirat ein MänncHen herein, aufrecht, al3Z Hätte er zinen Ladejtok im Rücken gehabt: „®uten Wbend allerjeit3!“
„WazZ Juchjt du Hier, Brändli? Du Ffehlteft ung g’rad noch!“
„NiGtE für ungut, May! Du weißt ja, der Brändli hat’3 immer mit dem jungen Bolt gehalten, wenn er jebt auch ein grauer Kerl geworden ift.“
Bei diefen Worten ariff er nah dem Glas, au3 dem []Wenn’8 Tenzt.
37 der Schulmeifter getrunken hatte: „Sejundheit, allerfeitz 1“rief er und trank aus.
Der Brändli war der Hoflump. Da er die Arbeit jcheute, Hatte er in jungen Sahren Handgeld genommen und gehörte zu den lebten Schweizerföldnern, . die im Dienft des Königs von Neapel ftanden. Al das Schweizerregiment aufgelöft wurde, fehrte er in die Heimat zurücd; aber das Arbeiten Hatte er in Stalien nicht gelernt und verfpürte in feinem ganzen Leben nie mehr Luft, das Verfäumte nach-zuholen. Che er in fremde Dienfte trat, hatte er bei feinem Vater gelernt, Körbe zu flechten und zu fliden; daran er-innerte er fi und z0g nun feit Jahren mit feinem geraden Soldatenrücen und feinem Langen SoldatenfHritt im Land umber, fAnitt fi auf anderer Leute Grund und Boden Kuten und Weiden, arbeitete einen, wenn’3 gut ging auch zivei Tage in der Woche, fonjt aber führte er ein jorglofes Wanderleben, im Sommer harfuß, im Winter in gefchenkten Stiefeln mit Niffen und SFliden, und Hätte mit Feinem Sürften getaufcht. Und machten ihm die Bauern Vorwürfe wegen feines Müßiggängerlebens, jo lachte er fie aus: „Bu was foll ic arbeiten? Ehren brauche ih nit und Schäge will ich nicht! Gab’ ih nidht {jo viel Sonne wie ihr und jo viel Luft wie ihr? Und einen Totenbaum werde ih auch einmal friegen. Schafft ihr nur! füllt euern Selsfäckel und frümmt euern Rüden und reibt euch Schwielen an die Hände:in fünfzig Jahren feid ihr doch nicht mehr al3 der Brändli und mer der Gejcheidtere ijt, merkt ihr ja Jelber jebt fchon.Uber nachmadjen Könnt ihr e8 nit und darum ärgert ihr euch!“
Er war weit in der Runde bekannt, aber fein eigent-
5x []ß
EN
Wenn’3 lenzt.
(ides Fürftentum waren die Höfe und er nannte fi gern „Hoffürft“. Dort fühlte er fich wohl, dort brauchte er Kein Geld, dort beunruhigte ihn das Aauernde Auge des Lands jäger8 nicht: er nährte fig von dem, was von den Hokigen Bauerntijchen abgetragen wurde und mit einem Korbe erwarb er jfiH für eine ganze Woche oder auch für zwei das Recht,am Morgen ein Schnäpzhen und am Nachmittag oder Übend ein Schöppdhen „Mojt“ zu trinken. Wie mandhes gefchenkfte Räufchehen Hatte er auf den grafigen Wegen von einem Hof zum andern getragen, vder im Sommer hinter dem Hafelnußhag auf dem braunen Laube und im Winter im Stall ausgefhlafen.
Die Hofbauern duldeten ihn. Bettler und Handwerks burfchen machten jelten den weiten Weg zu ihnen hinauf und dem einen Landftreicher ftopften fie gern die Löcher im Magen und fpülten fie gern die Leber ab, mie fie fagten,befonder3 wenn er ihnen dafür an den langen Winterabenden von feinem Soldatenleben erzählte: von AYufläufen und Straßenkämpfen und vom Kreuzfeuer, mit dem man die Stadt bändigte; von Raufereien mit italienifjhen Soldaten,in denen die Schweizer immer die dideren Fäufte hatten;bon den feijten Pfaffen, denen man auf der Straße beim VBorbeigehen mit den EMenbogen zujeßte; vom Ausbruch des VejuvsS; von der Cholera und wie die Soldaten die Leichen mit Kärften aus den Häufern fchleppen mußten. „Da war ih dabei, ih, der Heiri!“ fügte er jedesmal nach einem Aoentener zwijchen zwei ergiebigen Schlüden Hinzu. Warf er dann und wann, wie zur Bekräftigung feiner AYusfage,einen italienijden Broden in feine Suppe, meiltenz ein maledetto, vder ein Christo madonna, Dder ein sacramıento, DDer []Wenn’3 lenzt.
73}auch alle drei untereinander, da fahH er um fih die Augen glänzen: die fonjt fo nüchternen Hofbauern waren fajt ftolz auf ihrem „Hoflumpen“ und kamen ihre Körbe auch etwas hoch zu ftehen, fie dachten: „Da3Z Vergnügen muß bezahlt werden auf diefer Welt, vielleicht ijft3 in der anderen beffer.“
Nachdem Brändli des Schulmeifter3 Glas geleert Hatte,mifjchte er fi unter dazZ junge Volk, um die angefangenen Rränze zu muftern. Da trat er auf die OGlasjdherben,die man vergeffen Hatte aufzuheben. Er {ah hin: „IMW2 diesmal gefprungen? Gi? ha, ha, ha! Wer it das glüclidhe Paar? Du Rofine? und dır Konrad? TJamos!Hör’, Chueri, ih Iade mid zur Hochzeit ein nnd verfprech’bir zur „Ürte“ einen Sinderkorb, fo groß, daß Drillinge drin Play Haben follen! Wann ift die Hochzeit?“
Die Gefichter Hellten fich auf. Der Brändlki mußte Fommen,um dem Völklein zu fagen, daß das Schäppeliorafel Hinter der dunkeln Seite auch eine Helle habe. Nur eine -Hatte den ganzen AWoend daran gedacht; endlich Hatte der Korbflidder das Wort ausgefprochen, auf daZ fie all die Zeit gewartet Hatte, da3 ihr felber nicht von der Zunge fpringen durfte,ohne weldhes aber ihr ganzer Kriegsplan eitel Wünjcdhen ge-blieben wäre. Sie fah den Lumpen mit leuchtenden Augen an, und wenn fie ihm auch zurief: „Dit wüfter Mann, fo zu reden an einem Schäppeliabend!“ er glaubte ihren Augen mehr al3 ihrem Munde, Iachte inz Fäufthen und Jah fich nach einem Glaje um. Rofine ihHrerfeitz wünfchte offenbar nicht, diefes Gejpräcdh weiter auszufpinnen: das Korn war ja jebt gefät, e8 wird {don aufgehen; nur nicht merken laffen, daß man e8 felber geftreut Hat! Sie rief ihren Ge-fährtinnen zu: „Shr Kunafern, fo werden unfjere Kränze []"|Wenn’8 lenzt.nicht fertig!“ und bald darauf faßen die Mähcdhen wieder an ihren Plägen und emfig zappelten wieder die braunen Finger, ja emfiger al3 zuvor, denn nun Hatten fie Zufhauer bekommen und {foOaufpielerten ein wenig. Die Burfchen jteckten ihre Pfeifen an und wem gerade in der Bruft etwas Ffeimte, der machte fi an fein Mädchen heran und gab fich mit feinen täppifden Händen den Anfchein, alS wollte er ihr beHülflich fein. Die Mädchen Hatten nicht3 einzuwenden,wenn fie au fahen, daß die Arbeit eher gehemmt al3 ge-fördert wurde und von Zeit zu Zeit fanden fie fogar Muße,ihre Augen vom Immergrün und MoosZ ein wenig aufe-zuheben oder auf daS Keichtmaskierte LiebeSgeplauder zu ant-mworten, bald ermutigend, bald abwehrend, wie e3 ihnen gerade zu Mute war.
Konrad Hatte fihH in eine Bank gefeßt und, objhon er nicht hungrig war, machte er fih mit einer Brotkfvufte zu fchaffen, die er fih von dem fHweren Laibe gefdhnitten Hatte und die nicht Mein ausgefallen war. Da3Z war fo ein Mittelchen, um feine Gemütsverfaffung zu verbergen und Sleichgültigfeit zur Schau zu tragen; innerlidh aber war 28 ihm fo unbehaglidh, als e8 einem Menfchen in feiner Haut nur fein kann. €3 fahH in ihm aus, wie in einem Kornader, den die Difteln zu erftiden drohen: „Wie Kann ic zwei Tage nach ihrem Tode e8 anhören, wie fihH einer zu meiner Hochzeit einladet, ohne daß ih ihm das unjaubere Maul mit der Hand wifjdhe, ohne daß ih nur ein Wort finde, um ihn zurecht zu weifen!“ Der Bauerndünkel war an der Arbeit, die Pietät zu erftiden: der Burfche hatte fi in feinem Heiligften Gefühl verlegen XIaffen, um fein Geheimnis nicht zu verraten und etwa Lächerlidh zu er []Wenn’3 Tenzt.
71 jheinen. Denn, wäre e$ nicht lächerlich gewejen, eine Liebe,die man fo Iange geheim gehalten, in dem Augenblide zu verraten, wo man fie begraben muß? Gefteht ein Hofbauer je, daß er fihH verrechnet Habe ?
Wohl jagte eine andere Stimme in Konrad: „Daz {ft die gute Art nicht! Schämft dır dih denn deiner Liebe, daß du nicht vor deine Kameraden Hinirittjt und fagjt: „Schont mich heute Abend und Iaßt mich trauern, denn morgen legt ihr meine Liebe in den Erdboden!“ Aber er Horchte nicht auf fie.
Diefer Widerfireit der Gefühle, diefes Unterliegen der beiferen aber feigen Überzeugung brachte über Konrad eine unerträglide Verjtimmung und er {Haute unwillig zu der hinüber, die ihn mit einem teuflijden Rue der Hand jo tief in die Patihe geftoßen hatte. Denn er Hatte {chon gemerkt,daß nicht er das Glas zerföhlagen Hatte. Warum aber that fie’8? AWbfichtlih? Das glich ihr, denn fie liebte gewagtes Spiel, daz Hatte fie Ihon als Schulmädchen oft bewiefen,fie hatte mandmal einen Teufel im Leib. Und fonderbar!man fonnte dem Heinen Satan nicht einmal recht böfe fein!
Seht waren ihre Augen auf die Arbeit gefenkt, Xonrad aber {ah fie immer noch, wie fie zu ihm Herüberleuchteten hinter dem zerbrochenen Glafe Hervor und wie fie lächelten,und wie fie zu fprehen fhienen und ihre Sprache ein Rätfel und doch keins war... und er, er Hatte auch gelächelt,und jebt wußte er nicht mehr, vb er e8 that, um gute Miene zum böfen Spiel zu machen, oder um auf den Gruß der dunklen Sterne zu antworten und dem Nätjel zu jagen:
„SS hab’ dich gelöft!“„Nein, Heiner Teufel, diesmal foll dir dein Plan nicht
[72]Wenn’8 Tenzt.geraten! Sch bin fein Gimpel, der auf einer Leimrute figt!“Er wollte fiH einreden, er fer auf das Mädchen böje und fuchte feinen Born zu fchüren, meinend, {o den Unwillen,den er gegen fih felber Hatte, zu dämpfen. AWber er merkte,daß alles Spiegelfechterei war; denn kann man allen Ernites aß dahin fchleudern, wo Liebe Herkommt? „Nun, wenn man nicht zu Haffen vermag, braucht man dann gleich zu lieben? Pauline, fei unbeforgt!“
Er war foweit in feinen Betrachtungen, als fihH ein Glas vor fein SGeficht fchob: „S’jundheit, Chueri!“
„Se zum Kuckuck, dur Qump!“
„Thw nicht wie eine Wildkage, ih hab’3 wahrhaftig nicht bö3 gemeint!“
„Laß’ mid in Ruh, dur Halbnarr!“ .
Brändli beugte fihH zu ihm nieder und fMüfterte ihm inz Ohr: „Das bift dır, wenn du Körlis Mofine über die Achfel anfiehlt. Das ift ein Mähchen, ’3 giebt kein zweites fo auf den Höfen. Mit der ijt Keiner verloren; fchaffen fann fie wie ein Noß, ftell’ fie wohin du willft: die ft in jedes @’jchirr recht! Und für dich ging’ fie durchs Feuer,wenn’S müßt’ fein, dent nur der Brändli Hab’ dir’8 gefagt und der Hat muntere Augen, wenn er nicht gerade einen Schwipp3 Hat. Und der Alte, ih meine den Jörli, der geht auch nicht am Betteljtecfen, der hHat’3 die im Kaften! G’tnd-heit, Chueri! SG’fundheit, fag’ ich 1“
®onrad legte feine Brotkrufte hin und ohne etwas zu erwidern oder dem Lumpen Befcheid zu thunm, mijdhte er fi unter die anderen. Der Brändli war an foldhe Be-Handlung längift gewöhnt; er Ieerte fein Glas, ohne es ein-nal von den Lippen abzujeben, aber bedächtig, mit hHalb-[]Wenu’8 lenzt.
73 gefchloffenen Augen, wie einer der zu genießen veriteht,jOnalzte dann mit feiner glüdlidhen Zunge und machte fich wieder an die „Legle“ heran,
Konrad mußte fein vergnügtes Geficht machen, denn als er in bie Nähe der Lampe kam, da rief einer aus: „Ei,jeht den Chueri an! Der macht ein SGeficht, al8 vb wir für ihn jchäppelten! So traf) geht’3 nicht! Sins nach dem anderen!“ Viehhändlers Hans meinte, er müffe den Scherz weiter fpinnen, nahm einen Kranz, der fertig in einem Korbe fag und warf ihn Konrad über die Schultern, indem er rief:„S3 {ol fein8 Jagen, das Schäppeliglas wife nicht: [Haut nur her: wir haben dem Chueri g’[Hhäppelet!” „Das heißt Gott verfuchen!“ riefen die Mädchen entrüftet. Konrad aber bekam einen roten Ropf, Fehrte fich um und warf den Spötter,der diefe Wendung der Dinge nicht vorausgefehen Hatte, an eine Wand, jo daß das Getäfel Frachte. €E€3 wäre zu einer KRauferei gefommen, Hätten nicht die Mädchen vb foldhem Beginnen ein Gefdhrei erhoben und die anderen Burfchen fich zwijchen die beiden geftellt.
„Seh’ nach Haufe!“ fagte fig RXonrad, aber gleich regte fi fein Bauerneigenfinn wieder: „Nein, fie j{oNlen mich nicht mit ein paar {Aledhten Späßen vertreiben; ih Hleibe zum Trog, wer mir aber zu nahe tritt, dem weife ih die Zähne.“
Indefjen hHörten die Sticheleien und Neckereien nicht auf.Den Burfden war die Laune, die er den ganzen Wbend zur Schau getragen, unerträglidhH und fie wollten eS ihr büßen Taffen, richteten {ich jedoch dabei fo ein, daß fie feinem In-grimm nie genügenden Grund gaben Loszubrechen. So wurde Konrads Lage immer ungemütlidher und fOließlih fah er ein, daß er entweder daz Feld räumen oder eine andere []7Ä
Wenn’8 lenzt.Mazfe anlegen müffe. Er wählte daz Schwierigere von den beiden; da iHın aber ein fröhliches Geficht und Iuftige Rede nicht gelingen wollten, befchloß er bei der „Legle“ ein Dar.(ehen zu erheben und that mit dem Glas freundlicher, als es jon{t jeine Gewohnheit war, So kam €3, daß, als ettva eine Stunde fpäter der Hoflump fich ihm wieder näherte,ihın fein @la8 vor die Naje hielt und rief: „He, Chueri,G’fundheit!“ er ihm nicht mehr fagte: „Seh, zum Kuduck,du Lump!“ fondern Fräftig anfhlug wie mit einem anderen.€ mochte etiva halb zwölf Uhr fein, als die Kränze fertig in den Körben lagen. Die ganze SGefellfchaft war ge-{prächtig geworden, die Kirchenftimmung, die anfang3 geherrfcht Hatte, war Alafen gegangen, man fherzte und Iachte wie in einer Spinnftube, Ale faßen oder ftanden ein Weilchen da mit müßigen Händen und man faH e8 ihnen an, zum Auf-brechen fchien ihnen die Stunde noch zu früh: man kommt fo felten zufammen und jebt ift der Sommer vor der Zhüre mit all feinen Mühen und bis zur Kirchweih find noch volle drei Monate!
Da Übertönte Brändlis Heiferer Ruf daS allgemeine Sefumme der Stimmen: „Die Legle Hat verblutet! Kein Tröpflein mehr drin! Hört nur: Hohl! hohl!“ Sr Hatte ihr unvermerkt den GarauS gemacht und ftand nun da mit feinem geraden Rücken, in der einen Hand ein noch Halbgefülltes SGla8 Haltend und mit den Anöcheln der anderen auf da Gefäß Hopfend.
Was war da zu thun? Aufbredhen? troden bei ein-ander jigen?
„Chriftian, Füll’ fie nochmals!“ rief einer.[]Wenn’3 Tenzt.
73
„Nein, nein!” wehrten die Mädchen, „jedenfalls nicht mehr ganz!“
„Ge, EChriftian, was zauderft dur, wie eine Gaiß vor einer Brennneffel 1“
Der Angerufene wollte {ich nicht uzen Aaffen, rafch griff er nad) dem Riemen der „Legle“ und verjchwand unter der Thüre. Er wohnte auf dem Hofe auf dem das Schulhaus jtand und wurde nun von feinen ®ameraden gebrandjcHabt.Brändli, als er fah, wie die Ausficht auf eine neugefüllte „Legle“ Somnnenfhein auf alle Baden warf, rieb ih ver gnügt die Hände und dachte: „Sie fagen mir jedesmal,wenn ih ihnen über den Weg Iaufe: ‚Brändli du bift ein Qump, Brändli dur fanfft zu viel!‘ Bah, fie thäten’3 alle gern und find zu dumm dazu!“
Diesmal war die „Legle” nicht mit Wein gefüllt: der rote Trank, der auZ dem dünnen Kupferröhrehen in die Gläjer [Häumte, war Freude, pure Freude. Wer dachte noch daran, daß man zum Schäppeln zufammengefommen war?Man ftieß an mit Feder Hand und wo zwei Gläfer fich fanden, da Leuchteten auch vier Augen ineinander und mandh-mal auch vier Reihen Zähne und meinten in ihrer {chel-mifchen Sprache: „Nimm dich in Acht, oder ich beiß’ dich!“
MB man die zweite „Legle“ mit dem munteren Läuten gejegnet Hatte, Xieß fih des langen Kafpars Stimme ver-nehmen: „Wie wär’s, Kameraden, wenn wir es hielten wie bie Alten ?“
„Wie meinjt dur das?“
„Ei, wenn wir ein Tänzdhen machten!“
MAnneli, das jüngijte der Mädchen, lachte wie ein filbernes Slöclein zu dem Einfall, aber ihr Helles Klingen wurde []7:
2x +Wenn’3 lenzt.erftidt von dem Gebrumm und SGezwitjcher des Widerjpruchs,daz auf allen Seiten Iosbrach: „Das geht nicht an! Was für ein Einfall! Da8 feHikt fi doch nicht! DaZ wär’gott103 1“Nun, 8’ war ja nur eine Meinung,“ fagte Kafpar,„faßt e3 meinetwegen Dleiben und tanzt am Montag mit dem Karft auf dem Kartoffelader oder in der KXüche mit dem Befenftiel! Mir mag’ gleich fein, aber das fag’ id: wenn man {ih zu euch Hält, Kann man im feinen alten Tagen nicht einmal einen orbentliden Streich erzählen, ihr Eifig-früge! Was wäre da3Z denn für eine Sünde? Han8, als bein ®roßvater, der Viehhändler Stoffel ftarb, Hat nach der Beerdigung Jung und Alt getanzt, alles waz „inZ Leid ge»{aden“ war. Iit das wahr oder nicht? Und kein Menich Hat fi darüber aufgehalten und ih Habe deinen Vater felber jagen Hören, fein Witi felig Hätte gewiß im Grab gelacht,wenn er’3 Hätte mit anfehen fönnen: man müffe tanzen, fo e$einen Sarnach gelüfte und ein Paar anderer Beine auch mitthun wolle.“
KajparZ Rede war nicht zum Fenfter hinau3 gefprochen;auf den SGefichtern Konnte man lefen, daß die Meinung im Begriff war umzufchlagen. Übrigenz war ja der Widere fpruch fo ernit nicht gemeint gewefen: er war ein Mänteldhen geiwoben aus ein bißchen Scheu, wohl auch aus ein bißchen Heuchelet und man Hatte e8& umgemworfen in der feften Buverficht, c3& werde ih fhon eine anftändige Art finden lafjen, e8 wieder abzuftreifen. Indeffen Hütete man {fich wohl, das Müntelchen zu früh fallen zu Laffen: der Bauer i{t bedächtig, will man von ihm etwas, einen Kauf oder eine Einwilligung, und wärs auch zu feinem Nuben, und wär’s []Wenn’3 lenzt.
77 auch zu einem Tänzchen, man muß nit ihm darum feiljchen,das gehört zu feiner Lebensweisheit.
Da, wie jeder erwartete, fein Nachbar werde einen be-quemen Weg vom „Schäppeln“ zum Tanzen finden, Hang e8 tief und weih: „Tanzt heut nicht!”
Das war eine Enttäufhung. Wber der Retter in der Not ließ nicht auf fichH warten, ex kam von der Legle her mit feinen langen Soldatenjchritten: „Was bijt dur heut für ein verbrießlicher Burfche! Christo Madonna sacramento! Willft dur denn braver fein als die anderen? Du Freudenverjalzer !Geh! ih weiß, du mwürdeft ums Leben gern tanzen, wenn dur nicht Angft Hättejt, der Schulpfleger Ruedi fönnt’3 er-fahren und feinem Chueri die Kappe {Hleifen!”
Die anderen lachten und Brändli, durch den Erfolg ermuntert, {brach weiter: „Wenn der Chueri nicht tanzen will, wa3 jchert daz mich? Tanzt, weil ihr noch Waden habt und die Füße Küpfen Könnt! Das ift alleweg beifer als greinen und flennen. Wollt ihr nicht, daß eS die Alten er-fahren, nun, wer plaudert’3 aus, wenn ihr euer eigenes Riegeldhen vorfchiebt? IH ihws nicht! IH nicht! So,der Heiri1!“
„Aber der Schulmeijter? Ihr Habt ja gefehen, wie er den Finger aufhob,“ fagte Annelt, das noch vor zwei Sahren zur Schule gehen mußte.
„Ach, der Alte war noch nie eine Plaudertajdhe; ge-fällt’3 im auch nicht, Jo fchwakt er’S Doch nicht aus: ihr jagt ihım morgen ein Wörtchen inz Ohr und damit bajta 1
Dem jungen Volk zuckten fhon die Tänze in den Füßen, befonder3 den Mädchen. Die drängten ich zujammen,ellten {ich auf die Zehen und zwitfcherten und Eicherten und []Tu
Wenn’8 Lenzt,ftüßten die Arme in die Hüften. Einer der Burfchen, der die Stimmung richtig beurteilte, bücte fih, um die ge-(oderten Schuhriemen fejter zuzuziehen. Chriftian aber ftellte fi vor ein Seitenfenfter, fah in die Nacht hinaus und brummte etwas.
„Wa8 hat dir der Mond zu Leide gethan, daß du ihn anfnurr{jt ?“ fragte ihn Jörli’s Bert, der Hinter ihm jtand.
„Da ieh nur her! Wenn der Nachbar Stelzer den Ropf unter der Bettdede Hervorfireckt, fo ficht er grade durch diefes Fenfter in3 Schulzimmer und merkt der etwas von unjerem Tanz, nachher weiß e3 morgen die ganze Gemeinde.E83 geht wirklich nicht!“
Er hatte die Lekten Worte fo laut gefprocdhen, daß fie auch von anderen vernommen wurde. „Warum geht e8 nicht?“
„Wegen dem Fenfter da?“
Alle begriffen fogleich. Wie war da zu Helfen? Einen Augenblic wurde e& mäuschenftill im Zimmer.
Da plapte das Lebhafte Anneli, daz feine Tanzluft noch nie recht gejättigt Hatte und nun ohne Befinnen feine Selig»feit für ein Wälzerchen oder ein Hopferchen Hingegeben Hätte,plößlich mit der Sache heraus: „Ich Hab’3! die Wandtafel !die Wandtafel 1“
„Qurrah, Annele! Refjpekt vor dir!“
Drei, vier Mädchen eilten auf die Wandtafel zu, Hoben fie vom Geftell und trugen fie Lachend zu dem bverräterijchen Senjter. Nun griffen auch die Burfhen ein und nach wenigen Minuten war daS Seitenfenjter fo gut wie blind und das Schulhaus zeigte dem lauernden Nachbarhaus feines jeiner freudenhHellen Augen mehr.
SFekt wurden die Schulbänke zurücgefchoben und aufs []Wenn’S fenzt.
79 einander geftellt, um Raum zu gewinnen, und bei diejer Arbeit Fam eine ausgelafjene Heiterkeit über die Leutchen.Einige der Burfhen zogen ihre braunen BarchHentkittel aus und warfen fie auf die aufge[hichteten Bänke, andere fuchten mit den Augen möglichfjt unauffällig die Tänzerin, mit der fie am Viebften den erften Wirbel durch daz Zimmer gedreht hätten, einer aber rief: „Stampft nicht zu ftarf auf den Boden, damit der Schulmeifter nicht ärgerlich wird.“
„Wer aber fpielt auf?“ -
Neue Beftürzung! Daran Hatte man nicht gedacht.Man jahH fiG um und mujterte fig.
„Ge! Konrad! HerauZ mit der MundhHarmonika !“
„9 Habe fie nicht bei mir!“
„Schaut den Schlaukopf! Da e8 ihın nicht ums Tanzen ift, follen auch wir feiern! Heraus mit der Knittlingerin!
„Sch Habe fie nicht bei mir!”
„Slaubd’8, wer mag!“ rief Kafpar, näherte fich feinem Kameraden, der auf einer Bank faß und Hopfte ihn auf die Tajchen feines Kittel. Dann wandte er fih mit einem langen Geficht zu den anderen: „Wahrhaftig! Wer Hat den Chueri je ohne feine „Mufit“ gefehen! Und grad Heut muß er fie zu Haus Iajfen! Chueri, dır bift Heut mit dem Linken Bein aufgeftanden !“
„’3 wird doch einer ein Tänzchen pfeifen Können!“ rief Anneli. „Wenw8 Keiner der Burfchen thut, kann ich’3 zur Not.“ Und fie fing an das Liedehen zu pfeifen: „Auf und an, fpannt den Hahn,“ machte dazu ein paar Tanzfohritte,mußte aber Yachen und brach ab und alles Iachte mit dem drolligen Ge/dhöpfdhen.
98 alle ratlos daftanden und nicht wußien, was an-
[80]Wenn’S lenzt.fangen, da tönte e& von der Stelle Her, wo die „Legle“ ftand:„An den alten Brändlki denkt ihr natürlich nicht! der ift altes Eijfenm und taugt zu nichts!“
Richtig, der Brändli! Hatte er nicht fdYon mehr als einmal bei einer Spinnftube ausgeholjen? Spielte er auch nur Maultrommel, was fthat’3? Brauchte man denn mehr als den Takt?
„Saß’ IoS, Hoffürft! fpiel’ auf, daß dein Volk tanze!“
Der Lump war ganz glücklich, fihH dem jungen Bolke nüßlih machen zu Ffönnen; lächelnd griff er in die Bufen-tajche feines {häbigen Rodes, nahm bedächtig ein rotes Tajchentuch herauz und aus diefent widelte er feine Maul-trommel. Nachdem er noch rajfh einen ausgiebigen Schluck aus dem Glas gefogen und fih die Lippen abgeledt hatte,nahm er fein foftbares Injirument zwildhen die Zähne und fing an, ihm mit dem rechten BHeigefinger die einförmige Mufik zu entloden. AWber als fhon die erften Paare fich zu drehen begannen, brach das Tönen wieder ab: „Halt!halt! Wenn Schulpfleger3 Chueri nicht thut, wie andere Leute, fpiele ih nicht! Wenn der GHoffürft Tanzmufik macht,tanzt alles!“ Rief8 und ftieß dann mit feiner vom Alkohol heiferen Stimme einen Juchzer aus: „SKu-Hu-hu!“
„Halt’s Maul und fpiel’ auf!“ riefen die Burfchen,denen der Kreifhende Jauchzer bei ihrem {Alehten SGewiffen nicht lieb war, Der Lump aber, der Halb betrunken und,wie immer in Ddiefem Zuftande, eigenfinnig war wie des Müller3 Ejel, beharrte auf feinem Begehren: „Tanzt der EChueri nicht, fpielt der alte Brändli auch nicht auf!“
„SG 19uw8 nicht!“ fagte Konrad.
Da drang alles in ihn, er fole ihnen doch jebt nicht []Wenn’S lenzt.
1 den ganzen Wbend verderben. Die Burjhen wurden unwillig und die Mädchen vielleicht noch mehr, wenn fie e8& auch weniger zeigten: „Der will den ganzen Wbend beffer fein als wir, er ift garnicht wie fonft! ®önnen wir etwas dafür, daß er ein Bett mit einer Sterbenden drin erhandelt hat? Waz? follen wir jebt Darunter leiden?“ raunte man fich ing Ohr.
Konrad mußte endlich nachgeben. Er reichte dem erfien beiten Mädchen den Arm und die Paare umfaßhten jich wieder.Yber wieder protejtierte der Lump: „Da wird nichts draus!Mit feiner Schäppelijungfer tanzt er! Die Scherben follen zujammengeflidt werden! So will ich’3! ih, der Heiri!“
Alles mußte Lachen über das felbitbemwußte SGebahren des Fürften. RKofine aber Hufhte an Konrada3 Seite und fMülterte hm zu: „E23 it nicht? mit ihm anzufangen, wenn er jo ift, dır weißt e& ja! Drum gieb nad, fonjt giebt’8 noch Händel und das ift (Hlimmer al3 ein TänzchHen, Tanze den erften mit mir und mach’ nachher, was dich gut dünkt.“
Konrad fagte Leife zu fih: „Du bift der elendefte Tropf,den der Erdboden trägt,“ und reichte dem Mädchen feinen Arm. Der Lump, wie er fah, daß er feinen Willen durch-gefeßt Hatte, ftieß feinen zweiten Jauchzer aus: „FIJuhuhu!“und nun ging der Langerfehnte Lanz 1085, rafch, braufend,wild, wie der Mühlteidh, wenn der Müller die Schleuje auf-zieht. Die Maultrommel Hang zwildhen den Zähnen des Korbflider3 wie das Halbunterdrückte, [Helmijdhe Lachen eines Robolds: „Ha, ha, ha!“
Die Kittel und Röcke ftreiften fihH, die Schuhe glitten auf dem Boden, die einen flink und leicht die anderen wer und wuchtig und die Nägel zogen dunkele, Frumme
X. Bokßbhart, Im Nebel. %
[82]Wenn’8 lenzt.
Linien auf den tannenen Brettern. Der Staub in den Fugen wurde aufgefheucht und flog erfchrect in die Zimmer-{uft, befonder3 wenn einer der Jungen, feiner Luft nicht mehr Meifter, mit den Haden wuchtig zum Takt ftampfte,Der Atem flog rafh und rafher, die Wangen erglühten wie Morgenwolfen, die Augen, voller Luft, fchloffen {ih Halb,der Burfhe faßte die Maid fejter und ihr Kopf fuchte Halt an feiner Schulter; die Langen Bankreihen KHapperten leije und wären gerne mitgehüpft und kamen nicht von der Stelle und der Stubenboden zitterte vor Luft und wurde warm,
Die Maultrommel bradg ab. Kaum gönnte man dem Maufiku3 die Zeit, feine allzeit trodene Zunge zu leben:„Hül“ rief einer zum Scherz und „Hül“ ging’8 weiter:nach dem Walzer eine Polka, nach der Polka ein Schotti{d,dann ein Ländler und ein Hopfer, und waren Mufikus und Tänzer am Ende ihrer Kunft angelangt, fo ging’3 wieder bon vorne an: „Juhuhu!“
Konrad tanzte wie ein anderer: e3 ging ihm mit dem Tanzen, wie mit dem Singen: war er einmal im Zug, fo Hätte der Saal einftürzen fnnen, er Hätte auf den Trümmern feine Nägel gefhliffen. Ya, er wurde num gefprächig und drehten fi die Beine nicht, fo tanzte die Zunge in ihrem engen ®ämmerlein. Und war daZ ein Wunder? War nicht die „Legle“ mit Freude gefüllt und Hatte {ih der Burfche nicht wader an fie gehalten? Und hatte Rofine nicht das Furzweiligjte Plaudermäuldden von der Welt ?
Nur hie und da, wenn die Maultrommel erfchlaffte,die Fußfjohlen ruhten und die Stimmen ih dämpften, fuhr ihm die Erinnerung an Pauline wie ein NadeljtihH durch die Bruft, aber e8 war nur einen Augenblick: . „Ha, ha, ha!“[]Wenn’3 Tenzt.
83 cief der Kobold in der Mauitrommel! „Hi!“ ging e8 weiter und fort war Raulkinens Bild: kann man etwas genau ins Auge faffen, wenn man jih dreht wie ein toller Kreifel?Kann die Bruft fühlen, wenn ih die Seele in den Füßen zu [Dhaffen macht? Findet der Tod ein PlägchHen, wo fidh das Qeben fo ungeftüm geberdet ?
Rajch wie der Tanz flieht die Zeit. Die Uhr an der Wand, wenn man auch bei dem Treiben ihr tiktad überhört,eilt und eilt, wie wenn auch ihr der rajende Takt in’s Näderwerk gefahren wäre und der alte Perpendikel mit dem angelaufenen Mefjfinginopf |Hlägt aus nach links und nach recht8, {tramm wie ein Turner. Sie meinen’s gut, das Räderwerk und die Zeiger und der Perpendikel in iYrer Sympathie mit dem jungen Volle, aber fie verftehen ihr Sejchäft nicht recht: rücwärtz follten fie gehen, rücdwärts wie jedes Menichenleben, rükwärtz wie die Welt gehen jollte, in’8 Reich der erlofdhenen Morgenröte! Erft noch hatte ber Kuckuck auZ feinem Häuschen gerufen: „’3 it zwei, Ihr Leut’!“ und eben jebt, eine Baufe im Tanzen benubend,Enact daS alte Ding an der Wand, e& „warnt“: in fünf Minuten ift’3 drei!
Erfhrect fhaut alle3 an die Wand, alz wäre dort das ‚Mene, Tekel, Upharsin“ erfchienen: „SD je! Und wir find noch nicht einmal recht im Zug! Brändli, hHü! Keine Zeit verloren !“
Er aber, der bis jeßt fo mwader ausgehalten, beeilt fich nicht zu fehr, er greift zum Glafe, leert e& mit zitternder Hand und möchte nocdhmalz fein „IuHuhu!“ ausftoßen.„Sur... die Stimme verfagt ihm; er verfucht e& noch ein-mal: umfonft, feine ®ehle i{t lahın und nun ift das Kejtchen
B*
[84]Wenn’8 Tenzt.Energie, das ihn noch geblieben war, wie fortgeblajen: Der Wein ijt {ein Herr geworden; er wirft das Glas auf den Boden und fucht in feiner Bufentafche nach dem roten Tafjdhentuch,fallend: „Ih fpiel’ nimmer.“
Die Buridhen fuhren ihn barfch an; er aber, feiner Wichtigkeit noch Halb eingedenk, warf ihnen feine Maul-irommel in8 Geficht: „Maledetti villanacei!“
Die Mädchen, denen das Tanzfieber immer noch in den Hüßen zuckte, fuchten ihn zu befhwichtigen: umjonft. Er ging [Hmanfend den Bänken nach, auf denen die Släfer jtanden, trank ein8 um’8 andere leer und warf e$ dann auf den Boden, bis ihn ein Burfche etwas unhöflich am Rode zupfte. Der Betrunkene purzelte auf den Boden hin, fing an, mit jeiner Iallenden Zunge zu fluchen wie ein Türke und machte gar feine Anftrengung, fih wieder zu erheben.Da fahen die jungen Leute, daß e3 mit dem Tanzen für diesmal aus fei; fie ftellten die Bänke wieder in Reih und Glied, Hoben die Wandtafel vom Fenjter Herunter und jchicten fihH an, den Heimweg anzutreten. Chriftian griff nach der „Legle“, {Hüttelte fie und meldete, daß noch ein Rejtchen Wein drin fei. Das vernahm der Lump am Boden. „Mir die Legle, Chrifto . . . inir die Legle“ und jperrte fein Maul auf, und als Chriftian nicht auf ihn Hörte, fing er an zu weinen und zu fchreien wie ein Meines Rind: er hatte daz „trunfkene Slend.“ Da padten zwei Burfhen den Hoffürften, einer am Kopf, der andere an den Süßen und frugen ihn hinaus und hinab zu Chriftianz Scheune. Dort warfen fie ihn auf einen Haufen Streue,Sr lallte noch ein paar unverftändliche Worte und fchlicf dann ruhig ein: er war an Ddiefes Lager und an {folche []Wenn’ lenzt,
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Begleitihaft längit gewöhnt: eine Königliche Seele fteht über diejen Erbärmlichtfeiten des Lebens.
Das Schulzimmer Leerte fich, die Lampe erlofdh von felbit,jie war miider als alle,
Draußen vor der Treppe gab man fihH die Hände, fich zinen guten Tag wünfdhend und dann ging man auseinander nach allen Winden, und {putete fich, um vor dem allgemeinen Erwachen die verfchiedenen Höfe zu erreichen, Jeder Burjche begleitete jeine bevorzugte Tänzerin, wie dies Brauch it;Konrad fcHritt mit Rofine dem Eihhofe zu. Das Mädchen plauderte munter, wie ein gefprächiges Wiejenbächlein, und er mit dem etwas nebligen Kopf Hatte fein Wohlgefallen an dem Iujtigen Klingen und Singen, das ihm zur Seite {Oritt.Sie traten in den dunkeln Buchenwald mit dem feuchten Sehmboden, der den Klang ihrer Schritte erfticte. Sie hörten auf zu reden und merkten eS nicht: war eS, weil fie den Weg im Dunkeln Juchen und ihre Sinne beifammen Halten mußten?War e3 des Waldes Feierlichkeit, die ihnen den Mund [Hloß?
Da glitt der Morgenwind durch dazZ beweglidhe Laub und wedte die Baumkronen und fie Müfterten einander ihre Heimlichkeiten zu: leis, füß, geifterhaft. Was Hatten fie zu plaufden und zu Taufhen? WazZ Hatten fie fih Mülternd zu jagen, was Hatten fie fih Haucdhend zu Magen? War’8 Lenzesluft, was fih fo geheimnisvoll von dem frifjhen Laub abföfte und die Iaue Maienluft durchtränkte? War’Z Lenzes-Ihmerz, was von der Erde Kühl nach den Gipfeln {trebte?......
Waren Liebende in den Kronen verftedt? oder war e$der Wipfel eigenes Liebeslied, waz kaum vernehmlich, aber jo fehnfüchtig und weich hinunter zu der Ihroffenden, Feimenden
[2]Wenn’S lenzk.Erde zitterte? Und- was meinten die Büfghe am Wege,wenn fie die Kleider der Heimkehrenden Janft ftreiften, oder ihnen mit den zarten, fjeidenen Blättern um Wangen und Nacken. {trichen? Waren e8 wirklid Zweige mit Iaubigen Fitttigen, oder waren eS fanfte Feenhände, die fo gut zu (iebfofen verftanden und die Leutchen Hineinloden wollten in das lenzige Leben und Lieben der Büjde?......
Und was Hinterdrein kam und ins Haar fuhr, [Hüchtern und fhonend, und fi leidHht an den Soden Fefthielt und necfijh, faum merkbar daran zupfte, waren eS Finger, zart und weich wie die Luft, und gehörten fie einem, zart und weich wie die Luft, der nur wartet, bis du dich wendeft, um dir auf die Lippen zu brennen, wild und glühend wie Feuer? ...
Da Hang’3 von einem Ajte herab: „Zip! zip! zip!“
Das Pärchen unten ftand f{till, wie auf ein Zeichen,und Laufchte. Wieder erflang das „Zip! zip! zip!” und auf der anderen Seite des WegeS antwortete e&, etwas {Hläfrig noch und zögernd: „Zip! zip!“ „Das find Buchfinken“”,jlüfterte Konrad feiner Begleiterin inz Ohr. Sie gab Feine Antwort, fondern Iaufchte dem Erwachen des Waldes: nach und nach ftießen die Wipfel oben und die Bülche unten kurz abgebrochene Töne aus, wie erwachende Kinder: erft mit noch jchlaftrunkener Kehle, dann immer munterer, die einen Iuftig und friih, die anderen Magend und fehnfüchtig, mandhe fhüchtern und eis, die meiften Kräftig und ohne Scheu.KRecht3 und link vom Wege, ganz nah, hörte man Federn,bie fich auseinanderfhoben: nach den Kehlen waren auch die munteren Slügelhen erwacht und raufchten nun ein wenig in die Luft, um fih zu überzeugen, daß e8 noch gehe.
3 wurde den beiden LQaufchern fo weich, fo füß zU []Wenn’3 lenzt.
37 Mute bei diefemn erwacdhenden Stammeln und Hügeljchlagen des Waldes und jie Hordhten [Hweigend. Konrad merkte, wie fi das Mädchen feilter an ihn fchmiegte und er Hüörte,baß ihr Atem rajcher und lauter ging. Sin warmer Hauch flog an feinem Seficht hinauf und er {Hloß daraus, daß fie zu ihm empor, oder hinauf zu den Baumwipfeln {Haute,denn in dem Waldesdunkel vermochte er ihre Züge nicht zu fehen.
„Was {ft dir, Rofine?“ fragte er Müfternd.
„SO fürchte mich Halb, da in dem Wald drin“, er-widerte der warme Hauch, der zu ihm aufftieg.
„Sei nicht närrijh! Wenn ih bei dir bin!“
„Ach, e8 ift mir, ih...“
„Wa3 {ft dir?“
„S3 dünkt mich, ih fürchte mich grad vor bir,Konrad“, fagte fie zögernd und fchloß fichH fejter an ihn an in einem unbewußten Widerjpruch der Liebe, und ihr Atem flog noch rafcher und der Burfche glaubte zu Hören, daß ihr das Herz im Bufen zitterte, wie das eines Meischens in der Hand des Vogeljtelers,
„Aber wie Kannft du mich fürchten und Fennft mich von SHugend auf!“
„SI fürchte dich nicht und fürchte dihH doch und wollte ih wäre zu Haus; Komm’, laß’ un8 gehen.“
Sie wollte gehen und ihr Arm zog an dem feinigen,er aber wurde eigenfinnig und Hielt ftand:
„a3 bijft du ein dummes Kind, fo Angft zu Haben!Bin id nicht zahn wie ein Schaf?“
„So fomm’, mein Schaf, und laß’ ung Heimkfehren!“
Das Wort „Schaf“ Hatte in ihrem Mund, die Bedeutung []y N Wenn’S lenzt geiwechfelt. €3 Hang ihm wie Hohn in den Ohren und wirkte wie eine Bauberformel: „Ia, fie hat recht, du bijt ein Schaf!“ Sein Blut fing an zu Kochen, auf einen Schlag war aus dem Schafe ein Wolf geworden; durch feine Sinne,die wie im Nebel jHiwammen und durch feine erhigte Bruft zudte e3 wie ein unjäglider Schmerz, den man ILoswerden,den man abwerfen möchte.
Sn diefem Augenblie brach der Fink auf der Buche,unter der fie ftanden, mit Macht 103: „Zip! zip! zip! bin ich, bin ih froh! es lenzt ja!“
Ya, e8 lenzte in der Erde und über der Erde, in den Büjchen und in den Baumkronen, in den Heinen, Heißen Herzen der Vögel und in der Bruft des MenfchHenpärchens,das mitten drin in diejer Werdensfreudigkeit ftand.
Au3 Konrads Kehle bracd’3 hervor, ungeftüm, wild ver-langend: „NRofine, Mädchen!“ und fie merkte, wie fih feine Arme um fie fchlingen wollten. Der feltfame Klang von Konrad3 Stimme brachte fie völlig zur Befinnung und fie rief, und ihr Ruf Mang wie der Schrei einer AUmjel, die man zu Zod erfchreckt Hat: „Laß’ mich, Burjdhe!“ Damit wijchte fie ihm mit einem FKräftigen Ruck aus den Armen und rannte auf dem weidhen Wege davon, mit vorgeftreckten Armen, um nicht an die Bäume zu ftoßen.
„Rofine, Mädden!“ Hang e& noch in ihren Ohren,feuchend, Halb unterdrüct, und diefer Klang beflügelte ihre Süße: fie fürchtete den wirklich, den fie liebte und es über.fam fie eine Neue über ihr unkluges Gebahren.
Konrad ftand einen Augenblid da, verblüfft, und rief ihr nad: „Rofine, Rofine!“ Sie aber Hufhte davon wie ein flüchtiges Reh und der Waldboden verfhlang den Klang []Wenn’S lenzt.
Sg ihrer Füße. Un ihrer ftatt gaben Antwort die Bögel im Seäft: Konrad3 Ruf mußte fie vollenda gewedt Haben und mun {OHmetterten und zwitjcherten und fchlugen und freifchten und tirilierten fie, was au8 den Kehlen hHeraus-mochte und mehr, als der Wald fajjen Konnte, und e& war Ronrad, als fpotteten fie feiner, der Grünfpecht mit feinem aufladenden SGemwieher und der Hüher mit feinem fAnar-renden rrır!
Aus all dem Wettgefchrei der Amfel, Droffeln, Meijen und Rotfehlhen Herauz vernahm aber Konrad bejonders den Buruf des Finkleinz auf der Buche:
„Hi! Hi! Hi! Fang’ fie doch ein! e8 Ienzt ja!Si! Hi! Hi! fei nicht fo blöd, e8 Tenzt ja!Sins, zwei drei! Küpfe die Füß’, eS lenzt ja!“Und er fing an zu laufen, Kofine nach, und die Buchen über ihm und hinter ihm Kicherten, wie er jo fprang:„Oi, hi, hi! Alles ift närr’Ih, es lenzt ja!Oi, hi, hi! Liebet, o liebt! e8 Tenzt ja!”AB Konrad aus dem Wald Herausbrach, flog ihm das graue Morgenlicht entgegen und fünfzig Schritte vor fich fa er Nofine durch das Halbdunkel jagen. Er rief ihr wieder, fie Kehrte fi nicht daran und fing noch fchneller an zu laufen auf dem fchmalen Weg, mitten durch die Ioggen-äder Hindurch, die im Frühwind zitierten. Der Burijche wurde immer eifriger in {einer Yagd, er mußte fie einfangen!Schon näherten fie fich dem Eihhofe; da, unter IJörlis mäch-tigen Nußbanme erlangte er fie: feine Arme fHlangen ih um fie: „Hab’ ich dig, dır Teufelden!“ Sie aber geberdete
[30]Wenn’8 Tenzt.fi wie eine Wildkake, die man in einen Sad fteden möchte und eine Angft, die Wngit des unentweihten MäbddhHen3 fchrie ion an aus der keuchenden Brujt: „Was willft du ?“
Er wußte nichts zu fagen al8: „Rofine, Rofine!“ und ichloß feine {tarfen Arme fejter zufammen. Dabei fuchten feine Lippen ein paffendes Plägdhen an ihrem Köpfchen, um fi fejtzufaugen; fie aber zitterte und wand fih und der Born Iohte aus ihrer Frage: „Wa3z willft dur von mir?“Er war nicht in der Laune nach einer Untwort zu uchen,er mochte meinen, feine Arme verftänden jeßt ihr Sefchäft beffer, alz feine Zunge und wirklich, jie machten {vo treffliche Arbeit, daß RKofine bald vIhnmächtig war wie ein Sijenftück in einem Schraubftot und {don fühlte fie des BurfchHen heiße Lippen auf ihrem Naden brennen. Da machte fie noch eine legte Unftrengung und jchrie ihn an: „Sin fchlechter erl, der fih fo benimmt! Gör’ auf oder ich fOreie, daß ber ganze Hof erwacht!“
„Was will ich denn Schlechtes?“ Xeuchte er in feiner Leiden] Haft.
„Was ein rechter BurfchHe ift, Küßt nur feine Braut!“
„Und fo auH füff’ ich dich!“ rief er ohne Überlegung feßte wieder feine Lippen auf den unwiligen Naden.
Da drehte im das Mädchen das SGeficht zu: „Iit das dein Scherz oder ift’3 dein Ernft?“ und fie zeigte ihm das Weiße der dunkeln Augen.
„Mein Ernit!“ rief Xonrad, dem das Buchenlaub die Belinnung abgewifcht Hatte,
„Shwörft du’8 bei deiner Chre ?“
„Bei jedem Heiligen Namen!“
Da wehrte fie fiH nicht mehr: „D, Ronrad.“
1115 []Wenn’8 lenzt.
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Und nun fiel e8 über beide wie "ein Raufch, ein bämmernder Taumel, nichts alz Gefühl, Herz vhne Kopf.Ihre Lippen fanden fihH und fügten fihH fejt zufammen und au3S ihren Kehlen Hang ein verhaltenes Murmeln: e8 war daz SGlüd, das fihH in ihre Bruft geniftet Hatte, das nun einen Ausweg fuchte, um in die Welt HinauszujeHreien ;„Stück! Guck!“ dem aber die Schranken der Lippen den Ausweg verfperriten und e3 in die Brufjt hHinabbannten, aus der e8 aufs neue Loszubrechen fuchte. Und die Bruft, vol der eingefperrten, unbändigen Luft, voll des mächtig ge-flügelten, aber gefelfelten SJubels, wogte wie die See im Sturm und wollte zerfpringen.
Wie lange ftanden fie da, Bruft an Bruft, Lippe an Lippe, Atem in Atem? War’8 ein AMugenblid? War’8 eine Stunde? war’s eine Ewigkeit? Sie hHätten’8 nicht zu fagen vbermodcht.
Mlöglih fuhr e3 durch Konrad wie ein Lähmender Schlag und ein Schmerz durchfuhr ihn, als Hätte er Nüßiges Erz getrunfen. Er Hätte auffahren mögen. Paulinens Bild Hatte wie ein Weitterleuchten in feine Seele gezündet und nun war er nüchtern auf einen Schlag: nüchtern vom Wein,nüchtern von der Liebe. Fort war der Taumel, und die Luft fort! Die eben noch {vo volle Brujt war leer wie ein aus-gebranntes Haus.
Wie er RKofine verließ, er wußte eS nicht; er eilte querfeldein, feinem Hofe zu, über die Matten hin und durch die Kornfelder und achtete des Kalten Taues nicht, in dem er ji bi8 an die nie badete. „Dh, ih Elender! oh, ich Elender !“ ftöhnte er. „Noch ijt fie nicht unter dem Boden und ih babe ihr jhon die Treue gebrochen !“[]nn Wenn’8 lenzt.Nachdem des Lebens Himmel fihH über ihm gefehloffen hatte, brach unter ihm des Lebenz Hölle auf, ein fHwarzer,[Omußiger Sumpf, und ihm wäre recht gewejen, der Pfuhl hätte ihn Hineingezogen und ihn ertränkt, ihn und auch den Eifel, den er an fichH felber empfand. „Dh, ih Slender,iQ Slender!“
63 war jchon heller Tag, al3 er jih dem Vaterhaus näherte; wenn nur noch niemand wach wäre, er Hätte feinem Vater oder feiner Mutter nicht begegnen mögen. Er trat deshalb nidht durch die Hausthüre ein, fondern fHhlichH fich ums Haus herum, nahm die Leiter, die anzZ Scheunenthor angelehnt war und ftellte fie an die Mauer, unter fein Kammerfenjter. Wie er Hinaufftieg, um fi ungefehen wie ein gehebter Fuch3 in feinem Schlupfmwinkel zu verkriechen,ging das Fenjter nebenan auf und Heraus ftrecte fichH lachend ein junger rotbadiger Mädchenkopf. € war Konrads Schwefter Marie, ein Mädchen dazZ feit einigen Wochen den Konfirmandenunterriht befuchte. Die beiden verftanden einander trefflih und Hatten, ohne e3 felber zu wijfen, eine Urt Schuß- und Trugbündnis miteinander gelchloffen: e8 war der Bund der Jungen gegen die Alten. Konrad {ftand zinen Augenblie auf der Leiter {till und Hielt den Zeige-finger vor den Mund. Mariechen, zum Zeichen des Ein-verftändniffes, decte fi die Augen mit der Hand und lächelte: „Unbeforgt! ich Habe nichts gefehen!“ Dann ver-[Omwand das rofige Köpfchen vom Fenfter. Konrad {Huang ji in die Kammer, gab der Leiter einen Fräftigen Stoß mit der Hand, [o daß fie fich rücwärts überjhlug und ins Sras Iegte. In dem Augenblide Hörte er vor feiner Kammer-türe, auf dem Gang, polternde Tritte von Holzihubhen, die []Wenn’8 lenzt.
93 die Treppe hinunter donnerten, durch die Küche Mapperten und fih in der Scheune verloren. Das war der Schul-pileger Ruodi, KonradzZ Vater, der nach feinem Vieh {ah,während fein Sohn fihH ächzend aufs Bett warf, one fich die Mühe zu nehmen, die Kleider auszuziehen.
Ronrad Hätte gern feinen wüften Kopf ausgeruht, aber er fand den Schlaf nicht, denn feine fhmerzenden Gedanken fießen fih nicht einlullen, die waren erbarmungslos und eiffen und zupfiten an feiner Seele wie mit {Oharfen Zangen und drangen wie fpibige Nägel in die Brujt. Er [Oloß die Augen und wälzte {ih ftöhnend von einer Seite zur anderen, und bei jedem Atemzug war e8 ihm, e3 reiße ihm in der Bruft eine Fafer entzwei. Und wie er fo nad Schlaf und Ruhe rang und die nal niederfämpfen wollte und alles nichts Half, da Kant über ihn eine Helle Wut gegen die Ur-heberin all feines Weh’3.
„Dir Haft e8 fo gewollt und mit Weiberfhlauheit von langer Hand fo gefügt! Überliftet, überrumpelt, den Sad über die Augen geworfen Haft du mir, dır Meiner Satan! Du Haft mir fhon Lange nadgeftellt, das Hab ih wohl ge-merft und jeßt Haft dır den Gimpel ins Garn gelockt! OD ig Narr! ih Narr! Daß id mit ihr tanzte, mit ihr nah Haufe ging, mit ihr auf die vermaledeiten Wakldsfinken horchte, ihr nachjagte, als trüge fie das Heil meiner Seele im Sat herum, und daß ich ihr den Willen Hat und fie ein-fing! OD, ih Narr, ich Narr, id Narr! Und iq hab’ ihr mein Wort verpfändet, ich Tropf! Wer nein! fo weit {o0’3 nit fommen! die Freude foll fie nicht Haben! die nicht! Sit e8 leidht ein Band zu nlipfen, fo ft eS nicht um einen Deut [OHiverer, e& wieder zu ...
[34]Wenn’8 lenzt.Er machte den Gedanken nicht fertig, denn in feinem Geift dämmerte ein anderes Bild Herauf: der Nußbaum und in deffen Dunkel ein Pärchen: Rofine in feinen Armen, erft wild, dann zahm und feft an ihn gefchloffen und der Drang ihrer Lippen ein8 und eing8 der Flug ihrer Herzen. Nun fam ihm almälich die Wahrheit: der Meine Teufel war in fein Gerz geftürmt und Mammerte fih fejt und wird fich nicht mehr vertreiben Iafjen. Die alte und die neue Liebe machten fig in ihm das Dafein fauer und er fühlte wohl,wohin jidh der Sieg neigen werde, wohin er fi bereitz geneigt Hatte, und da3Z gerade machte fein namenlofes Wehe:hier Liebe und Leben, dort Liebe und Tod, hier Iohe Glut,dort Kalte Verwefjung, der Kampf war zu ungleich!
Er fonnte Rofine nicht mehr zürnen, wie er gerne ge-wollt Hätte, alle Schuld war ja in ihm, er war ein {Hwaches,federleichtes Täubchen, dazZ mit dem Wind fliegt, der jujt der jtärkere ift. „DO, Pauline, Pauline, Pauline!“ Und er fühlte wie ihm die Yugenwimpern, wie fehr er ih auch wehrte, zu zuden begannen und ihm die Thränen über die Wangen nach den Mundwinkeln {Hlihen, falzig, Jalzig.
Während er fo dalag, drang von unten auS der Küche ein GMpräd zu ihm hinauf, wie der Klang von zwei Saiten,einer gejpannten, fingenben und einer fHlaffen, [Hnarrenden:
„Was fteht der Bub Heut’ nicht auf? Was ift das für eine neue Ordnung ?“
„Sie haben ja geftern ‚ge[häppelt‘, da wird’3 etwas {pät geierabend gegeben Haben !“
„So? Und nun folen wir Alten dafür herhalten und unjere alten Xnochen tanzen laffen? MVerträgt er’® nicht fo lang aufzubleiben, fo Halte er’3 mit den Hühnern und Ieae []Wenn’8 lenzt.
13 ji bei Zeiten auf3 Stroh! Reich mir da deinen Befen, ih will ihın an die Diele Hopfen!“
„Nein, Vater, Iaß’ ihn fAOYlafern, ich will fchon helfen melfen und das Vieh tränken. Und wenn’3 auch Heut’ etwas fpäter wird al8 fonft, was thut’3, ’8 ijt ja Sonntag!“
„Nein, nein! der Faulpelz {ol mir hHerau3, gieb her den Befen 1“
„Laß’ ihn doch fAHlafen, Vater, er muß ja Heute noch mit Sellerjakfob3 Pauline anz Grab, er tft Leichenträger und da foll man nicht Jagen, Schulpflegers Chueri habe ein Geficht gemacht, wie eine Mildjuppe und Habe einmal über’3 andere gegähnt! Auch muß er in der Kirche fingen und Hat man nicht ausge[dlafen, fo bringt man feinen rechten Ton Heraus,ich weiß das! Geh’ jebt nur, ih wede ihn fHon, wenn’s Beit it!"
„Du Hältft immer zu ihm“, brummte der Alte,al8 er mit feinen {hiweren Holzihuhen in die Tenne Hinaus-fMapperte.
Konrad Hatte das SGefpräh Wort für Wort verftanden,e3 Hatte ihr von feinen quälerifhen Gedanken abgelenkt. Die arteinahme des Schweiterhenz that ihın wohl und wohl mochten ihm auch die Thränen thum, und der Körper, diefje Baufe im Seffeltreiben der Seele benubend, machte {fein Necht geltend: der Alte Hatte im Stall draußen noch nit nad) dem Melkeimer gegriffen, da fing Konrad in feiner Kammer an tief und ruhig zu atmen und Leib und Seele hatten Nub.So lag er etwa ein Stünddhen. Er erwachte an dem alten Seelenjchmerz, der, die Müdigkeit endlich Hberbietend,wieder hHervorbrach, mie ein Stück Holz an die Oberfläche []RK
Wenn’8 lenzt.{teigt, wenn die Hand erlahmt, die e& unter Waffer halten follte. Der beflemmende Kampf begann aufs neue und Konrad, um ihm zu entrinnen, {prang von feinem Lager auf und nie fjah man ihn emfiger in der Scheune arbeiten.
üT
Paufinens Beerdigung fand, wie der Brauch ijt, am Vormittag ftatt, Um 8 Uhr verfammelten fih die VBer-wandten, die au8 dem Dorfe Heraufgekommen waren, in Sakobs Stube, während draußen auf der „Hofreite“ die ins Leid geladenen „Höfler“ in größeren oder Meineren Gruppen herumftanden, die einen fOmeigjam, wie fie in Gefelljchaft des Karites und der Schaufel geworden waren, die anderen mit gedämpfter Stimme plaudernd, vom Pilügen und Säen,von Wpfelbluft und Heugras. Jede Haushaltung war wenigjtens durch ein Glied vertreten.
Die Burfhen und IJungfrauen bildeten eine Gruppe für fi und fHharten fihH um das Schäppeli, Bier BuridhHen,von den ftärkfien und ftämmigijten, traten in Haus und holten auf einer Bahre den fHvarzen Schrein heraus. Der wurde in die Mitte der Hofreite geftellt und die rührigen Hände der Mädchen ummwanden ihn Kebevoll mit den Kränzen,deren grüne Blätter und KRanken dem Tod fein Graufen nahmen. AN die jungen Leute machten ernite Gefichter und man {ah e3 ihnen nicht an, daß fie vor wenigen Stunden noch getanzt und getollt Hatten, al vb auf diefer Erde keiner hHerumginge, der unZ in jeden Becher ein Tröpflein gießt,bis e$ endlich genug ift und wir den Weg gehen, den Pauline nun antrat.[]Wenun’3 lenzt.
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Auch Rofine war da in ihrem fHhiwarzen Kleide, Sie hielt das Schäppeli in der Hand, denn, al die Stattlichite von allen, war fie dazır erforen worden, das Kreuz dem Sarg vorauszutragen. E83 gab niemand auf dem Plage, der nicht von Zeit zu Zeit einen Blid nach ihr geworfen Hätte,denn auf den Höfen war e8 eine Hohe Ehre, „Schäppeli-jungfer“ zu fein, und mehr als einer flüfterte jeinem Nachbar zu: „WaZ der IJörli für eine Hübjhe und manierliche Tochter hat.“Natürlich erzählte man fich auch, daß Kofine und Schul-pfleger3 Konrad das Glas zerbrochen Hatten und das gab Anlaß zu allerlei lauten und leifen Betrachtungen: „Db’S die Schulpflegerin gern haben wird? Die fieht noch nicht aus, al3 wollte fie das Heft auS der Hand geben! Ia, und der Körli, der Könnte fein Kind auch noch brauchen zu Haus.Und das Geld erft für die Ausfteuer, der wird’ zwijdhen den Fingern hHerumbdrehen! Der wird fih Hinter den Ohren fragen! Der Narr, und Hat alle Käften vol!“
Die Verwandten traten Heraus. Voran die Männer,Kellerjafob an der Spige, wie ein Stab, den man in der Mitte gefnidt Hat; Hinterdrein BZüfi mit den Frauen.DasZ arme Mütterchen hielt {ih ein weißes Tajchentuch vor’3 Seficht und e8 {Hüttelte fie wie vor Froit. Alle GHäupter entblößten fi.
Die Verwandten ftellten fiH in eine Reihe, und nun fOritten die anderen einer nad) dem anderen, mit Langjamen Schritten an ihnen vorbei, gaben jedem die Hand und fagten:„Gott ergeg’ euch ’3 Leid.“
Vier Burfhen, unter denen Konrad fihH befand, hoben Hierauf die Bahre auf die Schultern, während vier andere
X. Boßhart, Im Nebel.[]u R
Wenn’S Tenzt.jich ihnen zur Seite ftellten, um fie von Beit zu Zeit abe zulöjen. Die Schäppelijungfer ftellte fich befcheidentlich vor den Sarg und nun ging e& Iangjam davon, dem Thale zu.
Auf den Sarg folgte da3 Xedige Volk, die Iugend-freunde und -freundinnen; ihre Reihen verhüllten den un-glücklichen Eltern die Bretter, die ihr einziges Kind bargen.Hinter der Jugend Kamen die Männer und den Schluß de8 Zuges bildete Züjfi mit den Weibern. Hie und da, bes fonders wenn man durch ein GehHöfte fHritt, [hloffen {ich neue Trüppdhen an oder auch nur ein einzelne altes Mütterden oder ein von der Arbeit bucklig gewordenes Männchen, denen der Weg zu Jakob3 Heim hinauf zu weit gewefen war. Wo der Zug fichH mit dem Wege bog, blidten mandje zurüc, mufterten das dunkle Band, daz fich zwildhen den Wiejfen und ÄÜkern und blühenden AWpfelbäumen hinzog und {chüttelten den Kopf, denn eS waren große Lüden in den Reihen entftanden: einige Weiber watjdhelten beftändig zehn oder zwanzig Schritte hHinterdrein und murrten über das junge Volk, das nicht wiffe, mas für eine Gangart fi für ein Begräbnis fchicfe, Die anderen, die an diefer Unord-nung unfdhuldig zu fein glaubten, deuteten mit einer Be-wegung des KopfeS auf die zerriffenen Reihen und raunten fiG zu: „’3 muß bald wieder einz den Weg, wem mag’s diesmal gelten? B’hüt uns Gott.“ Denn man glaubt auf ben Höfen, der Tod weile bei einer Leiche, bi3 fie beftattet fei und folge dem Leichenzuge bis anz Grab. Entftehen in biefem Lüden, jo nehme er die Gelegenheit wahr, dränge fid zwijdhen die Reihen hinein und wem er da zur Seite trete, dem möge Gott gnäbig fein.
Konrad fchritt vorn. Auf der rechten Schulter irug []Wenn’3 Lenzt.
29 er einen Am der Bahre, Wenn er vom Wege auffah, fiel fein Blid auf Rofine, die mit gefenttem Kopfe fajt finnig vorausfchritt. Unter der Saft feine8 toten Bräutchens,. von deffen blafjer Wange die feinige nur durch ein Breit ge-trennt war, und an den Ferjen des Xebenden kämpfte er jeinen mühfjamen Sampf weiter. Der Gang ins Kirchdorf jchien ihn ein Gang in die Ewigkeit, Länger, länger als all’ das Leben, das er bis jebt DurchfHritten Hatte, und bitter, no, bitter! Das Bräutchen auf der Achfel, e8 drückte ion nicht, wie Hätte fie drücen Können die fanfte, gute Pauline? aber ihn drückte das Gewijfen, auf ihm lag wie ein Berg die Erinnerung an die lebte Nacht.
Und der Weg, auf dem er ging: wo der Blit fich feitwärts wendete, links, rechts, überall traf er auf einen Sie, der an die Jugendjahre gemahnte, an die Zeiten, da er mit Pauline zur Kirche oder zur Unterweifung oder zum Tanz ging: hier der Kirfgbaum, mit deffen Früchten fie fich im Sommer, ohne lang zu fragen, die Irodenen Zungen lebten, dort am Bach die Buche, in deren Rinde, freilich weit auseinander, ein K und ein P mit ungefchielter Hand eingefOnitten waren. SIeßt mußte er, warum daz P jeden Hrühling, wenn der Saft in den Bäumen ftieg, feucht wurde und zu weinen anfing. Yuf der fumpfigen Wiefe, jebt im ®ras verftedt, Lag des Hubbauers „Roov3“, wo {ih das Mädchen den Tod geholt Hatte, und nun fchlih der Leichenzug an der Halde hinunter, an deren Fuß, an der Rirchweih, fich iOr ba herbe Wort „fterben“ aus der erfchöpften Bruft herausgerungen Hatte... ..
Was Hatte er ihr damals gejagt? „D, ich Elender, ich Elender !“ Wie mandmal mwünfchte er auf diejem marter-
LE
[100]Wenn’S lenzt.bollen Gange, an ihrer Stelle zu fein; aber wenn dann fein Auge, ohne Befehl erhalten zu Haben, auf die Geftalt ficl,die vor ihm wandelte, da fHlihH fiH die Liebe neben den Tod und [Hücdhtern zwar, aber unabweislich, berührte fie ihm den Mund und e8 war wie Mofinenz Mund in der vers gangenen Nacht und dann fuhr mitten durch feine Dual ein Funke, ein Auffladern der fi durchringenden Liebe8-wonne, wie ein Sonnenftrahl durch eine Wetterwolfe. Und wie der Sonnenjtrahl auf den dunkeln Wolfengrund ‚den Leuchtenden, farbigen Bogen wirft, fo der LiebeSfunke in RonradE3 umnachteter Bruft die {hillernde Ahnung verföhn-lichen Slüces,
„Berzeih’ mir, verzeihe mir, Pauline! Siehe, es it jtärfer al3 ich!“
Unten im Dorfe, auf dem Friedhofe, |tellte man die Bahre neben daz Grab. Dann SHffnete man den Sargdedel und wer die Tote noch einmal fehen wollte, näherte fihH und warf einen Blig in den fHmvarzen Schrein und auf das {tille, 6laffe Seficht,
Uuf dem Langen Wege Hatte fiH Konrad oft gefagt:„Du darfit ihr nit einmal einen legten Blick inZ Grab geben, dur NMichtswürdiger!“ NIeßt aber, am Rande des gähnenden Grabes, an der düfteren Pforte der Ewigkeit, wurde eS ihm eidhter und es {hien ihm, fein Herz habe fich wieder ganz feiner Fugendliebe zugewendet und des anderen Mädchens Bild jet aus feiner Bruft ge-flohen. Er wollte vor Paulinen Hintreten und ihr bedeuten:„30 bin wieder zurüd!“ Bon ihHm folte fie den lebten Erdenblic empfangen, von ihrer einzigen Liebe den Scheidearuß.[]Wenn’3 lenzt.
101
Der Kellerjakob und fein Züfi waren in die Kirche ge-wanft, von den Verwandten Jachte hinweggefchoben, und alles Volk war ihnen nach und nach gefolgt. Konrad war, wie er fi vorgenommen, der lebte, der in den Sarg {Haute und ‚er fonnte den Blit von den treuen Zügen nicht ab-wenden. Bor ihm, einige Schritte entfernt, ftand RKofine,denn fie mußte das „Schäppeli“ während des Gottesdienjtes hüten, e& vor dem „Ausläuten“ auf das frifjhe Grab pflanzen und auf die braune Erde ringsum das verhüllende Grün der Sargfränze werfen.
Sie {ah Konrad an, wie feine Blide mit Wehmut zu der Toten hHerabjhauten und wie er die Lippen zwijcdhen die Zähne Hemmte, und fie ihm zucten, Wahrhaftig, er rang mit den Zhränen! ;
Da ging Rofine ein Liht auf und eine |Hmerzliche Sewißheit kam über fie, Sie begriff auf einen Schlag,warum er am Woend vorher nicht fingen und nicht tanzen wollte, warum er feine „Mufik“ nicht in der Tajche trug.„DS, iO habe nicht gut an im gehandelt.“
Bugleich fühlte fie, daß er ihr noch nicht von Herzen gehöre, und da erft ward ihr Mar, wie unfäglich lieb fie ihn Hatte, Der Gedanke, den wieder verlieren zu miüjffen,den fie fo wenige Mugenblide befeffen, machte fie namenlos elend; aber fie gewann über fich einen Sieg, der ihr vielleicht nur im AUngeficht des Todes gelingen Konnte: fie trat vor den Geliebten Hin und mit leifer, zitternder Stimme fagte fie zu ihm: „Konrad, ih gebe dir dein Wort zurüd. Werd’i9r nicht fhon am Grabe untreu, fie war beffer al3 ich.“
Konrad erwachte aus feinem Briten; er fah dem Mädhcdhen ins Geficht und gemwahrte, wie über ihre Augen []2)
Wenn’8 lenzt.ein feuchter Schleier fihH fenkte, und e8 Iag in den fHönen,dunfeln, Augen fo viele Liebe und Treue und Ehrlichkeit,und e8 fpradh au3 der Stirne darüber fo viel gefunde Kraft,daß, eh’ er fih’3 verfah, der Entidhluß gereift war. Er jtrecite Rofine über den Sarg Hinweg die Rechte entgegen:„Bleib” mir treu biz über’3 Jahr, ih muß c3 erft Über.winden!“ Rofine blieb unbeweglich.
„Saß’ fie, fie ift dein.“
Nun that fie, wie er fie geheißen und die beiden hielten jich einen Augenblit wie mit Zangen, während ihre Augen feft ineinander Iagen.
Konrad trat in die Kirche. Al einige Minuten fpäter der Totengräber mit feinen Gefellen nahte, um die Leiche zu verfenfen, fand er Rofine am Sarg Fnieend und die Thränen rollten ihr von den Wangen und fielen hinab in den jHivarzen Schrein und beneßten daz Kiffen der [Hlum-mernden Bauline.[]Der RKedaktor raffte die Blätter, die er einZ nach dem anderen auf den Boden geworfen Hatte, zufjammen und [ob fie in feine geräumige Nücentajche.
Die SGefellfhaft um ihn her ftand oder faß noch unter dem Eindrud der Erzählung und bewahrte ein nacdhdenkliches Schweigen. Ludwigs Augen drehten fi verftohlen nach Blanka, die ihm gegenüber zwijchen ihrem Bater und FIranz jaß, und ein fehnfüchtiger Wunfh regte fih in ihn und füllte im warm die Bruft: „Könnte auch ih zu ihr Jagen:Bleib’ mir treu bis übers Yahr, da ich mein CEramen werde Üüberftanden haben 1“
€ war SYakob Kappler, der das Stillfhweigen brach:„Werden Sie die Novelle in ihrem Blatt abdrucden, Herr Medaktor ?“
Der arme Dichter Hatte noch Keine3 feiner Werke ge-druct gefehen und wurde deshalb beftändig von der Frage gequält: Wie Ihön muß eine Dichtung fein, um die un:jterblidh machende Druckerfchwärze zu verdienen ?
„Wenn ih nicht? paffenderes in meiner Tajche vorfinde,erwiderte der Dice, werde ih das Ding wohl neHmen müffen,obfhon dieje Dorfgefhichten Feine ‚zügige‘ Ware find.“ „Wie fo?” „Ach, daz Publikum fättigt feine Phantafie
[104]Wenn’8 lenzt.gerne mit Prunk und Glanz: das Alltagsleben bringt ihm fo zweifelhafte Bejcherungen, daß c8 in den Angenbliden, da 28 fig darüber Hinwegjeen möchte, gerne in Lichtftrahlenden Sälen, auf farbenprächtigen Teppidhen und marmornen Treppen wandelt, auf fein gepoljterten Seffeln ausruht, von filbernen Tellerm ift und auZ goldenen Pokalen trinkt.Seine Helden müffen Grafen, Fürften, Könige fein und hat nun einer nicht einmal das bejcheidenfte „von“ vor dem Namen,fo denkt e3 leicht: Was fall mir der? Die Trübjal, die der zu blafen Hat, wird die meinige fein und fein bißchen Freude fenne id wohl auch fhon: ih danke für die Unterhaltung!“
„So mögen mandje von Ihren Lefern denken, ich gebe e8 zu,“ meinte Blanka; „andere aber, und dazu möchte ich mich rechnen, fuchen in Dichtungen, befonder3 in Novellen und Romanen das, was fie felbft, fei c& aus Mangel an Beit oder an Talent, nicht imjtande find, auZ der eigenen Lebenserfahrung fauber und far Herauszulefen, ich meine einen Einblid in die KfHNeineren und größeren Rätjel des men|hlidhen Lebenz und Wefenz. Db man daZ nun am Beifpiel eines Fürjten oder an dem eines Bauern ihut, mag gleichgültig fein: der Wert des Problems ijt in beiden Fällen der gleiche.“
„Sn beiden Fällen wird die Aufgabe fein, zu Zeigen oder doch ahnen zu Iaffen, daß jede Handlung mit eiferner Notwendigkeit aus dem Charakter des Menfchen entfpringt und au den Verhältnijjen, in denen er fi bewegt,“ fügte Hranz hinzu.
„Ci, du bijt {don wieder bei Deiner eifernen Notwendig-feit angelangt!“ rief der Onkel dazwijchen.
„Was Hat e8 damit für eine Bewandtnis ?“ fragte Blanka.[]Wenn’3 lenzt
105
„Nehmen Sie ih in Acht vor Ihrem Nachbar, Fräu-fein! der ift eine Lokomotive mit Heizapparat und Dampf-feffel, mit Kamin und Puffern und zwei Laternen vorn; der fan nicht wie unfereiner querfeldein und link? und recht?gehen: der fHnaubt auf feinem Seleije durch’3 Leben, eben mit eijerner Notwendigkeit,“
„Sie er/hreden mid fajt mit folch einem Ungetüm,Sie müffen mir das Ding beffer erklären!“
„Da3Z mag er felbft thım, und will er nicht, jo heben Sie nur feinen Bruder auf ihn. Hörft dır Ludwig ?”
Der Angeredete fuhr auZ feinem träumerijhen Sinnen auf: „Was Jagjt dır, Onkel ?“
„Wahrhaftig, dur mußt all die Zeit gefchlafen Haben!“
„Wenn da3 fo ift, haben Sie etwas widhtigeS verfäumt,“fagte Blanka, {ih boshaft Läcdhelnd zu Ludwig mendend, „Sie hätten durch die SGejchichte erfahren, daß ec3 zuweilen gelingt,mit etwas Keckheit einen frommen Wunjh. zur Thatfache zu machen.“Qudwig fuhr zujammen, e$ traf ihn wie ein Dolchftich.Meinte fie daz wirklich jo? Meinte fie, er Habe fie am Wald-jeft mit frecher Wofichtlichkeit mit „du“ angeredet, um fie...fonnte fie ihn für fo plump und gewöhnlich Halten? Der Gedanke empörte ihn. „Du bijft graufam!“ Das Work Hätte er ihr in8 Seficht {cHleudern mögen, aber wieder war ja da3 verwünfchte „du“ dabei und doch Hatte er fich feit jenem Tage die erdenffichfte Mühe gegeben, fie in feinen Träumen ftet8 fein manierlidh mit „Sie“ und „Ihnen“ anzureden.
Seine fihtliche Verwirrung beluftigte Blanka und fie jagte zu ihm in zugleich boshaftem und begütigendem Zone:„Haben Sie wirklich all die Weile gefhlafen, Herr Ludwig?“[4]‚u
Wenn’S lenzt.
„Seien Sie fo gütig, Ihren Spott gegen eine weniger empfindlide Scheibe abzufdhießen.“
Er fagte das mit FindlihH bebender Stimme, waz an dem Xangen Burfchen {o Komifjh wirkte, daß fiH alle Mundwinkel unwillfürlich verzogen und man da3Z Kichern nur zurücdhielt, um den Jungen, der offenbar nicht zum Spaßen aufgelegt war, nicht unnötig zu Kfränfen.
„Aljo, Scherz bei Seite,“ fagte Blanka, „und wer von jeßt an jpottet, {oll beitraft werden an feinem Mittagseffen.Wenn wir aber ein {o großes Opfer bringen, dürfen wir von Ihnen eine Gegenleiftung erwarten und mich dünkt, ich verlange nicht zu viel, wenn ih Sie auffordere zu beweifen,daß Sie während der Lektüre nicht gefchlafen Haben. Sagen Sie ung aljo Ihre Meinung über die Novelle. Sagen Sie un® vor allem, vb Sie etwas von der eifernen Notwendigkeit gemerft Haben, die, wenn ih Ihren Herrn Bruder recht ver-jtanden Habe, der Prüfftein einer Erzählung i{ft?“
„So, hat er Sie davon unterhalten? und von feiner Mafjcdhine auch ?“
„Nein, davon Hat nur Gerr Wunderli in etwa myfteriöjen Ausdrücken fihH vernehmen laffen. Da fie aber in diefen Dingen unterrichtet zu fein fheinen, bitte ih Sie mit aller Höflichteit, die ih Ihnen fHulde und die Sie von mir verlangen Können, Sie hören mir dog zu? aljo ih bitte Sie mit all meiner Höflichkeit, mir zu Jagen,mie...“„Ah, fol nun diefer Bank fogar auf der Dldenalp fortgefebt werden!“
„Hank? Gaben Sie ein fHlechtes Gewifjen, und einen Banf zu fürchten? Gi, ei, Herr Ludwig!”[]Wenn’3 lenzt.
’f, 7
„IH meine den Disput mit meinem Bruder wegen der Majdhine,“
„Entpuppt fih die Mafjchine al3 Zankapfel? Wohlan!fo beißen fie drein, meine Herren! Sie wollen nicht, Herr Ludwig? Der Apfel ijft Ihnen zu fauer ?“
„Nein, aber die Zuhörer/haft zu wenig ern|thaft.“
„Dho!“
Nun mijchte fi der Onkel ein: „Entfachen Sie diejen Brand nicht, Fräulein, fonjt werden wir ihn nicht wieder Töfden fönnen. Sehen Sie, meine Neffen find feuergefähre liche Burjdhen, der eine Mt eine Lokomotive und der andere ein Rirchenlicht, der eine Hütet ein weltliches, der andere ein geiftliches Feuer und geht man mit ihnen nicht vorfichtig um, {vo wären beide imftande, uns die Hütte über den Köpfen zujammen zu brennen!“
„Hu! das wird ja immer unheimlicher in der SGejell-{haft! Da werde ih mich wohl Hüten, die beiden Herren gegeneinander zu Heben, das wäre ja als wollte ih frevent-lid mit einer Lokomotive eine Kirche einrennen !“
„Oder die Neuzeit gegen das Mittelalter in den Kampf führen,“ meinte Franz.
„Oder den Berftand gegen das Gefühl,“ verbefferte Ludwig.
„So ernit ijt die Sache? das würde ja eine [OHreckliche Kataftrophe abgeben!“ rief Blankas Mingende Stimme. „Kehren wir alfo lieber zu unjerer Dorf- oder Hofgefchichte zurüd,da läßt fig doch noch disputieren. und ftreiten, ohne fein Geiligites und Allerheiligjtes dem Bajonette des Gegner8 aus-jeben zu müffen.”
„Da find Sie in einem argen FJrrtume befangen,“ ent-geanete ihr Franz.
[108]Wenn’8 lenzt.„WirkliH? Hat fiH denn der Nebel da draußen auch über meinen armen Geijt verbreitet? Da wäre e3 aller»dings ein unfhäßbarer Vorteil, wie Sie auf einem ficheren Seleije fahren zu Können. Doch erlöfen Sie mich aus meiner Seelenangft und Iaffen Sie den Schein Ihrer Laterne auf meinen SIrriweg fallen.“
„Sie wollen do wohl Licht ftatt Schein fagen?“
„Sm Nebel verblaßt jedes Licht zum Schein.“
„Sie haben recht, wenn e8 nicht die himmlifjche Kraft der Sonne Hat, die den Dunitichleier zerreißt.“
„Ein Bli durch die Thüre mag Sie belehren, daß die Sonne erft licht wird, wenn fie ihre Arbeit gethan und den Nebel verfheucht Hat. Bitte, ahmen Sie ihr nach!“
„Sie hätten noch fagen follen, Fräulein, daß e3 der Sonne trog ihrer Araft nicht gelingt, jeden Nebel zu zZer-treuen.“„Vielleicht ft doch der Schleier über meinem SGeifte [0 dicht nicht! Verfucdhen Sie’8 aljo und werfen Sie einmal Yhren Schein, oder meinetwegen Ihr Licht!“
„Wohlan! Die Hauptperfon der Erzählung ijt ficherlich Konrad. Nun fehen Sie: al ich fo zuhHörte und mir den Burfchen vorftellte, war mir, id jehe einen glühenden Draht,den der Schmied mit Zange und Hammer bedrängt, um ihn zu frümmen, wie e8 ihm gut {DHheint. Er mag FKnir]chen unter dem Drude und böfe Funken werfen, er mag einen Augenblit der Zange entwifjdhen und fichH einmal anders frümmen, als der Meijter e3 will: e8 Hilft ihm nichts, zuleßt wird er doch fi zum Ringe fügen, wie e8 in der Abhjicht des Schmieds war. Und mich dünkt, wie e8 Konrad ging,{jo geht e8 jedem, der Menfch Heißt. Freilich ift das nicht []Wenn’3 lenzt.af JS immer [jo augenjcheinlich, der Schmied geht meijtenz nicht jo rafch zu Werke, er drückt und fHlägt fo fjachte, daß e3 der Draht nicht einmal merkt und endlich, wenn er fih zum ing Ichließt, meint, den Schluß Habe er felber gewollt und au8 eigeniter Rraft vollbracht.“
Ludwig hatte, während fein Bruder fprach, auf feinem jteinernen Sige wie auf glühenden Kohlen gefeffen. Nun fuhr er auf und rief lauter al3 nötig war: „Fräulein, da3z it Gijt! ih warne Sie vor dem Gift!“
3 fuhr wie eine Bombe drein: die Älteren Herren fachten und der die Redakteur fagte zu feinem Nachbar:„Das it ein unruhiges Kirdhenlicht!“
Much Blanka Hatte fichH eines Lädhelnz nicht erwehren fönnen, aber e8 lag nicht bo3haftes drin, wie fonft fo gern in dem Spiel ihrer Mundwinkel; ihr Auge {hien fajt mit Freude auf dem hHochaufgerichteten Warner zu ruhen, deffjen dunkle Augen leuchteten.
Nun wendete fihH Ludwig an feinen Bruder: „Man kann beine Pojaune mit ein paar Worten verfiummen machen: in ber Erzählung fteht als zweite Perfon Rofine. Ihr Wille jebt fihH demjenigen XonradZ entgegen, eS ift ein Kampf von Rerfönlichkeit gegen Rerfönlichkeit und die Fräftigere Hleudert die andere auZ dem Gleichgewicht. Das ijt die gewöhnliche Form des irdijhen Kampfes: jeder wirft feinen Willen in die Wagichale und der leichtere {Hnellt in die Luft. Und noch eins: Reicht nicht Konrad {Hließlih RKofine die Hand über den Sarg hin auz freiem Entjhluß ?“
„Das ft freilihH ein freier Entfhluß!“ entgegnete Franz. „SS ijt wie wenn der Draht [HließlihH zum Schmied fagte: Laß’ mich jebt aus der Bange, ih will ja fein Hüb]h
[110]Wenn’3 fenzt.bie Jorm behalten, in die du mich gezwängt und gebogen und gehämmert Haft. Daß RMofine und Konrad jedes dem anderen feinen Willen entgegenfeßt, wer wollte das leugnen?Wer wollte leugnen, daß der Kraft des SchmiedE die Feftig-feit des Drahtes widerftrebt? Sit der Draht ftärker al3 der Schmied, fo legt fih der Meifter am AWbend unverrichteter Sache zu Bette, So alfo ftellt fichH die Frage nicht! Daß der Menfjch einen Willen hat, ift gewiß. Was aber ift diefer Wille? Wie entjteht er? Unterliegt er dem Gefehe der Kaufalität! Wenn ja, fo ijft der Streit entfchieden !”
„Was ift fie, diefe Lichtfpendende Kaufalität!“ unterbrach ion Blanka.
„IH will mich zu erklären fuchen“ fuhr Franz weiter fort. „Erinnern Sie fiH an den Stein von geftern?“
„Weldhe Frage! rief Jakob Kappeler, mich [Ahaudert jegt noch; denn gerade mich Hat er zermalmen wollen.“
„Wollen? Haben denn auch Steine einen Willen ?“
„Ach, man fagt einmal fo.”
„Sa, man jagt fo und mag einft fo geglaubt Haben;drum ift e8 vielleicht weniger ungereimt, als e3 erfheint,wenn ih an dem ftürzenden Stein, eine menfHlide Handlung erfläre. Ruhig Iag er oben an der Halde, durch eine lange Holge notwendiger Wirkungen dorthin gebracht. Seine Grund-lage jedoch wurde unmerklich verändert, durch den Regen, der da Herabfloß, durch den Schnee, der da verging, durch das Eis, das taute und die Pflanzen, fo Wurzeln fHhlugen. Da trifft iOn ein Huf, nicht von ungefähr, fondern durch eine unendlide Kette notwendiger Fügungen geleitet, Und er jtürzt in die Tiefe und zwar wieder nicht nach unberechen-barer Laune, fondern fo wie Schwerkraft und Beharrungs-[]Wenn’8 Lenzt.
111 vermögen auf der gegebenen Bahn eS bedingen. Er rollt in die Tiefe, bis die in ihm wirkende Kraft an einer anderen erlahmt. Das ijft das Wollen der Steine, fo auch wird der menjchlide Wille in feiner dunkeln Werkftatt aus-fehen, fo wird menjchlihes Handeln entftehen, und vielleicht ipricht man einmal vom Wollen des Menfchen, wie wir jebt vom Wollen der Steine fprechen. Wer weiß?“
„Spar’ doch die Worte, rief ihn fein Bruder zu.Du gleichft ja einem Baumeifter, der auf einem grund-Iofen Moraft einen Turm errichten will! Du nimmft an, das Gejeg der Kaujalität wirke auf die immaterielle Seele wie auf die Subijtanz. Beweife das erft und ich fage: Umen!“
„Beweijen? Giebtz mathematijhe Beweije in folchen Dingen? Giebt die Theologie jolche für ihre Behauptungen ?€ DYandelt fidhH da nur um die Wahrfheinkichkfeit und um Befriedigung der Anfprüche der Vernunit und weldhe von unjeren Anfichten dem gefunden Verjtand am eheften zufjagt,wird unjchwer darzulegen fein.
„Feder denkende Menich it von dem Beftreben erfüllt,Ordnung und Klarheit in feine Weltanjhauung zu bringen,fig vor allem über fein eigenes Selbjt und deffen Beziehung zum Ganzen Licht zu verfchaffen. So wenig nun aber ein Auge fichH Jelbit fehen kann, jo wenig ijft daS, Kraft deffen wir denken, wollen und fühlen, fähig, fih felbjt in feinem eigenften Wefen zu erkennen. Das Auge fieht fi nicht anders al3 im Spiegel, wir erkennen unfer inneres Wefjen nur an feinen Äußerungen und diefjer Spiegel ift ein hHöchft unvolfommenes Infirument: objeftive Wahrheit werden wir von ihm nicht erwarten dürfen. Waz fönnen wir nun
[112]Wenn’3 lenzt.vernünftigeres thum, al3 die Gejeke erforjhen, denen die Wejen um ung her unterworfen find? Und finden wir eins,das fich auf alles, was wir fennen, ausnahmölos erftredt,giebt e3 etwa3 vernünftigeres als bie Annahme, dasjelbe werde auch für das lebte Glied in der auffteigenden Kette der irdijhen Wefjen feine Gültigkeit haben? Diefes Gefjep ijt die Kaufalität!“
„Du machjt mir die Sache leicht, Franz. Unendlich muß die AMuft zwifhen befeelten und unbefeelten Wefen fein.In der undefeelten Welt mag dein Gefeg gelten; warum aber auch in der befeelten, die doch in jedem Punkte von der anderen verfhieden fein muß? Ifjt die Seelenwelt zur ®örperwelt wie der Tag zur Nacht, wie das Leben zum Tod, drängt fih da nicht der Schluß auf, daß andere Gefege dort Herr/hen al Hier, daß deine Kaufalität im Reiche des Rörperlidhen ein Fraftlofer Schatten fet?“
„Ach, geh’ mir!“ erwiderte Franz, „du fteckft mit deinen Stiefeln noch tief im Mittelalter drin, das dem Menjchen ein eigenes Plägcdhen außerhalb der übrigen Natur meinte anweijen zu müffen. Nein, ih laffe den Menjchen nicht von ber Kette abreißen, al3z deren leßtes Glied ich ihn erkenne!“
So wurde der Ball von den beiden hin und Her ge-worfen, immer eifriger, immer rafcher, zur Beluftigung der Älteren, die Lebenzerfahrung genug Hatten, um zu wiffen,daß durch einen Disput zwijhen zwei Studenten, oben auf ber Oldenalp, die Welt nicht aus ihren Angeln gehoben wird.Qudwig befonders entlocte manches Lächeln, al3Z er anfing die verderblichen Folgen aufzuzählen, welche die Theorie feines Bruder3 für die Moral Haben müßte. Er eiferte wie ein Heidenapoftel: mit dem freien Willen falle die Berantwortlich-[]Wenn’3 lenzt.
113 feit, fallen die Begriffe von gut und böfe, falle jegliches Sittengefeß und damit verliere die Menfchheit ihr Beftes: ihre MenfcHlichkeit,
Franz in feiner nüchternen Urt meinte, e3 werde fo {hlimm nicht werden; noch nie Habe die Erkenntnis einer Wahr-heit der MenfHhHeit Schaden gebracht; weder des Kopernikus noch Darwin’s Entdedungen {jeien ihr nachteilig geworben.Er glaube an die Lebensfähigkeit der Menfjchenraffe: wie jedes gefunde Individayum den Trieb der Selbjterhaltung Habe, fo befige jede Lebensfähige Gattung einen Injtinkt, der fie alles verwerfen Xajle, was ihrem Gedeihen Gefahr brächte:die Menfdhheit in Ihrer SGefamtheit verwerfe zum Beifpiel ein {Hädlihes Maß von Leidenfchaft: Individuen Könnten an diefer zu Grunde gehen, die Menfhheit dagegen nie.Diejer Inftinkt fer eS wohl, der bei der allmähligen Firierung der Sittengefjege dem Griffel geführt habe. „IM vertraue,“jo fchloß er, „Diefent Sicherheitsventil, und fahre mit vollem Dampf in das Gebiet der Erkenntnis hinein, mich vor den Konfequenzen nicht fHeuend!“
Qudwig Konnte nicht mehr an fich Halten. Wie eine {odernde Flamme IHoß er empor: „Nun Yt3 genug des tollen Zeugs! MicdH empört’8 im Grunde meiner Seele! IH irage Sie alle bei Ihrem SGewifjen: fühlen Sie nicht un-aufhörlih in id das mächtige und geheimnisvolle Wirken des Willen und Hören fie nicht tündlichH die mahnende und ermunternde Stimme des göttlichen Gewijffenz? Und all’ das jo bloßer Schein und all’ daz foll Inftinkt fein, wie ihn ein jegliches Tier Hat? Slanbte id) auch meinem eigenen Gefühle nicht, ih würde mid dennoch abwenden von diefer nichtsmürdigen und erniedrigenden Auffaflung menfhlichen
X. Boßhart, ur Nebel. 8
[114]Wenn’ lenzt.
Wefen3! Sie ekelt mich an! Was ift daz für eine wahn-finnige Fahrt, diefe Fahrt nach fogenannter Erkenntnis!Diele Fahrt auf einer Hypothefe, für deren Wahrheit kein zuverläffiger Zeuge eintritt, mährend in jedem Menfchen eine Stimme fih dagegen auflehnt! Und wie leichtfinnig ift die Art, fi über die Möglichkeit {Ylimmer Folgen Hinweg-zujeßen! Un der Theorie der Willenzunfreiheit fol auch nur einer zu Grunde gehen, ijt daS nicht @runds genug,den Yuark in den Sumpf zu jHleudern? YWber ich fehe noch viel Schlimmere8 hinter dem Hag lauern: wenn in ung alles fi begiebt mie in der toten Matur, wa3 wird dann au8 dem, mwa3 unfer eigenjtes Wefjen ausmacht? was uns über alle Gefhöpfe der Erde emporhebt? Wo bleibt... ..“
„Halt ein, Ludwig!“ rief Robert Wunderli mit dröhnender Stimme dazwijcdhen, „Halt ein! der Milchkefjel über]chäumt und du bringit uns um unfjer Mittagseffen !“
Der Notfhrei des OnkelS bildete einen foldhen Kontraft zu der Predigt des Neffen, daß alles in Lachen ausbrach,dem jedoch ein gewaltiges Zijcdhen gar bald Einhalt gebot.Alle Köpfe wendeten fihH nach dem Herde.
Einer der Sennen Hatte dort für die Gefellfchaft Mildh über das Feuer geftellt. Schon Hatte fihH die Haut über die weiße Sahne gezogen, fchonm zijdhte der Keffel und quollen am Rand Blajen auf, al8 Ludwig3 donnernde Stimme Io3-brad) und aller Wugen, au diejenigen des Mildwächters, auf den feurigen Apoftel Lenkte, Diefe Gelegenheit benugte die Milch,um fi zu bäumen und einen keden Sprung inz Freie zu hun.
Der Senn, fihH jeiner Nachläffigkeit {Hämend, brummte in den Bart wie zur Entfhuldigung: „Wer kein Heid’ ijt,gönnt auch dem Herragott etwas!“[]Wenn’8 lenzt.
115 Ludwig madhte nochmals Anftrengungen, die nach dem Milchkefjel geflogene Aufmerkjamfkeit einzufangen und wendete jih an die, welche zum Hordhen noch am eheften auf-gelegt {chien.
„Sie haben diefen Streit Heraufbejhworen, Fräulein,ih glaube das Recht zu Haben, von Ihnen eine Erklärung zu fordern. Sagen Sie, wo liegt Ihrem Gefühle nad) das Recht?“
Blanka fchien diefes Eramen nicht behaglich zu fein; fie fchwieg ein Weildgen, fahH danır durch die offene Thlire ins Freie und fagte: „Mid dünkt, wir fteden arg im Nebel.“
Man Xächelte ob der ausweidhenden Wendung. Der Direktor aber fuhr feiner Tochter mit der Hand freundlich über das braune Köpfchen und Jagte mehr zu fihH, al zu ihr: „Dit Haft wohl recht: arg im Nebel! Draußen Kiegt er grau auf dem Pfade, der zur fonnigen‘ Bergipibe Führt und in ung verfperrt er jeden hHellen Auzblik in das Weite und in die Tiefe.“Sudwig war mit der Antwort nicht zufrieden, er ver-langte Haren Befcheid, mit wem fie e8 Halte. Da drehte fi Blanka dem Onkel zu und fagte fchallhaft: „Mich dünkt, hr Kirchenlicht fei ein gar fladerig Ding, eine Fadel,in die der Sturm bläjft: ich fürchte daran Feuer zu fangen.Halten Sie nicht auch die Lokomotive für weniger gefährlich?“
Sn dem Augenblide griff Franz, den der Streit nicht aufgeregt hatte, nach einer fOmweren Kuhglode und fing an,fie mächtig zu {Ahwingen, jo daß man in der Hütte fein eigenes Wort nicht mehr hHörte. So wurde dem Gerede ein Ende gemacht und bald darauf war die ganze SGefellfchaft um die hölzernen MildhHjHüffeln verfammelt und von Einem Gedanken befeelt.3 []{
+Wenn’8 lenzt.
Nach der Mahlzeit verließ Franz die Hütte, um fein Bedürfnis nach Bewegung zu befriedigen und Ludwig folgte ihm nach. Daß fie fih foeben geftritten hatten, war fchon wieder vergeffen, denn das war ja ihre täglide Übung, und zudem war e3 bei ihnen nie ein Streit zwifchen Bruder und Bruder, fondern zwijdhen Wiffenfchaft und Theologie.
Smmer noch Iagen die Nebel dik und dunkel auf der Alp. Al die beiden fihH ziemlidH weit von der Hütte ent-jernt Hatten, ftand Ludwig plößglih ftill: „Du Haft mehr Slüc bei den Frauen al8 ich,“ fagte er.
„Wie 10?“
„Du Haft ja gerade Heute den Beweis dafür bekommen:Sräulein Blanka hat dich mir vorgezogen.“
„Du bift nicht gefheidt! Du wirft doch ihre Worte nicht ernft genommen haben? Dem Mädchen {ibt ja ein feiner Teufel im Köpfchen.“
„Aber Hat fie nicht ganz unzweideutig für Dich ent-Ichieden ?“„Du bijt ein Närrhen, Ludwig! Du Hätteft ihr die Antwort nicht fo zu Jagen mit der Lanzenfpibe abnötigen jollen! In folh einem Mädchen regt fich auch etwas wie Stolz und Widerfpruchsgeift, und willit dur es zwingen, dir etwas angenehmes zu fagen, fo mußt dur froh fein, wenn dur immer fo Geil davon fommft wie Heute, Übrigen? it mir verjchiedeneS in Euerm Benehmen aufgefallen; Kanntet ihr Such fhon?“
„Sa.“
Und nun erzählte Ludwig feine Liebes und Leiden8-gefhichte vom Januarball bis zum Waldfejte und das Ende der Herzensergießung war, daß Franz dem unaglückichen []Wemu’8 lenzt.
‘7 Siebhaber verfprach, er werde nicht nur nicht als Neben-buhler auftreten, fondern fih anftrengen, das Verhältnis zwijchen Ludwig und Blanka wieder zu dokftern. Ludwig war jo gerührt, daß er dem Bruder um den HalZ fiel und die Thränen die Dankesworte erfjtickten.
Da tönte lachend durch den Nebel der Ruf: „Abhal. die Streiter feiern Verföhnungsfeft !“
&3 war Blankas Stimme. Die beiden Jünglinge Tießen fih fahren und, in die graue Wirrnis {pähend, erblicten fie noch, wie einen leichten Schatten, des Mädchens entfhwindende Gejtalt.
„Hang das Nebelgefpenft ein!“ fagte Stanz. „Ih will Dir Helfen.“
Die Brüder trennten fich, um fich im Nebel zu ver-lieren. Subwig rannte wie Gefefjfen Her und Hin, die Weide auf und die Weide ab. Mehrmals Hörte er neben {ich oder Hinter fich das Lachen eines Kobolds, aber immer, wenn er fich drehte, fah er nichts als einen leichten Sek, über den fih im Nur das gleihmäßige Grau des Nebel8 z0g.
Cinmal aber, nach einer Yangen SJrrfahrt, meinte er zwei plaudernde Stimmen zu Hören und wirklich dort waren zwei Sleden nebeneinander.
„Gola!“ rief er, „Haft dır das SGefpenft eingefangen ?“
Über wie er’3 rief, da {toben die zwei Fleden Links und recht auseinander und berjhwanden,
„Was {oll das bedeuten? Warum eilt Franz vor mir davon? Was ijt zwijden ihnen vorgegangen? Sollte er...Nein, fo ift er nicht! Verrat gleicht ihm nicht! Und wenn doch... wenn...“
Und in Ludwigs Seele z0g quälende Eiferfucht ein gegen die feine Vernunft nicht auffam.
[18]Wenn’S lenzt.Als er zur Sennhütte zurückanı, {tand die ganze Ge.jellichaft vor der Thlüre und faßte gerade den Entjhluß, im Nebel auszuharren, denn der Führer und die Sennen waren der Meinung, daß über Nacht daz Wetter {ih ganz wohl zum beffern wenden könnte.
Franz ftand bei den andern, gleichgültig plaudernd; nur Blanka fehlte.
„Du Haft mit ihr gefprodhen?“ raunte Ludwig feinem Bruder ins Ohr.
„Hu! wer wird mit Gefpenftern fih einlaffen !“
„Haft du ein Wort für mich anbringen fönnen? Was hat fie...”
„Waz ein Gefpenft jagt, fpricht Fein fterblidher Mund nach! Forfche nicht!“
In dem Augenblide fam Blanka durch den Nebel heran,näherte jiH in ungezwungener Weife den beiden Brüdern und fing mit Franz ein [Halthaftes Wortgefeht an, das fie {0 zu wenden mußte, daß auch Ludwig daran Hätte teilnehmen fönnen, wenn ihn die Eiferfucht nicht ganz in ihrem Bann gehalten und allen Humor3 beraubt Hätte, Al3 die übrigen KReifenden fichH wieder in das Innere der Hütte begaben, |Hloß er fig ihnen mißmutig an und verkrochH fih in einen Winkel,die Hölle hHerbergend. Die beiden anderen folgten bald nach.
Die ganze SGejelljchaft machte gelangweilte Gefichter, die einen fuchten auf ihren rohen Sigen einzuniden, die anderen zogen ihre Cigarren au3 der Tajche und zündeten fie langjam und bedächtig an, mit der Väftigen Zeit geudend.
„Aber Hören Sie, meine Herren, mit etwas müjjen wir ung die Zeit Kürzen!“ fagte endlihH Blanka. „Wer Fennt ein Spiel, das für ung alle paßt?“[]Wenn’3 lenzt.
7 y
Federmann zuckte die Achfeln,
„So müfjen wir ung ander3 behelfen! Der Morgen ver-berging un3z im Handumdrehen. Lefen Sie uns doch noch eine Shrer SGe[hihten, Herr Redaktor!“
„SIG finde fein befonderes Veragnlgen daran, ein paar Stunden lang vorzulejen, Fräulein, aber wenn die Gefellidhaft e3 wünfjcht. ...“
„Nein, es ft nicht recht, einen einzigen für die Unter-Haltung auffommen zu Aaffen,“ rief Kakob Kappeler das zwijdhen. „Wie wäre eS, wenn jeder fein Scherflein bei-trüge? X wäre bereit, den Anfang zu machen und ein eigene3 Erlebnis zum beften zu geben, ein Erlebnis, an das mich der Disput der jungen Herren IebhHaft erinnert Hat. Darf ig Sie damit...“
„Wir bitten Sie darum, Herr Kappeler!“
„So leihen Sie mir denn Ihr Ohr und wo meine Erzählerkunit nicht ausreicht, wird vielleicht Ihre Nachficht ihr beifpringen.“
„Sedes Yahr, wenn im hal die Kornfelder gelb werden,“fo hub der Erzähler an, „erfaßt mich...“
„Aber geben Sie doch dem Kind einen Namen!“ unter-brach ihn der NRedaktor, „das wet zum vorauzZ Interefje,giebt eine Ahnung deffen, was da kommen fol.“
Safob Kappeler fan ein WeildhHen und fagte dann :
„Dem ift Leicht zu entfprechen! Der Titel meiner SGe-Ichihte jet: [] Der Grenzäger. [] „SIedes Kahr, wenn unten in der Cbene fich die Korn-felder zum Sterben rüften, packt mich die Sehnfucht nach des Frühlings Farbenleben und nach des Winters Feierlich-feit. Dann Hole id meinen Bergitock aus dem Ofenwinkel hervor, lange meinen Rucfak vom Nagel Herab- und ftecke das bischen Geld, das ih mühjam und ungern erfpart Habe,in den Beutel. In einem dröhnenden „Brrr“ blafe ich meine Alltagsfeele von mir und ftürme davon, Hoffend, der Sonntag werde in meine Bruft einfehren. nach langen Tagen einförmiger, abftumpfender Arbeit. Und tritt mir einer entgegen und fragt mich: „Wohin fo eilig?“ fo jcAnurre ih an ihm vorüber und deute mit der Hand nach Süden: „Zu fieben alten Bekannten, zu Gevatter Schneemann und zu Sebvatterin Alpenwieje 1“
€ war im Sommer 189. Sch Hatte die Nacht in Chable, unten im Dranfjethal, bei meinem alten Freunde, dem Doktor Caron zugebracht und am Morgen. waren wir ZU-fammen aufgebrochen, er, um nach feinen SGafthäujern in SFionnen und Mauvoifin zu. fehen, ich, um über den Col de Fenötre nach Valpelline - hinüber zu jteigen. Der Alte: war geiprächig und erzählte von feinen Bergfahrten, ich aber Hörte nur halb zu und unterhielt mich um fo Lebhafter mit den []12:
Der Grenziäger.wettergebräunten Golzhäufern: „Wie feid ihr Fomifch! ihr habt neun Füße, aber folgen Könnt ihr mir nicht hinauf,wo der Lenz juft eingefehrt ift;“ und ich unterhielt mid) mit dem freundlichen Lourtier, an deffen Wohängen die legten Serftenfelder emporkletterten, mübhfam, al ob ihnen der Atem ausginge; und weiter oben ließ ih mir die Sturmesweife der Dranfe durch die Seele braufen: e8 war in den leßten Tagen Heiß gewejen und der Fluß jHäumte und tofte und donnerte herab, al3 Hätte er all die Fel8-blöde, die ihm im Wege liegen, in einem Tag in Trümmer jlagen müffen. Bei Mauvoifin, im AUnbli des Giötroz-gletichers, der feine Eisklumpen fradend in die Dranfe hinunterfleuderte, wie Riejen in den alten Sagen ihre Fel8-Möge, nahm id Abfchied von dem waderen Doktor. „Spute dich!” rief er mir noch nach, „ih trau” dem Wetter nicht.“
Und ich fputete mich durch daZ einfame, baumlofe,men{denverlafjene Thal, in dem nicht? wandelte als id und ein paar Wolfenjchatten, in dem nichts zu hören war, al8 das Knirfjhen meiner genagelten Schuhe auf den Steinen,der eintönige Takt meines Bergjtodes und nebenan das Wanderlied der Dranfe, die hier friedlihere Art hat, als weiter unten, wo ihr Zorn entflammt in der engen Schlucht von Mauvoifin, in der fie zu erftiden meint. Bald achteten Yugen und Ohren auch auf diefe Dinge nicht mehr und mein Seijt verjank in jene füße Träumerei, die die Einsde un8 fo gern in die Bruft träufelt wie ein hHarmlofes, den Schmerz verfhenchendes Narkotikum. So wanderte ich thalauf,die Füße verfahen ihren Dienft wie eine Mafchine oder wie ein treuer Knecht, der feine Pflicht auch thut, wenn der Gerr über Land gegangen ift, und der Bergitock pendelte auf []Der Grenziäger.
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Jeinem Stelzbein nebenher alz Hätte er eigenes Leben be-fommen.
Da Hang ein feharfer Pfiff an mein Ohr und danu noch einer und noch einer: nun kam der Mafjchinenmeifter Herbeigeeilt, um Über fein Vehikel zu wachen, denn man fanıt ja nie wiffen! Beine und Stock merkten fogleich, daß der Herr in der Nähe fet, hielten an und waren der Befehle gewärtig. Das erfte Kommando galt nicht ihnen, fondern den Augen und den Ohren: „Aufgepaßt!“ C€3 war nichts wahrzunehmen und Meifjter und Majdhine ftanden undeweg-li wie der Jäger und fein Hund vor einer Dach2hHöhle.
Nach einer Weile durchdrang wiederum ein Pfiff die {hweigfame Öde, wie eine. Sternjhnuppe den regungslofen Himmel, und bald darauf Ihob fich ein dunkler Fleck Hinter einem Fel3blode hervor. Nun erkannte ih den Burfchen,den ih da vermutet Hatte. Ih Hielt mich ganz {till; da wurde er Dreifter, machte das „Männchen“ und mufterte lange die Gegend. Er mußte fich ganz fiher glauben; er blies noch einen Pfiff zwijchen feinen Zähnen hervor, aber einen gemütlichen, der da etwa fagen mochte: „Kommt nur,Kinderchen, e8 war nichts!“ Dann wandte er fih und trollte davon, feinen Ginterkörper Iuftig aufwerfend. Ihr aber folgte ein ganzes Rudel Gefährten, wohl an die fünfzig. Ih erinnerte mich, irgendivo gelefen zu Haben, daß in einigen Alpenthälern die Murmeltiere ein Nomadenleben führen und vermutete, daß dieje Schar brauner SGefellen im Begriff war, ihre Sommerrefidenz zu beziehen. Ih befchloß, fie auf ihrer Wanderung zu beobachten und fchliH ihnen Xautlos nach; fie aber Haben feine Najen und es dauerte nicht lange,da meldete mir ein Miiff, daß der Spion entdeckt fei. Nun
[126]Der Grenzjäger.galt e8 wieder zu warten, bis fie fih auf3 neue hHervor-wagten und fi über den faftigen Rafen davon machten.Manchmal blieb ein forglofes Bürfhehen zurüd, um ein Kräutlein abzunagen, daz ihın Gefonder3 fett und wohl-fHmecdend fhien und id mußte dann Hinter einem Stein-blode warten, biz eS ihm gefällig war, den anderen nach-zuhoppen.
Wie Iange ich die Murmeltiere belauerte, weiß ih nicht;ih hatte des Doktors „Spute dihH!“ ganz vergeffen. Endlich,al8 ich eine Erdwelle überfhritt, überrafchte ich fie, wie fie {ich anfdhicten, auf einem [Hmalen Stege über die Dranfje zu fehen.Sie witterten mich. Große DBeftürzung! Angfterfülltes Pfeifen! Sollten fie hinüber? Sollten fie Schuß fuchen in dem Steingeröll, daz zwijdhen mir und ihnen lag? Ein ent/Oloffener Alter machte der Ratlofigkeit ein Ende, indem er in ein paar gewaltigen Sägen über den Steg purzelte.Und nun ging e& Hinter ihm drein wie die wilde Jagd, die Hinteren fprangen den Vorderen auf den Rüden, Ddiefe meinten [hon, id fajje fie am Pelz und geberdeten ich wie toll; einige fielen vom Stege herab in die Wogen und hatten ein hübfhes Stück Arbeit, biz fie fi auf dem Trodenen das Wafjer wieder aus dem Felle fHütteln konnten. Ein einziger unanjehnlider Burfche machte bei diefem Kopflojen SGebahren nicht mit; er richtete fiH auf den Hinterpfoten in die Höhe, {Haute zu mir hinauf und maß wohl die Diftanzen.Dann, wie ich mich nicht regte, hoppte er ohne fih befonders zu beeilen, mir entgegen und verfhwand unter einem Steine,„Aha, dachte ich, es giebt aljo au unter euch etwa einen,der feinen eigenen Weg geht“, und freute mich der Thatfache,
Nun ging das LQauern von neuem an; den auten []Der Grenziäger,
127
Bergmäufen aber mußte der Schrek in die Beine gefahren fein, fie ließen fi) nicht mehr bliden, Schließlich ging mir die Geduld aus und ih bequemte mich, meinen Weg ohne fie fortzufeßen. Erft da fiel e& mir auf, daß das Thal ganz ander3 geworden mar. Dunkles SGewslt wälzte fichH über grauem Nebel an den Abhängen herab, wie ein fHwarzer,unheimlidher, zerlumpter MRMeiter auf einem Xanghaarigen Schimmel. Ein eifiger Windjtoß fegte den Halden entlang und {hien mir den Weg verjperren zu wollen. Nın {putete id mid, aber was Half3? Als ih einen neuangelegten Pfad erreicht Hatte, der fajt fenkrecht über der graufchäu-menden Dranje fih durch Schutt und Gersll arbeitet, da brach e8 Ios. Ein Leuchtender Blig war dazZ Zeichen, ihm folgte ein Xrachen wie von einem zujammenbredhenden Berge,dann jtürzte der Regen, in den fidh {chwere Schloßen mifjchten,herab und peitfchte mir unbarmherzig das SGeficht. Al ein-mal die Vorftellung eröffnet war, da war reichlich für Kurz-weil geforgt: einmal über’3 andere zucdte e& rot durch das graue hal und dazır tobte das Orchefter, daß mir war,ih fei in einem Baufenfejfel. Wollte ich die Augen sffnen und nach dem Wege fehen, fo {Hlug mir der Sturm mit feinen triefenden Schwingen ing Geficht, um mir zu ver-ftehenm zu geben: „Seine Majejtät das Wetter blickt man mit jterbliden Augen nicht an!“ Sch drückte mich gegen die jteile Bergmand und wartete, bis die Herrichaften ihr Mütchen gefühlt hätten.
Die erfte Wut Iegte fi bald, der Hagel Hörte auf zu fallen, aber der Regen jtrömte unaufhörlih in diden Strängen herab. Ich feßte meinen Weg fort, um ein Obdach zu fuchen;da ertönte e8 auf dem Wege hinter mir: patidh, vatich, patich!
[128]Der SGrenzjäger.Sch kehrte mich um und fah durch die vom Regen fOraffierte Quft einige Beine tiraben, zwei Hörner wadeln, eine Schnauze puften und Hinterdrein die fHlappige Krämpe eines fOhwarzen Hutes fih auf und ab jHwingen, wie die Flügel einer Krähe.3 war ein Hirt, der ein Rind vor fih Hertrieb. Al die beiden an mir vorüber f{tampften, rief ih den Mann in feiner Sprache an: „Suter Freund, giebt’3 eine Hütte in der Nähe?“ Er aber kümmerte fih nicht um meinen Ruf und patfch! patfh! eilten Mann und Tier davon, daß der Rot fprigte. Ih fand, eS fei das Hügfte, iYnen zu folgen,trottete hinterdrein, und ließ meinen Sack Iuftig auf dem KRücen tanzen. Die beiden wendeten nicht? gegen meine Gejfelljchaft ein und fo ging’3 dahin, drei wie einer, wohl eine Stunde weit. Wir febten auf einem wadeligen, aus bier Fichtenftämmehen bverfertigten Steg über den Bergftrom und ftiegen dann langjamer eine rafige Halde empor. Das braun-geflecte Rind führte ung felbjtbewußt an und trug den Schwanz Hoch, wie ein Fähnrih fein Fähnlein; der Hirt fcHritt Hinter ihm Ddrein, die Hände in den Hofentafjhen und den Stocf unter dem Arme; fein Rücken rundete fih, als Iafte der triefende Schlapphut mit Centnergewicht darauf. Er trug nicht3 al8 ein rotes Hemd ohne Kragen, Kurze Hojen aus braunem Stoffe und wohl das Koftbarfte an feiner Aus-rüjltung ein paar folide Schuhe, deren grobe Nägel das Kraut zerfebßten. Statt der Strümpfe fah ich an feinen Waden einen dichten natürlidhen Balg, der durch das Regen-waller geglättet worden war und an dem der Schmuß des Weges fi ankflammerte. DasZ Rind war fauberer und trug fich f{toßzer als fein Treiber.
Von der Höhe Herab fOlichH in wandelbaren Geftalten []Der Grenziäger.
129 der Nebel und umzingelte uns nach beftem Kriegsgebrauch;unfer Zähnrich aber Kfannte den Weg und {qOritt unbeirrt vorwärts. Dann ftand er einen Augenblik {til und ftieß ins Horn, daß eS mächtig fOHallte. Der Nebel oben antwortete Fünfzigfah und Schellenkflang mifdhte fihH in das langgezogene Sebrüll: die Herde rief uns ihr „Willfommen!“ entgegen.Noch einige Hundert Schritte und wir entdeckten durch den Nebel, wie ffizziert auf graue Leinwand, die plumpen Leiber der Kühe, die riefenhaft erfdOhienen, und das flache Schindel-dach einer Sennhütte mit den Kantigen Steinen darauf. Das Vieh, da3 dort oben umfonft nach einer fHlbkenden Wetter-tanne ausSfpäht, hatte ih während des Unwetter3 in die Nähe der Hütte geflüchtet und ftand nun da durchnäßt und traurig und über die Haut fuhr von Zeit zu Zeit der Froft wie ein Schwarm feiner Wellen über einen Teich bei einem Windftoß. AWber das AlpenviehH Hat eine philofophifche Uber: e3 war til in fein Schiefal ergeben und mochte denken: „Die Sonne fommt jHon wieder, um mir das Fell zu wärmen, ein Weildden kann ih mich fchon gedulden!“Nur wenige Hatten unter dem fHmalen Bordach der Hütte Schuß gefunden; die freuten fihH ihrer trodenen Haut und wiederkäuten friedlich; die anderen aber zeigten keine Spur von Neid, fie drängten fich zujammen, um fih zu wärmen,und die fich lieb Hatten, beledten einander.
Bor der Hütte war firBdider Kot; der Hirt durch-watete ihn behaglih, als wäre er der fauberfte Mafen ge-wejen; ich folgte ihm und trat ohne lange zu fragen ein,während unfjer Zähnrich fich in der Herde verlor. Die Hütte war von einem fo didten Yualm erfüllt, daß mir beim Eintreten die Augen überliefen. Joh fragte mich
S. Boßhart, Im Nebel, 9 []f za
Der SGrenzjäger.ernitlih, ob ih nicht beffer thHäte, den Rückzug anzutreten;das Feuer aber, daZ Iuftig an einem ungeheuern Keffel emporledte, hielt mich zurüd. Mein Begleiter fcHivenkte feinen Hut mehrmals her und hin, fo daß daz Waffer wie ein feiner Regen davon flog und auf dem Feuer zijchend ver-dampfte; dann hHängte er den unfürmlichen Filzfeben an einen Nagel und fig zu mir wendend fagte er Kurz: „Bonjour,M’sieur!“ Jh erwiderte den Gruß, dann fjebten wir uns zum Feuer, jeder auf einen Stein und fahen zu, wie unfere Gewandung zu dampfen begann und fühlten mit WohHlbehagen die Wärme uns allmählich auf die Haut dringen. Nach einer Weile z0g ich meine Feldflafche hervor, trank ein Becherchen ‚Hendant‘ und reichte eine dem Hirten hin. Er trank es nach einigem Bögern aus. Ih fah, daß e8 ihm mundete und ob ihm ein zweites zu, nach dem er eiliger griff, al3 nach dem erften. Nun war das Ei8 gebrochen. Er wurde ge Iprädhig, f{Oimpfte zuerft über das Wetter und fragte mich dann, woher ih komme und wohin ih wolle. Dann, ohne meine Fragen abzuwarten, lenkte er daz Gefpräch auf fich felbft. Er war der Schulmeifter von Lourtier oder Lourquier,wie er fagte. Jm Winter Lehrte er die Jugend das abe und das Einmaleins; im Sommer verdingie er fihH al3 Knecht und Hütete da3Z Kiebe Vieh. Von feinem Winterberuf {prach er nicht viel und offenbar ungern, und ich merkte wohl, daß ihm die Sennhütte und die Kuhherde lieber waren, als das Schulhaus und der Kinderjhwarm.
Während wir uns gegenfeitig ausfragten, fam aus dem inneren Raume der Hütte ein Meines, graues Männchen mit einer BZipfelfappe auf dem runzeligen Köpfchen. (Er Hatte uns wohl fdhon Xange kommen Hören, aber er war nicht []Der Grenziäger.
131 neugierig, diefer Alte. Er brummte kaum vernehmlich das übliche bonjour, warf traf) aus feinen blinzelnden Auglein einen Blid nad mir und machte fih dann mit dem Senn-gefchirr zu fHhaffen. Der verfhmähte das alltägliche „wer?“und „was?“ und „woher?“ und „wohin?“ denn wozu fragen,wenn einem ein Blid alle3 fagt, waz man wiffen will?
Draußen dauerte das Unwetter fort; ftatt Regen fiel nun flodiger Schnee und ih fah ein, daß ich an diefem Tage meine Keife nicht fortjeßen Konıte. Ih fragte, ob ich die Nacht in der Hütte zubringen fönne. Der Schulmeijter hHeftete einen fragenden Blid an den Grauen; diefer gewahrte idn endlich und brummte dann: „S’il veut....‘“ Darauf wandte fih der Schulmeijter wieder zu mir: „An Heu Haben wir Feinen Mangel und auch eine Wolldede ijt da; wenn Euch das zujagt, {ft e8 uns Ihon recht.“ Ih war e8 zU«Frieden.Der Alte fHlürfte in der Küche Her und hin, der Schulmeijter und ich fahen inzZ Feuer: über ung beide war jene füße Schläferigfeit gefommen, die mit der Wärme des Inijternden Zeuer3 in die Glieder fcHhleicht. Wie ich fo Halb wach, Halb träumend da faß, war e8 mir, al3 Hörte ich Tritte vor der Hütte. Ich fah über das Feuer Hinweg nach der Thüre und fuhr leicht zujammen: nad mir ftachen zwei böfe Schlangenaugen, die zwifchen einer Hutfrämpe und einem {truppigen Bart Hervorfchoffen, al3 wollten fie mich durchbohren.
Ehe ich Beit Hatte, genauer hin zu fehen, war die Er-fOeinung wieder verfhwunden. Der Heine Graue mußte fie au) bemerkt haben, denn er rief mit feiner mürrifdhen Stimme: „Vnez toujours!‘““ Da erfchienen der Bart und der
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Der Grenziäger.Hut wieder unter der Thüre und wieder zielten die [Hwarzen Üuglein giftig nach mir, fo daß e& mir fafjt unheimlich wurde und ih zu mir fagte: „Mit dem fcHläfft dur nicht unter einem Dache!“
V’nez toujours! wiederholte der Alte; da {hob ih die SGeftalt herein, finfter, räuberhaft, wie man fich einen Verbannten auZ der guten alten Zeit vorftellt. Dem erften folgten zwei andere, jüngere. Ale drei gingen in Lumpen und Hatten Lange Zwilchfäce mie Mäntel um die Schultern geihlagen; in der Hand führten fie ungefügige Anüttel und den Kopf deckten verwetterte, fFormlofe Hüte, um die dide,rote Schnüre liefen. Sie feßten fih neben ung ans Feuer,daz feinen reinen Schein auf ihre ungewafchenen SGejichter warf. Der Alte mochte 60 Fahre alt fein; der firuppige Bart wucherte auf dem ganzen SGefichte jo üppig, daß man unter dem Hute außer ihm nichts Jah als eine dife, etwas gerötete Nafe und den böjfen Glanz der beiden Augen. Die Geiden anderen waren Burfhen von etwa 18 Kahren, denen der erfte Saum {proßte und das Geficht mit einem {Ömußig-gelben Rahmen einfaßte. Sie Jahen fihH fo ähnlich, als Hätte man fie von einander gefhnitten; e& mußten Zwillinge fein.War in dem SGeficht des Alten Rohheit und Schlauheit gepaart, {fo machten die Jungen mit den langen Armen,den dien rijfigen Lippen, den ulattgedrücten Nafjen und den mächtig Herausfchwellenden Kinnladen den Eindruck von ftumpffinnigen, gefräßigen Tieren.
„Du lait chaud?‘“ fragte da8 graue AWlpenmänndhen.
Der Unheimliche ftieß ein Kurze8 „„si‘“ erbor und warf dann den Sad vorn fih, fo daß die nervigen Arme, die gewaltigen Schultern und, da Kittel und []Der Grenzjäger.
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Hemd vorn offen waren, die ftarkbehanarte graue Bruft frei wurden.
Der Senn brachte die MildhH in einem großen Hökzernen Gefäße, das der Alte feinen Buben zujfhob. Die tranken nach einander wie daz Vieh, in langen, langen Zügen, {tarrten dabei fteif in das Gefäß und man Hörte die Füffigkeit wie ein Brünnlein durch den Hals gurgeln. Derweil z0g der dritte eine Schnap3flafhe aus feinem Kittel und ließ deren Mündung in der Wildnis feines Barte3 verjhwinden. Dann reichte er fie dem alten Sennen hin; der Holte ih, ohne ein Wörtlein zu fagen, ein KHeines Gläschen, fOHenkfte es voll ein und ftellte e& auf einen Balken, fi den Labetrunk auf eine andere Stunde verfparend. Der Schulmeifter war unvermerft hinausgegangen; ih fah es ihm an, daß er an den Gäften feinen Gefallen Hatte, Die Hütte wurde fOHweigjam,wie wenn fie unbewohnt gewejen wäre; die drei Gefellen Hatten ihre Pfeifen angezündet und {Hauten ftumm vor {ich hin, nur der Alte drehte manchmal jeine beweglichen Äuglein One wie ein Blig nach mir. Siner der Jungen vergaß bald an feiner Pfeife zu fangen: er Hatte der behaglihen Wärme nicht widerftehen Können und improbifierte ein TOÜchternes Schnarchen. Da fahH der Alte fiH nad m um, brummte etwas in den Bart und griff gemächlih nach jeinem Stode, den er wuchtig auf den Rüden des Buben niederfallen ließ. Der ftieß einen tierijhHen Schrei aus und fuhr auf wie ein Tiger. Al3 er aber fah, wer in fo unjanft berührt Hatte, und ferner fah, daß der Stod des Alten nicht übel Luft Hatte auf3 neue zu tanzen, duckte er fig Enurrend nieder. Der andere Junge jah ihn an und lachte dumm, die die Fauft vor die Zähne Halktend.
[134]Der Grenziäger.Die drei Unheimlichen blieben biz zum Einbruch der Nacht.Dann erhoben fie fiH auf ein Zeichen des Alten. Der ftecte noch dem Hirten eine Handvoll Rauchtabak als Zehrgeld zu und fOlüpfte dann, gefolgt von feinen Jungen, durch die Thlüre hinaus in die graue Dämmerung, wie ein Wolf, der mit feiner Brut auf Beute zieht.
€ war {don Nacht, al3 der Schulmeifter, der unter-deffen das Vieh beforgt Hatte, wieder in die Hütte trat.
„Sind die Kerle fort?“ fragte er.
Sch bat ihn, mir zu Jagen, was e8 mit ihnen für eine VBewandtnis Habe,
„Si nun! Ihr feht e8 ja: Schmuggler find’3.“ Da ich noch nicht ganz befriedigt fhien, fügte er Hinzu: „E38 ift ein Vater mit feinen zwei Rangen; der Alte Heißt Hier zu Sande nur der „Luchs“. Ihr Habt wohl unten in Fionnen recht vom Wege, dem neuen Gajthaufe gegenüber, einen Heinen Spezereiladen gefehen. Dort machen fie ihre Einkäufe in Tabak, Zuder, Chokolade und Schnaps. Sie verforgen das ganze hal drüben damit.“ „SGräßlide Menjchen!“ febßte er nach einer Paufe, wie zu fich felbft redend, Hinzu.
„or (heint ihnen nicht grün zu fein“, warf ich ein.Der Schulmeijter zudte mit den Achfeln und ftatt zu ant-worten zündete er feine Pfeife an, die er mit Schmuggler-tabaf geftopft Hatte,
DaSZ graue Männchen, das fhweiglam wie ein Haus-geift hin und her Latfchte, rückte einen rohgezimmerten Ti{d aus einer Ede und ftellte Milch, Käfe und hartes Brot darauf.Dann wälzte er einen fhweren Holzpflod herbei, der ihm al8 Stuhl diente, und fing an zu efjen. Der Schulmeifter that desgleichen und Iud mich ein mitzuthun. X öffnete meinen []Der Grenzjäger.
125 Sad, bot meinen Wirten Schinken und geräucherte Wurft an, bie fie mit gierigen Augen beblinzelten, aber erft nach der unumgänglidhen ‚Ziererei ih fOÖmeden ließen. Der Alte ging nad dem Ejfjen glei) fHlafen. Mich Codte das Heu nicht und ich kehrte wieder zu dem allmählich verglimmenden Heuer zurüd. Der Schulmeifter leiftete mir SGefelljchaft und ic, zum Dank, entforkte die lebte Fafche Wein, die ich bei mir Datte. Er holte jein eigene Gla8 aus irgend einer Ede des Raumes hervor und hielt e& gegen das Licht.{ah au8, al3 Hätte man e& mit Seife eingerieben. Der Schul-meifter betrachtete e3 eine Weile, {AHielte nach meinem Metall-becher, in dem {Hon der goldige, Kriftallflare Wein perlte und machte dann eine energijde Bewegung wie einer, der einen großen Entfhluß faßt. Er verließ die Hütte und ich hörte, wie er draußen am Brunnen mit den Fingern eifrig fein ©las fOheuerte, fo daß eS zu KHingen anfıng. Darauf trodnete er e3 über dem Feuer, ließ c3 {ih füllen und freute fih des Heiteren ‚Fendant‘ wie ein Kind. Al er das erfte Glas geleert Hatte, blickte er fOmweigjam aber unruhig vor fig hin, er mußte mit fih Jelber nicht ganz einig fein.Endlich öffnete er leije die Thüre, weldhe in den Schlafgaden führte, und da ihın das Langgezogene Schnarchen des Alten entgegenfnurrte, job er fie fachte wieder zu und febte fich jo nah al möglih zu mir hin. Noch rutfchte er ein paar Mal unjgHlüffig auf feinem Steine her und Hin und Hub Ddanıt an:„Sr habt midhH nad den Schmugglern gefragt. Ih trage fchon länger denn zwei Jahre ein Geheimnis mit mir,das mich fürchterlich drückt und in da3 ih aus Furcht noch niemand Habe [hauen Laffen. Die drei Schmugagler, die Ihr []._z&En
Der Grenziäger.heute fahet, wiffen außer mir allein darum. Ahnte der ent-jeblidhe Alte, daß ich damals gelauert Habe, ih glaube, er würde mich erbarmungslos falt machen. Drum wage ich nicht, € jemandem aus der Gegend zu verraten. Cuch aber fann id eS wohl anvertrauen; Ihr zieht Hier durch,fommt vielleicht nie wieder hierher und werdet mir nicht {haden wollen; ich aber kann einmal meinen Sad ausfchüitten.“ .50h verfprach mir nicht Jonderlich viel von der Schmugg-Lerge[Ohichte des Schulmeifters. „Immerhin, dachte ih, wenn fie nur ein wenig über die Langeweile Hintveghilft, ift e8 ja jhon Gewinn genug“. IH füllte die Gläfer und fagte zu meinem Sejelljchafter: „Trinkt erft einen Schlud, e3 wird dann leichter von Herz und Zunge gehen.“
„Sm nächften GHerbft werden e& drei Jahre“, fo begann er.„Wir Hatten fhon fajt alles ViehH auf die unteren Weiden getrieben und ih war mit wenig Kühen Hier oben geblieben.Da trat fchlechtes Wetter ein wie Heute und e8 fchneite wie im Jänner. Id faß am Feuer auf diefem Fleck und fehnte mich fajt nach der warmen Schulitube, und das abe und das Einmaleins {Hiyirrten mir verworren durch den Kopf.Da trat ein Burfche in dunkelblauer Uniform zu mir herein und {ftellte fein Gewehr dort in den Winkel. E€3 war ein italienijcher Grenzwächter. Ih fah ihn ungern, denn hie Sorte von Leuten bringt öfter Unheil al3 Geil und dann,wa3 Hatte er zu fchaffen auf Schweizerboden? „Was begehrt Shr hier?“ fragte ih ihn. Er fagte, er Habe fich im Nebel verlaufen und fehe fich genötigt, mid um ein Dbbdach zu bitten, objhon er wiffe, daß e8 gegen Jeine Inftruktion fet.Was fonnte ih machen? €E3 war fhon fpät am Tage, ich []Der Grenzijäger.
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7 fonnte ihn nicht in den naffen Schnee Hinaustreiben und hieß ihn bleiben.
Er that jehr freundlih und war gejprächig. 8 die allgemeine Unterhaltung zu {toden anfing, lenkte er das SGejpräch wie von ungefähr auf die Schmuggler: vb fie fich Häufig fehen Kießen, und ob fie in der Hütte einfehrten. ch £hat anfänglich, als Hürte ich die Frage nicht, er aber ließ mich nicht 10S. „Ia nun“, fagte ich endlich, „es gehen hier dann und wann Leute vorbei, die Schmuggler fein Könnten,aber fie beichten mir nicht und ich frage niemand nach feinen Gewerbe. Ih Habe anderes zu fchaffen, als zu jpionieren.“
„Sennt Ihr den Giacomo Noli?“
Den Fannte iq freilich, aber ich that nicht dergleichen.Wer hätte ihn nicht gefannt, wenigjtens dem Namen nach,den verwegenften Schhmuggler und den waghalfigiten Wilddieb weit und breit, Man nannte ihn nur den ‚Teufel‘. Freilich fannte iq ihn, den roten Burfchen, mit den Enorrigen Armen,die den Äjten einer Eiche glihen, und id dachte: „Aha, auf den hat’S der Blaue abgefehen! Hüte dich, Junge! ‚der Teufel‘läßt fich nicht fangen wie eine einfältige Maus oder erjchießen wie ein Herrenlojer Hund! Sin Gemsbock oder ein Grenz.jäger, was liegt dem daran!“
NachtS legte fih der Wächter neben mich ins Heu. Etwa um bie zwölfte Stunde wurde ih durch ein unheimliches Ühzen und Stöhnen gewedt. € war mein Schlaffamerad,deffen Bruft rang und arbeitete, al8 hätte einer daz Knie darauf gefeßt. Ich taftete in der Dunkelheit nah feinem Arme und rüttelte ihn. Da fuhr er in die ©öhe: „Laß mich, Giacomo, Xaß’ mich in aller Heiligen Namen!“ fchrie oder ftotterte der Halbwache in Todesängften. Sch aina in []ll zu
Der SGrenziäger.den vorderen Gaden und Kehrte mit einer Laterne zurüc.Der Grenzwächter faß Halb aufgerichtet im Heu, bleich, mit verjtörtem, {tierem Blid und immer noch Feuchender Brauft,„Sr Habt von Giacomo Noli geträumt?“ fagte ich.
Er gab mir Feine Antwort, fondern murmelte für fih:„Santa Maria, Madonna Janta!“ und vergrub fich wieder in8 Heu und fhlief ein, oder that doch dergleichen.
Um Morgen, al ich erwacdhte, war er verfhwunden.Sm frilden Schnee {ah ih die Spur feiner Tritte, die nach der Maßhöhe führte. Eine grenzenlofe Unruhe padte mich.„Da fpielt fih etwas ab“, dachte ih, und vermochte nichts zu fchaffen, und wo id Hintrat, fah ih den Grenzwächter und den ‚Teufel‘ vor meinen Augen. Schließlich hielt ih eS nicht mehr au8, ih JHloß die Hütte und ftieg, den Spuren im Schnee folgend, bergan. Etwa eine Stunde weit oben führt zin unbegangener, gefährlicher Pfad dem Bergabhang entlang und dann über den Gletjcher thHakwärts, Fionnen zu. Dort entdeckte ih den Blauen; er faß Hinter einem Felfen, un-beweglidH nach dem Gletjcher Hinüber jHauend und nur von Beit zu Zeit jich Leicht emporredend, lauernd wie eine Lake.Er flößte mir Schauder ein, diefer Kaltblütige Menfjcdhenjäger,und io dachte: „Ganz recht, daß dir der Teufel den Schlaf verjalzt!“ Ich verbarg mich und war entidhloffen auszuharren,bi3 fich etwas ereignen würde; aber ich wartete zweit, Drei, bier Stunden nichtz! Ih fror entfeglih an die Füße, die im Schnee {tafen, und endlich gab ich e8 auf und KFehrte zurüd.
A die Nacht Heraufftieg, KHopfte e& an die Thüre.Sch glaubte, e& fei der Wächter und beeilte mich nicht Jonder-lich. Da erdröhnte die Hütte von einem gewaltigen Fauft-jolage, der hHölzerne Riegel Frachte entzwei und die Thüre []Der SGrenziäger.
139 jprang fnarrend ins Haus: vor mir jtand der ‚Teufel‘ und jtieß einen grimmigen Fluch aus, und hinter ihm erfchien der ‚Luchs‘ mit feinen Iungen; die Iachten ob meines zer»{chmetterten NRiegels. Alle vier trugen fOmwere Säde; fie famen von Fionnen und Hatten des IMlechten Wetter3 wegen nicht ihrem gewöhnlichen Weg oben über den Sletfcher, fondern unten dem Fuß entlang genommen.
„or Habt eine gute Naje gehabt“, fagte ih zu den Schmugglern, al3 fie ihre Säcke abgeftellt hatten.
„Wie meint dır da 27 fragte der ‚Teufel.‘
„Oben Hätte Euere Haut leicht Löcher bekommen Können.“
„Sit ein Spärhund oben?“
„S3 Könnte wohl fein!“
„So? etwa ein Junger? etwa mit Idwarzem Haar im Geficht? etwa mit einer Schmarre über den Augen ?“
„Bon meiner Größe, aber f{Hmäler über die DBruft.“
„Er ift’31“ fagte der ‚Teufel‘ Halblaut zu feinen Ge-fährten und dann zu mir: „Wo Jahft dur ihn?“
„Oben, wo man nach dem Sletfher abjhwenkt.“
„Sollen wir ....?“ raunte der ‚Luchs‘ dem ‚Teufel‘ zu.
Diefer warf mir einen Bli zu, den jeder verftanden Hätte und der jagen wollte: „Sebt geht dich unjere Rede nichts mehr an!“
3 ging in den inneren Gaden, aber die Neugier trieb mic, das Ohr an das Loch dort zu Legen, das durch das Herausfallen eines Aftauges entftanden ift Ihr feht es boch, im zweiten Brett, in Schulterhöhe? Da Hörte ich, wie ber ‚Teufel‘ Halblaut fagte: „Slaubft dır, ich woll ihn aufs jtöbern und Hinterlijtig überrumpeln etwa wie ein Gemstier?Zreff” ih ihn einmal durch Zufall ... “
[40]Der Grenziäger.Er machte den Sag nicht fertig, fondern fcOnalzte mit der Zunge, wie wenn man ihm einen Lederbiffen vor-gefebßt Hätte.
„VBergiß nicht, daß er ein Gewehr Hat, da3 trägt auf taufend Schritte, und wir mit unjeren Piftolen. .. .“
„Du fprichit wie ein Schuljunge! GHätt’ ih nichts als etwa einen Stein in der Hand, ih mwidhe dem Serbling nicht aus, und hätt’ ich feinen Stein, müßt’S nicht mit den nackten Armen fein?“
Und wieder jAHnalzte er fo ftark, daß e3 KHang, wie ein Bfiff. .
„Sch dächte wir thHäten’3, dann Hätten wir Ruh’ für Monat und Tag!“
„Wir müßten auch dem da drin dazZ Maul ftopfen,denn der Hat fchon waß gewittert, verlaß’ dich drauf!“
„Sonit fommt’8 dir nicht {o drauf an!“
„Wir dürfen uns die Sennen nicht auf den HalZ Laden!Und dann mag ih ihn nicht auflauern, du hHörjt’8: offen! fo [oW8 fein! offen! Sft der ‚Teufel‘ etwa eine Kage, die vor dem Loch Hodt, biz e8 fih trifft?“
„Laß’ mid den Handel beforgen! Du weißt nichts davon, Feiner weiß nicht? davon, dem da fchlag ich das Maul zu, e8 fol Fein Hahn ....“
„Wag’3 und rühr’ ihn an! Und ih flag’ dih un-geipigt in Grund und Boden hinein! Mich geht der Handel an! Bin ih etwa ein feiger Hund, dem das Fell fcHlottert?Wag’8 und rühr’ ihn an, und du Haf’3 mit dem ‚Tenufek“ zu un! Mir gehört er!”
Sr Hatte dieje Worte zwijhen den Zähnen Hervor-gebreßt, wohl vernehmlidher, al8 er e& wollte, und es []Der Grenziäger.
141 flang fo wild und tierifjh, daß mir ein Schauder über den Rücken Kief.
„Ge, Kuhnedht! wo bift du?“
Ih zögerte noch ein Weildhen, um fie in der Meinung zu laffen, ich fer zu Hinterft in der Hütte gewefen und trat dann zu ihnen hinaus.
„Sat der Hund etwa hier geflafen ?“
„Sa, er famı Jpät, ih Konnte ihn nicht wegichicen. . . .“
„Kommt er etwa wieder ?“
„SO Hoffe, er bleibt aus, aber wer Kann wiffen. ...“
„Und dur willjt daz Heu wieder mit ihm teilen?“
„3 Üt Nacht, wenn er jebt noch Kommt, was Kann iQ Hun? E3 ijt Sennenbrauch, feinem die Thüre zu ver-riegeln.“„Wirft dur ihm etwa Jagen, daß wir hier waren ?“
„9 werde mich Hütten.“
„9 rat’ e8 dir!“
Und lautlos {lichen die vier davon; der Vorderfte aufrecht, den drei anderen frümmten fi die Rücken unter der Lalt. So verfhwanden fie in der Dunkelheit wie Nacht-geifter. Sch aber atmete auf.
Eine Stunde fpäter iqh Hatte kaum einen neuen Riegel fertig gezimmert KNopfte eS wieder. Das mußte der Örenzjäger fein. Seit ih ihn fo Kaltblütig auf Menfcdhen lauern Jah, Hatte ich einen Eifel vor ihm und ih hätte ihn am fiebiten von der Schwelle gewiefen. Um ihm zu zeigen, daß ih mid durch jeinen BefuchH nicht fonderlich geehrt fühlte,ließ id ihn drei, vier Mal anpochen. Endlich öffnete ich.Er war halb erfroren, fdOhien aber nicht foOlechter Laune zu fein.[]1‘2
Der Grenzijäger.„Sr fam Euch nicht in Schuß?“
„9 fah kein Bein.“
„DaZ war ein Glück.“
„So fag’ au ich: ih Hätte ihn erfdhießen müffen.“
„Oder er Euch!“
„Vieleicht! Wer Kann e8 wilfen. Ciner wird es Jon fein.“
„Aber warum tragt Ihr denn Eure Haut dahin, wo er drifht?” Er gab mir Feine Antwort, fondern rieb und rieb jeine halberftarrten Finger und KMaubte dann die fcharfen Patronen aus dem Magazin feines Gemehres, um fie in der Patrontafche zu bergen. ;
In der zweiten Nacht wiederholte fidh der Auftritt der erften: id mußte den Burfchen wieder aus feinen Todes ängiten aufmweden. Er dankte mir, ich aber benußbte die Gelegenheit, um ihm eine Predigt zu halten: „Warum, Un:glüdsmen], wollt Ihr nad Giacomo jagen, wenn Ihr ihn doch jo fürchtet und feinetwegen Nacht und Tag in der Hölle figt? Drüct dohH ein Auge zu über feinen haten,oder beffer alle beide! Steigt da hinauf, wenn Ihr ihn drunten wißt, und fteigt er hinauf, fo laßt Euch BZahn-(Omerzen oder ein Magenweh oder einen Herenfhuß verfchreiben und jegt Euch drunten ans Kamin! Was kümmert e& Euch,daß er den armen Teufeln drüben billigen Zucker einframt und den Staat fHädigt! Den Staat! al8 ob der nicht genug hätte und allezeit reichlich zu feiner Sache fäme! Was kann Euch der Giacomo fo übles gethHan Haben, daß Ihr im nad dem Blut trachtet? Warum müßt Ihr... .“
„SO muß, weil ih muß,“ unterbradh er mich; „eS giebt Menjchen, die Können nicht wollen, fie mülfen, müffen,[]Der Örenziäger.
‚43 müfjen! So einer bin id. Und nun Iaßt mich wieder [Olafen 1“
Um Morgen war ih wach, als er in aller Frühe auf:brach. IM ließ ihn ruhig gewähren, denn ich wußte, daß ion heute der ‚Teufel‘ nicht anrennen Konnte, daß der vielmehr drüben in der Heimat feine Ware an den Mann bringen und fig ein Räufchdhen antrinken werde nach altem Schmuggler-brauch. Io {ah dem Wächter mit Halbver[hkoff’nen Augen zu, wie er {ein Gewehr forgfältig Iud, dann den Rofenkranz aus der Braufttafche 309, niederkniete, die gewohnten Gebete Hermurmelte und jAHließlicH mit dem Tone eineS zehnjährigen Kindes etwa folgende Worte fprach:
„Maria, Madonna del buon consiglio, dır fiehjt mein Herz und was ich denke, alles ift dir offenbar. Du weißt, daß mich nicht gelüjtet nach Jeinen Blute, oder weißt du’3 ander3? Und du weißt auch, daß ih ihn töten muß. Im Himmel aber fibt eine wie du, und die Hat e& mir gejagt, daß e3 fo kommen müljje. Lege nun du eine Bitte ein bei deinem Sohne, daß er fage, ich müffle nicht. Willit dur e& aber nicht fo oder fannjt dur eS nicht mehr ändern, fo führe ihn mir auf ben Weg, und bald, bald, und wenn meine Hand es bor Zittern nicht kann, fo Halte du fie, denn mich tötet die Angit, und wo id Hingehe, da folgt fie mir nach,Stapfe in Stapfe. Mir ift die Qual bitterer, al8 mir daz Beben füß ift; drum mad’ ein Ende, Madonna del buon consiglio, Amen.“Er ftedte dann einige Biffen Käfje und Brot zu fich,die er fih am Wbend ausgebeten Hatte und verließ die Hütte.3 e8 dämmerte, Kehrte er wieder zurück; e& war, wie ich borausgefehen Hatte, nichts vorgefallen. So gina e8 noch
[144]Der Grenziäger.zwei weitere Tage. Ih XKannte die Gewohnheiten der Schmuggler und wußte, daß fie in den nächjten Tagen wieder hHerüber kommen und dann einer Begegnung mit dem Spion nicht aus dem Wege gehen würden. IH bejhloß deshalb, noch einen Verfuch zu machen, den armen Burfchen,den ih nun für Halb verrüct Hielt, zur Geimkehr zu be-wegen. Al3 er im Morgengrauen wieder aufbrechen wollte,ber]perrte ich ihm den Ausgang und fing an auf ihn ein-zureden. Er aber Hatte auf alle meine VBorftelungen immer nur den einen für ihn unumftößlidh fejtjtehenden Einwand:„SO kann nicht wollen, id muß, ih muß, iO muß!“
Da an diejem Schild alle meine Pfeile wie ftumpfe Spähne abprallten, verfuchte ich, fein religiöfes Gewiffen zu zrjchrecdfen, denn ih Hatte wohl gefehen, daß die Hirchlihen Dinge in feinem Kopfe Hoch aufgefpeichert waren.
„IH gebe zu“, fagte ich, „daß die Schmuggler große Sünder find und der Giacomo nicht der JojephH unter ihnen;aber hat denn nicht der Herr jelber verkündet: Ich will nicht den Tod des Sünders?“
„SO habe Beweife und Zeichen, daß der Himmel feinen SDd will!“„Sind Sure Beweife fo Fräftig und die Zeichen, die Ihr habt, ohne Widerrede ?“
„ss glaube e8: ih habe meine Träume.“
„So, Träume Habt Ihr und darum glaubt Ihr? Meinet-wegen! Ihr mögt ihnen glauben, aber wiffen thut Ihr nichts!Wiffen! wiffen! Träume! geht mir doch mit Euren Träumen!Und gefeßt nun, Ihr begeht den Mord und e8 kommt ein-mal der jüngite Tag und Ihr werdet gefragt: ‚Warum Haft du dem Giacomo Noli das Leben verkleidet? Was Haft du []Der Grenzijäger.
145 dich vermeffen, den Richter zu fpielen auf Erden? Wer be-fahl dir, deine Träume für meine RNatfchlüffe zu nehmen?Sagt, mit was werdet Ihr dann die Blutfleden aus Eurem Sewändlein auslaugen ?“
Da er fchwieg, fuhr ih weiter: „Geht hinüber und tretet im eine Sapelle und betet um ein Zeichen, das das Sonnenlicht auzhält und nicht zergeht wie ein Räuchlein.Seht, aber verfprecht mir, daß Ihr Euer Gewehr gegen keinen Menfchen ladet, eh’ Ihr fagen Könnt: Nun ift es mir Jonnen-Mar: der Himmel will, daß ih ihn töte.“
Er faute an den Spigen feines Schnurrbartes und z0q die Augenbrauen zujammen; dann fagte er Kurz: „Out, ich will thumn, wie hr jagt.“
„Sebt mir Euer Gewehr, ehe Ihr geht!“
„DaZ darf ich nicht.“
„So gebt mir die Patronen!“
Nach einigem Zögern Xeerte er feine Patrontafche und das Magazin feines Gewehres und überreichte mir die Kupfer-Hüljen mit dem grauen, tötlidhen KXopfe. Dann ging er hinaus und ftieqg Tangfam bergan, der Baßhöhe zu.
IQ {ah ihm erleichtert nad. € follte mir aber nicht fange wohl fein; denn vor Einbruch der Nacht trat er wieder in meine Hütte und fagte: „Nun bedarf e8 keines Zeichens mehr! Spricht ein Herr Hundertmal zu feinem Anechte:Thue dies, tue das? Zu mir Hat der Himmel Hundertmal geredet und ih Habe getroßt! Und Heute Hat fein Zeichen auch das Tageslicht nicht gefcheut!“
Sch war bverdrießlih und mandte ihm mwortlos den Yücken.Drauf, in der Nacht, e& war am Jahrestage des heiligen X, Boßhart, X Nebel. 10 []_
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Der Grenziäger.Seodegar, wecdte mich der Grenzwächter aus dem Schlafe und bat mich, die Laterne anzuzünden.
„Laßt mir meine Ruhe!“ nurrte ih ihn an.
„Morgen gefchieht’8, ih weiß e8 und kann nicht {hlafen vor Erwartung und vor Angft. Wär’ nur fchon gethan!“
„Brecht meinetwvegen jeßt fchon auf, nur liegt mir nicht in den Ohren mit Eurem verrückten SGejchwäß !“
„Nein, ih muß e8 Euch fagen; Ihr müßt mich Hören.“
„Schert Euch zum Kuduck mit Eurer Litanet!“
Ih drehte mich im Heu auf die andere Seite, er aber froh an mid heran, bis fein Mund meinem Ohre nahe war und flülterte in einem Tone, in dem zugleich Freude und Schauder zitterten: „Morgen gefchieht’3: fie it mir Heute zweimal erjchienen.“
„So, ift fie? Sag’ ihr, ich laffe fie grüßen!“ Damit itieß iO ihn weg. Mir ward unheimlich bei dem Verrückten.Er aber ließ fi nicht abfhreden, und wieder fühlte ich jeinen warmen Hauch an meiner Bade: „Spottet nicht!Bündet die Laterne an und dann Hört mid an!“
Er ließ mir Feine Ruhe, bis ih Licht machte, dann jebte er fig zu mir, ja) mid an mit feinem fOwarzen, un-täten Schwärmerauge und wurde auf einmal vertraulich wie ein Rind mit feinem Vater:
„Drüben weiß e8 ein jeder, dır aber fannft e& nicht wiffen, drum bverftehjt dır mich nicht,“ fo fing er an zu er-zählen. „Ih bin in VBalpellina aufgewachfen. Wir hatten ein Meines Haus, am Fuß, abfeitz vom Wege. Mein Mütter-gen war eine Heine, liebe Frau im braunen No, die faß am Spinnrad und fpann Wolle vom Morgen bis zum Abend und einen langen Teil der Nacht dazu. Bu anderen Leuten []Der Grenziäger.
147 ging fie nie ober felten und fprach nicht viel; fie Jchien ftet3 befümmert und traurig zu fein und mandymal Habe id) ge jeden, wie ihr daz Wafjer über die Wangen Ichlich und auf die fMeißig fpinnenden Hände Kugelte. Nur wenn fie mich abends inz Bett Tegte und Herzte, {ah ih fie lächeln.Meinen Vater habe ih nie gekannt. Al ih einmal das Mütterhen fragte, warum ich Keinen Babo habe wie Sattlers Baolino, da fagte e8 mir, der meine fei geftorben, als ich noch nicht einmal auf der Welt gewefjen fei; er fei ein Schmuggler gewefen, einft miüffe ihn auf dem Berge etwas zugeftoßen fein: man Habe ihn verftümmelt und tot inz Thal hinabgebracht. Mehr fagte e8 mir nicht und fchien nicht gern bon meinem Babo zu reden. Später Haben mir fremde Leute gefagt, wir Hätten einen Nachbar gehabt, den man Siannuccio nannte; der fei Fuhrmann gewejen und habe die Saumtiere über den Berg in die Wallifer Thäler getrieben.Yuf einmal Hätte mein Vater angefangen ihn zu Haffen und in zu verfolgen und eines Tages, als fie auf dem Berge zujammengeftoßen feien, müßten fie fich gefiritten Haben: man habe fie beide ganz zerfhellt am Fuße einer Felswand ge-funden, noch im Tode fejt verfchlungen und ineinander verbiffen.
Sch Hatte noch einen Bruder und wir beide waren das Kreuz der Mutter. Wir Haben un8 nie vertragen und Hakßten un3, feit wir Haffen Konnten, ohne daß ih eigentlidh recht wußte warum, Mir war immer, er trage die Schuld,denn er war fünf Jahre älter al8 ich und viel ftärker und wenn die Mutter nicht da war, um ihm zu wehren,Ichlug ec mich oft fürchterlich weil, wie ex fagte, fie mich hätichele und bevorzuge. So wuchfen wir auf. Al er 17 Jahre alt war, trat ‚er einmal ‚vor die Mutter hin
10*[1] ei
Der Grenziäger.und fagte, er wolle Schmuggler werden, der ‚Luchs‘ nehme ihn mit, er habe e3 ihm verfprodhen. Sie {hob das Spinn-rädchen beifeite und fah ihn bittend an und fprady: „Lhw3 nicht, mein Bub, thuw3 nicht!“
„Warum fol ich’3 nicht? Ift e8 kein Gewerbe, das feinen Mann nährt wie ein anderes?“
„S3 ijft fein gute Gewerbe.“
„E3 war das meines Vater3!“
„E3 ijt doch Feins, das Segen bringt!“
„Natürlich! weil’s mein Vater trieb, i{ft’8 fAhlecht! Der ‚Quchs8‘ hat e8 mir gejagt, du Haft meinen Vater nicht leiden mögen. Ich weiß, ih weiß jebt alles, und ich will des Vater3 Gewerbe treiben, weil er eS trieb, und willft du es nicht, jo thu ich’8 dir zum Trog und ihm zu Lieb!“
„Sab’ id deinen Vater nicht leiden mögen, fo war’8,weil er ein roher Menich war und mich fchlug, und liebte ich fein Treiben nicht, {vo war’3, weil e$ ein unredlihH Treiben war. Folg’ ihm nicht nad und glaub’ deiner Mutter: e$trägt Fein @lüd ein: e8 bringt nicht3 als Angft, und bringt e8 dir feine AUngit mehr, fo ijt _aus dem MenfchHen ein Tier geworden. Folg' deinem Vater nicht, und glaube mir!alaube mir!“So flehte fie ihn in beweglidhen Worten an. Umfonft!er erhibte fi immer mehr und ging fOließlihH im BZorne davon. Seither hat er nicht mehr in unferem Häuschen gewohnt, nur von Zeit zu Zeit fanden wir vor dem Fenfter,auf dem Gefim3, in VBapiertüten Zucker, Chokolade oder Kaffee, die niemand ander3 al3 er für’s Mütterchen hingelegt haben Konnte. Da3Z Hätte mir manchmal Luft gegeben, ihn aufzufuchen und Frieden zu machen; aber ih wußte, daß e8 []Der Grenziäger.
14 }ein bergeblicher Gang fein würde; denn wenn er mich auf der Straße traf, that er, al3 Jähe er mich nicht und fpuckte jedesmal geräufchvoll aus, wie er an mir vorüberfhritt. Km übrigen war ich mit diejem Verhältniz zufrieden, bekam ich doch keine Schläge mehr.
So wurde ih 19 Jahre alt. Ich Hatte meine Lehrzeit bei Meijter Gioggio, dem Wagner, beinahe vollendet und wir zimmerten {don Pläne, das Mütterhen und ich, wie wir nachher unfer Leben einrichten wollten. Da, als ich einmal nach dem Feierabend Heimkam, fand ih die Mutter im Bette,fiebernd und Frank. Sie Hatte, was wir den ‚Seitenftich‘nennen, und wollte fi davon nicht mehr erholen. Das Sieber verließ fie freilich nach wenigen Wochen, aber die Rräfte Fehrten nicht wieder und fie fing an troden und Hohl zu Huften. Die Uugenhöhlen bohrien fihH immer tiefer in den Kopf hinein, die Wangen verbargen fiH unter den Baden-inochen und an den Händen {lach jedes Anöchelchen hervor.Sie {prad) oft vom Sterben und ich blieb Tag und Nacht bei ihr, denn ich fürchtete jeden Augenblik, e8 fönnte mit ihr zu Ende gehen.
Un einem Woend, al3 ih bei ihr am Bette faß, trat mein Bruder herein, legte ein paar Tüten auf den Tijch,jtellte fi dann vor das Bett und ergriff Die Sand der Kranken: „Du fiehft übel aus, Mutter!“ „Sa, e8 geht mit mir wohl zu End“. „Haft dur vergeffen, daß dır zwei Buben haft?“ ;
„Nein, id habe die Zeit immer daran gedacht und Hab’au gedacht, wie elend eine Mutter ift, wenn fie Kinder hat,die fih fHeuen wie Leben und Tod.“ Dann fagte fie Yeifer,mie zu fih jelber: „Ih Habe e8 erfahren, wie der Himmel
[70]Der Grenzjäger.einen in feinen ®indern ftraft und einem bis zum Tod nicht ver-geben will, man mag beten Tag und Nacht, beten und weinen.“
Die Augen wurden ihr voll und fie fHluchzte: „Buben,meine Buben, mir ift, ih jet [Huld an eurem Haß; nun geh” id) aber aus der Welt, d’rum denkt, ich trage euren Haß mit mir ing Kirchengrab hinab und werdet zu einander,wie Bruder und Bruder fein follen.“
Mir ftanden die Thränen in den Augen und auch der andere fchien weniger Hart dreinzufhauen al3 fonjt. Er drehte fih nach mir um; aber in dem Yugenblid war es, wie wenn die Nacht wieder bei ihm einkehrte: die Augenbrauen zudten gegeneinander und er wandte fih weg mit unwilliger Seberde. Das Mütterhen fah eS, und ih gewahrte, wie ihr die Herzenznot au den Augen fchaute. Sie Hauchte mit ihrer müden Stimme Worte der Verföhnung, bis ihr die Araft ausging und fie fiH in ihr Kiffen zurücfallen ließ.Und wie fie fo Xag, hingen ihre Mugen an ihm und {prachen und baten in ihrer ftummen Sprache: „Ih weiß, was du Haft! Vergiß e3 und thı" mir den legten Gefallen, mir,deiner Mutter!“Er aber {Hüttelte den Kopf: „IH kann nicht!“ und JOicte fihH zum Gehen. Unter der Thüre {tand er {Hl und jJagte zu der Mutter in fajt weihem Tone: „Schi den dort aus dem Haus und ich will bei dir wachen und dir foll nichts mangeln, bi3 an dein End’! Thw3, thHuw8!“
Nun war e$ die Mutter, die in ihrem Kiffen {thımm den Kopf jHüttelte,
Das reizte meinen Bruder, denn er Hatte einen Teufel im Blut und wegen nicht? konnte er mandmal in ein Helles Rafen geraten. Er trat wieder ganz ing Zimmer und preßte []Der SGrenziäger.
YE
{zwijdhen den Zähnen Hervor, wie nur er c8 Konnte: „Immer er! er! er! So Haft du’s ftet3 getrieben!“
„Willie du ihn fortjhiden oder nicht?“ fügte er nach einer Baufe hinzu.
„SO ginge nicht!“ Arie id ihm zu. „Ih Hab’ das Recht auf diefen Plag!“ Da Ioderte er auf wie ein Garben-bund, das Feuer fängt. Man fahH e8 feinem Auge an, wie er nach einem Grunde des Hadern3 fuchte: e8 drehte fich ihn im Kopfe herum. Dann ftieß er Hanglos hervor: „Wo i{t die filberne Uhr hingekommen, die Uhr des VBater3 ?“
„SH habe fie“, erwiderte ich.
„So, erbt der da meinen Vater? diefer Ejeltreiber,diejer AMufgelejene, diefer Giannuccio! die-fer Gian-nu-ccio!“Er IOloß das Wort mit dem garftigen Schnakzen, das er in der Erregung jeden AWugenblik Hören ließ und das mir immer Angft einflößte, Diesmal aber fuhr mir eine Blutz welle in den Kopf, ich {ah rot vor den Yugen. Hätte der Schimpf nur mir gegolten, ih Hätte ihn Hinuntergewürgt,aber das Mütterchen, das arme Mütterchen auf dem Toten-bette! Ich) erinnere mich noch, wie ih ein Schrei auZ meiner Brauft Losriß und wie ih auf ihn einftürmte. Er {tieß feine ecfige Fauft gegen meine Bruft, jo daß ich zurüctanmelte,und wie ih aufs neue gegen ihn fuhr, fah ih ihn den Stiefelfnecht ergreifen, der neben dem Bette lag. Er Holte au3 und Hätte mich ficherlich niedergeftreckt, Hätte ich nicht {int den Kopf zurücgeworfen. So {ftreifte er nur die Stirne und jHlug fie mir wund: dur fiehjt die Narbe jebt noch, hier ift fie. IH fühlte, wie mir das Blut über das Geficht und in die Nugen floß und hörte das Wimmern der Mutter; aber ih hatte alle Vernunft vergeffen und ftürzte auf den anderen []{52
Der Grenzjäger.
003. Das Blut brannte mir in den Augen, ih faH nur halb, und eh’ ih meine Hände brauchen konnte, fühlte ich mich von feinen riefigen Armen umfblungen, jo daß mir die Rippen Krachten. Ih ftöhnte in der Beflemmung und Atemnot und griff mit den Händen aufs SGeratewohl in die But. Da wollte e8 der Zufall, daß meine Finger fih krampf-Haft in feine Gurgel eingruben: er fHüttelte den Kopf, feine Arme Coderten fidh etwas, ih faßte mit den Füßen wieder Boden und wehrte mid wie ein Rafender. Wir {Hoben uns hin und her in dem engen Naume, Feuchend, [Häumenbd.Da ftolperte er am Tijhe, wir fielen hin, Ffejt aneinander geflammert, ich oben auf, er unter mich. €3 war ein Wunder,daß eS jo Kam; denn er war ein Miefe an Kraft, und Hätte ih ihm die Kehle nicht zugellemmt, er Hätte mich zermalnıt wie einen Wurm. So rangen wir auf dem Boden wie wilde Tiere. Das Blut troff von meiner Stirne auf ihn herunter.Er wurde blau im Geficht und jein Leib wand fiH unter mir unbändig. So rajten, wir, bis wir beide erfhöpft waren und nicht mehr konnten, Dann ließen wir uns 1o8, wie auf zin Zeichen; er [Omankte hinaus, unter der Thüre wandte er fi um, ballte die Fauft und Knirfhte: „Dir zahl ib8 heim!“ ID wifhte mir das Blut aus dem Seficht; da fiel mein Blig auf die Mutter, die Halbaufgerichtet im Bette fak,mit weit aufgejperrten Augen; wie ein Geilt fah fie au8.„Ihr werdet euch noch töten!“ fagte fie zweimal und ih habe diefen vHnmächtigen Schrei der Verzweiflung nie aus den Ohren verloren: „Ihr werdet euch noch töten!“ Dann Janf fie ing Bett zurüd und {(Hluchzte, daß eS einen Stein Hätte er-barmen mögen und ih fah an dem Zittern des Bettzeuges, das fie fich über den Kopf gezogen Hatte, wie {ehr c8 fie erjhütterte.[]Der Grenziäger.
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Sie Iprad nicht mehr bis gegen Mitternacht; dann öffnete {ie nochmals die Yugen, fah mich f{ftarr an und Hauchte: „Ihr werdet euch noch töten.“ Sine Stunde jpäter verfchied fie. Ich weinte wie ein Rind und wünfcdhte mir feloft den Tod; denn Hatten wir nicht das gute, gute Mütter-hen gemordet ?
Gegen -Morgen |Hlief ih an ihrer Leiche ein. Da er/Ohien fie mir im Traum, gefpenftig und fchauerlich, wie ih fie durch mein Blut hindurch gefehen Hatte, und fie Jagte in einem fort: „Ihr werdet euch noch töten! Ihr werdet euch noch töten!“ Ih wachte auf, in falten Schweiß gebadet.
Der Gedanke, daß einer von ung de3 anderen Mörder werden Könnte, verließ midh nicht mehr, denn jene Worte,ih hörte fie in der Werkftatt aus dem Kreijchen des Hobels,au3 dem Singen der Säge; und fing ih zu Haus der Wind am DachH, oder fing er fi im Kamin, immer {ftieß er den Magenden Seufzer aus: „Ihr werdet euch noch töten!“ X mußte eS glauben, ob ih wollte oder nicht. Mir fiel nichts anderes ein, als daß ih das Opfer fein würde und e3 niftete fi eine Angft in meine Bruft, die mich keinen Mugenblik froh werden ließ, und legte ich mich nachtS nieder,fam mir immer der Gedanke: „Wenn er nur nicht einbricht.“Sch floh jeden Ort, wo ih Menfhen antreffen Konnte, aus Furcht, er Könnte dort fein. IH war entfhloffen, nur noch das Ende meiner Lehrzeit abzuwarten und dann der Heimat den Rüden zu Kehren. Da kam die Rekrutierung, ih wurde für den Dienjt tauglich befunden und unter die AWlpini ge-ftect. „Se nun, dachte ich, fo werd’ id) au Ruhe vor ihm haben.“
Wir hatten einen Nachbar namen3s Sellajo er it
[154]Der SGrenziäger.either geftorben. Der Hatte ein Mädchen, das fauberfte im ganzen Orte und wo ih auch Hingefommen bin, ih Habe fein zweites {fo gefunden, das darfjt du mir glauben. Ich war der Maria gut und merkte, daß fie auch mich wohl leiden Konnte. Um Tage, bevor ih in die Garnifon ein-rüden mußte, ging ih ins NachbarhauzZ hinüber, um den Seuten LebewohHl zu fagen. Da fing das Mägdlein zu weinen an; iQ faßte e8& in die Arme und verfprach ihın ewige Treue und fie mir auch. Das war ein feliger Abend. Am Morgen darauf verließ ich die Heimat, den Himmel unter den Füßen.
DazZ Garnijonsleben fiel mir weniger Hart, al8 ich er-wartet Hatte: wußte ich doch meinen Bruder dreißig Meilen weit! Und kam etwas, da3 mir nicht behagte, fo träumte ih von meiner Maria und vergaß darüber alles Ungemach.Nach einem Jahr bekam ich einen Urlaub von zwei Wochen.Io hatte diefe Zeit Lange erfehnt, mich trieb das Gerz zu meiner Braut, denn da fie nicht fchreiben Konnte und mir nur einmal, im Anfang der Dienftzeit, durch einen Kameraden zinen Gruß gejchict Hatte, wußte ih nicht, wie8 mit ihr jtand. An einem Sonntagabend kam ih in Balvellina an.Sch wollte am Wirtshaus vorbeieilen; da faßen aber einige Burfcdhen darin, die kamen Heraus, fhleppten mich mit fih und fchenkten mir zu trinfen ein, mehr al8 mir lieb war,und fhaten freundjehaftlicher, als ich e8 an ihnen gewohnt war. Endlih machte ih mid Io8 und grüßte fie. Da rief mir einer nach:
„Wohin wiljt dır denn? Doch nicht etwa zum alten Sellajo hinauf?“
„Und warum nicht zu dem?“
„Nun, ich meinte ja nur!“[]Der Grenzjäger.
AR
:5 „Was wilft dur fagen ?“
„SH dachte, e8 fei IHhade, daß dır gerade Heute Kommft;zu einer anderen Zeit Hätteft dır deine allernächjte VBerwandt-haft dort antreffen Können.“
„Bon wem fprichft du?“
„Si, jeht! Der Giovanni ift kaum ein Jahr von Hier fort und fhonm Kfennt er feine Verwandtjchaft nicht mehr!“Die anderen Iachten gezwungen. Mir dämmerte e8.
„WaS Hat er beim Sellajo zu {Haffen ?“
„Warum geht man zu NMadbarn? Man vertreibt fich bie Beit und ift ein Mädel da, um fo leichter geht’3 1“
Sch lachte: „Sr und die Maria! Das Habt ihr gut auSgehedt!“ aber das Lachen Hang mir nicht in der Kehle;mir war, ih habe einen Strid um den Hals und ohne weiter auf die anderen zu Horchen, ging ih das Dorf hinauf,im gewöhnlidhen Schritt, objdhon ih am Kiebjten gerannt wäre.
Da kam mir einer nachgeeilt, faßte mich am Arme und Jagte: „S3 war Fein Scherz, Giovanni! Maria hat e& mit deinem Bruder!“
Sch warf den Burfchen auf die Seite und febte meinen Weg fort. Das Haus war hell, aber gefhloffen. Ich polterte an die Thüre. Da Sffnete fiH behutfam das Fenjterhen und der Alte ftreckte fein grauesS, wadeliges Köpfchen inz Mond-Lit hinaus.
„Wer Mopft? AWha, dur. hijft’3, Giovanni?“
In dem Augenblid wurde drin daZ Licht ausgeblafen;da3 mußte fie gethan Haben,
„Was ijt Hier vorgefallen, Alter?“
„Sa, e8 giebt leidige Gefchihten! leidige Gejchidhten!Wer wer kann jo etwas vorausfehen, fo etwa8 vorausjehen?
[156]Der Grenziäger.3 hab’3 Lange nicht zugeben wollen, ja, Yange nicht, glaub’mir, aber du weißt ja, wenn der etwas will .... Kehr’wieder um, Giovanni, und nimm’8 nicht fo |Hwer, e3 hat noch manche Mutter ein liebes Kind!“
So plapperte der Alte. Ich überfhüttete ihn mit Schmähungen. Da fchlug er das Fenfterchen zu und ließ fi nicht mehr fehen.
Wie war das fo gefommen? Er mußte fie verhert haben, denn fonjt Hätte fie e8 nimmer gethan, ja, er mußte fie verhert Haben, weil er mich Haßte. Aus Haß Hatte er mir das gethan! „Ich zahl’ dir’ Heim!“ Hatte er einft gefagt !I Hopfte an Mariens Fenjter, denn ich wußte, wo fie Ichlief; fie Tollte mir fagen, wie e& gefommen jet und ich glaubte, wir müßten ung nur zwei Worte Jagen, und alles würde wieder wie einjt. Aber fie Sffnete das Fenfter nicht und rührte fich nicht.
30 faß vor dem Haufe bis gegen Morgen, bis der Mond Hinter den Bergen verfhtvand. Ich glaube, ih habe geweint; immer aber zitterten mir an jenem Ubend die gleichen Worte auf den Lippen, die Worte der {terbenben Mutter: „Ihr werdet euch noch töten!“
AS die Sonne aufging, befand ig mid auf der Straße zwifchen Valpellina und Aofta. Ich ging thalwärtzs, Wie e8 fam, daß ich das Feld räumte, ich weiß e8 nicht recht.€ war nicht Furcht vor ihm; iq glaube e& war eher Furcht vor mir jelber, Furcht vor dem Morde. BiZ da Hatte id aus den Worten der Mutter immer meinen Tod HerauSgehört, jeßt war e8 mir eingefallen, e8 fönnte ja aud anders kommen! Diefer Gedanke erfchredte mich und flößte mir Örauen ein: ich, ein Mörder![]Der Grenziäger.
137
In den folgenden Tagen bummelte ih der Garnifon zu und vertrank da3 bißchen Geld, das ih in der Taldhe hatte. co Konnte mich anfangs nicht wieder in die foldatijhe Ordnung fügen, id) benahm mid) wie ein Hartmäuliger Saul und 30g mir fHwere Strafe zu. Man warf midh in ein muffige8, dunkles Loch, in dem ich bei {OHlechter Koft Zeit genug fand, mein Slend zu überdenken. Da erfchien mir im Schlaf die Mutter, jo wie ich fie an ihrem Todestage auf dem Bette gefehen Hatte, gefpenftig und fchauerlich, und fie redete zu mir, aber nicht mehr wie damals: „Ihr werdet euch noch töten!“ nein: „Du folljt ihn töten! Giovanni, dır follit ihn töten!“ und fie Hatte nicht mehr jenes angfterfüllte SGeficht: der Zorn flammte aus ihren tiefen großen Augen-Höhlen. ‚So erjchien fie mir dreimal während meines Arreftes und feither weiß ich, daß ih ihn töten werde und e8 meine Mutter im Himmel fo will, ich mag mich jträuben und wehren, ih werde müffen, ih bin einer der muß.
AB ih meine drei Jahre bei den Alpini gedient Hatte,fragte mich unjer Hauptmann, wa3 ih nun anfangen wolle.Sch jagte ihm, ich {ei Wagner, aber wifje noch nicht,wohin mich wenden, in die Heimat zurücdzukfehren, Hätte ich feine Qujt.“
„Wir müffen die Grenzwächter in den Alpen verftärfen“,fuhr er weiter, „darf ich Sie vorfchlagen?“
Wie er das Wort ausfjprach, fuhr mir der Gedanke an meinen Bruder, den Schmuggler, durch den Kopf und ich bat mir zwei Tage Bedenkzeit aus. Wer hieß ihn, diefje Frage an mid ftellen? Warum fiel fein Auge gerade auf mich, da doch neben mir andere ftanden, die den Dienit fo gut hätten verfehen Fönnen wie ih? Auch er mußte! IH []‚58
Der Grenziäger.erfannte den Plan des GHimmel8: er wollte nicht, daß ich meinen Bruder umbringe al8 gemeiner Verbrecher, er wollte,daß ih ihn töte im Namen des Gefebes, ich Jollte fein Richter fein. Schon am folgenden Tage trat ih vor meinen Haupt mann und fagte, ich ftehe dem Könige zu Dienften, und nachdem ich die nötigen Unterweijungen empfangen Hatte,murde ih an die Schweizergrenze, nach Tirano, gefchidt. Ein Sahr fpäter verfeßte man mich nach Canobbio und vor zwei Monaten nach Aofta, immer näher meinem Ziele, ftet3 vor-mwärts, feinen Schritt rücwärts. IH ließ e3 ruhig gefchehen,was hätte ich vermocht gegen den Himmel?
YB ih vor wenigen Tagen von Wofta thalaufwärts IOritt und durch Valpellina kam, blickte ich ohne zu wollen nach dem Haufe, in weldem der alte Sellajo gewohnt Hatte.Da fand eine Frau unter der offenen Thür, e& war Maria.ID wandte mich ab, doch wie ich rafch vorüberging, hörte ih fie rufen: „Oiovanni, Giovanni!“ Ich achtete nicht darauf und ging meines Weges, AS iQ zurückfehrte und gegen das Dorf Hinunterftieg, faß fie am Wege auf einem Bornjtein und wartete, Wie fie mich ah, Bbarg fie das Seficht in der Schürze und fing an zu {Oluchzen. Sch war fon an ihr vorübergegangen, da {Orie fie, daß e8 ein Tier erbarmt hätte: „®iovanni, Giovanni!“ SH blieb ftehen,und als fie mir näher trat mit ihrem roten Augen, und mich anjah, wie ein HGHündhen, das etwas Unrechte8 gethan hat und die Peitfche erwartet und fat froh ift, zu fühnen,da brachte ich Keinen Vorwurf über die Lippe. Sie aber jhonte fi nicht und machte fich [Omwärzer, als fie war. AWber fie fonnte mir nicht jagen, wie e8 ji begeben Hatte: einft als fie in der Küche war, fei er unvermutet hereingetreten []Der Grenzjäger,
159 und Habe fie mit feinen Inorrigen Armen umfolungen und von da an Habe fie Feine Kraft mehr gegen ihn gehabt. Sa,er mußte fie verhert Haben, Al3 er merkte, daß er fie ganz in feiner Gewalt Hatte, fei er roh gegen fie geworden und vom Hochzeitstage an feien Schläge ihr tägliches Brot gewefen.
€ dämmerte im Thal, al3 wir zufammen Valpellina zufchritten. Die Dunkelheit entlodte mir meine düfteren Ge-danken und ih fagte Maria, daß eS mir beftimmt fei, ihren Mann zu richten. Da fchauderte fie: nein, ein Mörder jollte ich nicht werden! Wie ih ihr aber erzählte, wie es fig fo füge und wie das, was ih thunm müffe, fein fündiger Mord jei, ebenfowenig wie ein Mord im Kriege, da wurde jie ruhiger und fagte endliH: „Du mußt das befjer wiffen,Giovanni, und will’ der Himmel, wie dır fagit, fo wird es {Ion fein müffen.“
Dann vergaßen wir, was ung leid war und plauderten von dem, was einft gewejen, und wir wurden falt froh. Unten vor dem Haus fagte fie: „Komm’ herein, dur wirft Hungrig fein, Iaß’ deine alte Maria dir etwas vorfeßen. Zu fürchten brauchft dır nichts, er ift Heut über den Berg gegangen und fehrt erft in ein paar Tagen zurück.“ IH trat unter das alte Dach, wo ih einft fo oft gewefjfen, und wie’3 dann fam, eines um daS andere, es ift mir, ih Hätte e& blo3 ge-träumt. Wir wurden einig, unjer Leben und Lieben wieder da anzufnüpfen, wo wir e8 abgeriffen hatten an dem Tage,da ih in die Garnijon einrücen mußte. In der nämlichen Nacht haben Maria und ich Hochzeit gemacht und nun wartet fie drüben bi8 ich Komme und Jage: „Ih Habe meines Amtes gemaltet, dır Ddarfit mein fein.“
[160]Der Grenzjäger.Und ich darf es thun, id muß e8 fhun, und ich bin fein Mörder, fiehft du’3 nun, fiehft da’3 nun?
Um Morgen darauf bin ih ihm entgegengegangen und durch das Unwetter in deine Hütte verjhlagen worden. Das übrige weißt dır. Doch nein, eins noch nicht! Was mir heute, oben auf dem Baß, zugejtoßen ift, als ich deinem Rate folgend, Hinüberfteigen wollte. Ich fohlihH Iangjam bergan,mir alles Hundertfältig überlegend, und je mehr ih fann und je weiter id von dir weg war, um fo deutlicher wurde e3 mir, daß ich lang genug gefonnen, aber zu wenig ge Handelt Habe. US ih deshalb oben ankam und thHalwärts jhreiten follte, wollten meine Füße nicht mehr mitthun. Ich jeßte mid) auf einen Stein, am Rande de3 Heinen Sees, der Io ganz grün ijt, der gefällt mir beffer al3 die anderen, und ich grübelte und grübelte weiter. Wie e8 dann über mich kam,ig ann e8 nicht fagen: ih IHlief ein. Müdigkeit Konnte es nicht fein, denn ich fpürte nicht3 in den Gliedern und auch mein ®opf war munter und frei von dem Drucde, der mir feit Sahren von Zeit zu Zeit darauf Iaftet. Wie Lang ich ge-Idlafen, ih weiß e8 nicht. Plöglih war mir, ih Hätte etwas gehört, ih fuhr auf, da fahH ich aus dem Waffer fie,bie Mutter, tauchen, und fie faH nach mir, mit vorwurfs-vollem Blide. Ich ftieß vor Schred einen Schrei aus, da verjdiwand fie und ftatt ihrer Jah ih nichts als im Waffer-jpiegel daz Bild eineS gegenüberliegenden grünen Felsblodes.Mber fie erjchien mir fo deutlich, jo deutlich! e8 Konnte kein Trugbild fein! IH fah fie, wie ih meine Hand Hier fehe, wie ich dich fehe! ich fah fie Leibhaftig! Und das war das Zeichen,auf das du mich warten hHießeft! Das Zeichen, das die Sonne nicht [cheut. Sag’ jeßt, muß ich, oder muß ich nicht? Und heut []Der Grenziäger.
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Nacht ijt fie mir wieder erfchienen und ih Hörte ihre Stimme vernehmlidh: „O®iovanni, Giovanni, mad ein End.“ €tönte fo traurig, daß ih weinen mußte und mir war, meine Thränen fHwebten hinüber auf Mütterhenz hHohle Wangen und wurden zu {Öwarzrotem Blut, und ein anderer Teil fiel herab auf meinen blauen Rod und färbte auch ihn,Da wachte ih auf.
Nun weißt dır meine SGefchichte. Du fiehft, ih kann nicht wollen, id muß! id muß dem Ding ein Ende machen,und Heute wird e3 gefhehen. Wache bei mir bis zum Tag, mir fOaudert, wenn dur fchläfft, denn ih fürchte,fie fäme wieder, um midh zu mahnen. Ach, wär’z nur fhon gefhan!“Er {Öwieg; ih aber fahH ihn fOarf in die Augen und jagte: „®efteh’ mir noch eins! Hätte er dir nicht die Braut genommen, erhöbeft dur dein Gewehr dennoch gegen ihn?“
„Weiß ich denn, vb der Himmel auch ohne diejes Buben-jtück feinen Tod gewollt Hätte?“
„Wer ijt e8 nicht das größere Bubenftück, das du an ihm begehen willt, oder jhonm begangen Haft? Du Haft ihn jein Weib verführt!“
„Er hat fie mir weggehert; ih nahm nur zurück, was mir gehörte! Und dann will fie ja mein fein. Hätte es der Himmel nicht jo gewollt, er Hätte es wohl ander3 gefügt,er wird jhon wiffen, mas er will.“
SH fah, daß ihm mit Vernunft nicht beizuklommen war und gab ihn auf.“
Der Schulmeijter {OHwieg eine Weile und feuchtete fich die trodenen Lippen mit der Zunge an. IH füllte ihn das Glas mit den paar Tropfen Wein, die noch in der Flajche
SS, Boßhart, m Nebel, 11 []16°
Der Grenzjäger.blieben; er trank langjam und andächtig aus und fuhr dann wieder fort:
„Der ÖGrenzjäger und ih wachten beim Scheine der Laterne und {Oliefen nicht mehr. Al3 der Morgen durch die Spalten unter dem Dache hHereindrang, erhob er fih und ging in den vorderen Gaden. Ih hörte ihn fein Gebet murmeln und dann mit feinem Gewehre manipulieren. Er kam wieder Herein und fprach ruhig:
„Sieb mir die Patronen zurück!“
Richtig, ih Hatte fie ja noch, fie Lagen verfteckt auf einem Balfen. Ih froHlodte innerlihH: e8 war von un-gefähr nicht übel geraten: nun mochte er meinetwegen auf die Yagd gehen, diefer tolle Menfchenjäger !
„Nein! du Kriegit fie nicht wieder!“
„Ums Himmels willen gieb fie mir! Du weißt ja, ich muß fie haben!“
„Dein Kopf ift verrüct, ih bleibe fejt!“
„Soll ich mich ihm wehrlos entgegenwverfen ?“
„Nach Haufe gehen foNit du und dort Hübfh ruhig 6leiben !“„Sei fein liftiger Fuh3! Ih Hab’ dir ja gefagt, daß 28 Heute gefhehen muß!“ fagte er in {Hmeicdhelndem Bitteton.
„Sieb dir Feine Mühe mehr!“
Da warf er rafh den Kopf zurüc, wie einer, dem ein glüdlicher Einfall kommt. Dann faßte er den Hebel feines Sewehres, drücte ihn in die Göhe, z0g ihn behutfam gegen lich und fah in den Verfhluß hinein mit neugierigen Sperber-augen. Ein helles Lachen fhoß ihm aus der Bruft:
„Ga, ha! An die im Laufe Haft du nicht gedacht! Du itehft, Menfdhenwiß vermag e3 nicht zu ändern! Wodio!“[]Der Grenziäger.
“33 Und er ging. Warum Hatte ih nicht überlegt, daß eine Patrone fjHußbereit im Laufe liege! Ih fprang aus dem Heu, eilte vor die Hütte und fah dem Wahnfinnigen nach, wie er Haftigen Schrittes an der Halde emporitieg.Nun fam der Zwijt zum Austrag, das wußte ih. Jh fan auf ein Mittel, um den Unglückidhen von feinem Vorhaben zurüc-zuhalten. Umfonft! Doch Halt! Das kann frommen! ich will ihm nacheilen, ihn zu Boden werfen, ihn entwaffnen . . .
DBarfuß, wie ih war, febte ih ihm nad auf dem Hart-gefrorenen Schnee. Mein Keuchen verriet ihın mein Nahen,er Tehrte fich um, ahnte meine AWbficht, riß da3 Gewehr von der Achjel und erwartete meinen Angriff. Er Hätte mich niedergefhoffen! € war, wie wenn ihm ein wütender Tiger aus den Augen jähe,
„Was willjt du?” fuhr er mich an,
„Ehw8 nicht, hws nicht!“ feuchte ich Kraftlos,
Er lachte: „Kehr’ um und Hol’ dir deine Schuhe!“
Dann wandte er fihH wieder zum Gehen, Halb vorwärts,halb rücwärtz Jchauend. Wie ich fah, daß nicht? in der Welt ihn von feinem Borhaben abhalten Konnte, fing das Gewifjfen an fiQ in mir zu regen: „SIft eS recht, den Unglüclichen fajt wehrlos, mit einer einzigen Batrone auf die vier Un-Holde Ioszulafjen?“ Db ih recht gehandelt Habe oder nicht,ich frag’ es Euch, aber ih Konnte nicht anders; ich rief ihm nad: „Halt, ih Hol’ dir die Patronen!“ Und ih fprang die Halde Hinunter, ftecte eine Handvoll derfelben zu mir und trug fie ihm hinauf. Er Hatte gewartet, nahm die Hülfen und ftedte fie forglih in das Magazin feines Ge-wehres. Dann dankte er mir und mit einem freundlichen:„Siehft du! Auch dır Haft gemußt! Aoddio!“ verließ er mid.
441*
[16]Der Grenzijäger.Sch fehrte in die Hütte zurück und beforgte das Vieh;dann fchlihH ih ihm nach. Ih fand ihn oben, am gleichen Plage wie das erfte Mal, Iauernd wie eine Kage, diesmal aber nach der Raßhöhe fpähend, denn er mochte ahnen, daß jein Wild die Nacht in Valpellina zugebracht Hatte. IH berbarg mid wieder Hinter einem Fel8bloce und wartete,zwei, Drei, vier Stunden, Yuf einmal redte fihH der Jäger in die Göhe, um fich gleich wieder zu ducen. OYben aber erfjhienen auf dem weißen Schnee vier SGeftalten, die be-Hutfam näher rücdten. Ich annte fie gleich, den ‚Teufel‘,den ‚Luchs‘ und feine zwei Jungen, Giacomo trug gegen [eine Gewohnheit eine Büchfe, das war eine deutliche Sprache.Die vier {tanden alle Hundert Schritte {till und Hielten Um-hau; der ‚Teufel‘ fchritt voran, die Flinte unter dem Arm,wie ein Jäger; ihın folgte der ‚Luchs‘, in der rechten Hand bie in der Sonne gligernde Riftole, in der inken ben Stof, und Hinterdrein fHliden mit runden Rüden,den Kopf zwifjhen die Schultern eingezogen die Buben:ihre langen Arme fchienen fajt den Boden zu berühren,fie fahen aus wie bo8hafte Affen, die einen fHlechten Streich vorhaben.
3 die Schmuggler fih auf etwa 150 Schritte genaht Hatten, erhob fjidh der Grenzwächter und rief fie an:
„Halt! Wer feid ihr?“
Die anderen ftanden ftill. Giacomo nahm die Flinte in beide Hände, der LuchZ fpannte die zwei Hähne feiner Biftole und in der reinen Luft hörte man deutlich das Knaden; die Buben. Kauerten nebeneinander auf den Boden,gafften und rührten fi nicht.
„Wer feid ihr, frag’ ih, und was wollt ihr?“[]Der Grenziäger.
155 „SJäger find wir! auf Spürhunde jagen wir!“ ant-wartete oben der ‚Teufel‘ mit feiner rauhen tiefen Stimme.
„Streckt euere Waffen und folgt mir!“
Die Schmuggler Lachten, ohne fihH zu rühren und ohne die Yurgen von ihrem Gegner zu wenden.
„Du bit Giacomo Noli!“
„Und dur etwa des Ejeltreibers Giannuccio Kuducksei !“
Der Luchz3 Cachte und die Buben ftimmten ein, wohl ohne zu wijfen warum.
„Sin Schelm, wer feine Mutter befhimpft!“ rief Siovanni hinauf.
„Ein fOlechtez Weib, daZ e3 mit anderen Hält!“
„Meinit dur dein eigenes?“
„Da3 Hütet fich!“
„Seitohlen Weib Lohnt nie mit Treu!“
„Willie dur mir’8 etwa abjagen, Bube ?“
„Und wenn’8 [hon wär’ ?“
„WasS fprichit dur, Hund?“
„Der Kuckuck Läßt nicht von feiner Art!“
„DaZ Kügift dur, Hund!“
„3 hab’ dir’ Heimgezahlt!“
„Spar’ die Zunge, Giacomo!“ rief der ‚Luchs‘ dazwijdhen,indem er feine Mijtole in AugeshHöhe erhob. Sin Blig zudcte,der zu weißem Rauch wurde; etwa zwanzig Schritte vor Giovanni flog der Schnee in die Höhe. Die Felswände ringsum frachten Hundertfach.
„Göllendonner!“ {tieß der ‚Luchs‘ Hervor, „fOieß Du,Giacomo! id muß ihm näher rüden.“ Und er fing an den Mbhang herab zu eilen.
Siacomo’3 und SGiovanni3s Gewehre fMogen aleichzeitig []16.
».Der Grenziäger.an die Baden, die beiden Schüffe dedten fih: Hätte ich die zwei Wölkfhen nicht gefehen, ih Hätte geglaubt, ein Gewehr habe verfagt.
Siacomo fank Yautlos in fih zujammen; beim Fallen ging der zweite Schuß feiner Flinte Io. Die jungen Luchte [offen jählings empor und febten den Berg hHinan, auf allen bieren, wie e3 Ichien.
Giovanni war in die Knie gejunken und ih Hörte ihn Jagen: „Maria, Maria!“
Der Luchs mußte geglaubt Haben, Giovanni’z Schuß gelte ihm: er Hatte fich flach auf den Boden geworfen, jHnell mie der Blig. Iebt fOnellte er auf und Kugelte den Berg herab, den Leib fajt an den Boden gefhmiegt. Giovanni Jah ihn fommen, griff wieder nad dem Gewehr, das er fallen gelaffen Hatte und wollte die Hebelbewegung ausführen, um neu 3u Iaden. Da entfank ihm die Waffe, er neigte fich vornüber und fiel hin, das Gefiht in den Schnee. Der ‚Suchs‘ Hatte im Laufen alle8 gefehen und ftand (till, die Piftole jcOußfertig. So Xauerte er einige Minuten, dann Ihlich er beHutfam heran,
„Rühre dih, du Schuft, wenn du noch lebft, oder ich erjchieße dich wie einen räudigen Hund!“
Giovanni verfuchte fich aufzurichten, aber er vermochte lich nicht einmal zu drehen. Da faßte ihn der Schmuggler an und wendete ihn auf den Rüden. „Bravo, Giacomo,itieß er Herbor, wie er die Blutlache und feine rotgefärbten Hände fah, „bravo, Giacomo, er Hat genug!“ Dann ließ er ruhig den Hahn feiner Pijtole herunter und murmelte: „Das Pulver Können wir fparen!“ Sr ftedte die Waffe in feinen Rittel, faßte den Stof, den er immer in der Linken geführt []Der Grenziäger.
107
Hatte, mit beiden Händen, hob ihn Hoch auf und ließ ihn mit einem gräßlidhen Suche ein-, zweimal auf den Unglüclichen niederfaufen. Mir war, ich Hörte die Rippen brechen.
Der ‚Luchs‘ warf feinen Stock weg, raffte mit den Händen Schnee auf und rieb fiH damit daz Blut ab; 309 hierauf die Flajche aus dem Kittel und that einen {Oweren Bug. Seine Buben waren unterdeffen auch Herbeigejhlihen,Gegafften den Toten und grinfien, und einer griff nach dem Gewehre. Der Alte ging hinauf, wo Giacomo Iag, Iniete nieder und that wohl ein Gebet. Dann Kfehrte er wieder zurüc, trat auf feine Buben zu und fagte in hartem Tone:„Kniet nieder!“ Und da fie nicht gleich gehordhten, griff er nach dem Stode und wiederholte feinen Befehl. Nun thaten fie es.
„Gebt diefe drei Finger auf und fagt nach, was ich euch vorlage:
„Wir fhwören, nie einem Menjchen von Siacomv’3 und Giovanni’3 Tod ein Wort zu jagen, wir fHwören’S bei unferer Seligfeit. Amen.“
Die Buben wiederholten den Schwur, dann, ehe fie fich’s verfahen, Hob der Alte den Stock auf und ließ ihn zur Be.fiegelung ihres SGelübdes auf ihre Rüden Jaufen, daß fie heulend auffchoffen und den Berg hinunter follerten.
„Kommt her, ihr Schlingel!“ rief er ihnen zu. Sie Erochen mißtrauijch heran.
„Gier Habt ihr Geld; geht ruhig nach Fionnen hinunter,fauft ein, wa? in die Säde geht. Zu fürchten Habt ihr nichts, der Berg ijt jebt fauber.”
Die Jungen machten fich davon, JOneller, al3 fie zu gehen gewohnt waren, und bald verfhwanden fie hinter den Abhängen.
[168]Der Grenziäger.
Ih rührte mid nicht, kaum wagte ich zu fOnaufen;hätte mich der ‚Luchs‘ gewahrt, er Hätte mich erwürgt.
Der Alte fehte fih in den Schnee und blieb noch etwa eine Stunde bei der Leiche fiken. Ruhig, al3 wäre nichts gefchehen, z0g er feinen Imbiß hervor und fing an zu effen,die Bifjen mit ftarfen Schlücen SchnapZ Hinunterfpühlend,MS er fatt war, zündete er feine Pfeife an und fHmauchHte gemütlich und brannte fie zweimal leer; dann erhob er fich,nahın Giovanni’3s Leidhnam auf feine breiten Schultern und irug ihn langjam den Berg hinan. Ich weiß nicht, wo er den armen Burfchen verforgte, aber ich glaube, er Hat ihn in einen der Seen auf der Paßhöhe verfenkt, vielleicht in den nämlichen,in dem ihın am Mittag die Mutter erfchienen war.
AS er oben im Geröll des Mont Avril verfhwunden war, wagte ich mich Herbor und fuchte den Giacomo auf.Da lag er Ölutüberftrömt, der braune Burfche, defien Arme wie Eidhenäfte aus dem mächtigen Rumpf hHerauswuchjen und die Flinte noch feit umklammert hielten, Die Kugel war ihm mitten durch den Hals gedrungen. Mich wunderte, was mit ihm weiter gefchehe; id verbarg mid) wieber, aber weiter weg von dem Orte der fHreclihen That. Nach geraumer Beit erfhien der ‚Luchs‘ wieder, fah den Kameraden ein Weilchen an, band dann den Iangen Sack 108, den er um die Schultern trug und {tete den Toten hinein. Er mußte ihn jtarf zufammenwürgen, aber fchließlich ging e8; er Knüpfte den Sad zu, Hob ihn auf die Schultern und davon Keuchte ber feltfame Leichenzug. Hat er die Laft der Witwe Heim-gebracht? Und was Hat fie empfunden, die Maria?
Sm Sommer drauf, als ih wieder auf der Alp war, {ah ich einmal oben ein Weib, das mir Iheu auswich und in jeden []Der Grenziäger.np‘
Schlund und Hinter jeden Fel2blok fpähte. War das die Maria, die ihren Giovanni fuchte?“
So etwa erzählte mir der Schulmeifter von Lourtier in der Hütte der Alpe Chermontane oben im Dranfethal.3 war fpät geworden und wir {treten un8 aus, der eine neben den andern. Ich träumte wirr von Giovanni und ®iacomo und von ihrer unglüclidhen Mutter, Al der Tag graute, brach ich auf, warf dem alten Männchen mit der mürrijdhen Stimme eine Silbermünze in die Zipfelmüße, die er beim Aofchiednehmen abgezogen Hatte, JHüttelte dem Schul-meijter freundfchaftlidh die Hand und ftieg zur Paßhöhe empor.€ war über Nacht wieder hell geworden und die aufgehende Sonne glänzte {tolz auf die frijgbefjdhneite, ftarre AWlpenwelt herab, auf die wilden Gletjcher, die jahraus, jahrein an den Vergriefen ihr Zerftörungswerk treiben und das, was fie von den Feljen Losreißen, auf ihrem derben Rücken hinab in die Thaljohle Ohieben. Mich fHmerzte der Gedanke, daß die menfjchliche Beftie alles, fogar diefen Fenfchen Winkel der Welt,den reinen Schnee der Firne mit ihrer Erbärmlichkeit und mit ihrem TeidenjHaftlidhen Blute befudelt. An einem Meinen See mit dunfelgrünem Wafjjer blieb ich ftehen: liegt er wohl da drin gebettet, der unglückliche Giovanni, der in feiner Toll-heit zu der Dunkeln Einficht kam, daß der Menfch ein Zahn-rädchen ifjt in einem ungeheuren Uhrwerke, das gedreht wird,weil e8 in andere fich drehende eingreift, und das feine Be-wegung wieder auf andere überträgt, und all das, nicht weil e5 will, fondern weil e& muß, muß unter dem Drucke einer Kraft, deren Dafein und Wefen geahHnt, aber nimmermehr be-griffen werden fan? Sah er recht in der Verrücktheit feines leiden haftlidhen Gemütes?“[]'"n
Der Grenziäger.
Der Erzähler jHwieg und fuhr fi mit dem Tafjchen-tuche über die Stirne. Die Gefellihaft war bei der Erzählung wieder munter geworden und die Langweile au den SGefichtern gewichen. Nur einer Hatte feinen Anteil an des „Orenzjägers“Qeiden und Sterben genommen: e3 war Ludwig. Der Jaß in feiner Ede wie ein Hühnchen, da3 man mit Waffer über goffen hat; feine Augen fehielten verftohlen zu Blanka und Franz hinüber, die nebeneinander faßen und fi zuweilen etwa3 zuflüfterten, und feine Eiferfucht fuchte und fand Nahrung.
Der Redaktor erhob fich, Mopfte dem Erzähler auf die Schultern und fagte: „Si, wer Hätte dem milden Manne eine fo wilde Gejcdhichte zugetraut!“
„SO zum Beilpiel!“ fagte der Onkel. „Herr Kappeler hat fich ganz in feinem Elemente bewegt.“
„Wirklich ?“
„Sr f{pottet meiner“, fagte @appeler mit einer ab-mwehrenden Handbewegung.
„Sind Sie vielleicht gar ein verkappter Schriftfteller ?“fragte der Redaktor.
„DazZ ift er freilich“, antwortete der Onkel für feinen Treund.„Was kann man von FIhYOYnen Lefen ?“
„S3 it noch gar nichts von mir gedruckt worden”, er-widerte Kappeler Heinlaut und verfchämt,
„Was haben Sie denn fhHon gefdhrieben ?“
„Ah, e8 it nicht der Rede wert! Gedichte und einige Tragödien.“„So ernithafte Sadgen? HGören Sie meinen Rat:ichreiben Sie etwas leichteres, fAreiben Sie zum Beifpiel die []Der Grenziäger.
171
SGejdhichte vom Grenziäger nieder und iQ nehme fie in meine Spalten auf! Wollen Sie?“
Kappeler machte Augen, al3 ob er auZ einem Märchen»traum erwacht wäre, als Hätte ihm der dide Herr gefagt:Sie meinen, Sie feien ein gewiffer, oft nach Leder riedhender Jakob Kappeler, Angeftellter bei Bär & Co.; Sie find fehr im SJrertum! Sie find der Prinz fo und fo und dort drüben auf dem Hügel jteht Ihr goldenes Schloß! Kommen Sie,da führt der Weg Hinüber!“
„Sit eS Or Ernft?“ {tammelte er.
„Wie fönnen Sie zweifeln, Herr Kappeler ?“
„SG will Ihrem Kat folgen und e8 fo gut machen,al8 ih fann.“
Der Onfel näherte fig feinem Freunde und drücte ihın bie Hand. Der glüclide Schriftjteller aber ftammelte :„Wie fonderbar fihH das Leben doch fügt! Ich mußte in diejen Nebel geraten, um zu finden, was mich immer floh!“
„Sit nicht das ganze Leben eine Meife im Nebel?“jagte der Direktor; „ficherlich ijt e8 eine Meije in den Nebel hinein.“„Damit wollen Sie doch nicht3 böfes vom Leben jagen,Herr Direktor?“ warf Franz ein.
„Nicht3 böfes, aber auch nicht3 gutes.“
„So jagen Sie mir: welches Glück ift größer, dazZ er-wartete oder das unerwartete? Ich denke diefes! Und wo fann man das SGlücd unerwarteter treffen, al8 gerade im Nebel? Wo Kann e8 ung unvermerkter an die Seite treten und fi vor NMeidern verbergen? Ya, das Nebelland ijt die rechte Heimat der Kinder, der Glücskinder !“
Qudwig in jeiner Ecke fuhr zufammen. Franzens Worte
[172]Der Grenzijäger.mußten eine Anfpielung fein: er war das Glücsfind, er Hatte Blanka im Nebel getroffen, oder fie Hatte ihn gefucht .. .fie Liebte ihn, und er fie, e& war fein Zweifel mehr möglich...
Er vergaß fih fo fehr in feinem @ram, daß er, ohne e8 zu merken, ein fchweres ÄÜchzen Hören ließ.
Der Onkel, der in der Nähe faß, {ah fih um und iprang auf: der Anblid des Burfchen erfchrecte ihn.
„WaZ ift dir? Du fiehft ja ganz elend aus! DBift dır Frank?“„Laß’ mich nur, Onkel, e& ift nicht3!”
Sebt nahten auch Franz und Blanka. DazZ Fräulein jagte, {ie habe eine Heine Reifeapotheke bei {ih und würde nicht ungern ein gefährdetes Menfchenleben am Schopf fajfen und aus der Not Herausrütteln. Ludwig folle fih alfo gar nicht {hHämen, frank zu fein; freilich erlaube fie ihm nur drei Krankheiten: Kopf-, Hals und Magenweh; anderen Übeln müßte fie ihre Achtung und Aufmerkjamtkeit verfagen,jie gehöre eben nicht zu jenen Ärzten, die fih mit allem und jedermann abgeben.
Sie lachte, dies fagend, ihn fo freundlich an, daß der Burihe Luft verfpärte, aufzufjfbringen und fie im die rofigen Äpfel rer Wangen zu beißen. Was war fie für ein ber jtridendes SGejchöpf! Und er fühlte, wie ihm das Blut in bie Wangen |Hoß.
„Sinden Sie nicht, Herr Franz, daß fiH der Zujtand Ihres Bruder? zufehend3 beffert? Schauen Sie ihn doch an!“ fagte die fOalthafte Ärztin ernft.
„Sie haben recht, Fräulein, auch in mir fängt fi die Hoffnung wieder zu regen an; ih glaube, bei guter Be-handlung wird er fih rafch erholen.“[]Der Grenziäger.
173
„Die Behandlung werden Sie jo freundlich fein, felbjt zu übernehmen, nicht wahr? Sparen Sie das Kalte Wafjer nicht, und follte ein Rückfall eintreten, fo reiben Sie dem Ratienten tüchtig, aber recht tüchtig die Ohren, da3 ft ein trefflidhes Heilmittel für joldhe Leiden.“
Dies fprechend Hüpfte fie Lachend davon; Ludwig aber wäre wieder in feine Schwermut verfunfen, wenn ihm Franz nicht zugeflüftert Hätte: „Sei doch fein Narr! würde fie {0 mit dir {derzen, wenn fie nicht innerlich, mit dir aus-geföhnt wäre?“
Ludwig Hätte ihm gerne gefagt: „Aus3jöhnung genügt mir nicht, und wijjen möchte ich vor allem, was zwijdhen euch beiden im Nebel vorgefallen ift.“ Wer er wagte die Frage nicht.
Derweil war e3 abendzZ fünf Uhr geworden. Die Sennen behielten recht: daz Wetter Hellte fih auf, der Nebel wurde liter und jtieg in die Höhe und fchon guckte dann und wann ein Streifen blauen Himmels dur daz Iangweilige Grau und zuweilen fogar ein Sonnenftrahl, der zu Meinen Spaziergängen einlud.
3 man bei einbrechender Nacht wieder in der un-wohnlidhen Hütte beijammen {aß und das Kuhgeläute ver-nahn, das ftodend und fpringend, bedächtig und übermütig von der Weide dem Stall zu bimmelte, da überkam alle mit dem Borgefühle einer zweiten {Hlaflojen Nacht ein unbefieg-liches Mißbehagen, daz an den Gefichtern abzulejen war.
„Sit einer unter un8, dem nach feinem Lager gelüftet,nad der weichen Matrake, den weißen Linnen und der warmen Dede ?“ fragte [dherzend der Direktor. „Slauben Sie nicht alle, die Beit werde un3 hier beim Feuer und bei der
[174]Der Grenziäger.
Umpel rafher vergehen alz im Heu? Wir Haben Heute die Langeweile gar tapfer au dem Felde gefhlagen, feben wir den Kampf fort und wenn eS Ihnen recht ift, will ich dies.mal ins Vordertreffen rücken.
Viel riskieren Sie nicht! Bin ih eine fAHlechte Wehr gegen die Feindin und fallen dem einen oder dem anderen bei ihrem Angriff die Augen zu, fo ift das ja im Grunde ein Glück und ih verpflidhte mich, jedes ihrer Opfer fanft und Kfoftenfrei inz Gen zu beftatten.“
„Sie werden uns alle verpflichten“, fagte der Onkel Wunderli und warf ein paar mächtige Scheite inzZ Feuer;die ganze Sefelljchaft drängte fig nah an die wärmende Slut heran, denn fchon fühlte man die Kalte Nachtluft durch die Fugen der Hütte eindringen. Der Direktor lehnte feine jtarfen Schultern an die Wand, Kreuzte die Urme vor der Bruit, und fing alfo zu reden an:
„AS ich Student war, habe ich neben meinen Fach-ftudien mit Borliebe Gefjhichte getrieben und lernte fo einen Mann fennen, an den ich zeitlebens gerne zurücdenkfen werde.Al ih feine Bekanntichaft machte, ward mir Mar, warum bei den Alten die Eule zum Symbol des Nachdenkenz und der Gelehrfamkeit wurde: auch er war eine Eule, der es beim Tageslicht ungemütlidhH wurde: die Lampe war feine Sonne, das StübcHen feine Welt. Sing er aus diefer Heraus und trat er unter andere MenjdHen, {vo war er das undbehHolfenite Seihöpf, das herumlief. Die meiften von Ihnen Haben wohl bon ihm gehört: fein tragijdhes Ende wurde in den Zeitungen meijt mit mehr Wusführlichteit al BZartgefihl, mit mehr Dreiftigkeit al3 Kenntnis der Verhältniffe Komentiert. IH will mit diefen Worten natürlich Feinen Ausfall gegen die []Der Grenziäger,
175 Prefje al3 foldhe gemacht Haben, Herr KRedaktor, aber fo viel barf ih fhon fagen, daß mich jene Art, über einen Toten zu urteilen, tief verlegte. E3 fei mir darum geftattet, in diejem engen Kreife die Gejchichte meines guten Sonderlings zu erzählen. Sie werden, wenn ich gefhloffen habe, vielleicht fein Handeln mißbilligen, aber, fo e8 mir gelingt, ihn zu zeichnen, wie er ward und war, werden Sie ihn nicht Herzlos verdammen. Ih will den rechten Namen des Mannes nicht nennen, Sie werden fchon felbft darauf verfallen; ih will jagen, er habe geheißen: [] Profeflor Wendelin.
SS, Boßbart, Im Nebel.
12 [] Der graue Wintermorgen {fireckte fein griesgrämiges Seficht durch das Fenfter und mufterte daz einfache Zimmer mit den zwei Betten, die weit auseinander an zwei gegen-überliegenden Wänden ftanden. In dem einen, in demjenigen mit den rofaroten Blümchen auf dem Überzuge, regte fich etwas und Heraus {Hälte fidh ein weißes Nachthäubehen, aber nur diefe8, denn wenn e8 kalt war, verkroch fi die Frau Brofelfor Wendelin in ihr Bett wie ein DachH3 in {feinen Bau, zum großen Ärger ihres Gemahls, der ihr wohl fHon taufendmal gejagt Hatte, das tauge für die Gejundheit nicht.Sie ließ ihn reden und that, wie fie e& von Kindsbeinen an gehalten Hatte, Fonnte fie fich doch fagen, daß eS ihr troß diejer übelen Gewohnheit in ihrer Haut jo wohl fei, wie einem Side im Waffer, und dann von ihrem Männlein Qebensregeln annehmen, von ihnı, dem etwas praktijches noch nie in den Sinn gefommen war! Ia, gefund war fie, troß ihrer 74 Sahre, gefund wie der Winter, der zum Fenfter Hereinguckte; wie Hätte fie fich Jonft eines jo regelmäßigen Schlafes rühmen Können: im Sommerfemefter erwachte fie genau um fechs Uhr, nach den Gerbitferien eine Stunde [päter. Und richtig: wie fihH das Häubchen unter der Dede hervor[hob, fing die Stoduhr auf dem nußbanmenen Sekretär
4{2*[]1O
1
Mrofefjor Wendelin.an, ihre gebämpften fieben Streiche zu hämmern, als Hätte fie auf ihrem Hohen Sig wie ein Turmwächter auf ein Zeichen,da3 GHäubchen, gewartet. Sobald die Uhr nach Ddiejer Kraftanftrengung wieder fortfuhr, kaum Hörbar und be-dächtig den Takt zu fAOlagen, ließ fich eine in den Federn halb erftidte Stimme vernehmen: „Minggi! Minggi!“ Auf diefen Ruf fprang ein fettes, Eurzhaariges Hündhen, das neben dem Bette in einem Xiebreich ausgepolfterten Korb feinen friedfamen Schlaf gefchlafen Hatte, empor, Hüpfte auf den Stuhl neben dem Bette und ftieß fein Heiferes: Wäl wä!wäh! bherbor, al ob e8 Hätte fagen wollen: „Gier bin ich!“Dabei fHlug e8& zur DBekräftigung mit feinem Stumpf fhwänzdhen auf die Stuhllehne und fein kurzes Schnäuzchen Ihien zu Lächeln. E€E3 ftellte fiG in Pofitur und fahH aufs merfjam nach einer Stelle des Bette, denn c8& wußte, daß fi dort ein Ereignis abfpielen werde. Und wirklich, das Bettzeug wurde kebendig und HerauzZ wicelte fichH eine rund-lie Hand, über die fih das Hündehen fogleiH hermachte,um fie unterthänig{t zu beleden.
Da tönte wieder die Stimme unter der Dede: „Heinz,wachit dur fchon? E3 Hat fieben gefhlagen! Steh’ jebt auf!“
Niemand gab Antwort und nicht? regte fidh in der Kammer al8 da3 rote, ledende Zünglein und das lebhafte Schwänzlein.„Heinz ift Heute früh aus den Federn,“ murmelte das rofablumige Bett nach einer Weile, dann fHob fich die Dede langjam zurüc, daz weiße Häubchen wurde abgeftreift und gähnend tauchte ein Kopf aus den molligen Kiffen auf: zwei feilte Baden, zwijdhen drin ein {tumpfes Näschen, darunter zwei derbe Lippen und ein Doppelkinn, und über all dem []rofeffor Wendelin.
31 ein mächtige3 graues Haar, durch da3 fi noch einige ganz jhmwarze Zäden zugen und das die niedrige Stirne fajt ganz zrdrückte. Iebt Sffnet der Kopf auch feine Fenfterhen und jeder Zweifel fchwindet: SGeift und Verftand konnten nicht die Stärke der Frau Profejjor Wendelin fein, und doch waren die Yuglein fo freundlih und fo gut.
Die Frau Profefjor ftand auf, fich für jede Bewegung teichlih Zeit gönnend. Erjt jebt bemerkte fie, daß das Bett ihres Gemahls noch war, wie am Ybend zuvor. Sie bekam einen Schrei: „Um’8 Himmel8 willen! Der Heinz hat ja gar nicht gefhlafen!“ Dies fagend hob fie die Dede feines Bettes ab, um fih zu vergewijfern, daß er wirklich nicht drunter ftede. „Was mag dem Heinz nur zugeftoßen fein!Keinen Augenbli£ darf man ihn allein Iaffen, man follte immer bei ihm {jtehen, wie bei einem feinen Rinde! E32 ift eine Straf mit fo einem Mann!“
Sie warf jih rafch in ihr Morgenfleid und murmelte beftändig: „Was mag dem Heinz begegnet fein!“ und die Angit gucte aus den Meinen guten Yugen. Dann ver [wand die rundlidhe Gejtalt Hinter der Thlüre; fie trippelte dur den Gang und SHffnete daZ Studierzimmer ihres Mannes, Auf dem Schreibtifch brannte die Lampe, vbjdhon der Tag das Zimmer füllte; hei der Lampe aber, das weiße Haupt in die auf den Lijh gelegten Gände gefhmiegt, aß einer in IHwarzen Kleidern und {lief}.
„Heinzt!“ rief die Frau unter der Thüre, Da |prang der Mann auf, rieb fih die Augen und ftreifte das Haar aus der Stirne: „Laß’ mich nur, Lisbeih!“ Jagte er, indem er die Lampe ausblies.
Die Frau frippelte auf ihn zu: „Du bijft Frank, Heinzi!
[182]Brofelfor Wendelin.Was ijt dir nur, Männden? Du mußt inzZ Bett gehen und idlafen, daz wird dir gut thım. IH will dir glei Thee bringen !“
„E83 ijt nichts, LisbethH! €E3 ift geftern fpät geworden und da bin ih Hier eingefhlafen. Laß’ mich jeßt nur!“Da ging fie, den Kopf [Hüttelnd und ich mehrmals beforgt nach ihm umfehend.
Der Profeffor ließ einen Bli über jeine Perfon gleiten und fchien Feinen Gefallen an fih zu finden: er war im ra, Lackjtiefel glänzten an den Füßen, an der einen Hand trug er noch einen Gand{huh, während deffen Gefährte neben der weißen Halsbinde im Cylinder auf dem Schreibtijhe lag,und all das paßte nicht zu feinem Wefjen: er pflegte zu jagen, er wollte fajt Iieber einen Sarg al3 einen Fra anziehen.„Sie hat recht, ih Jollte mich zu Bette legen, ich bin wie geräbert!“ murmelte er nach einiger Zeit. YWber ftatt nach der Thüre zu gehen, trat er an8 Fenfter und fcHaute hinaus in den grauen Wintermorgen und auf den vom Ruß der Ramine um feinen Glanz betrogenen Schnee, lehnte die. Stirne an die Kalte Fenfterfcheibe und verfank in Ger Danfen.Der Herr Profeffor war ein Mann von mittlerer Größe;aus feinem feinen, aber meift {Hlecht rafierten Geficht glänzten zwei finnige Augen, und auf dem Scheitel, trog feine8 Alters,wallte ein üppige weißes Vließ. „Der ift etwas!“ fagte fich, wer feinen Kopf betrachtete und fihH an der nachläfligen Kleidung und Haltung nicht ftieß.
Air Studenten {Hvärmten für den Profeffor Heinrich Wendelin, wir glaubten an feine Worte wie an Yrakeljprüche,[]Lrofejlfor Wendelin.
33
;und nach jeder VBorlejfung war e8 un3, unfer SGeift Habe einen großen, großen Sprung gethan und blide weiter hinaus von der neuen Höhe und tiefer hinab im die Rätjel der Welt, und oft fragten wir ung: „Wie Kann diejer unprak-tijche MenjdH fo tief ins Leben anderer, fo tief ins Leben der Bölfer jehen?“ Und warm fonnte er werden! Nie werde ich die Stunde vergeffen, da er von der franzöfijchen Yuf-Härung fprach und eine EChrenrettung Boltaire’3, des ver»Ihrieenften aller Menfjchen verfuchte und dabei fo inzZ Feuer geriet, daß ihm, dem ergrauten Mann, die Augen feucht wurden. Seither Iaß’ ich auf Voltaire keinen Stein mehr werfen. Ja, er war etwas, der Heinz, unZ aber war er viel, viel, und als iq fpäter fein trauriges Gejchik und Ende erfuhr, ging e5 mir {o nah, als wäre er mein leiblicher Vater gewejen.An jenem Wende, da Heinrid Wendelin fein Bett ver-{Omähte, Hatte man iühın zu Ehren ein großes Bankett ver-anftaltet, denn e8 waren damals gerade fınfzig Yahre, feit er fein Doktoreramen bejtanden Hatte. Sie Hatten fih in großer Zahl eingefunden, alte und junge Schüler und Kollegen,ja Togar der Privatdozent Kleinle fehlte nicht. Der Hoffte jehnlichtt, Wendelinz Nachfolger zu werden und böfe Zungen behaupteten, jedesmal wenn er an dem Alten vorbeigegangen jet, Babe er gefhnüffelt wie ein Yagdhund und {ich eingebildet,e3 fei ihm ein Leichengeruch in die Nafje geftiegen. €3 war aber wirflich nur Sinbildung, denn der Graukfopf war noch munter und rüftig, und im Hörfaale Konnte manchmal feine Stimme fOmettern, daß die Wände erwachten, und aus feinen Augen {prang ein Feuer, das bis in die hHinterfte Ede und in jede Seele zündete.
[184]Profeffor Wendelin.
I habe am Bankett den Jubilar beobachtet, Die Freude mar nicht bei ihn eingefehrt, e& war ihn unbehaglich, ich jah e8 ihm an; denn er war ein befheidener Mann und liebte e3 nicht, öffentlid gelobt zu werden und gar gelobt zu werden von dem Profeffor Rofenblatt, von dem er wohl wußte, daß er e8 nicht aus Sympathie that, fondern Lediglich,um vor fo ausgewählter Gefellfichaft mit feiner Beredfamtkeit zu glänzen.
Wendelin achtete kaum auf daz Bild, dazZ der ftet3 lädgelnde Gerr Kollege von feinem Leben entwarf; wie traum-verloren faß er da, fein Blik {Hweifte inZ Leere und man merfte e8 wohl, fein Geift Hatte fihH auf und davon gemacht in8 Sand der Jugend, das Kängft verfunkene. Da entdeckte er wohl das Dörfchen unten im Thal, mit dem rotangeftrichenen mageren Türmen, das au8 dem armjeligen Rirchlein ge brechlich Herauswuch3; er Hörte den Klang der Glocken, fie flirrten wie Blechkeffel, an die man fHlägt, und fhienen für die Freude Keinen Mund zu Haben und doch war ihr Ton id lieb; dann fOhritt er am Wirtshaus zum „Wilden Mann“ vorüber, ging der Dorfitraße entlang, etiva zwei-Hundert Schritt, und bog dann zur Binfen: bort ftand am Bach ein Häuschen mit niedrigem, dürftig geflidtem Dach,auf dem das MooS fchimmerte, dunkelbraun und grün,Icmachtend in der Sommerhige und wie Schwämme auf-Ihiwvellend unter dem Regen; und mitten unter diefem Nachen Gefinde tronte eine Hauswurz, daz Familienorakel;denn wollte der Tod Einkehr Halten, fo Hieß er fie einen Slühenden, rötliden Stengel treiben. Sie Hatte e& einmal gefhan und das Jahr darauf wurde Lischen, das Liebe Heine Lischen in den Kirchhof hinaufgetragen. Seither erfabte []Brofejfor Wendelin,
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Heinz jedesmal ein Grauen, wenn ihm die Hausmurz in die Augen fiel und doch blite er mandmal neugierig und ängitlih zu ihr hinauf, um zu fehen, ob fie vielleicht wieder etwas Arge8 im Schilde führe. ...
Oben am HauzZ fHoß die Pappel in die Luft wie eine gewaltige Rakete. Wendelin war, er Höre wieder wie einft den Windhauch gleich Kijpelnden Kinderftimmen durch das be-weglidhe Laubwerk ftreihen, oder den Herbftiturm mufizieren auf den Himmelanjtrebendenm Geigenjatten, den nackten {Gwingenden Äften. ...
Auf der anderen Seite des Haufe warf einer einen breiten Schatten: daz war der Hochjtämmige Kirfjhbanum, der zur Beit der Henernte ausjah, als Hätte fich das AWbendrot darauf gefebt und das Fortjliegen vergeffen. Wie oft Hatte der Anabe fehnfüchtig zu ihm emporgejdhaut und die Stare beneidet, die e& fich jhmeden Liegen und fiH um die Vogel»jheuche feinen Pfifferling Himmerten, Ach, die roten, füßen Früchte waren eben nicht für john! Die pflücte der Vater und legte fie forglih in einen Korb; den irug das Mütterhen auf dem Kopfe in die Stadt und brachte dann am Wend eine ganze Hand voll Geld Heim; für Heinz aber fiel nicht3 ab, al8 die Almojen, die ihn der freund-liche Baum etwa inz Graz warf und die Halbentfleifchten Teben, welche die Vergeuder, die Stare, verächtlich forte Tnieen. ...Seht trat er durch daz niedere Hinterthürchen inZ Haus,in die Tenne. Rechter Hand war das Reich des Vaters:der Heuboden und darunter der Stall. Da wurde ein ftrenges Regiment geführt, mit Geißel und Befenftiel, und das war 19 unnötig! Denn wie freundlih und mild glänzten dir „Hirfis“
[186]Profeffor Wendelin.dunkle Augenkugeln entgegen, wenn du durch das Stall-türchen trateft und Keinen Bejen und keine Peitjche in der Sand führteft! und wie zutraulih ftrecte fie dir den Kopf entgegen, um dir mit ihrer rauhen Zunge die Hand oder gar die Baden fauber zu feilen! Und neben ihr ftand „Bruni“, das Kuhkalb, der alten in allen Stücen ähnlich und ihr in allem naßhahmend, wie ein Kind feiner Mutter:die dunkle Schnauze, die Kurzen Hörnchen, dazZ braune Sell mit dem Helen Streifen längs des Rüdenz, das ruhige Auge, die rauhfreundlidHe Zunge, alles gleich, hier wie dort. Hinter diefen beiden, in der dunkeln Ecke, ftand „Sigi“, der Hanswurft der Gefellichaft, lebhaft wie eine Bachjtelze, bald unten auf dem Boden, bald oben auf der Arippe; trat man ihr nahe, fo fenkte fie den Kopf und Ätredte einem fampfbereit ihre [pigen Hörner entgegen. AWber e8 war alle8 nur gemachte Bosheit, denn gab man ihr einen Rlap3 auf den mageren Hals, fo jahH fie munter auf und mecferte, daß ec3 wie ein Iuftiges Gelächter fhallte, und zupfie man fie gar an dem langen Spibbarte, fo hHüpfte fie vor Quft. ...So jah des Vater3 Reich auZ; aber nur wenn der König auf Reifen war; Hörte man in der Tenne feinen JOweren Iangjamen Tritt, da war e& im Stall, wie auf der Straße, wenn der Schulmeifter an einem Rudel Buben vorbeigeht. Hirfi trat etwas zurüg, um der Thüre nicht allzunah zu fein denn man Konnte nie wiffen und olidte fromm vor fidh him in die Krippe, und Hätte fiH auch eine boShafte Müde auf ihren Rüden gejebt, c& wäre ihr nicht eingefallen, mit dem bufchigen Schwanz danach aus-zuholen. Bruni that wie die Mutter und fah drein Fajt wie []Profeffor Wendelin.
187 eine Ronfirmandin, in deren Köpfchen der Ernft noch Fein Seffeldhen oder Schemelchen gefunden Hat. Sigi aber fprang von der Krippe Herunter, mufjterte rajh den Boden, und lagen zwifhen ihren Füßen ein paar Hälmchen Heu, die die unordentlihe Frefferin vergendet Hatte, fo warf fie ih Darauf,ihre Sünde mit dem Leib verbergend. Trat nun der König mit dem breiten, in die Stirne gedrücten Hut und mit dem jchwarzen, daz ganze SGefiht überwuchernden Barte durch das Thürchen und warf einen Blit auf fein Volk, da {ah alles [0 manierlich au wie in einer Schulftube. Aber die Gemütlichkeit hatte fich derweil durch die Futterlücen davon gemacht, hinaus in die Tenne und von da in die Küche. Drum Hinüber in Mütterhenz Revier!
Da wird nicht regiert, und doch geht alles fein und jäuberlich zu. Selbjt das Feuer auf dem fteinernen Herde,dem fonjt Wildheit und Ungeftüm augeboren find, ledt ge-nügfam mit dem roten Zünglein an den Scheitern, denn es weiß wohl: da Heißt e8 fparen und abermals fparen! Jet fnarrt die ThHlre und aus der Stube trippelt ein Meines,Heines Weibchen in grauem Rode. Trüge e3 nicht das rote Mieder der Landestracht, bei Gott, man würde e3 für ein Wildfräulein Halten. E3 geht in der Küche hin und her und fpridt gar felten, und doch wird einem fo wohl bei dem Wildfräulein, {o weich im Herzen. Wo mag das her-rühren? Und erft wenn der Herfcher weit weg ift, im Felde oder im Walde, und e8 ein Liedchen zu fummen anfängt,faum hörbar, aber fo lieb, fo lieb! Kommen fie nicht fon dahergefummt, wie friedjame Hummeln, diefe alten Reime? und dringen inz Ohr und zittern durch die Bruft und mit ihnen all die Möärchenbilder der Kindheit. . .[]LE a Profefjor Wendelin.Und wie einfach ijt die Weife und wie bald gewogen das Mort:Soli !)-foli will i der finge,Öpfel und Birki will der bringe,Öpfeli, Birli, Näfpeli taigg ?),A3 miz Buebeli z'effe haig!3)Wie fOlicht, wie Leicht und doch dem Herzen wie füß!@8 ift, e& {tede eine ganze Welt in diejem Stammeln! Sa freilich ift’3 eine Welt! Merkit du’3 denn nicht, daß das Mütterhen drin ift, des Mütterhenz ganzes Gemüt, des Mütterchen3 ganze, vollgenoffene und nie ausge[höpfte Liebe!Drum {chläft e8 fig au fo füß ein dabei; denn wo ift licherer und lieblidher ruhn, al8 in der Gut der Liebe?Selbit das Feuer auf dem Herd verfpürt e3 und wird {hläfrig,ehe c8 an der Zeit {ft. Hurtig, um e8 wadh zu Halten,werden ihm al? Spielzeug, ein paar dürre ÄÜfte zugeworfen !Die wimmern wie eingefperrte Schuljungen und nalen wie Kanoniere und werfen Funken um fich, wie die Buben beim Saftnachtfener: fie find Halt in der Freiheit aufgewachfen und thun, wie eS {hnen um Gerz ift! Die Tagen einft dort oben im Buchenwalde, den man durchs Küchenfenfter fieht,dort über der fonnigen, im Schmucd der Neben ftehenden Salde! Der Heinz Hat fie gefammelt, mit einem Strick zu-Jammengebunden und Hinab ins Dorf gejhleppt. Das Sammeln war mübhjam und der Heimweg ein Pfad des Schweißes; aber oben die Freiheit, die Sorglofigfeit, die träumerijdhe Einjamkeit! Wie viel Konnte man dort oben in zinem Stündchen erleben, wenn man mäuschenftill auf dem
‘) Berfleinerungsform von „fo“; % molidh; %) Babe.[]Profeffor Wendelin.
189 dürren rojtroten Laube lag, von niemand gefehen als von ein paar neugierigen Sonnenftrahlen, die wie Silbernadeln durch den grünen Schirm der Laubkronen ftadhen. Da Frabbeln die raftlofen Waldameijen; fie Haben eine Entdeckungsreife unternommen und kehren nun wieder nach dem Tannenwalde zurücd, taftend wie Blinde, den Weg fuchend und nie ver-lierend ....
Da arbeitet fihH auZ dem Teppih mühjam ein Käfer herau3, in Frad und fchwarzen GHofen, und fdOlürft be-bächtig davon, jeden Augenblick ftill ftehHend, wie einer, der von der Zeit nicht viel erwartet und auch nicht viel zu ver-ieren hat. Über dem Kopfe aber fhwirrt e& und fummt es und geigt e3 in allen Singweijen und Taktarten! da Hüpfen und jpringen die Müden und Fliegen, die großen mit den Meinen, und wenn zwei oder drei aneinander vorbeifchwebent,da ftoßen fie zum Gruß rafh mit den Flügeln an und rufen fi zu: „Kurz ift unjer Tag! drum laßt ung tanzen und fingen und jubeln und Iuftig, ja Iuftig fein!“ ...
Eine Heufchrede, die auf Wentenuer auSzog und ich in bieje Laubmwüfte verirrte, Horcht diefem Mufizieren zu und die Luft pact auch fie, in fo fröhlidher Gefellidhaft ihren Lebenstag zu bvertanzen. Sie {hiebt die pergamentenen Flügel aus-einander, Horcht auf den Takt der Mufik und wie fie endlich herausgefunden, daß oben eine Polka gefpielt wird: drrr!{Owingt fie ih auf! Wer, vo weh! fie fcOhlägt mit dem Kopf gegen ein BuchHenjtämmehen und kiegt jhon wieder im Laub und ijt ganz verwundert, nicht tot zu fein. Sie ver-jJucht e8 nochmals, Umfonijt! Und nun macht fie fich aus dem Laube, Hupf für Hupf, dem Waldrande und der fonnigen Srashalde zu. Da rafchelt der Wald: fchufeh, Ihufch, Ihufch!
[190]Mrofeffor Wendelin,und braun auf dem roten Laube trippelt e& daher: auf Hohen Beinen ein zierliher Leib mit niedlihem Kopfe, und in dem Kopfe zwei neugierige, vor Furcht nie recht zur Ruhe kommende Augen: ein Reh ift'8. Ihm folgt, noch ftelzbeiniger, ein junges. Das ergößt fig an allerhand Seitenfprüngen und wenn ihm die Fliegen auf dem Rücken zu Väftig werden,lehnt e8 fih an ein Buchenftämmehen und reibt fih die un-bequemen Säfte vom Leib. So trottet c8 forglos Hinterdrein und warum auch nicht: das Mutterauge wacht und fürchtet und zittert ja für beide. Schufch, fhufch, fhufh! tänzeln die beiden vorüber, dem Waldbächlein zu, da3Z in einer Schlucht auf einem mit Laub gepolfterten Pfade Iautlos dahin jHlendert und im Vorbeigehen die Kiefeljteine rein»wäfcht. IFegt müffen fie unten fein, denn die Droffel, der eben noch die Waldesluft unbändig aus der Kchle drang, ver-ftummt und das Gäslein, daz dort unter den Üften eines Tännchens fein Neft Hat, Hoppt vorfichtig davon, nicht wijfend,ob Heind oder Freund ing Land gebrochen fei. .....
Und hat man lang genug regungsSlos im Laub gelegen,im ge[hwäßigen Laub, das jede Bewegung ausplaufcht, fo geht man hinauf in den Tannenwald, defjen verfchwiegenes Moos jeben Schritt dämpft, fo daß dir ijft, e8 fei Kein Lebendes AWefien weit und breit, nicht einmal du felbit. ...
Und ift man hungrig, fo fHlendert man der ‚Reute‘ zu,wo neben dem wuchernden tyrannifhen Brombeerdorn die be-{cheidene Erdbeerftaude Hauft und im Bracdmonat ihre Früchte fonnt, bi3 fie rot wie Korallen aus dem Gras herausgucen und einem zurufen: „Liebt ihr mich, fo beißt ihr mich!“ Ka,auf der Reute, da ift’8 wonnig im Srühfonmner, da fummt e8 nod) mutwilliger als unter den Buchen, da frachfeln die []Profeffor Wendelin.
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Marienkäferchen an den SGrashalmen empor und febt man eineS auf den Zeigefinger und redet e8 an:
Lieb3 Herrgottschäferlt,
Slüg mer über de Nhi
Und fäg der Heilig Sant Katheri
63 fött!) morn |hön Wetter fi!da Küpft eS die roten, Jwarzpunktierten Fügeldeden und hervor fchwellen zwei weiße Segeldhen, und nun fährt das Schiffhen ab und fteuert durch die Luft dem Rhein und ber Heiligen Sant Katheri zu, die drüben auf einer Wolfe fikt und ins Land Hineinfjehaut. ... Und die Uus-ficht auf lange fonnige Tage verbreitet Luft und Behagen über die ganze Meute: die Heimen zirpen in ihren BVBer-fteden und meinen immer, e$ fei noch nicht Hoch genug; die BlindjHleihen winden fiH gemächlih durch daz Gras und vergeffen fajt die ewige Sorge um das Heil ihres gebrech-lien Schwänzchen3; die Eidechfen fonnen fich auf einem Maulwurfahligel und hHorchen andächtig zu, wenn dur ihnen dein Lieddhen pfeifft. ...
Und der Duft erft, der da auffteigt! Duft des [proffenden Krautes und der jungen Hollundertriebe, Duft der Brombeer-Blüten und der Weidenröüschen, und vor allem die feine flich-tige Seele der welfen Fidhtennadeln, die in diden Schichten Herumlagern und der Sonne daz Einzige, das ihnen noch blieb, das Reftchen baljamijchen DIS al Tribut für Licht und Heizung hergeben. Wer kann an die {onıige jummende Reute denken, ohne jenen füßen Duft einzuatmen, der die Brauft mit Yugendagedenkfen füllt? ....
ı) Sollte.
[1992]Mrofelfor Wendelin.
AM daz waren Freilich verbotene Früchte für Heinzdhen;Hätte der Vater gewußt, warum er manchmal fo fpät mit Jeiner Bürde ing Dorf fchlidH und warum die oft fo feder-Leicht war, er hätte ihm das Umherlungern abgewöhnt! Und Hätte er erft gewußt, mwa3 fein Söhndhen dort oben fpäter zu freiben anfing! Hätte er ihn doch genau betrachtet, wenn er von Haufe fortging, den Strid um den Leib gebunden:er müßte gewahrt haben, wie er immer den einen Arm {fteif an die Nippen drücte, wie wenn er etwa darunter hätte fejit halten müffen. Das mußte er freilich, der Schläuling!Da ftecte zwijhen dem Leibe und dem Hemde ein Buch, das war ber Robinfon, oder dazZ Goldmacherdorf, oder der Fugendfreund. Und war er einmal oben im Schatten, da öffnete er vorne das Gemd und 30g feinen heimlichen Schaß anz Tageslicht. Ja, e& war für ihn ein Schaß, daz Ding mit den abgegriffenen Deckeln und den fOHmußig-gelben zerfebßten Blättern, und er 1a3 e8 und verfehlang e$wie ein GHeißhungriger fein Stücg Brot, Und war er hinten,jo fing er wieder von vorne an, biz e8 ihm ganz in den Kopf hineingegangen war, der lebte wie der erfte Buchftabe.Trug er dann die in Eile zujammengerafften Üijte thalwärts,jo Jummten fie ihın bunt durch den Kopf, die Gejchichte im Buch und die andere, die er erfann, um jein langes Säumen zu bemänteln. ...
Dh, daß diefe Zeit nicht ewig dauerte! AWber fie ver-ging, wie jeder Traum: GHeinzi wurde älter und größer, in den Wald aber [hHikt man nur Buben, denen man eine ordentliche Arbeit noch nicht zumuten Kann. - Nun hieß es mit dem Vater inz Feld rücken, nicht etwa um den Störchen nachzugaffen, die über dem Ried Happernd ihre Verfammlungen []Brofeffor Wendelin.
193 abhielten, oder den Krähen, wenn fie raufluftig eine Weihe umfhwärmten, die ruhig ihres Weges fegelte, der Übermacht gar nicht achtend und ihr nur von Zeit zu Zeit ein HöHNijHeS „th“ zurufend. Nein, da hieß e8: „Heinz, dır mußt das Heugras wenden! Heinz, nimm den Rechen zur Hand, und ipute dich! Heinz, mache dich Hinter den ScHnittern drein!Heinz, was bijft du ein unanftelliger Schlingel! Aus dir wird nichts! Kaum Hundert Ühren Haft dır beifammen!“ Ähren lefen auf dem ftacdhligen Stoppelfelde und keine Schuhe an den Füßen, ihr armen Zehen! YWber das war das Un-angenehmite nicht: waren ‚Hirfi‘ und ‚Bruni‘ an Pflug oder Eogge gejpannt, da wurde fommandiert: „Nimm die Peitfche !“Und gingen die beiden nicht rafh genug oder fahen fie nach dem Raben, die von Erdfcholle zu Erdjcholle wadelten, {v donnerte €3 Hinterdrein: „Zu was Haft dır die SGeißel, dur Schlafmüge? e8 ijt mit dir, um aus der Haut zu fahren!“ 3 IOmerzte den Buben, auf feine Freunde einzuhauen, bitter,wie wenn er felber in ihrer Haut geftedt Hätte. ... Dann mußte Gra8 ausgejätet und Kartoffeln und Rüben aufgelefen werden, Dabei febte eS gar fAÖmukige Finger ab und die waren dem Heinz bis in die Seele hinein zuwider. Nie-mand begriff das, am allerwenigjten der Vater und wie oft,wenn der ungeratene Bub Ddajtand und die erdigen Finger von fih firecte, als ob fie ihm um eine Hand voll Waffer feil gemwejen wären, Hopfte er ihm darauf oder zaufte er im die Ohren und das Haar, und wie oft donnerte er ion an: „Au3Z dir wird dein Lebtag nichts als ein Sump und ein Tagedieb! Du bit der dümmfite ‚Löhle‘ im ganzen Dorfe!“
O5, welch’ Glück, daß der Sommer zu Ende ging! Nur
X Boßbhart, Im Nebel. 13
[194]Profeffor Wendelin.fam die Schulzeit! Un einem GHerbitmorgen, al3Z der Reif bis auf die Dächer geftiegen war und das Laub fih lebens»müde von den Bäumen zur Erde fallen ließ, fchritt der Wächter durch’3 Dorf, {tand alle Hundert Schritte {til und fOmwang die Glode, die er in der Hand trug, fo unfanft,daß fie durch die Gaffe Heulte wie ein GündohHen, das die Beitfche eines Fuhrmanns getroffen hat, Dann rief er mit freijhender Stimme: „ES ift zu wiffen, daß morgen die Schule beginnt! die Schule beginnt!“ Da3Z war den meiften Kindern eine {Hrecklihe Botfchaft: bedeutete fie doch den Verluft der Freiheit! Mandhem drückte f{hon bei dem bloßem Rufe die dumpfe, ftaubige, bald flüfternde, bald gelende Schulluft auf die Bruft. Nicht fo Heinz. Wie er den Wächter Hörte, eilte er ihm entgegen und fchritt zwanzig Schritte hinter ihm drein das Dorf hinab, und füß wie oben im Walde das Droffellied, {Hien ihm die fOrille Stimme der Schelle und dazZ Heifere „die Schule beginnt!“m folgenden Tage fHlidhen die Dorfkinder griesgrämig,die einen mit gewajdhenen, die anderen mit ungewaldhenen Baden die Straße entlang, die Tafel und das Buch unter dem einen Arme, ein Scheit unter dem andern. Mitten im Dorfe jtand ein Bauernhaus wie alle andern; dort ver-fhmwanden fie. Hinter der Hausthüre hielt eine große, f{tark gebeugte Frau Wache. Sie grüßte die Keinen, nahm ihnen die Scheiter ab, fie in der Hand wägend und {Harfe Kontrolle übend. In der Stube ftand eine Schnigbank;daran Hobelte und KHopfte und fägte ein ftämmiger Mann;er Datte zwei große runde Fenfter vor den Mugen,trug ein |dHwarzes Käppchen und vorn eine dunkelblaue Schlirze, die von der Bruft bis auf die Knie reichte,[]Profeffor Wendelin.
195 Das war der Schulmeifter, der zugleich der Küfer des Dorfes war und allgemein nur der Küferjörg hieß. Er fcHnikte ruhig an feinen Dauben, bis fih der Raum gefüllt Hatte;dann griff er nach dem fchweren GHolzhammer und fchlug dreimal auf die Schnigbank: „Laßt un8 beten, Kinder!“Nachher ging e& an das „Namenbuch“, den „Lehrmeifter“und den „Katechismus“. Der Küferjörg ging Hin und her,ji bald mit dem einen, bald mit dem andern Schüler ab-gebend, und war fo freundlich mit jedem, daß man bald nicht mehr an die verlorene Ungebundenheit und den lär-menden Dorfplag dachte. Die Schulmeifterin [aß gebeugt im Winkel beim Ofen und ihr Spinnrädchen furrte gefchäftig und heimelig zu dem KXraken der Griffel und Federn und zu den Rinderftimmen, die in fingendem Tone ihre Sprüche hHerfagten.Hörte der Schulmeifter das fcHnurrende Rädchen nicht mehr,jo war ihm das ein Zeichen, daß die junge Gejellichaft zu laut fei; bedächtig wie immer ging er dann zu der Schnib-bank, ergriff den Hammer und donnerte dreimal: KRuhe, Ruhe,Ruhe! So vergingen die Tage und fie glichen einander wie die Blätter des nämlidhen Baumes. Nur von Zeit zu Zeit fiel dem einen oder dem andern ein, ein foldhez Leben fei denn doch zu einförmig und, in einem Heldenmütigen Ent-jhluß fi für die Gefamtheit opfernd, febte er irgend eine Teufelei in Scene. Dann packte ihn der Jörg am Arme, hob ipn mithelo3, als wäre er ein Hobelipan gewefen, au3 der Bank und trug ihn hinaus in die Küche. Dort war eine Fallthüre,durch die man in den Keller jtieg, die aber meiftens ge-jOloffen war. Dorthin trug er den Sünder, dem nun die Angit in die Ölieder fuhr, jo daß er ein mörderifches Ge-[Ohrei erhob: „ch will es gewiß nimmer thun!“ Nun fing 43*
[1]4B rofejjor Wendelin.des Alten Zorn {hon an zu fchmelzen wie Apriljchnee, denn er war ein herzensguter Mann und mußte er einem ein Haar frümmen, fo that e8 ihm in der Scele weh.
„Wilit du nimmer fo bö8 fei?“
„Nein!“
„Berfprich e8 mir!“
„Sa a 1%
„So geh hinein!“
Und der vor einigen Augenbliden noch fo opferfreudige Geld trat fhluchzend durch die Thüre und die anderen fahen ichelmifdh nach ihm und Lachten; die Schulmeifterin aber rief im zu, tadelnd und tröftend zugleich: „Könnteft ja recht thun, und felb Könntelt!“
Der Winter z0g fihH aNlmählihH zurüc, wie {ich eine Schnede in ihr Haus verkrieht, wenn ihr die Sonne zu Hell auf die Hörner fcheint; auf den Dächern verfchwand der Schnee und die armlangen Eiszapfen ftürzten einer nach dem andern herab und zerfchellten. Daz mahnte den Schulmeifter an die Eramenzeit. Bon nun an ließ er jeden Wbend die älteren Schüler zujammentreten und fingen: „Myni Läbens:zut verfirycht. .. ”, denn das war das Lied, daZ der Yörg,ber nicht gerade eine Amfel war, im Heinen Finger hatte und deshalb an jedem Eramen zur allgemeinen Erbauung fingen ließ. Und das Examen kam. Alec Schüler ftedten in den beften Kleidern, die fie Hatten und faßen mäuschenftill in ihren Bänfen, Der Küferjörg im fhwarzen Rode, dies-mal ohne Schürze und Käppchen, ftand am Fenfter und bfidte das Dorf hinauf. FIegt drehte er fiH um: „bEt!“Bald darauf bewegte fih gravitätijdh ein fhwarzer, Hoher Hut am Fenfter vorbei und nun ging die Thüre auf: „Outen []rofefjor Wendelin.
197
Tag, Herr Junker Pfarrer!” fo mußte man ihn nennen.„Suten Tag, Herr Schulmeijter! Guten Tag, Kinder!“Darauf ging e8& ans Beten, Lefen, Rechnen und Schreiben.Nach und nach kamen die Vüter Herein und ftellten fihH an eine Wand, hHorchtem oder Horchten auch nicht, und wer Ge-meinderat oder Friedensrichter war, der wagte fich reift zwijchen die Bänke um nachzufehen, vb fein Bub auch {Höne Buchjtaben male. Zum Schluß fang man: „Myni Läbens-zyut verfirhcht“, und die Alten brummten den Baßı dazı.Die Jungen Hatten ihre Pflicht gethan; nun ftellte fich der Herr IJunker Pfarrer vor die Tijdhe und fprach etwas, und als er zu Ende war, fagte auch der Nüferjörg einen Spruch und hieß die Kinder dann nach Haufe gehen. Draußen vor der Thlüre ftand der Schulverwalter und neben ihm die Schulmeijterin mit einem Korb voll brauner Wecen. Hatte die gute Alte über den Winter die Scheiter auZ den Händen der Schüler empfangen, fo Kriegten diefe nun au3 den ihrigen die noch warmen, duftenden Laibe. Wie ein Bienen-fdmwarm fummten die Schüler auseinander: „Adee, Schul-Iuft! Adee, Einmaleinz und NamenbuchH! Die Freiheit {ft wieder mit uns! SIJuhel“
Heinz aber dachte an die erdigen Finger und Hatte Feine Hreude an feinem Wecker,
Der Sommer kam an einem Ende des Landes herein und ging am andern hinaus, und kam wieder und wieder;aber er, der früher Heinz ein fo Kieber, füßer Kamerad ge-wejen wat, wurde immer unfreundlidher und rauher und ließ feinen Tag durchs Thal gehen, ohne ein Hagelwetter über den armen Jungen auszufchütten, und jeder Donner-{lag Fannte menjdhlide Sprache und rief ihm zu: „Du
[198]Profejfor Wendelin.Taugenicht3! Du Tagedieb! Du Lump! Du bift der unanitelligite Laffe Yandauf, landab !“
Einmal war e8 den ganzen Tag über fhwül und drücend und {Hıver. Man gewahrte die Wetterwolle noch nicht, aber man fühlte e& wohl: fie wird kommen, fie it Ichon auf dem Wege und eilt und eilt und kann jeden Augen-bli ihren Schatten über den Wald weg ins Thal hinunter werfen. Was wird fie bringen? Oh, die AUngit, die ichier den Atem erdrüct! ‚Hirfi’s‘ Liebkofungen merkt man nicht und ‚Gigit’3‘ Gelächter verfteht man nicht; die Iärmenden Stare fönnten das ganze Wbendrot vom Kirfhbaum {ftehlen:man fähe e& nicht! Endlich poltert e& daher: „Heinz, morgen fOnürft dur dein Bündel! Sch Habe Heut mit dem RNiedbauer gerebet, dır Jollft einmal fehen, wie fremder Leute Brot jHmeckt!“
Wohl ließ fihH des Mütterhens [Hiwache Stimme ver-nehmen wie ein Gebet, das man einem unHeildrohenden Wetter entgegenmurmelt, aber fie drang nicht durch, und am folgenden Tage {Hritt Heinz weinend von dannen, ein Säd-fein auf dem Rücken, in das ihm eine Liebe Hand feine ganze Habe und obendrein ein große8 Stüd Brot, Brot aus dem Elternhaus, geftedt Hatte,
Sein Meijter, der RNiedbauer, war im Grunde eine gute Saut, aber jähzornig wie ein Truthahn. Der machte nicht viel Umftände: wenn beim Zflügen ein Ochs auf die „Art“!)trat, fo griff er mit feinen {chweren, rijfigen Pranken nach einer Erdjcholle und warf fie dem unaufmerfjamen Treiber an den Rücken oder an die Beine oder an den Kopf, wie e8 {ich gerade traf. Heinz ließ das einige Wochen über fich
!) Gepflügte8 Erdreich.[]Brofeffor Wendelin.
109 ergehen, aber einmal {jtedte in einer Scholle ein Stein, der ipm ein großes Loch in den Kopf fhlug, fo daß ihm das Blut in den Nacken riefelte. Da warf er die Peitfdhe den Ochjen unter die Füße und jprang davon. Der Riedbauer folgte Mıurhend Hinterdrein, da er aber diden Leibes und furzen AWtems war, Holte er das dünnbeinige Knechtlein nicht ein; er Fehrte fqOhimpfend zu feinen Dchfen zurück und war froh, feine Wut an ihnen auslaffen zu fönnen, denn fie Hatten die Gelegenheit wahrgenommen und waren auf die weiche,fühlende „Urt“ Hinausgetreten.
Heinz Kief und lief thalwärtz, dem Dörfchen zu. Wie er aber des Kirchtürmdhens anfichtig wurde, befhlih ihn die Angft: ihn war, daz Zifferblatt fei ein großes, großes Auge und fehe ihn firafend an: „Was willjt dur hier unten, du Thunichtgut?“ Die Füße träg am Boden fHleppend, bog er nach feines Baterz Haus ein. AS er die Tennthüre behut-fam auffchob, da tönte es fröhlich aus dem Stall: Hä, hä,hä! Das war ‚Sigi,‘ fie Hatte ihn durch die Futterluce be-merft und ließ der Freude die Zügel fahren, objhon der König im Neidhe war. Nun fpikten auch die beiden andern Unterthanen die Ohren, {Hüttelten ihre Ketten und wie Trompetenfjchall Hang ihr Gruß durch das Haus. Der König merkte, daß etwas außergewöhnliches vorging und trat heraus in die Tenne: „WazZ? dur hier? Natürlich, wer fann fo einen Tölpel brauchen! Was? fo ft’S? Ddrans-gelaufen bift dr? Wart, dır Landjtreicher, dich will ich’3 Lehren!“
Cilig fchritt er in den Stall zurüc. Heinz wußte,wa8 da3 bedeutete, Drinnen hing an einem Hölzernen Nagel ‚Hirfl’8‘ Halsriemen, der war jhmwer und Hatte am Ende eine mwuchtige Schnalle. Hır, wie die in8 Fleifdh jHlug!
[200]Brofeffor Wendelin.Heinzens Füße lüpften fihH, ohne daß er e8 ihnen komman-dierte, und Irugen ihn davon aus dem Haus, auf die Straße, über den Steg inZ Feld hinauz und den Rebberg Hinauf, Hinauf in dem Wald. Erft als er oben Feuchend zujammenbrach, ftarrte er Hinter fich, ob ihn der Halsriemen nicht folge.
Die Sonne duckte fiH f{fhon Hinter den Hügel, als Heinz auf einem großen Umwege ins Dörfchen {Hlich. Er machte fih. fo Fein wie eine Kae, die nah Bögeln ftreicht,als er auf den [Hmalen, zwifchen grünen Heden eingekflenunten Pfaden fihH durch die OVbjtgärten ftahl, dem Ruf {ftarker Hammerfchläge folgend, die fih, wie eS fchien, an einem Faß ausließen.„Suten AWoend, Schulmeifter !“
„Suten AWbend, Heinz! Was führt dih Her? aber was it dir? Du Haft ja Augen fo xot wie Biegeljteine !“
Da beichtete ihn Heinz alles und Hagte ihm fein Elend und wie ihm die Landarbeit zuwider fei, Der Küfer krabte fig hinter den Ohren und fann. Dann fpradj er endlidh:„Willit dur Küfer werden?“ „Nein“.
„Mer Schloffer?“ „Nein, ich möchte am ichften Schulmeijter werden.“
Da lachten des Alten Augen; cr gab ihm einen Klaps auf die Achjeln: „Das ift’2, Junge! Das follit dur werden!Daß ih nicht felbjt darauf verfiel! Für Handarbeit taugft dur freilich nicht, daS geht dir nicht von ftatten! Höre! wir gehen morgen nach Kreuzbach zum neuen Seminardirektor.“
„Aber da braucht man einen Haufen Geld; nicht?“
„Saß’ nur den Küferjörg forgen, Junge! und geh’ jebt nach Haufe und fhlaP’ und komme morgen früh zu mir.“[]Brofeljor Wendelin.
201
„Komme ih nach Haufe, Friege ih Schläge, und ag’ ich,was ich vorhabe, jo läßt mich der Vater nicht ziehen!“
„So bleibft du diefe Nacht bei mir. Wer die Sonmn-tagöffeider Jollteft dır freilich Haben, in diefen ,. “
„39 habe Keine andern,“ .
Der Schulmeifterg rate fid wieder Hinter den Ohren und mufterte dabei den vielfach gefliten, franjigen Zwild-anzug des Jungen: „Das ift freilich fHlimm ... doch Halt!fo geht’3 wohl!“ fügte er nach einer Weile Hinzu und Inallte dabei mit feinen |Hwieligen Fingern. „Komm’ jebt ins Haus,wir mülfen meiner Frau fagen, daß dır Heute bei ung JcHläfft,damit fie fich einrichten kann.“
Heinz {Hlief in jener Nacht nicht. AlS ich die Heinen runden Fenfterfcheiben von der dunkeln Bleieinfaljung ab-zuheben begannen und die Nacht wie ein Dieb Iautlos davonfchlich, Hörte er die Kammertüre Inarren und an fein Bett trat die Schulmeijterin mit einem Lichte in der Hand und fagte: „Steh’ jeßt auf, Heinz, und ziehe dies Gewand an. Bevor du Herunterfommft fülle dir aus dem Trog dort die Tafjdhen mit Üpfelfjdhnikgen, und fjelb thır, denn fie find auf dem Wege gut für Hunger und Durit, und felb find je.“
Der Junge fchlüpfte in die Kleider und hob dann den {hweren Deckel des Troges in die Höhe; ein ftarker, fauer-füßer Geruch kam ihm entgegen und das Wafjer Kief ihm im Munde zufjammen. Er that ein paar fräftige Griffe in die weiche tiefe Schicht und füllte fi die Tajcdhen. AS er in die Stube trat, kam ihm der Schulmeijter entgegen und drückte im die Hand, daß die Finger Inadten; dann führte er ihn ans Fenfter, um feinen Anzug zu muftern: eine Ichmetternde Lache fchlittelte die breite Brult. des Alten: „Ha,
[202]Profeffor Wendelin,ha, ha! Da fag’ mir einer noch, Kleider machen Keine Leute!In einer Nacht ifjt der David zum Goliath geworden!“
Nun erft warf Heinz einen Blid auf feine Gewandung:feine {pindeldürren Beine und Arme {taken in weiten, weiten Röhren, wie Steden in einem MehHljad; an feine fhmalen Schultern Hängte fich ein riefenhafter Rock mit breitem Kragen und wußte nicht, wie er {ich benehmen und e3 fiH bequem machen follte; die Schöße fielen plump auf die Anie herab und [hienen von ihrer Erniedrigung wenig erbaut zu fein,und der Kragen hHängte fich ängftlih an die {Hmalen Schul-tern, in beftändiger Furcht, von feinem fHmächtigen Sig abe zurutjdhen, und forglih die Höhe abfhäbend. Da3Z war das vedliche Werk der Schulmeifterin. Sie war bis Mitternacht bei der Ampel gefeljen und Hatte an einer alten Kleidung ihres Mannes von den Ärmeln des Nodes und den Röhren der Hofen breite Ringe abgefhnitten und die Wunden, {fo gut e3 ihre alten frummen Finger vermochten, wieder frijh gefäumt.Heinz fah den ladhenden Jörg fragend an; der gab ihm,wie e8 feine Gewohnheit war, einen KlapzZ: „’8 geht jhon,mein Junge!“
Nun ging e8 in die frifde Morgenluft hinaus. Wie Heinz an des Schulmeifters Seite durch das Dorf {OHritt und das VBaterhauz zwifden den Bäumen Hervorgucen {ah und ihm das erhellte Küchenfenfter ein zitterndes „Lebewohl“ zu-winfte, da wurde ihm gar weh um® Gerz. Er Hatte die ganze Nacht anz Mütterchen gedacht und Konnte nicht wider-ijtehen: „Ih komme Euch nach, Schulmeifter!“ rief er, und bog laufend in den Seitenwveg ein und die Schöße feines Rodes flogen wie die unfihern Schwingen junger Krähen.[]Brofefjor Wendelin.
203 Um Tennthürchen angelangt, Iegte er daz Auge an eine HMaffende Fuge: der Vater mußte im Stall drin fein. Laut-{08 {chlich er durch die Tenne, öffnete behutfam die Küchen-thüre und fhob dem Kopf hinein. Da ftand daz Mütterchen am Herd, Jah ins Feuer und weinte.
„Mutter 1“
„Heinzi!“ Und fie fOluchzte Caut auf, wie fie fih er-jhrect nach ihm drehte. „Heinzi, Heinzi, waz macht du unz für Kummer! Ums GHimmel8 willen, werde doch kein IOlechter Menfch! IH Habe die ganze Nacht kein Auge zu-gethan und dein Vater auch nicht. Er Hat di al die Beit mit der Laterne gefucht und einmal geweint wie damals, als wir das Lischen auf den Kirchhof trugen; er Hat dich auch fieb, Heinz, und dır machft ihm fo gar Feine Freude!“
„SID fürchte mid vor ihm!“
„Solg’ ihm brav, Heinzt, und dann brauchjt Feine AUngit zu haben.“
„Nein, Mütterchen, ih will nicht mehr hier bleiben, es wird fein rechter Bauer aus mir, ich gehe Heute mit dem Rüferjörg nad Kreuzbach und will Schulmeifter werden.“
Sie Jah ihn an; darauf faßte fie ihn in ihre fYwachen Arme und ihat, was fie noch nicht gethan Hatte, feit er ein großer Bub geworden war: fie drückte ihre Lippen auf feinen Mund; dann preßte fie hervor: „Seh in Gottes Namen,Heinzi, jo wird e8 gut werden! Geh’ in Gottes Namen und öleibe brav, mir zu liebe!“
Shm liefen die Thränen wie Bächlein über die Backen,al8 er davon ftürzte, und e8 war ihm, al3 Halte jemand jein Gerz zurüß und laffe e& nicht 103 und er müffe eS fich,um fortzufommen, jelber aus der Bruft reißen.
[204]Profefjor Wendelin.Das Seminar war ein großes, düfteres Haus, cin altes Klofter. GHeinzen wollte der Atem nicht in die Bruft hHinab-fteigen, al8 er durch die Iangen unheimlich hHallenden Gänge jchritt. Bor einer Thüre blieb der Schulmeifter {tchen, nahm den Hut in die Hände und gab dem Iungen ein Zeichen,das Gleiche zu thıum. Dann räufperte er fihH und pochte fo janft an die Zhüre, als e8 feine rauhen Finger fertig brachten.Sie traten in ein weiteS, aber nicdriges Zimmer. Rings an den Wänden ftanden braune SGeftelle mit ernften Bücher»reihen. Heinz wurde faft beflommen bei ihrem Anblick,Mitten aus diefer Gelehrtheit aber tauchten zwei Augen auf wie zwei freundliche, liebe Sterne in der Dämmerung, und ihr Schein that wohl und verjhHeuchte das Bild der troftlos hallenden Gänge.
„SIG führe Euch da einen meiner Schultnaben zu“, be-gann der Schulmeifter, indem er den Hut zwifchen den Hingern drehte; „er wollte fih zu bäurifher Arbeit nicht recht [Ohiden und Hat auch nach einem anderen Handwerk fein jonderlih Verlangen; dagegen Hat er viel Luft und Eifer zum Bücherlefen, kann auch nicht übel mit Zahlen umgehen und Hat eine helle Stimm’ zum Singen. Er ift von guter Art und linkt im Begreifen, und Könnt’ fhon was Rechtes aus ihm werden, wenn Ihr ihn wolltet unter Eure Dbhut nehmen. Sein Koftgeld Freilich Könnt’ er nicht bezahlen, einen Teil aber will ich zufchießen und den anderen müßt’ er Halt nad) der Lehrzeit abverdienen, wie man auch Ihon Erempel gehabt Hat. Er Heißet Heinrid Wendelin und ift Kafpar Wendelinz Bud zu Bracheniwyl.“
Der Direktor hieß den Alten und den Jungen Plaß nehmen und fing dann an mit ihnen zu plaudern, fich im []rofeflor Wendelin.
205
Berlauf des SGefpräches immer mehr an Heinz wendend.3Wa3 der nicht alle3 zu fragen Hatte! Und immer ruhten jeine großen freundlichen Augen auf dem Knaben und chienen fait noch Ddringlidher zu fragen, al3 die Lippen. Und die Fragen wurden immer fHivieriger und die Antworten Löften }ich immer bebächtiger von der Zunge und auf einmal wurde es Heinz Har: der Direktor Hatte ihn ins Eramen genommen !Er fuhr lei3 zufammen und blidte nach dem Schulmeifter.Der lächelte; das gab ihm neuen Mut und er nahm fich zujammen und jo ging eS weiter mit Fragen und Antworten,wie wenn zwei auf dem Ader SGarben laden: der oben ift,{tredt die Hände, der unten ift, reicht ihm den Bund mühjamı und feuchend Hinauf, und kaum hat man ihm die Lajft ab-genommen, {o fjieht er {com wieder die begierigen Hände ihm entgegenfireben. Wie Heinz fo recht im Zuge war und ordentlih warm wurde, da Hörte er neben fich, da wo der Schulmeifter faß, ein Iuftiges Anallen und wieder ein8, und [o bei jeder AUntwort: jo drückten des Schulmeijters fchwielige Finger ihr Behagen aus. Al Heinz einmal, wie ihn der Direktor etwas fHnaufen ließ, den Kopf nach der Seite drehte, da jah er, daß Yörg3 Augen glänzten, und das war im ein Zeichen, daß alle feinen rechten Gang gehe.Aber man ließ ihm nicht lange Zeit zu Betrachtungen, wieder mußte er die Garben reichen und fie wurden immer [Owerer und eS gab folche, bei denen er zweimal anfeben mußte, {0 daß ihn der Schweiß auf die Stirne trat; und fHließlich fam eine, die ging über feine Rraft, wie fehr er fih auch abmühte, und dann noch eine und noch eine. Da fuhr ihm die Angit in die Bruft! Man wird dich nicht aufnehmen!und die Augen Tiefen ihn über, obfhon er ich dagegen wehrte.
[206]Profefjor Wendelin.Der Direktor aber erhob fich, ftrih dem Jungen begütigend mit der Hand über die Stirne und fagte: „E83 {ft IHon gut, HGeinrich!“„Schitt Ihr mich nicht wieder fort?“„Nein, du Kannft hier bleiben, wir wollen’8 mit dir verfuchen 1“Des Küferjörgs runzlidhes Geficht jubelte. Was der MAite für fHöne Worte fand, um dem Direktor zu danken!Bei Gott, e& Hätten ihm Feine befferen einfallen können und wenn e$ fid um feinen eigenen Sohn gehandelt Hätte.
Heinz gab ihm noch eine Strede weit das Geleit.„Nun GHeinzi“, fagte der Alte mit leife bebender Stinime,„nun fannjt dur zeigen, daß rechtes Holz an dir ift. Stede dir dein Ziel Hoch, fo hoch, daß e8 dir unmöglich {cheint,e8 zu erreichen; aber richte dich fo ein, al3 ob du überzeugt mwärelt, e8 fei das erft der eine Gipfel und du Hättejt die Kraft,noch einen Höheren zu erklettern. Handle immer fo, daß du dir fagen fannft: Sähen mich die, die mid lieb Haben, fie Ipräden: „EC ift recht fo, Geinzi!“ Und faffejt du einen Ent{hluß, fo frag’ das Herz vor dem Kopf. Kehr” jebt um,und drückt dich einmal etwas, fo denke an den Küferjörg,er ändert fih in feinen alten Tagen nicht mehr.“
Dies fagend z0g er einen ledernen Beutel aus der Tajdhe, griff darauZ ein paar Brabanterthaler und drückte {ie dem Knaben in die Hand: „Leb’ wohl, Heinz!“
„5, Schulmeifter!“
Nun famen drei Jahre, düjter und Hell: düjter das Haus, die Zimmer, die Gänge, düfter die Wolfe, durch die er bas Baterhaus fah, dem er entlaufen war; aber Hell,heiter wie die Frühlingsjonne das Auge des Direktor3, und was waren jene Schatten gegen diefes Leuchten.[]Profejjor Wendelin.
207
Heinz war kaum 18 HNahre alt, al8 er inz Leben Hineingeworfen wurde, wie ein Scheit in einen reißenden Sluß: das fchwimmt, wie die Wellen eS treiben, bald Hajftig,bald friedlich; c& wird von Zeit zu Zeit anZ Ufer getrieben und ruht dort zwijdhen Wurzeln au3, bis eine Höhere Woge e8 wieder fortführt; endlich bettet e8 fihH unten in der Cbene in den Sand und bvergißt das Haften und Wandern für ewig.DaZ Scheit Heinrih Wendelin fand zuerft eine Raft-jtätte im Hinterland, im Bergdörfhen Steinhaufen, einem der ärmften im Lande. ES war in den Jahren, da die alte Schule von der neuen verdrängt wurde. Weh’ dem jungen Lehrer, der der Anfechtung und Verfolgung nicht eine Stirne entgegenhalten Fonnte, auf der Begeifterung und Überzeugung gefchrieben ftanden. Da waren die alten, abgejeßten Schul-meijter, die den Verluft ihrer Winterbelhäftigung nicht ver-fhmerzen Fonnten und nun nicht3 befferes zu thıum wußten,al8 ihren Nachfolgern Stöde zwijchen die Füße zu werfen.Reiner Hätte darüber mehr erzählen können, alz Heinrich Wendelin in Steinhaufen. Dort war das Schulmeijteramt fjeit MenjhHengedenfen wie eine Fürftenkrone vom Vater auf den Sohn über gegangen; man nannte diefe Leute fcHhlechtweg „des Schulmeifters.“ Das ganze Dorf empfand es als einen Mit der Brutalität, alz die Regierung den alten Schul-monarchen erfuchte, fein Szepter anderen Händen zu Über-faffen. Wenn der „Neue“ einer aus ihrem Dorfe gewejen wäre, fie Hätten’3 nicht {o empfunden, aber fo einer aus einem Nefte des Unterlandes, und der zudem, wie die Bauern Jagten, noch nicht einmal Hinter den Ohren iroden war!Gnade ihm Gott!
[308]Rrofeffor Wendelin.An dem Sonntage, da man den neuen Schulmeifter er-wartete, tönte da3 Wirtshaus zum Hirfhen wie eine Trommel;da murde auf den TijhH gejhlagen, daß die Gläfer ihres Qeben8 nicht mehr ficher waren und entjebt auffprangen. Da bliefen die Bauern ihre Baden auf, wie der Schlächtermeifter die Schweinzblajen: „Zum Teufel mit der neuen Lehr’!War die alte gut genug für uns, ift fie auch für unfere Buben recht!”
„Und die Rinder wollen fie unZ aucH im Sommer in da3 verdammte Schullolh jperren! Wo follen wir da die Aderbuben in aller Welt auftreiben?“ rief der Wirt mit feiner im Fette faft erftidenden Stimme.
„DazZ ijt dazZ Ärafte noch nicht!“ donnerte der Säckele meifter des Dorfes. „Habt ihr’8 nicht gemerkt, daß fie un8 auch zwingen wollen, ein neueS Schulhau3 zu bauen, wie fie’8 drinnen in der Stadt Haben, größer und nobler alz der König von Meayel einen Palaft hat? Wollt ihr das zahlen? Und mit was? Wo ’8 Geld hHernehmen und nicht ftehlen? Hä?“
Wie die Fänfte fo recht im Zuge waren und dröhnten,wie Segel in der Tenne, da ftieg der alte Schulmeifter auf den eidhenen Tijh, ftampfte mit feinen genagelten Schuhen fo ausgiebig auf die Platte, daß die Hände die Konkurrenz nicht mehr aushalten fonnten und ih zur Ruhe bequemten:Wie alles nach ihm blickte, fHrie er: „Das Schlimmfte merkt ihr noch gar nicht! Glaubt e& mir, oder glaubt ec8 mir nicht, aber ihr werdet euch noch einmal daran erinnern, daß ih e8 euch hier auf dem Tifjche gefagt, ih des Schulmeifters Selig: al das gilt unferer Religion! Der fol c& an den Hals gehen! Nennt micH einen Spigbuben, wenn der „Neue“[]Profejjor Wendelin.
209 nicht den Katechismus und daz Tejtament auf den Mift wirft!Denn ein Heide ift jeßt Meifter in Kreuzbach, oder der Belze-6ub fjelber! Und Heidnijh ift al der junge Schulmeifter-fafel und Heiden follen eure Kinder werden!“
Da brach der Sturm 1vo3, wilder, al8 wenn man den Heiligen Krieg gegen den SGroßtürken gepredigt Hätte,und bald verftand man in der Schenke jein eigenes Wort nicht mehr.Die jungen Burfchen, denen jede Gelegenheit willfommen war, um ihre Nachtbubenfireidhe in ein dedendez Mäntelchen zu Hüllen, verließen das Wirtshaus und hielten draußen im Hof Rat; dann, als fie einig waren, zogen fie fingend und freijchend die Dorfgaffe Hinunter. Kaum war die Nacht Hereingebrochen, da rotteten fie fich vor dem Haus, in weldhem der neue Schulmeijter wohnen follte, zufjammen, griffen nach Steinen und Stöcen, und Hirrend flogen die Fenfterfdheiben in Scherben. Bald darauf nahte {ich ein Schatten dem Hauje:das war der „Neue“, aber hei ihm entdeckte man die Hohe,{Olanfe SGeftalt des Pfarrers. UnmöglichH dem Neuling all die Grüße darzubringen, die man ihm zugedacht Hatte! Die Burjhen wichen zurüd und Iauerten im Dunkeln Hinter den Baumftähmen und Heden. Da Hörten fie, wie der Pfarrer beim Unblid der Berwüjtung den Schulmeifter zu fih in fein Haus einlud. Berflucht! Der Schwarzfrak Hatte ihnen den ganzen Spaß verjalzen! Sie rächten fich, indem fie in jener Nacht daz Thor des Pfarrgartens aushHoben und auf einen dohen Birnbaum hHängten,
So wurde HeinrihH Wendelin in feinem Wirkungstkreije empfangen und [o trat man ihm entgegen, wo {ih immer Gelegenheit bot. Er aber ließ das Banner nicht finfen und
%. Boßhart, Im Nebel. 14
[210]Profeljor Wendelin.jo blieb auch der Lohn nicht aus. Freilidg von den Alten war einftwveilen nicdhtz al Fluch und Haß zu ernten, dafür aber gewann er die Jugend im Fuge, trog jeiner Minkijchen Art, die den Spott hHerausforderte. Denn wo ein Lehrer begeiftert unter Rinder tritt und fie e& ihm anmerken: unfer ift er ganz und gar, mit jeder Fajer feines Herzen3, da mag er budlig und mwüfjt und unanitellig fein, daß Gott erbarm,bie jungen Geifter fliegen ihm doch entgegen, wie die Tauben der Hand, die ihnen Futter ftireut. Und neben den Hundert feinen Freunden gewann Heinz auch einen großen; das war der Pfarrer, ein fechsundzwanzigjähriger Mann, der wie er in Steinhaufen fein erftes Arbeitsfeld gefunden Hatte. Unter Anleitung des Freundes fing Wendelin an, feine Lücenhafte Bildung auzzubeffern, Fliden um Hiden, fid vor allem Latein und Griechijdh in den Kopf ftopfend, fo viel hinein gehen mochte. Was war das für ein Leben! In der Schule der Glanz von zweihundert Heinen Sonnen und zu Haus noch mehr Wärme und Leuchten aus zweien!
Zu Wendelin unfäglihem Schmerze wurde der Pfarrer von einer Brujtfrankheit ergriffen, die ihm die Ausübung feines Berufes unmöglidH machte und ihn zwang, nach dem Süden zu ziehen. Wie Dd war nun das Dorf auf einmal geworden, und wie ungaftlihH und fonnenarm. Wären nicht die Kleinen gewejen, e3 Hätte einen gefroren! Und die Pfeile der Verfolgung, wie fhwirrten fie wicder um den Schulmeijter, als die ehrwürdige Geftalt des Pfarrer8 fich nicht mehr wie ein Schild vor ihn {tcllte! Und wie un-gefchict mar der Verfolgte, um fie abzuwenden !
Ein Jahr fpäter verließ auch Heinz die Steinhaufer,die Alten mit Ceidhtem Sinn, die Jungen mit |OHwerem []Brofejjor Wendelin.
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Herzen und nicht ohne jihH Vorwürfe zu machen. Wber es trieb ihr in die Hauptjtadt, wo er an der neugegründeten Univerfität Gejchichte ftudieren wollte. Denn Küferjörgs Abfhiedbamorte Hangen ihm in den Ohren nach und folgten im auf Schritt und Tritt, wie mandmal eine Melodie nicht von uns Cafjen will: „Nun Kfannjt dır zeigen, daß rechtes Holz an dir ft! Stefe dir dein Ziel Hoch!” In der Tajdhe trug er Hundertundfünfzig Thaler und wenn er die blanken Scheiben auf der Hand wog, meinte er, num fei die ganze Welt für ihn feil.
So weit war Wendelin am Bankett in feinen Träu-mereien gefommen, als ihn jein Kollege Rofenblatt, der feinen Atem er]öpft Hatte, perfönlich apoftrophierte und nicht wenig erfchreckte. Che er auZ feinem Traume erwacht war und fich wieder an die Wirklichfeit gewöhnt Hatte, erbraufte der Saal von Beifalsrufen und frohlodendem Gläjerklingen, und jede Lippe und der Mund eines jeden Safe rief: „Iubelt dem Greije zu, Ddeffen Wiege die Armut fcHaukelte, aber um Ddefjen weiße Loden der Ruhm einen goldenen Kranz fäicdht und mit dem Kranze einen Glanz, der durch’3 ganze Vaterland leuchtet!“
Mitternacht war längft vorüber, als Wendelin, begleitet von einigen Schülern, feiner Wohnung zufdhritt. Er fühlte,daß er nicht fchlafen Könnte, denn das Braujen des Banketts und die über] hwänglichen Phrafen, die er, ohne eS zu wollen,aufgefangen hatte, Ffüllten idm den Kopf mit einem Chavs {hmerzender Diffonanzen. Er trat deshalb in fein Studier-zimmer ein, in den Raum, in dem er die glüdlihften, hHellften Stunden feines Lebens verbracht Hatte und griff zu feinem Lieblingshuche, dem „Fauft“, um durch dieje3 Zaubermittel
44%
[212]Profeffor Wendelin.die hohlen Bilder des Abends zur Ruhe zu werfen. Umfonft!Die Andacht kam ihn nicht.
D, die Thoren! fie wollten ihm Heut das Facit feines Seben3 ziehen! deffen Wert ausrechnen! Wußten fie denn,wie teuer er fein bischen Ruhm bezahlt Hatte? Und daß fie e3 gerade an diefem Tag fhHaten, am 16. Februar, an {feinem Unglüdstage, am Tage feiner Verlobung! Welde Ironie!
3 war vor zweiundfünfzig Jahren. Der Gefchicht3-itudent Heinrich Wendelin bewohnte damals ein Dachjtübehen in ber Marktgaffe und faß über feinen Büchern mit der Hähigkeit eines Bauern. Mehr als zwei Jahre Hatte er an feinen hundertundfünfzig Thalern gezehrt und an dem jpär-lichen Erträgnis einiger Privatfiunden, die er den Kindern eines Kaufmanns erteilte und die ihm {fein pfarrherrlicher Freund aus der Ferne verjhafft Hatte. Wie hatte er gefpart und jeden Bagen zeHnımal umgewendet, bevor er ihn aus der Hand ließ! Immer jtand der eine feiner Füße auf Grund und Boden des Hungers und der” andere nicht weit davon. Da gab e8 Feine roten, vollen Baden; aber e8 ging leidlid, bis eine Kataftrophe eintrat: der Kauf-mann verließ die Stadt und ließ den Lehrer feiner Kinder Srotlos zurück,
Mit fummervoller Seele zählte Wendelin an jenem Tage feine Baarjchaft, E3 blieben ihm noch elf Thaler.Sept hatte er Feine Luft mehr zu fragen. was etwa die Welt Ffoften möchte, wie damals, al3 er von Steinhaufen weg309;er wußte nun, wie viel fich mit elf Thalern anfangen licß.Segt galt e8 den Magen nach dem Geldjäcchen einzurichten!Wer dabei gut fuhr, das waren die Bähne, denen nun immer weniger Arbeit zugemutet wurde. Denn Wendelin hoffte []rofefjor Wendelin.
313 durch Sparen und Faften feine Baarjchaft jo lange firecen zu fönnen, biz neuer Verdienft fih einftellen würde, und er machte fich daran, Befchäftigung zu fuchen. Wer num {tol-perte er beftändig über feine Linkheit. Der Bücherwurm war zu nichts tauglich, als etwa zum Erteilen von Unterricht,und nun fand er den Weg nicht in die Häufer, wo Private lehrer ihr Brot finden fönnen und verfiel auf niemand, der in richtig Hätte weifen Können. Wohl Kannte er einige Seute in der Stadt, aber das waren arme Schlucder wie er lelber, Leute vor denen fich die Thüren der Neichen nicht gern öffneten und deren Empfehlung wenig frommte. Von ihnen Konnte er nicht3 erwarten. Und wenn er fih auch ein Herz faßte und eine fremde ThHlüire aufftieß, fo {Onarrte fie ihn fo an, daß er alles Selbftvertrauen verlor; und wurde er dann vor den Hausherrn oder die Hausfrau geführt, fo benahm er fi ungefhict wie ein [Hüchternes Kind: fein Bücling bekuftigte, feine fhäbige Kleidung tötete daZ Zu-trauen und feine unfichere, ftotternde Stimme vermochte e8 nicht wieder zu erobern. IJedesmal wenn er einen folchen Befuch gemacht Hatte, fagte er fich beim Fortgehen: „D, was bijft dır für ein Tölpel, für ein Tölpel!“ Und er [hämte fich,und dabei fiel von feinem fonft {Hon geringen Selbftvertrauen wieder ein Feken ab, dergeftalt, daß er fOließlidh gar nicht mehr wagte, fig vorzuftellen und oft, wenn er den Griff einer Hausthlire erfaßt Hatte, zögerte und nicht zu drücken wagte und die Hand wieder finkfen Kieß, um unverrichteter Sache nach Haufe zu Tehren.
Das befte wäre gewefen, er Hätte fih an feine Profefforen gewendet. AWber die Kluft zwifchen ihnen und ihm dünkte ion fo tief, daß er e& nicht über fih brachte. Und dazu
[214]Profejjor Wendelin,fam feine ererbte bäuerifhe Berfhloffenheit, die falfhe Scham und der faljhe Stolz: einen fremden MenichHen in feine Not Sliden laffen? ihm fagen: „Sieh, ih muß hungern!“ Sich der Gefahr ausfeßgen, von einem andern mitleidig, vielleicht JOadenfroh belächelt zu werden? Nein, nein, lieber dran zu Grunde gehen.
Hätten der Küferjörg und der Pfarrer noch gelebt, er hätte fi odne Scheu an fie gewendet, die Hätten feine Not mitgefühlt, das wußte er, aber fie waren ja beide nicht mehr,der eine lag im Friedhof zu Brachentwyl und der andere fern von der Heimat im Teffin und Feiner Konnte dem un-gejchicten Heinz mehr raten. Auch der freundlidhHe Seminar-bireftor war nicht mehr da, den Hatten fie auZ dem Lande berwiejen, wie man den Teufel austreibt,
Da war freilich noch fein Vater; aber der grollte ihn noch wie am Tage der Flucht und Hatte die dargebotene Hand ftet3 zurücgewiefen. Zudem ftete er ja felber beftändig in der Patiche bis ans Kinn. Und wenn er auch feinem „vers {ornen Sohn“ Hätte helfen wollen und Können, der Hätte ihn die Hohle Hand nicht Hinhalten mögen. Mein, lieber ver-Hungern, al8 von der Gnade leben!
Aoer fo weit war’8 ja noch nicht. Noch bejaß er ein halbes Dugend Thaler, noch Konnte er ein Stücchen warten und trogen und Hoffen. Den Zimmerzin8 freilih Hatte er am Enbe des MonatZ nicht bezahlen Können; aber der {hreck lie Augenblid war ja fchon vorbei: Frau Relljtab Hatte fi vertröften Iaffen, viel Leichter, al3 er c8 erwartet Hatte und Hatte ihm jogar recht freundlich zugelächelt, mit ihrem jungen, blühenden Seficht, fajt fo freundlich wie einft das Muütterchen.[]Profefjor Wendelin.
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So ging e& denn weiter; aber eS waren düftere Tage und auf jeden trüben AWobend folgte ein noch trüberer Morgen.DazZ Studium ftockte in Heinzenz DachjtübchHen, denn immer Förperhafter fchob fih zwifhen die Augen und das Buch das Gejpenft des Hungers, wie ein grauer Schleier, Hinter dem die Buchjtaben verblaßten und verfhwammen und zu tanzen anfingen. Dazu . kam das Yuälen des mißhandelten Magens. Wie oft drückte Heinz die Faujt unter den Rippen in den Leib, als Hätte e8 gegolten, drinnen einen zu Tode zu drücken. O, Ddiefes entjeßlidhe Hungergefühl, das er nie ganz zu {tillen wagte, weil eS ihm zu viel auf einmal ver-jOolungen Hätte! Wie oft ließ er eS fich felber auffreffen,um dann in einen ftumpfen Halbihlummer zu verfallen.Und öffnete er die Augen wieder, {o jHwirrten davor gelb-lie Figuren mit fharfen Rändern umher, die wie Mücen ihre Bahnen Ffreuzten und den Geijt ängftigten.
Einmal ftürzte er wie toll aus feinem Stiübchen hinaus,nit um die Schwellen der Reihen aufzujuchen, er fand den Mut nicht mehr dazı, fondern um das Gejpenft, das fHreck-lie graue Gefpenft zu fliehen, das ihr das Kiebfte, was er Hatte, feine Studien unmöglich machte, Und er eilte durch die Stadt, die Augen Hütend, damit fie nicht in die Schau-fenfter lögen, nad den braunen Schinken und den in Keih und Glied hängenden Würften, und nicht nach den gelben,Löcherigen Kästeilen oder nach den flachen Scheiben der Äpfel- und NahHmkuchen, die verlodend zwijchen den Broten und Weden fichH breit machten. Denn, wijdhten die Augen au3, fo Hätte der Magen e3 ihnen gleihthun wollen und Hätte getobt und geriffen wie ein Hund an feiner Kette.Gin Glück, daß fihH nun das Feld ausbreitete, das Kahle [215] rofefjor Wendelin.Winterfeld, das fchlaftrunken feine Tracht Schnee erwartete,Aber au da kommen die ANugen nicht zur Ruhe, fie fuchen und fpähen und jebt befehlen fie: „Link abgefchwenkt, mitten in den Ader hinein!“ Wie eifrig fie find! Iebt Haben fie,was fie fuchen: da fchimmert e3 gelb zwijchen den leicht gefrorenen Erdjdhollen hervor: eine Rübe ift’3! Die Finger fahren wie Stoßvögel danady und graben daZ Kleinod heraus, die gleichen Finger, denen einjt die Erde [o verhaßt war, wie Gift der Zunge. Der Fund wird mit dem Meffer notdürftig gejhabt und fhon Hauen fich die Zähne darein,daß e8 nackt, und Kalt gleitet e& den Schlund Hinab.
Uber der Lederbiffen bekommt ihın übel. Der Magen bäumt {ih gegen die gefrorene füßlihe Frucht. Wendelin,von großer Übelfeit Halb gelähmt, wankt der Stadt zu. Da fommen ihm Tritte entgegen, e& ijt eine Mutter und ihr Rind. Daz Mädchen bleibt ftehen und fagt: „Mutter, fich doch den Mann an, wie der fpaßig!) läuft!“ Die Mutter faßt die Kleine bei der Hand: „Komm’, Bertha, komm’, es i{t ein betrunfener. Zump!“
Das Wort fcHhnitt dem Burfchen wie ein Meffer inz Gerz. So weit alfo Hatte er e8 gebracht! Für einen Land-Ätreider, für einen Lumpen hielt man ihn! DO, daß er Steinhaufen verließ! Da Hatte er wohl Haß, aber Keine Verachtung zu ertragen, da Hatte er nad der Arbeit doch genug, um {id den Hunger und den Durft aus dem Leibe zu treiben! Er ließ einen Blick über fih gleiten. Kein Wunder, daß man ihn mit Mißtrauen betrachtete: er Hatte nie viel auf fein Ünßere8 gegeben; feit er aber an nichtz
‘) Seltjam.[]Profefjor Wendelin,
217 mehr als an feinen Lebensunterhalt und an feine Zukunft denken Konnte, Hatte er fih arg vernachläffigt. Er jah es nun ein und empfand Widerwillen gegen {ich felbft. .
Und nun faßte er den Entjhluß, gegen den er fich fo lange gefträubt und gewehrt Hatte, an dem er zu Grunde zu gehen meinte: er wollte wieder Schulmeifter werden. Seinen Studien entfagen, zwei, drei Jahre, vielleicht auf immer!Er hing daran wie am Leben. Wer e8 Half nichts! Der Bauernjohn Heinz war zu fhwach, zu ungefchickt, um fich aus feinem Stande heraus zu arbeiten, in einen anderen ein-zudringen, wo das Leben gemächlicher und jonniger dahin»fließt. NochH felbigen Tages begab er {ih in das AUmts-haus, um anzufragen, vb nicht irgendwo im Lande eine Schulmeifterftelle frei fei.
Stede dein Ziel hoch! Das Wort Hang ihr wie Hohn in den OYhren, al das Portal dröhnend und die weiten Gänge des AUmtshaufes füllend Hinter ihın zufiel. Stede dein Biel hoch! Sr fühlte wie ihn die Wimpern feucht wurden und wußte nicht, jollte er fidh freuen oder nicht, als ihm der Bejcheid ward, e8 feien ftatt einer drei Stellen frei und er fönne nur wählen. €3 waren drei Heine NMefter, eines unbekannter als das andere; Wendelin wählte aufs Gerate-wohl. Dann fehrte er in fein DachjtübhHen zurüc und fing an, feine Habfeligkfeiten zujammen zu rtaffen. Da3 war bald getan: Hätten nicht die Bücher der grünen Kifte einiges Sewicht gegeben, der Wind Hätte fie fortblajen Können.
Während des Paden3 quälte ihn ein anderer Gedanke;er Hatte feit zwei Monaten die Zimmermiete nicht bezahlt und fürchtete, man werde ihn jo nicht ziehen Iaffen. AlS er den Deckel zugeworfen und den Schlüffel zweimal umgedreht
[218]Rrofefjor Wendelin.hatte, febte er fihH auf die Kifte, nahm den Kopf zwifchen die Hände und jann auf eine {dhilihe Art, feine Freiheit zu erlangen. Da Inarrte die Thüre und herein ftredte fich ein noch jugendlicher Frauenkopf mit Üppigem {Oiwarzem Haare, roten, vollen Baden und gutmütigen freundlichen Augen: „Suten Wbend, Herr Wendelin.“
Der AUngeredete fuhr auf au3Z feinem Sinnen: „Wh,jeid Xhr’83? Guten Wbend, Frau Relljtab!“
„Sch bring Euch da ein Häfelein mit Kaffee und Milch;ih hab’ gleich beides zufammenge[hütt’t, ’8 wird Euch nichts machen, und hab’ au etwas Brot Hineingebrodt. E3 ift mir übrig geblieben und wollt Ihr e& EuchH fOHmeden laffon,fo0l’3 mich nicht reuen, e& ginge mir doch zu Grunde. Ihr fönnt mir daz Häfelein wieder in den Laden bringen.“
Wendelin {tand da und ftarrte fie an mit feinen ein-gejunfenen großen Augen, In feiner Bruft fing der Un-willen an zu fochen, er Hätte fie anfahren wollen: „IQ brauch’ Euer Almojen nicht!“ Wber feine Zunge war wie gelähmt und feine Erregtheit fand nur YWusdruck durch die Hände, die bebten,
Frau Rellitab wurde ungemütlihh bei diejem AUnblief und ihre freundlichen Üuglein hörten auf zu Lächeln. Mit Ihüchterner Geberde ftellte fie den Topf auf den Tijch, legte einen Qöffel dazu und verfhwand dann durch die Thüre.Wendelin Hörte, daß fie draußen noch ein Weilchen {tille ftand und Horchte und Hierauf langfam die Treppe hinunter-jtieg, etwas vor fig hinmurmelnd.
Da war er nun allein mit feinem Topfe, aus dem ein feiner Dampf aufftieg, der das StübhchHen mit verlodendem Kaffeeduft füllte. Nun brady fein Mifmut aus: „MD, die []Brofefjor Wendelin.
219
Schande, die Schande! Sie Hat gemerkt, daß ih Hung're,und ich! wie einen Bettler Laß’ ih mich behandeln! Aller Stolz i{t dahin! Pfui!"
Wer der Lopf kümmerte fichH nicht um diejen Zorn-ausbruch, dampfte weiter in feiner bejcheidenen Art und die Brotbroden, die drin fHiwammen, dehnten fih wie RatZ-herzn und {Hivollen an und guten verführerijch au3Z ihrem gelbbraunen Zümpel: „Sei doch fein Narr!“
Wendelins. Magen, der als echter Materialift feines Meifjters Subtilität nicht verftand und fih Überhaupt, da man ihn nun fjeit Tagen und Wochen fo jcHlecht behandelt hatte, nicht mehr mit Phrafen und Injtigen Prinzipien ab-fpeifen ließ, fing nun an, feine Rechte geltend zu machen und zu toben wie noch nie. Heinz Jah, daß er den ver-führerijdhen Topf entfernen müffe, um Sieger zu bleiben;er nahm ihn in die eine Hand und den Löffel in die andere und jDhicte fidh an, das Almofen vor die Thüre zu eben.Aber der gute Burfche Hatte fich überfchäßt: wie er den Topf in den Händen hielt, und fihH die Finger dran wärmte,wie die Bauern zur Winterszeit am Kachelofen, und ihn der Geruch ohne UmfHweife in die Nafe ftieg, da fank er fröhnend auf jeine Kifte hin und unter Thränen verfchlang er bas erfte Almofjen, das er empfing.
Der Kaffee that ihn wohl, und mun kam auch der Mut,vor feine Hausmeifterin zu treten und fie zu eriuchen, ihn troß feiner Schulden ziehen zu laffen: er würde fie zufrieden-ftellen, {obald er etmwa8 verdient Haben würde. Sie war immer {o gut zu ihm gewefjen, die Fran Rellitab, und Hatte fie ihn auch jeßt gedemütigt und gekränkt mit ihrem Töpfchen und Qöffel, fie hatte e8 Kcherlih nicht Io gemeint.[]A”
Rrofeffor Wendelin.Wendelin nahm Löffel und Topf, ftieg die fünf Treppen hinunter und Sffnete die Thüre linker Hand. CE kam ihm ein fatter Geruch von Schnupftabak, Seife, Käfe, Muskatnuß entgegen. Rings an den Wänden des Raumes, auf Sejtellen und in Glasjchränken lagen oder ftanden die aufgefpeicherten Waren, lauter gangbare Artikel, ein großer Segen: Zuder-Hüte in vivlettem Papier, Säde mit Kaffeebohnen, hier grüne liche und gelbliche, dort geröftete braune, Seifen, gelb und weiß und gefprenkelt, Soda in großen weißen Töpfen, Käfe mancherlei Urt unter Glasgloden, fein gemahlener Zimmt in Büchfen, im Fenfter zwijhen Töpfchen und Gläjern die appetitlidgen Kugeln der Orangen und Zitronen, und noch viele andere nüßlidhe Dinge. Frau Rellftab ftand in einer Ede, Wendelin den Rüden wendend, und Häufte Seifenwürfel zu einer mächtigen Pyramide. Sie hatte offenbar den Stu-denten nicht eintreten Hören und unterbrach deshalb ihr halb-lautes Selbftgefprädh nicht.
„Daß ih nicht früher drauf verfallen bin! Wie dumm id) war und meinte, ... Aber jeßt foll er’8 anderZ Haben,wenn er wil wie der Herrgott in Frankreich fol ev’8 haben. Und warum follt’ er nicht? ....“
Dann fing fie an, den RMefrain eines damals beliebten Volksliedes zu fummen :
„Wie mir das Leben mait,Bin ih erft zwanzig Fahr!Schön ift die Ingendzeit ©, immer, immerdar!“
Wendelin, der e8 für unjhicliH Hielt, ihre Unter-Haltung zu belaufen, abfhon er aus den abgerifjenen []rofeffor Wendelin,
221 Brocen nicht Aug wurde, ftellte das Krüglein geräufgvoll auf den Ladentijch :
„Frau Rellitab, ih ....
Die Spezereihändlerin fuhr zujammen und ftieß mit den Händen fo ungefchiekt in die Seifenpyramide, daß diefe umfjtürzte und die jAlüpferigen Würfel auf dem Boden dahin-gleiteten, hierhin, dorthin, als wollten fie Verfjtedens fpielen.
„Si, wie dumm! FJhr habt mid faft erfchredt, Herr Wendelin!“
„S3 thut mir aufrichtig leid, Frau Rellitab,“ fagte Wendelin, der fürchtete, feine Gläubigerin in üble Laune verfebt zu Haben, „ich meinte nicht, ein Unglück anzufjtellen.Darf ih Helfen, . . .“
„Nein, nein, Wendelin, bei Leibe nicht, Your folt mir nichts im Laden anrühren müffen, das ift recht für unfer-eins. Das hab’ ih mir jhon gejagt, mit dem Laden follt Ir... 0
Wendelin ohne auf ihre Einrede zu hHorchen, griff nach den Seifenftücken,
„Aber, Herr Wendelin!“
Nun richteten die beiden die Pyramide zufjammen auf;bie junge Frau wurde dabei gefprächig und wußte viel, viel von ihrem Laden und ihrer Kundfhaft zu erzählen: „E32 it eine Heine Goldgrube, Herr Wendelin, Ihr fönnt mir’s aufs Wort glauben; aber wir bedienten die Leute auch immer wie niemand in der Stadt. Mein Vater felig Hat alleweil gefagt: „Jedem Kunden tHıue unten inZ Säcklein Billigkeit und oben ins Säclein Freundlichfeit!“ Und fo Hat er8 ge-halten und ift gut gefahren dabei und Kfonnt’ jedes Jahr ein Ihweres Sümmchen auf die Seite legen. „Ia, e8 ijft ein [2929] rofeflor Wendelin.Goldgrübchen, Herr Wendelin.“ Dem Studenten wuchz der Mut, wie er fie fo reden Hörte: „Hat fie’3 fo die im Sad,jo wird fie mit dem Zimmerzinz fchon ein wenig Geduld haben,“ bachte er. Als die Pyramide fidH hoch an der Wand aufrichtete, faßte er ih ein Herz und fagte: „Frau Nellftab,ih Fam herab, um Euch zu jagen, daß ih Euer Haus ver-Talfen muß.“Sie {ah ihn erfhredt an: „Was? hr wollt fort?Gelt, Ihr feid Irank? . . ih hab’3 wohl gefehen !“
„Nein, aber ih Habe eine Schulmeifterftelle auf dem Lande angenommen. . . .“
„Io hab’ e8 doch immer gefagt: der Herr Wendelin figt zu fejt Hinter feinen Büchern, dann verkleiden fie ihm und er geht!“
„ES3 ift nicht deswegen.“
„So bin id fchuld daran! nicht wahr ih Hätte Euch früher etwas beifpringen follen, aber ich bin eben erft Heut auf den Einfall gefommen, daß eS fo arg fhlimm fteht in Euern Zafcdhen.“
Heinz IHoß das Blut in den Kopf.
„za,“ Jagte er, und meinte an den Worten zu er-würgen, „ja, zum Studieren gehört Geld und ich habe keinz mehr, nicht einmal fo viel, um Euch den Zimmerzin8 zu bezahlen. In einem Vierteljahr bekomme ich aber meinen erjten Gehalt und dann werd’ ih mich fhon an meine Schulden erinnern, Frau Rellftab!“
„S3 ijft mir nicht angft drum.“
„Ih danke Euch, daß Ihr mich wollt ziehen Xaffen,Shr feid gut!“
„Aber um’s Himmelswillen, warum wollt Ihr denn fort?“[]Krofefjor Wendelin.
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„IO hab’8 ja gefagt: ich Habe keinen Baven mehr!“
„Aber andere Leute Haben!“
„Die behalten das ihrige für fich.“
„Und wenn ih e3 Euch gebe?“
„Spaßt nicht, Frau Rellitab! ih Könnt’ e8 nicht er-tragen 1“„Ih fpaße doch nicht!“
In diefem Augenblid trat ein Kunde in den Laden;Yrau NRelljtab trippelte ihır entgegen und bediente ihn mit Hreundlichkeit und wohl auch mit Billigkeit. Wendelin aber benugßte die Gelegenheit, um unvermerkt zu entwifdhen. Ihr Anerbieten Fam ihm fo unverhofft, daß er im erften Augen-blic meinte, jie fcherze, und wie er feinen Irrtum einfah, da verftand er fie erft recht nicht: „Was führt fie im Schilde?“Wer unter Bauern in den arnıjeligjiten Verhältniffen auf-gewachjen i{jt und drei Jahre in Steinhaufen Schulmeifter war, erwirbt den Begriff Edelmut erft fpät und nur dann,wenn ihm der Himmel günftig ift; e8 Koftet ihn Mühe, an die völlige Uneigennüßgigkeit einer Handlung zu glauben, wenn jie ihm in einer ganzen fremden Berjon entgegentritt. Beim Küferjörg Hatte Heinz fo etwas begriffen, der war ja feit dem erften Schultage fo lieb zu ihn, wie fein leiblicher Vater nie; aber diejfe Spezereihändlerin, zu der er fajt noch Kein anderes Wort gefagt Hatte a3: „Hier, Frau Relljtab, Mt der Mietzinz31“ und aus deren Mund er noch wenig anderes vernommen al: „Danke, Herr Wendelin!“ wie kam fie dazu, ihm das Geld zum Studieren vorzufireden? Sie hatte ihm freiliH immer ein freundlidhes SGeficht gezeigt;aber ihat fie denn nicht jedem etmwaz Freundlichkeit oben ing Säcchen ?
[2924]Profeljor Wendelin.Er begriff fie nicht. Sollte e8 wirklich Leute geben,die Fremden gegenüber nicht nur füße Worte auf den Lippen,fondern auch Mingende Münzen auf der Hand Haben?
AB Wendelin fiH fo den Kopf zerbradh und in feinem finftern Stübchen auf der Rijte faß, Mopfte eS an feine Thüre und herein trat Frau Rellitab mit einem Licht in der Hand.
„Sr jeid mir davon gelaufen, Herr Wendelin, und habt gemeint ich fpaße. YAWber e8& war mein Ernft und fo SOhr e8& wollt, forg’ ich für Euch, bis Ihr mit dem Studieren fertig feid.“
Wendelin richtete fichH auf und fahH ihr in die Augen:„Warum wollt Ihr das thun ?“
„It 8 etwas böfes, daß Ihr mich fo anfahret? fagte die junge Frau Heinlaut; „ih 1hu'3, weil ih’2 vermag und weil ih meine, e3 {ei an Euch nicht [hlecht angewandt?“
„SO will mir’3 bis morgen überlegen.“
Die Spezereihändlerin ging hinaus, fie wurde aus dem Burfchen nicht Aug und murmelte, als fie die Treppe hin-unter{tieg: „So hab’ ih ihn mir nicht gedacht! Mein, fo nicht!“ Wendelin aber in der Finfternis ftellte fih wieder die Frage: „Warum mil He das?“ und mübhfam kam er zu dem Schluß: „E3 gibt, [Heint’8, folche Leute in der Welt.“
Wie JihH diefe Erfenntniz Bahn brach, Naderte in ihm auf einmal wieder ein Funken Freude auf, der erfte feit langen, langen Tagen: beinahe zwei Monate war er Student gewejen, ohne zu ftudieren, jeßt follte e& wieder werden wie zuvor, Iujtig und feurig in die Welt der Ideen hinein! dem Hiele zu, das er fidh geftet Hatte, hoch, hoch!
„Shut fie e8 nicht aus Eigennuß, werde ih e8 wohl annehmen dürfen, Hab’ ih mich doch beim Küferzörg auch []Brofejjor Wendelin.
225 nie gefragt, und zurücferfiatten werde ich eS& auch einmal fönnen!“ mit diefer Überlegung warf er fidhH auf fein Bett und fchlief vollen Töpfen, vollen Wangen und einer neuen IOhaffensfreudigen Zeit zu.
Die Spezereihändlerin forgte für ihn wie eine Mutter:in feinen Schrank ftedte fie neue Wüäfche und einen ftatt-fihen Anzug; auf den Lijch ftellte fie große wohlfidhmedende Schüffeln und rafjch füllten fih feine hohlen Baden wieder und färbten ih rot. Und die gute Frau freute fi wie ein Rind, wie fie ihn jo gedeihen fah. Ia, da3 fchien ihr noch nicht genug. Eines Tages als Wendelin aus dem Kolleg zurückfehrte, erwartete fie ihn auf der Treppe: „Kommt nur bier herein, Herr Wendelin!“ Und fie führte ihn in ein freundliches, wohnlidhes Zimmer mit einem großen KXachel-ofen. „Macht e3 Euch von jebt an hier bequem!“ Wirklich,da ftanden jHon feine Bücher auf dem SGeftell, und auf dem Tilche lagen feine Hefte und im Schrank feine Hemden.
Heinz ließ e8 fichH gefallen, denn er {ah e& ihr an den Augen an, daß fie e8 gern that und er fHämte fich heimlich,ihren Borfhlag anfänglich fo mißtrauifdh aufgenommen zu Gaben. „IH will es ihr einmal redlich vergelten, fo wahr ih Heinz heiße.“ Und feine Bruft füllte fich immer mehr mit einem wonnigen Gefühl: mit Herzlidher Dankbarkeit, wie er meinte, und er ging nie am Laden vorbei, ohne den Ropf durch die Thüre zu jtreden und ihr „guten Tag“ oder jonit ein freundlidhes Wort zu fagen!
So verftridgen der Chriftmonat, der Jänner und die erfte Hälfte des Hornungs. An einem ftürmifjhen Sonntag-abend, al3 der Wind draußen um die Straßeneden pfiff und die Fenfterfcheiben mit Schnee und Regen bombardierte, faß
SS. Boßhart, Im Nebel. 15
[226]Profeffor Wendelin.Wendelin nad dem Nachteljen noch ein Weildhen im Wohn-zimmer feiner Wohlthäterin und plauderte und unterhielt fich mit ihr, fo gut e& ging. € war ihın fo wohl in ihrer Nähe, wie einem Kinde bei feiner Mutter, obfhon fich mit ihr über nicht3 al8 die alltäglichiten Dinge reden lic. Ihre Befchränktheit fiel ihm gar nicht mehr auf, denn ihre Herzen8-güte verdeckte all ihre Mängel.
Sie erzählte ihm an jenem Wende von ihrem Mann Ielig. Er war ihr vor zwei Jahren geftorben, Kaum zehn Monate nach der Hochzeit. War das nicht {HrecklihH? Und fie Hatten einander fo gut leiden mögen; denn er war ein herzensguter Mann! Wer hätt’ ihn nicht auf den Händen getragen! Noch immer muß fie an ihn denken! 8 {ft gar zu {hön, Mann und Weib zu fein, wenn ein8 daZ andere verftebt.Wendelin Hat dieje Dinge fhon mehr al einmal ge-Hört, aber er läßt fie plaudern, er Hört ihr gerne zu, und wenn fie gar zu weitichweifig wird, {hweifen auch feine Ge-danfen etwas in die Ferne, in die Zukunft: er fühlt’8, er wird fein Biel erreichen; noch ein SKahr oder zwei zähen Schaffens und das Schlimmfte ift überftanden, und er weiß e8: das Glück muß fih an feine Ferfen Heften, e& muß!Wenn nur das gute Mütterhen drunten in Brachenwyl den Augenblit noch erleben mag! Dann fol ihm nichts mehr mangeln in Jeinen alten Tagen! Lebte doch der Küferjörg noch! was würde der für eine Freude haben, wenn er fähe,daß alles beffer wird, al3 fie eS fiH zufammen in ihren wag-hakfigiten Träumen ausgemalt Hatten!
€ war jhon ziemlih {pät, als Wendelin fidH in feine Stube zurücdzichen wollte. Wie er unter der Thüre {tand []rofe/jor Wendelin,
2927 und der Hausherrin „gute Nacht“ wünfchte, rief fie ihn zurüd:
„Herr Wendelin, ich Hätte fchon lang gern eine Bitte an Euch geftellt.“
„Sprecht, Frau Relljtab, Ihr wißt, Ihr Könnt von mir verlangen, wa3 Ihr wollt, es ijt mir nichts zu viel!“
„ABS mein Vater fjelig noch lebte, hat er daz Rechnen und Schreiben immer jelber beforgt und zu mir gefagt, das fei nichts für Weibsleute, und nachher Hat e3 mein Mann ganz gleich gehalten. So lernte id vom SGejchäft nur, was man im Zaden braucht und habe nun zwei Jahre drauflos gehandelt, eingenommen und ausgegeben, Dbeftellt und em-pfangen, wie’3 ging und kam und e3 mir gut fchien, aber wie ich eigentlich ftehe, weiß ih nicht. Wollt Ihr mir beim Rechnen und Auffchreiben ein Stünddhen Helfen ?“
„Aer dünkft Euch nicht, Ihr ihHätet beffer, einen andern. . ..”
„Seid Ihr nicht ein gefhulter Mann? Und treu feid SOr audH und verfchwiegen, das trau’ ih Euch zu!“
Wendelin wurde e3 plößlih ungemütlih in ihrer Nähe,ihm war, er wittere Unheil und er Hätte fajt jagen Können,welcher Gattung eS fein würde.
„Muß e3 Heute Nacht noch fein ?“
„3 ijt erft Halb zehn Uhr, oder doch wenig darüber;in einem Stündchen ijt alles gethan. Ihr feid ja gewohnt,lang zu wachen.“
Wendelin folgte ihr in da3Z anftoßende Zimmer, wo an der einen Wand dazZz Bett der Witfrau, an der andern ein Hoher, altertümlicher, fajt fHtvarzer Geldjchrank ftand. €war warm und behaglihH in dem Raume, dem Studenten
15 *
[298]Profeffor Wendelin,aber |chien, er trete in eine Backftube. WaSZ Hatte er nur?Und marum tauchte in ihm wieder jene Frage auf: „Was führt fic im Schild?“ Nun meinte er, die Antwort gefunden zu haben und e& ward ihm zum erften Mal zur SGewißheit,daß jein Herz fihH an da8z undedeutende Wefen angeflammert hatte; fein innerjtes Gefühl aber rief ihm zu: „Nimm dich in Acht! Nimm dihH in Acht! DazZ würde nicht gut!“ Er wäre gern entronnen, aber wußte nicht, wie e8 [Hhicklih zu machen mar. €3 Fam ihm vor, er fei im dichteften Nebel.
Sau Relljtab zog ihr Geldtäfchehen hervor, entnahm ihm ein Schlüffeldhen, das fie im Schloß des Schrankes zwei:mal umbrehte; dann Sffnete fie das Möbel, indem fie eine Klappe hHerunterließ, die nun al3 Tijh diente. Hierauf 30g fie eine große Schublade heraus: „Das find Yuittungen und Nechnungen, die follten auseinandergelefen werden.“ Sie jchüttete den ganzen Inhalt auf den Tijh: e& war ein Heiner Berg. Wie fie den Haufen überfhaute, mußte fie lachen:„IH hab’ nicht geglaubt, daß ihrer fo viele feien! Da brauchen wir ja einen ganzen Tag dazu!“ Und fie warf die Papiere wieder in die Schublade. „AWber etwas anderes fönnen wir heut abend noch beforgen,“ fpradh fie, eine andere Schublade ziehend. „Hier find die Kanufbricfe, auf die mein Vater felig Geld geliehen Hat und hier ift das Verzeichnis dazu; nun fehet nach, Gerr Kechenmeifter, ob allc8 noch hübjch beijammen ift und zählet mir das Sümmehen zu-jammen, damit ich weiß, wa3 ich alle8 Habe.“ Dies fagend [906 fie den Studenten freundlich zum Tijhe. Wendelin g0 (obte fi, auf der Hut zu fein und fing feine Arbeit an,entfaltete die Papiere, Ia3 die Zahlen und notierte fie auf ein Blatt Papier; die Witte beugte fih über ihn, ganz nah,[]Rrofeffor Wendelin.
2929 und er fühlte ihren Atem, der ihm warm über die Wangen jtrich, und er hob die Achfel in die Höhe wie zum Schub.
Al die Kaufbriefe durchHmuftert waren und alles {timmte,zog die Witwe zwei neue Schubladen heraus; die waren gefüllt mit Schweinsblajen, in den Schweinzblafen aber blinkten hier gelbe Doublonen, dort weiße Thaler, man Hätte ein Königreich dafır Kaufen können. So wenigjtenz meinte der Bauernjohn, der von dem Glanze geblendet wurde. Einen foldhen Reichtum Hatte er noch nie gefehen, nicht einmal in feinen Träumen. Die Zahlen in den Kaufbriefen Hatte er notiert, ohne fihH Dabei viel zu denken, obwohl ihın ihre Größe auffiel; hier aber Hatte er greifbar vor fich, was dort nur Tinte war, und mit refpeftvollem Zögern fing er an, die flingenden Scheiben zu weißen und gelben Säuldhen oder Zürmehen zu häufen. Und wie die Münzen, wenn fie zu-fammenftießen, [ich freundlich Mingend begrüßten und im Ampelliht Aunkferten und achten, da meinte Wendelin, er fei König im Feenland.
DazZ Zählen des Geldes war ein Gejhäft, dem auch Srau Relljtab gewachjen war; um e3 fi bequem zu machen,jtrich fie die Urmel ihrer Jade zurück und ließ ihre {Hönen,runden Arme Herausquellen. Dann jebte fie fidh neben ihren Sekretarius, und machte fih mit dem SGelde zu fHaffen. Wer fie fchiem zerftreut zu fein und mehr als einmal ftieß fie mit ihren Armen oder Händen fo ungejhidt an die feinen, daß daz Türmehen, das er eben gebaut Hatte, der ganzen Länge nach Hinjtürzte, Das [cOhien fie zu beluftigen, denn jedesmal lachte fie Hell auf, und was fie erft, wie eS {Hien, nur aus Unachtjamfeit that, das fing fie nun an abfichtlih zu verüben und weidete fich an dem verlegenen Selichte des Studenten []gr x Rrofeffor Wendelin.und trieb es immer übermütiger. Ihre Iuftige Laune fteckte almählih au Wendelin an; er vergaß daz „Sei auf der Gut!” und fing an, Ihr auf die Finger zu Hopfen, wenn fie feine goldenen Werke über den Haufen werfen wollte;bald waren die beiden in ihrem Übermut fo weit, daß fie es auf einen Heinen Fauftfampf wollten ankommen Xajffen, wer Herr am TijhhHen fein follte. Dabei muteten fie aber dem Aöbel mehr zu, alZ e3 auszuhalten inıftande war: die Witwe, um das Feld zu behaupten, ftübte fich fo ftark auf die Klappe, daß die morfhen Scharniere mit einem Knall brachen und die Münzen alle Hingend fihH im Zimmer ver-(freuten, Die Frau faß auf dem Boden und fHüttelte fich vor Lachen, al8 der erfte Schre vorüber war.
„<$Or habt das Unglück angerichtet, Herr Wendelin, nun macht e3 wieder gut und richtet mich auf!“
Da er ihr gehorfamft wilfahren wollte, machte fie fich {mer wie Blei, und Wendelin Hätte fein Beginnen bald aufgeben müffen, wenn fie nit mit ihm Erbarmen gehabt hätte: fie {lang ihre weidhen Armen um feinen Naden, wie er fi über fie beugte, und Half ihm bei feinem Werk. Und fonderbar! wie fie fichH jo ancinander geflammert aufrichteten,näherte fih ihr Geficht immer mehr dem Jeinigen und als fie aufrecht nebeneinander ftanden, fuhr Wendelin ein heißer auch entgegen: „Ih Hab’ dich gern!“ und er merkte wie re Lippen auf feinem SGefichte tafteten und feinen Mund Juchten und fanden und fich daran feftflammerten. Und er fühlte wie ihre Brujft wogte und wie e8 darin fochte und wallte und die ganze ftarfe Geftalt erfhütterte. Er wußte wohl, daß er fi CWwswinden follte und er wollte e8 auch,denn ihm ward angjt. AWber e8 kam über ihn wie ein []rofejfor Wendelin.
231 Raufh; feine Arme, ohne um Erlaubnis zu fragen,Ichlangen fi um den ftarfen NMaden des Weibes, {feine Lippen erwiderten den Druck und feine Bruft fing an der ihrigen entgegenzubraufen.
In jener Nacht verfpradh Heinrich Wendelin der EClija-betha Relljtab, geborenen Winkler, eHelidhe Treue. € war am 16. Februar 183 .
Der irübe Wintertag war jhon Lange angebrochen und der Student erhob fih immer noch nicht. Nicht daß er ge-ichlafen Hätte: feine Augen Hatten fid die ganze Nacht nicht ge[loffen und wild jagte ihr das Blut durch den Kopf.Erft wirkte der Raufh noch in ihm und der unerfahrene Bücherwurm, geblendet von dem LichHtfirahl, der in der {türmijdhen Winternadht in fein Dafjein gezuct Hatte, ver-jenfte fich mit {üßem Schauer in das Geheimnis, zu defjen Erfenntinis man ihn geriffen Hatte. Bald aber Fam ein Um-IOlag; die Vernunft ward Meijter über daz Gefühl und IOmang ihre Peitjdhe.
OD dur Thor, was Kann fie dir werden, diefe befhränkte Spezereihändlerin! Diejes Weib, blühend am Leib, aber verfümmert am SGeijft! Nun tummle dich durch’s Leben, du Narr, mit Ketten an die Dummheit gefOmiedet! Liebe fie,fo lang dur Kannft! hHebe fie empor zu dir, wenn dıt die Kraft haft! Und vermagft du’s nicht, nun, fo werde dumm wie fie,wenn dır glüclich fein willjt!
Wie ihn fo die Borwürfe geißelten und peinigten, ftiegen vor ihm Rouffeaws und Sokrates’ Bilder auf und verließen in nit mehr. GHündijhes Leben! Ihm graute davor!„OD, Bnnt ih diefe eine Nacht aus meinem Leben aus-fragen!...“ Er war unfäglih elend und weinte in fein Kiffen.
[2392]Krofeljor Wendelin.Wie er ruhiger ward, fing er an auf Mittel zu finnen,das Gefchehene unfhädlih zu machen; aber fein Geift wollte auf nichts verfallen. Der Gedanke, daz Übel da anzuhalten,wo e3$ war, die Kette, die ihn an die Dummheit band, mit einem Ruck zu zerreißen, kam dem ehrliden Bauernjungen nicht, Einmal erwachte in ihm die Hoffnung: cr wollte die Lisbeth bitten, ihm feine Freiheit wieder zu geben, das Band freiwillig zu Xöfen, und Jhon fann er auf Worte, die fie rühren follten. Aber da fühlte er wieder den heißen, un-geftümen Hauch ihrer Feuchenden Bruft: „Ich Hab’ dich gern!“und e3 wurde ihm Mar, daß eines von beiden unendlich elend bleiben müffe, er oder feine Wohlthäterin, und er jelbft mußte wählen, ein Wählen ohne Wahl! Der Tag graute durch die Fenfter Herein, unheimlich wie ein Gefpenfjt;Wendelin wäre die Nacht, die alles verhüllende, licher ge-wejen und er verfroch fich unter die Dede, um im Dunkeln zu haufen.
€ mochte etwa 10 Uhr morgens Jein, als er {Hüchtern an feine Zhüre HNopfen Hörte, Er fuhr zujammen: „Da ift fie!” . Nochmals flog ihm die Frage durch den Kopf: „Soll ich fie bitten, mid ledig zu Iaffen?“ Da Hörte er wieder Flopfen, vernehmlicher, und da er wieder fhwieg, Fnarrte die Thüre leife und eine ängftlidhe Stimme, in der die Secle zitterte,fragte: „Heinrich, lieber Heinrich, was ift dir? bift dur Frank?“
Der Ton der Stimme rührte ihn; nein, er konnte ihr nicht wehe thun, ihr, der er vor ein paar Stunden Treue für’s Leben verfprochen Hatte, der er fo viel fhuldete. Er ftredte den Kopf Hervor und die Lisbeth drückte ihre heißen Lippen auf feine Wangen, über die ihm IHränen liefen.Sept war eS für immer entichieden.[]Profelfor Wendelin.
233 Ale diefe Einzelheiten {Hivebten wie SilhHouetten an Brofefjor Wendelin vorüber, als er 52 Kahre fpäter nach dem raufchenden Bankett finnend in feinem Zimmer aß.Febt wußte er, daß feine Befürchtungen Legründet waren:Zamilienglüg, den füßen Verkehr mit einem Wejen, das ung begreifen will und kann, das fih Io innig mit uns verbindet,baß wir glauben, e$ fei in unjerem SGeifte eine neue, bis da verborgene Kraft erwacht, das un nicht nur den Lebenspfad ebnet, fjondern ihn aus der Ebene hinauf zur Höhe Ienkt:all das Konnte Wendelin nur ahnen, erfahren Hatte er es nicht: er Hatte ja Keine Frau, er Hatte eine Helotin, die ihn freilich Xiebte, wie eine Kaße ihr Junges, die aber feinem Geiftesleben fo fern blieb wie eine Rage dem unfrigen, und für die er wenige Monate nach der Verheiratung bei bejtent Willen nicht? mehr empfinden Konnte als Erbarmen. Wer er trug jeinen Xummer mannhaft, und. nie ftieg in feiner Srau die Mnung auf von dem Schmerz, von der nimmer ruhenden Sehnfucht, die ihr Mann in feiner Bruft beher-bergte. Und dieje Qualen, anftatt im Laufe der Fahre abzuftumpfen, wurden immer fhärfer, und immer graufamer fAnitten fie in die Seele: Wendelinz Befürchtungen wurden von der Wirklichkeit noch übertroffen, die Thorheit einer einzigen Nacht jollte nicht nur fein Leben vergiften und zer-Freffen, fondern au das Mark aller derjenigen, die aus feinem SFleijch nad ihm kamen. Er erfuhr, daß die Dumm-heit fich unfehlbar vererbt, ficherer felbft als jene Heimtücdifchen Berwühjtungen der Zunge und des Gehirns, die unjere Spi-täler und Narrenhäufer füllen. Wehe dem Haus, in dem fie einzieht!
Mendelin hatte zwei Rinder. Das jüngere, ein Mädchen,
[234]Rrofeffor Wendelin.ftarb nach Furzen Jiehen Lebenswochen; der Erfigeborene dagegen war Fräftig gebaut wie feine Mutter, der er in allen Stücden nachjhlug: er hatte ihre Stirne, ihre Baden,ihre Lippen, aber auch ihre gutimütigen Äuglein: er war ein guter, Herzensguter Kerl, fhade nur, daß er zu nicht? rechtem taugen wollte, denn leider Hatte er auch vom Vater ein Erb-teil: die Unbeholfenheit. Er wurde zu einem Kaufmann in die Lehre gejdhidt, aber fhon nach einigen Monaten kehrte er ins elterlide Haus zurüd und meldete lächelnd, man Habe ihm gefagt, c3 jet mit ihm nichts, aber auch gar nicht? an-zufangen. Nun verfuchte man e3 mit einem Tijchler, dann mit einem Gärtner und endlich mit einem Schloffer, aber er brachte e8 nirgend3 auf einen grünen Zweig: entweder fehlte ihm die Luft oder die SGefjchiclichteit und meiftens beides zugleich. Indeffen vermochte ihm Fein Mißerfolg das zufrieden lächelnde SGeficht zu rauben: Karl war für’s Glück geboren.So wurde er einundzwanzig Jahre alt und noch war er nichts. Da, als er eines Tages mit feinem Vater über Land ging, fah er auf einem Ader zwei Bauern, die auf dem Pfluge figend ihr Vejperbrot aßen. Der Andbli gefiel ihm: die Bauern, der junge neben dem alten, friedfam fauend, ohne Kappe, fogar ohne Weite: das mußte be-quem fein! Born in den Strängen die vier Ochfen, je zwei nebeneinander, den Unterkiefer am OVberkiefer reibend und aus den Nüftern rajd verfhwindende Dampfwölkdhen in die Herbitlidhe Luft Llafend, fonft ruhig und gelaffen wie Bilder au3 Stein. „Vater, ih möchte auch fo ein Bauer fein!“Er äußerte diefen Wunfch noch mehrmals: Der Bauernftand war ber einzige, zu dem er mehr al8 einmal Luft zeigte.[]Profeffor Wendelin,
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Dem Profefjor mißfiel der Gedanke nicht, daß der Sohn zu der Scholle zurückehren wollte, der der Vater entlaufen war,und er brachte Xarl aufs Land zu einem erfahrenen Land-manne, dem Schwabenftoffel, wie man ihn nannte.
Der Burfche war wirklich zur Landarbeit ordentlich zu gebrauchen und wenn immer einer neben oder Hinter ihm jtand und fagte: „Karl, thu’ das!“ oder: „Karl, thu dies!“fo ging e8 ganz leidlih. Er fcheute fichH nicht wie einft fein Vater, mit den Händen in der Erde zu wühlen; im Milt zu {tampfen oder mit dem Iangftieligen Schöpfer Jauche in raufcdhendem Bogen auf die junge Saat zu werfen, war ihm eine Quit.Der Profefforenfohn mochte etwa anderthalb Jahre auf dem Bauernhofe zugebracht Haben, al er an einem Sonntag Morgen unerwartet im Elternhaus einkehrte, fi vor den Vater ftellte und Lächelnd zu ihm fagte: „KH will die Käther Heiraten!“
„Was? Wen?“
„Die Käther ?“
„Sa, wer ijt denn die Käther ?“
„Unfere Rüchenmagd!“
„Unfere ?“
„SIG meine Schwabenftoffels, des Meifter3.“
„Was fommt dir in den Sinn, Junge! Du Kfannft noch nicht Heiraten, da muß man erft etwas fein, etwas ge-lernt Haben und imftand fein, Brot zu verdienen für fidH und feine Frau!“
„Die Käther Kann auch fHaffen!“
„Nein, nein, Karl, daz geht nicht, dur mußt noch ein haar Sahre warten, du bift noch zu jung, du bijt ja noch ein Bub!“
[236]Brofejfor Wendelin.„Nein, ich bin kein Bub mehr! ich habe einen Schnauz und will die Käther Heiraten, ich hHab’3 mit ihr ausgemacht.“
Der Profejfjor Wendelin ging am folgenden Tage nach dem BauernhHofe, um fih die Käther anzufehen. „Ift e8 ein rechtes Mädchen, wohlan!“ dachte er bei fig.
Um in Sohwabenftoffel8 Wohnftube zu gelangen,fonnte man durch den HGausgang oder durch die Tenne und Küche gehen. Wendelin ging durch die Küche. Die Thüre war offen. Wie er die Meine hHölzerne Treppe Hinanftieg,jah er in dem Raume eine Geftalt bei einer Meinen Kufe fnien und mit den Händen einen dampfenden Brei umrühren.Sie fehrte ihm den Rüden und zeigte ihm einen Iangen Nacken und darüber ein Köpfchen mit {trohgelbem, f{pärlihem Haar. Auf ihrer Kinfen Schulter jaß ein junges Kähchen,hielt ih im Gleichgewicht und guckte neugierig in den Brei hinab. Fe mehr fidh der Kopf fenkte, um fo mehr recte {ich da3 lange Schwänzchen in die Höhe, Al8 das Mädchen die Schritte des Fremdlings hörte, drehte e& das Köpfchen herum;gleichzeitig Fehrte fih au das Käßlein und ftrih ihr daz weide Schwänzchen um die Nafe, Da fing das Mädchen zu Yadhen an, fo undbändig und Hell, daß die Teller und Becken auf den SGeftelen, die Pfannen und ihre Dedel an den Wänden, die Trichter und Siebe, Kurz die ganze Küchen-herrlichteit mit allem, was drin ftand oder hing und einen Mund, eine Zunge oder Baden Hatte, fchallend mitlachte.Sa fogar der ernite Profeffor fühlte einen Lachkigel in den Wangen. Während das Mädchen achte, fhloß es die Hellen,fajt farbenlojen AWugen; unter der Oberlippe hervor {treckten jich dabei die breiten, nad vorn ftehenden Schneidezähne.Da3 war die Käther, Karl8 erfte Liebe.[]Profeljor Wendelin.
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Der Profeffor ging an ihr vorüber, ohne ein anderes Wort al3 den üblidhen Gruß mit ihr zu wedhfeln: er wußte jhon, was er wijfen wollte,
Mit dem Schwabenftoffel war er bald einer Meinung:der ließ jich leicht beftimmen, eine Magd, an der er kein befonderes Wohlgefallen zu Haben jHien, auf das nächjte Ziel zu entlaffen. Seinen Sohn wollte der Profefjor bi dann im elterliden Haufe behalten und meinte in feiner Einfalt,Karl und Käther würden fich bald wieder vergeffen Haben.Aber die Leidenfhaft der Jugend liebt nicht die Wege des verftändigen Alter3: des Schwabenftoffels Küche fol oft ganze Tage fein einziges Mal gelacht Haben, und der fonft fo gut-mütige Karl vergaß zu Haus auf einmal das ererbie freund-fie Wefen, befonders in Gegenwart des Vaters; denn er wußte, daß der Widerftand nur bei ihm war, während das gute Herz der Mutter mit allem {ympathifierte, was Liebe heißt, und dies nicht verbergen Konnte.
Wen wird e3 deshalb wunder nehmen, daß an einem Abend Karl nichHt beim Nachteffen erfhien und nirgend3Z im Haufe aufzutreiben mar! Die Liebe hat wahrfHeinkich größere Thaten auf dem SGewifjfen, als einen Spaziergang von zwei oder drei Stunden beim Herrlichften Frühlingswetter, durch grünende Saatfelder, die mit dem Wind jpielten und dabei dann und wann die Farbe wechfelten, wie es bei Verliebten fommlich ijt.
3 Käther an jenem AWbend am Herde ftand und Hafermehl in Kfochende Milch ftreute, um für die Hungrige Diener]haft da3Z gewohnte Mus zu bereiten, Hörte fie ans Küchenfenfter pochen. Sie Jah Hin, freudig überrafcht, denn e3 erinnerte fie am frühere Beiten; da bemerkte fie ein
[238]BProfeffor Wendelin.Näschen, das fih an die Scheibe drückte und ausfah wie ein Bagen. Nun lachte die Käther wieder wie einft. Die Pfannen-dedel und Taffen und Beden und Teller und Keffel erfchraken erjt ob der Hakbvergeffenen Mufik, fajt wie ein träumender Schüler, wenn ihn der Schulmeijter anfährt. Al3 fie aber die Stimme ihrer gellenden Freundin erkannten und merkten,daß Ddiefe guter Dinge war wie ehedem, da jubelten fie ihr zu und erflangen wie Gloden und Zimbeln.
Die Köchin fprang zur Thüre hHinauZ inzZ Freie. Das Habermus wollte e8 ihr nadhmadhen, Hüpfte auf und fH{hth Iprang e8 auß der Pfanne. Sin Teil gleitete rajch am Herde hinunter, brach fih aber die Füße und roch nun mühjamı und träge auf dem Boden dahin, der ThHüre zu, ohne fie zu erreichen. Der andere Teil fiel inz Feuer und auf die roten Rohlen und erhob ein entfjebliches Schreien und Zifhen. Im Nu wurde die Lachende Küche zu einer wimmernden. Das hörte die Bäuerin in der Stube und kam und fah, wa3 ge-fOhehen war. Sie rief der Käther, und die Pfannendeckel wiederholten den barfhen Ruf: „Kathrie!“ Umfonfjt! Ent-weder Hörte die Käther e& nicht, oder dann wollte fie taub fein.
AS fie nach einer Viertelftunde fidh wicder bliden Licß und die Bäuerin wenig freundlich zu ihr fprach, lachte fie Hell auf und Hatte glei das ganze Küchengefchirr wieder auf ihrer Seite, und je {Härfer die Stimme der Bäuerin wurde, defto heller mufizierte das BlehH an den Wänden und auf den SGeftelen, fo daß die Meijterin eS endlich vorz0g,das Feld zu räumen,
Der Ausweg auf den Karl und Käther damals ver:fallen waren, blieb nicht lange ein Geheimnis, Als die Magd []Profejlor Wendelin,
239 Schwabenftoffels Hof verlaffen mußte, ging fie [Önurftrads in die Stabt, fragte nach des Profeffors Wohnung und z0g die Siode jo derb, daß das ganze Haus zufammenfuhr. Karl jhien ihre Art zu kennen, oder fie erwartet zu Haben: wie eine Summel fuhr er auf und davon, der Hausthlire zu.Seiner Mutter fiel das Gebahren auf; fie eilte ihm nach und fand das Paar Bruft an Bruft und Lippe an Lippe:„Das it die Räther, Mutter!“
Sie mufterte ihre zukünftige Tochter und dachte bei fich:„Etwaz AWparte3 ift fie freilich nicht; aber e8 ijt nicht {Do Iolimm, wie der Heinz fagte, und wenn fie fich gern haben. ...“
„Darf ich fie Haben, Mutter ?“
„30 denke wohl, aber wir müffen den Vater fragen,gehe mit ihr zu ihm, er ijt im Stubierzimmer.“
Der Gelehrte faß Hinter feinen Büchern. Al er auf-jah und den Befuch erkannte, verfinfterte fih fein fonft fo mildes Antlig:
„Laß uns allein, Karl!“
Wie er mit dem MädchHen allein war, fuhr er fie an:„Wa3 fucht Ihr hier, Käther ?”
„SO will den Karl Haben!“
„Daraus wird nicht, [Hlagt Euch das nur aus dem Kopf!“„39 muß ihn Haben!“
„3 fage dir, dur Friegit ihn nicht!“
„Und ih Frieg’ ihn doch!“
Dies Jagend Tieß fie ihren Blig Langlam an {ich Heruntergleiten, wendete {ich wie verfchämt etwas ab und gudte dann mit {Hlaudummen Yıgen zum Profefjor hinüber.Dabei fhluqg fie, fer e8 auz Gewohnheit oder aus Verlegenheit,
[240]Brofejfjor Wendelin.ihr Gelächter an; aber e8 tönte nicht wie in Schwabenftoffel8 Küche: die Bücher und Schartefen waren eben weniger dumm und äffijh alz die Pfannendeckel und Blechtrichter, und al8 die Magd fah, daß fie das gewohnte Echo nicht fand, ver-jtummte fie und ließ wieder ihren Blig fprechen, fürchtend,das erftemal nicht begriffen worden zu fein.
3 wäre nicht notwendig gemwefen; der Profefjor Hatte fie glei) verftanden; der Ingrimm fing an in ihm zu Kochen,feine Finger ballten fihH zur Fauft und in feinen fonft fo friedjamen Füßen zuckte e8 Kampfluftig: er Hätte auf das Weib Kosftürzen mögen. AWber was war zu machen? Die Heirat ließ fihH nicht mehr vereiteln, im Gegenteil, man mußte fie emfig betreiben, um nicht Hochzeit und Taufe mit»einander feiern zu müffen.
Das8 war ein f[Hmerer Schlag für Wendelin. Er kaufte den beiden LeutchHen einen Heinen Bauernhof viel zu teucr wie c8 von ihm zu erwarten war und ließ fie trauen.
Käther fHenkte ihrem Mann ein halbes Dugend Kinder,jedes Jahr eine8: da8 ging fo regelmäßig wie auf dem AWeker Saat und Ernte, ANe ftarben bei der Geburt oder bald nachher, mit Ausnahme des zweiten, eines BübchenzZ, das Öottfried getauft wurde.
Sottfriedchen mar etwa fünf Jahre alt, al8 fein Vater fi eines Tage8 in feinen beften Sonntagsrod {ftedte, nach Sto und Hut griff und den Weg nach der Hauptitadt ein-[cOlug. Fragten ihn die Bauern, die längs der Straße in den Wiefen ftanden und die zijhenden Senfen inz Gras jOlugen: „Wohin fo eilig, Nachbar Wendelin?“ fo ftand er till: „Ih muß Heut das Mähen einftellen, fie weihen drin in der Stadt die Pferdebahn ein Ihr Habt ja wohl auch []Profejjor Wendelin.
241 davon gelejen und da Hat man mir gefhrieben, ich möchte doch auch fommen!“
„So habt Ihr wohl was wichtiges dabei zu thun?“ „Wer weiß!“ fagte Wendelin und fAOritt fürbaß. Fragte dann etwa ein Bube feinen Vater: „Was Hat er denn bei der Einweihung zu [Haffen?“ fo ließ der Alte feine Senke einen Augenblick in der Mahd fteden und lachte: „Nun, dur fiehit eS ja! er will einen Narren feilhalten !“
Sn der Stabt angekommen, {tellte fihH Karl Wendelin auf das Trottoir und wartete und drehte den Kopf nach jedem ungewohnten Lärm. Endlich rollte der erfte Wagen daher, er war mit Blumen und Kränzen gefhmückt und das Volk begrüßte ihn mit findlidhem Freudengefchrei. Im Wagen Jaßen Männer mit Frag, Cylinder und weißen HandfhuhHen und jhauten auf das Volk mit liebevoller Teilnahme wie Könige oder gar Öbtter. Da3Z waren die weijen Stadträte, die Hörderer des fhönen Werkes. Karl Wendelin, der Bauer,verfhlang all das mit den Augen; was Hätte er darum gegeben, fi mir für fünf Minuten in die |hmwarze Oötter-verlammlung eindrängen zu fönnen!
Aın Nachmittage wurden die Wagen auch dem Publikum zur Verfügung geftellt. Wendelin ftand wieder auf feinem Poften und fah den Leuten zu, wie fie auf den fahrenden Wagen fprangen oder abftiegen, die einen gewandt wie Seil-tänzer, die anderen plıump wie Mehljäce. Wie achte er,wenn einer beim AYuffpringen jeine Beine nicht recht zu regieren verftand und, an den eifernen Pfojten angeflammert,fich nachfhleppen ließ, oder beim Aofteigen das Gleichgewicht verlor, Kopf und Hände in der Luft Herumwarf und aller-Hand fomifches Zeug machte. „Wie kann man fich bei einer
X, Boßbhart, m Nebel. 16
[242]Brofefjor Wendelin.fo einfaden Sache fo dumm benehmen!“ Karl machte fich das Ding in feinem Kopfe zurecht, und alz wieder ein Wagen vorbeifuhr, tirippelte er eilig auf ihn zu; aber feine Hände waren zu Iangjam und anftatt die eijerne Stange zu faffen,griffen fie in die Luft und Wendelin, ohne recht zu wiffen,wie e3 zugegangen war, ftand auf Händen und Füßen zu-gleich und das Volk machte fÖlechte Wibe und Lachte: „Scht,ber Bauer will vor Freude auf dem Kopfe ftehen !”
Diejer Miferfolg that Wendelins Stolz nicht wohl,aber er ließ fi nicht abfhreden; bald tauchte die freundliche fächelnde Geftalt an einem anderen Orte auf, und nun gelang der VBerjuch. Wendelin fuhr eine Strede weit in dem Wagen mit und gucte durchs Fenfter und meinte, aller Augen feien auf ihn gerichtet: fein Selbftvertrauen {Hwoll wieder mächtig an. Al3 er fih einem Plag näherte, auf dem viel neugieriges Volk angejammelt war, ftellte er fich Hinten auf die Treppe, aber wie er den AWbiprung, den er {jo Yange überlegt und im Geift fhon fo manchmal aus:geführt hatte, nun wirklich machen follte, da verlich ihn die Hefinnung und er that einen plumpen Sprung nad) rückwärts.Schallendes. Gelächter erhob fidh auZ der Menge, aber bald verftummte ec3, denn der Gefallene erhob fih nicht wieder.Man trug ihn bewußtlos vom Plage und einige Tage {väter verfchieb er im Haufe feines Vaters.
Nach der Beerdigung nahın der Profeffor das Söhnlein Gottfried zu fih in die Stadt, um e8 zu erziehen. Käther tröftcte [id bald über den Tod ihres Mannes und heiratete ihren Knecht.
Der Großvater erlebte an feinem Enkel Gottfried Keine große Freude: er war ein ungelenker, {Hläfriger Buriche.[]Brofejjor Wendelin,
243 Nachdem man ihn mit Mühe durch die obligatorifchen Kurfe der VBolfsjchule gefhleppt Hatte, nahın ihn ein Kaufmann,der mit dem Profefjor befreundet war, aus Gutmiütigkeit in fein Gejfchäft auf, und von da an Jah man Gottfried regel-mäßig viermal täglich dur die Bahnhofftraße fHlendern,im Sommer ein Stöclein nachihleppend, im Winter die Hände in den Tafchen verbergend. Wenn er fi am Morgen zum Sehen fchicte, mufterte die Großmutter feinen Nock, {feine Halsbinde und feinen Hut, und war alles in Ordnung, fagte fie zu ihm: „So geh’ jet, Gottfried, und fei recht freundlich mit den Leuten, Freundlichkeit Kfojtet nichts und Hält die Kunden warm!“ Und er fJagte regelmäßig darauf: „Ja, ja,Sroßmutter!“ und ging. Er wußte aber wohl, daß er zur Freundlichkeit gar Keine Gelegenheit Hatte. Trat man von ber Straße her in Spangenbergs Zuchladen, fo ftieß man auf einen langen Tifh, Hinter dem zwei Angeftellte in fOwarzen Anzügen ftanden, freundlich grüßten und lächelnd Yusfunft erteilten. Im Hintergrunde ftand ein Hochauf-gefhoffener Burjdhe mit unverhältnismäßig langen Armen und Beinen, mit einem Heinen, blonden Köpfchen, aus dem zwei winzige Äuglein blinzelten; die waren immer Halb ge-IOloffen, das linke mehr als das rechte, und man wußte nie genau, ob fie wachten oder {AOliefen, noch wohin fie zielten.Das war Gottfried Wendelin.
Wenn nun die Kunden ihre Wünfche angebracht Hatten,tönte e3 vom Ladentijdhe her: „Herr Wendelin, Cheviot, laı,Nr. 3! Cheviot, braun, Nr. 1! Kammgarn Nr. 3! Barchent Nr. 21 Bringen Sie Futterftoffe!“ Und der Angerufene icolug feine Äuglein etwas auf, griff nach der Leiter, die er an die Hohen Geftelle Tehnte, fhleppte die Iuchrollen
16%
[244]Profeffor Wendelin.her und warf fie wenig freundlich auf den Tifd. Und waren die Kunden bedient, fo hieß eS: „Herr Wendelin, räumen Sie den Tijch ab! YWber was machen Sie denn! Sie... Gehört das denn dorthin? Sehen Sie nicht, daß cS Barchent ijt? Icht fällt der Menfch noch hin! E3 ift nicht zum aushalten!“ ....
So murde Gottfried 24 Jahre alt. Un einem Sonntag Morgen, als der Profeffor beim Frühftüc faß, kam fein Enkel auf ihn zu, hielt eine Zeitung in der Hand und, mit dem Finger auf eine AUnnonce deutend, fagte er: „Lies das,Großvater.“ Wendelin fjahH Hin und las: „Eine junge,Ffinderloje Witwe, mit einigem Vermögen und hHeiterem Cha-rafter wünicht ....“ „Sa, was Joll das, mein Junge?“
Da Hub Gottfried mit weinerligem Tone an: „Icht hat fi unfjer Buchhalter verheiratet, alle im Gefchäft find verheiratet, nur ih nicht und nun neden mich die anderen und jagen in einem fort, ich bekäme feine Frau, fo einen nähme Feine. Drum Könnteft du einmal anfragen, ob die da vielleicht mich nehmen wollte.“
„SHährt das Heiratsfieber auch in den!“ dachte der Pro-fefjor und e8 ward ihm unbehaglidh; und da er fhwicg, Hub der Enkel wieder an: „Willft dur fie fragen, Großvater, oder fol ich eS felber thum?“
„Nein, nein, laß’ nur mid machen, Gottfried! Du fannjt ja nicht ohne Fehler fAHreiben und würdeft mit deiner hakigen Schrift alles verderben!“
„Und wenn fie nicht? von mir wiffen will?“
„Dann it nichts dran zu ändern!“
„Aber dann giebt’8 wohl noch andere, nicht wahr?“
„DO ja, geh jeßt nur, Gottfried, und laß’ deinen Groß-vater forgen.“[]Profejjor Wendelin.
245 „Gaft dur fie gefragt?“ war GottfriedE erfte Frage am Montag.
„Nein, noch nicht, dur mußt dich etwas gedulden!“
Aber er geduldete fihH nicht, fondern wurde immer eifriger in feinen Fragen, biz ihm endlidh der Alte fagte:„Sie hat jHon einen gefunden, dır mußt e8 in den Wind ihlagen 1!“
Das war ein großer Schmerz für Gottfried. Von da an machte er Jagd auf alle Zeitungen und fand er eine GHeiratsannonce, zeigte er fie jeinem Großvater und bat ihn,ja diefe Gelegenheit nicht zu verpajfen. Spangenbergs An-geftellte hatten die Schwäche ihres Kollegen bald Heraus-gefunden und jteigerten feine Heiratsluft durch allerhand Schelmereien, durch anonyme Briefe, ja jogar durch Zeitungs-injerate. € dauerte nicht Lange, {o war Gottfried in alle Hrauenröce vernarrt, und jOHielte ein Mädchenköpfchen auf der Straße nach ihn, weil ihm der fonderlidhe Burjche auf-gefallen war, fo ftand er fill und fpähte ihım nach, und brehte es fich neugierig noch einmal nach ihm, {vo war er fejit überzeugt, das Yüngferchen jei in ihn zum Sterben ver-fiebt, und er Hatte den ganzen Tag den Himmel im Herzen;{ah ihn aber eine nicht an, fo jtellte er fich die Frage:„Wagt fie etwa nicht, dihH anzufehen, weil dur ihr gar Jonderlich gefällit ?“
Die Aufgabe des Großvaters wurde immer fHwieriger.Er hoffte lange, den Jungen mit Worten abfpeijen zu Können,denn er Hatte noch nie viel Energie an ihm entdedt; aber er gewahrte bald, daß feine Liebesgrillen ihren Harmlofen Charakter allmählich verloren. Gottfried ließ die Zeitungen Beitungen jein und IOhliH nun Häufig in die Küche, um
[246]Brofellor Wendelin.mit der Köchin zu plaudern und von ihr gehänfelt zu werden.
„Sorg’ ih ihm nicht für eine Frau, fo macht er es wie fein Bater und hängt fih an die erfte befte“, Jagte ich der Gewibigte, „eS ift beffer, ich thu ihm feinen Willen.“Und wie er fi die Sache fo Überlegte, erwachte in ihm die Hoffnung, durch eine glückliche Wahl, die Dummheit, die in fein Haus eingezogen war, wieder vertreiben, erftiden zu fönnen. Diefer Einfall war für ihn eine Erlöfung aus ichmerzlidher Dual, denn wie oft hatte ihn der Gedanke an den unaufhaltjanıen Zerfall feines Haufe fchlaflo3Z gemacht.Hatte er nicht, um der Wiffen]haft Icben zu Können, feinen Verftand mit der Dummheit vermählt? Hatte er nicht feine Nachkommen des Geiftes beraubt, um den feinigen leuchten zu Iaffen? Say er feinen Enkel mit dem blöden Gefichte,jo Datte er das Gefühl eines Diebes, der fich reich, aber dafür einen anderen zum Bettler gemacht hat, Wäre e8 möglich, Jeine Familie wieder zu erfrifjdhen und fo die Schuld,zum Teil wenigften8, zu tilgen? Wer wo eine finden, die dazu taugte? ®ottfried mit einem gefcheidten, gebildeten Müäddhen zu verbinden, war unmöglich; Hätte fid auch eines dazu bewegen laffen, e& wäre zum Tod unglüclich geworden und des Alten SGewifien hätte eine neue Laft zu tragen achabt.Nein, Gottfried3 Frau mußte unter denjenigen gefucht werden, an deren Wiege die Armut gefeffen und fie gelehrt hatte: „Geld vor allem!“ die einen Geldfjack nicht ver-IOmöähen, au wenn er der Dummbeit an den Rod qe-näht ift.
Der Profelfor fuchte nach Mädchennamen und Maädchen-[]rofefjor Wendelin.
247 gefichtern; aber der wie eine Eule einfam lebende Mann fand in jeinem Gedächtnis nicht8, was feinen Plänen ent-fprochen Hätte. Da fam ihm ein erlöfender Gedanke, Er ließ in der Zeitung verkünden, daß er ein Zimmermädchen von 2025 Jahren juche.
Die Frau Profejfjor war nicht wenig erftaunt, al8 an einem Nachmittage fajt gleichzeitig etwa zehn Mädchen die Hausglode zogen. Sie wollte ihren Mann zur Rede ftellen,der aber gab ihr zu verftehen, fie möchte ihn in diejer Un-gelegenheit gewähren lajfjen; da ging fie Kopffchüttelnd hinweg und dachte bei fihH: „Wie der Heinz in feinen alten Tagen wunderlich wird! was verfteht der von einem MädhchHen, die dümmfte fennt fich ja beffer aus als er.“
Der Profeffor nahm die zehn Mähchen ins Cramen,prüfte jie aber begreiflichermweije nicht auf die SGefchiclichkeit ihrer Hände, fondern ihres Kopfes. Dann nahm er Ddas-jenige in feinen Dienft, das ihm den fauberften Verftand und einen gefunden Leib zu Haben fchien; die anderen entließ er. Die Ausgewählte beobachtete er nun zwei, drei Wochen,Jah nach, ob fie die Dinge mit Berftand anpade, ließ fich oft mit ihr in ein Gefpräch ein und plauderte mit ihr über Hundert Sachen; und fchickte er fie in die Stadt, um Ein-Käufe zu machen, mußte {ie {hnell ausrechnen, wie viel er ihr mitzugeben Habe, und kam fie zurück, Jo ging das Schul-meijtern_ von neuem an, Bald bemerkte er, daß er der Liefe die Zukunft feines Haufes nicht anvertrauen durfte, und wieder verkündete er durch die Zeitung, er brauche ein DienjtmädhHen. Das zweite, das er wählte, war noch un-geeigneter al3 das erfte und auch zu dem Dritten Konnte er Tein rechtes Zutrauen fajjen. Da er troß fragen und exami-
[248]Mrofeljor Wendelin.Nieren e3 ftet3 {Alecht getroffen Hatte, nahm er das vierte-mal das erfte beite und die Wahl war glücklich.
Das Mähdhen war keine Schönheit, aber e8 Hatte eine ihöne breite Stirne, Huge, offene Augen und war ftarf gebaut. Er beobachtete c8 nicht nur zwei, drei Wochen wie die anderen, fondern zwei, drei Monate und e8 gefiel ihm immer mehr. E83 Hatte nicht nur einen gefunden Ver-jtand, fondern auch Gemüt und einen aufrichtigen geraden Sinn, Das war die Rechte, die follte fein Haus vor dem Berfall retten; Konnte e8 eine, jo war fie’8! GSein ehrliche?Sewiffen fagte ihm zwar jeden Tag und immer ein-dringlicher: „Beim Himmel, e8 ijt [Hade um das Mädchen!“aber er fuchte e3 zu befchwichtigen: „Bertha ift eine Waije,arm wie eine Kirhenmaus und fteht mutterjeelenallein in der Welt: wer weiß, was das tückijche Leben ohne mich aus idr madjen würde? Ich gebe ihr Wohljtand, einen warmen Gerd und einen Tijh, unter den fie die Füße jtreden fann.Sit denn der Handel fo ungerade? AWber wenn er mit feinen Gründen zu Ende war, Hörte er immer den alten Rehrreim: „E8 ift jammerfchade um fo ein Mädchen!“ So fam e8, daß er feine ungetrübte Freude empfand, al8 eines Abends fein Enkel verlegen vor ihn trat und, ihm die Achfel zufehrend, fagte: „Du Knnteft mir die Bertha zur Frau geben.“ Wie er dem Mädchen Gottfried3 Begehren mitteilte,fitotterte er bei jedem Wörtchen und die Schamröte ftieg ihm bis unter feine weißen Loden,
Bertha glaubte erft, er fherze, und nur das ernfte un-gewöhnliche Ausfjehen des Greifes hielt ihrem Hingenden Sachen den Schlagbaum vor. Den Öottfried Heiraten? Nein,jo ein Gedanke war ihr noch nie gefommen! War denn der []Brofelfor Wendelin.
249 auch zum Heiraten da? Sie Hatte den alten Herrn herzlich gern; Gätte fie ihm Jonft eine Bitte abfhlagen müffen, es Hätte fie ganz unglücklich gemacht; aber in diefem Falle brauchte e3 für fie feine Befinnung: den Gottfried Heiraten!Wer trinkt denn aus einem Tümpel, wenn er auZ einer Duelle {Höpfen fanıcı? Wer legt fihH in die Dornen, wenn daneben Sra8 wächft? Sie fagte nein,
Der Profejfor wagte nicht fie anzujehen. und erwiderte fein Wort. Zu fich aber fagte er: „Ich fahH e& voraus, ich fann ihr nicht böfe fein. Schäme dich vor ihr, alter Kuppler!“
Und er nahm fich vor, feine eigennübigen Pläne auf-zugeben. Wer Gottfried, der wohl gemerkt Hatte, daß fein Großvater diesmal feinem Projekte geneigt war, wurde nun ein unermübdlidher Quüälgeift und Iag dem Alten in den Ohren, wo immer er ihn erwifjchte: „Wann giebjt du mir die Bertha? Dur mußt fie mir geben, fonft nehme ich fie jelber; daz KFönne ih, Hat unfer Buchhalter gejagt. Und tHuft dur eS nicht, fo mach’ ih am Ende ein Loch ins Wafier, wie die Pauline im Schloffergäßchen, und dann fannit dar auch greinen wie der Spengler und feine Frau!“
Diele Drohung, die fajt täglich wiederkehrte, machte wenig Eindrud auf den Alten, der wohl bemerkt Hatte, daß feinem Enkel das Leben tros der Liebe werter war al eine Schürze; aber der Gedanke, fein HauzZ zu erfrifchen, zu retten, tauchte in feinem Geifte immer wieder an die OYber-Häche auf und folterte ihn Tag und Nacht. Er fchlief nicht mehr und feine Frau fragte ihır manchmal ängftlich: „Was tönt dur fo, Heinz? Du weckft mich ja! Bijt dıt Krank,daß du dich fo wähzelt im Bett?“
[250]Rrofeffor Wendelin.So trieb er e3 etwa drei Wochen. Da faßte er fich ein Gerz und wiederholte Bertha feine VBorfchläge,diesmal in wohHlbereiteter Rede die praktifdhen Seiten hHer-vorhebend.
Bertha fagte wieder nein, fo beftimmt wie das erftemal;aber die Vorfpiegelungen des Alten verfehlten doch ihren Bwed nicht ganz: da3z Ddrittemal fOnalzte fie ihr Nein!weniger vertrauen8jelig al? früher und fühlte eine heimliche Angit in der Bruft, wie fie inne ward, daß ihr dazZ Wörtchen nicht mehr von der Zunge fliegen wollte wie zuvor. Das zwanzigjährige Mädchen Kannte die Welt und das Leben noch nicht. Was wußte e& von dem, was einen wahrhaft glücklich zu machen imftande it? Das dviertemal ging es ben Handel ein.
Der Profeffor rief feinen Enkel herbei, und fagte zu ihm mit leicht bebender Stimme: „Dank ihr, Friedli,fie will dihH nehmen!“ Gottfried fah fie wortlo3 an mit feinen Meinen, halbgefchloffenen Augen und lächelte und miegte fig dabei vor Bertha auf feinen langen Beinen hin und her. Bertha barg ihr SGefiht in der Schürze und fOluchzte. Der Alte aber {HlihH hinweg, wie einer, der etwas geftohlen hat.
Bon diejer Stunde an Hatte er keinen ruhigen Augen-blig mehr; er Hatte einen Menfchen geopfert in felbjtjüch-tigen Plänen, er fühlte e& wohl, und das Gewiffen 230g an ifm und beugte feinen einft fo geraden Rüden und verwirrte feinen einft jo Maren Blif, AZ man bald nach Gottfried3 Hochzeit die alte Frau Profeffor in einen Sarg beiten mußte, da Hätte ihr Mann viel darum gegeben, wenn er den Pla mit ihr Hätte taufchen Fönnen. Die Leute aber,[]Profeffor Wendelin.
251 die dem Sarge folgten, fagten: „Er ihut’3 auch nicht mehr lange.“
Bertha faßte ihre AWufgabe an mit dem Mute eines tapferen Weibes, das fie war; fie verftand e8 meifterlich,ihren Gottfried zu regieren und e& war zuweilen, als ob ji jeine blinzelnden Äuglein etwas öffneten, al8 ob {feine (angen Beine mehr Halt und Sicherheit befämen und {fein Rüden, der fonjt einem Schilfrohr glich, fteifer mürde. War fie glüclih? Nein, jo durfte man nicht fragen; aber war fie zufrieden mit ihrem Loje? Wie oft ftellte fih der Alte biejfe Frage, aber nie entdeckte fein ängftlich forfdhender Blick in dem ihrigen eine {tumme Anklage.
®ottfried und Bertha waren etwa zwei Jahre Mann und Frau, al fie mit einem Rinde befhenkt wurden. € war ein Rnäblein,
3 am Morgen nad der Geburt Gottfried in die Wohnihube trat, fand er feinen Großvater neben der Wiege des Kleinen fiken und fo fehr in den Anblik vertieft, daß er den Vater gar nicht zu beachten Ihiem und. ihn erft be-glücwünjdhte, als er Inurrte: „Da8 ift mein Bube, Groß-vater!“ als Hätte er gefürchtet, der Alte wolle ihm denjelben ftreitig machen. Und wieder febte fih der Profelfor an die Wiege und fein ANuge ruhte forfchend und fragend auf dem faum zum Qeben erwachten Säugling. WazZ regierte da in feiner Brut? Das Goffen oder das Bangen?
Sekt war das Knählein, waz alle Menfcdhen am ‚erften Vebenstage Jind: ein Klümpchen rötlichen, fihH kaum rührenden Sleijches; was aber follte daraus werden? Eine Recht-fertigung? oder die Beftätigung einer Schuld und zugleich deren Strafe? D, gerate, gerate, du teures Stücklein Feijch!“
[252]Rrofefjor Wendelin,
Der Alte betupfte mit dem Finger forgfältig den Schädel des Kindes und vergewifferte fihH, daß die Nähte noch weit offen waren und freute fih der Zhatjache. Gottfried, der eiferfüchtige Vater, Jah al daz mit mißirauifhen Augen an und um den Alten zu vertreiben, feßte auch er fih an die Wiege; aber der Läftige wich nicht,
So faßen die beiden fih fHweigjam gegenüber; der eine unwillig über die Wiege weg blinzelnd, der andere aber in diejelbe hineinihauend, nachdenklich, wie einer der eines Nätjel8 Meijter werden will. So faß der Alte nun oft itundenlang.
Einmal fam ihm der Einfall, man müffe das Anäbhlein mit einem anderen gleichen Alter3 vergleiden, um feine Entwidelung richtig beurteilen zu fönnen. Er ließ deshalb nach einem Säugling fuchen, der in der gleichen Wochen zur Welt gekommen wäre, wie fein Urenkel. Statt eines fanden lich zwei in feinem Quartiere. €3 währte nicht gar lange, da hatte der fonft ungefellige Mann mit den beiden Familien Beziehungen angefnüpft und eines Tage8 gelang c3 ihm,einc8 der Kleinen in feine Behaufung zu bringen. Das war ein Eraminieren und Begucken, ein Trippeln von einem der Rinder zum anderen! Und alle, die e8 fahen, |Hüttelten den Kopf und wurden nicht Mug. Der Alte war zufrieden mit dem Ergebnis der Vergleichung: die Kinder, die nun etwa fünf Monate alt waren, fHienen alle fajt ganz gleich entwvidelt zu fein, ihre Köpfe Hatten die gleiche Größe, der Uusdrud der Augen war wohl der nämliche, hier wie dort.
Nun fanı die wichtige Zeit, da allmählih der Geift in die unbeholfenen Leibchen einziehen, fiH ein Seelchen in die Äuglein einnijten follte. Wann kam das erite Qächeln auf []Rrofeljor Wendelin,
253 das Mündchen? wann das erfte Ihränchen ins Auge?Wendelin Hatte für nicdht3 mehr Sinn als für feinen Ur-enfel, für feinen GHeinzi. Denn man Hatte daz Knäblein nach ihm getauft. Um Morgen wollte er bei feinem Er-wachen, am Nend bei feinem Einjdhlafen fein, und fehlte dem Kleinen etwas, jo war ficherlih der Alte der erfte, der e8 bemerkte. Er Hatte ftet3 Jein NMotizheftchen bei der Hand und alles, was ihm auffiel, da3 {Hrieb er nieder. Und faß er an der Wiege und fühlte um fihH das gefHäftige, ftille Wejen der jungen Mutter, dann fjah er wohl von dem Meinen Sefihthen auf nach dem ihHrigen und ftellte fih die Frage:„Sleicht er ihr oder im? Von wem Hat er die Augen?von wem das Mündchen ?“
Sede Woche ging er einmal zu einem der beiden anderen Anäbhlein oder wußte ihre Hüterinnen in fein eigenes Haus zu Ioden und mufterte und verglich und die Leute fagten:„Der alte Wendelin wird ganz Kindijh.“ Und ebenfo trieb er e8 auf den Söffentliden Spaziergängen, wo die weiß-gefchlrzten Kindermädchen die zierlihen Wägelein jqhoben oder die molligen Kiffen wiegend auf den Armen trugen.Der komijche Alte war bald allen bekannt und fie fingen an allerlei Schabernad mit ihn zu treiben. Er achtete nicht darauf, denn er Hatte an feinen Heinzi und an fiH zu denken, und er Hatte zudem ein böfes, böfes Kind zu ge-{qweigen: fein Gewifjen, daz er jeden Augenblid {OHreien Hörte und das ihn nie zur Ruhe kommen ließ.
Heinzi war ein Jahr alt geworden und fing jHox an im Bimmer herum zu rutfhen und zu watjheln und lächelte,wenn man mit ihm {pielte und gerade trieb, was nach feinem Seichmade war. Unterichied er fich von den beiden anderen
[254]Profeffor Wendelin,Kindern? Auch fie rutfchten, auch fie watfhelten und lächelten und im Schreien Hatten fie’ wie er zur Meifterfchaft ge-bracht. „Alter Kerl, wenn e8 gelungen wäre, das Erperi-ment! © gerate, dır teures zappelndes Klünpchen! gerate!“In Wendelin ward die Hoffnung Regent und richtete ihm den Kopf wieder auf.
Nun follte das Knäblein beginnen, Sprachverfuche zu machen, und wirklich, der Anfang war ja da, IHhon ließ c8 fein „mäm“ Hören! War daz cin Wort oder war's keines?Mutter und Urgroßvater waren nicht einer Meinung. „Nun,warten wir ab, bi8 ein unzweifelhafte® folgt!“ Aber die Wochen vergingen und diefes Wort kam nicht. E83 war ein Troit, daß die beiden anderen Anäblein auch nicht fprachen.
Einft al der Profeffor einem der Altersgenoffen feines Heinzi einen Befuch machte, Hörte er, al8 er durch die Thüre trat, aus einer Ede des Zimmers den unbeholfenen Nuf:„pap! pap!“ und die Mutter des Meinen kam dem Profefior Freundlich entgegen: „Unjer Bubi plaudert !“
Dann zu dem Humpelnden Kleinen gewendet: „Bubi fag’: Mama! Bubi fag’: Pap!“ Und mit einem Teichten Stoß brachte der ob feiner Leijtung felber Ffafjt erftaunte Kindermund fein „mam!“ und „pap“ hervor.
Der Profejfor Fürzte feinen Befuch ab; der Boden brannte ihm unter den Füßen. So jhnell al8 ihn feine wadclig gewordenen Füße tragen Fonnten, Fehrte er nad Haufe zurüc.Mitten in der Stube {aß Heinz und neben ihm Kniete Bertha und fpielte mit ihm. Der Alte Hob das Büblein auf, drückte e8 an jeine Bruft und dabei fielen die Thränen aus feinen Augen und beneßten das Geficht des Kindes, fo daß es zu Beulen begann.[]Profefjor Wendelin.
735
„Was ift Euch, Großvater?“ fragte Bertha beforgt, er-hielt aber feine Antwort.
Um folgenden Tage nahm der Profejfor Geinzi auf die Knie und fprach ihm „Mama“ und „Papa“ vor, fo deutlich,als e3 feine welfen Lippen vermochten. Umfonjt! Man fah,e ward ihm unheimlich bei dem eintönigen Gefange und bald brach) er in Gejchrei aus, Neue Verfuche Hatten den gleiden Mißerfolg: „Mäm“ war alles, was in feinem Munde Wortform annahm. Bertha, die Befürchtungen des alten Mannes erratend, folgte feinem Beifpiele und fing auch "ar zu |pracdmeiftern, wenn er nicht zugegen war, Hoffend ihm eine Überrafchung zu bereiten.
Einige Wochen hatte der Alte feine fonjt fo regel-mäßigen ®inderbefuche unterlaffen, wohl aus dem gleichen Gefühle, das manchmal Kranke abhHält, zum AUrzte zu gehen:aus Furcht, die Wahrheit zu erfahren. Endlich aber trieb ihn die Neugier. In beiden Stuben traf er ein ftolperndes,aber doch munteres und unermüdlihes Geplauder, zum Teil verftändlich, zum größeren Teil unverjtändlich; gleichviel, eS war Geplauder, menjhlide Sprache, Kegung der werdenden Ver-nunft. Und fein Heinzi, mit feinem einförmigen „mäm!mäm!” ©, e8 that ihm in der Seele weh! Und dann die Augen der beiden Plauderer! wie Hatten fichH die verändert in den paar Wochen! Die fagten noch viel mehr als die ungelenfen Mäuldhen: ja, da Hatte fih etwas Hineingeniftet.
‚ Geinzt ward zwei Jahre alt und nodh war „mäm“fein ganzer Wortfhaß. Zu der Zeit befiel ihn die erfte Rinderkrankheit, eine Heftige Halsbräune, von der er nur fedxr Yangjam genaS. Als des Kleinen Leben außer Gefahr war, beichlich den Urarobvater eine Art Heimlicher Freude
[256]Rrofelfor Wendelin.bei dem Anblide des fajt ganz zerfallenen Körperchens, eines jener Gefühle, deren man fih fHämt, die man feinem Menfchen, {ih fjelber nicht, in ihrer garftigen Nadtheit zeigen möchte: jcbt Konnte er das geiftige Siechtum des Knäbhleinz zum Teil wenigjtenz der Krankheit aufs Kerbholz fHreiben,einem Umftande alfo, an dem er felber keine Schuld trug.Und er tröftete Bertha, wenn ihre Blide mit Bejorgni8 an ihrem Lieblinge hingen: „Ängitige dihH nicht, Kind, ift er einmal wieder erftarft, dann wird er auch zu |prechen an»fangen, das fommt dann auf einmal, gieb nur Acht! man hat fhon viele folche Beifpiele gehabt.“
Heinzi erholte fi nad und nach, aber mit dem Sprechen»fernen Hatte er e& immer noch nicht eilig, und fonderbar,während der Krankheit Hatte fein SGeficht eine auffällige Ühn-lichfeit mit dem feines Vaters angenommen: der gleiche [Hlaffe Mund, die gleichen trägen, Halbgefhloffenen Augen. Der Alte fonnte fig nicht mehr belügen: er Hatte fein Spiel perloren! Nun war feine ganze Energie gebrochen, er |Hlich wie ein mürrijder Schatten im Haufe herum, nirgends Ruhe erhajdhend, an nichtz mehr Freude empfindend und fajt fo wortfarg wie fein Urenfel. Einmal noch zuckte die Hoff-nung in ihm auf, al8 Bertha mit ftrahlendem Gefichte in fein Stubierzimmer drang und rief: „IFebt hat er ‚Mama‘gefagt!“ Der Alte trippelte ihr nach in die Wohnftube, um das Wunder auch zu Hören; aber der Kleine war eigenfinnig,und ließ fih durch nicht3 beivegen, fein Wiffen auszukramen.Der Profeffor fahH in feine zum Schen zu trägen Augen und verließ dann die Stube mit einem tiefen Seufzer. Wohl lernte das Büblein nun nach und nach etwas plaudern; den Alten aber ver»mochte nichts mehr zu täufchen: die Dummheit Hatte geficat.[]Profefjor Wendelin.
257
Der geprüfte Greis follte des Unglücds noch mehr er-fahren. Gottfried war feit einiger Zeit ein ganz anderer geworden; er Hatte angefangen feine Frau fOlecht zu be-Handeln, fie zu fOmähen, ihr fogar mit den Fäuften zu drohen, wenn fie nicht feiner Meinung oder beffer feiner Laune war. Wer Hätte geglaubt, daß der fHlaffe Schlauch fo viel Galle fajjen fönne!
€ dauerte lange, bis der alte Wendelin die Veränderung gewahrte, denn er Hatte Feine Augen mehr für die Dinge um ihn. Bon Bertha erfuhr er ec nicht; die wehrte fich tapfer und brav, und was fie nicht abwehren Konnte, ertrug fie mit Geduld. Einft aber polterte Gottfried fo laut, daß jein Großvater, der in feinem Stubdierzimmer fjaß, Hätte taub fein müffen, um ihn nicht zu hören. Er erhob fih, um nachzufjehen, und wie er vor die Stubenthüre kam, hörte er,wie e3 drin Kreijdhte: „Du mußt mir das Gaus räumen,das verfpreche iq) dir .... dr bift ja nur eine Magd, ein Kücdhenwijdh! .... Ich Hätte Feine Magd nehmen müffen,i9!.... Wenn du noch {Hön wäreft .... aber fo eine....Sch Könnte jet noch zehn Haben, zehn auf einmal, Hörft du’3? und feine Küchenwijche. ... Wer ich will dich 108 werden, dih ... di ... dich! ...“
Hätte man die Nachbarsleute gefragt, fie Hätten den Grund diejes BetragenS {hon lange angeben Können,
Seden Morgen, wenn Gottfried an die Arbeit ging,ftand er unten in der Frofhgaffe vor einem Bäckerladen fill,pochte an den Schalter und ließ fih eine Semmel reichen,die er dann um zehn Uhr in einem müßigen Augenbliefe verzehrte. Nun war vor einiger Zeit ein neuer Bäder in das HauZ gezogen; der Hatte eine Tochter, die war lieblich
%, Boßhart, Im Nebel. 417
[258]Brofeffor Wendelin.anzujehen und mußte vom Morgen bis zum Woend am Schalter figen und der Straße ihre rofigen Baden, ihre glänzenden Zähne und ihre runden Wrme zeigen. €3 währte nicht lange, da that eine ganze Schar junger Leute, wie Wendelin feit Yahr und Tag zu thun pflegte, und wenn zwei von ihnen vor dem Laden zufammenftießen, fo waren fie immer einer Meinung: nirgend3 Kriege man beffere Semmeln und Brezeln und Kuchen al3Z beim Bäder in der Frofchgafje. Die Schwäne und Enten aber im nahen Teiche meinten, bie Stadt jer närrifh geworden, denn fie [Hwammen feit einiger Seit in einem unheimlidhen Segen von aufe«iOwelenden Semmelbroden, {vo daß ihre Schnäbel mit der Arbeit nimmer fertig wurden, der eine oder andere fich den Magen verdarb, mißmutig ward und fi das Auswandern vornahm.
Gottfried Wendelinz Halb gefchloffene Augen waren nicht fo blind, um die runden Arme und roten Baden zu überjehen, befonderZ die runden Arme. Und merkwürdig!früher hatte er fih nur für den Morgen eine Semmel er»jtanden, jeßt fiel e& ihm ein, der Nachmittag fei nicht weniger lang als der Vormittag. Bon da an Hopfte er täglich zweimal ans Senfterchen.
Das Bädermähchen Hatte eine freundliche Art und Kiebte zu fhwaben. ES fing an mit: „®uten Morgen, mein Herr,mwa8 beliebt?“ Bald nachher Mang e& wie ein Glöcklein durch das hHalbkreisförmige Fenfterchen des Schalters: „Nicht wahr,Sie wünjdhen ein Semmelchen, mein Herr?“ Tag3 darauf:„Da ft Ihr Semmelden fhon, mein Herr! Dürfte ih fragen, wie id zu Ihnen fagen darf? IH nenne die regel-mäßigen Runden gerne beim Namen! .... Leben Sie recht []Brofeljor Wendelin.
259 wohl, Herr Wendelin!“ .... „Et, Sie fommen ja heute früher als fonjt, Herr Wendelin! Da Hab’ ih für Sie ein ganz warmes Semmelchen, das Haben wir extra für Sie ge»macht!“ .... Und fo ging e& weiter, immer vertraulicher.Was daz MöädhdhHen auZ SGejHäftsinjtinkt that, erfchien dem einjältigen Burfjhen alz bejondere Gunft. Er war dumm oder eitel genug, im SGejdhäfte von feiner Bäderin zu plaudern,und nun wußte jeder Angeftellte etwas von dem Mädchen zu erzählen: wie eS fi nach Gottfried erkundigt habe, wie e3 feine Liebe zu ihın nicht bemeiftern fönne, wie e3 bleich geworden jet, al8 man ihm fagte, er Habe fchon Frau und Kind.Sottfried Hatte Bertha nie eigentlich geliebt: er mußte 27 Sahre alt werden, um zu erfahren, was LeidenfhHaft ift.Nun aber war fie in ihn gefahren mit Gewalt und ver-zehrte fein bißchen Verftand. Er fing an, feine Frau mit der Bäderin zu vergleichen und zu Haufe begann das Knurren und Kläffen und Drohen.
Die viel umfhwärmte Bäckerin merkte bald, daß die zwei blinzelnden Äuglein in fie fterblich verliebt waren, und da fie den Burfchen für ungefährlicdher hielt, al3 ihre übrigen Semmelfunden, ließ fie fih gehen und fing an, ihn zu neden,mit ihm zu fcherzen und zu jpielen. Zu anderen Zeiten be-Handelte fie ihn mit Kälte, wie einen Unbekannten, fo daß in Wendelinz Adern das Blut nie mehr zur Ruhe Kam.Bu Haufe Enurrte er, im Gejdhäfte ftolperte er, in der Frojdh-gaffe aber Yächelte er und beim Gehen jpielten feine Finger in der Luft: er hielt Monologe. Saß einmal das Mädchen nicht am Schalter, wenn er vorüberging, jo war er den ganzen Tag unglücklich; lächelte es ihn aber an, wenn €
47*[260]Profefjor Wendelin,ihm die Semmel reichte, fo überkam ihn die Luft, gleich die Scheiben einzurennen und den Schaß in den Armen zu ent-führen, und er blieb dann ftehenm und guckte in den Laden,6:3 ihn ein anderer Kunde verdrängte.
Eines Tages, al8 das Bäcermädchen allein war, Hopfte Sottfried nicht anz Fenfterchen, fondern riß die Thüre auf und trat ungeftüm in den Laden. WazZ wollte er? Man fah e8 ihm an, er hatte etwas zu Jagen, aber er brachte feinen Laut heraus, fondern ftand da und fperrte den Mund auf und verzerrte das Gefiht. E3 muß drollig ausgefehen haben, denn das Mädchen brach in ein Helles Gelächter aus:„Um’8s Himmelswillen, was ift Ihnen denn? So reden Sie do! Soll ih Ihnen die Semmel gleich in den Mund ftecen?“Er rang immer no nach Worten und that fajt wie einer, der dem Erftiden nahe ift. Der Bäderin wurde un Geimlich, fie Hörte auf zu lachen: „WazZ ift Yonen? Was wünfdhen Sie?“
Endlich ftotterte er c3 Heraus: „Eine ... Semmel.“
Nun ward des MädchHenz Gelächter wieder flügge. E83 griff mit beiden Händen in den Semmelkorb und füllte Sottfrieds Pranken. Der wußte nicht wie ihn gelhah, gab zu verftehen, daß er einen folden Segen nicht brauche, auch das Geldtäjhchen nicht ziehen könne, wenn er beide Hände voll habe. Die Bäderin aber lachte ihn an: „Ich fchenf fie Euch!“ und {hob ihn zur Zhüre hinaus. Er ging mit jeinen gefüllten Händen nach Haufe, und wer ihn {ahb, ftand ti and freute {ich des Anblicks,
Ein paar Tage ang ging Gottfried nicht aus und brütete dumpf vor fich hin, und e& war unheimlich im ganzen []Profeffor Wendelin.
261 Haufe. Und Hatte er mit feinem gefpenftigen Wejen alle er-{Oredt, fo fhloß er fich in eine Dacdhkammer ein, durch beren Fenfter er den Bäderladen fehen Konnte. Am vierten Tage verließ er das HauS wieder, ging an der Bäckerei vorüber und, da er drinnen neben der Gejtalt des Mädchenz biejenige des Vaters fah, ging er weiter, Kehrte aber nach einiger Zeit zurüd, {chielte wieder in den Laden und trat dann ein. Das Müdchen erfchrak: „Was wollen Sie [hon wieder hier ?“
„Du mußt meine Frau werden!“
„Was fällt Ihnen ein!“
„Sa, dur mußt meine Frau werden!“
„Sie haben ja jchon eine! Sie tragen ja einen Ring!“
„Ih mag fie aber nicht mehr und will fie fortjagen und will jeßt dich!“
„Ih danke {Hör für die gute Meinung, aber e3 geht wirklich nicht, Herr Wendelin!“
„Was geht nicht? In fünf Minuten habe ich fie bdavongejagt.“
„Nein, daZ meine ich nit! IH will und mag Sie nicht, das wollte ich jagen.“
„Das fagjt dır jebt fo, aber ich weiß e8 anders, man hat e3 mir gefagt: dir Haft mich gern.“„Was fällt Ihnen ein! Was Sie Ihwaben! Schämen Sie fi vor Ihrer Frau!”
„Die jag’ ich fort, vder ih ....“
Dies fagend rückte er ihr näher zu Leibe. Sie wich aurüd:„Laffen Sie mich, oder ich rufe meinen Vater!“Er hörte nicht darauf und wollte fie anfaffen; da gab
[262]Mrofejjlor Wendelin.fie ihm einen derben Nafjenftüber und wijchte an ihn vorbei und zur Zhüre hinaus, ;
Auf den Lärm kam der Bäcker Herzu; ehe er fich’3 aber verfah, erhielt er einen fo wuchtigen Schlag auf den Kopf,daß er am THürpfojten Halt fuchen mußte. Gottfried Hatte fig mit einem langen Brotlaib bewehrt und hieb rajend auf den Bäcker ein, der keine Waffe Hatte, als feine Hände, und daz Brot jo jehr in Ehren hielt, daß er den Kampf gegen dasfjelbe nur fhüchtern führte. Endlich trieb e8 ihm fein Kunde doch zu bunt; er griff nach einem Schemel und warf ibn dem Nafenden fo unglücklich an den Kopf, daß er lautlos zufammenbrach.Gottfried Kam erft am folgenden Morgen wieder zu Sinnen;e8 war ihm fo fcHhwindlig im Kopfe, daß er einige Tage lang fich nicht aufrecht zu Halten vermochte und bei jedem Schritte taumelte. Dennoch rief er jedesmal, wenn Bertha in feine Kammer trat: „Laß’ mich zu ihr Hinunter, du... du...oder ich erfteche dich! dur... du...“ Sobald er wieder fefit auf den Füßen war, wollte er daz Haus verlaffen, fand aber die Thüre verriegelt und den Schlüffel verborgen. Da fing er an zu lärmen und zu toben und mit einem Scheit Sagd auf Frau und Kind zu machen und e3 fo toll zu treiben, daß er mit fremder Hilfe überwältigt werden mußte.Von da an wiederholten fichH diefe Wutausbrüche fajt Tag für Tag, niemand im Haufe war feines Lebens ficher, bis man fi endlich entfhloß, den Unglückkihen in einer Irren-anftalt unterzubringen. Dort verjlimmerte jih jein Zu ftand zufehend8 und einige Monate nach der Schlacht im Bäckerladen wurde dem Profefjfor Wendelin mitgeteilt, man mülfe den Batienten in die AUnitalt für Unheilbare überführen.[]Brofefjor Wendelin,
263
Un dem Tage, an welchem Gottfried transportiert werden follte, empfahl Bertha ihr Söhnlein der Obhut des Urgroßvaters und verließ das Hau: fie wollte ihren Mann auf diejfer Fahrt, die einer Fahrt ins Grab glich,begleiten. A fie am Wbend nach Haufe zurückkehrte, fand fie das Haus von innen verfHhloffen. Sie Läutete; niemand regte fih. Leute au3 der Nachbarfchaft jagten ihr, der Rrofejfor fer am Morgen ausgegangen, aber nach einen Stünddhen zurüdgekehrt; am Nachmittag Habe man ihn nicht gefehen. „Und daz DienftmädohHen?“ Das Hatte man auch gejehen, e& Hatte daz Haus um 11 Uhr in Sonntags-fleidern verlaffen.
Bertha wurde Ungft. Sie ließ die HausthHüre auffprengen,jtürzte in die Stube und zündete ein Licht an. € war niemand da. Auch im Stubdierzimmer fand fie den Alten nicht, wohl aber feinen Gut und Stod und das Käppchen ihres Söhnchenz. Al3 fie hinausgehen wollte, ftieß jie mit dem Fuße an etwa3Z an. Sie leuchtete hin: da lag vor ihr,jtarr und tot, Minggi, das Schoßhündhen der Frau Pro-feljor felig. Bertha ftieß einen Schrei aus. Sie ante.Sie eilte dur den Gang, um im Schlafzimmer nachzujehen.Die ThHüre war ver]dloffen. Da drin aljo war er. Sie Hopfte; e8 Fam Keine Antwort Heraus; fie rief, fie frie:umionit! fie mußte die Thüre aufjprengen laffen.
Schon lange hatte der Alte feinen Plan gefaßt; diejer Tag fchien ihm günftig zur Ausführung. Al Bertha am Morgen das Haus verlafjen Hatte, nahın er Hut und Stodf und trippelte mit feinen zitternden, achtzigjährigen Füßen die SFrofchgafje hinunter, einer Apotheke zu.
„Herr Kein, ih möchte das GHünddden meiner Frau [264] rofeffor Wendelin.jelig abthun, e8 ift alt und Halb Lahn, geben Sie mir ein Mittelhen, aber ein {Hmerzlojes.“
Der Apotheker zögerte: „Wollen Sie das Tierchen nicht lieber der Tierarzneijchule übergeben, bort .. .“
„Nein, nein, id will es felber abthun, ich habe es meiner Frau verfprehen müffen.“
Da that ihm der Apotheker den Willen, denn er fannte ja den alten Herrn. „Aber feien Sie vorfichtig, Herr Brofelfor 1“„Keine Sorge, Herr Klein! Sit e8 aber audy genug?I wollte nicht, daß das arme Tierchen wieder zum Leben fäme und Kitte, Geben Sie mir lieber noch eine Dofis !“
„Eine genügt, aber wenn Sie wünfchen. .. .“
„3a, geben Sie mir zwei... . thun Sie mir den Sefallen !“„So, das wird ficherlidh genügen.“
„Yun müffen Sie mir aber noch fagen, wie ih e& am beften anftelle.“
„Sie tränfen ein Schhwämmehen in der Hüffigkeit und Halten e$ dem Tier an die Nafje; aber wenden Sie Kor Sefiht ab, in Ihrem Alter verträgt man Keine großen Dojen mehr!“
„Seien Sie unbejorgt! Können Sie mir auch gleich das Schwämmehen geben ?“
„SGewiß, Herr Profejfor, da ft e8 fon.“
„Danke, adieu !“
VBom Apotheker Klein ging er zum Apotheker Scheible,der in einer anderen Straße wohnte und erhielt auch von diejem feine zwei Dojen und ein Schwämmehen.
„Nun mag’3 genügen“, dachte er, als er wieder auf []Brofeffor Wendelin,
265 der Straße war. Sid aber feiner Behaufung nähernd,ftiegen Zweifel in ihın auf: „Wenn’3 doch zu wenig wäre?Man fann nie vorfichtig genug fein.“ Und er wendete fich um, jcHritt wieder ins Innere der Stadt und wiederholte fein Anfiegen in einer dritten AWpotheke mit dem gleichen Erfolge.
Bu Haufe angekommen, {Hikte er die Magd aufs Land zu ihren Eltern und {dHloß das Haus Hinter ihr zu. Dann nahn er das elende ergraute Händchen, trug e8 in fein Studierzimmer und hielt ihn das getränkte Schhwämmchen an die Nafjfe. Das Tierchen Hatte ein zähes Leben und wollte Iange nicht einfOlafen; endlich aber Hörte e8 auf, fich zu regen. „Gottlob, das Mittel wirkt,“ murmelte der Alte,dem der Schweiß auf der Stirne glänzte. Hierauf ging er in die WoHnfjtube, wo Heinzt war, und feßte fihH zu ihn auf den Boden und Herzte das BiübchHen und fpielte mit ihm und ließ e8 auf feinem gebrechlichen Rücken reiten und machte iym viel Rurzweil. Nach einer Stunde ging er wieder in das Studierzimmer und fahH nach dem Hündohen. €3 lag da,falt, e& Hatte genug für immer.
Wieder Kehrte er zu GHeinzt zurüg, nahm ihn auf die Arme und trug ihn mübhfam ins Schlafzimmer, wo er ihn in’3 Bette feiner verftorbenen Frau legte. Da Hörte er die Hausglode gellen: „Wer mag das fein? Sollte Bertha {hon zurüdfommen ?“ (3 Yäutete wieder. Da [OlichH er Hinaus auf den Gang und in die Stube, durch deren ZFenfjier man hinunter fjehen fonnte, € war eine fremde Perjon. Sie fäutete nochmals und entfernte fi dann zögernd. Der Alte atmete auf und Kehrte wieder in’s Schlafzimmer zurück.Heinzt hatte fich ganz unter der Decke verborgen. Der Alte [266] rofefjor Wendelin.300g ihn Dervor, Küßte ihn und bat ihn dann, fOön til im DBette zu Tiegen. Hierauf tränkte er fein Schwämmchen und hielt e& an das Heine Näschen. HGeinzi meinte, der Urgroßvater wolle ihn Kigeln, lächelte ihn an und {lief fo ein, Der Greis vergoß bei dem AUnblide feine (eßten Thränen.
Er faß eine Stunde lang bei dem Knäblein; Lehrte hierauf nochmalz inz Stubierzimmer zurüd, um an dem Hündohen WiederbelebungsSverfuche anzuftellen. Sie blieben erfolglo3 und er war zufrieden.
Er feßte fihH an den Schreibtijh und Krigelte einige Beilen auf3Z Papier; dann zog er einen gelben verfiegelten Briefumfehlag auS einer Schublade und legte ihn unter das befchriebene Blatt.
In die Kammer zurückgekehrt, verriegelte er die Thüre,füßte Heinzt nochmal auf die Stirne und deckte ihm das SGeficht mit einem Tüchlein zu. Nun nahm er das dritte noch) trodene Schwämmchen und band e3 fih forgfältig um, jo daß alle Luft, die er einatmete, durch Ddasfelbe itrömen mußte. Dann jtredte er ih auf dem Teppiche aus und goß mit feiner zitternden Hand die FHüffigkeit,die ihn noch blieb, etwa drei Dojen, in den Schwamm,Er that einen Fräftigen Atemzug und dann noch einen und noch einen; die Sinne verblaßten ihm. In diefem AYugen-olide Hörte er die Hausglode wieder Mingen, er atmete rafd, ... „Wenn man mich zu früh... .“ Mit einer entjeglichen AUngit in der traumhaft verworrenen Bruft fcHlief er ein.So fand ihır Bertha, ihır und ihr Söhndhen, als fie am Woend durch die gefprengte Thüre ftürzte.[]Profeljor Wendelin.
267
Auf dem Blatte, dazZ der Profeffor vor feinem Sterben beichrieben Hatte, ftanden folgende Worte:„Siebe Tochter Bertha!
Du bift gut, mein Kind, dır wirft nicht richten, fondern verzeihen. Ich Habe hienieden zwei Handlungen begangen, die ich bereuen muß, die mir mein Leben vergiftet Haben: eine ThHorheit und eine Schlechtigkeit. Von der Ihorheit Laß’mich jchweigen.
Die Schlechtigkeit beging ih an dir, al ih dich mit meinem (Enfel verband. Ich that e8 aus Selbfjtjucht; id hoffte, dein VBerftand werde auf meine Nachkommen über gehen. Sch habe mid getäufcht: dır vermochtelt mein Ge-ichlecht nicht zu retten; € ijt nicht deine Schuld: niemand hätte e& vermocht. Ich fehe eS jebt ein: wenn die Dumm-heit in ein Haus eingezogen i{jt, verläßt fie e8 nimmer, das Haus aber geht an ihr zu Grunde, fie ijt wie der Haus-{owamm, der fich ins Gebälk frißt. Und fo wird e& wohl feim müffen, wenn die MenjhHhHeit Hoch und immer Höher jteigen fol.
Verzeihe mir, Bertha, was ih dir gethan; verzeihe auch, was ich jeBt thum werde. IH Hätte den natürlichen Tod abwarten Können, er Hätte meinen Seelenqualen bald ein Ende gemacht; aber ich wollte das elende Gejchlecht zU-glei mit deffen Urheber aus das Welt Hafen. Sch ver-doppele meine Schuld, aber idj Löfche die Folgen meiner ThorhHeit für immer auZ und fomme fo der Natur entgegen.Sch fahre Muchbeladen in ‚die Grube; ich richte mich Telbft und wähle den Tod des Sünders, den ich verdiene.
Dich, Bertha, hoffe ich dem Leben wieder zurüczugeben.
[268]Brofeffor Wendelin.Du bijt no jung, der Schmerz, den ich dir bereite, wird wie alles MenfjhHlihe vergehen, und dann wird das Glück, das dich bis jet mich, irgendivo auf dich warten.
Wie ich für dich geforgt Habe, wird mein Teftament jagen, ba3 ich unter diefen Zettel Lege.
Bewahre dein Herz vor Schuld, Kiebes Kind, fei glücklich,und Haft dır ausgeweint, fo verzeih’ dem unglüclichen
De
Lich
Mendelin.“[]Kaum Hatte der Erzähler gefhlofjen, al3 der Redaktor das Wort ergriff und fagte: „Sie haben einleitend etwas Jarf über die Preffe gefprochen, Herr Direktor; Sie Haben ifr vorgeworfen, Wendelin Hart und ungerecht beurteilt zu haben. Wer fehen Sie denn nicht die Schwierigkeiten, unter benen wir arbeiten? Wir find auf Leute angewiefjen, deren Quellen wir nidht Kennen, nicht unterfuchen Können. Und nun jagen Sie felbjt: Wenn man Wendelin nicht perfönlich fannte, wie fanın man ihr anders als Herb beurteilen? Was Jo man zum Beijpiel über feine Heirat anders jagen, als daß der Mann die dumme, aber reiche RKellitab des Kieben Geldes wegen genommen Habe? So fagte jedermann, {fo glaubte auch ih bis zum heutigen Wbend. Jet freilich werde ich mich bemühen, die Dinge mit anderen Yugen an-zujehen, obfhon e& mich einige Überwindung Koftet, mir einen Menfchen vorzuftellen, der mit einer fattliden Bildung aus-geftattet ift und dennoch nicht weiß, wo er ein Stüd Brot Gernehmen kann.“
„Die Zweifel werden Ihnen jHwinden, jobald Sie {ich recht vergegenwärtigen, wie Wendelin jo geworden ift,“ erwiderte der Direktor. „Berfeben Sie fihH doch in die dreißiger Jahre,in das armfelige Brachenwyl, in die bejhränkte Haushaltung
[9270]BProfefjor Wendelin.Wendelins. Sehen Sie die Schwierigkeit nicht, die ein Heinz zu überwinden Hat, wenn er fihH au3 diejen Verhältniffen hHerausarbeiten joll, bejonders wenn ihn die Natur fo Kinkifch und unanftellig gefchaffen hat, wie Wendelin eS$ war und zeitleben3 blieb? Wo follte er die Wege entdeden, auf denen man dazZ Dorngefjtrüpp des Lebenz umgeht? Im Elternhaufe? In KreuzbachH, wo er im Konvikte auf der Schnelbleihe Schulmeifter wird? Im weltvergefjenen, rohen Steinhaufen? In feinen Büchern ?“
„SO begreife ihn ganz,“ fagte Jakob Kappeler. „Wen-delin Hatte, wa wir Deutjchihweizer alle mehr oder minder haben: er wußte ji nicht umzuthun; tüchtig, wo er fih auf die eigene Kraft verlaffen kann, fehlte ihın daz Gejchicet, fich in3 rechte Licht zu fielen, fihH zu präfentieren. IH fühle felber einen Heinz in mir und wie manchen hab’ ih Ichon an mir vorbeigehen fehen! Schauen Sie fihH nur nach Leuten um, die auf dem Lande aufwuchjen und fih in der Stadt niederließen, und Sie werden an Beifpielen Keinen Mangel haben!“„Io bin in einem Städtchen groß geworden,“ fagte Robert Wunderli, „und war dennoch eine Art Heinz, bis ich in die amerifanijdhe Schule kam; und vielleicht bin ich c3 trog diefer heutigen Tages noch!“
Sie hätten noch lange geplaudert, wenn nicht Peter Schneiter, der Führer, dem Gerede ein Ende gemacht Hätte,„Meine Herren,“ fagte er, „die Uhr rückt auf elfe, legt Euch nieder, .in weniger al3 fünf Stunden müßt Ihr wieder auf den Küßen fein.“
Cr Hopfte feine Kurze Pfeife über der Feuerftätte Jorglich aus, {ftecite fie in die Weftentaiche und {tieqg dan daZ Leiterchen []Profejjor Wendelin.
271 hinauf zum GHeuboden, mo die Sennen jchon fHnarchten.Die Reijenden folgten ihm nach, Blanka auzgenommen, der die Ülpler wieder ein Lager in der „Stube“ zurecht ge-macht Hatten,
Nun rafhelte das {AHlaftrunfene aber {AHlaflofe Heu wieder wie in der Nacht zuvor, und unten im Stall hielten die Gloden ihr nimmermüdes Gejhwäß: „Slang, tong, gling,gling!“
Nach Mitternacht fOYlummerte der eine und der andere leicht ein, unter ihnen au Ludwig. Der Hatte natürlich in feinem Heu wieder an nicht al3 an Blanka gedacht und verfucht, die NRätfel zu Aöfen, die fie ihn am verfloffenen Tage aufgegeben Hatte. Anfänglid Iam er zu wenig tröftligen Schlüffen: „Ihr Gerz gehört meinem Bruder,benn auch ihre Art paßt befjer zu der feinigen; mit dir treibt fie nur Scherz; fie hat Fein Herz, fie fühlt nicht tief,fie wird Feiner Zärtlichkeit fähig fein... .“
ANmählidh aber drängte fihH einer der Ausfprüche Blankas immer herrijher in den Vordergrund: „Er ift eine Fadel, in die der Wind bläft, ih fürchte daran Feuer zu Fangen.“„Sie fürchtet Feuer zu fangen? Wenn man’3 zu fürchten anfängt, ijft e& dann nicht jhon gefchehen? Kinder fürchten das Feuer erft, wenn fie fihH die Finger ver-brannt haben!“
So kam ihm nach und nach die Jüße Überzeugung, das Mädchen jei auf den beften Wegen, fihH ihın in die Arme zu werfen. Und mit Ddiejem Gedanken {Hlief er ein. Er war feines Gegenjtandes fo voll, daß er auhH im Schlafe nicht davon lajffen fonnte. Er erblidte Blanka im Traume,
[272]Profeffor Wendelin.in weißer Gewandung, wie fie ihm auf dem Balle zum erften-mal erfchienen war. Yuf einmal aber wurde da3Z dahin-tanzende Mädchen zu einem bdahinfliegenden VBögelein, zu einem winzig FHeinen, zu einem Baunkfönige. Und e8 war der Zaunkönig des Märchen3, der, al daz Feuer auf Erden einmal ausgegangen mar, beim lieben Gott ein neues Fünklein holte, Und der liebe Gott gab ihm das Fünklein. „Aber flieg’ mir nicht zu fAnell,“ Jagte er, „Jonft ftechjt du dir dein Kleidchen in Brand!“ Und das Vöglein flog der Erde zu,erft langjam, dann aber, al3 eS unten die jehnende, nach ihm ausfdhauende Menge gewahrte, immer rajcdher, und der liebe Gott behielt recht: das Kleidchen fing Feuer und wie eine Iodernde Ylamme fiel das Vögelchen herab gerade neben Ludwig. Er wollte e& mit der Hand Hajdhen, um e8 zu Löfchen; da aber merkte die Hand, daß fie inZ Gen fuhr.Und e3 ward der Hand angit, das feurige VögeldhHen Könnte das Heu in Brand ftefen, und von der Hand fand die AUngft den Weg nach der Zunge, und die Zunge wollte auffchreien und vermochte e8 nicht und verfuchte wieder und abermals und war wie gelähmt. Und die Angit erfaßte den ganzen Leib des Schläfers und quälte und rüttelte ihn, bi er aufwachte.Wie er aber ermachte, da ward auch der Bann der Zunge gelöft und die Sennhütte erdröhnte von einem fchauerlichen:„Heuerjo 1“
Alles fprang auf: „Was {ft 103? Wo brennt’8s? Sit Waller zur Stelle?“
Unten im Stalle bimmelten die Glöcklein Sturm: „Gling!gling! gling!“ Eine große Kuhfchelle aber befchwichtigte die Aufregung mit ihrem tiefen, langjamen; „lang, glang! e8 war ja bloß ein Traum! ein Traum!“[]Brofelfor Wendelin.
273
Sine halbe Stunde fpäter nahm die Reifegefellfchaft von den Sennenm Wbijchied und fchritt in die fröftelnde Dämmerung hinauz und langfam bergan, dem Oldenhorn zu. Die Sterne fcOhienen am Himmel, fein Wölichen {log drüber weg, nur unten verhängten weiße, leichte Vorhänge den Eingang der Schluchten, oder hingen wie Friedensfahnen an den windzerfebten Wettertannen.
Bald nach fieben Uhr war die Spike erreicht. Robert Wunderlki, der die Welt noch nie von einem [vo erhabenen Standpunkte aus betrachtet Hatte, war ganz überwältigt und ge-cührt. Er Hätte weinen, beten und die Erde Kiffen mögen,aber fie war, wo er {tand, mit Schnee bedeckt und der war froftig.
Noch glücklicher al3 er, war fein Neffe Ludwig; der Hatte während des Yufftieges feinen Pla weislih gewählt,gerade Hinter Blanka, und er Hatte Gelegenheit gefunden,dem Müdchen Hülfreich über die größten Bejchwerden des WegeS wegzuhelfen und fie Hatte eS fihH gefallen Iaffen, als beritände e3 fih von Jelbit.
Nach Kurzer Raft und Stärkung brach die Gefelljdhaft wieder auf, um den benachbarten Teufelshörnern einen Bejuch abzufjtatten; von dort ging eS, an’ Seil gebunden, über irn und Eis abwärts: man wollte in die Ormontsthäler Hinabiteigen.A3 man Ei8 und Schnee Hinter fihH Hatte, vom Seil [o8gelöft und der Kalten Füße ledig war, fand man allgemein,28 fei jammerfchade, jebßt jchom au3 der Herrlidhen Höhe und himmlijdhen Quft in’3 ftaubige Thal zu fteigen. Der Führer erflärte, das Wetter fer gut, man Habe nichts zu fürchten und dürfe jhon noch ein paar Stunden oben bleiben,
%. Boßbhart, Im Nebel. 18
[274]Profeljor Wendelin.
Man ließ fih auf den Steinblöden und dem dürftigen Rafen nieder, entforkte die legten Flafchen und z0g die lebten Schinfen- und Brotjchnitten aus den Torniftern hervor; bald entwicelte fich in der Kühlen Luft, die die Mattigkeit mit ihrem Haude aus den Öliedern blies, eine Heitere Stimmung und e8 fiel mand) gutes Wort und durch die gebirgige Wüftenei [hallte von Zeit zu Zeit das fröhliche Lachen glüc-licher Menfchenkinder.
„Ihr habt den fHönften Beruf, das fchönfte Leben,Peter!“ fagte Blanka zum Führer. „An jedem fonnigen Sommertage aus bdiefer Höhe auf die Welt hinabladhen zu fönnen: e8 ift Königlich!“
VBeter fchwieg und lächelte.
„Ja, meinte Jakob Kappeler, fHön i{t’3 wohl, aber be-fchwerliH und gefährlidh. Habt Ihr noch nie daran ge-dacht, daß Ihr einmal nicht wieder zu Thal gelangen Könntet ?“
„Welcher Führer Hätte das noch nie bedacht? Io denke jedesmal daran, wenn ich die HGausthlire Hinter mir zuziehe,und doch follte ich in den vielen SKahren die Furcht ver lernt haben.“
„Und e8 fällt Euch nicht ein, davon zu laffen und die alten Tage ruhig zu genießen?“
„Warum follt’ ih und wie Könnte ich? Freilich kam mir in fcOwieriger Lage fchon mehr als einmal der Gedanke,ein Bergführer follte niemand zu Haufe Haben, der alleweil zu bangen und zu forgen Hat. Über .. . .“
„Io war bis jebt fiet8 geneigt, den Bergiport zu be-lächeln, er fchien mir ettwvaS gemachtes, eine Mode wie manche andere,“ fagte Robert Wunderli. „In den lebten Tagen und befonder3 Heute Habe ich anders denken gelernt: wie viel Genuß,[]rojefjor Wendelin.
„19 wie viel glüclidhe Stunden warten in diejer herrlichen Alpen-welt auf das MenjhHenkind, das die Trägheit überwindet und Jih die Mühe nimmt, nach ihnen zu fuchen !“
„Leider,“ fagte nach einer Pauje der NRedaktor, „nimmt der Fremdenjtrom Schönere8 mit fich fort, alz er zurücläßt.Schauen Sie da in die Ormontsthäler Yinab: diefe Straße, die weißen Häufer und befonderS der große, ftillofe Kaften ganz oben im ZHale, fie thınm mir in den Mugen weh, e8 find Häßliche Bänder und Fleden in dem reizenden Gelände; dazıt zerftört der Fremdenfirom alte Sitten und Art und, wie mir Kulturmenfchen erfcheint: altes SGlüd, Denn daz Glück will Kuhe haben, in unferem fiebernden Leben und Treiben Fränkelt e3 und vergißt das Lachen!“
„Sa, wenn man den alten Leuten glauben darf,“ jagte der Bergführer, „Jo Haben die Fremden kein Glück in diefje Bergthäler gebracht. Ihr feht jebßt wie Ormunt durch den Hremdenjirom geworden ijt; wenn Ihr e& wünjcht, will ich Euch erzählen, wie e8 ehedem war und das ijt nicht allzu fange her: meine Großmutter felig hat mit angejehen, wie das alte Ormunt fi verändert.“
Freudige Überrafhung zeigte fih auf allen Gefichtern:„Auch der Peter weiß etwas zu erzählen! Das ift ja Köftlich!“
„Sch muß bei dem, was ih) fage, etwas viel von meiner eigenen Familie reden, aber das ihHue ih nicht aus Stolz und jo werdet Ihr e8 mir nicht übel nehmen, um 10 weniger, da Ihr dabei erfahret, wie man Bergführer wird.Aber das wollte ich nur beiläufig Jagen, vor allem will ich euch berichten:
4Q*# [] Pom Gulde. [] GG ift nun lange her. € war an einem Sylvejter-abende, Sanft Niklaus ging durchs Dörfchen in jeinem weißen,bis auf die Anöchel reichenden Hemde, mit feinem großen Rapierhute, und wo Kinderaugen, Halb ängftligH und furcht-jam und doch wieder voll froher Erwartung durch die Fenfter-jdheiben in die Macht Hinausguckten und dem Klange des Slöckleinz Laufchten, das dem Heiligen am Gürtel hing und fein ®ommen und Gehen verriet, da jHwenkte er vom Wege ab und fOritt auf das Haus zu. Sein Slöckein aber fing nun an fajt drohend zu rufen: „Kinderchen, Kinderchen!jeßt werden die Majen nicht mehr an die Scheiben gedrückt!Set euch Hübjh Hinter den LTifh und faltet die Hände und denkt an das Sprüchlein, das ihr hHerfagen müßt!“
Und nun trat er durch die Thüre. Sein Stock dröhnte fchwer auf dem Boden und aus feinem gewaltigen Reiften-barte heraus Fang e8 etwas unheimlich: „®uten Wbend,Rinder!“ Dann ging e& an ein Fragen: „Seid ihr auch brav gewefen all das Jahr? Habt ihr Vater und Mutter immer auf3 Wort gehorcht? Habt ihr am AWend das „Unfer Vater” und am Morgen das „In Gott’ Namen aufgeftanden“nie vergefjen ?“
DaZ waren böfe Augenblide für die Kleinen und Hätte
[290]Vom Golde.das Mütterchen nicht dann und wann aus der Klemme ge-Holfen, wer weiß, wie’3 abgelaufen wäre.
„So laßt mich noch die IHönen Sprüclein Hören, die ihr gelernt habt,“ fprad der brummige Meijtenbart, und die zitternben Zünglein fagten die verftandenen und nicht ver-itandenen Reime her, fo gut c& gehen mochte:„SD Röfeli rot, o RNöfeli rot
Wie Iyt (liegt) der Menfch in großer Not,Wie Iyt der MenfdhH in großer Py (Bein)Wie möcht’ ih gern im Himmel f{y,...“Das Ichien jeine Wirkung zu thun. Der Bart wurde etwvas freundlicher und fagte: „Seid jebt ein Weilcdhen mäuschen»{till und Dbetet leife ein „Unjer Vater.“ Sankt Nikolaus ging hinaus, erfchien aber bald wieder unter der Thüre und auf jein weißes Gemd fiel ein Licbliher Schein: in der NRechten brachte er das Klausbäumchen, an dem die roten Sichtlein auf den grünen Zweigen fchwankten und in der Sinfen eine Schüffel mit Nüffen und Kuchen und Äpfeln.War das „Unfer Vater“ zu Ende oder nicht: gleichviel! der Subel bradgg 103 und die mahnenden Worte, die Sankt Nikolaus den Kleinen für’® neue Jahr auf den Weg gab,wurden nicht gehört, objhon das KreijhHende Glöclein be-jtändig rief: „Kinderhen! Kinderchen, lärmt nicht fo!”Mein Köbeli und mein Gritli waren damals fünf und drei Jahre alt. Der Klaus Hatte auch fie nicht vergefjen und ihre Augen wurden nicht fatt an den Dingen und ihre Bähndhen jcheuten fih Halb, die Herrlichkeit anzubeißen.Wir Ertwachjene, meine Frau, meine Mutter und ich, Jaßen bei ihnen am Tijche und fragten uns, wer wohl mehr Freude Habe, wir oder fie, Nur eine nahm wenig Anteil an alt []Vom Solde,
281 dem Jubel: Ach, die Hatte eben fchon fajt jo viel Sylvejter-abende verlebt, wie wir Sonnabende und begriff nicht, wie man von {o etwas alltäglidhem fo viel Wefjenz machen fünne.Das war meine Großmutter, die nun lange, lange jHon tot ijt. Wir nannten fie nur die Urähni. Sie faß Hinten im Ofentwinkel auf einem Schemel in jihH Hineingeblickt und in den Schoß blidend, und fagten wir ihr, fie jolle fich mit un8 auf da3 neue Jahr freuen, fo fah fie zu ung Herüber und verfuchte mit dem runzeligen Geficht zu Lächeln und jagte: „’3 fommt nicht3 befferes nach.“
Nun, wollte fie nicht, jo ging’ auch ohne fie; zur Freude find fünf IHonw genug. Köbeli Hatte befonderes Ver-gnügen an den Kuchen, die in einem Teller unter dem Bäumchen lagen und die Form von Männern und Frauen hatten. Er griff fie heraus, fuchte fie auf die Füße zu ftellen und zum Sehen zu bringen; da fie aber eigenfinnig waren und {ich ihre Bequemlichkeit nicht nehmen laffen wollten,begnügte er ih }Hließlich, fie auf dem Tijdhe in eine Reihe zu legen. Plößlih wurde er ftubig, mufterte die unfüörm-lichen SGeftalten aufmerffam und fagte dann zu meiner Frau,die ihm gegenüber aß: „Miüetti, e8 find ja gerade fo viel ‚Mannen‘ wie Frauen! Da find vier mit Hofen und da bier mit Nöden!“
„Das it doch recht, oder nicht, Möbeli?“ erwiderte die Mutter.
„Nein,“ lachte das BübchHen, „da3Z it nicht recht!find zu viele Hojen!“
„Warum denn?“
„Wenn die Großmutter oder die Nrähnt Hofen anhätt’,wär’s fon recht! SFJebt aber nicht! Urähni, du mußt dem
3 []29%
Bom Golde,
Vater feine Hojen anziehen, dur weißt die braunen, die er am Sonntag anlegt!“
Wir begriffen nah und nach den Gedankengang des Rleinen und achten mit ihm. Bald aber wurden wir alle ernit und Jhweigfam, denn wir fannen darüber nach, wie es fo gefommen war, daß in unferm Haufe der Nöde fo viele und der Hojen fo wenige waren. Meine Frau brach zuerft das Stilijhweigen und fagte fait traurig, indem fie mich anjah: „E32 ift, wie wenn unjer Dach nur Kinder und Wit-frauen herbergen wollte.“
„Du Haft recht, Kinder und Witfrauen,“ wiederholte meine Mutter Die Urahne mußte das Gejpräch aufgefangen haben und murmelte Halb zu fih, Halb zu un8: „Das ift der Sluch der Berganni.“
Wir fahen uns nach ihr um, Köbeli aber ließ feine „Mannli“ und „Frauli“ im Stiche, eilte zu ihr in den Ofen»winfel, um {jeinen Scherz, deffen Erfolg ihm nicht entgangen war, auszubeuten: „Urähni, gelt, dur ziehft des Vater3 braune Hofen an!“
„Sie find mir zu lang, mein Rind, wir müßten fie erft unten abjdhneiden !“
„Oder einen Umfehlag machen, wie die Mutter einen am blauen Rode Hat.“
„Sa, das ijt noch befjer, Röbeli.“
„So machen wir’? gleich!“
„Nein, heut’ nicht!“
„Aber morgen ?“
„Sa, morgen vielleicht! Geh’ jegt wieder zu deinen Iannen und Frauen!“
(3 wurde wieder ftil im Stühchen, man hörte nur []Vom Golde,
283 das Knarren von Urähnis Schemel. Sie rutfchte darauf hin und Her, wie fie e& immer that, wenn fie wollte, daß man fih mit ihr abgebe. Wir Fehrten un8 wieder zu ihr,denn wir ahnten, daß fie uns etwas zu fagen Hatte, vielleicht vom Fluche der Berganni, und fie konnte fjhHön erzählen,wenn fie in der Laune war und plauderte gerne.
„Nun, Urähni, wer war denn die Berganni ?“
„hr werdet’s Ihon vernehmen, ’3 Kommt ein8 nach dem andern. Ihr habt gejagt, wir Hätten eine Haushaltung von Kindern und Witfrauen. DazZ war einft anders. Al ich in diejfe Familie heiratete, da trug ih den einzigen Mod im Oaufje und jet Können fie kaum mehr an einander vorbei.So geht e8 auf diejer Welt, alle8 verkehrt fich, aber etwas befjeres Fommt nie nach.“ Und ihre welfe, Hundertjährige Stimme verfuchte zu lachen: „Ha, hä, Hal“
„Sch wurde Hier in Ofteig geboren,“ fuhr fie fort.„Mit zwanzig Jahren war ih das wildejlte Mödchen im Dorfe, und war eine Gelegenheit zum Tanzen, da konnte man mid nicht mehr halten. IH glaube jeßt würden die Füße nicht mehr jo flint zappeln, wie damals, hä, hä, hä!
Einjt, an einer Rirchweih, al wir auf der Wiefe Hinter dem Hirjdhen tanzten, kam ein Burfche vom Berge herunter, lehnte fih an einen Baum und fchaute un3 zu.Er jaH mwunderlihH aus, denn er trug einen Kittel aus grauem BZiegenfell und ganz kurze Hojen, fo daß die ftarken nie und Waden bloß waren. „Der kommt über den Berg,“Jagten die älteren Leute, „daZ it ein Ormunter, was der wohl juchen mag? Ein Wunder, daß er nicht nadt ge-fommen ijt!“
Da gelhah e8, daß mich einmal die Burichen im Stiche
[284]Bom Golde.ließen und ih dem Tanzen zujehen mußte. Da3Z würgte mich und in meinem Ärger Kief ih hin zu dem Burjchen im Biegenfell und fragte ihn, ob er fein TänzcdhHen probieren möchte. Er maß mich mit den Augen, faßte mich dann wie fid’3 gehört und nun ging’8 im Kreije wie die Windsbraut.3 tanzte den ganzen AWbend mit feinem anderen mehr als mit ihm, teil® aus Troß gegen die Dorfburfchen, die mich fajlt um einen Tanz gebracht Hatten, teil weil mir der Or-munter gefiel, denn er tanzte leicht wie Keiner im Dorfe und Hibjd) war er auch, das Kann ih euch fagen. Nun ärgerten fig die unferen; fie fingen an, den im Zicegenfelle und mich zu neden, wollten ung beim Tanzen daz Bein ftellen und un3 hinpurzeln Iaffen. Wer der Yrmunter verftand Keinen Spaß; als ihm wieder einer zu nahe kam, Ließ er mich plößglich (03, griff nad dem Burfihen und fchleuderte ihn auf den Boden, daß er oHnmächtig Kiegen blieb. Man hielt ihn erft für tot, und das war ein Glück, denn in der Beftürzung vergaß man an dem Fremden gleidy Rache zu nehmen und al3 man fidh darauf befann, Hatte fich die größte Wut fhon wieder gelegt; der Ormunter aber lehnte fiH an den Baum vie zuerft, jein Auge fladerte wild und jeder hielt e3 für gerdten, ihn in Ruhe zu laffen.
DaZ Jahr ging um und wieder wurde e8 Kirchweih.UBS ih der GHirjchenwiefe zufchritt, war mein beftändiger SGebanke: „Wird der mit dem Ziegenfell wieder da fein?“Hreilich war er da; ih erkannte ihır jedoch nicht foalcich,denn diesmal trug er nicht ein brauncs, fondern ein fAHnec-weißes Biegenfell, die anderen aber riefen mir von ferne zu: „He, Urfula! dein Tänzer ft da!“ (Er Ichnte wieder am Baume und Hatte die Beine übereinander aefchlagen.[]Bom Solde.
285
3 ih auf dem Tanzplabge angelangt war, Kam er Langfam aber gerade auf mich 1o08 und fragte mich: „Wollen wir wieder zufammenhalten ?” Und wir hielten wieder zueinander, wie da3 erjte Mal; Nedereien Jeßte e& wieder ab, Händel aber nicht,und eS war ein |höner Tag.
Um Sonntag drauf kam der Ormunter zum drittenmal nach ®fteig herüber, ftellte {ich vor meinen ÄÜtti und fagte, er Hätte mich gern zur Frau. Mein Vater machte große Augen,mir Hopfte das Herz.
„Da wird nichts draus,“ fagte er, „Ich gebe meine Urjula nicht unter die Wilden! Warum nimmit dır dir keine Ormunterin, die zu dir paßt?“
„Weil ih Keine mag! Ihr merkt ja an meiner Sprache, daß ih Kein geborner Weljcher bin, jondern ein guter Berner und eine Bernerin will ih zur Frau. Wir ftammen au8 Saanen, find aber hinüber gezogen, al3 ich noch ein Kind war und nun bleiben wir dort, weil es uns gefällt, denn man Xfann überall glücklich {fein und in Ormunt erft recht. Ihr meint, e8 feien Wilde drüben?Warum? Weil fie nicht fHreiben und nicht lefen lernen,feinen Schulmeifter und feinen Pfarrer haben und fich in Biegenhäute {teden? Kommt denn Glück und Zufriedenheit vom Schulmeijter oder Pfarrer oder vom wollenen Kittel?Wir Haben drüben wenig Mingendes Geld, aber gute Weiden haben wir, und Rinder und Kühe, daß e3 eine Art Hat und Biegen, fMlink und gefcheidt wie Gemfjen. €E€3 fehlt mir nicht? al3 eine rechte Hausfrau, denn meine Mutter {tarb vor anderthalb Jahren und nun Haushalten wir allein, mein Vater, mein Großvater und ich, und da geht es eben wie’?gehen mag.“
[17]Fa
Bom Golde.Mein Ätti war nicht überzeugt; er fagte f{tet3: „3 mird nichts draus!“ und als der Ormunter ging und zögernd vom Haufe wegjchritt, da Sffnete er noch das Fenfter und rief ihm nach: „E3 wird nicht draus!“ Ich aber wifchte zur hinteren Thlre hinaus, erreichte meinen Tänzer mit ein paar Sprüngen und fagte zu ihm, er fJolle nur getroft heime gehen und mich machen Iaffen.
Nun kamen unangenehme Tage für mich, und ich glaube auch für meinen Ätti. Wber ich ließ nicht nach und drei Sonntage fpäter fJagte der Vater zu mir: „NMimm einen Stod, wir wollen Hinüber. Halt du die Wilden gefehen und willjt dann bei ihnen bleiben, nun fo mag’8 mir vecht fein.“So gingen wir, iq voraus, er Hinter drein, und jprachen nichts zu einander. Damals führte noch Keine Straße über den Pilon, ein fHYmaler Pfad {tieg dem Bache entlang empor zmwijchen den Wettertannen Hindurch und jeden Augenblie von einem Ufer des Waffers zum anderen. €jhien mir ein langer Weg und jedesmal, wenn ich den Bach überfchritt, maß ich das Waffer mit den Bliden und dachte:„S3 ift immer noch tief, e& muß noch weit fein bis auf die Höhe.” Nach und nach aber wurde der BachH doch zum Bächlein und die Sonne ftand noch lange nicht im Mittag, als der Wafferlauf in ein paar Tümpeln fich verlor und wir oben auf der Paßhöhe waren. Nun redete der ÄÜtiti zum eriten-mal: „Wir wollen hier den FJmbiß nehmen.“
„Thuw8 Ütti,“ fagte ich, „ich Habe Keinen Hunger.“
„So fann au ih e8 noch aushalten, geh’ voran, dort rechts zwijdhen den Lärchen Hinunter!“ Nach einer halben Stunde traten wir auf eine Weide Hinau3Z und vor uns lag []Vom Golde,
237 ein jöner Chalgrund mit vielen braunen Hütten, die zer-fireut an. den Abhängen Hebten.
„Sit das Ormunt, Ütti?“
„Was follt’ es fonit fein?“
„Aber das ift ja gar Kein wildes Land! Daz Thal ijt fonnig und die Weiden fHeinen mir gut und gehen weit hinauf. Er Hatte Recht, hier in...“
„Sohau’ dir die Zenuft erft an!“ brummte mein Vater.
Wir ftiegen inz Thal Hinunter, Die erfte Hütte ftand offen, war aber leblos und verlaffen, die zweite und dritte auch: wir fuchten weiter: fein Iebendes Bein ließ fichH fehen,das ganze Thal fchien ausgeftorben zu fein. Endlich, als wir e8 {hon Halb aufgegeben Hatten, Hörten wir etwas wie eine menjcdhliche Stimme, die kam von einer Hütte Her, die ein wenig in der Höhe in einer fetten Matte ftand. Wir jtiegen hinauf; immer deutlicher ward die Stimme und mein Vater zwinkerte mit den Augen und fagte fpöttijch:„DHörit du’8?“
„Sa, wenn das ihr gewöhnlicher Ton ift, fo aqnad’ mir Sott!” dachte ih.
Die Stimme kam Hinter der Hütte hervor. Wir gingen ihr nach, wie wir aber um die Ede bogen, blieben wir beide wie auf ein Zeichen ftehen, fo feltjam war, was wir fahen.Da ftand eine Frau, fie, die fo fArie, Hoch und aufgerichtet,und warf ihre langen, nackten, mageren Arme in die Luft.Sie war barfuß und der Mod reichte ihr nur bis auf die nie. Vom Kopf herab hing mächtiges, fcOhneeweißes Haar über den Naden, die Schultern und die Brujft, e& war {o dicht, daß e3 fajt das ganze Seficht verdeckte, Bon dem fah man mur die fOwarzen, flammenden Yugen und eine große
[288]Bom SGolde.frumme Nafje, deren Rücken fcharf war, wie der einer Meffjer-jOneide. Sie fah unz nicht, denn ihre Blide zielten nah einem Männchen, das vor ihr auf einem gefhälten Lärchen-ftamme {aß, ruhig an einem Pfeifen fog und lächelnd den Rauch zu dem wilden Weibe hHinaufblies. Er fpradh Keine Silbe, fie aber warf die Wörter auf ihn herab, al?wären e8 Steine, langfjam aber wuchtig, und bei jedem AYus-rufe warf fie die Arme in die Höhe, bald mit ausgefpreiteten Fingern, bald mit geballter Faujt und Kieß fie dann Hatichend auf ihr Röcdchen hHerunter fallen.
X verftand damals noch nicht viel Weljch, merkte aber doch, daß e3 ein gräßliches Fluchen war, das ihr aus dem Munde kam, und e8 fror mich Halb bei dem Klange der Stimme. Einen Sag Hab’ ih befonder3 aufgefangen, der Fehrte jeden Augenblit wieder, wie der Schluß der Lieder,die wir fingen: „MöcdhHt dihH der Schnee erdrüden, oder möcht’ dich das Waffer erfänfen oder möcht’ dih der Donner erichlagen, du vermaledeiter fremder Strolch!“
AB fie einmal einen ANugenblid von ihrem Opfer ab-ließ, wohl weil ihr der Atem ausgegangen war, fielen ihre Blide auf un8. Das war ein Blit, der fuhr auf einen 008, fharf wie die Senfe ins Gras, Ihre Arme erhoben fi langfam und ihr zahnlofer Mund öffnete fihH: „Nım wird das Wetter auf un8 Losfahren,“ dachte ich und zucte zufjammen,wie einer, der einen Stein auf ih zufliegen fieht. Da drehte fie fi um, nahın einen Hafeljtok auf, der ihr zu Füßen lag und foOritt dann Iangfam die Halde empor, indem fie ein Selbitgefpräch) anhub, das wie abziehender Donner zu ung herunter Hang.
Das Männchen mit der Pfeife Hatte ung natürlich nun []Vom Golde.
289 auch bemerkt. Er erhob jih, kam auf uns zu und grüßte,Er war gut gefleidet; eS Konnte kein Ormunter fein.
Er redete uns auf franzöfijch an, mein Bater aber unter-brach ihn mit dem üblichen: „Nit Weljh!“ Da fing er an deuttch zu reden, mit etwaz feltfamer Ausfprache, aber geläufig.
„Kennt ihr fie fdhon, die Alte dort ?“
„Nein!“
„DaZ it die Berganni, fie ft verrückt, wie ihr feht,jie bringt ihre alten Tage damit zu, die andern zu ver-fluchen; auf mich Hat fie e& aber befonder8 abgefehen und e8 ift ja auch begreiflich, wenn id auch an der Gejchichte unjdhuldig bin wie ein neugeborenes Kind. IH bin noch nicht Xang Hier, drei Kahre mögen’8 im Frühjahr gewefen fein. SJ9 bin ViehHhändler, der einzige im ganzen Thal,und der einzige, der etwas Geld in diejen weltverlorenen Winkel gebracht Hat. Daneben bin ih dann noch Vieharzt;ich follte das eigentlich vor dem anderen fein, aber ihr be-greift ja: ein Bieharzt in einer Gegend, wo kein Geld il,wo die Leute nicht einmal wifjen, daß ec MenfHenärzte giebt, wie {oll er da von feinem Berufe Leben. So ift der Vieharzt zum Viehhändler geworden und ... ach nun, eins gilt das andere!
„Bor zwei Jahren Habe ih der Alten oder befjer ihrem Manne ein Rind abgehandelt; da3 war aber ein wildes Ding und er ein alter Mann, und al8 er’3 einfangen wollte,hat es ihn überrannt und er ijft daran geftorben. Da3Z Hat die Alte um den Verftand gebracht, und feither fieht fie in mir nicht3 mehr al3 den leibhaftigen Gottjeibeiung, und wo fie mich antrifft, da hält fie mir eine Meine Predigt, und führt uns der Zufall Iange nicht auf den gleichen Weg, fo
X. Boßhbart, Km Nebel. 19
[290]Bom SGolde fteigt fie zu mir Derunter wie Heute und ih Horche ihr dann ruhig zu, denn fie kann ja nichtS dafür. Die Leute aber Icheuen fie und fagen, fie fei eine Here und Fönne auf ihrem GHajelftod fliegen wie eine Xrähe, man Habe fie fhon gefchen.Wer darum unfreundlih von ihr reden will, der nennt fie GHerenannt,„Die Alte hat die verrücte Idee, ihr Mann fer nur beShalb geftorben, weil er, der Gewohnheit der OYrmunter entgegen, geldgierig geworden jet und mit cinem Fremden fi in einen Handel eingelaffen Habe. Da3Z ift das Salz und der Pfeffer all ihres Gefchreis: das Einheimijcdhe ift gut, das Fremde ijft teuflijh. Heute hat fie auf mich 103-gewettert, weil ich rauche; fie fürchtet, bald werde das ganze Thal raucgen und dampfen, al8 Hätte der Teufel die Hölle nach Ormunt verlegt. Ein andermal ergeht fichH ihre Zunge über meine Schuhe und Strümpfe, oder über meinen Kittel und meine Hojen und auch mein Frauchen wird nicht ver-{hont, weil e& einen Mock trägt, der bis auf die Anöchel reicht. Un {Olimmiten aber ift e8, wenn fie mir ihre Mei-nung über das Geld fagt: Hört man fie, Jo möchte man glauben, an jedem Silberitück gehe ein Leben und an jedem Solditück eine Seele zu grund.“
Der Viehdoktor hätte no lange gefchwaßt, Hätte iq ihn nicht unterbrochen und gefragt, ob eS nicht einen Beter Schneiter in Ormunt gebe. Der Pfiffikus blinzelte mich mit jeinen feinen jchlauen Huglein an und ich {ah e& wohl, er Hatte e3 gleich heraus, warum ih gefragt hatte, Er lächelte und mir wurde der Kopf Heiß. „So, ihr fucht die Schneiter8?“jagte er, {ich an meinen Vater wendend.
„Sa, ih habe ein SGelchäft mit ihnen, wir find []Bom Golde.
291 weitläufig verwandt ... fie find au von drüben ... wo fann man fie finden ?“
„Das {ft fHwer zu Jagen, guter Freund,“ erwiderte das Männchen. „Ihr wißt ja wohl, wie e& die YOrmunter halten, die ziehen da3 ganze Jahr umher, wie die Juden in der Wüfte: jegt ft der ganze Thalgrund verlaffen, ihr werdet außer mir und meiner „Alten“ da drin kein Bein hier finden und wir bleiben nur, weil wir droben Keine Hütte haben. Kurzweilig HYL3 nicht, und käme nicht von Beit zu Zeit die Berganni, e8 wär’ nicht zum aushalten.Wenn ihr jemand fuchen wollt, müßt ihr in die mittleren Stafeln hinanffteigen, oder vielleicht in die oberen, ih weiß es nicht: e8 {ft jebt Ende Juli, da pflegen fie ganz hinauf zu ziehen, ihr müßt e& eben verfuchen. Ihr nehmt den Pfad, den die Berganni ging; in einer halben Stunde wird die Halde etwas Macher, dort werden fie fein. Und ift aber niemand dort, fo findet ihr einen breiteren Pfad, der führt nach Sjenau, den müßt ihr einfhlagen und immer rechter Hand dem Berg entlang gehen. Erwijchen werdet ihr das VölkchHen Ion irgenbivo zwijdhen diefen paar Bergen drin, denn jen-jeit3 hört für die Ormunter die Welt auf, da wagen fie fich nicht hinaus. Ein fonderbarer Schlag.“
„Kennt ihr den Schneiter?“ fragte mein Vater mit gleichgültigem Ton und SGeficht.
„Ian, ih fenne ihn [chon, da3Z Heißt, wie man die Or-munter eben fennen fan; ih fenne ihrer fogar drei.“
„Was {pricht man von ihnen hier zu Land.“
„Wa3 man fpriht, num das weiß ich nicht; ich will euch) lieber fagen, wa3 id gefehen Habe: Der junge Peter Schneiter {Heint mir ein tüchtiger Burfdhe zu fein“ das
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[2992]Bom Golde.jagte er zu mir gewandt „man merkt eben, daß er nicht von hier ift. Er ift ftarf wie ein Dch8 und rührig wie ein Fohlen, und mehr braucht man eigentlich hier in Or.munt nicht. Ob er Hübfch ft oder nicht, das wißt ihr vielleicht felber jchon, oder dann Habt ihr das bald Heraus,wenn ihr ihn einmal gefunden Habt, hä, hä, hä!”
Da fprach wieder der ÄÜtti mit dem gleihgültigjten Tone der Welt: „Wenn ih euch fragte, war ’3 weniger wegen des Jungen als wegen der anderen; waß haltet ihr von denen ?#„Nun, mit dem Vater ift fhon auszufommen, ih habe Ion etlide Male mit ihm gehandelt und mich dünkte, er jet nit von den Schlimmiten. Und der ganz Alte, der Großvater, nun ... der ft fo alt wie MethufalaH ... was ijt von dem zu jagen? Geiraten möcht ich ihn nicht, aber er wird {don einmal zu der Einficht kommen, daß e8 in einer bierbretterigen Hütte für feinesgleihen am {Hönften ift...“
„Gaben die Leute etwas Vermögen, etwas Geld?“fragte mein Vater wieder.
„Geld? Geld Hat Hier niemand. Man Hat Kühe und Rinder und Kälber und Ochfen, Geld braucht man nicht.Io, mit meinem Viehhandel, Habe fie etwas damit bekannt gemacht, aber fie haben fih noch nicht daran gewöhnt und e8 giebt immer noch die Menge, die reden von einem Louis-dor, wie anderswo die Bauern von einem Wechjel. Mein,Schäge Häufen die Ormunter nicht auf, und id Habe mich felber {chon gefragt, ob ih wohl daran ihHue, e8 fie zu Lehren:am Ende hat doch die Berganni recht: das Geld ift ein Teufel;freilich läßt fi mit dem Teufel teuflifch viel anfangen, teuf-il viel anfangen, hä, hä, hä!“[]Vom SGolde.
293 In dem Augenblide ging die Thüre der Hütte auf und ein rundliches Weibchen mit Heinen Augen, einem ftumpfen Näschen und roten Bäcklein trat Heraus. Sie fchien etwas älter als ihr Mann, fie mochte fünfzig Yahre tragen und in ihrem braunen Haar waren weiße Fäden.
„Du Haft dich wieder mit der Hexe gezankt! Daß du ihr Suchen nicht fatt befommft!“ Dann zu un gewendet:„DaZ it ein Leben zwifhen diefen Bergen! Shr habt feinen Begriff! Ih kann mit niemand ein Wort taufcdhen und muß €3 nun fon drei Fahre fo dulden und mein Mann ft nicht fortzubringen! Er ift ein Narr ja,Indde nur, ih fag’3 vor allen Leuten! er will dem Volfe da der Heiland fein und fieht nicht, daß e3 ihn nicht braucht und daß e8 ihm einmal den Fußiritt geben wird,Weil e& ihm draußen im Lande nicht immer nach dem FähcHen ging, hat er fi) unter die Wilden geftedt, wie ein Mpoftel;die Apoftel Hat man gefteinigt; id bin in einer beftändigen Angft 1“
Mein Ätti fchien zu wiffen, was er Hatte erfahren wollen, er dankte dem Doktor für die Auskunft und {tieg den Pfad Hinan fOweigjam, als vb ih nicht bei ihm ge-wejen wäre. Nach etwa einer halben Stunde wurde der Pfad flacher und wir gewahrten das Schimmern einiger Schindeldächer. Ich eilte meinem Vater ein paar Schritte voraus, um zu fpionieren, denn er war alt und ftieg nicht mehr leicht. PlögliH fah ich einen den Pfad hHeruntereilen in großen Sprüngen und Hell jauchzend. Er war barfuß und frug nichts al3 Kurze Gofen und ein Hemd. Er faßte mich und hob mich auf die Schultern, als wäre iQ ein Teichtes VBögelein gqewefen.
[294]Vom Golde.
„SID wußte e3 fchon, daß du kommen würdeft,“ fagte er und lief mit mir den Berg Hinan, und al3 wir in die Nähe der erjten Hütte Kamen, ftieß er einen FreudenfchHrei aus, der mir dur Mark und Bein ging; e8 ift mir, ich höre ihn noch. Da kam von der Hütte her ein älterer Mann, noch etwa3 weißer, al3 mein Vater damals war. Er war gleich angethan wie der junge, hielt die Hand über die Augen, um beffer zu fehen und fragte, was 103 fet.
„Das ift fie, Ütti!“ fagte Peter, indem er mich vor feinem Vater auf den Boden ftellte.
Sn dem Augenblide Hang’3 von der Hütte her wie aus dreißig Trompeten, und al8 ich HinfjaH hingen fechzig vers wunderte Augen an mir: in Ianger Reihe ftanden fie da,die Kühe und Kälber in den glänzend braunen Fellen, eins hinter dem andern und alle drehten den gedrungenen Hals nad) ung und brüllten, daß eS eine Iuftige Mulik abgab.Ctmaz abfeit3 an einem Raine ftanden ein paar Geifen, die grajten und mederten manchmal zwijdhen zwei Biffen. Mitten im Buge aber, auf einem {eckigen Ochjen, faß ein fonder-barer Reiter: der war dürr und mager wie ein Steden und auf dem Naden wadelte ein Köpfchen mit langem, Iangem weißem Bart und Haar: er fah fajt aus wie ein Spinnroden,den man am oberen Ende etwas eingefnidt hat. Das ift der Großätti, dachte ih. Der Alte achtete nicht auf un8,er {tüßte feine mageren nadten Arme auf den Mücken des Ochjen, auf dem er faß und blidte unbeweglich vor fih bin.Peter fah, daß ih den Alten betrachtete und fagte: „Sr ift fajt ganz taub, er Hört uns nicht; wir ziehen heute auf die oberen Stafeln und da Haben wir ihn auf den Ochfen ge-fjebt, weil er fonft nicht hinauf gekommen wäre.“[]Bom Golde,
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„Über Heut” ijt ja Sonntag, man Hält die Alpfahrt doch nicht an einem Sonntage!“
„Hier [Hon, dasZ iit eben eine eigene Welt. Heut ift SKakobitag und da mag e& Sonntag fein oder nicht, e& mag regnen oder Hageln: die Ormunter ziehen an diejem Tage in die oberen Stafeln, jo fei’3 feit Menjdhengedenken gehalten worden. Sieh’ nur, dort geht jdhon ein Zug und weiterhin ein anderer, und ein dritter it dort oben, dur fiehjt doch den dunkfeln Streifen ?“
Mein Vater war indeffen nachgefommen. Cr blieb einige Schritte hinter ung ftehen und mufterte die Kühe und die Hütte, Peter Vater und den alten Reiter auf dem Ochjen.Dann rief er mir zu: „Urfula, komm’ her!“
Sch gehorchte. „Wie gefällt dir deine Familie?“ hub er fpöttijh an. „Siehft dır jebt ein, wie närrijh du bift? In ein Land ziehn wollen, wo man leben muß wie unter Heiden,wo nicht3 recht ijt, als die Weiden und die Kühe darauf!“
„Und der Peter?“ rief id) gereizt dazwijdhen.
„Sind, dır bift blind! blind bift du! Käm’ in Gjteig einer in dem Yufzuge da, und machte dir einen Antrag, du IOlügit ihn die Hand in die Zähne!“
„Nein, das thäte ih nicht! Ih fehaue nicht auf die Hofen; die einer an Hat.“
„Auf gar niht3 fchaujt dır, dır Leichtfertiges Gefchöpf!Komm’ mit mir Heim, oder ich reiß’ dich an den Zöpfen mit.“
Sn dem Augenblide kam Peter3 Vater näher und Iud un3 in die Hütte ein, um etwaz auf den Zahn zu nehmen,wie er fagte.
Mein Ätti {hHüttelte den Kopf und Jagte: „KH will mit euch nichts zu Ichaffen haben! Qumbenback!“
[296]Bom Golde.„Wenn ihr’3 fo meint, fo bleibt Hier außen; aber freundlicher dürftet ihr Jhon fein: wir find Keine Hunde!“Sprach’8 und drehte unZ den Rüden.
Ih aber lief ihn nad und fagte ihm, ih nehme gern,was er mir angeboten. Da ftieß Peter wieder feinen Jauchzer aus, hob mich wieder auf die Achfeln und trug mich im Trab in die Hütte,
„Urfula, mein Sind, mein Kind!“ rief mein ÄÜtti, und e8 fang fo flehentlich, fo weich von dem Harten Manne. Ih merkte e3 an dem Tone, daß er weinte; daZ Hatte ih an ihm noch nie gefehen, und eS erwürgte mich |AHier, wie er Halb abgewandt nochmals rief: „Urfula, mein Kind!“ Wer ich Slieh feft und er ging.
So wurde ich eine Ormunterin.
Nun kamen anderthalb Jahre, die waren fhön. Ich bin jeßt eine alte Frau, aber fönnt' id an diejem Sylvefter-abende einen Wunjch thun, ich fagte: „Herrgott, Iaß’ morgen wieder fo ein Ormunter ahr anfangen! laß’ mich nur noch zin8 erleben und dann fterben!“
Wir waren nicht reich, nein, das nicht; aber was wir brauchten, das Hatten wir. Wir lebten für ung und da es jedermann fo hielt, wurden wir auch von den anderen un-«gejchoren gelaffen. Da gab e& fein Zanfen und Hadern;nur eine im ganzen Zhal Hatte eine böfe Zunge, aber die wußte fhon, an wem fih wegen und licH ung in Nu.Die Arbeit drückte un8 nicht: wir fahen nah unferem Vich,und das war beinahe alles; denn mit Braten und Kochen verlor man nicht viel Zeit und mit Nähen und Stricken noch weniger. An’8 Barfußgehen gewöhnte id mich {OHnell,Hatte ih e& doch als Kind auch nicht anders achalten.[]Vom SGolde.
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Sorglo3 und jorgenlos, das waren wir: wir ftanden am Morgen auf und wußten: ’3 wird Heut {Hon alles feinen rechten Gang gehen, und wir legten ung am Wbeend nieder und wußten: ’3 wird morgen nicht {Olimmer fein, al3 es heute war. Und Ddiejfe Gewißheit machte einem da3Z Leben und fjelbft die Trennung vom Vaterhaufje leicht.
Sorglos und forgenlos, ich bin e8 feither nicht wieder geworben, drum denke ih auch fo gern an jene Zeit. Und jehe ich ein Fröfchlein, das figt im Weiher und Hat nichts zu fhım, als etwa nach einem Mücklein zu fÖnapper, oder treff”‘ i9 ein Eidechschen, daz fihH an der Sonne wärmt,der ein Käferchen, das auf einem Blümlein fit, {o dent ig allemal: das find alte Ormunter, die wiffen, wie man leben muß. Die AWmeijen und BiendHen und Spinnen aber,nun, das find Öjteiger, oder Saaner, oder Engelländer; die forgen und fchinden fich ihr ganzes Leben Lang, und ift man dann alt, wie ic jeßt alt bin, [jo weiß man nicht einmal,warum und wozu man fo viel geforgt und gefümmert hat und Kommt fi fait dumm vor,
Damals freilich Kamen mir dieje Gedanken nicht, ich wußte gar nicht, wie fhön id e8 Hatte: ih Lebte eben in den Tag GHinein wie das Fröfchlein und daz Eidechschen und meinte, jo müßt’ e& nun alleweil fein.
Anfang3 hatte mir der Großätti etwas Sorge gemacht,der war mir unheimlich mit feinen mißtrauifchen Augen,die, wenn man ettwasS jagte, immer auf der Lauer waren und zu fragen fchienen: „Sagt ihr etwas Übles von mir?“ Aber ich gewöhnte mich an ihn und ließ ihm feine NMarr-heiten. Denn er war ein fonderlidher Grillenfänger: ein rechter Ormunter war er nicht aeworden, er war eben fchon
[298]Dom SGolde.zu alt, al8 er hinüberging. Da, wo niemand an8z Sammeln und Erwerben dachte, mußte er die ganze Zeit auf Geld und Reichtum finnen, wenn er aud) nicht3 davon fagte. Am Morgen, wenn er gegeffen hatte, nahın er feinen Stod, denn ohne den Hätte er kaum gehen fönnen, und dann hHumpelte er den ganzen Tag den Feljen nach und mufterte fie und fMopfte daran und nahm Steine und wollte mit feinen zitternden Urmen Stücke abklopfen und fJuchte Gold. Denn man Hatte ihm einmal gejagt, Drmunt heiße Goldberg, und gleich war er überzeugt, irgendwo müffe das Gold an den Tag treten, und er Hatte e& fid in den Kopf gefeßt, den Ort zu finden. Gegen den Herbft, al8 man fhon daran denken mußte, fih zur Thalfahrt zu rüften, wurde er von einem Tage zum anderen noch viel feltfamer: er ging nie mehr aus, wenn man ihn {ah: oft war er, che wir ung am Morgen erhoben hatten, fchon davon gefchlichen, oft paßte er einen ÄMugenblid ab, da niemand um die Hütte war, um weg zu hinfen. Und eben]o machte er e& mit der Heimkehr,nie wußte man, woher er kam und er, der fih kaum noch auf den Füßen Hakten Konnte, war auf einmal da, al8 wäre er angeflogen gefommen. Wir begriffen ihn nicht und bes Tchloffen, im aufzulauern. Einft ertappte ihn mein Peter,wie er mit unfäglicher Mühe aus einem Rinnfal Hervorkroch.
„Was macdhit dur da?“ rief er fo Naut er Konnte, um gehört zu werden.
Der Alte gab feine Antivort, fondern belauerte ihn mit jeinen mißtrauijchen Augen. Peter merkte, daß etwas be-jonderes in der Nähe fein müffe und ftieg in dazZ Rinnfal hinab. Da ließ fihH der Großätti Hinfallen, fo daß er das teile „Tobel“ Hinunterglitt und vor Reter, allerdings mit []Bom Solde.
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Blutigem Kopfe und zerfjhundenen Armen unten ankam. Dort warf er fih auf einen Stein, fah meinen Mann wild an und rief ihm mit feiner durch die Taubheit fajt unverftändlich gewordenen Stimme zu: „Zut (fort)! fut!“
Keter aber faßte ihn an und {hob ihn auf die Seite,Da kam ein Seftein zum Borfchein, wie man e& im Gebirge zuweilen antrifft. DaZ Hat einen gelben Glanz und drin hat e8 SFlitterhen, die {Heinen wie Gold; aber niemand bückt fig danach. Das aljo war des Alten Schaß; Peter mußte lachen.Der Großätti, dem das Lachen niht behagen mochte,nahın fih wieder die Mühe zu ein paar Worten: „3 U Sout (Gold)! myn SGout! Myn’3 1“
„Das3 nehm’ ih dir nicht, Großätti,“ rief m Peter in die Ohren, „jei unbeforgt! der ganze Stein ijt Keine Räsrinde wert!“
Der Alte fahH ihn fragend an: „Meint er daz jo? oder Jagt er’8 nur, um mich zu übertölpeln und um meinen Schaß zu bringen?“ Wber Peter Lachte fo Herzlich, daß der andere über feine Meinung nicht im Zweifel fein konnte und er wiederholte, mehr um jich felbit, alZ um den Jungen zu überzeugen: „Doch, ’3 Yh SGout, ’3 ih SGout!“
Beter ging feiner Wege; der Alte Kam erjft am fpäten Abend zurüd. An den folgenden Tagen jaß er immer vor der Hütte und Imrerte, ob etwa einz den Weg nad feinem Schabe einfjchlüge; da niemand fihH fo etwa3Z einfallen ließ,fam ihm die Gewißheit, daß man feinen Stein wirklich nicht hoch fOhäßte. Da Ihlidh er fidH an einem Morgen wieder fort und Kfehrte erft am Wend zurück, al3 wir in der Hütte um den Milchtefiel faßen. Er GHinkte zu ung heran und
[300]Vom SGolde.30g aus feiner Hofentafche einen Stein, ein Stücd von jeinem Schaße; das Hielt er unZ vor die Augen, Hütete fich aber wohl, e& aus den Händen zu laffen und dabei fagte er,der fonfjt fo mwortfarg war, in einem fort: „’8 ich Gout, 73 ij SGout!“
Mein Schwiegervater und ih {Hüttelten den Kopf und Beter fOrie ihm in die Ohren: „Für den giebt dir kein Menich ein ‚danke Gott!“
Der Alte prüfte un8, ein nach dem anderen mit feinem mißtrauijchen Blide und verkroch fich dan in einen Winkel,indem er brummte: „’3 i{H doch Gout!“
Seither [Hlih er nie mehr zu feinem Schabe, aber fo oft wir ihn allein fanden, Hatte er fein Steinfjtück in den zitternden Händen und fpiegelte e& in der Sonne und forfchte nach Gold.
Der GHerbit Fam. Wir Auden unferen Großätti auf einen Ochfen und Irieben das Vieh thHalwärtz. Von allen Seiten und auf allen Pfaden ftiegen blökende Büge herab und unten belebten fich die Hütten. Da faH ih den Doktor wieder. Der Hatte jebt eine firenge Zeit: er war immer auf der Fahrt, ging von einer Hütte zur anderen, ließ {ich das Vieh zeigen, betupfte e& allerorten, griff ihm die Haut auf den Rippen, maß mit den Urmen die Länge und die Dide und erhandelte, was ihn gefiel. Hatte er fünf oder lech3 Stüd beijammen, {o band er fie an einen langen Strief und trieb fie davon. Nach einigen Tagen Kfehrte er wieder zurüc und brachte den Bauern das Geld in weißen und gelben Münzen und die meijften mußten e& auf Treue und Glauben nehmen, denn ihre Zählkunft reichte nicht aus zu dem Gejchäfte. Aber das war nicht gut: die fonjt fo []Vom Golde,
301 geraden und offenen OÖrmunter wurden mißtrauifh und nei-difch, jeder meinte, der Doktor Habe dem Nachbar für feinen Ochjen oder feine Kuh mehr gegeben al3 für die feinen, oder er habe ihm den ausgemachten Preis nicht voll bezahlt.Neid und verftedten Haß gab e& auch, wenn der Doktor au3 einem Stalle fortging, ohne etwas zu erhandeln. So war e3 jedesmal, wenn das Männchen mit einer Schar Rinder durchs Zhal hHinabzog, oder weıtn er mit der vollen Selstajdhe thakauf kam und bald rechts bald ink in eine Hütte abfchtwenkte, al3 vb ein böfer SGeift durch das Land {reite und eine übele Saat ausfäe. Das fchienen die alten Ormunter wohl zu merken, fie fahen daz Treiben ungern,hielten die Hand davon und Kießen die Jungen feiljdhen und das Geld einfjteden.
Einit an einem NMachmittage war große Aufregung in dem fonft jo friedliden hal. Was mochte e8 fein? Man lief zufjammen, man Horchte, man fragte fi: da kam einer und rief: „Man Hat geftohlen !“
„Was?“
„Seftohlen, ihr hHört’S ja, geftohlen !“
Ein Schrei des Entjegen3 entfuhr allen, die e& Hörten:„Settohlen!“
Sa, man hatte dem Baptift im „Plan“ das Geld ent-wendet, daz er Kürzlich vom Doktor erhalten Hatte!
Seftohlen! davon Hatte man früher in Yrmunt nicht gewußt!
Wer Konnte e8 fein? Alle dachten das nämliche, aber Feiner wagte, e3 Tec auszulprechen. Ja, e8& mußte Claude,der Jäger, fein, dem Hatte noch niemand recht getraut, dem war auch nicht zu trauen, das {ah man ihm fhon an den Augen
[302]Bom Golde.an. Claude war der einzige im ganzen Thal, ber Fein Hornvich z0g, fondern nur ein paar Geißen hielt. Er wohnte in einer elenden Hütte im Creux de Champ, wo der Schnee au) im Gheißeften Sommer nie ganz weggeht, und das nüß-lichite Ding, das er außer der Hütte Hatte, war eine Flinte;mit der {tieg er in die Feljen Hinauf und jagte nach Gemfen.Das HeifdH aß er und die Felle taufchte er gegen Käfe und Brot, und fo Ichte er mit einem zwanzigjährigen Buben, den er Seannot nannte, abjeit3z von den anderen, eigene Pfade gehend.Claude war der einzige im Thal, der der Jagd nach-ging und was ein rechter Yrmunter war, hielt ihn für einen Tagedbieb und ging ihın aus dem Wege. Wie das Wort „geftohlen“ durch das Thal flog, dachte jeder gleich: „Chat’s3 einer, {D heißt er Claude!“
Da aber kam einer aus dem Creux de Champ, der von dem Frevel noch nichts wußte. Und als man ihn nach dem Semsjäger fragte, fagte er, Claude fei am Tage vorher zu Berge geftiegen, er Habe ihn felbft gefehen, zurücgekehrt fei er noch nicht. Neue Beftürzung, wachfende Unruhe: wer war’3 denn? war da ganze Thal diebifch geworden? wie jollte das noch enden, wenn eS fo fortging? Die Männer,junge und alte, traten auf einer Wiefe unter einem großen Ahornbaume zufammen, um zu beraten, und wir Weiber jtanden um fie herum. So waren fie noch nie bei einander geftanden, die Ormunter: jeder Jah den andern mit Miß-trauen an: „Bift du’3 vieleicht?“ Keiner mochte den anderen anreden aus Furcht, den Hauch eines Diebes einzuatmen, jeder war von der Angft bejfeffen, man möchte ihn gar felber für den Thäter halten.[]Bom Solde.
303 Da fing der ältejften einer zu reden an und forderte den Baptijt auf zu fagen, wie eS gefhehen fei. Der fagte,was man [cdhon wußte: am Morgen habe er das Geld noch gehabt, e& habe in einer hölzernen Schüffel auf einem Balken gelegen. Am Bormittag jei er mit Frau und Kind über den Bach gegangen, um Holz zu fAlagen, und als er um Mittag zurücgekehrt jet, Habe daz Geld gefehlt.
„Einer von euch ift der Schelm,“ fagte der Alte Hierauf,„denn mich dünkt, e3 feien alle auS dem vberen Zhale um den Whorn verfammelt. Einer von euch ift’3 und ich fordere den auf, Herauszutreten und zu bekennen, auf daß wir wijjen,wem wir trauen fönnen und wem nicht.“
Reiner trat Heraus; die mißtrauijchen Blide trafen {ich und wichen jihH aus und gingen aneinander vorbei und e3 war eine unheimliche Stimmung und wir Frauen Wwagten faum zu fOnaufen, denn jede fagte fich mit Bangen: „Wenn’8 nur nicht dein Mann ijt!“
Daß eine von ung den Streich gethan Haben Könne,fiel uns gar nicht ein, zu jo etwa3 gräßlichem war nur ein Mann fähig. Ha, hä, hä!
Wie alles |Hwieg, hHıb der Alte wieder an: „Du Ent-ehrer des Thales, ich fordere di nochmals auf, daß du Heraustreteft und befennejt !“
Er hatte umjonift gerufen und umjonft war auch die dritte Aufforderung. Da erhob er die Stimme Höher als fonft und rief, daß eS einem in den Knochen fror: „So fei verflucht!verflucht! verflucht! Und dur mögeft Frepieren an deinem Lohne!“
Und ohne Berabredung, ohne ein Zeichen wiederholten alle, die um den Baum ftanden: „Er jet verflucht! ver-iNucht! verflucht! Und er möge Krepieren an feinen Lohn!“
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Bom Golde.Sch höre den dumpfen FlucH noch in den Ohren. Wir Weiber wifchten unZ die Augen.
Wieder fing der Alte zu reden an: „IH bin ein alter Mann und bin {don mandmal zu Berg und wieder zu Thal gefahren und Habe {hon mancherlei erlebt; aber ich mußte weiß werden, um zu erfahren, daß e8 in OYrmunt Schelme giebt: ich wollte, ih wäre geftern geftorben! Wir haben keine Sakung für Schelme, unjere Väter und wir biz auf den heutigen Tag brauchten daZ nicht; jeßt aber {ft e8 ander8: e8 muß eine Sabung gemacht werden und fo e$euch recht ift, wollen wir e3 fürderhin jo Halten: Wer vom Sut eines anderen nimmt, ohne daß ihm diefer gefagt Hat:nimm’3! den erfäufen wir im Waffer. If e& euch recht fo,fo fagt ja!“
Und fie fagten: „ja!“ alle wie einer,
„Seht nun heim, und wer Geld Hat, der fehe dazu und fpiegle e8 nicht, um feinen zu Ioden, und wer aber ein TOlecht Gewiffen hat, der gehe hin und erfäufe fih in diejer Nacht, denn fein Urteil ift gefällt!“
IS man Meinlaut auseinandergehen wollte, kam eine die Berghalde hHerabgerannt und ihre Haare flogen Hinter ihr;e3 war die Heyenanni. Auf einem Rain, etwa fünfzig Schritte von uns, ftand fie ftill, warf ihre fleifchlofen Arme und den Hajelfteden in die Höhe und fchrie zu ung Hernieder wuchtig und fcharf wie ein Ricdhtjhwert: „Fe mehr Geld,je IOlechter die. Welt! AUNes Geld fei Herflucht! Wer’3 ge-bracht, fer verflucht! Wer ’8 nimmt, fei verflucht! Je mehr Geld. je IAHlechter die Welt!“
Sonft, wenn fie {luchte, Fehrte fichH Feiner nach ihr, fondern ging lachend feines Weges. Diesmal flößte fie Schauder, ja []Vom Golde.
305 fajt Ehrfurcht ein und mancher ntochte fich fagen: „Sie it jo verrüct nicht, wie man glaubt.“
€ war ein feltjamer Woend, der nun anbrach. VLon oben und von unten, von allen Seiten hörte man ein Zimmern und Hämmern und Klopfen: an jenem Woend machte man in Ormunt ftarfe Riegel an alle Thlüiren: das Zimmern machte ‚einem Herzweh.
Am folgenden Morgen als Baptift feine Thlire auf»machte, Iag davor ein Häufdhen Geld: fein ©ut war über Nacht wieder Heimgekommen. Noch am nämlichen Tage fah einer etiwa3 Jeltjames im Fluß liegen, gerade am Fuße eines jenfrechten hohen Feljens, den man „BZiegenjprung“ nannte,Er WHetterte hinab, e& war eine Leiche, ganz zerjmettert und entftellt und e8 dauerte Lange, bis man Herausfand, daß eS Seannot, Claude’S Bube war. Er Hatte fih gerichtet, wie man ihn geheißen Hatte. AUNe aber fagten: „Der Gedanke an3 Stehlen ijft dem FJeannot nicht von jelber gekommen, er war fein böfer Burjche, G’nad Gott dem anderen!“
Noch einmal ftieg in jenem Herbit der Doktor mit {echs Rindern inzZ Land hinab und noch einmal kam er herauf mit der ledernen SGeldtafhe auf dem Rücen: noch einmal war eS, als ob ein böfer SGeijft daz Thal hinab und wieder das Thal Herauf fteige und links und rechtz vom Wege ein giftiges raut fäe; dann aber drang ein Kalter Wind von der Comballaz inz Thal ein und warf Schnee um fihH her wie mit Schaufeln und verfperrte allen Weg und Steg, dem böfen Geile, wie den guten Ormuntern, Nun war Ormunt wieder das glücdliche, friedfertige Thal mit dem gemächlichen,einförmigen aber guten, guten Leben. €3 war ein langer,ftrenger Winter, mir aber war fo wohl, daß ih mandmal
%, Bokhart, Im Nebel. 20
[306]Vom Golde.heimlich wünfdhte, der Schnee möchte immer fünf vder fcch3 Suß tief auf den Matten liegen. Der Lenz that mir den Willen nicht; e3 fing an zu tauen und die Lawinen jtürzten von den TeufelShörnern in daZ Creux de Champ hinunter,und eine folgte der anderen, fo daß man fig an ihren Donner gewöhnte, wie an das Raufchen eines Baches. Dann Haute der braune Boden da und dort aus dem Schnee Herau3Z und e8 fing an zu blühen und darauf zu grünen,und die Ställe wurden aufgefperrt, und die Kühe rannten heraus, wild vor Freude, auf das junge Gras 1o8. Um SXohannistage begann das Wanderleben wieder, wir febten unjeren SGroßätti auf den zahmfien ODchfen, den wir Hatten und {tiegen in bie mittleren Stafjeln hinauf und am Yakobi-tage in bie oberen, und der Sommer war fo fhön, wie der erjte. Nein, fjhöner war er: denn ih Hatte ja jeßt ein BübchHen, meinen Hansli, der auf meinen Armen und, al8 er etwas ftärfer geworden war, auf meinem NRücden mit mir hHerummwanderte, bergauf, bergab, wie’3 gerade fein mußte.Und während ih nach dem Kleinen Jah, beforgten Peter und jein Vater daZ Vieh; der Großätti aber Humpelte oder froh umher und juchte Gold. Daß er keines fand, brauch’ih e3 zu fagen? Wir aber Hatten Mitleid mit ihm und im GHerbfit, al3 ung der Doktor das Geld für einen Ochfen Hinzählte, den Ochfen, der den Alten zwei Sommer lang treu getragen Hatte, jtedte mein Mann dem SGoldjäger unvermerkt ein Geldftück in den Sack, Hopfte mit der Hand auf dicfen und rief lachend in die tauben Ohren: „Da drin ifch Gold!“Da Hättet ihr den Großätti fehen folen: er räumte feine Gofentajdhe, die mit allerhand SGeftein gefüllt war, aus, und al3 er das acelbe Scheibchen aefunden hatte, Konnte er fich []Bom Solde.
307 daran nicht fatt fehen, und wenn er’3 einmal nicht anfah,hielt er die linke Hand in der Taldhe und in der Hand das Seld. Nun war er glüclih wie wir al den Winter lang.
Wieder waren die Lauenen ins Thal gefahren; {don jtanden die Kühe an den fonnigen Halden, das junge Gras mit der Zunge abraufend, und bei jedem Biffen und jedem Tritte bimmelten die [Hiweren Schellen, die ihnen um die Hälfe hingen und eS ging eine fHöne Mufik durch’8 ganze Thal.
Da fHritt wieder der Doktor von Hütte zu Hütte;aber er war nicht allein: er Hatte einen mitgebracht aus dem Land BHerauf, einen großen, fhweren Mann, mit rotem, {chlecht rafiertem Geficht und mit einer blauen Blufe,die ihın bis auf die Anie reichte. Ar feinen Ferfen war immer ein grauer Hund mit einem Stumpfichwanz, geftubten Ohren und einem recht böfen Blid, Der Mann ließ fich das Vieh vorführen, betaftete e& mit den Ffeiften Fänften,fand allerhand Fehler daran, und wenn er e8 recht fchlecht gemacht Hatte, Hopfte er dem Bauer auf die AUchfel und jagte: „Ih geb” euch fo und fo viel, wollt ihr?“ Dem BPreije Hängte er immer die Worte an: „Und Keinen Deut mehr!“ WAoer das war ihm fo ernit nicht und wer nicht gleich einfjhlug, Fonnte eS Leicht erleben, daß der Preis um manchen Deut in die Höhe ging. Hatte er ein Stüdg er-jtanden, nahm er eine Schere aus der Blufe und fcOhnitt da-mit dem Vieh Hinter dem Kreuze ein Zeidhen inZ Haar, um e3 wieder zu erkennen.
Der Doktor ftand neben ihm und war ganz glücklich,und ich Hörte einmal, wie er zu meinem Manne fagte: „Ihr werdet jehen, was ich au Ormunt mache! Steinreich fol e5 werden und ein Leben follt ihr Haben, wie die Vögel
90*
[308]Bom SGolde.im Hanffamen! €3 fol eine Zeit kommen, da die Alten zu den Jungen jagen werden: ‚Ach geht, was wißt ihr vom Schinden und Darben! Al ih noch ein Bube war und man noch nichts von dem Doktor wußte, da ging’ magerer zu al8 Heut zu Tage! Da KHingelte das Geld noch nicht in allen Tafchen! Da Hatte man nicht mehr Brot als jegt Silber!‘Oder: ‚Ia, das ift nun fHon fange her! Wie lange mochte damals der Doktor im Thal fein! Zwei, drei Kahre, mehr nicht! das war in der Beit, da man in Ormunt Geld zählen lernte!‘ ... Glaubt mir’8, Nachbar, die Ormunter tollen die Jahre von mir an zählen!“
Der Mann mit der Bluje Kaufte wohl an die vierzig oder fünfzig Stück Vieh, dann trieb er fie zufammen, zählte den Bauern den Preis auf die Hand und ging davon mit jeiner Herde, die ihın der biffige Hund hHübfh beifjammen hielt.
3 mochten feitdem etwa bier Tage vergangen fein. Da,als wir am Morgen die Stallthüre öffneten, um dasz Vich auf bie Weide zu Iaffen, folgte eines unferer Kälber den anderen nicht: e3 ftand in einer Ede, Jenkte den Kopf und ließ die Dhren Hängen. Was mochte e& nur haben? Wir trieben e3 ing Freie, um e8 bei Tageslicht zu befchen. Der Tau an der Schnauze fehlte, die Ohren waren warm, die Augen trübe und matt, c& mußte Frank fein. Wir Holten im Gen von der Diele Herunter; e8 rodh daran, fraß aber nicht, fondern firete fihH Hin und leate den Kopf auf den Boden.„Wenn wir den Doktor kommen Kießen ?“
Das Männlein kam, fahH dem Tiere ins Maul, leate das Ohr an die Magengrube, fchüttelte den Kopf und machte cin bedenklidhes Gejicht. Beim Gehen faate ex: „Ich []Bom Solde.
399 will cu ein Kraut geben, daz fiedet im Waffer und von dem Trank fchüttet ihm alle zwei Stunden ein Stein-faß?) voll ein.
Das Mittel Half keinen Pfifferling. Gegen Abend be-fam das Kalb ganz rote Augen, das Waffer fing ihm an daraus zu fließen und wenn man e8 anfjah, meinte man, e8 merke, daß eS übel mit ihm ftehe,
Um Morgen war e8 abgemagert, al8 Hätte einer die Nacht über mit einem Beil an ihm gezimmert; e8& hatte Mühe zu atmen, fein Fell Hatte feinen Glanz mehr und die Haare ftanden firuppig durcheinander, wie wenn beftändig der Wind drein geblafen Hätte. In einem fort froff das Wafjjer aus den Augen und e5 war ein Sammer, das Vieh anzufehen, das fih kaum auf den Beinen hielt, nach Luft rang und beftändig dem Erftiden nahe war.
AS wir das andere Vieh auf die Weide treiben wollten,famen wir in einen neuen Schreden: wohl an die fünf Stüc blieben im Stall, f{tarrten vor fih Hin und eines fcHüttelte fich, al3 Hätte man eS mit Siswaljer begoffen. E3 wurde uns Mar: der Stall war verfeucht und {tand das Kalb um,war ber ganze Viehltand hin und wir waren arme Leute.
„Wir müffen die Gefunden in die mittleren Stafeln treiben und {ollt’3 oben auch nohH Schnee Haben,“ jagte mein Mann.
Wir wollten uns gleich ans Werk machen. YIS wir ins Sreie traten, fahen wir unten den NMachbar SGuyot, der in feiner Matte ein Loch grub. Wir ahnten Schlimmes und riefen ihm zu: „Was fhafft ihr, Nachbar SGuyot?“
) Schladerfaß.
[310]Vom Golde,
Er firih fi mit feiner Hand über den Kopf und rief zu un8 herauf: „Ihr feht’8 ja, ein Loch, e8 ift mir eine Kuh umgeftanden und der Halbe Stall ijt mir fiech! Ich fürchte es gebe des Graben3 fein Ende mehr!“
In dem Augenblide kam der Doktor den Pfad herunter.Wir wollten ihm fagen, wie’3 im Stall {tehe, er aber gab uns zu verftehen, er Fönne e8 fih fhon denken.
„S3 fommt ein großes Unglücd über das Thal,“ fagte er nach einer Weile, „die Peft ift 108 und wer in zehn“ Tagen noch in feinem Stalle brüllen Hört, kann feinem HGHerrgott danken.“„Wir treiben die Gefunden hinauf!“
„E83 ift zu Jpät, eS find die meiften, e& find wohl alle angeftedt und ihr fOleppt bloß die Krankheit in den Berg hinauf und verfeuchet auch die oberen Ställe; ich rate euch,hier zu bleiben und es über euch ergehen zu laffen.“
Da kam atemlos ein Bub’ dahergerannt: der Doktor möchte mit ihm fommen, der Vater Hab’3 gejagt, c3 fei zu Haus eine große Not mit dem Vich.
„Du bijft nicht der erfte, der mich Heute Holen will; es ijt ein Jammer, ih weiß e8, aber ih Kann nicht? dafür.Seh” nur heim und fage deinem Vater, e8 fei die Veit und jür die fer fein Kraut gewachfen.“
Nun ging durch das Thal von einem Ende zum anderen ein einziger Angftruf: „Die Peft ift 108!” Daz Wort kannte man und dachte fich etwas fhredlidhe3 dabei, aber die Wirklich-feit war {Alimmer al3 ale Ahnung.
Wäre der Berg zufammengeftürzt und Hätte die Weiden überfchüittet, e& Hätte Fein größerer Jammer entitehen Können.3 war aräßlich, wie der Tod in den Ställen haufte, man []Bom Solde.
311 meinte ihn zu Hören, wie er Hereinfchlih und den wehrlofjen Tieren einen Strid um den Hals zog und fie erwürgte,ein8 nach dem anderen und des MordenZ nimmer müde wurde.
€ waren gligernde Frühlingstage, aber man fjah den Himmel fchwarz, und auf den grünen Matten erblidte man nur das Bligen der Schaufeln, weldhe die Gruben für das Vieh öffneten, oder die braunen Erdhügel, die die teuere Habe zudedten.
Das Yuälendite war, daß man den armen Tieren nichts zu lieb thun fonnte; man mußte ihnen zujehen, wie fie vom Froft gefhüttelt wurden, wie fie abmagerten und vor Schwäche zu zittern anfingen, wie fie nach Luft fAnappten und weinten und zulebt den Kampf aufgaben und ruhig verendeten, wenn man ihnen nicht auzZ Gnade eine Art in den Kopf {Hlug.
Dann fHlang man ihnen einen Stri um den HalZ und fhleppte die fHweren Klumpen mühfamn hinaus, und die noch gefund im Stalle ftanden, Llicten ihnen nach mit vorgeftredten Köpfen und brüllten HäglihH und tanzten unruhig in der Streue. Alle Tage fHafften wir zwei oder drei Stück auf die Matte hinaus. Nach zehn Tagen waren noch drei Kühe in unfjerem Stall; eine davon lag Halb erkaltet in der Streue, die andere ftand in einer Ecke, unbeweglidh, die Schnauze bis auf den Boden gefenkt; die dritte aber war noch gefund und fraß, wenn man ihr Heu Hinfireckte, und wiederkäute, wie es fein muß. €3 war die ftolzefte von all unferen Kühen; fie durfte den Ehrenplak' vorn im Stall bei der Thüre einnehmen und den Hätte ihr keine andere je {treitig zu machen gewagt. Wir Hofften, dieje eine wenigjtens werde ung bleiben. „Sch meine, wir foOhaffen fie nun doch
[312]Bom Solde.in die mittleren Stafeln Hinauf,” fagte mein Mann; „ich jOlage die anderen tot, e3 erholt fih ja Feine und id) kann dem Sammer nicht mehr zufjehen. Holt mir die Schaufel,ih will noch eine Grube graben, ’3 wird, jo Gott will, die lebte fein!“
3 daz Loch aufgetvorfen war, Hatte nur noch eine ber Franken Kühe den Schlag mit der Axt nötig, die andere war bin.
Wie wir die lebte au3z dem Stall fcHhleppten, da erhob die Gefunde ein Iautes Brüllen und kam Hinter unz drein,al3 wollte fie ihrer Kamerädin das Leichengeleit geben und fie Jah un fajt verftändig zu, wie wir fie in die Grube wälzten und dann zudecdten.
„Nehmt nun das Nötigjte auf die Achfeln,“ rief mein Mann, „und dann laßt ung Hinauffteigen.”
Wir fputeten un, al3 hätte e& gegolten, unfer eigenes Leben zu bergen; wie wir aber wieder aus der Hütte traten,da kam Peter ung entgegen und fagte: „Geht nur wieder hinein, e8 ift zum Verzweiteln!“
Wir begriffen fogleidhH und fchauten nach der Matte und nach der Kuh. Dort ftand fie bei den Erdhaufen, die fi über den Gruben wölbten, und fchlotterte und rüttelte jich, al3 wollte fie einen Schwarm Müden von {ih {Hütteln.
Veter, vhHne ein Wort zu jagen, nahm die Schaufel und fing an neben der Kuh den Rafen aufzuftehen; dann,al er ein mannstiefes Loch gegraben Hatte, Holte er die Art aus dem Stalle und fhlug der Kuh die Schärfe mit itarfem Streid) in die Stirne, gerade da, wo der Wirbel ift.Und als die arme Kuh lautlos vor ihm zufammenfank, zu«erit in die vorderen Knie, und dann den ganzen Leib {hwer []Bom SGolde,
313 in den Rajen warf, da liefen ihın die Hellem Fhränen über die Baden und auch ich mußte Heulen wie ein Kind.
Da Hörte man im ganzen Thale Kein Schellengeläut mehr, in allen Matten aber erhoben {ih die braunen Hügelchen, fo zahlreich wie fonjt die Heuhaufen. Und traf man einen Nachbar an und fragte ihn: „Wie {teht’3 im Stall?“ fo fhlug er die Gände zujammen und ging traurig jeines Weges.
Sm ganzen oberen halle ftanden damalz noch, wenn’3 viel war, zehn Stüd Vieh; ein davon gehörte der Berg-anni. € war eine große fHmarze Kuh mit einem weißen Heck auf der Stirne, drum nannte man fie „Stern.“ Das war Die einzige, die wir von unjerer Hütte auZ weiden jahen und etwa muhen Hörten; fonft erblidten wir nichts al3 Geißen. Denen Hatte das Viehjterben weniger gefhan,wenn man au manche Hatte verfharren müffen.
Sn diefer großen Not erinnerte man [ih an das Geld,daz der Doktor und der Mann mit der Blufe inz Land gebracht Hatten. Die jungen Leute tihaten fi zulammen und befhloffen, gemeinfam ins Zand Hinabzufteigen, um Vieh zu erhandeln, und fie nahmen den Doktor mit, damit er ihnen rate und hHeffe, und mancher fagte hm unterwegs: „Wie ftänden wir Ormunter jet oHne dich! Wie wollten wir die Ställe wieder füllen ohne einen Heller in der Tafhe? Wir werden’3 dir nie vergejfen !“
Mein Mann war auch bei ihnen. Er Hatte unfere ganze Barfchaft zu fichH geftet und Hätte gern auch das SGoldjtück dazugelegt, das er dem Großätti gefhentt Hatte,denn er wollte möglichjt viel Klauen Heraufbringen, um den Stall rafch wieder mit jungem Nachwuchs zu füllen.
[314]Vom Solde.
Er rief dem Alten fein Begehren ins Ohr; der aber fah ihn mit böfen Augen an, ftedte die Hand in die Tafjche und rief: „Das Gout fh myn8!“ und er ließ fich nicht bereden. Noch am nämlichen Tage fahen wir ihn an {feinen Hojen Herumfliden mit feinen zitternden Händen: er Hatte einen Nagel und eine Schnur und damit nähte er den Sad zu, damit ihm niemand feinen Schaß rauben Könnte,
AS die Männer Hinabkamen, wo fich daz Thal weitet,da ftießen fie auf eine Wache, die ihnen den Weg ver]perrte:„Wir Laffen feinen durch, unfer Vieh ijt ung lieber als ihr!Tretet ung nicht zu nah!“
„Was {ol daz bebeuten?“ fagten unfere Leute. „Wir fommen, um Vieh zu Holen und euch dafür unjer Geld zu laffen, was ijt da Schlechte8 dran ?“
„Ir IOleppt die Peft mit euch!“
„Wie jollen wir das, fo wie wir find? It mein Sto die Pejt? oder mein Kittel? oder meine Hofjen? Ich verfteh” euch nicht!“
„Wie ihr fie bringt, wiffen wir nicht, aber daß ihr fie bringt, das wiffen wir.“
„Wir find keine fOhlechten Leute und meinen, bei Gott,nicht? fOlimmes!“
„Mag fein! aber die Peft ijft mit euch!“
„So fagt uns, wo fie ift und was fie ift!“
„Das wijjen wir nicht, wer weiß das? aber daß man Deutzutage auf der Hut fein muß, daß weiß jeder-mann. Güättet ihr’3 gehalten wie wir, eure Ställe wären noch voll!“
„Wie meint ihr das?“
„Nun, die Beft kommt nie allein, e8 muß fie einer []Bom SGolde.
315 bringen, und Hättet ihr Feinen Fremden ins Thal gelaffen,[o wär’ fie von felber draußen geblieben.“
„So Hat fie der mit der Blufe gebracht!“ fagte einer von unferenm Leuten, und dann zum Doktor gewendet: „Und dur Haft ihn Hergeführt!”
„SO kann nichts dafür, ih wußte nicht, daß die Peft im Lande ift,“ fagte der Doktor.
Nun murrten die Ormunter und jahen den Doktor mit böfen Augen an und traten von ihm weg.
„Du follteft der Narren Spott fein!” rief ihm einer zu,„du verfprichft dem Vieh die Krankheit zu nehmen und nennft dig Doktor und dur räumft den Hinterften Stall im Thal aus! Wir werden’3 dir nie vergeffen !“
„Woher kam der mit der Blufe?“ fragte einer von der Wache dem Doktor.
„So führe feit drei Jahren Vieh über die Comballaz nach) Chäteau d’EEx und als ih vor drei Wochen drüben meinen SGejchäften nachging, da traf ih ihr an. E83 ift ein Greyerzer, der Geld Hat und SchlachtviehH nach Frankreich liefert; er Hätte für Drmunt ein Segen werden Können.Daß er die Peft brachte, wer Konnte das wiffen? ich {fo wenig wie er. € ijft ein Unglück, daß eS fo Kam, aber ich fanıt nichts dafür, ih bin kein Hezenmeifter, der Heute weiß,was morgen fein wird.“
„Wer hieß dich ihn bringen? Wer Hieß dich felber fommen? Gaben wir nicht auch gelebt, al8 wir von dir noch nichts wußten? Unz zu lieb iHhatejt du’3? Das glaub’dir der Teufel! Und am Ende wußteft du’3 und Haft der Beft den Weg gezeigt, eh’ fie dich darnach fragte!”
Unfere Leute umftanden den Doktor mit drohenden
[316]Vom Golde.,Seberden. Da legten fich die Leute von der Wache ins Mittel und fagten, fie thäten dem Doktor wohl unrecht, er hätt’ e8 fiherlih mit ihnen recht gemeint.
„Mag fein, mag auch nicht fein!“ erwiderten die unferen,„gleichviel! Glück Hat er ung nicht gebracht: wir wollen nichts mehr mit ihm zu Ihaffen Haben!“
Der Doktor beteuerte feine Unfchuld auf’3 neue, aber es Half ihın nichts, man Hörte ihn nicht an.
„SGeh’ deiner Wege!“ riefen fie ihm zu, „und laß’ ung die unjeren gehn! wir wiffen jebt, mwma8 wir von dir zu halten haben und werden’8 nicht vergeffen.“
Da ging er.
Derweil Hatte einer von der Wache den Gemeindevor-fteher gerufen. Der Hörte das Begehren der Ormunter an,fie immer einige Schritte {iH vom Leibe haltend. Endlich fagte er zu ihnen: „Das Unglück hat euch übel mitgefpielt,ic win mich umfjehen und wenn es fid machen läßt, {oll euch geholfen werden. Geht jet am Fluß Hinauf, etwa zweihundert Schritte; da ift das Ufer auf beiden Seiten flag. Wartet dafelbjt bis ich mwiederkomme. Or erkennt die Stelle an einem großen Nußbanum, Jeßt euch darunter in den Schatten und laßt euch die Zeit nicht ange werden.“
Die Ormunter gehorchten. Sie faßen zwei Stunden,drei Stunden unter dem Baume: e8 ging nicht3 vor und ihon fürchteten fie, man Habe fie genarrt. Da endlich regte lid etwas unten am Fluß und man hörte Viehgebrüll und das ‚Hi! der Männer.
„Sie Kommen! Sie treiben Vieh herauf!“
€ nahte fih ein ziemlich langer Zug und bald fah das Ufer drüben aus, wie ein Viehmarkt. Der Kluß war kaum []Bom SGolde.
317 zwanzig Schritte breit und die Ormunter prüften mit den Augen die Ware, die man ihnen vorführte und fahen {ich enttäufht an und begriffen nicht.
„DazZ Vieh fHeht ja elender aus, al8 dazZ unfere, wenn e8 die Peft hat! Gungergruben Hat es, man Könnte einen Kopf darin verfteden und die Nippen ftechen durch die Haut:fie Haben in der langen Beit die fchlechtejten Stücde zufammen-getrieben und die jollen wir num erftehen! das ift Hlecht gehandelt!“ So fjagien fie zu einander.
Um anderen Ufer trat der Vorfteher auZ dem KAnäuel herau3Z und rief Über den raufghenden BachH mit ftavker Stimme:
„Gier feht ihr ViehH zu Wahl und Kauf. Wir führen zins ums andere vor und wer kaufen will, der mag bieten:wir Handeln über das Waffer.“
Eine Kuh wurde bis an den Rand des Hüßchen3 ge-trieben, am anderen Ufer ftanden die Yrmunter mit den Züßen fajt im Waffer, um dem Stück Vieh möglichjt nahe zu fein.Der Berkäufer rief hHerüber: „So thut ein Gebot!“
Die Ormunter aber rührten ih nicht und jeder mochte fih Jagen: „IH müßte mich jHämen, fo ein Gerippe hHeim-zutreiben.“
„So thut ein Gebot!“ tönte e3 wieder vom anderen Ufer.
„Sit das Tier gefund oder Frank?“ rief endlich ein Drmunter, „e3 fieht ja auS, al8 Hätte eS eine Leiter ver-jhfuckt! Und iteinalt i{t’3, die Hörner Haben {ih ihm nach unten gedreht und find in die Baden Hineingewachfen !“
Da trat wieder der Vorfteher vor: „Das Vieh it ge-jund, wie ein SUYH im Brunnen, und treten die Ripven
[318]Vom Golde.Heraus und ftichen die Hörner nach unten, nun, fo ijt das halt unfer Schlag: fhaut nur, fo find fie alle!“
Da3Z war wahr, jo waren viele.
Die Verkäufer lächelten ob den Worten ihres VBorftehers und ftießen fih mit den ENlbogen an; einer aber, dem es woHl leicht von der Zunge gehen mochte, rief den Ormuntern zu: „SZür die Peft ijt das VBichH alleweil noch gut genug!“
„So thut ein Gebot!“
AS wiederum Keiner der Aufforderung folgte, ergriff ber Borfteher das Wort aufs neue: „Ihr {Heint nicht fo faufluftig zu fein, wie id meinte! DochH wißt: wir führen fein anderes Stück vor, biz diefe8 verkauft it und laßt ihr un8 zu lange warten, fo Könnte ung die Geduld zum Feil-Halten ausgehen! Bedenkt auch, daß ihr Heute noch das Vieh hinauftreiben müßt, denn auf unferem Grunde Iaffen wir euch nicht übernachten!“
Was war zu tun? Ohne ViehH wollte man nicht nach Haufe Kehren und mußte fo den Weg gehen, den die anderen wollten.
Einer der Ormunter bot und fing an zu feiljhHen und faufte da3 Iebendige Gerippe, wie e8 ihn dünkte, dreimal zu teuer.
„Schaut her!“ rief der Borfteher, „hier ift ein Säclein,in bas leg’ ich einen Stein und werf c8 zu euch Hinüber.Ihr nehmt den Stein Heraus, Iegt daz Geld Hinein, bindet das Schnürlein wieder um und werft e8 zurücg, It alles in Ordnung, fo treiben wir die Kuh über’3s Waljer.“
„Erit treibt die Kuh Herüber!“
„Nein, wir Halten’8, wie ich fagte.“
Man mußte wieder da durch, wo er wollte. Das []Vom Solde.
319
Säcklein flog mit dem Gelde zurüd; der Inhalt wurde nach-gezählt und richtig befunden. Nun wurde die Kuh mit Beitjchen und Steden ins Waffer getrieben und geprügelt,biz fie, aus Verzweiflung brüllend, {ih vom Ufer in die Mitte des Fluffes wagte, Von drüben ftredten ihr die Or-munter die Hände entgegen, ergriffen fie an den Hörnern und halfen ihr aus der Not.
So ging Handel um Handel: das Säclein flog hinüber und herüber, das eine Mal mit einem Stein, daz andere Mal mit dem Geld, das der Doktor oder der Blufenmann ins hal gebracht Hatten, und Hatte das Säcklein feine Pflicht gethan, Jo FMatfchten die Peitidhen und die Steden auf dem Rüden der Tiere; am anderen Ufer aber iraten die Or-munter mit ihren nadten Füßen ins Waffer und {trecten die rettenden Arme nach dem armen Vieh aus, al8 wäre eS ein fojtbarer Schaß gewefen.
IS ein langer dürrer Mann mit ftarfer Bogennafe jeine Ruh ins Waffer trieb und fie nicht gehorchen wollte und immer wieder den Kopf nach der Heimat drehte, rief er ihr mit trodener Stimme zu: „Fahr’ in die Bejt, Luder!“
Die anderen Iachten und fanden das Wort gut und jeder der von da an fein Vieh wegtrieb, rief ihn in den Sluß nad: „Fahr in die Beft, Luder!“
Cine Kuh ftand auf fo fHiwachen Beinen, daß fie dem Stoß des WafferS nicht widerftehen Konnte, umfiel, und vom Hluffe fortgeriffen murde. Von beiden Seiten eilte man ihr zu Hülfe, aber unterhalb der Furt war der Fluß reißend und man mußte die Kuh im Stich Xaffen, wollte man nicht fjelbjt fein Leben aufs Spiel feßen. Sie fämpfte mit dem Xaffer fo aut fie fonnte und ihr Brüllen übertönte das
[320]Bom Golde.
Kaufchen des Fluffes, aber fie ertrank und ftatt der Peit,trieb {ie der Nhone zu.
Nun entftand ein Streit um das Geld, das man für die Kuh bezahlt Hatte,
„Du gabit mir das Geld, ich gab dir die Kuh, der Handel ift abgemacht und fertig!“ rief e3 von der einen Seite,
„Sch gab dir dazZ Geld auf Treuc und Glauben!Schaffft dır mir die Kuh Lebendig Her, fo magijt du daz Geld behalten!“ {Arie der andere, dem daZ Tier, daZ in den Waljern trich, nun fhon viel {Höner vorkommen mochte als zuvor, da er darum feiljchte.
Der Streit wurde heftig, man fing an fidhH von einem Ufer zum anderen zu befchimpfen, man {AYwang die Fäufte und Beitfhen und Stöcke, Die Ormunter wären am Kichften durch den Fluß gewatet, um JihH Recht mit den Fäuften zu verfchaffen, aber drüben war ein ganzes Dorf verfammelt.Da machte die Not den Geprellten erfinderifjdh: „Wir {Hleppen euch die Reft inzZ Land!“ rief er hinüber. „Stellt Wachen auf, {o viel ihr wollt, fo {Alan find fie nicht, daß fie uns nacht3 den Weg zu einem eurer Ställe verfperren fönnten!“
Er rief c3 trobßig und die anderen wurden fiußig.
„Mein Geld oder die Peft in deinen Stadel!“
Man hörte auf, die Fäufte und Stöde zu fHwingen und beriet fih; ein Weilden darauf {log das Säcklein wieder zu den Yrmuntern hinüber, diesmal mit Geld gefüllt.
Mit dem Handeln war e& nun aus, nicht nur weil ber Hader die Luft dazu verfheucht Hatte, fondern auch weil die Ormunter fajft all ihr Geld ausgegeben Hatten. Ohne Gruß [Ohicd man auseinander, Hier Außaufivärts, dort ab-wärts.[]Boom Solde.
321
€ dämmerte durch’S Thal, alZ unfere Leute zu Haufe anfamen. Sie waren mißmutig, befonderS mein Peter. Er Hatte zwei Kühe gekauft; die trieb er fo rafch in den Stall, als Hätte er fie geftohlen, wohl um un feine Zeit zu Iaffen, fie im Freien zu mujtern. Wir erfhraken, wie wir die beiden Tiere fahen, die von der Reife fo erfchöpft fAhienen, daß wir fürchteten, fie {tolperten über die Stallfchwelle, um nicht wieder aufzujtehen. Wer wir fagten nichts, denn wir fahen die üble Laune des Mannes.
Peters Vater ftand drinnen bei der Ihüre, um zu jehen, mit welchem Bein die Kühe zuerft die Hütte betreten würden und jagte bei jedem: „In Gott’s Namen“, wenn eS den eriten Fuß im Stalle auffegte.
„S3 find beide mit dem rechten Fuß eingetreten,“ fagte er zu un8, „e8 fann recht werden.“ Das war un8 ein Troft.
„Habt ihr den Stall auch ordentlidH ausgeräumt, wie ich befohlen?“ fagte Peter mürrijfdh.
„Wir Iaten, was wir konnten,“ fagten wir. Und das war wahr, denn wir ahnten wohl, daß die Beft in dem Miit fteden Kfönnte und fchafften allen Unrat hinaus.
Nun war großes Sorgen in allen Hütten um das neue Vieh: eS ging Keiner am anderen vorbei, ohne zu fragen: „Wie geht’8 im Stale?“ SErwiderte der Gefragte:„Wenw8 nur fo bleibt!“, fo freute fich der andere, al3 Hätte e5 fi um fein eigen Gut gehandelt. Denn das fagte fich jeder: „Briht’3 beim Nachbar wieder 103, fo wirft auch du nicht verfchont.”
Wo zwei zujammentrafen, da ging das Gefpräch aber auch) über den Doktor, und es wurde nicht freundlich von
X. Boßhart, m Nebel. 91
[3929]Vom Golde.ihın geredet; er merkte c3 und ließ fig felten Dlien,Am dritten Morgen erzählte man fich, er jet in aller Frühe aufgebrochen und Habe mit feiner Frau den Fußpfad nach der Comballaz eingejHlagen.
„Sut, daß er gegangen ift! Mög er un nie mehr unter die Augen treten!“
So verftridhen einige Tage. Da, an einem Nachmittage ging die Schreensbhotfhaft um: „Die Beit {ft in Leblanc's Stadel wieder 1031
Und fie ging wieder durch3 Thal von zu oberft biz zu unterjt und würgte wie zuvor. Und diesmal raffte fie auch die weg, die fie da3Z erftemal verfjchont Hatte, Aber merk.würdig: an Herenannis jHwarzer Kuh mit dem weißen Sterne ging fie wieder vorbei! Die faH man immer noch droben an der Halde weiden; am Vormittage KHetterte fie in die Höhe und am Abend ftieg fie Yangfam herunter, um unter dem Yhorn zu übernachten. Sie ging nie in einen Stall und das mochte fie retten; aber wer fie fah, der empfand einen Grimm und fagte fi: „Warum die eine dort und die meine nicht? Womit Hat’3 die Anni verdient?“
3 fam eine große Verzweiflung über alle, man aß da und Grütete vor fich Hin und keines mochte zum andern reden, alle aber bedachten das eine: „Kein Vieh mehr! kein Geld mehr! wie fih vor Hunger fHhirmen?“ Viele gaben fich nicht einmal die Mühe das verendete Vieh zu vergraben,fondern ließen e3 im Stall verfaulen und der Gejtank war fo aroß, daß man Kaum zu {AHnaufen wagte.
Einige aber jagten, wenn ihr Vich von der Krankheit befallen wurde: „Komme, was da wolle, ih flag’ eS nicder und dörr’ das Meijch:; womit fol ih fonjt leben?“ Denen []Bom Solde.
723 geriet c& übel, denn die von dem FleijhHe aßen, ftarben unter unjäglidhen Schmerzen,
An einem Mittag, al3 die Sonne heiß am Himmel jtand, vernahm ih ein Lärmen und Schreien von vielen Stimmen. IH ging hinaus und fah einen Mann mit zwei Ejeln den Fußpfad daher kommen. Das war der Doktor,der feiner Hütte zufeOhritt. „Sr will feine Habe Holen“,bachte ich.
Hinter ihm drein kam ein wildes Gejohle von Männern und Frauen und Kindern, und fie fluchten und dann und wann flog ein Stein über des Verfolgten Kopf weg.
Zroß allen Elend3 Konnte ih der Neugier nicht wider-jtehen. Io ftieg zu dem Haufen hinauf, der num etwa breißig Schritte unterhalb des Doktorz Gütte anhielt und dem Manne und feinen Ejeln drohende Flüche ins Haus nachrief. Wie die Schreier fo daftanden und nicht wußten,was nun anfangen, rief einer au3S dem Haufen: „Dort geht Bergannis Stern!“
Wirklich dort ging fie, im fetten Graje geudend, der Halde entlang. Mir ging ein Stih durchs Herz, ih glaube,e5 war der Neid, der mir jo weh that, und den anderen mußte ec3 glei) gegangen fein, ih fah’3 an den SGefichtern.
„DazZ Vieh Hat gute Lofung jebt!“ fagte einer giftig.
„S3 muß den Teufel beherbergen,“ rief ein anderer, „Jonft wär’s frepiert wie das unfrige.“
„Berhert ift’81” jchrie eine Weiberftimme, „fie müßte nicht die Hezenannt jein!“ ;
„Wer weiß, vb e8 nicht der Leibhaftige felber ijft, auf dem die Anni ausreitet!“
„Wie wär’s, wenn wir ihr einen Befuch machten ?“
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[324]Vom Golde.„Txreibt ihr den Teufel aus dem Wanft, Buben!“
Die jüngeren Burfchen eilten bergan, die Buben und Mädchen feuchten ihnen nach und Hinterdrein Frabbelten die Alten fo rafch e& eben gehen mochte. Die Kuh jaH auf und be-trachtete den Zug, der auf fie zukam und wie die vorderften mit ihrem Gejchrei ihr nahten, erhob fie den Schwanz und jeßte in großen Sprüngen den Berg Hinan. Nun begann die lärmende Jagd erft recht. Ein paar flinfe Burfchen holten fie ein und fAHlugen fie mit den Stöden auf die Schnauze, fo daß fie brüllend umfehrte und nun bergab {chief an der Halde Hinlief, dem tobenden Haufen auzweichend.
Wütend und lärmend jagte e8& Hinter ihr drein. Bekamı ein Burjhe den VBorfprung, fo JHlug er ihr den Stod über den Kopf, jo daß fie anhielt und fihH auf den HGinterfüßen hHerumbdrehte, um eine andere Richtung einzujchlagen, Wber da ftand fchon ein anderer, der mit feinem Knüttel nach ihr zielte, So ging c3 hin und her und jeden Augendblif faufte c3 auf ihren Kopf nieder, und fäumte fie cin Weilhen im ihrer ratlojen Angft, fo nahten die Streide auch von hinten, zehn auf einmal.
EndlihH wußte die Arme fihH nicht mehr zu Helfen. Sie ftand {til und brüllte Mäglih und Kieß die Streiche auf {ich niederfahren; wie daz Drefhen kein Ende nehmen wollte,fanerte fie fi nieder und ledte mit der Zunge das Blut,bas ihr au3 der Nafe floß.
„Kaputt foll fie fein!“ rief der alte Lchlane, nahm fein Mefjjer auZ der Tafjche und ftadh e& dem Tiere mit ftarkem Stoße in den Hals. Da fprang e8 ftöhnend auf, warf die,jo vor ihm ftanden, über den Haufen, und {türmte in ger waltigen Säßen davon, beraab.[]Bom Golde.
325 „SI nach, Buben! FIagt fie! Naputt foll fie fein!“
Und fie hebten fie toll, und Männer und Burfjhen waren wie reißende Tiere und die Frauen und Kinder freijchten hinter drein und ich that wie die andern und weiß jeßt noch nicht, wie ih {o werden Konnte. Das viele Unglüc mußte uns alle fo gemacht haben.
Die Kuh kam unten am Waffer an.
„Sagt fie zum ‚Ziegenfprung!““ rief e8 von hinten, „zum Biegenjprung und über den Stein hinunter! Haut ein!“
Die Kraft des Tieres fchien zu erlahmen; man denke doch: die Lange Haß und die HGiebe und das Blut, das im Gras feine Spur zeigte. € wurde von der nachftrömenden Menge umzingelt und nach dem Abgrunde Hingetrieben.Iah ihn, erkannte die Sefahr, ftellte die Hinterfüße {chief nach vorn um fih umzudrehen. AWber wie e8 den Kopf nach der einen Seite wandte, Jaufte ein Streich nieder und auf den Kücen fuhren die Knüttel Hageldiht und e& war ein Toben und Kreifhen, wie ich keines feitdem gehört habe.
Bum zweitenmal firedte fichH die Kuh nieder, Feuchend,den Kopf ins Gras geftreckt.
„Haut ein! fie Jol hinunter!“
Die Stedfen flogen, aber fie rührte {ih nicht.
„39 will ihr warm machen!“ rief einer, eilte hinauf,wo ein Haufen dürres Heu lag, und brachte einen Yrm voll herunter. Den warf er Hinten über daz Vieh. Dann zog er jein Feuerzeug aus dem Hofenfacke, fhlug Funken und im Nur flacderte das Heu und zifchte das Haar der Kuh.Nun fprang fie auf und in weitem Sabe flog fie über den Seljen hinaus und Hinab. Dumpf flug fie auf; das Waffer {prikte empor und floß dann weiter, rotgefärbt.[]a A...
Vom Solde.
Auf dem Feljen war der Jubel groß, keinem fiel ein, wie elend bie That war.
Da rief einer in das Gejchrei hinein: „Sie kommt!“Man begriff; der Lärm legte fih, man fah an ber Halde empor. Dort kam etmwaz Weißes in eiligem Laufe: Berge annis Haare flatterten. Goch fhwang fie ihren Hafelftoc ob dem Haufen, wie fie rief:
„Ounde, elendige! Was Habt ihr meinem „Stern“ ge than? Waz Hat euch der „Stern“ gethan, Hunde elendige ?Möchtet ihr alle enden wie mein „Stern“, daz wünfh’ iq euch von Herzen!“
Sie rief e8 langjam und man merkte, daß ihr die Thränen in den Augen ftanden. IH empfand Reue über das, was gefhehen war, und die meiften wohl mit mir.Nur einem {Hienen ihre Worte den Kopf noch mehr zu er-Hibgen, er eilte zu ihr hinauf mit erhobener Fauft, um fie zu züchtigen; fie aber fam ihm zuvor und fchlug ihm den Hafeljtod fo fharf über die Stirne, daß er taumelte und von ihr ließ.
Wieder ertönte die fHneidende Stimme der Anni:
„Hat die Beft noch nicht gewütet genug? Brauchte jie euch, um ihr Werk völlig zu thun? Was that euch mein „Stern“, daß ihr ihn zu Zod GHebtet, Blutteufel, die ihr Teid!“„Der Teufel war deine Kuh! Verherxt Haft du fie,wie mär’ fie fonft der Beft entgangen? Den Leibhaftigen haben wir hinabgefprengt! Du aber bift verrüct und fo geh’ beiner Wege!“
„Berriückt feid ihr, laßt euch daZ fagen! Die befte @ub babt ihr erfänft, dem Teufel aber verfchont! Dort oben []Bom Solde.
327 ijt er, in jenem Hau3Z! Das Thal war glücklich, eh’ er Kam,er brachte das Geld und mit ihm Neid und Haß und Dieb-itahl! Und zulegt brachte er die Peft, die euch zu Bettlern machte und zu wilden Tieren! Das ijt der Teufel, mein „Stern“ nicht! Den .ftürzt in den Fluß, fo 19r'3 recht machen wollt und Feine Laffen jeid! Folgt mir nach und euer Born jtrafe ihn! Denkt an das Vieh, da3Z euch elendiglich verredte! Denkt an euer Vieh!“
Sie drehte fi und mit Iangen Schritten {ftieg fie hinauf und Hinter ihr dreinm ging eS$ grollend: „Ia, fie hat recht! ev fahre dem Teufel zu! er büße für unjer Vieh.“
Einige folgten ihr, andere zögerten und galoppierten dann nach, e3 waren unfer nur wenige, die blieben.
AZ die anderen emporliefen, am einer den Berg Herab.Er ging mit grollenden Augen an dem Haufen vorüber,trat an den Rand des Feljenz, Jah hinab und wijchte fi die Augen, um beffer zu jehen. €E3 war Kajpar, Berg-annig einziger Bub.
Wir gingen ihm aus den Augen und ftiegen auf einen Rain; da Konnten wir alles fehen, was mit dem Doktor ge/hah.Die Hütte war verriegelt, fie {hlugen die Thlre auf und brüllten unheimlid dazu. Sie fÖleppten ihn Heraus und jlugen ihn. „Hinab zum Biegenftein!“ und fie ftießen ihn vor fi her und jagten ihn, wie vorher das Vieh.
„Halt!“ rief e& von der Hütte Her, „da find die Ejel!er fol hinab reiten! Bringt ihn Her!“ Und fie febten ihn auf einen Ejel. Al8 er oben war, nahmen Zwei das Tier am Bügel, der eine links, der andere rechts. Der Doktor aber fiel herab oder fyrang herab, ich weiß eS nicht. Gleich
[328]Vom Golde.war cr wieder eingefangen. „Holt einen Strid! wir binden ion feft!“ und fo thHaten fie. Der Ejel war ftörrig und daz fam -dem Doktor zu gut, denn nun flogen die meiften Prügel auf die Beine des Tieres, doch fiel nochH genug für den Reiter ab.
Sch werde den Anbli nie vergeffen, daz Toben, das Schreien, das Rennen und den dumpfen Schlag der Stöcke,Langjlam kamen fie herab, Iangjam, mir war’$ eine Ewigkeit.Die Berganni ging voran und wies den Weg. Werden fie ihn Dinabjtürzen, den Menjcdhen, wie daz VichH? Ja, ie werden’3 thun, ich fah’3 voraus, fie maren ja alle von Sinnen, wie ich’3 felber bei der KuhHhebe gewejen war, End-lid kamen fie heran. Der Doktor lag auf den Rüden des EjelS fejtgefnebelt und drehte dann und wann den Kopf; er ahnte wohl nicht, was gefjchehen follte und wollte fich ıum-jehen, Er mar bleich wie ein Leinentuch.
Wir Frauen und die paar alten Männer, die zufjahen,riefen: „Ums Gimmelswillen, thut’3 nicht!“ Man hörte un8 nicht.
Sie kamen zum Stein. Der Efjel fahH den Abgrund,warf den Kopf zurüc und fperrte alle Biere nach vorn und olieb feft.
Nun mußte au der Doktor erraten Haben, was fie wollten, er {ticß einen Schrei aus, der durch Mark und Bein ging und wand fig auf dem Rücken des Sjel8 in feinen Striden: „Laßt mich 1081“
„Um8 Himmelswillen, thut’8 nicht!“ riefen wir.
„Schlagt dem Ejel auf die Beine, die vordern wie die hintern!“
Das Tier ftemmte fiH nad riücwärtz und IHlug den []Bom Golde.
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Kopf nach int und recht3 und warf ihn Hinwieder un-willig in die Höhe und blieb fejt. Das Tier wird den Meifiter retten!
„Kehrt den SEjel um!“
Sie rifjen ihn herum, er ahnte wohl Rettung und folgte willig. Yun jtand er da, die Hinterfüße am Rand des AWb-grundes, den Kopf zu ung Hinaufgewendet und vorwärts {trebend.„Nun fHaut, wie idhy3 mache!“ rief einer, erhob feinen Anüttel und ließ ihn dem Tiere auf die NMaje faufen. €E3 bäumte jich, wich zurück, verlor den Stand und unten Matjchte e3 auf dem Waffer.
Wer wie fihH der Eiel bäumte, Hatte fein Ropf den gefaßt, der ihn gefchlagen: der Mann taumelte, er war nahe daran zu fallen, warf die Arme um ich, neigte den Körper, fiel aber doch zulegt hin und ehe e8 einem andern einfallen fonnte ihn zu Halten, Follerte er über den Rand des Felfenz und auf3 neue zifchte unten das Waffer auf.
Ein SGefchrei erhob fich, erjft der Freude, dann des Entjegens, und {till IHlihH jeder von dannen, nüchtern ge-worden.Was fol ih von den Tagen jagen, die nun kamen?Elend auf allen Seiten! Wir Hatten noch zwei Geißen, ihre Milch war unfere ganze Nahrung und mein BübchHen Hätte fie fajt allein getrunfen: ih mußte e& Hungern Iaffen, das arme Ding, wenn wir andern auch noch jo darbien. So jichrie e8 dann ganze Tage lang und wo in einer Hütte Reine waren, da drang daZ gleiche Gejchrei Heraus.
Sn jenem Sommer ftieg man nicht in die obern Stafeln,man that überhaupt nichts: wozu Hätte e& auch agefrommt?
[330]Vom SGolde.Sclbft das Gras auf den fetten Matten licß man verfaulen:wozu fidh damit abmühen, da die Mäuler fehlten, die e8 im Winter freffen folten! und für die Geißen war bald geforgt.
Diele Not wurde noch empfindlicher durch die beftändige Angit, in der man war, e& möchte einem auch noch das lebte Sut abhanden kommen. Denn mehr al3 einmal Hörte man bie bittere Klage: „Seit Heute Nacht fehlt unZ eine Ziege,wir haben feine Spur von ihr, fie muß geftohlen worden jein! Die Peft über den Dieb!“
Die Männer fingen an nachtz in den Ställen bei den Biegen zu fchlajen und Iegten einen Anüttel neben fihH; die alten Leute aber, denen das Wort „ftehlen‘ fremd Hang, wie ein au3 der Ferne gelommenes, Jagten: „Wie foll das enden,wenn nirgend3 keine Treu und Ren mehr ift!“
Nach einigen Wochen bot man daz Gerücht herum, man Habe in Leblanc’3 Stall brüllen Hören. Man fhlihH nachts zu der Hütte Hin, legte das Ohr an die Stallwand: wirklich man hörte drin das Puften einer verdauenden, {ih von Zeit zu Beit redenden Kuh. „Wo hat er fie Her? Dh, der Teufel!er muß fie ge.... Totfhlagen follte man ihn! Mög’ fie ihm die Beft {Hlagen!“ AWber der Abjheu fchlug bei vielen in Neid um, und der Neid gebar frevlerifhe Pläne und es ging nicht lang, da muhte e& in mehr al8 einem Stalle.Bald fanden fichH auch Zungen genug, die das Diebsvolk in Schuß nahmen und fagten: „IH möcht’8 ihnen nicht nachthun, aber wahr ift und bleibt: geftohlene Milch fhmeckt alletneg beffer als der Hunger.“
So ging der Viehfrevel, bis einmal ein paar Burihen ohne einen ihrer Gefährten von einem Raubzug zurüc-fehrten und felber übel zugerichtet waren: die Sennen []Bom Golde.a
Ar eingsum, im Öreyerzerland, im Walliz und im Bernergebiet,Hatten fich mit Waffen verfehen, und an allen Eingängen in3 Ormunterthal ftanden Wächter, um die Diebe abzıt-fangen.
In diefem Slende jagte ich einmal zu meinem Mann:„Oh geh’ nach Siteig hinüber und Hole mir eine Kuh aus meine8 Vaters Stall: mit zwei Ziegen Können wir den Winter nicht abwarten.“
Da wurde er zornig und fagte zwijdhen den Zähnen hervor: „Sehft dur hinüber, jo magjt dır auch drüben bleiben!Hier bin ich, dort dein Ätti, entfheide! Er hat uns ver-achtet, ich will ihn nicht anbetteln!“
Sch fuchte ihn zu befomwichtigen, er aber blieb bei dem,wa3 er gefagt Hatte, Was Konnte ih thun: ih mußte mich feinem Willen fügen und da er fah, daß ih meinen Plan aufgegeben Hatte, Jagte er zu mir: „Ih weiß wohl, wir fönnen mit den beiden Geißen den Winter nicht überwinden,drum meine ih, id) wolle unfere alte Flinte in Ordnung {tellen, mir in Wigle Pulver holen und Gemsjäger werden.Grattiere Hat’s genug in den Felfen und erwijdhen werd’ ich fie wohl auch; dann dörren wir Gemsfleifch für den Winter und was un zu viel jHeint, da3Z trage ih in Land hinab und verfauf’3.“
Und er that fo. Bon nun an ftieg er täglihH am frühen Morgen in die Berge hinauf und kehrte abends |{pät zurüc, die erften Male mißmutig, weil mit leeren Händen;aber er verlor die Geduld nicht. Einjt kam er in guter Laune zurüß und fagte ung: „Heut kam ih zum Schuß!wäre ich ruhiger gewejen, id Hätte fie über den Haufen ge-jchoffen! Aber ih Habe jebt was gelernt, ih weiß, wie fie
[332]Xom Golde.gehen und grajfen und wie man fie erfehleichen kann. Gebt acht, morgen werfe ih euch eine Gemfje in die Stube!“
Er {lief in jener NMadt nicht vor Aufregung und Mitternacht war kaum vorbei, da brach er auf, fagte mir lebe wohl und ftieg in die Feljen hinauf, Und er behielt recht! Er Fehrte früher Heim als fonft und über die Schultern trug er etwas braunes. Das warf er lachend unz zu Füßen:„Nun mag’3 gehen wie’3 will, verhungern müßt ihr mir nicht!“
Um Tag darauf Hatte er einen Verdruß. AlZ er wie gewohnt vom Creux de Champ gegen die Teufel8hörner hinauf»jteigen wollte, vertrat ihm einer den Weg. E83 war Claude,der Jäger.
„Du jagit an den TeufelshHörnern Hinauf?“
„Sa! was fiht’3 dich an?“
„Das ift mein- Revier! Seit zwanzig Jahren und mehr ijt der Berg mein und mich dünkt, er follt’3 auch ferner bleiben !“
„Sr ift mein, wie dein! Behagt e& mir, hier zu jagen,fo frage ih den Claude nicht erft!”
„TguW wie dur willjt, doch fag’ ih dir das: wenn ich jage,jo ift e8 meine Gewohnheit zu {chießen, wo id etwas fich rühren jehe: bis jebt war’3 immer ein Tier, ih möchte nicht,daß e8 einmal etwa anderes wäre!“
„Meine Kugel fliegt fo rafch wie die deine!“ fagte mein Mann und ging feines Weges.
Um Wbend erzählte er un den Vorfall. Mir wurde Angit um fein Leben, denn Claude war ein unheimlicher Menjdh. IH ließ meinem Mann keine Ruhe, bis er mir berfprach, dem Jäger aus dem Wege zu gehen und weiter finf8, an den Hängen des Oldenhorne3 zu jaaen.[]Bom SGolde.
333
Die Kagdluft tobte in meinem Manne wie ein Fieber, er jhlief kaum und waren die Berge verhängt und firömte der Regen herab, fo war er mißmutig und mürrijh und blickte jeden Augenbli£ nach dem Holzipane über der Ihüre, der unfer Wetterprophet war. Kaum rifjen die Wolfen entzwei,jo griff er nach dem Gewehre und fAHritt davon, als warte dort oben auf ihn das Glück.
Yun kam er Öfter mit als ohne Beute zurüd; wir wußten faum, was wir mit all dem Gemsfleifch anfangen jollten. Peters Bater trug manche Saft inz Land hinab und nach einiger Zeit Konnte er aus dem Erlö3 eine Geiß erftehen.Das war ein großes Feit, als er fie in den Stall zu den andern trieb.
Bu der Beit fHien der Grofätti wieder neuc3 Leben zu befommen. AN den Sommer Hatte man kaum gemerkt,daß er noch mit ung war: tagausS, tagein Jaß er in der Matte auf den Hügeldhen, unter denen unfer Vieh verfankte und fonnte fig und fann und wußte wohl felber nicht immer was. Wenn er aus der Hütte trat, um nach den Erdhaufen zu hinfen, hörten wir ihr mandymal zwijdhen den Zähnen murmeln: „Dh my3 VBäcdh (Vieh)! vH, mys Vädh!“ Und wenn er abends fih in einem Winkel zur Rırhe firedte, Hörten wir nodmalz den Hagenden Ton: „Dh, my3 Väch!“ Anderes brachten feine Lippen in jenen Tagen kaum hervor.
Einft aber, als Peter einen prächtigen Gemöbok auf den Tijh warf, IHleppte fih der Großätti zu ihn Heran, reckte fi empor, um mit dem Munde Peters Ohren möglichtt nah zu fein, als ob der und nicht er felber taub geiwejen wäre,und mühfanı brachte er e8 hervor: „Wo jagih, Beter?“
„An Oldenhorn!*
[774]Vom SGolde.„An YudenhHorn?“ wiederholte der Alte und fein Geficht jagte: „So hab’ icdh’3 ertwwartet, fo i{t’3 recht! Am DYudenhorn ?“
„za!“
„Uf dem Bärg if SGout!“
Peter lachte und fchüttelte den Kopf; der Alte aber wiederholte fo Iaut er Konnte: „Ufm Bärg ijh Gout!“
„Gold wie das auf Ienau! Gold wie dein Stein!“ rief im mein Mann in die Ohren; aber der Großätti war feiner Sache fiher: „T’ alten Lüt Han’8 gfeit (gefagt)! Peter reich’s ab'n (H0l’3 herunter)! d’r Tüfel tuct dr nüt!“
Bon nun an ließ er meinem Manne Feine Ruhe mehr,wo er iün antraf, rief er ihın zu: „Ufm Bärg {fh Gout!Reich’3 apn! nimm nummen e8 Chrüß (nimm nur ein Rreuz) 1“
Wir wußten anfangs nicht, wie ihn das Hirngefpinft fonnte gefommen fein; nach und nach aber kam Veters Vater eine verwifchte Erinnerung aus feiner Anabenzeit und nach ein paar Tagen, an einem Wbend, fagie er zu unZ: „Nun weiß ich’3 wieder! ich meine die Gefhichte von Großättis Gold, man hat unz8 Buben manchmal davon erzählt, ih will jeden, ob ich’3 euch berichten Kann.
„Daz OÖldenhorn hat nicht mehr feinen rechten Namen,„in den alten Zeiten hieß e& Goldenhorn und in der Sage „nennt man’8 immer zufammen mit den Teufel8hörnern. Einft „wollte der Herrgott dem Teufel feine Macht nehmen und „ihm fein Handwerk verleiden und er bannte ihn auf den „Berg dort und meinte, num follten die Seelen vor ihm „ihre Ruhe Haben. Vom Thal aus aber jah man ihn wohl,„injonderheit feine Hörner und davon Hat der Berg den „Namen bekommen und bis zum heutigen Tage zeigt man {ich []Vom Golde.
335
„die TeufelsHörner. Der Teufel aber gab fein Spiel noch nicht „auf und fan auf Ränfe. Da Hatte er bei ih ein Horn,„daS war von purem SGolde und fahH aus wie das AWlphorn,„dazZ die Berner Sennen blajen. Um Woend bei Sonnen-„untergang nahın er das Horn hervor, {hob das Mundftüc „zwijchen die Lippen und jtüßte die weite Mündung auf den „Berg, der gegen das Bernergebiet aufragt, und fing an zu „Blafen und e& war wie ein Alpfegen zu Hören. Und die „Sennen jahen auf und juchten, woher der Segen komme;„und fie brauchten nicht lang zu fuchen, denn die Sonne „ichien auf das Gold und der ganze Berg ward rot und „einer rief dem andern zu: Siehft du das Horn auf dem „Berge, das GoldenhHorn? Und der andere gab zurüd: Wer’3 „Gätte! So kam der goldene Alpfegen Abend um AWbend,„Einjt aber bliez der Teufel nicht das fromme Lied, fondern „c38 war eine Nede und die Hang, al3 Hätte einer die Hände „Hohl ums Maul gelegt. Alle Sennen Horchten auf. Der „Teufel aber rief Laut durch die Hände:Ho-Ho! Ho! Io-fet!) all, Ho!
Buben und Sennen im Zhal, ho!Melken und hüten und fHeuern jo!Mag der Älpler werden froh?Sold auf dem Berg, Ho!
Hvl’8, du Zwerg, ho!
Mh’ dich ein wenig,
Und dur wirft reich wie ein König!Se-het, Sen nen, ho!
3 Goldenhorn bren nen, ho!„So fang er von da an jeden AWoend und dabei ließ er das i) Horcht.[336] om SGolde.
„AMoendrot auf fein goldenes Horn jcdhcinen, daß c3 wie „Alpenrofen inzZ Thal herunter leuchtete. Und das Lied Kockte „die Sennen und eines Tage machte fich einer auf und ftieg „dem Gipfel zu und Hörte immer im Ohr das Wort: Müy „dich ein wenig, ho! Und du wirft reich wie ein König, ho!„Wie er auf der Spige ankam, fahH er bdaZ goldene „Horn vor fich liegen, und er wollte e& aufheben. AWber c8 „war fchmwer wie ein Felsblod. Da nahm er fein Meffer „aus der Tajcdhe, um fih ein Stück abzufägen. Gleich fing „das Horn zu tönen an:Meifter im Schnee,
'8 thut einer mir weh!„Nun kam der Böfe von den TeufelshHörnern her, nahm den „Sennen am Kittel und warf ihr auf den SGletfher hinab;„feine Seele aber fing er auf und lachte, weil c3 im fo wohl „gelungen war. Darauf fang er wieder feinen Spruch ins „hal hinab und andern Tags {tieg wieder ein Älpler aufs „SoldenhHorn, und e& gefhah ihm wie dem erften. So ging „c8 den ganzen Sommer lang, die Sennen fahen nicht mchr „Au ihrem Vieh, fie Jummten vor fih bin:Gold auf dem Berg,Hol’8, du Zwerg!„und guten in die Höhe und maßen den Berg und fagten „Rd: IH wag’3 doch einmal, i{t’3 morgen nicht, fo ift3 „vielleicht übermorgen!
„DaZ vernahm der Pfarrer von Glteig, daß den Sennen „der Kopf verdreht werde und einer um den andern auf den „Berg fteige und nicht wiederkehre. Da nahm er einen Alp-„Itoct, Itieg jelber Hinauf und kam zu dem Horn und wußte „nun, warum die Sennen im Thal feine Ruhe mehr hatten:[]Vom Golde.
337
„Du verfluchtes Gold,‘ fagte er, ‚wo dein Glanz einzieht, da „zieht Ruh und Glück aus! id will deinem Gleißen ein Ende „bereiten.“ Spracy’3 und nahm einen Stein, jo {Ywer alz „er jelber ftart war und warf ihn auf daS Horn, um den „Stanz zuzudefen. Da rief aber das Horn, wie e3 feine Ge-„mwohnheit war:Meifter im Schnee,
’8 ihut einer mir weh!„und gleich war der Leibhaftige zur Stelle und wollte: dem „Pfarrer thun, wie er den Sennen gethHan Hatte. Wber ev „war an den Unrechten geraten. Der Pfarrer Hatte ein Xreuz-„lein um den Halz Hängen, dazZ hielt er dem Böfen entgegen,„denn er erkannte ihn Jogleih und rief ihn an: ‚Öuten Tag,„Herr SGoldteufel! wie geht’8? wie fteht’3? Wollen wir ein „bißchen Hoflen!) miteinander? Komm’ her! mach’ deinen Griff,„ilag’ mir den Hafen! Ei, fo komm’ doch! Kommit du mir „nicht entgegen, jo geh’ ih dir entgegen, das Hoflen thır" ich „ums Leben gern, und eine fo fHöne Gelegenheit finde ich „nicht bald wieder. Fekt Läufft dır gar davon! du bift ein „Iöner Held! ha, Ha, ha!‘ .
„Der Teufel war wirkliH vor dem Kreuze davongelaufen „und Hatte fih auf einen Felskopf gefebt, um das Treiben „des Pfarrer3 zu fjehen. Der nahm nun Steinftüc um Stein-„itüc und warf fie alle auf das Horn; mit einem |Hweren „Blode fOlug er die Mündung zu, fo daß das Gold von da „an nidht mehr tönen Konnte, Der Teufel auf dem Steine „Jah, was für [Hlimme Arbeit ihn der Pfarrer machte, aber „jedesmal wenn er heranfchlich, um dem Treiben Einhalt zu
‘) Ringen.% Boßhart, Km Nebel.
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[338]Vom Golde,„t9un, wurde ihm daz Kreuzchen entgegen gehalten, und er „fpuckte darnach und Froch wieder auf feinen Feljen mit ein-„gefniffenem Schwanze.
„Al8 der Pfarrer meinte, fein SGefchäft redlich beforgt „zu Haben, Löfte er fein Kreuzlein vom HalZ und pflanzte e8 „auf den Steinhaufen, und wie er das that, fing’8 an zu „wachfen und wer gute Augen hat, kann’3 heutigen Tag noch „vom Thal aus fehen und den Steinhaufen drunter nicht „minder gut. Der Teufel, wie er das Kreuz fah, merkte, daß „er fein Horn nun nicht wieder befreien Konnte; er fing „an zu müten und zu fluchen, daß der ganze Berg zitterte „und der Gletfcher Riffe bekam, die feither nicht wieder zu-„gewachfen find und jeden, der ihnen zu nahe kommt, ver-„(Olingen wollen; denn alles, was Teufel2werk ift, kann von „teuflijher Art nicht Iaffen.
„Der Böfe wütete dermaßen, daß er nicht merkte, daß „der Pfarrer die Gelegenheit benußte und fo fAnell er Konnte „den Berg hinunter Hetterte, in Sprüngen, auf allen Vieren,„auf dem BauchHe, wie’3 die Gelegenheit erheifchte.
„Nach einer Weile kanı der Böfe freilich wieder zur Ver»„nunft und Hätte fajt lachen mögen bei dem Gedanken, daß „der verwünfchte Schwarzrocd fein Kreuz abgelegt Hatte: nun „war er ja mehrlos! Er eilte ihm nach und meinte {Aon,„er fönne ihm den Hals umdrehen. Wber er war auf den „Teil des BergeS gebannt, wo der Schnee ewig liegen bleibt,„Und wie er mit der Hand nach des Pfarrer8 RNodkragen „greifen wollte, {prang der fromme Mann über die Grenze.„Drüben Kehrte er fihH um, rieb fihH den Schweiß von der „Stirne und fagte: ‚Ich mag nun nicht mehr Hof’len, Vetter,„e8 jet auf ein andermal verfpart.‘ Darauf febte er {ich auf []Dom Golde.
339
„einen Stein, 309 Brot und Käfe au8 der Tajche und biß „wacer drein. Der Teufel ftand zwei Schritte vor im auf „dem lebten Schnee und wollte manchmal auf ihn LoSfahren,„aber er mar wie ein Hund an der Kette.
„AS der Pfarrer Brot und Käje im rechten Säcklein „verforgt Hatte und fich wieder bei Kräften fühlte, jtand er „auf, 30g fein Gütchen, fagte zu dem Teufel: ‚Wbieu!“ und „309 tHalwärts.
„Bon da an tönte das Horn nicht mehr zu den Sennen „herab, der Teufel aber rief jeden Woend durch die Hände:Sold auf dem Berg, ho!
Hol’s, dur Zwerg, Ho!„und die Sennen drehten wieder die Augen in die Höhe.„So itarf wie früher war der Glanz nicht mehr und mancher „fragte fi: ‚Ob3 einem geglüct ijt? ANes aber kann er „nicht mitgenommen Haben, denn noch glänzt der Berg wie „feiner ringsum.‘
„Und fo war eS, denn zwijhen den Steinen, die auf „dem Horn lagen, waren Fugen wie hätt’ e8 auch anders „fein fönnen und aus diefen gute das Gold hervor und „Tocte und lockte: mehr denn einer {tieg in jenem Sommer „hinauf und kam nicht wieder.
„A8 der Schnee die Älpler inz Ihal trieb, rief der „Biarrer die Thalbewohner zufammen und erzählte, wie er den „SGottfeibeiung auf dem Berge aufgefucht und mit eigenen Augen „gejehen habe, wie er die einfältigen Leute mit feinem Gold „anlode, wie er Vogeljteller mit dem Lockvogel die Gimpel,„und wie er jedem, der um des Goldes willen fein Gebiet „betrete, den HalZ umdrehe und feine Seele in die Bechpfanne „der ewigen Verdammnis werfe. Und er fprach fo ftarke
99*
[340]Yom Golde,
„Worte, daß die Sennen ein Grufeln überfam und {fie bei „ihrer Seele Heil verfprachen, nie mehr nach dem Tenfel8golde zu „laufen, fondern bei des Teufels Spruch die Ohren mit den Fingern „gu bverftopfen. Damit aber daz Gedächtnis von dem Golde „auf dem Berg ausiterbe, befchloß die Gemeinde, e8 folle Feiner „mehr den Berg GoldenhHorn nennen, Oldenhorn, das folle „fünftig fein Name fein, und wer’8 ander8 Halte, der folle „gepeitfcht werden. DaZ ward Brauch und von dem Gold „auf dem Berge weiß niemand mehr zu erzählen al? die alten „Leute.So berichtete Peters Vater, und wir begriffen nun Groß-ättis ewige Stottern: „Ufm Bärg ijh Gout!“
US Tages darauf der Alte fein Anliegen wicder an-brachte, wandte fihH Peter zu ung und fagte: „Ich mein’,ih wolle ihm einmal den Gefallen tHun; dem andern aber rief er {cOalfhaft in die Ohren: „Der Berg ich mir z’ruche (zu rauh)!“
Sroßätti {hüttelte den Kopf, fafjt verächtlich und brummte,als er nad) der Matte und zu dem Erdhaufen Humpelte:„Wär ti no junge (Wär’ ih noch jung).“
Um folgenden Tage ftieg mein Mann wieder in den Berg hinauf und Fehrte erft in dunkler Nacht zurüc, tod-müde, mißmutig und ohne eine Maue.
„Du Haft nicht gejagt,“ fagte ih zu ihm, „du bift der Narrheit des Alten nachgelaufen !“
„3a, ich wollt’3 einmal verfuchen, ih wollte einmal jehen, wie’3 oben ift.“
Da fagte ih ihn, was ich fchon lange mit mir getragen Hatte: „Peter, feit dır jagit, bift dır ein anderer getvorden :dir {ft das Haus nichts mehr und Frau und Kind Könnten []Vom SGolde.
341 dir geftohlen werben, Ich fehe dir’3 an: dir ift nur wohl,wenn dur ftundenweit von ung weg bijft; e8 ift, wie wenn der alte Teufel noch auf dem Berge fäße und in fein Horn liefe. Peter, wir Haben jegt des Feijhes genug für den Winter und mit drei Geißen können wir ung behelfen, fteig’nicht wieder hinauf, ich Habe feinen ruhigen Augenblick, wenn ih di in den Feljenm weiß.“
Er gab Feine Antwort, fondern legte {ih [hlafen. Am frühen Morgen erhob er fich geräufdlo8 und wollte davonfdhleidhen. Ich aber hatte nicht geflafen und hielt ihn auf: „Geh’ nicht wieder!“
Da geftand er mir feine Sucht: „Sieh, dır verftehft das nicht, und ih kant e8 dir auch nicht recht fagen. IH Habe euch alle gern wie immer, aber glaube mir’3: fennt man den Berg einmal, fo kann man nicht mehr von ihm Xaffen und muß man einen Tag im Thale bleiben, fo meint man am Wbend, man Habe gar nicht gelebt all die Weil. Ich weiß nicht, mas einen fo Hinaufzieht. Iit eS, weil man dem |AHrelliten Gemsbocke fagen möchte: ‚Du bift mir nicht zu [linf!‘ oder der fteilften Wand: ‚IH will dich erklettern‘, oder der dunkelften Kluft: ‚Mir graut nicht vor dir?“ Nein, es ijt noch ettvas anderes, aber ih fann’3 nicht Jagen, ich fühl’3 nur da drin!“
„Bleib’ bei unS, dur bift zu waghalfig, es Könnte einmal übel ausfchlagen !“
„Laß’ mich heute noch! ih habe e8 mir vorgenommen, ich will einen Weg auf den Gipfel fuchen, ih möchte einmal von dort Herunter hauen, Hab’ ich’3 erreicht, fo will ich den ganzen Gerbfit Hübfh artig bei dir zu Haufe bleiben.“
AS die Nacht einkfehrte, ftand er wieder in der Stube,übler gelaunt als je: e$ war ihm auch diesmal nicht gelungen.
[3192]Bom Golde,Der Großätti, der gemerkt haben mochte, daß Peter nun nicht Sagen3Z halber in die Felien KHNetterte, Hinkte zu ifm Deran, tie ihn mit dem obern Ende feines Stodes an und fagte: „Laß’ nit Iugg (Iocter)!“
Und er Kieß nicht oder. Am folgenden Tag brach er erit gegen Wbend auf: er wolle in den Feljen übernachten, fagte er, denn er brauche einen ganzen Tag, um endlihH den Weg zu finden.Sch Hatte eine unfägligHe Angjt die Nacht und den ganzen Tag. Aber bevor e8 dämmerte kam er daher, und er ftrahlte vor Freude und ftieß einen Jauchzer aus, den erften, der feit der höfen Peft durch’3z Thal Hang: diesmal mwar’3 gelungen!
Der Großätti Ia8 e& ihn au von den Augen ab; er humpelte heran und blinzelte nach feinen Tajchen, nach dem Sold und da er fah, daß fie Xeer waren, flog c8 wie Trauer über fein Geficht, und er roh in feinen Winkel zu-rüc, ohne ein Wort zu fagen.
Beter aber war munter an jenem AWbend und Hatte un8 viel zu erzählen: wie er fi die erften Male abgemüht und jedesmal gemeint habe, jeßt müffe e$ gelingen und wie er immer auf eine Wand geftoßen fei, an der Feine Fliege Hätte empor Hettern Fönnen. HGeute fei er zw einer @rashalde gefommen, darauf Hätten Gemfen geweidet, zwanzig, dreißig bei einander; die Hätten ihn ein Weildhen angejehen, mit er-itaunten YWugen, als Hätten fie ihren Sinnen nicht getraut und fagen wollen: „Selbjt hier oben Hat man Feine Ruhe mehr vor die?“ Dann feien fie davon geftoben, daß die Steine unter ihren Hufen lebendig geworden, und feien an einer Iotrechten Fel8wand hinan gefkflettert, wie Mäufe an einer []Bom SGolde.
343 rauhen Mauer und feien oben an einer Kante ver wunden.Und die Gemfen Hätten ihn den Weg gezeigt. Mühjam fei zv gewejen, oft Habe ihm der Fels Kaum zwei Finger breit Weg geboten, oft Habe er fi von einem Vorjprung zum andern mit Armkraft Heben müffen. Wicdh der Fels, oder ließ die Hand Ioder, verfagte der Arm oder zitterte der Fuß beim Sreifen, fo ging’s Hinunter in die [Hwindlige Liefe. AWber z8 {ei wie Tollheit über ihn gekommen, an fein Leben Habe zr nicht mehr gedacht, nie Habe er den Blid nach unten jcHweifen laffen: hinauf, hinauf! „Unter meine Füße follft du, verfluchter Berg!“ Endlich fei er oben am Grat, Hinter dem die Gemfen verfhwunden, angekommen, vor ihm fei ein Schneefeld aufgeftiegen und hinter dem Schneefeld die Spike.Und nun fet er Heraufgeftampft, podhenden Herzen und Kurzen Atem8, Habe fih auf dem Gipfel niedergeworfen und ihn mit den Armen umfhlungen. „Unter mich, dur feliger Berg!“Dann Habe er um fich gefchaut und e& Jei ihm gewefjen, er fei in einem großen Dorfe mit weißen Dächern und Türmen,und Dächer und Türme feien Bergipigen und Hörner und SGräte gewefen, alle im Schneegruft*). Und gen Niedergang feien andere Berge gewejen, nicht weiß, fondern blau und grau und Langgefiredt, als ob fie nicht ftänden, wie die weißen, jondern lägen und e8 fih Hätten wohl fein Iaffen.Bwijchen den blauen und weißen Bergen drin Habe es ih gedehnt wie ein großeS, großes Waffer mit {[Häumenden Wellen; da müffe Nebel gelegen fein und aus dem feien dunkle Flecken getaucht, fajt al3 jHwämmen Riejen drin und üredten die braunen Köpfe Heraus. Gegen Mittag fei der
) Schneekleid.
[344]Vom Golde.Nebel aufgeftiegen wie fiedende Milch. Auch zwijchen den weißen Bergen feien da und dort runde Klumpen Herauf getrieben worden, wollig wie Hammelföpfe, und e8 feien ihrer immer mehr geworden und das Bergdorf habe fih verwandelt in ein Wolkendorf und ihn Habe gedünkt, das Wolfendorf {fei da3 fchönere von den zweien. „Ich führ' oder trag’ euch einmal hinauf,“ fagte Beter Iachend zu uns, „ihr follt ein-mal fehen, wie’3 oben ausfieht!“ Am Mittag, fuhr er fort,Habe er fih wieder zu Thal gewandt. Al er an die Fel8-wand gefommen jet, da Habe ihm gegrauft. Er habe den Abftieg verfucht, aber der fei viel fcHhwerer gewejen als das Mufflettern, denn bei dem feien die Augen vorausgegangen und hätten den Füßen raten und Helfen Können, beim Abftiege aber hätten fie mandmal miüßig Bleiben und daz Pfadfuchen ben blinden Füßen Überlaffen müffen. Er Habe voraus-gejfehen, daß er nicht heil am Fuße der Mauer ankommen würde, {ei mieder Hinaufgeftiegen und Habe nach einer befjeren Gelegenheit gefucht. Und fchließliH habe er fie ge-Funden,
So etwa erzählte Peter feine Bergfahrt.
„Und der Steinhaufen und das goldene Horn?“ fragte jein Vater, Halb im Scherz und Halb im Ernit.
Peter lachte: „Ich Habe nicht Zeit gehabt, danadı zu Juchen!
Mein Mann hatte mir ver]prochen, c3 follte feine Achte Rletterei in jenem Jahre fein und er hielt fein Wort, Aber e3 mußte ihm fOwer fallen; oft, wenn die Herbitfonne Hell auf bie Berge und ins Thal fchien, faß er vor der Hütte und chaute hinauf nach dem OldenhHorn und nach den Teufel8-Hörnern und dem grauen SGletiher mit den Llauen Riffen,[]Dom SGolde,
345 und {prach man ihn dann an, bekam man Feine freundliche Antivort. Er mußte Heimweh haben nach feinem Bergdorf oder Wolfendorf, wie er’8 genannt Hatte. €3 war gut für idn und für uns alle, daß bald der erfte NMeufchnee an die MNohänge hin geblafen wurde.
Bu der Zeit Hatten wir eine große Freude. Ul8 wir einmal beim Mittagefjen faßen, hörten wir ein ftarkes MuhHen vor der Thüre. Das war uns fo ungewohnt, daß wir uns halb erfchroden anjahen, al8 Hätten wir ung fragen wollen:„GHat’s am hellen Tag gegeifteft ?!)“ Wie wir die Thüre auf-rifjen, gloßte uns ein Ruhkopf entgegen. €3 war ein {tolzes Tier, [Ower und feift und mit leichtem Gehirn. Wir mufterten bie Ruh und wußten nicht, wie das gefchehen war, wer fie hergetrieben hatte und in weffen Stall fie eigentlich ge:hörte. Da fiel von ungefähr mein Blid auf einen [Hwarzen Hut, der um eine Ede unferer Hütte gute und lachte. Ich fannte ja den alten Hut und das alte Geficht. IH lief hin,28 preßte mir die Bruft zu und ih rief oder fcHluchste:„AÄtti, du!“
Bald darauf kam der Winter; er war für unZ Kein gar jtrenger Mann und oft Jagten wir uns: „Nach dem gräßlichen Sommer mit Peft und Gräueln aller Art kommt das alte Stüc wieder in Ormunt zu Safte.“
Über den Winter {Hien mein Mann die Berge zu ver-geffen und als Wind und Sonne den Schnee verjagt Hatten,trich er unjere Geißen und unfere Ruh, zu der im Winter nod) ein Kalb gefommen war, auf die Matten hinaus und jorate für fie fo wohl, wie eine Mutter für ihre Kinder.
‘) Gefpuft,[]ro
VBom Golde.
Nie fprady er vom Iagen, nie vom Klettern, und id dachte:„Nun er wieder BiehH im Stalle hat, ijft ihm die Narrheit von felbft ausgegangen.“
Einmal aber, al? das YldenhHorn im Woendrot Leuchtete,als wär’ wirflid mit Großättiz Gold überzogen gewefen,überrafchte ih ihn, wie er unter der Hütte ftand und hHinauf-fah. Raum gewahrte er mich, da {HlihH er fihH davon, als Hätte er etwaz UnrechteS gethan; mir aber kam die alte Angft: „Er hat e8 fih noch nicht auZ dem Sinne gejhlagen,weiß S®ott, er wird’3 treiben, bis eS genug ijt.“ Wber ih glaube, er wäre ber Verfuchung widerfianden, und hätte mid nicht in Angft gebracht, denn er wußte ja, daß ich mit meinem zweiten Rinde ging. Da aber kam die Ver-fuchung mit einem gefpicten Beutel und ich felber wagte nicht mehr, ihn abzuhalten, Da3Z kam fo: an einem Ko-hHannistage, da man fonft in die mittleren Stafeln zog, kamen zwei Fremde ins Thale. Sie fprachen eine Sprache, die war weder welfh noch deutjch. Nur der eine der beiden Konnte ein paar Worte franzöfijh und endlich begriff man, daß er einen Gem8jäger fuchte. Man fagte, e& gebe deren zwei im Zhal, Claude und Beter; er ließ beide rufen. Nach langem Stottern und Stammeln Hatte man e& Heraus, daß die beiden das OldenhHorn befteigen wollten. Im ganzen Thale begriffen nur zwei ein folches Unterfangen: Peter, der wußte, wie hin e8 oben war, und unfer Großätti, weil er an bie alte Sage glaubte. Er Hatte fihH auch herzu gedrängt.Al man ihm das Vorhaben der Fremden in die Ohren rief, da wurde er unruhig und feine Yugen Hefteten {ich lauernd und böS auf die beiden Männer. Dann zupfie er meinen Mann am Kittel, Humpelte mit ihm abjeit3 und faate:[]Bom SGolde.
347
„Ufm Bärg ih Gout! Die reidhen’3 ab’n! Peter, reich’3 dur,reich’8 du!“ Die Fremden fühlten den beiden Gemsjägern auf den Zahn, fo gut fie e8 KIonnten mit ihrem Stottern,und endlich fragten fie meinen Mann, ob er ihnen den Weg auf den Berg zeigen wolle, er müßte es nicht umfonjt thum.Beter fagte zu; Claude aber ging davon und Auchte fajt den Himmel herunter.
Beter ftieg noch am nämlidhen Wbende mit den Fremden ein gut Stüc am Berge hHinan, um dann am folgenden Tag mit friflder Kraft den Gipfel zu erklettern.
Die Reife glücte; von weitem jchon meldete uns Peters Sauchzen die Rückehr.
Wie er mit feinen Fremden jodelnd an den Hütten vorbeifchritt, {treten fih neugierig die NMöpfe Heraus und biele, die gerade nicht? befferes zu thım Hatten, fOlLoffen {ich ihnen an, fo. daß e8 endlich ein ganzer Zug war, der zu unferer Hütte einbog. Die Fremden jeßten fih, um aus-zuruhen, in den Schatten, den die Hütte warf; fie wollten am nämlidhen Woend noch inz Thal Hinunter fteigen. Alles Volk belagerte und begaffte fie, denn Leute, die um nichts auf einen Berg FHMettern, mußten wohl andere Najen, Baden und AYugen haben, als ein ehrbarer Chriftenmen]h. Am auffälligften benahm fi unjer SGroßätti; der Hinkte Hart an die beiden heran, mufjterte fie mit den ftechenden, mißiranijchen Huglein und befnüffelte fie, fo daß die Fremden lachen mußten und alles Bolt mit ihnen. Der Alte aber ließ [ich nicht Hören, vollendete feine Mufterung und wurde ruhiger.
Unterdeffen war eine neue Zufchauerin gefommen; Die itach in ihrem Aufzuge den Fremden fo in die Augen, daß fie aufitanden und ihr näher traten, denn fie hielt fidh ab-
[348]Vom Golde.feits. Die Frau, ihr habt’3 wohl erraten, war die Berganni;jie fah die Fremden mit Jharfen Augen an und rührte fidh nicht. Da 30g einer der Meifenden ein Büchlein und einen Stift aus der Tafche, fhaute fie an, Krikelte etwa3 inz Buch,fhaute wieder und Frigelte wieder und man mußte lachen,weil ev’3 gar eilig hatte. Die Berganni aber lachte nicht mit; fie trat dem Manne mit dem Büchlein näher und fing an, auf ihn Loszutwettern, daß er fih Mein machte und den Rückzug antrat und des Lachenz um ihn her kein Ende ward,
Nun z0g einer der Fremden ein Ledertäfchhen aus dem Sade, nahm etwas hHerau3Z und drückte e& meinem Manne in die Hand; dann brachen die beiden auf und fHritten am Sluffe abwärts.
Als Peter feine Hand Sffnete, war ein großes Goldjtück drin und er ftieß einen Jauchzer aus, wie immer, wenn er die Luft im Sinne Hatte und rief dem SGroßätti ins Ohr:„Das ijt Gold vom Berge!“ und Hielt ihm das glibgernde Stüc vor die Äuglein. Der Alte Hatfchte in feine dürren Gände und Kicherte: ho, Hh, Hh!
Die Berganni aber, wie fie das Gold fah, ftimmte ihr Sluchgebet über das Geld an und lief Hinter den Fremden drein und überfhlittete fie mit Schmähungen. Und fie Hatte die anderen Ormunter auf ihrer Seite; die gingen murrend auseinander und fagten: „Die Berganni Hat recht, aus dem SGelde wird wieder Unglück reif werden, es ijft Sündengeld!Man denke doch, ein Goldjtück, und kein8 von den mindern,für einen Spaziergang! Recht erworben Gut i{ft das Geld nicht! Und warum muß € gerade dem Berner zugefchneit werden?. Der hat ja fchon Fünf Stück auf der Matte!“[]Vom SGolde,
3'9
Am autejten grollte Claude, der Gemsjäger: „Die Grat-tiere {hießt mir der Hund weg! das Goldjtück jagt er mir ab! Mög ihm der LVeufel den Dank auzzahlen !“
3 vergingen nidht zehn Tage, da Kam wieder. ein Keijender nach Ormunt und Hatte zwei Halberwachfene Buben bei fi. Der fragte nicht wie die erften nad einem Gems-jäger, er fagte: „Führt mid zu dem Peter Schneiter, dem Bergführer 1“
TagS drauf, al8 mein Mann zu dem erften Goldftück ein zweite3 legte, fagte er {trahlend vor Freude: „Noch ein paar folche Gelegenheiten und ich bin im ftande, eine zweite Ruh in den Stall zu ftellen. Der Berg wird uns zum Segen!“Die Leute aber jahHen un3 von da ab mit {Heelen Augen an,fie mochten ung das bißchen Glück nicht gönnen und befonder3 die Berganni kam nun SfterS zu ung herab und verdarb ung alle Freude.
€ war zu Ende des Monats Auguft. Da wurde das Thal wieder durch zwei Fremde in Aufregung gebracht. E23 war ein Alter mit einem weißen Badenbarte, der ihın bis auf die Achjeln reichte und ein Junger mit einer Brille,Sie wollten außer meinem Manne noch einen andern zur Begleitung, denn der Alte meinte, er fer nicht mehr feit genug auf den Füßen, man miüffe ihn etwas nachheljen. Peter 'ollte den zweiten Führer jelber wählen, fo wollten’3 die beiden.
Claude, der den ganzen Sommer auf der Lauer gewejen war, trat vor meinen Mann und gab ihm zu verftehen, er würde gern das Stücd Geld verdienen; Peter aber wollte nichts von ihm wiffen, denn er mochte ihn nicht leiden. Da ging der andere davon und ftieß zwifjhen den Zähnen hervor:„sch tränf’ dir’s ein!“[]"39
Bom Golde.Mein Mann ließ Kafpar rufen, Bergannis Sohn, wußte man doch, daß e8 bei ihm zu Haus gar ärmlih zuging und er ein wenig Geld fehr wohl brauchen Konnte. Seit Berg-annis „Stern“ den Sprung in den Fluß Hatte thun müffen,ftand in der Hütte oben an der Halde kein Stück Mich mehr,nicht einmal eine Ziege. Die alte Frau ging einen Tag wie den andern an den Matten empor, ftach mit einem Mefjer Wurzeln aus und davon lebte fie mit ihrem Kafpar, und Schmalhans war Küchenmeifter.
Kafpar ließ fih nicht lange bitten, mit auf den Berg zu fteigen, denn er hätte gern dem Elend zum Haufe ein Ende gemacht.
Die vier Männer ftanden reifefertig in unferer Hütte,Da wurde die Thlüre aufgeriffen und herein ftürzte mit ihren unheimlichen Augen Rajfparz Mutter. Sie ging auf den er-fOrodenen Burjchen Io3, nahm ihn am Arme: „Kafpar, Kafpar,wa3 willjt?“
„Auf den Berg, e8& ift nichts Hbles!”
„Teufelswerk ift’3! Ich laß’ dichH nicht! Geh’ mir voraus,nach Haus!“
Er juchte fid von ihrer Hand Loszumachen, Da erhob fie ihren Hafeljtot gegen ihn: „Geh’ voraus oder ich fhlage zu!“
Kafpar wurde wankend; man fah es ihm an: er that feiner Mutter nicht gerne weh, er mochte fie gern Haben.
Da ließ die Frau ihren Hafjeljtod fallen, faßte mit beiden Händen nach Kajpars Armen und rieß ihn der Thüre zu.Der Burfche folgte Halb willig, Halb fih fträubend; die Fremden aber mußten lachen vb des Auftrittes, und das Lachen verdroß Kaipar der Art, daß er fihH mit einem Rude von feiner []Bom Solde.
351
Mutter Iosmachte und den Fremden zurief: „Ich Komme mit euch!“
Wie die Mutter die Wandlung in ihrem Buben wahr-nahm, ließ fie auf einmal von ihrem Zorne, ja fie wurde weich, wie man fie nod) nie gefehen Hatte und fchlang ihren Um um Kafpars Halz und fOluchzte: „Komm’ mit mir,Bub! komm’ 1“
Da Hinkte unjer Großätti, der bis da in einem Winkel zugefehen Hatte, herbei, ftellte fi Hinter Xajpar und rief ihm in einem fort mit feiner lallenden Stimme zu: „Chapper, bis Häche! Chapper, bis Hädhe!)!“ und Hopfte ihn dabei mit jeinem Stode auf den Rüden,
Die Fremden fanden daS wieder Iuftig und achten.Rafpar mochte fich der Rolle jHämen, die er da fpielte; er riß ih die Mutterarme vom Halfje und rief über die Schultern zurüd: „Ich komme mit euch!“
Sn Berganni ward die Wut wieder Meijter; fie {Hoß fnirjchend an ihrem Sohne vorbei, griff nach ihrem Hafelftocke und ftellte fich drohend vor die Fremben, die ihr Vergnügen an dem tollen SGebahren fanden, die Hände in die Tajdhen teten und das Unwetter ruhig über fihH ergehen Kießen,
Endlich aber Hatten fie das Treiben fatt, bejonders der Ältere. Der z0g aus feiner Bufentafche ein leinenes Säck-Gen hervor und Sffnete e8, e8 war lauter Gold drin; das tönte gar jauber, wie er mit den magern Fingern Hineingriff.
Er langte ein Stüd heraus und hielt e& der Berganni unter die Nafe: „Nimm dazZ und dann laß’ uns in Ruh,alte Here!“
1) Sei fed.
[3592]Vom Golde,
Nun fauchte und zifjchte die Berganni wie die Kaße vor dem Hunde. Mit flinkem Griffe nahm fie das SGolditück und fhleuderte e& dem guten Alten an den Kopf, daß c3 von da abjprang und über den Boden Hinrollte. Unjer Großätti fah e8, warf feinen Steden hin und roch auf allen Vieren dem Solftüce nach, aber fand eS nicht.
Die Berganni aber füllte daz GauZ mit ihrem GejhHrei:„Um Gold meinen Kajpar? WaZ that ih euch zu leid, daß ihr mir den Kafpar abkaufen wollt? Den Mann nahmt ihr mir! Die Beft brachtet ihr! Meinen ‚Stern‘ erfäuftet ihr! Sa! geht auf den Berg! Lauft dem Teufel in8 Garn!Aber meinen Kajpar laß’ ih euch nicht! Geht nur! Und mög’ euch die Fel8wand zerjhmettern oder ein Wbgrund ver-{Oluden! Und mög’ euch ein Felsftück erfchlagen oder die Lawine erftiden! Sa! geht! AWber mein Kafpar bleibt bei mir! Seh! geh! Du vermaledeiter Landfireicher !”
Dem jüngeren der beiden Reijenden ging die Geduld aus; er pacte fie an der Schulter und fHob fie unfanft auf die Seite. Dann trat er vor Kafjfpar hin, faH ihn fHharf an und Jagte: „Wie gedenkit duw’8 zu machen, junger Mann ?Bileibit du, oder kommft du?“
Kafpar zauderte erft; aber der Blig des andern gebot zine Ent/Heidung, und e$ war, al3 fHreibe er fie grad vor.„SO fomme mit euch!” Jagte Kafpar Ffeft, und ohne nach jeiner Mutter zu fehen, wandte er fich zur Thüre. Da warf fig die Berganni nieder, umfaßte die Anie ihres Sohnes und flehte: „SGeh’ nicht, Cafpar! Bleib’ bei mir, ih bin ja dein Mütterhen !“ Der Sohn, leid vor Erregung, {AHkeppte fie mit fich bis vor die Thlüre. Dort Kieß fie Ioder, und er eilte davon dem OÖldenhorne zu, fOnell wie eine Gemfe,[]Dom Solde.
353 ohne zurüdzufehen. Die drei andern folgten ihm ge-mächlich.
Die Berganni Iag vor dem Haus auf den Anien, den Kopf nach vorn geftredt und fah ihrem Sohn nach, bis er im Creux de Champ berfjhwand. Da brach fie zufammen:„Nun ijt er mir hin!“ {Hluchzte fie und barg das Geficht in der Erde. So Iag fie weinend bis die Nacht anbrach.
Drinnen in der Hütte fHluchzte auch einer: das war der Großätti, der auf dem Boden Herumkroch: „HD, das Sout! wo ih das Gout?“
Das Wetter war gut zum Reifen, fein Wölkhen |Hlich um die Berggipfel, aber mir war doch nicht wohl, ih ante Unheil. Id onnte mir lange fagen: „Leter fennt den Weg und von al feinen Bergfahrten ijft er immer Heil zurücgefehrt, e8 half nichts, ih ward die Ungft nicht 103.Um zweiten Tag wandte fichH mein Geficht beftändig nach dem Creux de Champ und den Bergen, und regte fih etwas an einer Halde, fo meinte ich, e8 müfjje mein Mann fein. Der Tag fOHdien mir ewig zu dauern. Endlich fqHickte fichH die Sonne an, auf die Berge hHerabzufinken, das war die Heit,da Peter fonjt mit den Meijenden zurückkehrte. Ih jtieg auf eine Anhöhe, um Bbeffer zu fehen: eS& kam nichts und meine Unruhe wuchs. Da wie id) wieder nach der Sonne {Haute, um die Zeit zu IHäben, Jah ih, wie fie in einen [hmwarzen Wolfenfack Hinabglitt: „E3 rüftet fich zu einem Wetter; wenn e3 fie ereilte!”
Immer fhwärzer ward es im Weften, und düfter flieg e3 daz Thal Herauf und dort vom Berg Her nichts! nicht3!Ein Feuerfhein zerriß die Wolfen und dumpf grollie es in der Ferne, und fie kamen immer noch nicht.
X. Bokhart, Im Nebel. 23 []Bom Golde.
Die Weiden- und Erlenhbüjche wechfelten die Farbe, ein Windftoß fegte vorbei, die Teufel8hörner hHüllten fih in Nebel,e8 nachtete durch8 ganze Thal. Über meinem Kopf aber brach e3 103, al® Frache ein Stüd vom Himmel zujammen,und e3 rollte graufig von Bergiwand zu Bergwand, Un den GHalden flog der Regen herab wie ein graue Tuch und noch war mein Mann in den Felfen!
Das Waffer {loß wie ein BachH an mir herunter, als id in die Hütte zurücdkehrte. In der Stube waren Leute;e8 war Sonntag und die Meugier Hatte den Müßigen Keine Ruhe gelaffen: fie wollten die Fremden nochmals begaffen,fie wollten den Lohn fehen, der den Führern würde.
AS ich eintrat, {praden fie vom Unwetter,
„Sa,“ fagte der alte Grosjean, „ein Sturm auf dem Berg, daz ft nicht fo gut wie Käs und Brot. IH Habe einen erlebt, den werd’ ich mein Lebtag nicht vergejfen. Ih fuchte eine Geiß, die [ih verftiegen Hatte; fie {ft zu Grund gegangen; id) kam davon, e& war ein Wunder. Die Luft fiel über mich her wie ein Sturzbach; der Regen Hätte nichts gemacht, aber die Luft, die Luft, das ift das Schlimmfte!Da verfuche Keiner aufrecht zu {tehen; fie nimmt dir den tem und fchlägt di zu Boden und den ftärkfrten Farren wie diQ! Mid mwarf3 in ein Loch, daß mir die Rippen frachten und das war noch mein Glück, denn nun faufte es über mich weg. ‚BZuweilen aber fuhr e& in daz Loch hinein und fuchte mich hHerauszuwerfen, und ich Nammerte mich mit den Fingern fejt und ftemmte die Füße gegen den Anprall.Da müffen dir die Haare feit auf dem Kopfe figen, fonft fegt fie die Luft weg, wie die Windsbraut daz Heu auf der Matte.[]Bom SGolde.
355 „Und erft die Mufik! Hui, wie's pfeift und hHeult um die @räte, wie’3 faujt und brüllt und ftöhnt durch die Schluchten! Mir war, als bliefe man mir mit Hundert Görnern in Ohr. Und Kalt ift’3 dazu, brer! Wie Ei3-waffer fährt’& durch die Knochen! E83 ging eine gute Weile,bis id) wieder gerade Finger machen Konnte!“
Während er fo {prach und fih ereiferte, ward die Thüre aufgeriffen.
Was will der Hier? . Mir war’8’ das Unglück träte herein, ein Iachendes und grimmiges zugleich. € war Claude,der SHäger.
„Oa, da treff” ich ja daZ Halbe Thal! Guten Woend!Ein Teufelswetter !”
„Wo Haft dur den Hut gelaffen, Claude? Barhäuptig fieht man dig fonft nie, und hei dem Wetter Hätteft dr ihn ichon brauchen fönnen!“„Sg wollte den Läufen einmal ein Bad gönnen,“ achte er; aber niemand lachte mit ihm, denn nur fein Mund war fuftig, die Augen aber waren finjter und ftarr und gingen fcheu von einem zum andern, alZ fragten fie etwas, als fragten fie etwa: „Siehft du mir’ an? Weißt dur, was ich iHat?“ Und feine Stimme war Heifer und er mußte fie aus der Kehle Herauswürgen.
Er fuchte fig einen Pla im dunkeljten Winkel, er ging dem Licht aus dem Wege; wenn ein Blig Leuchtete,Idhlug er die Wugen zu. Hinter ihm Her Kief auf dem Boden zin Bächlein, wie eine Schlange, die ihn in die Ferfe ftehen wollte.
„Der Peter und der Kajpar wären jebt auch {froh um jo ein Winkeldhen,“ fagte er bellommen und Hätte
93*%
[350]Vom Golde.e8 gern Inftig gefhan, „fo Hat’3 fchon lang nicht mehr ge:tracht.“Peters Vater ging zu ihm hin und redete ihn an:„Wie mag’3 Kommen, daß fie jo lang aus8bleiben, Käger?“
„Ihr habt wohl gar Angft um fie? Wagt’8 der Peter,Hremde auf den Berg zu führen, wird er auch wiffen, wie man fie wieder inZ Thal {Hafft. Bon dem bischen Regen da ftirbt man noch nicht, da weiß ein Gemsjäger von anderem zu erzählen. Sie werden fhon fommen. Um’3 Geld joll man aud) was ertragen!“
„Sa die Luft, die Luft!“ rief Grosjean dazwifjdhen,„da3 Schlimmfte ift die Luft, ih hab’3 grad jeßt gefagt.“
„Bah, die Luft! WaZ wißt ihr! Macht eine Kuh euch etwa mehr Wind, al3 ihr’3 gewohnt feid, fo meint ihr ion, die Welt werde verblafen wie eine roftige Flinte!“
Er juchte, über feine Rede zu lachen, aber e8 ging ihm nicht von jtatten und man Hörte e& dem Ton an: ihm war nicht wohl in jeinem Kittel. Ich aber fah, wie feine Augen aus dem dunklen Winkel Hervorftachen und fragten: „Siehjt du mir’s an?“
Mir ward ganz beflommen ums Herz und ich fagte zu ihn: „Ihr wißt etwas, ich feh’8 eu an .... hr habt den Beter ....“
„Was fiehft du mir an?“ rief er und fuhr in die Höhe
„was hab’ ih... .“
„Ihr wißt etwas von meinem Manne!“
Da preßte er wieder fein Heiferes Lachen hervor: „Ha,Ya, ha! Wie dur Ungft Haft, das ift Iuftig! dır Hätteft eben deinen Mann an die Bettftatt anfeilen foWlen, Ha, ha, ha!Er jagt die Gemfen wie id und follte in dem Regen da []Vom Solde.
357 den Kopf verlieren! Ha, ha, ha! Da weiß ih von anderem zu erzählen! Hört her, ih will euch etwas Iuftiges berichten,ein Gemsjägerjtüdchen! So geht die Zeit um und derweil werden fie Fommen.“
Mir wurde immer untwohler zu Mute, denn ih {ah wohl, daß die Fröhlichkeit dem Jäger nicht von Herzen kam.„Nein erzählt jegt nicht! Wenn ihr was thun wollt, fo geht meinem Manne entgegen, mir bangt, er fet in Nöten!“
„Si, zum Tenfel auch! Weiberblut, Weibermut! Was fol ihın begegnet jein? Die Gemfen kann er einem weg-{hießen und die Goldftücde wegfhnappen und dann fol man noch nach ihm jehen, daß er keine Beulen kriegt! ha, ha, ha!“
„Sacht nicht fo! IH Kann euer Lachen nicht ertragen Heut’ 14 „Bum Teufel auch! Soll id denn Nennen wie ein Kind,das in die Brenneffeln geraten, nur weil’3 wieder einmal ordentlich donnerwettert in Yrmunt? Ih bin an anderes gewöhnt! Zum Teufel au! Ich erzähl’ euch was vom Kagen,ihr follt die Ohren fpiben! Hört! IH war *“
„Nein, jebt nicht!“ rief ih ihm zu: „wir figen hier müßig, mein Mann ift in dem Wetter draußen, die anderen mit im! brecht auf, ihr Männer, ums Himmels willen und helft, wenn’3 menfhenmöglihH ft! Hört doch, wie der Wind pfeift, jJeht, wie der Regen hHerabjtrömt und wie’3 bligt! Die beiden Fremden find an fo wa3 nicht gewöhnt, Peter und Safpar werden fie nicht mehr fortbringen! Geht und helft!“
Die Nachbarn fchauten in daZ Unwetter Hinanz und fahen fihH fragend an, e& mochte ihnen zu grufelig fein.
Da brach der Fäger das Stilljchweigen: „Bald gejagt:
[358]Bom Golde.fuchen! aber wo juchen? der Berg ift kein Hofenfac! ha,ha, hal“
DaS war’s, wa8 die Nachbarn alle gedacht Hatten und fie Jagten zu mir: „Claude hat recht: wir müßten nicht,wohin unz wenden. DVerlier’ nur den Mut nicht, der Peter braucht ung nicht, der forgt {don für fih felber; er ift ftark und frech!“
„Ih erzähl euch meine Gejchichte, daz wird euch allen die Zeit fürzen und dir die Angft obendrein!“ und er hub an mit feiner rauhen Stimme:
„Wahr ift’8! glaubt mir’, oder glaubt mir’$ nicht!Wahr jedes Wort! War ih da einmal auf der Yagd, gegen die Teufel8hörner hinauf und Hatte den ganzen Tag auf ein Semöpaar gelauert. E€& war ein Bock, ein ganz grauer, und ein junges Geißlein. Er hat keinen fHlehten Gefchmack, der Mlte da, dachte ich. UWber er Hatte auch eine feine Naje:wie ic) anlegen wollte, war er {[hon davon mit feinem Bräut-fein und mir blieb nicht3 al3 das Nachfehen und das Sluchen! Himmelhagel, kam id in einen Eifer.
„Endlig kam mir das Geißlein in den Schuß: bum!und fie machte einen Sprung, al3 hätt’ fie über den ganzen Berg feben wollen. Dann rutfchte fie Iangfam an dem Felfen Hinunter und blöfte, was ihr zum Halfe herau3 mochte, bis fie unten auffchlug. Ich KHetterte ihr nach; ’3 war mübhfame Arbeit. Und wie ih fie Hatte und etwas verfnaufen wollte, da merkte ich, daß der Teufel Io8 Kam. E3 war dunkle Nacht, im Nur war der Berg im Nebel und der Wind fing an zu heulen, als ftede er auf einem Mefjer! Nun fuhr die Sölle über mid her, daß ich nicht mehr wußte, wo ich den Kopf Hatte! Da ift mir manche Laus erfoffen! ha! ha! ba![]Bom Golde.
359 Und die Blige fuhren um mich herum wie Fliegen und der Donner prallte und polterte an die Felswände, als wollte er fie umwerfen. Ich Hatte mid zwifchen zwei Felsblöcke geworfen; die Gemfe XIag auf einem Steine und die Flinte auf einem andern. Auf einmal ward mir ganz fonderbar:die Haare auf dem Kopfe richteten fich auf, ich Fonnte e8 wohl merken, und als ich die Wugen etwas verdrehte, da fah id) meinen Bart Leuchten wie glühende Drähte. Beim Eid ijF3 wahr, glaubt’3 oder glaubt’s nicht! Ich Iangte mit der Hand danach, um ihn zu Löfchen, er brannte aber nicht und glühte fort. AS ih an mir herunter fah, da Ceuchtete mein Biegenfelllittel wie mein Bart. Mir ward unheimlich zwijchen meinen Feljen drin und ih roh aus dem Winkel heraus. Neuer Schreden! Auf allen Feljen und Steinen ringsum waren Heine Fämmehen. Die Hölle ijt aufgegangen,ber Teufel will dich Holen, Claude! fchrie id) und rief die drei heiligjten Namen. Da fuhr e8 herab wie ein brennender Baumftamm, der Berg zitterte, id) {prang auf wie das Gems-lein nach dem Schuß! GHimmelhagel, war das ein Schreden!ba, ba, ha!„Mein Bart glühte nicht mehr und die Feuerlein auf den Feljen waren ausgeblafen. Der Teufel ijt fo fcHlimm nicht, wie er ausficht, dachte ich und legte mich wieder zwijden meine Feljen. Sch lag nicht lang, da fing3 von neuem an in meinen Haaren zu Krabbeln, der Bart ward wieder Hell und die Steine brannten. Nun rief ich die drei heiligiten Namen nicht mehr; zum Teufel auch, man gewöhnt fich an alle8; ja, id fand das Ding faft Iuftig und iQ fing an,mich etwaz umzufehen. Die Gemögeiß, die etwa 6 Schritte bon mir abfeit3 Xag, glühte wie mein Bart und Jah aus, als
[360]Dom Golde.Hätte man glühende Ajche auf fie geftreut; daz Sonderbarite aber war oben auf dem SGrate: man fahH e8 kaum durch den Nebel: e3 {Haute Herab und rührte fich nicht, es mußte ein Gemsbock fein, der Bock des Geißleinz. Oder war es der Teufel felber und Hatte ih ihm die Herzallerliebite weg-gej hoffen? Ha, ha! Aber Spaß bei Seite! Er Jah unge-mütlich aus, der Bock; auch er glühte, befonder8 die Hörner und der Bart und er fahH wie ein Gefpenft zu mir herab und zu feiner Geiß. Da fuhr der feurige Baumftamm wieder herab, wieder Erachte e&, al8 fpringe der Berg in taufend Stüce, Und neben dem Iauten Analle Hörte id noch einen Ihwächern. Wie das Feuer kam, Hatte ih die Augen ge-Ihloffen, nun riß ih fie wieder auf und fah um mich. Da war meine Flinte ganz zerfebt, nur noch der Lauf war zu jehen und er war zerfrümmt und zerriffen, al8 wäre er ein Ihwadher Strohhalnt gewefen. Ich begriff: der Donner-itragl war drauf gefallen. Ein Glüg, daß ih nicht im Schuß Iag, dachte ich bei mir und dabei fuchte ih mit den Augen die Richtung, in der die Ladung etwa geflogen fein mochte. Gätt’s den Bock getroffen? Möglich wär's: er war nicht mehr dort!
„Derweil Hatte das Glimmen wieder begonnen, ftärker al je und eS Inifterte mir in den Haaren. Auf einmal war’8 wie ausgelöfcht und ih wußte von nichts mehr.
„Ih mußte Iang bemwußtlos gelegen fein. Al ich die Augen wieder auffchlug, {Oli der Nebel an den Halden hin und da und dort brach die Sonne durch. IH lag in einem Bächlein, das durch den Megen entftanden war; im SKopfe war’s mir wüft und fhiwvindlig. Ich ftand auf. Mein Bli fiel auf die Gemsgeiß; der waren die Haare verbrannt und []Dom Solde,
361 fie war [Ohimarz mie eine Xohle: der Donnerftrahl mußte auf fie gefallen Jein. Schade drum! dachte ich und Letupfte fie.Sie war wei anzufühlen und es ftieg mir ein Geruch von gebratenem Fleifjche in die NMaje. Wie? Wenn der Wetter-ftrahl daz ViehH gekocht Hätte?
„SIG 30g das Mejjer und Löfte die Haut; daz Fleilch [ah nicht übel aus, ich fcHhnitt einen Febgen 108 und fing an drein-zubeißen, wie ein rechter GemSjäger: bei meiner Seel’ {8 wahr! Und dabei dachte ich: den Braten Hat dir der Teufel zugerichtet, ’3 nächjte Mal will ih ihm fagen, ex fol’ das Salz nicht vergeffen! ha, ha, ha!
„S3 wurde dämmerig und ich wandte mich thalwärts.So bift du noch nie von der Jagd nach Haufe gekehrt,Claude, ohne Flinte und ohne eine Klaue, e8 ijft eine Shmad.Da erinnerte id) mid an den Gemsbock, der {o grimmig nach mir geguct Hatte: Wenn er oben läge? Nachfchauen Koftet nicht3! Und richtig da XIag er, in die Stirne getroffen,glaubt mir’3 oder glaubt mir nidht! Ih Hob ihn auf die Achfeln und jtieg ins Zhal.
„Sa To geht’8 auf dem Berge zu, wenn die Hölle Losbricdht.Himmelhagel, das ift Kein Spaß und Kommt einer einmal nicht wieder, {o wundert euch nicht! der Berg fpaßt nicht!Und fuchen müßt ihr ihn auch nicht; wer wollte ihn finden ?Bum Teufel auch, der Berg ift weit!“
Indem er fo fprach, blinzelte er nach mir.
„Du weißt etwas von Peter!“ fHhrie ich ihn an, „[ag’3,wo it er? wo fahft dar ihn? Hat ihn der ....”
„Was fol ih wiffen? Ih war Heut und geftern nicht vom Haufe weg. Kreuzhagelwetter, fol ih denn alles wijjen!& Yfann einem auf dem Berge was zuftoßen, eS Kann dem
[362]Vom SGolde,Beter was zuftoßen, drum habe ich meine Gejchichte erzählt,drum kam ich Her, damit e& euch nicht wundere, wenn er etwa nicht.... Gejehen Hab’ ih ihn nicht, ich nicht! wie follt’ ih au? GHimmelhagel, war ih denn auf dem Berge heut’ und geftern? Sagt id’3 euch nicht? Keinen Fuß hab’ih aus der Hütte gefeßt!“
„DaZ Aügft du!“ rief ihm der junge Leblanc zu. „IH fah dig Heut’ zu Berge fteigen und fagte zu meinem Alten:Heut’ geht der Jäger fpät jagen!“
Claude IhHoß auZ feiner Ecke hervor: „Sag’3 noch ein-mal und ih haw dihH zufammen! Keinen Schritt hab’ ih vor die Hütte gefebßt uud wer’® ander3 fagt, Hat’3 mit mir zu thun.“
Leblanc [Hwieg, denn er fürchtete den Jäger. Alle aber jahen den mit mißtrauifchen Augen an. Ohne noch ein Wort zu Jagen, ging Claude der ThHüre zu. IH verfperrte ihn den Weg und bat ihn, er möchte doch reden, denn id) war überzeugt, daß er etwa3 von meinem Manne wiffe, Er aber warf mid mit den Fäuften gegen eine Wand und eilte hinaus dem Creux de Champ und feiner Hütte zu.
„Der Blig hat meinen Mann erfHlagen“, rief ih den Nachbarn zu, „macht euchH auf, ums HimmelSwillen! fucht ihn, ich thäte e8 felbjt, wäre ich nicht in dem Auitande, den ihr feht.“
Die Nachbarn waren num willenZ, aber e& nachtete, e8 war zu I{pät.„Gabe Feine Angft“, fagten fie zu mir, „noch kannt er fommen. Sit er aber morgen früh nicht zurück, fo fuchen wir ihn im ‚Gemeinwerk.“ Damit gingen fie hinaus. Ih hörte noch, wie vor dem Haufe einer zum andern fagte: „IH []Dom SGolde.a4 nr 3 weiß nicht, was ih vom Jäger denken fol!“ Der junge Qeblanc aber beteuerte: „Ih fah ihn, fo wahr ich Lebe.“
Die Nacht war Hereingebrochen. Peters Bater und der Sroßätti gingen [Olafen, ich blieb in der Stube, zündete die Ampel an und firecte jeden Augenblid den Kopf in die Nacht hinaus und Horchte. Wie manchmal meinte ih Stimmen oder Tritte zu Hören! Wber e8 war immer nichts,Die Ampel erlofjdh gegen morgen; da fiel mir der Kopf auf den TijhH herab und ich fing an zu träumen und jah meinen Mann zwifchen zwei Feljen liegen und glühen wie ein brennendes Scheit, dann wurde er zu einer fOwarzen Kabe mit funkfelndem Balge und leuchtenden Augen; auf dem Feljen aber {tand der Gemsbock mit dem langen fenrigen Barte und den roten Hörnern und er fahH zu meinem Manne hinab und zrinfte und bekam ein Menfchengeficht, wie der Mofes, von dem un8 der Pfarrer in OGfteig einft berichtet Hatte. Der MojeS aber begann daz Geficht zu verzerren und ward ZU einer Runkel mit glühendem Werge dran und die Kunkel war unjer Großätti mit feinem langen Barte und Haar, und fein Mund ging auf und zu und er Kaute an dem Barte und jagte: „DaZ ich SGout!“ Da ftürzte ein feuriger Baum-ftamm bherab; ich wollte jchreien und erwachte. Im dem Augenblide Hörte ich Tritte und daz Auffhlagen eines Stodes,„Er fommt!“ dachte ich, und wollte nach der Thüre eilen.Uber e& war der Großätti; der Humpelte Herein, jah mich mit feinem mißtrauijhen Blide an und fragte: „Häfch’s (Daft du’8)?“
Sch verftand, was er meinte und fHhrie ihr an, und die Thränen liefen mir dabei auZ den Augen: „Unfjer Peter ft noch nicht zurück und dır Kannjt an das Lumpengold denken!“
[364]Vom Golde.Er achtete nicht auf das, was ih fagte, fondern warf feinen Steden auf den Boden und fing an auf allen Bieren in der Stube Herumzukriehen und bald Hörte ih ihr wimmern und fHluchzen: „’S Gout, wo ijdh 3 Sout ?“AS e8 ganz hell geworden war, Kam ein Nachbar nach dem andern, ftedte den Kopf durch die Thüre und fragte:„Sind fie da?“ Dann machte fiH ein Trüppehen auf mit Striden und mit Stöcen, um fie zu fuchen.
Das war ein langer Tag, was ijt ein Yahr daneben!AS e8 dämmerte, Fam ein Zug auf unfere Hütte zu. I {cOlug die Hände vor die Augen, um nicht zu fehen. Als aber bie Zhüre Inarrte, da Eonnte ih nicht widerftehen, ich mußte hinfehen, ih mußte wijjen, o6’3 wirklich {o war, wie ich’3 ahıte. Sie kamen herein, je zwei Hinter einander und treten dunkle Lajten auf dem Boden aus. Die leßten aber trugen meinen Mann und fie JHluchzten, wie fie ihn niederlegten und waren doch Harte Männer. ;
Von allem wa3 fie mir fagten und erzählten, Habe ih nur bverjtanden, daß alle vier anZ Seil gebunden unten an einer Felswand lagen. Und dann noch etwas, einer rief 3 mit grimmiger Stimme: „Und da Haben wir audhH den Hut!bes Jägers Hut! Kein Wunder, daß er geftern barhäuptig fam. (Er Iag nicht weit von den Leichen, er fol ihn gleich haben, Heut Nacht noch und den Lohn für feine Gejchichte dazu, der Hallunke!“
€ waren drohende Worte und die Männer zogen grollend davon.
Bald darauf verfiel ih in Heftige Krämpfe und in der nämlicdhen Nacht gebar ich mein zweites Anäblein. Am Abend []Vom SGolde.
365 hatten wir vier Leihen unter unjerem Dache, am Morgen waren e3 ihrer fünf geworden.
AS ih auZ meiner Schwäche ermachte, hHörte ih) zim-mern und fopfen Hinter der Hütte; ih Ionnte mir wohl denken, was eS fein mochte; der rote NMicolet, der dazu be-fonders gefickt war, fügte die Särge für die Toten zu-fammen. €3 war eine |chlimme Muflik.
Sch lag im ‚®aden‘; in der Stube fahH ich durch die offene Türe Peter3 Vater mit ein paar anderen Männern.Sie ftellten zwei Stühle einander gegenüber, den einen eine Manneslänge vom anderen weg, legten auf die Sike ein Breit und auf daz Breit Beter3Z Leiche, denn eS i{ft nicht Brauch,die Toten auf dem bloßen Boden kiegen zu Iaffen. Dann betteten {ie den Kafpar und die beiden Fremden in gleicher Weile.Bor den dvieren, in der Nähe der Ihüre, auf einem Golzflog, der ung fonjt als Sig diente, Iag mein armes,totes Anäblein in ein Tuch gewidelt.
M8 die Männer die tiraurige Arbeit gethan Hatten,gingen fie hinaus und lauter und emfiger fing e3 darauf an zu hämmern und zu pochen hinter der Hütte. Drin in Stube und Gaden war’3 {till wie ein Grab, ih Hörte nichts al8 den Atem meine3 älteren Knäbleins, das in einem Korbe in meiner Nähe lag und fHlief. Mir wurde angft und bang in der Gefelljchaft der Toten und wäre ich nicht [0 }Owach gewefen, ich Hätte mich erhoben, um die ZHüre zu fHließen,
Da Hörte ich etwas Inarren drüben; die Stubenthüre mußte geöffnet worden fein. €3 war der Großätti, ich Hörte 8 am Schlage feines Steden3, und als ich Hinfah, erblidte ih ihn, wie er zwei, Dreimal um die Leichen herum Humpelte
[266]Vom Golde.und fHnüffelte, wie er fo oft that. Endlich jtand er beim Alten {til und machte fich etwas mit ihm zu fhaffen. Ex betajtete deffen Rod, Öffnete die Knöpfe mit den zitternden frummen Fingern und z0g etwas au3 der Bufentafche, nicht ohne Mühe. Nun hielt er fihH dies Ding vor die Augen;e8 war ein lebernes Sädchen. Daz öffnete er und Kicherte wie er Hineinguckte und murmelte fein etwvige8: „Das ih Gout !“
SID rief ihm zu, er folle den Toten ihr Gut laffen;allein meine Stimme war zu fchrwach, er hörte mich nicht,fondern Hinkte zu dem HGolzitüce hin, auf dem mein Anäblein lag, job das Leichlein etwas auf die Seite, Jeßte fih das neben und fing nun an, in dem Golde zu wühlen. Er griff ein Scheiblein Heraus, hielt e& fih vor die Nafe, blinzelte e8 mit feinen lüfternen Äuglein an und Kicherte und Kicherte daß die Kunkel ihre Reifte?) fhüttelte: hi Bi Hi! Dann 30g er ein zweites Scheibchen hervor und Hielt e& neben das erfte und verglich fie auf beiden Seiten und Kcherte und ficherte, al3 wäre Lauter Jubel und Freude in der Hütte ge»wefen. 3 er mehrere jo neben einander gehalten hatte,fing er an, die Münzen zu zählen. Er feßte das Sädlein zwijdhen fig und das Leichlein, nahm mit der rechten Sand ein Scheibhen nach dem andern Heraus und legte fie in die Kinfe Hand, behutfam, als wären fie zerbrechlich gewejen und dabei zählte er: „Ei Stud, zweu Stud, dry Stud, vier Stuck, für Stuck.“ Bei fünf hörte feine Bähl-funit auf und er fing wieder von vorne an und jedesmal,wenn er bei ‚füf Stu“ angelangt war, ficherte er, wie ein Stückjeliger. Al alle Münzen vom Sädchen in die Hand
') Werg, Heede,[]Bom Solde.
357 gezählt waren, wanderten fie in gleidher Art von der Hand inz Sädchen zurüd: „Ei Stu, zwen Stud .. . Hi Hi Hi!hi Oi Hi!“
Wie er fo an der Arbeit war, Hörte ih wieder die Zhüre Inarren: die Berganni war’s. Ihr erfier Blid mußte auf dem armen Kajpar fallen. Sie Jank an dem Stuhle nieder, drückte fih ihr Lange3 weißes Haar in’3 SGeficht und [luchzte: „Kafpar, Kafjpar, mein Bub, mein armer Bub!Warf” nur, ih will ihn firafen, ich will ihn {trafen, dur armer Bub!“Der Großätti Hatte fie. nicht gewahrt und fie merkte jeine Gegenwart erft, al? fie {ich müde gefchluchzt Hatte. Da mußte fie den Klang des Geldes gehört Haben: fie ftußte,itand auf, ging dem Tone nach und fand den Alten. Der ‚ählte eben von der Hand inz Säcdchen, und war mit der Arbeit bald fertig: „Füf Stuck, Hi Ht Hi!“ Da fiel ihr Schatten auf ihn und er fahH auf. E3 ging durch ihn wie ein Schlag. So rajh e& feine dürren Finger vermochten,Iloffen fie fi lintz um die paar SGoldjtüce und griffen rechts nach dem Süäcklein; das Säclein {hob der SGeängftigte zwijdhen die Schenkel, ohne e3 mit der Rechten Ioszulafjen.Dabei maß er die Berganni mit boshaften, fladernden Augen und ftotterte fie an: „Was wottfh*) ?“
Sie, ohne ihm eine Antwort zu geben, flug ihn mit der Fauft auf die linke Hand, fo daß fih die Fugen der Singer öffneten und ein paar SGoldjtüce auf den Boden fielen. Beide fuhren danach, aber die Berganni war linker,Ge erhalchte fie, und warf ein8 nach dem andern durch die i) Was3 mwillit du?
[368]Bom Golde.Sichtlüde ins Freie hHinauZ und ihre magern, nadten Arme jdwangen fich weit, wie fie rief: „In den Wind, in den Wind! vermaledeiter Lohn!“
Der Großätti glogte fie an und begriff nicht und ftam-melte: „’8 if Gout, ’3 ih Sout!“
Die Unni wandte jich wieder zu ihm: „ieh alles her!“ Er Memmte die Schenkel fejt zujammen, um das Säck-fein zu bergen und feßte fiH auf die linke Hand, in der 2r den andern Teil des Schafe8 hielt. Sie zerrte und riß an ihm, bis fie wicder ein Goldftück erobert Hatte, Auch das flog durch die Lichtlüde in die Matte hinaus und glänzte in der Sonne auf wie ein Sommerbogel. Und wieder be-ganın die Rauferei. IH raffte meine Kraft zufammen und rief, Jo laut ih Konnte, fie Jollten doch den Toten da3 nicht zu leid thun. E38 Half nicht. Die Anni rifß den Alten herum,an den Haaren, am Bart, am Kittel, er aber wehrte fich in jeiner Gebrechlichkeit mit der Araft des Geize3, fteckte das Soldfäclein in den Mund und biz, OGrimafjen fchneidend,auf die Zähne, Ich Konnte nicht länger zufehen. Wie iq 28 fertig brachte, ih weiß e& nicht, aber ich fand die Kraft,mich zu erheben und, mich an der Bettitatt und an den Wänden Haltend, erreichte ih die Thüre. Die Berganni ging gräßlidh mit dem SGroßätti um, fie riß ihn am Bart auf und nieder, hin und her, und er ftöhnte mit feinem zugebiffenen Mund fHauerlidH. IH trete die Gände nach dem Weibe aus und zog an ihrem Rod. Sie ließ einen Augenblit ihr Opfer fahren, Fehrte {ih gegen mich, wütend, als wäre ich zinm gefährlicher Feind gewejen und warf mich mit einem Stoß in meine Kammer zurügd. JH fHlug mit dem Kopfe idhwer auf. Dann Hörte ich’8 über mich hinrajen wie ein []Vom Golde.
369
Wetter: „Sei verflucht, dr und das ganze Haus! Fremde Ware feid ihr! Fremder Ware {Hließt ihr Thür und Saden auf und meinen Kajpar verkauft ihr dem Tode. Seid verflucht auf immerdar! Diebjtahl, Mord: fremdes Pack hat’8 gebracht, und das Gold ift der Satan, der das Unglück aufftachelt. Drum wer e3 nimmt, fer verflucht, und verflucht lei das ganze Thal, wenn e3 dem SGolde und dem fremden Sefindel wird. Sin Knecht werde der Ormunter und ein Bettler und nah Geld foll er jagen und nie fatt werden,Se mehr Geld, um fo fhlechter die Welt!“
Sch fuchte mich zu regen, aber ih fonnte fein Glied rühren. Ich hörte noch, wie das Schreien und Ringen im SGaden wieder anfing, dann fHwanden mir die Sinne.
QIS ich wieder aufwachte, war das erfte, was mir in den Ohren Hang, der Berganni Verwünfjdhung: „Seid ver-AHucht!“ Die Augen auffdlagend, fand ich mich auf dem Bette mit verbundenem Kopfe. Am Boden war eine Blutlache.
Sm SGaden ftanden die Männer und legten die Leichen in die rohgezimmerten Särge. Eine blieb übrig: e& war der Großätti. Man Hatte ihn IebloS unter zwei Toten ge-funden, die, wie eS fchien, bei dem Ringen von den Stühlen herabgeworfen worden waren. Wie er unter fie Kam, vb er fig dort verkrochen Hatte, um feinen Schaß zu bergen, ob ihn die Anni hingeworfen, wie fie mir gethan: man weiß e8 nicht. Da lag er nun. Sein Mund war jebt geöffnet,der Tag fchien Hinein und zeigte weit Hinten das leinene Säcchen und einen hellen Glanz: er war am Golde: erftict.Niemand z0g e8 Herau3, er follte im Tode Haben, was er im Leben {0 jehr begehrte.
So übel Hat der Tod in jenen Tagen in unfernt Haufe
%. Bokhart, Im Nebel, 24
[370]Vom Golde,regiert: drei Glieder der Familie, ale männlidH, wurden nebeneinander begraben und feitdem wollen e& die Männer bei ung nicht mehr auf die Länge aushalten,
Bon jenem Tage an Habe ih die Berganni nicht mehr Auen Hören. Leute fahen fie aus unjerer Hütte ftürzen und den Weg nach dem Creux de Champ einfhlagen: fie wollte wohl den Jäger aufjuchen, um ihn zu ftrafen. Der aber war nicht zu Haufe, er war [horn am Wbend zuvor nicht mehr zu finden gewefen, al3 die Männer ihm Hut und Lohn bringen wollten.
Da fer die Berganni am Berge Hinangeklettert, den Slühen und Feljen zu, wo Claude zu jagen pflegte, Seit-her hat man fie und ihn nicht wieder gefehen. Später, viel {päter fand man am Fuße einer Felswand zwei MenjhHen-gerippe, das eine noch oder an8 andere geflammert und man meinte, da3 fönnten der Beiden Scheine fein.
3 ih wieder zu Kräften gefommen war, nahm ich mein BübchHen auf die Arme, wandte DYrmunt, wo ih fo glüdlidhe und fo traurige Tage erlebt Hatte, den Rücen und 30g nach Sfteig hinüber in meines Vaters Haus, und Beters Vater kam mit mir.
In jenen Jahren kam die Sucht über die Leute, auf alle Gipfel zu Kettern und jedes Jahr Hörte man von Opfern,die der rauhe Berg fih genommen Hatte, Mir war angft,mein Hansli Könnte die gleiche Leidenfchaft bekommen wie fein Vater und um ihn abzufhreden, erzählte ih ihm oft defjen entfeblidhes Ende. So aber fOnitt ich mir meine Rute felber: einjt, als er 16 Fahre alt war, trat er vor mid) hin und Jagte, er wolle einmal Hinaufgehen und die Stelle juchen, wo fein Vater abgeftürzt fei. ch IOhluq die []VBom Golde,
371
Gände über dem Kopfe zufjammen und befhwor ihn, mir das nicht anzuthun; aber eines Tages war er verfhwunden, und als er mir wieberfehrte, da Hatte e3 ihm der Berg angethan,wie einjt jeinem Vater: ich Konnte ihn nicht mehr Halten.Er fing an, den Örattieren nachzujagen und bald kannte er die Berge ringsum wie Kfeiner im Dorfe, und kamen Fremde nach Gfteig und wollten 3’ Berg, fo mußte er ihr Führer fein.
Nur noch einmal hat er von feiner’ LeidenjHaft ge-lafjen, aber das weißt dır heffer, Sujanna, fagte die Nrähni fiG zu meiner Mutter wendend. Erzähle dur weiter, ich bin müde.“Meine Mutter fprad nicht gern und nicht viel in ihrem Leben, ihr ging die Zunge nicht fo leicht wie der Nrähni, aber fie nahm doch den Faden auf und berichtete etwa {9:
„Was fol ih noch erzählen? Daß ih und Hans un-gefähr gleich alt waren und er einmal um meine Hand an-hielt, den Spruch Könnt ihr euch {Honm felber machen. Un jenem Tag Habe ich ihn das Verfprechen abgenommen, nicht mehr zu jagen und feine Fremden mehr zu führen, und er hielt e8 ein Sahr und fhiem kaum mehr an Alp und Gems zu denken. Al e8 aber zum andern Male Sommer wurde und die Kühe und Kälber durchzZ Dorf zogen mit den SGloden und Glöcklein am Halje und e8 durch3Z Thal Hang,als ragte alle Hundert Schritt ein Kirchtürmlein auf, und Sennen und Buben jubelten und ihrer Luft fein Ziel wußten,da ward er traurig und mißmutig. Dann Kamen die Fremden ins Thal und fuchten ihn in unjerem StübhHen auf und fragten, ob er mit ihnen 3’ Berg wolle. Er fagte „nein“, aber ich merkte, daß er an dem Wörtlein fajt erjtidte. Der
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[3792]Vom Golkde.
Sommer ging zu Ende, e3 kam die Zeit, da die Gemsjäger ihre Büchfen wieder Iuden. Hans konnte nicht mehr {hlafen,er mwälgte fih auf dem Lager wie einer, der das Ficber Hat und wenn ich ihn fragte: „Han8, fehlt dir etwas?“ fo itöhnte er ein fOmerzlihes „nein!“ (E3 quälte ihn immer mehr und ih fürchtete, er würde mir frank. Da griff ich an einem Morgen felber nach der Büchfe, reichte fie ihm und fagte: „@©ch’ jagen, Hans, ich gebe dir dein Wort zurück,“Nım 3z0g er wieder auf die Berge wie vor der Hochzeit und wütete arg unter dem Wilde. Zwölf Jahre lang ging alles gut, aber e$ fam ein Ofktobertag, da ex am Morgen Hhinaufe ftieg und am Abend nicht wiederkehrte und ich war eine Witfrau, du, Peter, warft ein Waislein, Man hat ihn lange ge fucht, umfonft! und biz zur Stunde weiß id nicht, wo mein Mann fein Leßtes RKRuhepläßchen gefunden hat. Der Sluch der Berganni war an ihm erfüllt und ich fürchte,er wirft weiter und vererbt fih von Gefchlecht zu Gefchlecht:was in unjerm Haufe geboren wird und Mann heißt, das lodt der Berg an und Iodt und Iodt, bis .... Und wir rauen Haben die Sorge und die Angit und das Weinen.“
Dies Hatte meine Mutter zu mir gejprochen, und die jonjt jo milde Stimme war vorwurfsvol. Meiner Frau waren die Thränen in die Augen getreten, fie umfchlang unjer Söhnchen, bedeckte e& mit Küffen und flüfterte ihm inz Ohr: „Werde nie ein Jäger, Möbeli, nie ein Jäger.“
Das BübchHen aber proteftierte: „Doch Mutter, ig will eine Flinte Haben und Schuhe mit großen Nägeln und einen grünen Hut und will ein Jäger werden wie der Vater!“
Und er ift e8 geworden und wird’8 bleiben.
Sch aber Kam mir an jenem AWbende vor wie ein Ver-[]Bom Solde.
373 brecher und e8 faß mir auf den Lippen: „Ih will davon faffen, ih werfe die Büchje in den Teih ...“ Wer idh fOlucte das Verfprechen wieder Hinunter, was Hätt’8 auch gefrommt? Ich Hätte das Weh bekommen nach meiner Berg-heimat, ich Hätt’8 nicht ausgehalten im hal all das Jahr;e& wäre mir gegangen wie meinem Vater und Großvater.Und e8 wird mir auch ferner gehen wie Ihnen, das Habe ich mir {don zurecht gemacht. Wird e8 fih morgen fhon an mir erfüllen? oder übers Jahr? oder in fünf Jahren? Wer fanıt das wijjen? Id bin ihm Aange ausgewichen, aber fommen wird’s, ich bin darauf gefaßt und die Meinen auch.Und {t’3 fo fchlimm denn? Ifjit e8 nicht jhön über den Wolfen zu fterben, mitten drin im Wagen und Jagen? fHhöner al8 unten in einem dumpfen Kämmerlein? Da giebt’8 kein Hüfteln und Kränkeln und Siechen: gefund und tot im nämlichen MAugenblide, ein Sprung in den Himmel mit gefunden Leibe!
Sch olaube nicht an den FluchH der Berganni: unfer Sejchik Kiegt in unferm Blute, e& ifjt Jägerblut und der Berg it unjere Heimat. Könnten wir ihm unfer Herz ganz laffen,e& wäre ung wohl, wie einem Finflein im Bujfche; aber die eine Hälfte ijt drunten bei Weib und Kind, und wenn die beiden Hälften auseinandergehen, tHıt3 weh. Das it der Schatten des goldigen Berges.
Hat fihH Berganni’3s FuchH an DOrmunt erfüllt? Hatte fie recht, gegen das Gold und alles Fremde zu wettern? Ich habe mich fehon mandmal gefragt. War das Thal ein{t fo glücklich, wie unfere Urähnt berichtete? oder Hat die Hundert-jährige das forg- und forgenlofe Iugendland nur geträumt ?Wer {ol für fie, wer JoW gegen fie zeugen, nun alles anders geworden it?[374] om Solde.
Wenn ihr jebt in Ormunt einfehrt, findet ihr ganz oben im Thal, da wo fi das Creux de Champ zu runden anfängt, ein große8 weißes Haus mit Hundert Fenjtern, ihr jeht’3 hier, an der Felswand vorbei. Drin find Hıumdert Leute oder mehr: fie fommen au3 allen Ländern, fprehen alle Zungen, Heiden fihH in ale Trachten und find da dem Berge zu lieb. Das find jebt die Könige von DYrmunt, Der aber,bem ba3Z große weiße Haus gehört, ift ihr Diener und Knecht.Er verbeugt fih und lächelt nach int und nach rechtz und rühmt den Berg und die Luft, fein HauZ und die Küche drin und den Keller darunter. AUndächtig fteht er da, neigt den Kopf, um beffer zu Hören, waZ die Könige etwa wünfdhen und läßt auch ihren Tadel fanftmütig an fich hHerabfließen.Dafür aber füllen fie ihm die Hände und den Sad mit Gold,mich dünkt, das fei das Gold des Berges.
Und in dem Haufe find noch andere Leute, Mädchen mit weißen Schürzen und Hauben, und Männer mit {OYwarzem Frag und fauberrafierten Baden und Lippen. Die Laufen hin und her und laffen fih jagen und laffen fih [Himpfen und frümmen den Rücen, Und verläßt einer der Könige das Haus, fo Halten fie ihm die hohle Hand hin und fangen darin ein FegHen auf, ein Fegchen des SGoldes vom Berge.
Und wenn ihr thalabwärtz geht, da findet ihr Links und recht? vom Wege große und Feine Häufjer; in allen be-fehlen bie Fremden und wa3 einheimijch ift, daS dient und Inechtet.Droben auf den Weiden gehen noch die Sennen. Sie Ffleiden fiH nicht mehr in Ziegenhäute und ihre Züße fteden in jtarfem Schuhwerk; fie können fHreiben und lefen und find behend beim Seldzählen. Täglich tragen fie Milch und []Vom SGolde.
375 Butter und Käje in das weiße Haus hinab und wechfeln ihre Ware aus gegen Mingende Münze. Sind fie glücklicher dabei al3 die alten Yrmunter? Fragt fie! Sie rühmen die Zeiten nicht: „Zu wenig Geld, zu wenig Geld!“ Wird3 einmal beffer werden ?
Sch glaube nicht an die Kraft des Fluchs, eher an die des Segen3; fejt aber glaube ich an das: der Menfjch wird nicht fjatt, der Menfih wird nicht [roh vom Solde.
„3 ijt fonderbar, begann nach einer Pauje der die Redaktor, daß Ale, waZ wir zu erzählen Haben, der gleichen ee zu dienen fcheint: bald ijt e8 ein Einzelner, bald ein ganzes Haus, bald eine ThHalfchaft, die durch einen Hebel, den eine fremde Hand führt, auZ dem alten Gleijfe hHerauzgehoben und in ein andere8 gelenkt wird: man glaubt wirklich fajt,die ganze Welt fer ein großer Rangierbahnhof und die Menden und Familien und Völker feien die Wagen und Maicdhinen und Züge.“
„Wer“, ließ fihH eine dünne Stimme vernehmen, „wie foll fig ....“ Den Rejt des Sage3 verftand man nicht.
„WaZ jagen Sie, Herr Profeffor ?“
Der SGymnajialprofeffor Hatte auf der ganzen Tour nicht zwanzig Worte gefprochen, wohl weil ihın der enge Kragen,der ihm wie ein Halseijen die Kehle zujOnürte, die Arbeit erichiwerte. Mühfam wiederholte ex feinen Sag: „Wie foll fich der Bäbhaqoge zu der Theorie verhalten?“ Dabei griff
[376]Bom Golde.er nach dem Halje, Knöpfte endlich feinen Kragen 103 und jtecte ihn forglid in die Brufttafche.
Der Forfimeijter aber ergriff das Wort, um ihm zu ıntivorten.„Daß die Theorie von der unbefHränkten Gültigkeit des Kaufalgefeße3 unferem Berftande am meiften zufagt, wer möchte da3 Keugnen? Auch ich glaube im Grunde daran; AWber mich bedünkt, WijfenjhHaft und Lebenspraxis follten hier ver]hicdene Wege einfhlagen und fie thun’s wohl auch troß der Macht der Theorien. Schauen Sie, wohin Sie wollen: jeder wahr-Haft tüchtige Menjdh Handelt jo, al3 Hätte er die Fäden Jeine8 Gejchide3 ftraff in den Gänden, nimmer ift ihm Gebensgang Lebenszwang! Man vergeffe nie, daß der Menich in zwei Welten Xcbt: in einer wirklidhen und in einer diefe wie mit einem Himmelsdom umfpannenden idealen und daß alle diejenigen, denen die MenfHheit etwas Sroßc8 verdankt,die erdichtete Welt des Kdeal8, über die andere geftellt Haben,In jener Welt der Bolfommenheit aber ift eines der fölt-fichften Werke die Dichtung vom freien Willen. Wir werden bon ihr in unjerem irdifchen Ringen unterftüßt und gehoben,wie ein Volt in der Schlacht von Liedern, welche alte,vielleicht nicht einmal verbürgte Hreiheitsfämpfe der Väter befingen. Groß ift der Einfluß deffen, was im Reiche des deals vorgeht, auf unjer Lebensgefchiek. Nehmt der Menfdh-Geit den Glauben an den freien Willen und, ich fürchte, ihr Habt ihr einen Iuß gelähmt. Diefer Glaube ift eben einer ber mächtigen, unfichtbaren, aber ftetiq wirkenden Hebel, welche unjer Lebensloo3 zu beftimmen haben: zerbrecht ihn, fo bes Idäbigt ihr die ganze Mafchhine.“
„So groß ijft die Gefahr wohl nicht,“ warf der Res []Bom SGolde.
377 daftor ein. „IH bin in Genf erzogen und in der cal-vinijtijden Lehre unterwiefen worden. Da Habe ich erfahren,daß die einen von Ewigkeit her für den Himmel, die andern für die Hölle beftimmt feiem und daß der einzelne e8 eben über ji müjfe ergehen Iaffen. Das Hat im Konfirmanden-unterricht einen tiefen Eindruck auf mich gemacht und mir viel zu denken gegeben; das Leben aber Hat mir die Grübeleien rajch verleidet und wo ih immer Gelegenheit Hatte, die Calvinijten zu beobachten, Habe ich wahrgenommen, daß fie e3 in der Lebensprarxi3 etwa Halten wie die andern. Der Streit über den freien Willen und die Selbjtbeftimmung fOHeint mir aljo gut für müßige Stunden und müßige Leute, wie wir jeßt find, die aber werden, jo Gott will, immer in der Minderheit bleiben. Nein, dieje Frage wird nie tief ins Leben eingreifen,“ fügte er nad einer kurzen Baufe hinzu,„Ion deshalb nicht, weil die Mehrzahl nie dazu kommt,darüber nachzudenken.“
„Wer kann darüber urteilen?“ entgegnete der Forft-meijter. „Warum Haben die Völker, die an den Fatalismus glauben, mit der Zeit die Energie verloren? Warum find die Türken nicht mehr der alten Kraftentfaltung fähig?Wer kann mit Beftimmtheit Lehaupten, ihre Weltauffalfung habe gar nichts zu ihrem Verfall beigetragen? Jh will [Hließlich zugeben, die MenjGHhHeit als Ganzes KKönne ich Ihädliher Einflüjje immer erwehren, aber ob das der Ein-zelne auch imftand it? IH Hege Zweifel. Eine Theorie aber, die der Gejamtheit nicht nüßt und den Individuen jhaden Kann, ift vom praktijidhen Standpunkte aus betrachtet,verwerflich zu nennen. Ich weiß nun wohl, daß der yrafktiidhe Standpunkt in den Augen eines Mannes der
[378]Bom SGolde.Wilfenfhaft lächerlich erfdheinen wird, aber wer feinen beften Freund an einer Theorie Hat zu Grunde gehen jehen, fcheut jene Qächerlichfeit nicht und entjcheidet ich eben, wo Verftand und Klugheit getrennte Wege führen, für die Teptere.“
Man Horchte auf. Man war nicht daran gewöhnt, vom Horfimeifter eine längere Rede zu Hören.
„Wa3Z Hat e8 für eine Bewandtniz mit dem Freunde?“
„sh will e8 Ihnen fagen. YAWber erwarten Sie keine lange SGefchichte, erzählen ijt meine Sache nicht, und erwarten Sie auch nicht? Iuftiges; Feiner wird lachen mögen vb deinem SejhHide, mein armer []Freund Paul. [] € war in den fünfziger Jahren. Ich ftudierte in Bajel Theologie. Ja, lächeln Sie nur, Herr Franz,aber e3 ift fo! Zu jener Beit Jah man mich felten allein:mir war ftet3, das Glück wandle an meiner Seite in Gejtalt eine3 lieben Kameraden. Paul war ein Menfch, wie ihn Gott und die Welt Liebhaben müjfen: in ihn verbanden {ich Berftand und Gemüt in Hohem Maße und zu feltener Har-monie. €3 gab freilich Leute, die fanden, der Verftand Habe zinen größeren Teil zugemeffen bekommen als das Gefühl,und ich felbjt Hatte zuweilen diele Empfindung; aber zu anderen Zeiten Jah ich fein Herz fprudeln, wie e3 eben nur ein unbverfieglidher Quell kann.
Um SGymnafium war Baul ftet3 der erfie der Kaffe;ihn zu beneiden fiel keinem ein, wir waren ja alle {o {tolz auf ihn!
Wir gingen zujammen nach Bajel, er und ich. Als wir bier Semelter hinter ung Hatten, da kam über uns beide eine große Unbefriedigtheit: die Borlejungen boten ung zu wenig,fie drücken fih an den tieffjten Fragen jhHew und abwehrend vorbei, nie iraten fie jenem Ungetüme, das jedem denkenden Theologen einmal bedrohlich den Weg verfperrt, offenen Auges und feilten Schritte entgegen.
[289]Freund Paul.
Wir befehloffen, Bafjek zu verlaffen, um an einer deutfchen Univerfität zu ftudieren, befonder3 Philojophie. Wir Hatten felfenfeftes Vertrauen in unferen Glauben und in unfere Religion: find wir erft durch das Bad der Rhilojophie ge-gangen, fo werden wir die innere Wahrheit des Chriften»tums nur um {po deutlicher jehen und die Ginderniffe, die unjere Theologieprofefjoren mit Sophismen oder Schlag»wörtern umgehen oder nicht jehen wollen, jchon felber aus dem Wege zu räumen im ftande fein,
Wir gingen nach Heidelberg, weil dort ein Lhilofoph mit glänzender Beredjamfkeit lehrte.
Nun ging e8 mit vollen Segeln in die Horizontlofe Herne, Horizontlos, freilich, aber auch troftlos! Kaum war mit forudelnden Worten und mit dem Bruftton der Über-zeugung ein Syjtem aufgebaut, {D wurde eS auch wieder mit flatfhender Hand zerfchlagen, wie ein Kartenhaus. Ein Syltem folgte dem anderen, alle zerfhmetterte felbjtgefällig der redegewandte Mann auf dem Katheder, alle glidhen einer Mafjchine, deren Erfinder behauptet, fie fei das Perpetuum mobile: e3 ift ale3, aber au) alles dran: nur die Haubt-jache nicht.Nun bekam der Zweifel an ung Anteil: ift alle3 Hohl und wurmfräßig, wa die auserlefenjten Gecijter aller Völker biZ jegt erfonnen und aufgebaut Haben, wie foll das in Zukunft befjer werden? Wie follen wir ung einmal zu wahrer Erfenntnis durchringen ?
Mit dem Oflauben an die Menfchheit zerftob auch der Glaube an die Gottheit und mit dem Streben ins SFenfeits erlojch hier wiederum das Streben für das Diesfeits, Wozu fich mühen? Wozu denken? Die WeltanfhHauung eines Bauern []Zreund Raul.
383 ift fo gut wie die deine: beide find Stüchverke, auf den Srad kommt eS nicht an.
Baul und ih bewohnten das gleiche Zimmer. Wie oft jaßen wir ganze Mächte bei der Lampe und disputierten, und jeder Hätte gerne dem anderen die Krankheit wegphilofophiert,an der wir beide gleicherweije Kitten; und wie oft glaubten wir gegen Morgen, wenn der hleidhe Tag zu ung hHereinfhlich,eine Qöjung gefunden zu Haben! Ah, wenn wir auf dem unruhigen Lager wieder erwachten, da erwies fih der Stern,den wir glaubten entdeckt zu Haben, alz ein Nebelfled oder als ein fauler Strunk,
Daß bei diefem Schiffbruche auch der Glaube an den freien Willen mit anderem „nußlofen Balaft“ über Bord geworfen wurde, brauche ich e8 zu fagen ?
SIndeljen waren zwei Semefter verftridhen. Bon Haufe trafen Briefe ein, die fihH nach unjeren Studien erkundigten und fragten, wann wir gedächten unjere Eramina zu De-jtehen. Wir Konnten nichts beftimmteS antworten und ich teilte meinen Eltern in unbeftimmten Auzdrücden mit, daß ih mid mit dem Gedanken trage, das Studium der Zheo-{logie mit einem anderen zu vertaujchen. Der Brief mußte in meinem Elternhaufe einen heftigen Sturm erregt Haben.Mein Vater, der die Waldungen unferes Stähthens als Förfier überwachte, war eine derbe, Hikige Natur, AS er den Brief gelejen Hatte, warf er fih gleich in fein Sonntags-fleid, um nad) Heidelberg zu fahren und dem ungeratenen Sohne, wie er fih ausdrücte, die langen Ohren zu zaufen,bi8 er wieder Luft an der Theologie bekäme. DazZ Mütterchen Hatte feine Liebe Not, ihn von dem Vorhaben abzubringen,indem e3 ihm Bbeareiflih machte, daß er mit feinem Boltern
[384]Freund Paul.die Sache nur noch verfhlimmern würde. Er fole ihr das Seld zur Neije geben, fie habe immer noch mehr Einfluß auf den Buben gehabt al3 er.
So erfchien denn eines Tages, ohne daß ih eine Ahnung davon Hatte, mein Mütterhen unter der Thüre unferes Stübchen3, gerade als Paul und ih uns abmühten, die Gründe zujammen zu tragen, die für und gegen den Mate rialismus fprechen, zu dem wir uns untwiderftehlich Hingezogen fühlten, der ung aber in feiner Troftlofigkeit entfeßte. Mir war, ich jJähe mein {ftrafendes Gewiffen leibhaftig Hereintreten.
„Du, Mutter? Was ift zu HauZ vorgefallen ?“
„Erichrid nicht, mein Bub, ich Hatte nur fo fchr Heim»weh nach dir und Ffonnte nicht mehr fchlafen davor. Du biit doch wohl?“
IH räumte die Bücher, die fußhoch auf dem Sofa fagen, hinweg, um meinem „Gewiffen“ einen weichen Sig zu bereiten und e8 fo milder und verföhnlicher zu ftimmen.Aber diejfe Kriegslift wäre nicht nötig gewefen: das Mütterchen fing an gemütlich über das und dies zu Hlaudern: über den Bater und den Wald, über Tante Zufanna und da3 traurige Leiden und Ende ihrer Angorakaße.
Segen Abend jedoch bat fie mich, ihr Heidelberg zu zeigen, befonder3 das Schloß, von dem ich fo oft gefehriecben habe. Wir ftiegen aljo zujammen den Hügel hinan und wan-derten dann im Schatten der herrlichen Baumgruppen dahin,Auf einer ftillen Bank lKicgen wir ung nicder und nun begann das Eramen. IH fuchte erft ausweichend zu antworten, die Klippen zu umgehen und einen Leichtfertigen Ton anzujdhlagen;aber daz Mütterhen wußte, was c3 wollte und drang fo fiebreidh in mich, daß ih ihr fAHYlicßlih allc3 beichtete.[]Freund Paul,
385
DaZ war ein graufamer Schlag für die liebe Seele.3 war eine fromme Frau und alz fie alles wußte, da jhlang fie ihre mageren Arme um meinen Halz und {Hluchzte,al8 Hätte fie mich eben durch den od verloren. Mir felbft hingen die ThHränen an den Wimpern.
„&h habe immer zwei Dinge nicht verftanden,“ fagte fie in ihrem Schmerze: „wie man feinen Gott verlieren und wie man fich jelber das Leben nehmen kann. Das eine Haft dur fertig gebracht, mir ijt bang für das andere.“ls wir bei Sonnenuntergang den Schloßhügel hinab fchritten, war e8 befdloffene Sache, daß ich Heidelberg ver-lafjen und Tag3 darauf mit der Mutter Heimreifen follte.3 wurde ein Verfuch gemacht, meinen Freund zum gleichen Schritte zu bewegen, aber er ließ fihH nicht überreden.
Bu Haus wurde mir nun diktiert, alles Studieren für einige Beit zu unterlafjen. Früh morgen3 trat mein Vater dröhnenden Schrittes vor mein Bett und wecte mich auf;dann ging eS hinaus in den Wald, gradaus und links und recht3, wir waren überall und nirgendS: Hier wurde ein morider Baum gefällt, dort einem die Äfjte geftubt, geftern ein Weg abgeftedt, Heute dem Waldbache fein Zerftörungswerk verleidet. Da Hörte dazZ Grübeln von jelber auf und kam id abends nach Haufe, Jo war ih fo müde, daß mir mandh-mal beim YWoendbrot die Augen zufielen.
Wer meinem Vater diefes Heilverfahren angeraten, ich weiß e3 nicht, aber gut war. e&. Schon nad) einem halben Sahre begriff ih nicht mehr, wie ich meine Zeit einjt mit nuglofem Grübeln Hatte totfhlagen Können, Das Leben im Walde übte einen mächtigen Reiz auf mich. aus und ich be-joloß, Förfter zu werden. Erft wollte id) mir unter An-
SS. Boßhart, Im Nebel. 25
[386]Freund Paul.Leitung des VaterZ die nötigen praktijhen Kenntniffe erwerben und dann eine Forjtfchule beziehen.
Von meinem Freunde Pauk erhielt ih fehr fpärliche Nachricht. Ih {Orieb ihm von Zeit zu Beit, erhielt aber jelten Antwort; die Briefe aber, die er mir fhickte, zeigten,daß er immer noch im gleidhen Fahrwaffer trieb. Auch fein Vater erfuhr nicht mehr als ih und dazZ war ein Kreuz für den armen, hilflojen Mann.
Er war Arzt gewefen; einft, al er bei Nacht, im Winter, zu einem Kranken gerufen wurde, fiel er auf dem Eife hin und Mitt feitdem an einem Rüdenmarkleiden, daz ihm nach und nach alle Glieder lähmte. Er Hatte feine Frau fängft verloren und auf der Erde nur noch den einen Wunih,jein Raul möchte etwa rechtes werden.
Saft jede Woche ließ er. mich einmal an feinen RNRoll-feffel rufen und fing dann an von feinem Sohne zu plaudern,mich über ihn auszuforfhen. Einft, als wir jo bei einander faßen, fagte er: „Sie Könnten mir einen großen Dienft thun:reifen Sie nach Heidelderg und bringen Sie mir mein Baulchen zurück,“Ich verfpradh e8 ihm und ein paar Tage fpäter ftand ich in dem Stübchen, wo id fo oft gefonnen und fpintifiert Hatte.
Paul lag auf dem Sofa, den Kopf auf dem einen Seitenpolfter, die Füße auf dem anderen. So fahH ich den fleißigen Menjchen früher nie. AZ wir ung begrüßt Hatten,mujfterte ich die Bücher, die auf dem Tifche Iagen. E3 waren alte Bekannte und war ein neue darunter, {vo war’8 ein Unterbaltendes.„WaZ treibft dır, Paul?“„Nichts, wie dır fiehjt; wozu follte ih auch?“[]Hreund Paul,
287
„Aoer etwas muß doch der Menfjch treiben!“
„Wozu 2“
„Erfhret” mich nicht mit deinem tonlofjen „wozu!“
„Nun, fo will ih es lachend fagen! Du Dbijt jebt %öriter und ih gratuliere dir dazır, das ift doch etwas, bei dem man die Hand des SchikfalzZ, befonder8 des Todes fpielen fan. Nun Hör’ mir zu und fage: Wenn einer von deinen vielen Bäumen nicht mehr wächft, ijt das ein großes Unglück ?”
„Nein, daz wohl nicht.“
„Sut, fo ein Baum bin ih. Du mußt dich daran gewöhnen.”
„Wer wie Fommift dır zu dem trofilojen Standpunkte ?“
„Froitloa3? er ijt nicht troftlofer al3 ein anderer, aber gewißligh philofophijher al? alle! Wie viele Millionen und Millionen von Menjchen find jhon auf der Erde gewallt?von wie vielen fpriht man noch? Was aber ijt im Auge des Denker3 daz Leben und Wirken jener ungezählten Menge,von der man nicht mehr {priht? Luft! Nichts! Wozu Haben jie fi abgemübht und gequält? Wozu geängftigt und ge-freut? Die MenjhHen find Schneefloden, die der Wind an die Halde weht und die darauf die Sonne {Omelzt, und find fie erft Waffer geworden und inz Meer gefloffen, wer fragt da noch danach? Alles Leben auf der Erde wird einft er-jterben und eS wird die Zeit Lommen, da weder Pflanzen,nod) Tiere, noch Menfhen dieje Kugel bewohnen, ja Jie {elber wird vielleicht zu Grunde gehen, in die glühende Sonne fallen.Und ift e3 einmal fo weit, wie jteht ec dann um die Menjhen,die einft darauf gewohnt Haben? Die Glut der Sonne ver-brennt die Werke wie die Namen, die der größten wie die
95%
[388]Freund Paul.der HNeinften und für den ganzen unendlichen Reft der Beit zeugt fein Atom mehr von einem Plato oder Kant oder Chriftus. Und id fol mich mühen und fchinden, objhon io weiß, daß ich Feiner von den Großen fein werde?Schinden, damit man an meinem Grabe ein paar tönende Säge fprechen kann, die man eine Stunde fpäter beim Bier oder Wein wieder vergißt? Mein, Freund! Bei allem, was ich thue, Habe ich mich gewöhnt zu fragen: Wozu?“
„Sit das ein Standpunkt, der eines Menfchen würdig ift?“
„Warum nicht? Ich meine erft recht!“
„Denkt und hut jeder fo, jo hat der MenfcHheit lebte Stunde gefhlagen 1!“
„WaZ Täge da dran? FeBt oder in Hunderttaufend Sahren, was ändert daz? DaSZ ganze Leben der Erde ift faum ein Yugenblig in der unendlichen Zeit! Übrigens zwinge ich niemand, meinem Beifpiele zu folgen! Jeder thue,wie ihm gefällt. Ih will Fein Wpojtel fein, den Ehrgeiz fenne ih nicht!“
„Paul, dur mußt unfjäglidh unglüclidh fein, fonft Hätteft du nie. . A „Im Gegenteil: diefe abgerundete Weltauffaffung, wo jede Konfequenz gezogen ift, hat mir völlige Seelenruhe ge»geben: ich fönnte das Haus über mir einftürzen fehen, ich würde mich nicht rühren auf meinem Sofa.“
„Aber daZ grenzt ja an Verrücktheit!“
„Halte mich für verrüdt, wenn eS dihH fo gut dünkt.“
„Sür einen Menfjcdhen, der fo denkt, bleibt nichts als eine Rugel . . .“
Baul zudte mit den Achjeln und fagte gleichgültig:„Warum ?“[]Freund Paul.
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Sch hatte ein fhmeres Stück Arbeit, meinen Freund zur GHeimreife zu bewegen. „Wozu fol ich Heidelberg ver-fafjen? Wozu Toll ich meinem armen Vater die leßten Tage noch trauriger machen? Denn glaube nicht, daß eine Suft-veränderung mein philofophijches Gebäude über den Haufen werfe! Sch Habe es zu fejt in mir begründet.“
Endlih gab er doch nach.
Der Hilfloje Zuftand des Vaters machte einen tiefen Eindruck auf Paul, und um das Loo3 des armen Mannes nicht noch Herber zu machen, befhloß ex, feine Zeit mit etwas nüßlichem zuzubringen und einen praktijhen Beruf zu er greifen.
Durch Vermittelung der Freunde feines Vaters erhielt er eine Lehritelle an den unteren Klajfjen des Gymnajium8,und wir Hofften das Befte. AWber bald zeigte es fih, daß ihn fein ewige8: ‚wozu‘? zum Lehrerberuf unfähig machte.„Wozu die Buben mit diefem nuglojen Beuge quälen? Wozu fie wie ein Feldwebel anfahren und in ZudHt Halten? Wozu?wozu 2“E& ging nicht lange, ba erflärte die Schulbehörde, Pauls Unterricht fei ungenügend: die Disziplin abfdheulich, der Qehrer gleichgültig und die Refultate dem entfprehend. Er wurde gemahnt und quittierie Tags darauf feine Stelle.
Sch riet ihm eine Bejchäftigung im Freien an und wir fanden einen Geometer, der bereit war, ihn praftijh in jeinen Beruf einzuführen. Wber au da ging 8 nicht auf die Dauer. „Wozu den Acker mit diefer peinlidhen Genauig-feit ausmefjen? Als ob das Glück der MenfHheit an einer Dezimale Hinge! Wozu? wozu?“
Mas nun anfangen? Un einem grauen Wintertage
[390]SZreund Paul.nahm id ihn mit in den Wald Hinaus, um in der Einfam-feit Sturm auf ihn zu Iaufen. Jh Hatte mir die Predigt,die ich ihın Halten wollte, Ihön erdacht, und in einem mäch-tigen Tannenjcdhlage, der wie ein gotijher Tempel über unz Himmelanı ftrebte, Kieß ich fie auf ihn 108. Ih geriet beim Iteden inZ Feuer und fchrie ihn zulebt an: „Maffe deinen Willen zufjammen, Paul! Zeig’, daß dur nicht von einem Solze bift, das Höchftenz dazıt taugt, in einem Morafte zu verfaulen! Kämpfe deine unfeligen Ideen zu Boden, werde ein Menjdh wie andere Menfdhen und gieb deinem Leben einen Zwed! Leben wie eine Dogge oder noch elender, ift das deiner würdig?“
Er lachte mir in8 Seficht,
„Sei fein Narr,“ fagte er, „jeder wird, was er werden muß: wäre ich vielleicht nur ein ganz wenig anders dümmer geartet, ober in andere, flachere Verhältniffe gedrängt worden, das Schickfal Hätte aus mir wohl etwas ganz anderes gemacht, vielleicht fo etwas, wa3 man ein nüßliches Glied der Gefellidhaft nennt. Xa wenn! wenn! Mein befonderes Selchiet befteht eben darin, daß mich der Gedanke, die Über-zeugung von der Nichtigkeit alles Irbifhen ganz durchdringt und beherrfcht! Du fagft mir, ih foNle einen Lebenszwed jucden: id finde jeden Lächerlih, weil nichtig, und einer Lächerlichteit jage nach, wer da will.
„Shr aber, mit euerm ewigen Dreinreden und Schul-meiftern verleidet mir das Leben ganz, und wenn ihr mich nicht nach meiner Überzeugung wollt leben Taffen, fo mache ih der Komödie ein Ende, auch auf die Sefahr hin, euch mit Gewiffensbiffen zurüczulaffen. or verdient eine Heine Strafe.“[]Freund Paul.
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Sch fMehte ihn an, an Jeinen Vater zu denken, und an bie Blide, mit denen der arme Mann ihn jeden Abend an-jah und die fragten: ‚OD dır mein einziges Kind, vo dur ein-zige8 Wefjen, an dem id noch Anteil nehme in meinem Slende,Haft dur für dein Leben immer noch keinen Inhalt gefunden ?OD fuche, fuche, deinem fterbenden Vater zu lieb! Such’, mein Paulhen, mein Sohn!‘
Er Kieß fich erweichen und verfprad mir in die Hand,wenigjten3 bis zum Tode feines VaterS zu arbeiten und zu tHun wie andere Leute.roh des errungenen Erfolges Kehrte ich mit ihm nach Haufe. Als wir bei ihın eintraten, bemerkten wir große Aufregung in der Stube: der alte Mann lag wie tot auf feinem Rolljejfel: ein Schlagiluß Hatte ihm das Bewußtjein geraubt und adjt Tage {päter begruben wir ihn.
Der Tod des Vaters erfh:itterte Paul tief, wenn er auch den Schmerz verdeckte; aber aufzuraffen vermochte er fich jeBt weniger als je. IM erfann alles Mögliche und Unmöglihe, um ihn zur Arbeit anzujfpornen: feit bei ihm zu HauZ die mahnenden, fragenden Augen erlojchen waren,vermochte ih nichts mehr über ihn.
Da fiel mir noch ein ebtes Mittel ein: in Bafjel Hatte Raul alz Student ein Fräulein fennen gelernt, ein rteich-begabtes, herrliches Gejchöpf, das aber wußte, daß e$ nicht gewöhnlichen Schlages war und jedem, der ich nähern wollte,zu fühlen gab: ‚Wer mich begehrt, Toll was rechtes fein!Rrüfe dih erft, wie ih dig prüfen werde!“
Raul wurde Heftig in das Mädchen verliebt, aber wenn er ihr entgegentrat, fühlte er empfindlich, daß er noch nichts war. Das war wohl einer der Gründe, warum er das
[392]Hreund Paul.enge Bajel verließ, um Höheren Zielen nachzujagen: er mochte Hoffen, in ein paar Fahren zuverfichtlicher vor das Mädchen treten zu fönnen, Ach! er ahnte nicht, daß e8 ganz anders fommen {ollte! SJekt nad dem Zufammenbruche feine8 ganzen Seiftesleben8, Konnte er nicht mehr daran denken, ihr unter die Augen zu treten und nie mehr kam ihr Name auf feine Lippen. Was mußte e8 ihn gekoftet Haben, fie zu vergeffen!Was mußte er ausgeftanden Haben, um feine entjeblidhe Ruhe,diefe froftige @rabesruhe zu erlangen!
In meinem Beftreben, dem armen Freunde zu Helfen;reifte id nach Bafel und fuchte das Mädchen auf. Sie er innerte fi noch lebhaft des jchönen, gejheiten Burfhen; er hatte Eindruck auf fie gemacht; fie hatte wohl feiner geharrt.
Sein Schikfal ging ihr fo nahe, daß ihr die Thränen in die Augen traten, und ohne viele Mühe Konnte ich fie dazu bewegen, einen Nettungsverfuch zu machen.
Durch meine Vermittelung wurden die beiden zufjammen-geführt. Julia, fo hieß das Mädchen, verfprach, mir felbigen Tage8 noch das Ergebnis der Unterredung mitzuteilen. AlZ id am Abend {pät aus dem Walde zurückehrte, fand ich ein Briefchen mit folgenden Worten auf meinem Tijdhe:
„SO habe gethan, was in meiner Kraft und vielleicht mehr, als in meiner Würde ift, um unfern Freund zu retten,In meinem Leben Habe ich eine traurigere Stunde nicht erlebt: e& war alles umfonft! € leibt mir nicht® übrig,al8 in zu beweinen. Stehen Sie dem Unglücklihen bei: die Hreundfchaft wird er nicht von jich ftoßen wie die Liebe,
Sulia R
Um folgenden Tage fuchte mich Paul auf und kam mit mir in den Wald Hinaus, wo ich Arbeiter, die Holz fällten,[]Sdreund Paul,
393 zu überwachen Hatte. E3 war Kalt, der Schnee ag tief auf dem Lande und darüber {HlichH eine neblige Luft, die den RKauhreif an die Äite und Nadeln der Tannen hauchte. €war Fein Wetter, das fröhlidh ftimmte, und wir fpracdhen wenig. Ih hoffte, Paul werde mir von Fulia erzählen,aber er berührte ihre Unterredung mit feiner Silbe. Den-noch mußte fie ihn Befchäftigen: al8 wir im Wald einer Hrau begegneten, die mit ihren vier Kindern Holz {ammelte,jpradh er: „Wie würden die Menfdhen glücklich fein, wenn man ihnen begreiflih machen fönnte, wie lächerlich im Grunde alle Erdenforge und daZ ganze Leben ijft, und wie Leicht e&einem reifen Pilgrim wird, fein irdijhHes Bündel von fih zu jOleudern. Freilidh follte man Keinen Kindern daz Leben gegeben Haben, wie jene Mutter dort, denn, wie man fie ge-biert, übernimmt man ihnen gegenüber Pflichten und das Geben verliert feine Freiheit. Das große Geheimnis ift, der Siebe zu widerfiehen, jo Lleibt man Gerr feiner felbjt und fann Wofchied nehmen von der Welt, wenn man genug von ihr weiß.“Derweil Kamen wir zu unjern Arbeitern. Wir blieben bei ihnen jtehen und fahen den Tannen zu, wie fie raufchend Herabfuhren und mit den dunklen Üiten dumpf auffhlugen.
„Wie majeftätijdh ihr Fall. ft“, fagte Maul, „trobig,wie Lebensüberdriüffige Riejen ftreden fie {ih hin und Inirfchen noch: ‚Bleib mir fern, dır Wurm, oder ih zermalnıe dihH noch im Tode!“ ;SId machte mir bei den Holzhauern etwas zu fHaffen.Da, nach einer Weile, am Paul heran und fagte, ich möchte ihm eine Art verfchaffen, er wolle auch eine Tanne fHlagen.Sch entipradh ihn; warunt Hätte ich auch nicht gefolt? Ex
[394]Freund Paul.wählte eine der mächtigften und fing an drauf 103 zu fAHlagen.Da er die Art etwas unge[hickt führte, wollte id ihm Helfen.Sr aber beftand darauf, den Baum ganz allein zu fällen:„Ih werde doch fo viel noch imftande fein! Wie?“
A der Stamm mehr alS zur Hälfte durchfAHnitten war, verlangte er ein Seil, das er vermittelft einer Leiter oben in den Üften Gefejtigte. GHeruntergeftiegen fing er an,an dem Seile zu reißen, aber die Tanne erzitterte faum.Arbeiter wollten ihm Helfen, er wie fie ab: er wollte alles allein machen und ergriff die Art wieder, um den Widerjtand des Riefen zu brechen,
AB er wieder nach dem Seile griff, rief id ihm zu:„&huwW8 nicht allein, e& Könnte leicht ein Unglück geben!“
„Sin Unglüc? Nein, fei ruhig! Ein Unglücd giebt’8 wahrlich nicht!“„Seh einer und helfe hm!“ rief ih den Holzhauern zu.
Da wurde er zornig: ob man glaube, er fet ein Kind?Er habe nun doch lang genug zugefehen, um zu wiffen, wie man e3 anfange!
Nun Keß ih ihn gewähren, nicht ohne Bangen.
Noch war der Stamm zu fejt, noch einmal Half Raul mit der Art nach. Al3 er wieder anzvog, fing der Wipfel bedrohlich zu jOmanken an.
„Wenn er gegen dihH Kommt, fo fpring’ zur Seite!“rief ich ihm zu, „dort nach Iinks ift das Entweichen leicht,Beit wir]t dur genug Haben, er ift hoch, aber fäume ja nicht! Säume nicht!“
„Sei unbejorgt!“
Raul z0g aus Leibesfräften; der Stamm Knadte, oben neigte fi der dunkle Wipfel und gucte über die unteren []Hreund Paul.
395 lite hinweg auf den Boden hinab, als wollte er die Höhe überfhlagen. Schon fing e& oben in den Zweigen an zu jaufen und der hohe Stamm drehte fich wie ein inZ Kennen geratener Uhrzeiger.
„Raul, flieh! flieh! ums Himmelswinlen! Sieht du denn nicht?“
Er aber ftand dort, warf das Seil von fiH und {Haute hinauf zu. dem fallenden Riefen.
„Slieht! Nicht!“ riefen die Arbeiter,
Doch er fHante Hinauf und machte noch langjam zwei Schritte nach Kinkz, um dem Riejen die Mühe zu er]paren,die Arme nach ihm auszurftrecken.
SZ fprang wie toll auf ihn zu, nicht bedenkend, was i9 that.Anadend und Irachend fYlug der Baum auf, ein Alt warf mich nieder und fchlug mir eine Schulter entzwei, mein Hreund aber wurde von der Krone begraben.
Das ijft das Ende eines von Natur auz edlen Menjhen,dem e8 nicht veradnnt war, feinem Leben einen Awek zu geben.
„S3 ijt fhmerzlich, einen lieben Menfhen zu verlieren 1”jagte Robert Wunderli zu feinem Freunde, „und ihn gar fo zu verlieren 1”
„Sa, felber fterben kann jo weh nicht thun“, erwiderte diefer und fuhr dann nach einer Weile fort: „Nun werden Sie beareifen, warum ich davor warne, dem Menijchen und
[396]Hreund Paul.der MenfjHheit die Welt des KYdealZ in Scherben zu {AOlagen,Daß wir imftande find, unZ in eine ideale Sphäre zu er-heben, da giebt unz wahrhaftes MenjchHentum, giebt unz Kraft und Mut, aus unjerem Leben etwas zu machen, mehr zu machen alz das Tier aus dem feinen, giebt unZ das Ver.mögen, felbjt den Egoismus von ung abzuftreifen. Warum unnötigerweije eine Säule in diefem idealen Gebäude ftürzen,warum zum DBeifpiel den Glauben an die Willensfreiheit ausrotten? Wer glaubt ernftlih an die Sage von Wilhelm Te? Wer aber möchte fie feinem Sohne vorenthalten? Wollt nicht verfuchen den freien Willen zu beweifen, e& würde euch {Owerkich gelingen, refpektiert ihn fo, wie ihr ihn fühlt und genießt feine Wohlthat.“
„Aber, Herr Forfjtmeijter“, warf Franz dazwifchen, „mich dünkt, e8 fei denn doch ein...“
Da vernahm man einen gelenden Schrei, ale8 {prang auf: „Was kann das fein?“
„E3 war mein Rind!“ rief der Direktor erfAOreckt.
Man fah fihH um. Blanka fehlte wirklich.
„Und wo ift Ludwig? Wo ift dein Bruder, Franz?”
Uuch Ludwig fehlte. Der Führer, ohne ein Wort zu jagen, ging den Abhang entlang, in der Richtung, aus der der Schrei gekommen war, Die andern eilten ihm nach.
„Seid vorjichtig!” rief er ihnen zu, „und wer nicht an die Berge gewöhnt ift, bleibe zurück,“[]Hreund Paul.
397
AB die Männer anfingen, an des Bergführers SGejhichte ihre Bemerkungen anzukfnüpfen, Hatte fich Blanka, die an dem Sefpräce fein Intereffe finden mochte, von der SGefelljchaft entfernt.
Niemand Hatte da3 bemerkt außer Ludwig. - Der nahm die Gelegenheit wahr, und, alS jedermann der Erzählung des Forftmeijters Aaufchte, [Oli auch er fid davon.
€ ging nicht lang, da fahH er fie auf einer jteilen Rajen-hHalde Herumflettern, fh von Zeit zu Zeit büdend, um Blumen zu pflücen. Sie war fo jehr mit fich felbjt und mit ihren Blumen befchäftigt, daß fie den Verfolger erft gewahrte, als er ihr zurief: „Treten Sie vorfichtig auf, FJräulein, die Stelle ijft gefährlidh! Benuben Sie die Felsköpfe, die da und dort Herausragen !”
Sie drehte fihH nach ihm um, glitt aber dabei mit einem Fuße aus und Konnte fih nur mit Mühe fefthalten,Sie Hatte‘ Ludwig zurufen wollen: „Machen Sie fi Keine Sorgen!“ Segt aber befann fie fi anders und fagte:„Dort fehe ich ein Edelweiß in einem Srasbufche, ich will e8 haben!“
„Bleiben Sie, ich werde es Ihnen pflücken !”
„Nein, nein, e3 ijt daz erfte, daz id mit eigenen Händen erlangen fanıt, ich Iafje mir die Beute nicht entreißen !”
Noch ein paar Schritte und ein freudiger : Ausruf mel-dete, daß fie die glückliche Befiberin des BlümdhHenZ ge-worden war.
„Dort jehe ih noch einZ!“ rief fie glei darauf und Haftig ging fie nieder vorwärts. Im Der Eile that fie aber einen Fehltritt,. glitt von dem Felsjtück herunter, auf dem fie gerade Stand gefaßt Hatte und Kam nun auf der SrashHalde
[3098]Sreund Paul.in Rutjchen. Unten an diefer war ein tiefer Wogrund, daz wußte fie: der Schred fuhr in fie und fie ftieß jenen Schrei aus,der die ganze SGefellfjhaft in Aufregung und Angft verfebte.
Derweil war Ludwig ganz in ihre Nähe gelangt. Wie er fie vom Feljen abgleiten fah, feßte er ihr nach. Mit zvei Sprüngen befand er fih vor ihr. Er fchlug feinen Bergitod mit Wucht in den Rafen und eS gelang ihm, daz Mädchen vor der Halsbrecherifjhen Rutfhpartie zu retten.Dann brachte er fie, nicht ohne Schwierigkeit, auf einen fideren Fel8vorfprung. „Haft dur dir gejhadet?“ fragte er ängfitlih, „thut dir nichts weh?“
„Nein,“ erwiderte Blanka, „ih kam mit dem Schreck davon.“ Dies fagend fchaute fie zum Abgrund hinab, der faum zwanzig Schritte weiter unten Jih gähnend Öffncte und fie {dauderte Leicht zufammen. Dann wendete fie fihH zu Ludwig, ftredte ihm ihre zierlihe Hand entgegen und fagte:„Angefaßt, mein Freund, ich danfe dir!“
Sie hatte das Ießte Wort zögernd ausgefprochen. Dem Burjdhen fiel ein, daß er fie eben mehrmals wieder mit „du“angerebet, und er fhämte fig und wurde verwirrt. Da wieberholte fie: „Faß’ an, ich bin deine Schuldnerin!“
Nun erfaßten fihH die beiden Hände und hielten fich lange fejft. Der Buriche wußte nicht, wie ihm gefhah und er ftammelte: „Haben Sie mir verziehen ?“
„Sa, und eigentlidh fchon lange. Doch da einmal auf diefer Erde Strafe fein muß, fo müffen Sie ein8 über fih ergehen lafjen: Sie müffen, fo Yang wir diefen Felskopf mit der Iodenden Auzficht befegt Halten, mich mit ‚du‘ anreden.“
Ludwig wehrte fih: „Nein, das thue ih nicht! Sieh,da3 {ft zu hart! Dit verlanaft. . . *[]Freund Baul.
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Nun mußte Blanka Lachen, trog der Heiklen Lage, in der fie fi befand: „Sie wollen’ nicht, aber Sie thun’3!Sie find ein geborener Komiker !“
„SIG bin fo verwirrt...”
„Sut, reden Sie zu mir, wie e& Ihnen die Verwirrung eingiebt.“
„Aber Sie müffen mir au hun, wie Sie e8& von mir verlangen.“
„WazZ? IH follte mid felber firafen! Sie ver langen etmwasS viel! Doch e8 fet, id will dir deinen Willen hun.“
„D, was Habe ich ausgeftanden feit jener Dummbeit.Mber fehen Sie ... aber fieh, ich meinte fiherlid nicht3 böjes bamit, ih bin eben ein Menjh des Impuljes, die Reflerion ift meine Sache nicht und ih fürchte, ich werde vor joldhen Thorheiten, jo Lange mir das Herz in der YBrauft EHMopft, nicht jicher fein.“
„Aber etwas Selbftzucht dürfte doch nicht vom Übel fein?“
„Soll ich mich felbfit noch züchtigen, wenn ich einen fo ftrengen Richter über mir Habe?“
„Si, fo b53 war’8 ja gar nicht! Du fiehft alles durch ein VBergrößerungsglas 1“
„BZ genug! Und felbft geftern noch, wie bijft du mit mir umgefprungen! Ich Habe unfäglih gelitten.“
„Weil dur einen Scherz verftehlt oder bverftehen wollteft.“
„SO will e3 zugeben; aber ein mußt du mir noch erklären: was ijt zwijchen dir und meinem Bruder im Nebel vor fich. gegangen ?“
„AG, nichts von Bedeutung !“[]AN):
Freund Paul.„DaZ glaube ih nicht. Dieje Geheimthuerei meines Bruders ,.. die Habe ich erft geftern an ihm kennen gelernt.“
„Wohlan, fo will ich beiten! Herr Franz Holte mich ein und fing an, vorn dir zu reden, wie du ein guter Burfjche feiejt, nun aber über die Maßen unglücklich wegen des Leidigen Vorfalles und wie ein Wort von mir dihH froh machen Fönnte und was des unglaubwürdigen SGeplauderS mehr war,Sch Jagte ihm, daß ich ausgegrollt habe und ermächtigte ihn,dir das nach der RMeife zu fagen, aber erft nachher, hei Leibe nicht ander8, denn ih fürchtete ein wenig . . . deinen Impuls.“
„Da3Z war’8 aljo? DO, ich Narr, der da glaubte...Doch fill davon! Nicht wahr, mein Bruder ijt ein Herziger Menjch! Gejcheit und gradl Wenn er nur feine Theorien nicht. Hätte! YWber fieh’', ich glaube, er vertritt fie nur des lieben Zanfes willen.“
„Wirklich? Täufdheflt du dihH nicht? Ih bin ...“
„Aha, dur gehörft ja auch zu feiner Partei; daZ war mir geftern eine fchredlidhe Entdedung! Slaubit dır wirklich auch LH „Warum nicht gar! e& war ja alles Spiegelfechterei |Sieh’, die Theorie deines Bruders mag Männern ganz gut zujagen, die Frauen, wenn ih fie anders recht kenne, werden nie darauf fHmören, Weißt dır dazZ nochH nicht? fügte {fie lachend Hinzu: je abhängiger man ijt, delto höher denkt man bon der Freiheit!“
„DO, wie glüdlih mich diefe Worte machen, nun -ift aller Nebel zwijchen uns zerflogen! und am Rand diefes Wogrundes jebe ih) wieder Sonnenfdhein und Glück.“
Und der Sonnen|dhein und daz Glück machten ihn das Herz warm und er fing an von fich zu furechen, von feinen []Hreund Paul.
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Plänen und Ausfichten, und endlich brachte er es hervor, das jüße, bange Wort, das fo Hein {ft und doch jo wohl und jo weh tHum kann: das Wort Siebe, Und er Jagte ihr, wie jeine ganze Seele an ihr Hange, wie er an nichts mehr als an jie denken Könne, daß er fie fogar mehr liebe als jein gutes,gute3 Mütterlein zu Haus.
Er griff nach ihrer Hand. Da tönte ganz in der Nähe Reter Schneiter8 Hallendes: „Hoho! GHoho!“
Blanka legte mit geheucheltem Ernjte den Finger auf den Mund: „Lafjen Sie’3 jebt! Die Zeit ft um.”
„Sage mir ein gutes Wort, nur ein3 1“
„Soho!“ rief Blanka und mehrfach antmorteten die Stimmen der Suchenden.
„So fo e3 wieder ganz {0 werden zwijchen un8, al?hätten wir nie zujammen ob diejem Abogrunde geftanden ?D, da wollte ich, er riffe mid hinab!“
„Aber, Herr Ludwig, wie Fönnen Sie fo reden! ein Theologe!“„Gabe Erbarmen! Zu was mir einen Blig in den Himmel geftatten und mich den doch HinabfjhHleudern !”„Hören Sie mich ruhig an, Herr Ludwig. Denken Sie, e3 fei zwifhen unZ wie am Abend vor dem Waldfeite:wa3 zwijdhen jenem Tage und diefem Nugenblike Liegt, fer vergeffen: wir wollen wieder gute Freunde fein. Beendigen Sie ruhig Ihre Studien, werden Sie ein ganzer Manıt und wenn Sie dann den Spruch noch Können, den Sie mir eben gebeichtet, dann fagen Sie mir ihn noch einmal, vielleicht ver-ftehe ich ihn dann beffer.”Ludwig ergriff ihre Hand und drückte feine Lippen darauf.„Du bift ein Engel!“ preßte er hervor.X. Boßhart, Im Nebel. 26
[409]Hreund Paul,Blanka hob den Zeigefinger in die Höhe: „Berbeffern Sie fi!“ fagte fie Yächelnd.
Er wiederholte gehorfamft: „Sie find ein Engel!“
Und mun Feine RNücfälle mehr! „Wollen Sie’3 ver.\prechen 2“„Sg will mein Befte8 thun.“Nun hörte man ganz nah das fchrille Auffchlagen der Beraftöcke.„8000! Yoho!“ rief Blanka.
Gleich darauf erfchien auf den Helfen, weldhe die Rafen-Halde begrenzten, der wettergebräunte Kopf des Bergführers und Hinter ihm tauchten die geängftigten Sefichter der Touriften auf.
„Helfen Sie mir Herüber, Peter!“ rief Blanka, die den Weg, den fie erft fo Leichtfinnig gegangen war, nicht mehr allein zurüczulegen wagte.
Beter nahte vorfichtig und führte das verlorene Qämm-fein der Sefellfchaft zu; Ludwig folgte nach, den Hührer um fein Gewerbe beneidend und zu fich fagend: „Daz Hätte ich ebenfo gut thun Können.“
Der Direktor Hatte fich vorgenommen, feine Tochter zu tadeln, aber ftatt deffen öffnete er ihr die Arme, und fie fanf fAluchzend an feine Bruft und wußte {elbft nicht recht,wie e8 fo weich über fie gefommen war.
DazZ Beifpiel des Direktors {ftecte au den Onkel KRobert an, der ein fHlimmes Vierteljtünddghen durchgemacht und im Geifte fchon den Kammer einer trauernden, ihn vor-wurf3voll anfdhauenden Mutter gefehen Hatte, Er faßte Sudwigs Hände in die feinigen und jHüttelte fie und biß jich dabei auf die Lippen.
AS der Burfche feine Freiheit wieder DHatte, trat er auf []Sreund Banul.
103 jeinen Bruder zu, der ihm die Rechte entgegenftrecdte. „Du bift ein Herzensmenfch, Franz!“ fagte er zu ihn. Der andere erwiderte nichts, aber ihre Hände verftanden eine beredte Sprache und ein Aufleuchten auf FranzenzZ Geficht bedeutete Qudwvig:„E83 braucht nichts mehr, ih weiß jebt {hon; Glück zu 1“
Die Gefellfchaft ftieg zu Thal. Ludwig war ein wandelnder Traum, er achtete faum der Wbgründe, an denen jeine Sohle vorbeifdhritt. Der Onkel ging ängftliH Ginter im drein und {prach ihm warnend zu, und als alles nicht?fruchten wollte, {Hlug er einen Marfen Ton an: „Was für ein Seichtjinn ift im dich gefahren?“
„Bürne nicht, fagte Ludwig mit Leicht bebender Stimme,ich hatte oben am AWbgrunde eine gar Herrliche Ausficht, fie fommt mir nicht aus den Sinnen.“
„Sei unbejorgt, Onkel, warf Franz ein, e& wird ihm geute nichts jOlimmes begegnen; der Tag ift ein Glücstag für iOn, laß’ ihn diesmal feinen freien Willen.“
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- TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Im Nebel. Erzählungen aus den Schweizer Bergen: ELTeC Ausgabe. Im Nebel. Erzählungen aus den Schweizer Bergen: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-4674-0