Erstes Kapitel

er Federstrich des deutschen Kaisers, den er unter D das Dokument, den Westfälischen Frieden betreffend, tat, brachte die übrig gebliebenen Glocken im Reich herum in Schwung; sie hielten sich in jenen erlösten Herbsttagen vorweg vier Wochen ans Läuten, damit die Winde nach der Reihe die wirklich frohe Botschaft in die Seitentäler und verlorenen Hinterländer hinein tragen konnten. Als das mit vieler Gründlichkeit geschehen war, sahen sie sich um, was es ferner zu beläuten gebe, da man doch einmal daran war, und entdeckten, daß es nicht mehr so weit bis Weihnachten sei. Da fingen sie erst recht an zu tönen und zu brummen. Sie sangen wie die Lerchen in den leise schimmernden Winter hinein. Sie brüllten wie die Kälber auf der Weide. Sie bellten hoch und tief, gerieten in ein tolles, planloses Plappern und Miauen,und schüttelten sich vor Lachen. Sie lachten mit offenen Mäulern aus allen Turmluken heraus. Sie wollten bersten vor unbändiger Radaulust. Die Klöppel hüpften wie die verkehrten Narren in ihren eigenen Kappen herum, und die Glockenseile führten stille, selbstvergnügte Schlangentänze dazu auf. Darüber wurde es Neujahr, und es war seit Menschengedenken das erste []neue Jahr überhaupt, das man nicht mit Krieg und Brand anfangen sah und unter der schweren Hoffnungslosigkeit des Haders.

Während es sonst den Menschen so gegangen war,daß der Krieg sie mit Furcht oder Nötigung umgetrieben hatte, und sie sich nun anschickten, zur Ruhe zu kommen und Ordnung um sich her zu verbreiten, gab es einen Gelegenheitsschulmeister und landfremden Windbeutel namens Ruodi Bürgler aus der Schweiz, der mit dem Anbruch des Geläutes plötzlich den Faden verlor und in Unruhe geriet. Er hatte ein Jahr lang mehr schlecht als recht auf einer thüringischen Burg Rittersöhne unterrichtet in den Wissenschaften, die ihm gerade vom Hörensagen bekannt waren, Rechnen, Schreiben, Lesen, ein bißchen Französisch, ein wenig antike Geschichte und Mythologie, und nach seinem besonderen Talent allerlei Architektur des Luftschlosses. Er hatte gegessen und getrunken, mit dem Schloßherrn gejagt, mit der Schloßfrau gedichtet, mit den Mägden geschäkert und mit den Knechten gebechert. Aber eines Tages erklärte er, es sei jetzt genug,nahm seinen Lohn, schnürte sein Bündel und schnallte sich einen Degen um. Am Montag nach Palmarum sagte er ade, trat aus der kleinen Pforte an den freien deutschen Tag heraus und setzte dort eine Wanderschaft,die er vor einem Jahr am selben Ort abgebrochen hatte,sogleich so kräftig und gewissermaßen staubig fort, als wären es erst drei Tage her. Die Rittersbuben begleiteten ihn bis zur Gemarkung. Der jüngste weinte, der mittlere schimpfte, der älteste weissagte baldige Umkehr zu den Brotkörben. Der Magister schwieg und schnitt ein Gesicht []dazu. Am Markstein machte er halt; er hatte einen Entschluß gefaßt. Er setzte sich auf den Stein, guckte die Jungen nach der Reihe düster an und öffnete den Mund.

„Paßt jetzt einmal gut auf,“ hob er an zu reden.„Ich will euch etwas sagen von der Art, wie ihr von mir noch nichts vernommen habt. Ihr seid nämlich erzdumme und verkommene Gelbschnäbel, das kann niemand wegschtreiten, der etwas vom Leben weiß.Ihr meint, ihr hättet wunder was gelernt bei mir das Jahr her, aber das Grünfutter soll sich in acht nehmen,daß die Gaiß nicht drüber kommt; sonscht sag' ich nichts.Bittet den Vater, daß er einen richtigen schtudierten Magischter auf die Burg holt für euch Tunichtgute. Er soll nicht wieder einen Kerl von der Schtraße nehmen,der ihm etwas auf französisch vorwebt, und ihn fragen,ob er seinen Buben obliegen will, sondern Atteschte verlangen, und das schwerwiegende. Was ich euch da eingeflößt hab', das ischt alles blauer Dunscht. Mein Vater ischt ein reformierter Theolog gewesen, nur ein Landpfarrer in der Schweiz, aber keiner von den schlechteschten, und da ischt einiges an mir hängen geblieben.Gelernt hab' ich meiner Lebtag noch nichts; darum ischt auch nichts aus mir geworden, und kann ich dito aus andern nichts machen, als Hanswurschte und Luftschloßarchitekten. Ich habe ein Jahr lang warm gelegen, und so gut. Das verleidet einem auch wieder. Vergeßt mich dafür zehn Jahre lang und denkt nur darauf, große Kerle zu werden vor Kaiser und Reich. Dann wird von selber eine Zeit kommen, daß ihr euch wieder an mich erinnert mit meinen Luftschlössern und Wasser[]bergen, und das wird den Schwung der Phantasie über euch bringen, den man zu allem Unternehmen braucht;aber erscht, wenn man etwas weiß. Und so Gott befohlen. Macht jetzt, daß ihr wieder nach Hause kommt;ihr gehört noch lange nicht auf die Landschtraße.“

Er nickte den Rittersbuben kurz zu und hob sich davon. Die Knaben standen auf ihren jungen Füßen beim Grenzstein fest und wunderten stumm dem merkwürdigen Gesellen nach, der unter aller seiner selbstdeklarierten Nichtsnutzigkeit so mäunlich und wohlbewußt die Straße dahin zog. Es war ihnen, wenn sie nur so viel Haltung an sich zu bringen vermöchten, wie dieser Hans Unruh aus der Schweiz, so könne es ihnen schon nicht fehlen. Natürlich nahmen sie an, er wisse auf das Haar, wohin er ziele und was er im Sinn führe, und möge es ihnen nur nicht auf die Nase binden. Sie stellten sich eine sehr schöne und kluge Mission über seinen Weg an den Horizont gebaut vor, und als er ihnen endlich zwischen Bäumen und Hügeln aus den Augen gekommen war, machten sie nacheinander mit vollen Herzen kehrt und mit dem Bewußtsein, keine häßliche und auch keine kleine Zeit hinter sich zu haben.Sie traten den Rückweg nach Hause an und gingen bereits ernsthaft, wenn auch mit etwas Mißtrauen und leisem Bedauern, in ihren Gedanken dem verschriebenen studierten Magister entgegen.

Unterdessen fing der Schweizer nach seinem sobeschaffenen Abzug damit an, mit System und Willen die Wegstunden und Dörfer hinter sich zu bringen, erst die verschiedenen vom Sehen und später vom Hören[13]sagen bekannten, und dann nach der Reihe immer unbekanntere und wildere, bis plötzlich mit dem gewissen schnellvertieften, halb freudigen, halb beklommenen Aufatmen des Existenzgrundes das Zeugnis vollständiger Alleinheit und Fremde gegeben wurde, das den Wert und die Verheißung der Wanderschaft ausmacht. Der Schweizer blieb mitten auf der Straße stehen, erwachte aus einer dreifachen langfädigen Nachdenklichkeit, die ihn mehrere Tage vollständig gefangen gehalten hatte,guckte sich aufmerksam rund um in einer Gegend, die für ihn ein gleichgültiges und für sich selber ein ziemlich ernsthaftes Gesicht zu haben schien, nahm seinen himmelblauen Edelmannshut vom Kopf und betrachtete ihn ebenfalls. Er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Nasenrücken wie nach einem unbegreiflichen Mittagsschlaf, setzte den Hut wieder auf und sah eine Weile den Weg zurück, den er hergekommen war. Er dachte an die letzte wohlvertraute Verlassenschaft auf der Ritterburg, und an die ganze Reihe früherer an andern Orten mit allen Gestimmtheiten. Er erinnerte sich, scheinbar ganz zwecklos, daß er vierunddreißig Jahre alt sei,wunderte sich darüber, geriet mit der linken Hand an den Degenkorb und zog die Klinge blank, ließ sie eine Weile in der Vorfrühlingssonne blinken und glänzen,versorgte sie wieder in die Scheide, langte endlich seine Wandertasche vor und setzte sich damit an den Straßenrand. Er entnahm ihr ein Stück Schwarzbrot und verzehrte es ohne besondere Empfindungen, während sein Bewußtsein zu der dreifachen Nachdenklichkeit zurückkehrte, aus der er soeben erwacht war. Er versank [14]nicht wieder darein, schaute sie ruhig und mit klaren Augen an wie einen besonderen Baum oder ein Haus,und suchte sie zu erkennen. Sie bestand aus folgenden Fragen: Erstlich, wer war man überhaupt? Zweitens,wie konnte man sich erweisen und sicher bringen, daß einen nicht der erste beste Wind wieder in das liederliche Wesen zurückwehte? Drittens, wohin ging man alsdann? Er wußte, daß er auf der Burg seine Aufgabe erfüllt und den Jungen das Seine gegeben hatte.Jetzt mußte dort ein anderer kommen und weiter arbeiten;er stellte wieder einen entlassenen Menschen vor. Was fing er jetzt an mit sich? Er hatte ein Beutelchen voll Golddukaten; die Frau auf der Burg meinte, er wolle damit einen Handel auf den Lauf bringen. Auf den Handel war gepfiffen, und auf die Golddukaten auch.Auf die Frau war gepfiffen. Auf den Ritter war gepfiffen.Auf ihn selber war gepfiffen. Es war auf alles gepfiffen,nur nicht auf das weite Land. Da lag es. Es hatte seine Herren. Es hatte seine Bauern. Es hatte seine Bäume, Ochsen, Pferde und Schafe. Es war vollständig versehen, und der Schweizer war überflüssig. Er konnte sich an den ersten besten Baum aufhängen, wenn es der Baum erlaubte. Wahrscheinlich erlaubte er es nicht;es konnte auch gar nicht angenehm sein für ihn, eine solche faule Frucht zu tragen. Ihm schien, man sollte untertauchen können. Irgendwie verloren gehen sollte man können in einem niedrigen und anspruchslosen Zustand, und dann aber da bleiben. In dem verfluchten Herumwagieren steckte das Grundübel. Jeder andere blieb sitzen, wo er etwas gefunden hatte. Er setzte da seinen [] 15 Rüssel an und begann zu saugen. Er sog sich dick und mächtig und hörte nicht eher auf, als bis er überschwer und blödsinnig oder tot davon herunter fiel. Der nach ihm kam, machte es vielleicht so. Ach, was war das für ein Leben! Man konnte es einrichten wie man wollte,so setzte man sich ins Unrecht. Es war nur das einzige Gute daran, daß man nicht eben ein Schuft zu werden brauchte, wenn man nicht die entschiedene Absicht dazu hatte. Der gewesene Magister schloß resigniert und schwermütig seine Wandertasche und erhob sich, um seine Straße weiter zu gehen. Wenn es doch einmal der Baum nicht erlaubte, was war dann anderes zu tun? Sicher lag nur dieses: wenn ihm einer was zu tun gab, das tat er. Wenn ihn einer anpackte, den hieb er in die Pfanne. Einen Anhalt wußte er nicht. Die Aussicht stand leer und lumpig vor ihm und das Vergangene galt nicht mehr. Dann nahm es ihn nur wunder, welcher Stern ihm bei solcher Beschaffenheit noch etwas abkaufen sollte.

Trotzdem stimmte seine Voraussetzung nicht völlig.Er kam mit der Mitte der Karwoche in ein Land, das nicht nur keinen Herrn mehr hatte, sondern je länger je weniger Bauern, Ochsen, Bäume, Pferde und Schafe.Er trat aus dem Freudengeläut der Glocken an das Schweigen dieses Landes und seines Tages hervor,wie aus einer Brautmesse auf den Kirchhof. Er kam in das ärmste Land der vergewaltigten, zerschlagenen und siebenmal beraubten deutschen Ehefrau der habsburgischrömischen Kaisermacht in Wien, und es war ein Jammer zu sehen und zu erfahren, wie der Ehe[] 160 mann den fremden Strauchrittern selber geholfen hatte seine schöne Liebste verprügeln. Ja man wußte zurzeit nicht einmal, war sie unter den Pferdehufen von Freund und Feind verschieden, oder lebte sie noch. Der Ehemann saß in Wien und rechtfertigte sich. Er rehabilitierte sich vor Gott und flickte seinen Mantel. Er putzte seine verratene Krone, während seine Frau unter ihrem länderweiten Jammer fortblutete in den Händen von Schweden und Franzosen.

Der Schweizer wanderte schön braun und blau, mit gespicktem Beutel und ideenleerem Kopf durch diesen ausgebreiteten Notstand, und es fiel ihm nichts weiter ein dabei, als daß er sich darüber aufbrachte und die unbegreifliche Schlechtberatenheit der Hüter tadelte,die diesen Landen vorgestanden hatten. Er war von Haus aus ein zu gutes Bauernblut, als daß ihm die Verwüstung ganzer Herzogtümer nicht persönlich an den Kragen ging. Er dachte grimmig an die fremden Söldnerheere, die mit Feuer und Schwert unter den gesegneten Kulturen hatten hausen dürfen, und mit stärkstem Mißbehagen an ihre Rädelsführer, den choralsingenden schwedischen Eiswolf mit dem unstillbaren känderhunger in den Kiefern, und den doppelt maskierten und parfümierten glatten Hühnermarder überm Rhein, der auch nicht weniger lieblich zu singen verstand, nebst den übrigen christlichen Majestäten gottverlassenen Umtriebs. Der Zorn des Gerechten stieg auf in seiner lämmerflockigen Hirtenseele mit einer zwar trüben, doch nicht unkräftigen Stoßwelle, die schon eine Hoffnung oder einen Willen in Bewegung hätte bringen [17] können, wenn ein Trieb von dieser Richtung vorhanden gewesen wäre. Da er aber immer noch unter dem lotterhosigen Eindruck stand, den die Erlaubnisverweigerung des Baumes über ihn gebracht hatte, so ergab es nur allerhand leere, kummervolle Winterdonnerwetter gegen die Zeichen der Lüge und Ungerechtigkeit,die die Zeit beherrschten, und theoretische, gänzlich anspruchslose Untertanenflüche über den Adel des Satans,der die Throne bevölkerte. Der krause Humanistenverlag des Jahrhunderts, den er mit seinem ungeleiteten Willen über seinen derben Bauernkopf gelassen hatte,war ihm in keinem Winkel mit einer wirklich brauchbaren übersicht oder Spekulation aufgegangen und hatte nur eben dazu beigetragen, ihm das Blut der Väter in den Adern zu verdünnen und das dürre Laufbrett der Genielosigkeit zwischen seine Füße und den angestammten Grund und Boden zu praktizieren. Auf dem lief er als ein fragwürdiges Zwitterding von Bauernsohn und Student unter einer Sonne herum, die jetzt ganze Kerle nötiger brauchte, als Gottvater das tägliche Lob, brachte moralische Empfindungen hervor, und betrog das Deutsche Reich um alle Hoffnungen, die es auf seine Talente gesetzt hatte.

De äußere Anstrich von Tüchtigkeit, welcher der Erscheinung des Schweizers anhaftete, lockte arme Teufel an, traurige Bursche, die der Zeitlauf nackt aus dem Nest geworfen und nicht mehr zu Gnaden hatte

Schaffner, Der Bote Gottes [18]kommen lassen, kleine Räuber, die sich aus unbehobener Verlegenheit des Lebens noch so auf den Spuren des Krieges und den Grenzen des Landfriedens entlang von einem Hühnerdiebstahl zum andern durchfraßen, mehr dem entfernten wenigen Guten zugeneigt, als dem gegenwärtigen massenhaften Unguten, Krüppel von Geburt und vom Krieg her, Juden, Pilger, halbe Narren,die ein Auge voll Schreckhaftigkeit zu viel in die Wissenschaft bekommen hatten, und am Morgen des stillen Samstags vor Ostern einen Mönch, der aussagte, daß er vom Kloster in Fulda unterwegs sei nach dem Hochstift von Bamberg. Der gefiel ihm am wenigsten von allen Weggenossen; er hatte seinen schwarzen Eifererkopf im Verdacht, daß daraus wieder eine katholische Teufelei gegen die Freiheit des deutschen Menschen gesponnen werden solle, und besann sich angestrengt in seinem blonden, wie er ihm vielleicht mit einer Disputation das Gewissen stäupen könnte. Aber es fiel ihm nichts ein; der Wanderwind der letzten fünf Tage hatte ihm schon den wenigen Gelehrtenpuder aus den Locken geblasen und die natürliche Kenntnislosigkeit seines ungebildeten Intellekts ungeschmückt wieder an den Tag gebracht. Sein Mutterwitz lag unter allzu vielem Gerümpel vergraben, als daß er in der Eile und überhaupt vorläufig darauf zurückgreifen konnte.Zudem verstand der Kerl Latein und Griechisch, ganz richtiges Latein und waschechtes Griechisch, nicht solches,das der Schweizer seinen Ritterbuben beigebracht hatte:Floribus, der Reichtum, auf Griechisch Owieschön, Magermann, die Armut, zu Griechisch Laßdichbegraben, und [19]in der klassischen Geschichte war jener besser zu Hause als Ruodi in seinem Hosensack. Das imponierte ihm nun von dieser Seite so gewaltig, daß er dem Kleriker plötzlich hingerissen den Vorschlag machte, auf der Burg bei den verlassenen Ritterbuben seinen Nachfolger abzugeben bei so und solcher Kost, Kurzweil und guter Löhnung.Der Mönch dankte für sein Teil, sagte aber, er wolle dem Kloster davon Mitteilung machen, da es sich um die Rettung von vier jungen Seelen handle, und das gute Protestantenherz erschrak auf den Tod, daß er der lieben Jugend eine römische Fledermaus auf den Hals hatte schicken wollen. Zum überfluß stieß jetzt noch ein Narr zu ihnen, der den Schweizer als seinen Leutnant ansprach und sich selber für den General des Reichsheeres hielt, der vom Kaiser ausgeschickt sei, den Teufel zu fangen. Er rüffelte den Schweizer in drastischen Ausdrücken herunter,weil er sich bei den Weibern im Land herumtreibe, statt seine Patrouillen auszuführen, wollte fortwährend haben,daß er jetzt losreite, hielt ihn immer im letzten Augenblick zurück, um ihm noch einen Befehl zu erteilen, und wollte ihm schließlich den Säbel abnehmen wegen Insubordination. Es kam darüber zu einem richtigen Handgemenge zwischen dem Reichsgeneral und dem gewesenen Magister, und diesem fing nun langsam an zu grauen vor einem solchen stillen Samstag, in dem alle schlimmen Mächte ihr Wesen zu treiben schienen.Der Mönch brachte ihm zwar den Narren vom Hals,aber es war damit nichts gebessert, denn jetzt gehörte der Tag wieder der Kutte.

Als der Narr seine erste Unzufriedenheit über die [20]Einmischung der Kirche verwunden hatte, hob er mit dem Mönch ein Gespräch an. Er titulierte ihn Heiliger Vater und wies ihm alle Ehren zu, die es unter der Sonne gab. Denn nicht wahr, wenn er, der General des Reichsheeres, gegen den Teufel auszog, so brauchte er notwendig den Segen Petri und seiner seligen Kirche,und der heilige Vater solle ihm nun mal hübsch antworten. Doch ließ er es nicht erst zur gewünschten Erwiderung kommen, sondern fing auf einmal an, lateinische Perioden zu rezitieren. Die stammten zu einem Teil aus den kirchlichen Liturgien, und zum andern aus den Lustspielen des feinen Heiden Tesenz; aber der Schweizer wußte weder dies noch jenes. Er hörte nur von einem Narren die Sprache der gebildeten Welt reden und betrübte sich darüber, daß er Vernünftiger auch vor diesem Gauch den Ast räumen mußte. Darauf ergingen sich die Brüder des langen und breiten in römischer Literatur und Kunst, würdigten die Philosophen der Alten, und wußten einander Kenntnisse von der griechischen Geschichte, Architektur und Götterlehre mitzuteilen, von denen Ruodi Bürgler keine Ahnung besaß, trotzdem er in diesem Fach eben noch junge Seelen unterrichtet hatte. Das brachte ihm eine Reihe der peinlichsten Empfindungen zu, die man über das eigene Dasein haben kann, und vor seinen Augen tat sich eine Perspektive der Trostlosigkeit und des Gerichtes auf, in der seine paar guten Taten ohne Spur untergegangen waren, und die Fehlbeträge seines Lebens alle Wirklichkeit allein in den Händen hielten. Es ergab einen Anblick, den er nicht ausstehen konnte, ohne nach schleuniger [2]Abhilfe umzuschauen. Schon sah er auch den Ausweg sich zur Seite öffnen: wenn es der Baum nicht erlaubte, warum ging er nicht weiter fragen? Jeder Dachbalken der hundert Brandruinen am Weg erlaubte es.Mit Freuden sogar. Ihm schien, sie paßten allein zusammen, die Brandruinen und er mit seiner schwermütigen Existenz. Er war da gerade in die richtige Gegend gekommen. Sobald man ihn wieder allein ließ,zog er den Strich unter die verpfuschte Rechnung. Heute gab es reinen Tisch zwischen ihm und der Welt. Ein stiller Samstag sollte das jetzt werden, auf den in Ewigkeit kein Sonntag und kein Montag mehr folgte. Am nächsten Scheideweg wollte er sich seitwärts schlagen.Nebenher wurde er geradezu munter, und sein Witz ging ihm auf wie Brot im Ofen. Da steckten die ihre Köpfe zusammen und meinten wunder was sie hätten an ihren Wissenschaften, und war doch alles Schatten von Dingen, die einen nicht reich machten, und Rauch von Feuern, die nicht wärmten. Von seinem Standpunkt aus sah man das ganz deutlich. Sie mußten nur einmal darauf treten, so bemerkten sie es ebenfalls. Er blickte dem Mönch von der Seite ins Gesicht und besann sich auf sein feinstes Französisch, das er auf seinen Wanderfahrten gelernt hatte. Er besah sich auch den Narren und schmunzelte. Denn es mochte nun um ihn stehen wie es wollte mit seinem Heimweh und seinem moralischen Katzenjammer, so war er in der breiten Traurigkeit des Lebens doch erstens kein Narr geworden und zweitens kein Mönch. Das ergab immerhin einen Vorsprung, falls es nachher dennoch weiter ging. Er stand [22]nun mit den beiden auf der Höhe vor einem Waldrand,der auf eine ausgebrannte und menschenverlassene Talschaft hinabschaute. Drunten zweigte sich die Straße,und Ruodi Bürgler wußte, daß jetzt seine Stunde geschlagen hatte. Er streifte mit dem Daumen den Riemen der Wandertasche höher auf die Schulter.

„Verzeiht, ihr Herren,“ sprach er auf Französisch:„Wißt ihr vielleicht, worin der Unterschied zwischen euch beiden besteht? Ich habe es nämlich jetzt gerade zu sehen bekommen, weil ich etwas willens bin, das nur noch mit der Hauptsache zu tun hat. Wißt ihr ihn?“

Sie wußten ihn nicht, und er belehrte sie.

„Es ist kein Unterschied zwischen euch. Ihr seid,mit Verlaub, beide Narren. Aber wißt ihr den Unterschied zwischen euch und mir? Studiert einmal nach.Ihr seid doch so gelehrt.“

Er freute sich; er hatte den Sinn der Stunde an der Wurzel gefaßt. Der Narr starrte ihn an wie ein böhmisches Dorf, und dachte angestrengt. Er sank förmlich in sich zusammen vor Nachdenken; aber er erriet es wieder nicht. Der Monch betrachtete ihn neugierig und interessiert, wenn auch etwas mitleidig; das focht den Schweizer nicht an; er dachte, die Kutte würde schon zu einer anderen Stimmung kommen, wenn sie den Bescheid vernahm.

„Also, ihr erratet das auch nicht? Ich dachte im geheimen, ihr hättet vielleicht doch den heiligen Geist und schienet darum nur so, was ihr seid und ich euch schon gesagt habe. Ich will euch die Antwort kundgeben: der Unterschied zwischen euch und mir ist sehr [23]groß. Seht ihr den Scheideweg dort unten hinter dem verbrannten Dorf? Ihr geht gerade aus, aber ich wende mich links von euch meine Straße und bin der Abschiednehmende; und ihr seid die Verlassenen. Versteht ihr das? Ich verstehe es.“

Es wäre über diesen Ausspruch vielerlei Kluges und Kurzweiliges zu bemerken gewesen; aber nun geschah etwas, das der Fantasie des Schweizers eine andere Richtung gab. Eine Faust fuhr hinter ihm aus dem Busch und warf ihn von dem schönen Misthaufen seiner überlegenheit herunter mit der Nase ins Gras. über seinem philosophisch-spitzfindigen Krähen und Scharren war ihm entgangen, daß sich der Waldrand in seinem Rücken belebte. Der Narr allein hatte beizeiten Wind von der Gefahr bekommen und sich mit Geschrei den Berg hinunter davongehoben. Er behielt seine Flucht;wer wollte sich mit einem Narren befassen. Auch dem Kleriker, der nichts zu verlieren hatte und darum dem Geschehnis mit Ruhe beiwohnte, wurde der Weiterweg offen gelassen, freilich mit Vorschlag einiger Beschleunigung. Aber dem Schweizer verhalf sein wohlehrbares Aussehen zu Aufenthalt und Schicksal. Jetzt waren die Buschklepper über ihm und lagen gerade so eifrig seinem Gegenwärtigen ob, wie er vorhin betrachtenderweise seinem Vergangenen, nur daß sie sich viel besser auf die Schlußfolgerung verstanden, als er. Sie brachten ihm alle Verlegenheit der sittlichen Welt in Vergessen, und bewirkten in seinem wirklich ein wenig ermüdeten Kopf durchaus dringliche und funkelnagelneue Fragestellungen. Sie klopften ihm mit wunder[24]baren Gründen das braune Magisterröckchen durch und streiften es einsichtig von seinen Schultern. Sie zogen ihm auch das rote Wams aus; denn was tat er mit so viel Freudigkeit? Der schöne himmelblaue Edelmannshut saß schon einem roten Schurken auf dem struppigen Kopf, während der ihm den Beutel mit den Dukaten abnahm; Ruodi selber hatte allerdings bereits auf das Gold gepfiffen. Er hatte auch auf seine eigene Person gepfiffen; aber die Strauchritter ahnten es nicht. Sie arbeiteten ihm mit mürrischer Geschicklichkeit die Hose von den Beinen samt den Strümpfen und Schuhen,machten ihm höchst verwickelte und schwer erträgliche Vorwürfe, daß die Schnallen darauf nicht auch von Gold waren, wie die Geldstücke im Beutel, und teilten sich vor seinen Augen in die Effekten. Der Rote nahm Ruodis neuen Säbel unter den blauen Hut an sich,und schmiß ihm dafür ein altes Marodöreisen vor die Füße, an dem der Rost von zwanzig Totschlägen fraß. Ein dunkler Wanst schnallte sich Ruodis Beutel an den Degengurt; er schien der Hauptmann zu sein. Ein langer Spitzbube saß am Boden und probierte seine Schuhe und Strümpfe an. Als der Schweizer unter allem Schreck und Kummer sich erinnerte, daß es vier Kumpane gewesen waren über ihm, und er besorgt nach dem vierten ausschaute, stand der nackt an der Frühlingssonne und führte über Ruodis Kleidern einen gottlosen Heidentanz auf,wozu er aus einer braunen Pandurengurgel heraus sang oder brüllte auf eine südöstliche Weise, die dem armen Pessimisten den tiefsten Eindruck machte. Es sprach sich in dem Gesang alles aus, was diesem fehlte, außer seinen [25]guten Kleidern eine Menge Selbstvergnügen, Durchschlagskraft, Gegenwärtigkeit und Bündnisbereitschaft mit Tod und Teufel und allen Mächten der obern und untern Welten. Der Schweizer erinnerte sich vor dieser sinnvollen Aufführung plötzlich an viele verloren gegangene Energien und Existenzfreuden seiner Jugendjahre,warf im Vorübergehen die Frage auf, wo sie hingekommen seien, und sah sodann mit Verwunderung und Neugierde das windige Kerlchen in seine ehrbaren Kleider schlüpfen. Sie waren ihm zu weit und an den Armeln zu lang. Bürgler bemerkte es zuerst und verzog das Gesicht zu einem halben Lächeln. Dadurch wurden die andern aufmerksam und erkannten den Umstand auch.Aus dem Gelächter erhob sich gute Laune und sie warfen ihm die abgelegten Lumpen des kleinen Ungarn hin. Sie witterten außerdem mit ihren wilden Fuchsnasen, daß viel weniger Furcht als Unlust und Verlegenheit in ihm war, und boten ihm eine Stelle in ihrer Bande an; aber er wollte nicht. Er streifte sich erschrocken die alte Reiterhose des Tänzers an die Beine und spannte sich dessen Pandurenjäckchen über die Schultern.Er schlüpfte in die abgelegten Schuhe des Langen,schnallte gewissenhaft das Marodöreisen des roten Schurken um, drückte sich mit Selbstverleugnung den umgetauschten Hut auf die alten Locken er hätte wirklich Locken , machte den Herren eine flüchtige Verbeugung und hob sich davon, ohne Tasche und ohne Beutel, und nicht mehr schön braun und blau, sondern eben in den so tief befriedigenden Farben der Ackerfurche, wenn sie nach einem ausgiebigen Regen zum [] 25 ersten Drittel aufgetrocknet ist. Er sah weder rechts noch links, weder vorwärts noch rückwärts. Es war ihm zunächst durchaus nicht mehr bewußt, daß es über ihm einen Himmel gab mit einer Sonne darin. Die Erde unter sich wandte er ganz mechanisch und stumpfsinnig nur an, um darauf möglichst schnell von der Stelle zu kommen. Er blieb für diesmal und auf den ersten Schuß neun Stunden im Laufen, nämlich von vormittags elf bis abends acht Uhr. Er dachte nichts.Er fragte nichts. Er sah und hörte nichts. Bei Mondschein fiel er wie eine Lerche in eine halbverbrannte Scheune und warf sich, immer in der gleichen Besinnungslosigkeit, in eine Ecke, wo noch etwas Heu lag. Er versank vor Ermattung sofort in einen dicken,traumlosen Schlaf, schlief bis gegen Mitternacht, fühlte dann eine große, gütige Hand auf seinem Herzen und vernahm eine Stimme, die sprach: „Du Bote Gottes,fürchte dich nicht; stehe auf!“ Und abermals: „Pandur,gehe hin und restauriere!“ Er erwachte davon, setzte sich aufrecht und begann sich zu besinnen, was mit ihm eigentlich geschehen sei.

Draußen schien der Mond. über der Straße ragte eine Brandruine auf. Er sah, daß er selber in einer Brandruine saß. Das Elend des deutschen Landes fiel ihm wieder ein. Dann spannte ihn die Jacke und er erinnerte sich an sein Abenteuer mit den Buschkleppern.Jawohl, so war es bestellt mit der Welt. Und jetzt dachte er den ersten vernünftigen Gedanken in bezug auf diesen Zustand: was hatte daraus zu folgen für einen nachdenklichen und tüchtigen Kerl? Zwar was [27]konnte einer gegen das Viele? Man war ja nicht einmal seines Lebens sicher. Zu denken, was hätte er vorher nicht alles schaffen können in dieser Wüste mit seinen Goldstücken, so an der Peripherie des Elends zum Beispiel. Leicht gesagt jetzt: gehe hin und restauriere! Wahrscheinlich hatte es überhaupt geheißen: marodiere! Er steckte ja nun in einem Pandurenkostüm und hatte einen richtigen Leutefresser und Blutsäufer an der Seite hängen.Ihm war jetzt aufgegeben, daß er sah, wie er wieder zu Kapitalkräften kam. Zum Teufel, immerhin hatte er Respekt und Furcht kennen gelernt; das wollte er nicht noch einmal mitmachen. Lieber sollte Angst fortan von ihm ausgehen, als wieder von andern zu ihm kommen.Man mußte da noch genauer nachdenken, wie man sich zu benehmen hatte als Pandur und Schubiack. Da waren Bauern. Da waren Weiber. Da waren Juden.Richtig, die Juden. „Herrgott, der Witz ischt mir doch schon ganz pandurisch eingeschtellt,“ sagte er. „Man muß jetzt aufbrechen wie ein Wolf vom Lager. Und auf Ungarisch schwören muß man, daß es einen selber darunter friert. Ach was, Vater und Mutter! Die Zeit ischt gekommen, daß man Vater und Mutter in den Wind schlagt. Ich habe einen Schreck in den Kopf bekommen; der muß wieder heraus. Davon laufen die vielen Narren herum, die es hat heute; sie sind erschreckt worden und haben es in sich sitzen lassen; das hat sie vom lieben Verschtand gebracht. Ich will nicht vom Verschtand kommen. Der Mond ischt auch ein Schreck“, erkannte er weiter. „Die Nacht ischt ein Schreck. Genau genommen ischt man selber ein Schreck.[]23Man muß schreien und jodeln, daß einem nicht die Haare zu Berg schtehen vor Angscht. Aber außerdem hat man einen Säbel. Ischt der vielleicht nicht gewöhnt, Blut zu saufen?“ Er riß ihn erregt aus der Scheide und fing an um sich zu fechten. Er rief Ha!und He! Er schalt und warnte. Seine Intelligenz hatte sich in der Tat ein wenig verwirrt unter der Elementarfurcht des ausgesetzten Daseins, die heute über ihm erschienen war. Er trat vor die Tür der Scheune und spuckte nach dem Mond. Er sprang nach seinem Schatten. Es waren Bubenstücke; die Kindheit wurde ihm wieder lebendig unter den Erschütterungen der Stunde. Er fantasierte und tat sich um, daß der Dampf von ihm zum Mond aufstieg. Er führte ein längeres zärtliches Gespräth mit seiner Mutter; dann besann er sich, daß man die Mutter in den Wind schlagen müsse. Er tat es, und drückte sich mit einem verlegenen, unbußfertigen Lausejungenlächeln wieder in seine Scheune. Er zog das Tor herbei und schob es zu, wobei er frech und lumpig durch die Zähne pfiff.Er rüttelte und klapperte noch eine Viertelstunde eigensinnig von innen daran herum, daß es gespenstisch über den mondbeschienenen öden Platz und den Brandruinen nach die ausgestorbene Straße hinaufdröhnte. Den Rest der Nacht füllte er drinnen in der Finsternis mit einem versunkenen Singsang, der weiß Gott aus was für Fernen und Tiefen heraufkam. Nur manchmal schlug er in ein schnoddriges und zähneklapperndes Pandurengeschnatter um, und dann mochte sich weit und breit kein guter Geist antreffen lassen.[20]Gegen Morgen trat er aus der Scheune hervor und hielt Konferenz mit sich. Er konstatierte, daß er der einzige anständige Charakter sei in diesem Land; alles andere stellte sich dar als Narren, Pfaffen und Buschklepper, und der Rest als Krüppel und Blinde. Herr in den Gemarkungen war die starke Faust. Gutwillig zu haben war nichts. Es ergab eine greuelvolle Wirtschaft bei näherem Zusehen, aber man konnte sich umtun darin. Draußen im Frieden konnte man sich nicht umtun, da stieß ein Ellbogen an den andern. „Pandur,geh hin und marodiere.“ Mehr oder weniger natürlich;nach weiser Wahl. Nicht zu vergessen: ohne Geld ging bei Gott und dem Teufel nichts zu machen. Magermann, die Armut, zu Griechisch Laßdichbegraben. Wenn man einen einzigen reichen Juden schröpfen konnte, so ließ sich gleich mit allerhand Herren reden. „Pah, die Menschen sind ja ein elendes Pack,“ sagte er laut und überzeugt. Schpuck aus, meine Seele. Wie sie sich durch die Tage schtehlen, nicht! Wer verdient denn sein Leben?Aber wer will etwas für die Menschen? Um das Land geht der Eifer des Herrn. Herrgott, man treibt irgendwo einen grünen Flecken heraus, und er verbreitet sich über das ganze graue Elend, wie sich ein OÖlfleck verbreitet.Man wird ein Fürscht des Lichtes mitten im Reich der Finschternis. Man wird ein Baron an Hab und Gut, an Häusern, Feldern, Bäumen, Pferden, Ochsen und Schafen.Man kann sich wahrhaftig vor dem Kaiser sehen lassen.Ein ganzes Dorf kann man sich hier unter die Hand bringen. Man läßt sich beizeiten Patente ausfertigen.Der Kaiser muß das tun; er hat nur froh zu sein, wenn [30]man sich für seinen Frieden bemüht, daß er grün wird.Aber die Pandurenjacke, die ich da anhabe, schpannt nicht wenig über die Schultern. Was so ein Pandur für ein elendes Kerlchen ischt. Da bringe ich ein anderes Ansehen vor. Ruodi, du Bote Gottes, fürchte dich nicht; schtehe auf.“ Er schaute mit einem gewissen freundlichen Mißtrauen an sich herunter, weil er sich immerhin noch nicht gewöhnt war in diesem Aufzug. Er sah vielleicht nicht schön aus als Bote Gottes, jedoch kriegerisch, gefährlich, gewissermaßen schrecklich. Wahrscheinlich hatte ihm Gott auch ein neues Herz gegeben; das mußte sich dann ausweisen.Plötzlich erschrak er und horchte auf. Waren das nicht Menschenstimmen gewesen? Jawohl, man schwatzte und lachte. Wie lange hätte er nicht mehr schwatzen und lachen gehört! Sie kamen die Straße herunter; es schienen lauter Männer zu sein. Jetzt unterschied er auch Tritte.Und man mauschelte; es trieben Juden dazwischen, vielleicht Handelsjuden mit gefüllten Geldkatzen. Aber er konnte vorderhand keine Menschen sehen; es war ihm vollständig unmöglich; das Herz klopfte ihm zu heftig dafür. Er schob sich in die Scheune zurück und ließ die profane Gesellschaft passieren. Er stellte aus seinem Hintergrund fest, daß die Kalkulation mit den Juden stimmte; sie zogen dahin, wohlbetan mit Gütern und Pferden, und von einer Handvoll Soldaten begleitet; sie sahen sich vor. Ein Soldat streifte ihm ganz nah am offenen Tor vorbei. Er bemerkte ihn nicht, obwohl er mit großen Amselaugen hineinguckte;Ruodi hob sich zu wenig von der Mauer ab. Denen [] 31 konnten nun die vier Buschklepper nichts anhaben; aber wenn keine Soldaten mitmarschierten, so sagte ein herzhafter Kerl der ganzen Schule auf.

Als der Zug vorbei war, trat der Bote Gottes aus der Schweiz wieder an den Tag hervor. Jetzt fing er an mit dem neuen Leben. „Pandur, geh hin und X den Schnurrbart. Er spähte noch einmal besorgt die Straße hinauf und hinunter, ob nun auch die Luft wirklich rein sei. Darauf legte er die Hand an den Säbelgriff, und setzte sich entschlossen in Gang. Er begann seine neue Laufbahn damit, daß er das Marodöreisen nach einem Hasen warf, der vor ihm aufsprang,ihn verfehlte und daraus einen Begriff von der Schwierigkeit der Berufung ableitete. Gegen Mittag kam er mit knurrendem Magen an eine Hütte, die einzeln an der Straße stand und irgendwie bewohnt schien, fing, ohne viel dabei zu denken, ein Huhn ab, das sich dort einsam herumtrieb, kriegte zwei weissagende Kerle hinter sich, die ihn für die Arbeit mit Knütteln auszahlen wollten, nahm Reißaus so viel er konnte, gewann den Wald, merkte, daß er für diesmal mit heiler Haut davongekommen war, machte ein kleines Feuer, briet das Huhn ein bißchen daran unter ständiger Kriegsbereitschaft und bei gezogenem Säbel, und verzehrte es halbgebraten und gedankenvoll. Darauf verlor er sich unauffällig, aber vielbedeutend zwischen den grauen Waldbäumen.[]

Drittes Kapitel

ie Jahreszeit war so weit gediehen über den D Feldern eines bestimmten thüringischen Landstriches, daß die Sonne dort die ersten Mäuse aus dem Boden herauslockte. Eine Anzahl kenntnisreicher Hauskatzen, die davon durch einen unternehmenden Lebenslauf Erfahrung besaßen, hatten ihre Winterlager verlassen und sich der offenen Jagd zugewandt. Sie waren von jener bewährten graugestreiften Grund und Hauptrasse und ihrer temperamentvollen rotgestreiften Vetterschaft, alle durchaus direkte Linie und nur echter Same.

Kaiserliche und schwedische Kriegsvölker hatten den Bauern hier wie anderwärts die Pflüge verwitwet und die Ställe verwaist. Zum Beschluß waren die Kroaten erschienen, hatten die letzten Hühner und die allerletzte Gans aus der Dorfgasse aufgetrieben, und dafür der Bauernschaft rote Hähne auf die Dächer gesetzt, soviel Häuser da waren. Als die Bauern der Reihe nach den Verlust erkannt hatten, sahen sie, was zu tun sei.Die junge Mannschaft und mancher geplagte Hausvater damit, dem die Gelegenheit zu hübsch schien, um einen leeren Sack abzugeben, bekannten sich zu den vier Winden und wurden darinnen kaiserlich oder schwedisch,wie es sich gerade traf. Das übrige schlug sich in die Wälder und verlängerte den Arm. In den Dörfern blieb nur noch ein bißchen Zähneklappern und die äußerste arme Rechtschaffenheit, hauste so zwischen den Trümmern weiter, zog sich langsam wieder etwas wie [33]ein Dach über die Ohren, und riß seinen Pflug am Strick über der Schulter, Mann bei Weib und die Mutter hinten an den Hörnern, selber durch den Acker;aber die Furchen waren wie die Zeit, und im Sommer führte der Teufel gewöhnlich ein Fähnchen Halsabschneider des Weges, das den Segen einheimste.Jedoch Ratten und Mäuse waren trefflich weiter gekommen, und die Katzen auch. übrigens hatten die Hunde ebenfalls das Möglichste getan und unter Beiseitesetzung aller Voreingenommenheiten mit sämtlichen Samen über alle Linien eine angepaßte Köterform von wirklich genügender Lümmelhaftigkeit und Häßlichkeit geschaffen, zwar nicht von dem sieghaften Zahlenreichtum der Katzen, aber ausgiebig genug, um zu jeder Tagesstunde jedes Revier diesseits und jenseits des Baches unsicher machen zu können. Andererseits hatte man sich aufeinander eingerichtet. Wenn die Katzen das linke Bachufer räumten, so merkten die Köter, daß es vorteilhafter war, drüben zu jagen, und zogen nach.Und wenn die Hunde die Nasen in die Luft hoben und Laut gaben, so wußten die Katzen, daß es Zeit sei,sich in Sicherheit zu bringen. Dann erschien irgendeine Mordbrennerpatrouille zwischen den schwarzen Feuerstätten, und von den dummen Kötern hatten wieder ein paar ans Messer zu glauben. Wenn alles geschehen war, so fand man nichts mehr von ihnen, als die Ohren und die Schwänze und allenfalls ein paar Knochen.Das war der allgemeine Sachverhalt. Der besondere bestand darin, daß am Morgen des fünfzehnten Tages jener gewissen fortgeschrittenen Jahreszeit, der

Schaffner, Der Bote Gottes []ein Ostermontag war, als eben die siebente Maus gefangen wurde im Revier jenseits des Baches, ein rotgestreifter Kater mit allem Ansehen von heftigem Verdruß aus einem Gebüsch herausschoß, nach einigen wütenden Sätzen sich in der Luft Kopf über Pfoten herumriß und plötzlich in direkt entgegengesetzter Richtung mit Gewitterbuckel und aufgesetztem Steilschwanz bocksteif auf seinen vier Beinen dastand. Sofort kam aus demselben Gebüsch der struppige Breitschädel eines schwarzen Köters zum Vorschein mit blaufunkelnden Augen und eifrig seitwärts herausgestellten Schweineohren, und vorne hing ein ellenlanger mordsvergnügter roter Zungenlappen an den Tag. Das Ganze machte einen Sprung und fuhr stürmisch und unbedenklich auf das hoch und tiefgefaßte Zeichen der Abgeneigtheit los,hörte fauchen, empfing einen Krallenhieb über die Schnauze, quiekte ein wenig, nahm es aber nicht übel,und rannte im nächsten Augenblick ganz fröhlich den Kater auf seiner Position über den Haufen. Wie er sich jedoch erst recht darüber her machen wollte, war der Kater wieder auf und wie ein Wetter von neuem zwischen die Büsche hinein; der Köter sah eben noch den Feuerstrudel seines Schweifes hinter ihm her verschwinden, besann sich einen Moment, kam mit einem Kälbersatz wieder in Schwung, und warf sich durch dasselbe Loch ins Gebüsch, schwarz, borstig und ungeschlacht und beinahe schwanzlos; der Schwanz war ihm gleichsam quer unter die Nase gerückt als Quadratschnauze und Schnurrwisch. Wo er durchschütterte, schwankte das Gebüsch. Ein erregter brauner Strom bezeichnete [35]seinen Weg hinter ihm her. Es spritzte nur so von Katzen aus dem Randgestrüpp. Einen Augenblick lang wurde es still. Darauf verlautete ein durchdringendes Fauchen und Katerknurren, ein zornmütiger und gewissermaßen eiliger Kehlschrei voller Mitternachtsheldentum, und dicht hinterher ein vollstimmiges Hundsgeheul, das für einen weiten Hals zeugte und nebenher für bedeutende Verlegenheit. Schließlich konnte man den Köter in der pressantesten Gangart über das Feld dem Dorf Wullenhausen zu rennen sehen; aber damit war es nicht getan; der Kater saß ihm reitgerecht ohne Sattel auf dem Genick, hatte sich mit den Krallen von drei Pfoten solid darin verankert, und mit der vierten putzte er ihm nun so obenherein fleißig den dicken Schädel und die hübschen Schweineohren. Der schwarze Lümmel sang wie ein Engel im Himmel. Er reckte den Hals, so lang er konnte, damit er die Nase aus dem Gefecht behielt, netzte den Boden mit dem Regenwetter seiner Angst, und lief mit festgeschlossenen Augen immer dem Geruch nach übers ebene Feld weg dem Dorf zu.Wenn der Belagerungskrieg nicht fast alle Bäume gefressen hätte, so möchte sich der Kater unterwegs nach einem andern Unterkommen absentiert haben; so mußte es vorderhand bei der Einrichtung bleiben, und die Jagd ging ohne Aufenthalt den Rain hinunter, durch den Dorfbach hindurch, drüben wieder hinauf, vor dem Dorf links über einen frischbestellten Acker, über ein Stück Heide mit vier weidenden Schafen darauf, an einem schüchternen Saatfeld entlang, und schließlich in eine halbverbrannte Hofstatt hinein, wo sich eine ganze [36]Kleinkinderschule halbnackt auf dem Boden herumwälzte,und von der ein Rudel junger Hunde dem anstürmenden Abenteuer kläffend entgegenfuhr. Es waren auch Katzen dagewesen, die hatten sich beiseite gemacht, weil sie dachten, es komme sonst was Ungutes des Weges.Nun brachte sich aber der reitende Kater nicht schnell genug in Sicherheit, weil er sich mit den Krallen zu fest im Halsfleisch des Köters verhakt hatte, und augenblicks war die ganze Meute über ihm. Es gab einen gräßlichen Spektakel. Der Kater fuhr wie der leibhafte rote Teufel unter den schwarzen Taugenichtsen herum.Die Rangen machten sich auch über das Vergnügen her und gaben ihm erst den rechten Geschmack. Und zu guter Letzt kam die Magd Ehristine mit dem Besen aus der Haustüre gelaufen und begann frisch dreinzuschlagen, sobald sie etwas erreichen konnte, daß Kater,Kind und Köter auseinander stoben wie geblasen. Sie hatte auch eine Frage an das Intelligentere davon:

„Nennt ihr das Schafe hüten, ihr Bande? Nennt ihr das Schafe hüten?“

Aber sie hatten gar keinen Versuch gemacht, das so zu nennen; sondern weil der schwanzlose Tunichtgut vom Feld angelaufen gekommen war, hatte man das Kreuz gebläut gekriegt, und so war's gut. Das heißt, die Magd Christine war damit nicht zufrieden, und ihr kam überhaupt nichts gut vor. Als der Bauer aus der Stalltür trat und fragte, was es denn gebe, sagte sie,Kreuz und Leid gebe es, und wenn man das Schafe hüten heiße, so solle der Bauer noch das Haus anzünden, so brauche man auch darauf nicht mehr auf[]zupassen. Oder ob nicht die Wälder voll Raubgesindel steckten? Aber ein ganzes Rudel Schlinghälse von anderer Leute Tisch im Quartier haben und dafür nicht einmal seiner paar Schafe auf dem Feld sicher sein, scheine ihr bei Gott ein liederliches Geschäft.

Der Bauer wischte sich die Nase mit dem Handrücken und strich friedfertig damit an der Hose herunter.Auf Mauern und Zäunen saßen wohlgeborgen und klug die besprochenen Hofkatzen, grau und rotgestreift nach ihrem Vermögen, und sahen ihm zu. In jedem Winkel hockte ein schwarzer Köter und lauerte mit blauglühenden Augen auf den Ausgang der Unterredung. Aber die lumpige Kleinkinderschule drückte sich an den Mauern hin nach dem verfallenen Hoftor, um das Freie zu gewinnen; fünf, sechs Hunde juckten aus ihren Löchern hervor und rannten ihnen eifrig voraus; nur die beiden Kleinsten, ein Hemdenmatz und ein Daumenlutscher,machten sich zum Bauern und fingen an zu weinen,sobald sie in seiner Greifnähe waren.

„Geschäft,“ antwortete der Bauer seiner Magd und sah sie besorgt an: „Geschäft ist das ja keins, Christine.“

Eigentlich hatte er schon ausgeredet, aber er fügte noch etwas hinzu, indem er die beiden Schreimätze zu sich zog und ihnen gedankenvoll die Köpfe kraute:

„Ich weiß auch nicht, warum du das Haus anstecken willst, Christine. Raubwesen hat's jetzt überall vom Krieg her. Man muß nicht Angst haben davor.Denn wieso? Gott wird's machen.“

Der Bauer war jetzt sechsunddreißig Jahre alt, und es hatte all sein Leben noch keiner von ihm gesagt, er [] 38 sei ein hübscher Junge. Die Form mußte wohl in der Luft liegen: er sah am Kopf den Kötern ähnlich, die den Katzen das Leben sauer machten und über jedem Spaß die Schafe im Stich ließen, jedoch unter dem schwarzen Haarpelz kam eine Stirne von fast jüngferlicher Weiße zum Vorschein, die der längste Sommer nicht bräunte, und blickten ein paar Augen hervor,die waren zeitlos und blau vor Güte, und machten mit der Schläfe, die nicht ganz so frei geworden war,wie es der gute Wille dahinter wohl wünschte, ein Bild schwermütigen Vertrauens und ratloser Liebe aus.Er war Witwer. Von den Kindern gehörten vier der kleineren ihm. Die andern hatte man ihm zum Teil im Verlauf der übelzeit sozusagen zum überwintern gebracht, zum Teil waren sie ihm zugelaufen wie junge Hunde. Nun hungerte er sich so durch mit ihnen, wie es gehen wollte, hoffte im Winter auf den Sommer und im magern Herbst auf das Frühjahr, und verließ sich in allen Dingen zumeist auf Gott, der noch ein ganz anderer Vater war, als er mit seinen Zwölfen.Außer ihm und seinem kleinen Volk befand sich kein Mensch mehr im Dorf.

Die Magd Christine war nicht zufrieden mit der Antwort des Bauern. Sie runzelte die Stirn und sagte,das sei Gerede für kleine Kinder. Dann ärgerte sie sich und fügte die Frage hinzu, warum denn Gott da nicht das deutsche Land besser gehütet habe? Oder ob die Deutschen bloß zum Prügeln da seien? Und schließlich wurde sie richtig zornig und legte los.

„Ich will dir sagen, was Gott machen wird. Daß [39]du hier verkommst und am Ende verhungerst mit deinem Betrieb; das wird er machen. Du bist kein Mann;daß dir ein Bart ums Maul wächst, beweist gar nichts;es gibt genug Weiber mit Bärten. Du hast deine Kinder selber zur Welt gebracht, Gott weiß wie, und wenn du fremde siehst, so ist es dein Magenweh, daß du sie nicht auffressen und von dir aus noch einmal in die Gegend setzen kannst. Gib mir deine Hosen nur acht Tage, und wundere dich in meinen Röcken, wie ich dir die Schnörkelbande vom Hof fege.“

Der Bauer lachte.

„Was haben sie dir wieder zuleid getan, Christine?“fragte er und freute sich. Man sah wohl, daß er dem Mädchen Christine nicht im mindesten übel gesinnt war,und daß es ihm sogar sehr gut gefiel; aber Christine mußte sich mit Kindern, Kötern und Katzen herumschlagen.

„Zuleid getan?“ grollte sie, durch Beschämung etwas gesänftigt; denn immerhin hatte sie den Respekt vergessen. „Die Schafmilch ausgesoffen haben sie mir wieder. Wovon soll ich dir jetzt Schafkäse machen?“Es war etwas Schönes um Schafkäse, wußte der Bauer. Doch gab es keine Ursache, sich um den Trost zu bringen, wenn sie die Milch ausgesoffen hatten.Außerdem war die Frage, wer es getan hatte.

„Wer hat sie denn ausgesoffen, Christine?“

Wenn der Bauer meinte, Christine eifere um die Milch, so irrte er sich. Sie meinte den Zustand.[] 40„Hab' ich zugesehen?“ erwiderte sie grämlich und schielte ein bißchen. „Die Hunde, die Katzen. Die fremden Schlinghälse. Du hältst dir Kreatur, damit sie dir die Milch wegsäuft. Das ist deine Sache. Aber es ist kein Winkel im Haus, der nicht Krallen hat. Es ist kein Pflanzfleck im Garten, der nicht Tag und Nacht bellt,statt zu wachsen. Ich muß mit den fremden Schlinghälsen aus dem Kübel essen, weil sie mir das Geschirr zerschlagen und verschleppt haben. Das ist meine Sache,und sie gefällt mir nicht mehr.“

Der Bauer freute sich weiter.

„Iß mit mir aus meinem Teller, Christine,“ schlug er wohlmeinend vor.

Die Magd antwortete mit einem geärgerten Blick unten herauf. Sie faßte sich in der Tiefe und kam zum Schlußsatz.

„Nein. Es ist mir alles verleidet.“ Ihre Stimme klang nun müde und lustlos. „Entweder der Betrieb geht, oder ich geh'. Ich begehre nicht mehr der Narr zu sein, der in den Wind predigt. Mache, was du willst, das ist mein neuer Glaube. Ich meine nicht,daß ich just ein Ketzer sei damit.“ Sie zog die Augen von ihm ab, ließ sie mit einem dunkel gequälten Ausdruck den Brandmauern entlang streifen, die den Hof zum größten Teil ausmachten, schaute weiter um sich und seufzte. „Der Hof sieht wieder aus,“ beschloß sie und ließ unmutig die Arme hängen.

Indem hatte sich der Bauer aufmerkend über einen der beiden blonden Kinderköpfe gebeugt, und auch eine Beobachtung gemacht.[41]„Gott hält uns in Atem, Christin,“ antwortete er der Magd. „Er gibt auch gute Luft dazu. Laß es dann unten aussehen; dem ist abzuhelfen. Weißt du was,Franzel, wir wollen mal zur Tante gehen miteinander.Das Kind hat nämlich Läus. Die Ketzern können sich so gut verstecken im blonden Haar.“

Er führte ihr den besagten Franzel zu. Sie nahm ihn wort und hoffnungslos, doch nicht ohne Zartheit von seiner Hand, und ging willig mit ihm zur Feierabendbank, die vor dem Haus stand. Das machte ihre sittliche Persönlichkeit aus: sie war die erklärte Hand Gottes, wie der Bauer das Herz; was darunter kam,das wurde unweigerlich vollbracht; aber nachher räsonierte sie unter Umständen. Diesmal freilich sah sie sich ins oolle Licht der erbarmungsvollen Zustimmung gesetzt,weil der Franzel das leibhafte jüngste Kind des Bauern war. Und so wurde auch über seinem verwilderten Schopf für diesmal Frieden geschlossen. Dafür schob sich der Bauer nach dem Stall, brachte einen Reisigbesen heraus, spuckte einsichtig in die Hände und begann den Hof zu wischen.

Er war nur gerade mit einem Zipfel in die erste Reinlichkeit gediehen, so gab es, wieder vom Feld her,einen neuen Aufstand. Die Hunde draußen heulten und wüteten, und die Kinder schrien wie vor dem Räuber.Augenblicks schossen alle zurückgebliebenen Köter begeistert über den Hof und aus dem Tor, und die Katzen verschwanden von Zaun und Mauer nach ihren Sicherheiten. Dann kamen zwei Schafe gerannt, angeführt von dem schwanzlosen Tunichtgut, der jetzt von Blut [] 42 troff, und von der ganzen Meute aufgeregt umkläfft.Auch die Kinder trabten an und brachten den Bescheid,daß die Wölfe die beiden anderen Schafe zerrissen hätten;sie seien gerade mit den Hunden dazu gekommen. Die Hunde hätten sich über die Wolfe hergemacht und einen totgebissen; von den Hunden seien zwei liegen geblieben,und einer komme noch nachgehinkt. Der ohne Schwanz habe den Wolf abgetan; drum sei er so blutig. Er schien auch zu wissen, daß er ein Benefiz verdient hatte.Er kam vor den Bauern angetänzelt wie Salome vor den König Herodes, schnaubte und prustete und wackelte mit der hinteren Persönlichkeit, daß es ihn fast umriß,weil er doch keinen nennenswerten Schwanz zum Wedeln hatte, und schließlich, da der Bauer so gar kein Zeichen gab, sprang er an ihm hoch und fuhr ihm mit der ganzen Zungenbreite durch den Bart. Darauf wälzte er sich, blutnaß wie er war, auf der Staub und Kehrichtwelle, die der Bauer zusammengewischt hatte, schoß zwischen den Kinderhaufen hinein, riß zwei Mädchen von den Füßen, und rannte auf Christine los, der er in aller Freude seine feuchte Nase ins Gesicht stieß, daß sie scheltend auffuhr und ihm mit einer Backpfeife gleich eine Menge Mäßigung und Selbständigkeit beibrachte. Sie wollte ihn auch am Schopf packen und in aller Tüchtigkeit durchprügeln vor lauter Leid um die beiden Schafe, mußte aber ihre Aufmerksamkeit dem Bauern zuwenden. Der Bauer lachte. Es tönte wie Herdengebrüll, daß gleich der ganze Hof voll war von seiner Stimme. Er krümmte den Rücken und stützte die Hände auf die Knie. Er hatte blaue Adern an den [43]Schläfen vor Gründlichkeit seines Vergnügens, und aus seinem schwarzen Bart heraus schallte es immerfort:

„Ho, ho, ho, ist das auch eine Antwort für einen Hund, ho, ho? Eine Maulschelle? Stummel, komm her. Komm her, sag' ich. So. Sei mal, ho, vernünftig mit Gottes Hilfe. Du weißt doch jetzt Bescheid. Wir verstehen uns mal verständlich zu machen, ho, ho, ho!Hast dem Wolf auch das Landesgesetz ausgelegt. Ja,ja, die armen Schäfchen, Stummel. Aber die weiden jetzt schon im grünen Paradies. Haben ja noch zwei,und das eine macht nächstens Junge, dann sind's wieder sechs oder sieben. Heda, haben denn die Waölf' alles aufgefressen? Ist nicht etwas übrig geblieben von den Schafen?“„Doch,“ schrien die Buben. „Sie haben sie nur angebissen. Nachher liefen sie doch davon.“

„Ha, wollt ihr wohl lange Beine machen, ihr Unkräuter, und das schöne Fleisch heim holen, bevor die Racker wieder kommen? Ist denn das eine Haushaltung,einen Osterbraten auf dem Feld liegen zu lassen? Nehmt die Hunde mit. Und Stecken. Immer auf die Nasen,wenn sie kommen; dort hat sie Gott empfindlich gemacht. Hopp, hopp!“

Die Bande fuhr mit Kriegsgetümmel ab, worauf es wieder still wurde in der Hofstadt. Die Ostersonne schien. Es war eine Fülle Auferstehung im Licht, wenn es die Glocken auch nicht beläuten konnten, weil man sie gestohlen und den Krieg damit bezahlt hatte. Der Schatten von zwei wandernden Sktörchen ging über den Hof. Der Bauer sah auf und es kam ihm vor, als [44]sei die Friedenstaube Noahs das reine Raubvögelchen gewesen gegen diese leuchtende Verheißung. Sie machten ihm die Welt gleich so friedlich, als ob es weit und breit keine Wölfe gäbe. Er griff wieder zum Besen und hatte ihn schon angesetzt, da erinnerte er sich an die Hundsohrfeige und sah auf, was seine Christine jetzt wohl für ein Gesicht machte. Er hatte eigentlich noch einmal lachen wollen; was er jedoch sah, kam ihm bedenklich vor, und er ließ es. Christine saß da mit dem Kind zwischen den Knien und mit dem Gesicht über ihren Händen, und weinte. Die Tränen liefen ihr schlank und hurtig über die rechtschaffenen Wangen herunter, und fielen auf Franzels blonden Kopf zwischen die kleinen Läuse hinein, die es dort hatte. Der Bauer trat besorgt näher.

„Christine, sag' mal, siehst denn du etwas auf die Art?“

Christine schüttelte den Kopf. Nein, sie sah gar nichts. Aber sie nahm sich zusammen, wischte sich mit dem AÄrmel einmal über die Augen, und sah gleich wieder eine Menge. Der Bauer nickte.

„Wenn wir die Hunde nicht gehabt hätten, kein Schwanz wär' uns lebendig in den Stall zurück gekommen.“

Die Magd schnaubte sich die Nase mit dem Schürzenzipfel, weil ihr Augenwasser darein gekommen war.

„Und die Katzen, Daniel,“ erwiderte sie mit dem tiefsinnigen und maßvollen Spott des Trauernden.

Daniels Augen leuchteten auf, erstlich weil er an sein Vorbild dachte, an den großen Vater im Himmel,[45]und dann, weil er etwas von ihrer Seele gespürt hatte,die jetzt weinte; das gefiel ihm.

„Christine, die Katzen, die hat Gott auch geschaffen.Und er hat sie noch besonders lieb, sonst hätt' er sie nicht so artlich gemacht, daß jedermann seine Freude dran haben muß. Soll man denn nun mit dem Totschläger zwischen sein Vergnügen hinein fahren? Wie würde man dann dastehen vor ihm am jüngsten Tag?“

Christine verhärtete sich.

„Er hat die Wölfe geschaffen wie die Katzen,“ sagte sie, nicht mehr so traurig wie vorhin, „und hätte es nicht getan, wenn es ihn nicht was Rechtes dünkte.Die schlägt man tot, wo man sie findet; du hast die Jungens mit Knüppeln gegen sie geschickt.“

Der Bauer guckte wieder besorgt drein.

„Ich hab' noch keinen Wolf totgeschlagen, Christine,“rechtfertigte er sich. „Will es auch nie tun, weil sie Gottes Geschöpfe sind, ha ja. Und die Buben sind zu schwach dazu. Sie können ihnen nur auf die Nasen geben, das vertragen sie nicht.“

Das Mädchen Christine faßte sich mit einer Hand in Franzels Schopf fest, daß ihm die Augen übergingen.Sie saß jetzt ganz strack und richterlich da in ihrem düsteren Ansehen.

„Aber die Schafe schlachtest du ab, sobald dir die Zähne nach Schaffleisch stehen. Hat die der Teufel gemacht?“

Das schlug ein. Der Bauer hatte die Zunge im Mund und wußte seiner Seele auf einmal keinen Rat mehr. Seine Ohren waren voll Todesgeschrei und [46]Lämmerblöken, vor seinen Augen wurde es rot vor lauter Schafsblut, das er vergossen hatte, und darüber stieg weit und breit das blaue Engelsleid seiner Reue auf.

„Ha ja, du hast schon recht, Christine,“ bekannte er. „Das muß man das arme Vieh muß man auch leben lassen. Es freut sich doch so und hüpft in seinem grünen Gras, das ihm Gott wachsen läßt. Ich glaub'auch wohl, daß er uns Fleisch schickt, wenn wir Fleisch haben sollen. Wir haben ja die Wolle und die Milch,Christine.“

Diesmal war das Mundaufsperren an Christine;nur wurde es ihr nicht rot vor den Augen dabei, sondern schwarz. Freilich dauerte sie die Schafskreatur, wenn man ihr den Hals abschnitt wie einer schlechten Rübe;doch das mußte nun einmal so sein, weil es zur Ordnung gehörte; wie durfte man da sagen: man muß das Vieh leben lassen? Was gab dann das für ein Bauernwesen? Ihre Seele schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie starrte den Bauern an mit dem tiefbegründeten Grauen des Normalmenschen vor dem Genie.War er nun unter die Heiligen gegangen oder unter die Narren? Man konnte nachgerade nicht mehr an seinen Witz denken, ohne daß einem ein Knoten in die Luftröhre geknüpft wurde. Herrgott im Himmel, war das eine Not mit einem Menschen, der nichts wollte,als nur gut sein, und der vor lauter Augen für die Kreatur keine für das Mühehaben des Nebenmenschen erübrigte![]

Viertes Kapitel

Ondessen wurde für diese Verlegenheit auch heute J kein Entscheid gefunden. Auf einmal stand der kleine Hemdenmatz, den man über den Verhandlungen ganz vergessen hatte, vor dem Bauern, krummbeinig,ungewaschen und ungeschneuzt, mit den schönsten roten Wangen, die man sich denken konnte, und oben heraus aus den blauen Augen von einer unsäglichen Zärtlichkeit des Ernstes. In den Händen hielt er einen Beutel oder Sack mit einem Inhalt, der dem Bauern gleich aufs erste Ansehen gewichtig und irgendwie ernsthaft vorkam. Er reckte verwundert seine behaarte Hand aus und nahm das Ding an sich. Oben war es mit einer Schnur zugebunden; als er die aufzog, zeigte es sich, daß der Sinn der Erscheinung in vierzig, fünfzig Goldstücken bestand nebst einer Anzahl Siegel und Schmuckringen, Spangen, Agraffen und sonstigen Köstlichkeiten, von denen er nicht einmal den Gebrauch ahnte.

„Schau, schau!“ machte er bedächtig. „Wo hast du das denn her, Mäusel? Ist mein Seel ein ganzer Schatz. Da guck mal, Christine.“

Er langte der Magd den Beutel hin und war nicht aufgeregter dabei, als wenn das Kind ein Etück Glimmerschiefer gebracht hätte. Er schien auch so wenig wie dieses einen Begriff von der Bedeutung des Geschenkes zu haben, das der Krieg ihm da in seinen Frieden hinein überreichte. Dafür war Christine jetzt ganz auf dem Laufenden. Ihr ging ein richtiges [48]Morgenrot auf aus dem Gold, in dem sie alles erblickte,was nach ihrer Meinung ein Bauernherz begehren konnte,einen neuen Hof mit einer hohen Mauer darum, zehn braune Kühe, drei Pferde, Schimmel oder Füchse, einen Schweinekoben, einen Hühnerhof und Feldeigentum, so weit das Auge sah. Sie hielt den Beutel am Hals gepackt wie einen erwischten Spitzbuben, und staunte darüber hell und großäugig in den Tag hinein, als ob sie weissagen wollte. Die hübschen Versenkungen hinter ihren Wangen von den Schläfen abwärts, die so eigensinnig immer von Ordnung und Rechtschaffenheit aussagten, färbten sich langsam tiefer unter einer lebhaft empfundenen Innigkeit, während ihr Mund sich mit einem Zug hoffnungsvoller Genugtuung fast neckisch zusammenzog, als wollte sie sagen: „Das geschieht ihm jetzt schon recht.“ So umgänglich konnte Christine in einem guten Moment aussehen.

„Jetzt kannst du machen was du willst im Land,Daniel,“ sagte sie. Sie sah mit Respekt und Bewunderung zu ihm auf, als hätte er schon alles ausgeführt und noch viel mehr, als sie in der Eile überschlug. Aber er verstand kein Wort von ihrer Ansprache,so wenig es waren, antwortete völlig unberührt und nur etwas befremdet von ihrem Aussehen, daß man es halt weglegen müsse und warten, bis sich vielleicht jemand darum melde, und griff von neuem zum Besen,um die unterbrochene Arbeit fortzusetzen.

Der Bauer war ein Dickfeller und hatte seine eigene Freude in sich. Doch Christine stand im Leiden der Zeit wie ein poröser Baum, der sich langsam und sicher []mit dem Wasser der Trübsal vollsaugt, bis er darin ertrinkt. Hier hielt sie nun den Sonnengott in der Hand, der auf ihrem Fleck die ganze Sündflut in blauen Himmel und gute Zeit verwandeln konnte, und der Bauer erkannte ihn nicht; das üble Wesen sollte immer weiter dauern mit Katzen, Kötern, Kindern und Läusen, und dazu dem Raubzeug aus den Wäldern,das einem jetzt hungriger vor der Tür lag, als vorher der ganze Krieg.

„Was ist da zu warten,“ sagte sie unmutig. „Wo der Tod durchgegangen ist, gibt es nichts mehr zu warten.“

Er blickte auf. Sie verbreitete wieder Dunkelheit um sich; allein es fiel ihm weiter nichts ein dabei,weil er sie nicht anders kannte: Er war so ungeheuer stark in seinem selbstherrlichen und eigensinnigen Wohlwollen, daß er nicht einmal merkte, wie da jemand Tag für Tag mit ihm rang und dabei von der Gnade kam.„Ich weiß wahrhaftig nicht, was wir damit sollen,Christin,“ erwiderte er dringend. „Wem willst du hier Zähne abkaufen hinter dem Krieg her? In Gottes Hand hinein zählt man keine Golddukaten. Wir sind in Gottes Hand.“

Er bückte sich, hob einen Stein auf, schleuderte ihn über die Hofstatt hinweg ins Brandgemäuer, und tat noch ein paar Züge mit dem Besen. Inzwischen öffnete Christine das zweite Augenpaar ihrer tieferen Spekulation. Das Gut war immerhin auf den Hof gekommen. Es stand jetzt nur noch beim Wirken des Augenblicks, so wurde es auch Eigentum. Sie reichte Schaffner, Der Bote Gottes [50]den Beutel dem Hemdenmatz hin, der immer noch dabei stand:

„So bring' dem Vater den Sack wieder!“ Und indem sie die Stimme etwas erhob, fuhr sie zu diesem gewandt mit einem seltsamen blauen Licht in den Augen und fast wieder mit dem vorigen neckischen Mund ein Augenblick war doch etwas, das man unter Umständen herbeiführen konnte fort: „Laß ihn das Kind hintragen, wo es ihn gefunden hat,Daniel.“

Dem Bauern blieb der Besen stehen wie angeleimt.Das war noch einmal eine Idee! Kurzweg in Gottes Hand zurück kam jetzt das Ding.

„Ist wahr, Mäusel,“ sagte er zu dem Kind, das wieder mit dem glückhaften Beutel in den Händen zärtlich und ernsthaft zu ihm aufsah: „Trag den Verlust hin, wo du ihn her hast. Können nichts anfangen mit Verlust,ho, ho. Denn wieso? Das ist dem Herrgott seine Rechnung; wir wollen ihm nicht ins Handwerk pfuschen.“

Das Licht in Christines Augen erlosch. Nein, man konnte hier gar nichts herbeiführen; es juckte einen nur in den Händen nach Stecken und Stangen. Sie wußte in aller Hast nicht, sollte sie ihm jetzt mit einem Mauerbrecher über den verschlossenen Schädel kommen,sollte sie dem Kind nachlaufen und das Gut gleich unter ihre Bestimmung bringen, oder sollte sie den unbegreiflichen Schafskopf einfach seiner Seligkeit überlassen. Sie blickte dem Kind nach. Das bewegte sich auf seinen krummen Beinen mit dem Beutel im Arm quer über den Hof auf das Brandgemäuer zu, vor [51]dessen hoffnungsloser Trauer es sich in seiner unbewußten sonnigen Sieghaftigkeit freudig abhob. Es betrat in tiefem Gehorsam den Schatten, den die Sonne vom Gemäuer schräg herunter in die Hofstatt warf, ging still mit Kopf und Rumpf und allem Leuchten darin unter, und verlor sich durch eine stehengebliebene Tür zwischen den schwarzen Trümmern.

Für diese entschwundene Erscheinung trat unterm Hoftor eine neue auf. Wie das Mädchen Christine in der Unruhe ihres Herzens die Augen eben dahin wandte,sah sie aus dem dortigen Schatten zwei fremde Kinder in den Hof treten, einen Jungen von etwa elf Jahren,der ein siebenjähriges Mädchen an der Hand führte,beide halb verwildert und übel bekleidet, blond, blauäugig, ziemlich verhungert und barfuß, und das Mädchen hinkte und weinte. Der Ton des Weinens ließ auch den Bauern aufgucken. Der hatte kaum den Sachoerhalt erkannt, so wunderte er sich wieder. Er tat das,indem er seinen struppigen Kopf auf dem Hals vorreckte, wie wenn er besser sehen wollte, den Mund aufsperrte, das rechte Knie herausstieß und die halbgeöffnete rechte Hand mit dem Rücken dagegen schlug. Das zweite Stadium war ein stilles, inniges Lachen gegen Gott, das ihn von der kleinen Zehe bis unter den Haarwirbel füllte, weil der ihm nun wieder so ein Kroppzeug ins Garn geführt hatte. Es war die Art, die ihm am besten anstand von allen Arten, einen Verkehr mit Gott aufrecht zu erhalten. Es steckte für ihn so etwas darin, wie ein Existenzbeweis für beide Teile.

Die Kinder hatten ihren Vormarsch zum Stillstand [52]gebracht, weil sie jetzt, nachdem auch der Bauer sie ansah, nicht wußten, an wen sie sich wenden sollten. Das Mädchen weinte halblaut und hingegeben vor sich herunter, während der Knabe mißtrauisch und mit einem ängstlichen Zug von Trotzbereitschaft zwischen dem Bauern und der Magd hin und her sah. Das machte den Bauern lachen. Wenn ihm jemand nicht traute, so mußte er lachen. Mißtrauen wirkte auf seine Seele,wie der Reiz des Sonnenlichtes auf eine vorbereitete Frühlingswelt: sie blühte auf.

„Ha ja, paß mal gut auf, du, daß du nicht gefressen wirst. Schau her, was ich für ein Gebiß hab',häl Er bleckte seine Zähne aus dem schwarzen Bart heraus und knurrte dazu wie ein Bär. Dann nickte er dem Jungen lustig zu: „Weißt was? Komm mal her zu mir mit deiner Liebsten. Nimmt mich doch Wunder,warum sie heult. Und dann gibt's was zu essen; Schafbraten sogar. Denk mal. Wo kommst her, du?“

Der Junge zauderte noch einen Augenblick, dann faßte er das Mädchen fester bei der Hand, sagte:„Komm!“ und setzte sich in Gang mit ihr. Der Bauer kam ihm auf halbem Wege entgegen, und dann brauchte er weiter keine Zeremonien, um herauszukriegen, was er wissen wollte. Das Mädchen Christine hatte die Hände von dem Daumenlutscher sinken lassen, hielt sie neben sich um die Bankkante gekrampft, und horchte vorgeneigt mit einer Spannung, die erbärmlich und unruhig zu nennen war, auf die Entwicklung des Handels. Also die Kinder kamen aus dem Oberland. Ihr Haus war mit dem ganzen Dorf noch kurz vor dem []Friedensgeläut zugrunde gerichtet und verbrannt, die kranke Mutter im Feuer umgekommen, der Vater im Handgemeng erstochen, die Verwandtschaft verschollen,und das betrübte Pärchen mit diesen Gelegenheiten vom Tisch gefallen. Das alte Lied machte nachgerade keine Sensation mehr, außer daß es eben dazu gehörte, ein vorhandenes Mitleid zu bewegen.

„Freilich, freilich,“ sagte der Bauer. „Das ist schon ein Leiden geworden von wegen dem rechten Glauben.Aber jetzt ist Frieden.“ Er fuhr dem Jungen mit der Hand durch die Löwenmähne, die seinen Kopf zierte,beugte sich zu dem Mädchen herunter und hob ihm mit einem Finger das Kinn in die Höhe: „Oi, oi, was sind das für Sachen! Ich muß doch mal sprechen mit dir.Nämlich wie heißt du eigentlich? Oder haben dir die Schubiacke auch den Namen fortgeschleppt? Du heißt ja wahrscheinlich Kaspar, soviel ich sehen kann.“

Der Spaß tat die erwünschte Wirkung. Das Mädchen hörte auf zu weinen und hob entrüstet das Gesicht von den Händen.

„Nein, Marie heiß ich,“ antwortete es vorwurfsvoll;es betrachtete sich den Menschen nun genauer, der so dumm an sie herredete. Wie konnte sie Kaspar heißen?So war schnell die Gleichstellung eingerichtet, ohne die bei so jungen Jungfrauen nichts zu erreichen ist, wie der Bauer wohl wußte. Dann wurden die Füße besichtigt und die übrigen Tatbestände der Not festgestellt,und schließlich kam der Verlauf der Angelegenheit direkt auf das Mädchen Christine zu.

„So, so,“ schloß der Bauer das Verhör, halb gegen [54]sie gewendet: „Und dann geht das immer so weiter und kein Mensch weiß, was daraus wird.“ Sein gnadenreicher Kopf betrübte sich. Er fuhr den Kindern nacheinander mit der Hand über die Wangen, seufzte,und lachte gleich hinterher: „Jetzt haben wir halt wieder zwei neue Kinder bekommen, mit Gottes Hilfe. Geht mal zur Jungfer da und sagt Guten Tag, und sie soll euch ein Stück Brot geben zum Anfang. Gott walt's.“

Das war der Eigensinn seiner Liebe; er fragte keinen zuvor, ob er auch Gebrauch machen wolle davon, sondern maß jedem sein Stück an, wie es ihm vorkam, als könne er es brauchen. Er meinte, es sei alles arme Volk extra für ihn gemacht, daß er es in seinen Sack stecken könne. Und in die jüngste Barmherzigkeit war er immer besonders verliebt, bis wieder eine noch jüngere kam, und die vorige dem allgemeinen Zustand überwiesen wurde. Wenn es ihr da auch nicht schlecht ging, so war das doch die Rückenschwäche in seiner Beweisführung, die er freilich wie die kräftigen Wunder mit seinem lieben Gott gemein hatte.

Christine saß noch in der gleichen gespannten Haltung wie vorhin auf ihrem Platz, derweilen die Kinder gegen sie ankamen. Sie blickte ihnen entgegen wie einer Gefahr. Es mußte etwas in ihrer Erscheinung sein, das sie mit Gefühlen der Furcht erfüllte und mit einer angstvollen, unglücklichen Bereitschaft zu irgendeiner Tat oder Unternehmung, von der sich vorderhand noch kaum eine Ahnung in ihr regte. Sie hatte nichts dagegen, daß die Kinder ein Stück Brot haben sollten.Sie mochten sogar Schaffleisch mitessen. Aber dann [55]gab es einen Punkt, wo Entlastung eintreten mußte,und sie konnte diesmal nicht mit sich handeln lassen darüber. Die Kinder standen vor ihr, und der Daumenlutscher schaute bewundernd am Jungen empor. Christine wandte ihre Augen von ihnen weg nach dem Bauern.

„Daniel,“ redete sie ihn an, und ihr Ausdruck war ganz demütige Bitte: „Sie sollen auch über Nacht dableiben. Das Mädchen ist schlecht zu Fuß. Weil doch Ostern ist. Aber morgen müssen sie weiter, Daniel.“

Der Bauer erschrak gleich zweimal hintereinander.

„Gottswunder, Christine,“ machte er und fuhr sich an den Bart: „Wieso müssen sie weiter?“Sie nahm die Hände von der Bank fort und faltete sie auf den Knien. über der Demut ging ein Schein von Bekenntnis auf, in dem sie gleichsam erst ihre rechte Farbe zeigte; und da war es ein ernsthafter und schon weit gediehener Kummer. Die Bitte wuchs.

„Daniel, für wen siehst du mich an? Ich kann das nicht mehr, so für alle und für nichts. Was hat man davon? Du mußt dir da jemand anderen dazu nehmen;ich bin dann halt fertig.“

Der Bauer kam sich elend dumm vor unter dieser schwacherleuchteten Rede. Er tat einen Schritt gegen das Mädchen Christine.

„Meinst du, ich versteh da was davon,“ ersuchte er sie. „Mit was bist du fertig? Wozu soll ich mir jemand anderen nehmen, ha?“

Sie krümmte sich einmal hin und einmal her mit ihrem Leid. Die Vormüdigkeit der allzu oft gemachten []Erfahrung schlich ihr über die Wangen herunter: sie wußte ja genugsam, daß er nichts verstand von ihr.

„Ich bin nicht du. Ich hab' kein weites Herz. Ich bin da, daß ich dir dienen soll. Du bringst immer anderes auf dazwischen hinein. Das andere kümmert mich aber nicht. Es ist jetzt wieder Friede. Ich mache nicht so fort und verliere meinen guten Willen an deine Barmherzigkeit. Entweder ich arbeite hier auf dem Hof und auf dem Feld für dich, daß du wieder vorankommst in der guten Zeit, oder ich sehe, daß ich weiter finde.“

Der Bauer Daniel hatte einen Kopf, da konnte man mit keinem Hammer einen Nagel hineintreiben. Er begriff nach wie vor nichts.

„Ha ja,“ entgegnete er, „es ist hier nimmer so schön,seit die Schubiacke drüber gewesen sind. Ich glaub',du willst's halt besser haben. Was muß ich denn tun, ha?“

Christine stand mit einer Art von Hast auf, als ob er ihr schon alle Wünsche und noch drei darüber hinaus gutgesagt hätte.

„Daniel,“ bat sie mit fortgefalteten Händen und schielte wieder ein wenig: „Schaffe den Verdruß vom Hof, daß man anfangen kann, etwas vor sich zu bringen.Du bist es deinen Kindern schuldig; sie haben schon wenig genug Platz am Tisch; da kannst du nicht noch fremde dazu nehmen. Wir sind doch nur Bauern; was soll denn da der ganze Betrieb mit der unordentlichen Erbarmung?Wenn das Gott von dir gewollt hätte, so wärest du als ein reicher Junker zur Welt gekommen, oder er hätte einen Erzvater aus dir gemacht. überhebe dich auch nicht.“[57]Es gab Dinge, von denen Ehristine nichts verstand.Wen Gott hebt, der überhebt sich nicht. Daniel kam nicht bis zum Nachdenken über den Sinn der vernommenen Wortfolge; er sah und fühlte sich plötzlich in der Verklärung und Idealisation seiner selbst, die seinem guten Willen als Meinung innewohnte. Er tat mit seinem Besen noch einen Schritt gegen das Mädchen Christine, und offenbarte ihr nun den ganzen Reichtum seiner Güte in aller souveränen Pracht der Torheit, die ihre irdische Gestalt und Erscheinung ausmachte.

„Ich bin ein Erzvater,“ stellte er fest mit Andacht vor der Kraft, die ihn trug. „Du erkennst das nicht,weil du ein Weib bist und nur Schafkäse und Rüben im Kopf hast. Es kann dir aber geschehen, daß Gott dir über Nacht den Trotz aus den Fingern nimmt;dann wirst du mir vielleicht eine Gehilfin werden.“

Christines Hände lösten sich. Um ihren Mund, der so neckisch sein konnte, trat der öde Zug der Unzufriedenheit wieder hervor. Sie wandte sich mit einem viertelspöttischen Blick ab, um ins Haus zu gehen, und sagte dabei, was ihr die Situation eingab:

„Ich werde dir gar nichts werden.“

Sonst nichts. Sie verschwand in der Haustüre,ohne den Daumenlutscher fertig gelaust zu haben.

Nachher traten die Hunde und Kinder wieder an mit Knüppeln und mit Spießen, und mit aufgeregtem Getöse. Sie brachten einen einzigen traurigen Schafskopf hergeschleppt als ganzes Ergebnis der hoffnungsreichen Erpedition. Und der getdtete Wolf war auch von seinen Knochen verschwunden.[]

Fünftes Kapitel

ls Christine auch diesen Erfolg erfahren hatte, fand A sie, es sei jetzt genug Heu unten. Sie kochte von der letzten vorhandenen Grütze eine dünne Suppe, füllte dem Bauern Daniel den Teller, verzichtete für ihr Teil auf die Mithaberschaft, ging aus der Stube, und ließ den torichten Vater mit seinen vierzehn Kindern und dem Suppenkübel da sitzen. Sie konnte kaum ausschreiten vor Kötern und Katzen, die den übrigen Raum des Zimmers füllten und auf Abfälle lauerten. Sie hatte den Schafskopf in die Suppe gekocht, und das rochen die Taugenichtse; aber der Bauer hatte die wichtigeren Stücke schon in seinem Teller; die andern hingen noch am Kopf. Nun kämpften die Kinder, die direkt aus dem Kübel aßen, darum, lamentierten und schrien, rissen den Kübel hin und her, daß die Suppe über den Rand schwapperte, schlugen sich die Löffel um die Ohren, und die Kleinsten, die mit den ihrigen nur verlorene Anstrengungen machten, resignierten und verlegten sich aufs Heulen. Dabei fiel ein Stück Brot vom Tisch zur Erde. Die Köter stürzten sich darüber, der Eigentümer, der fremde Junge mit dem kleinen Mädchen,merkte es und warf sich zwischen die Köter, aber der Schwanzlose, der noch immer sein Benefiz im Kopf hatte, schnappte es im letzten Moment weg und verschluckte es ungekaut. Dafür fing er einen Fußtritt.Er wollte heulen und konnte nicht, weil ihn das Brot würgte. Er geriet in Aufregung; so etwas war ihm noch nie passiert. Die Augen traten ihm aus dem [59]Kopf und sein Pelz sträubte sich. Die andern Hunde begannen zu lärmen wegen des Fußtrittes, den sie für ein Alarmzeichen nahmen, und sprangen händelsüchtig hin und her; doch der Schwanzlose stand voll Angst mit hochgezogenem Kreuz und eingeknickten Hinterbeinen auf seinen Pfoten fest, schnappte mit den Kiefern, machte einen schlanken Hals, und schlang aus aller Macht.Er hatte schon schrecklich Herzkllopfen. Der Junge holte noch einmal mit dem Fuß aus, und der Köter tat einen halb unwissenden steifen Seitensprung, wie die Bank beim Erdbeben, bekam eine trockene Nase und fing an zu zittern. Auf einmal merkte er, daß er winseln konnte, und tat es. Vom Winseln kam er schicklicherweise ins Heulen. Als er sich den Bissen glücklich herunter geheult hatte und an Herz und Nase gleich Besserung merkte, wurde er frech und fuhr dem Jungen nach der Hose. Der hätte im Zorn die Schüssel an sich gerissen, hielt sie mit der linken Hand gewältig fest, und aß mit der rechten in aller Hast zehn, zwölf Löffel voll in sich hinein, während es von Maulschellen und Kopfnüssen nur so regnete um ihn herum, wodurch ein paar Löffel auch fehl gingen. Schließlich guckte ohne Augen der Schafskopf aus dem bewegten Suppenteich heraus, was denn das für ein Sturm sei in seinem Wetter. Der Teufelsjunge sah das kaum, so fuhr er ihm blitzschnell mit zwei Fingern in die leeren Augenhöhlen, hob ihn, triefend und grinsend wie er war, aus seiner Taufe, und machte sich im Augenblick damit aus dem Staub. Die nächste Folge am Tisch war ein allgemeiner stummer Krampf und [60]Kampf der Augen und Kinnbacken. Aber Stummel wischte mit einem verständnisvollen Wuff hinter dem Räuber her aus der Tür, und gleich darauf war die ganze Stube von Hunden so leer, als hätte Gott überhaupt keine gemacht am vierten Tag. Dafür hob dann ein hohes und tiefes Weltuntergangsgezeter an um die entseelte Suppe, daß der Bauer aus seinen Grübeleien,in die er von Christines Worten und Handlungen gestürzt war, zu Tag stieg und fragte, was es gebe.Von der Ofenkunst, auf die man sich stufenweise zurückgezogen hatte, kam seiner Aufmerksamkeit entgegen grau und rotgestreift das Geschlecht der Katzen heruntergestiegen, und wollte sich auch für die Vorlage interessieren. Der Sachverhalt stellte sich aber so dar, daß der Bauer keine Antwort bekam, als er zwischen seinen vierzehn Kindern heraus nach dem Mädchen Christine rief, und sie nachher auch nirgends fand, als er sie suchen ging.

In der Weile stand Christine in allem Sonnenschein auf der Landstraße und schlug sich mit einem wilden Panduren herum. Sie hatte sich Wort gehalten und der hoffnungslosen Wirtschaft den Rücken gedreht, um zunächst ihre Vetterschaft in der Stadt aufzusuchen, den Sternseher Balduinus Alizel und seine Ehefrau, ihre Base Luna. Von dort aus hoffte sie den Sprung in neue Verhältnisse zu unternehmen,um dann die Rechnung des Lebens auf einem frischen Blatt von vorn anzufangen. Zunächst war ihr nun freilich ein Pandur in den Weg getreten und verlangte allerhand von ihr, was sie zum Teil nicht be[] 61 saß, nämlich Geld, und zum andern Teil nicht hergeben mochte, weil sie ihre Jungfernschaft nach wie vor auf bessere Manier zu verlieren hoffte. Wie ihr der kauderwelschende Schuft zu allem Leid und Kummer mit seinem hundsdummen Reiterbrauch den Kopf noch warm machen wollte, fuhr sie mit dem Ellenbogen heraus und malte ihm in der Angst und Geschwindigkeit ein paar Augen,die waren nach fünf Minuten so blau wie der Himmel,und sahen noch eine gute Stunde lang nichts als feurige Mäuse in ebensolchen Vierecken, und nachher unter einem merkwürdig wimmelnden Tag eine Welt, die ihn mit allen Farben und Rackerphysiognomien der wohlbekannten Blume Stiefmütterchen anlächelte. Er setzte sich zum bequemeren Studium der Phänomene an den Straßenrand und brach nach reiflicher überlegung in die bedeutungsvollen Worte aus:

„Gotts Sternenkaib, Ruodi Bürgler, die ischt nicht von Milch und Honig. Sie hat dir meineidig Guten Tag gesagt. Aber sie ischt doch bloß im Frieden möglich. Im Krieg hätte sie einmal erfahren sollen, was ein rechter Pandur so fertig bringt. Beim Hagel, ich bin glaub' ganz verrückt von dem engen Heidenwams und von der gottlosen Wüschtenei; das kann man gar nicht aushalten. Ich weiß jetzt, warum die Tiger und Bären immer aus der Wüschte kommen. Was habe ich denn eigentlich gewollt mit diesem braven Mädchen?Schtraf mich Gott. Aber die nächschte darf mir doch nicht so grobschlächtig antworten, oder ich muß ihr ganz anderscht ein Bein schlagen. Ich bin doch ein Bote Gottes, wenn ich auch noch gar nicht weiß, was ich [62]ausrichten soll. Es wird mir halt noch geoffenbart werden müssen. Vorläufig bin ich vielleicht ein Pandur und Galgenschtrick.“

Er strich seinen Schnurrbart, den er nach guter Pandurenart abwärts gewirbelt vor sich her trug, pfiff so etwas wie ein ungarisches Reiterliedchen zwischen den Zähnen, und setzte geduldig seine Versuche fort, die Welt wieder zu sehen, wie sie wirklich war. Als er es damit soweit gebracht hatte, daß er seine Füße bestimmt voneinander unterscheiden konnte, stand er auf und nahm den so unvermutet unterbrochenen Weg wieder darunter.Es zeigte sich jetzt, daß er etwas krumme Beine hatte und auch sonst weder eben prächtig noch irgendwie eindrucksvoll vortreten konnte; allein die Pandurentracht, die er auf dem Leib trug, sowie der krumme Säbel und der lange, steife, erdfarbene Schnurrbart ließen ihn wirklich als ein sehr verwegenes Ding erscheinen, besonders wenn er noch das Maul auftat und mit schadhaften Pferdezähnen fürchterlich auf pandurisch zu kauderwelschen anfing.

So beschaffen bekam dieser Pandur das Dorf Wullenhausen mit seinen Brandstätten und Ruinen zu Gesicht,bemerkte am Weg den bestellten Acker und das Saatfeld, beschritt den Steg, der aus halbverkohlten Balken über den Bach gelegt war, und hatte beim Dorfeingang die erste Begegnung mit den Kötern. Erst waren es zwei, und Bürgler dachte sich weiter nichts dabei; auch schienen sie vor seinen Sporen wirklichen Respekt zu haben. Aber sie bellten und belferten so verteufelt dringlich und vielsagend, daß es rasch aus allen [63]Brandlöchern heraus laut wurde von Hundebässen,und ums Umsehen hatte er eine Meute von zwanzig schwarzen, struppigen Schnapphälsen um sich herum,die ihn alle aus blauglühenden Augen anleuchteten und in ihrem ganzen Gehaben diesem einzelnen Strauchdieb gegenüber kein bißchen mehr Respekt oder weniger echten Appetit zu empfinden schienen, als in diesem Fall bei einem Rudel ungarischer Wölfe angetroffen wird. Der Pandur wußte zwar nicht, wie ungarische Wölfe dabei dreinblickten, wenn sie einen Strauchdieb anpacken wollten, jedoch das Aussehen der verwilderten Dorfköter kam ihm schon reichlich verdächtig vor, und er zog unter Geschrei seinen Säbel.

„Hoho, hehe, wollt ihr wohl in eure Löcher kriechen,ihr Teufelsbraten? Kusch!l Kusch! Ihr habt ja noch keinen heiligen Panduren kennen gelernt! Ich mache lauter arme Väter und arme Söhne aus euch, wenn ich euch unter mein krummes Vaterunser kriege. Das ischt das beschte Vaterunser, was es gibt, kann ich euch sagen; das hat schon ganz anderes Blut gesoffen. Gebt nur Frieden, ihr guten Tiere, oder ich werde euch umschtändlich.“

Das krumme Väterunser wirkte im Verein mit der erklärten Gegenmeinung soviel, daß Bürgler die Hunde nun hinter sich bekam und sich umdrehen mußte. Aber weil sie sich sofort wieder hinter ihn machten, mußte er abermals die Richtung wechseln, und so in einer Art Tanzschritt kreuzpolkte er mit seiner Begleiterschaft,die sich immer noch vermehrte, links herum, rechts herum die Dorfstraße hinauf, gewahrte bei einer neuen [] 64 2 Wendung das Hoftor des übertriebenen Vaters, retirierte rückwärts hinein, machte wiederum kehrt, und stand nun auf einmal mit seinen großmächtigen himmelblauen Prügelaugen und dem gezogenen Säbel in der Faust vor dem Bauern Daniel, den er aus seiner Dringlichkeit frisch heraus anschrie: „Bauer pfeif! Bauer pfeif! Nimm die Hund von mir.“ Da kehrte er ihm schon wieder den Rücken zu und unterhielt sich mit den Kötern weiter:„Ich schlag' euch kurz und klein, ihr Brechzähne,“weissagte er ihnen. „Ich richte ein Mittagessen her mit euch. Ihr wißt scheint's noch gar nicht, wie ihr gebraten schmeckt. Haha, hab' ich dich auf den Hintern gesetzt? Wauwauwau, dieses bemerkscht du richtig. So tut es im Kreuz. Am Bauch tut es wieder ganz anderscht. Wer will es probieren? O, kriegt ihr jetzt Reschpekt? Ischt mein Seel Zeit. Ich hab' gerade wollen anfangen und euch die Beine unten abmähen,wie an einer verkehrten Wiese.“

Er bekam Luft und geriet nun von den Kreaturen an den Bauern. Der Bauer hatte nicht gepfiffen. Wohl zu bedenken: keinen Ton hatte er von sich gegeben. Die Hoffnung war natürlich gewesen, daß die Hunde den fremden Gast verzehrten. Den ehrbaren Wolf mußte man sich jetzt genauer ansehen, und zwar auf Pandurisch.

„Warum hascht du nicht gepfiffen, verdorbener Bauer?Katrbataster Donnerwetter, sitze in der Winkel, denke,Hund soll ihn freß; was übrig bleibt, das ischt sein Geld, und man tut es zum andern. Du bischt heimlicher Räuber, Teufelsjäger, jage mit wilde Hund. Ha,[65]aber ich will notzüchtigen dein Rebellion. Ich will kurz und klein schlagen deine schlechte Knochen. Du muscht heraus machen Geld alles Silber und Gold, was du hascht gejagt und hütescht es mit der wilde Hund. Dazu bin ich geschickt vom Kaiser in Wien. Ich bin der Bote; schau mich nur an. Gleich kommt meine Kompagnie. Willscht du gehorchen sofort, oder magscht du es lieber, daß wir aufhängen dich am Hals nachher?Sei nur nicht frech. Denk', du sitzescht vor einem heiligen Pandur. Führe mich zu deinem Schatz!“

Der Bauer saß auf der Feierabendbank vor dem Haus. Wenn der Pandur vorhin vor Hunden hätte Augen haben dürfen, so hätte er ihn gesehen mit dem Kopf zwischen den Fäusten vor sich hinbrüten. Nun richtete er sich auf seinem Sitz auf und guckte dem Kriegsmann ins Gesicht. In allem Lärm und Unbehagen bemerkte er die himmelblauen Augen, und es tröstete ihn, daß man so etwas konnte an der wilden Kreatur. Aber sein Interesse ging nach einer andern Richtung. Er stand friedfertig von der Bank auf und bot sie dem gefährlichen Gast an. Dann tat er eine Frage.„Woher kommt der Herr des Weges?“

Es tönte eigenmächtig, und dem Panduren blieb auf einen Augenblick der Kiefer stehen. Weil er aber im Grund ein höflicher Mensch war, so antwortete er.

„Halsabschneider halt der Maul. Kennscht noch keinen heiligen Panduren, aber ich will dir zeigen zwanzig sofort. Meinscht du, ich schteh da und schwatze mit dir,bis kommen deine lieben Brüder, die andern Wölf?Schaffner, Der Bote Gottes []Bin geritten aus der Stadt heißt Teufelsdreck, nix zu schprechen für Ungar schöne Schprach. Hab gemacht Rekognoszierung zu Fuß. Geh voran in dein Haus;zeig mir den Schatz.“

Der Bauer blieb auf seinem Weg, wie ihn der Eigensinn seiner Trauer hieß.

„Hat da der Herr nicht ein Weibsmensch gesehen auf der Straße mit einem weißen Kopftuch und roten Rock?“

Dem Boten Gottes kam die Welt wieder bunt vor.Potz Regenbogen, freilich hatte er das Weibsmensch gesehen. Er fuhr mit grasgrünen Blicken aus seinen himmelblauen Augenfeldern heraus und rückte dem Bauern mit dem krummen Vaterunser dicht unter die Nase, daß es nur so rasselte um ihn von Lebensgefahr.

„Ha, so ischt das dein Räubermensch gewesen,“schrie er ihn an; er vergaß vollständig vor Schreck und Zorn über die abgefeimte Wirtschaft, die er hier antraf,daß er sich als Pandur vorgestellt hatte, und fiel offen in seine angestammte Mundart zurück. „Dieses ischt mein Seel ein schauderhaftes Ding von einem Weibsbild. Aber sie wird dir keine armen Juden mehr in die Hände schpionieren. Sie ischt selber in die Hand gefallen.“ Er erblickte plötzlich die Form der göttlichen Gerechtigkeit, und vollzog sie wenigstens noch geschwind hinterher, nachträglich und fantasiemäßig. „Ich habe sie erkannt und am Kopf genommen, Gotts Schternenkaib. Ich habe sie über den Baumstumpf gelegt und ihr im Namen des Kaisers das hintere Quartier mit [67]meinem krummen Vaterunser verhauen, ganz anderscht,kann ich dir sagen. Sie hat dazu vorne gesungen wie eine Nachtigall, aber ihre Sünden sind kleiner geworden,glaub' ich. Und ich bin gar nicht sicher, daß meine Kompagnie sie nicht aufhängt, wenn sie sie antrifft.Ha, hier kennt alles den heiligen Pandur noch nicht.Kehr dich auf deinem Absatz um und führ' mich zu deinem Schatz im Keller oder auf dem Eschtrich. Sonscht sollen dich die Hund am Bauch fressen, wo du am zarteschten bischt. Marsch, geh voran.“

Als der Bauer die seltsame und peinliche Geschichte vernommen hätte, hörte er nichts weiter. Er sah mit aufgerissenen Augen die Szene am Straßenrand sich abspielen, zum Greifen deutlich und so erbärmlich, daß es ihm in den Haaren wühlte. Er sah das Mädchen Christine kämpfen und weinen. Er sah sie die Hände heben und hörte sie um Gnade bitten. Er hörte noch mehr; sie schrie nach ihm um Hilfe. Sie rief seinen Namen: „Daniel!“ und er hatte nichts vernommen und vielleicht nicht einmal etwas gespürt. Mittlerweile war sie mißhandelt und Gott wußte, was noch, von diesem braunen Eisenfresser. Tod und Marter, und wenn er der Kaiser selber war, so konnte man's doch nicht annehmen von ihm. Er drehte sich um und ging mit steifen Beinen geradeaus nach dem Stall, in dem er verschwand. Einen Augenblick stand Ruodi Bürgler allein an der Sonne und machte ein zweifelhaftes Gesicht hinter ihm her, indessen die Köter wieder ihren Tanz mit ihm anhoben. Darauf erschien der Bauer mit der Mistgabel in der Stalltür. Er fällte sie fechtmäßig vor []sich nieder und rückte dem Boten Gottes und des Kaisers stracks auf den Leib damit.

„Paß auf, Galgenvogel,“ sagte er traurig und ganz elend vor Schmerz um Christine. „Siehst du, was das ist? Das ist eine Mistgabel. Damit will ich dich jetzt aus der Welt misten. Bin ich ein Halsabschneider?Ist die Christine ein Räubermensch? Du hättest mich X Sieh mal, das hättest du nicht tun sollen. Der Kaiser hat es sicher auch nicht so gemeint. Er ist ein rechter Herr, aber seine Leute sind Halunken, wenn sie so aussehen, wie du. Wehre dich jetzt, Freundschaft; es geht ums Leben.“

Als die Köter die Tonart vernahmen, merkten sie,daß der fremde Herr ausgeliefert sei, und fühlten sich darüber erregt. Sie spürten das am meisten in den Zähnen und Kiefern, und dem braven Schweizer blieb es nicht lange verborgen. Obwohl er nun reichlich Angst hätte vor des Bauern Mistgabel und wohl sah,daß es ernst gemeint sei, so hielt er doch die Hunde zunächst für seine ärgeren Feinde, besonders weil sie ihm den Weg zum Reißausnehmen verstellten. Unter hochgeschwungenem Vaterunser sprang er daher vor dem einen Tod weg mitten in den anderen hinein, hieb hin, wo es treffen wollte, schlug dem braven Wolfstöter und Haupthund Stummel das letzte Endchen Schwanz von seiner Erscheinung herunter, geriet fast von den Füßen,weil er nicht gewöhnt war, mit einem Säbel umzugehen, entsetzte sich darüber, verlor die letzte pandurische Fassung, und stand plötzlich da in der verbrannten Hof[690]statt mit einem Fleisch und Bein, das steckte so voll Hilflosigkeit und Mores, daß sich auch der Bauer in allem Leid darüber verwunderte. Er warf das Vaterunser weg, so weit er konnte, als ob er sich daran verbrannt hätte, und gewann Freiheit davon, weil dem Säbel sofort die ganze Köterschaft nachstürzte und sich darüber selber in die Haare geriet, Stummel mit dem roten Glanzscheibchen am Rückenende mitten drin. Er sank zum Zeichen des Friedens vor dem Bauern und seiner Mistgabel auf ein Knie, wie vor einem Gnadenbild, und hob aus dem sündenvollen Abgrund seiner Ungerechtigkeit das Gesicht zu ihm empor.

„Liebschter Bauersmann, tu mir nur nichts zu Leid.Ich sehe jetzt schon, daß du kein Räuber bischt, sondern ein Mann des Friedens, obwohl du nicht gepfiffen hascht. Und ich bin auch gar kein Pandurenhauptmann. Ich bin doch ein armer Sünder und aus der Schweiz und hab' einen Schreck in mir, der muß wieder heraus. Dein Weibsmensch kann noch lang leben wegen mir, muscht du wissen. Ich hab' sie nicht in des Kaisers Namen geschtraft, sondern sie hat mir im Namen ihrer Jungfernschaft die Ellbogen in die Augen geschtellt, daß ich gleich nichts mehr gesehen hab' als Gelb und Grün,weil sie meinte, ich will ihr etwas, und ich hab' ihr gar nichts gewollt, sondern hab' sie nur nach dem Weg gefragt und wie alt sie ischt. Und dann hab' ich eine Schtunde an der Schtraße sitzen müssen und warten, bis ich wieder etwas erblicken konnte. Schtelle deine Gabel weg,schönschter Bauersmann, ich hab' meinen Säbel auch weggelegt. Und wenn du willscht, so zeig' ich dir, wo []ich gesessen hab' und gewartet. Und da ischt kein Gescharr von einem Opferlamm, sondern ich hab' gewartet,bis ich wieder zu Gnaden gekommen bin und es mir verziehen war von Gott. Ich bin doch auch ein Chrischt.Gib mir die Hand, wir wollen Freundschaft machen.Ich hab' wirklich gemeint, du bischt ein Räuber wegen der vielen bösen Hund', die du hascht. Warum hascht du sie denn?“

Die Worte der Unschuld taten ihre Wirkung in vollem Umfang des Wunsches. Der Bauer ließ die Mistgabel sinken und war schon mitten in der Reue und selber in der Angst, daß er da fast einen Menschen umgebracht hatte. Außerdem wußte er nicht mehr recht, wo ihm der Kopf stand, eben über diesem Fragezeichen von einem Schubiacken und schweizerischen Christen. Doch ging auch noch ein bißchen Mißtrauen durchs Ganze und bestimmte immerhin die nächste Wendung, die er damit nahm. Er stellte die Gabel ans Haus, kriegte dafür einen Knüppel zur Hand, den er unter der Feierabendbank hervorzog, und sagte kurzgefaßt, der Herr solle ihm die Stelle zeigen. Der war zufrieden, daß er keinen Gabelzinken verdauen sollte, erhob sich von den Knien und kehrte sich mit der leeren Säbelscheide an der Seite ohne Zaudern nach dem Hoftor. Der Bauer folgte ihm auf dem Fuß, und alle hundert Köter, als sie sahen, daß es wieder eine Exrpedition gab, kamen mit. Unterwegs trieben sie die Kinderschule auf, die weiß Gott wo gesteckt hatte, und die trabte auch mit hinaus, so daß nun die Katzen wirklich einmal allein Meister waren im Dorf.[71]Ruodi Bürgler zeigte dem Bauern einen versessenen Grasfleck an der Straße, und berief sich im übrigen noch einmal auf seine himmelblauen Augen. Da verabschiedete die ehrliche Seele den Verdacht und sagte,der Herr solle mit ihm heim kommen. Dem Schweizer war auch das recht, und somit trollte die ganze Gesellschaft auf der österlichen Straße friedlich und versonnen und schier sonntagnachmittagsspaziermäßig nach dem Dorf zurück, gelangte wieder in die Hofstatt und trat ins Haus. Der Bauer hieß den Herrn Pandur an den Tisch sitzen und ging aus der Stube, um nach etwas Eßbarem zu sehen. Die Kinder drückten sich im Kreis um den fremden Gast herum und hätten die Mäuler offen. Die Hunde setzten sich dazwischen auf ihre Schwänze und warteten auf das weitere; aber der Hund Stummel kauerte nur unbequem und peinlich auf seinen Hinterbeinen wegen dem roten Glanzscheibchen.Auf der Ofenkunst saßen in drei Abstufungen rot und graugestreift die Katzen, und sahen klug und aufmerksam auf die Versammlung herab.

Als der Schweizer diesen Sachverhalt erkannt hatte,merkte er zwar Sonderbarkeiten, allein es kam ihm vor, als müsse hier zu existieren sein. Er begriff, daß der Bauer so oder so von seiner Gesellin im Stich gelassen worden sei und sich darüber gräme, und machte sich eine Rechnung daraus. Er stellte einen güterarmen,jedoch hoffnungsreichen Allgemeinzustand fest, in dem ein gottloses Gewächs wie er immerhin gedeihen konnte,jedenfalls besser als auf der Landstraße, mit der er auf dieser Tour bisher bloß schlechte Erfahrungen ge[72]macht hatte. Was die Landstraße anging, so zeigte er doch nur einen Kerl, wo glatt gebahnt war. Aber in einem wüsten Umtrieb merkte man erst, was für ein kultiviertes Ding man vorstellte. „Ruodi, du Bote Gottes, fürchte dich nicht; stehe auf!“ Er dachte: „Ich muß meinen Tag beim Hals nehmen; er ischt ein Schpitzbube.“ Und abermals: „Pandur, geh hin und restauriere!“Das hatte auch seine Richtigkeit; zu marodieren gab es hier überhaupt nichts. In Gottes Namen, hier standen vierzehn Kinder um ihn herum, sechs Jungen und acht Mädel. Die Mädel ließen ihn kalt; hingegen wollte er ruhig eine Kuh gegen einen Regenwurm wetten, daß die Jungen ihn brauchen konnten bei seinen Talenten und Wissenschaften. Sie sahen verflucht unberichtet aus; wenn er ein Wort des Geistes über ihnen aufgehen ließ, so flogen ihm alle Seelen zu. Er kannte das. Da stand die Mission. Sollte man sie annehmen? Er sah nach der Reihe die Buben an, empfand ihre Nestwärme und ihren Mangel, und sprach Ja zu seinem Herzen. Und wie der Bauer mit einem Laib Brot anrückte, war er schon mit Zutaten zur Stelle. Der Bauer sagte, der Herr werde es wahrscheinlich besser gehabt haben im Krieg und auch in seiner Heimat Pandurien; er hätte ein Stück Schaffleisch bekommen können zum Brot, wenn die Wölfe den Kindern nicht zuvorgekommen wären, werde aber nicht gewöhnt sein, mehr zu nehmen, als da sei.

Mit dieser Rede, die wegen der fremden Volksmannschaft sehr langsam und deutlich vorgebracht wurde,erfuhr der Landfahrer, daß dem Bauern das Geständnis [73]von seinem schweizerischen Christentum keinen sonderlichen Eindruck gemacht hatte; entweder glaubte er nicht daran, oder er hatte es überhört. Und zweitens mußte das ein tiefsinniger Heiliger sein, der mitten unter einer lachenden Menge und Verheißung gesunden Fleisches von trockenem Brot lebte. Da er sich nun aus seinem Christentum nicht eben viel machte, und sich zudem als Pandur hoffnungsvoller und kräftiger vorkam, tauchte er unauffällig wieder in seine Rolle unter, wurde von neuem aktiv und antwortete dem Bauern im schönsten Paudurendeutsch, das er konnte, daß Brot immer eine schöne Sache sei, und Pandur heiliger nicht immer Brot habe, sondern manchmal nur Fleisch, und auch keinen Wein. Er schnitt sich dankbar ein Rundstück vom Laib herunter, daß allen Kindern das Wasser im Mund zusammenlief und die Mäuler nacheinander zugingen,weil drinnen geschluckt werden mußte. Unterm Kauen nahm er seinerseits das Gespräch in die Hand und leitete es, wohin es sein spekulativer Kopf haben wollte.Ob der Bauer allein da hause im Dorf? Ob die bestellten Acker ihm gehörten? Ob Vieh bei ihm existiere,und ob die übrigen Dorfbewohner in Gott seien? Als er den letzten Bissen herunter hatte, schlug er dem Bauern vor, daß er bei ihm dienen wolle.

Der Bauer war ohnehin kein hurtiger Kopf; heute brauchte es eine Ochsenkraft, die Idee zwischen seinen Gram hinein zu treiben und das Leid zu bewegen,das er um Christine trug. Allein was der Teufelsschweizer im Hirn hatte, das hatte er nicht unterm Boden, und schließlich wurde er verständlich und schuf []

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74 Anschauung und Wünschbarkeit über der versunkenen Seele, so daß im Verlauf einer Stunde der Handel so klar und abgemacht dastand, als es immer mit einem Handel zu bewirken ging in gegenwärtigen Zeitläuften. Der Bote Gottes hatte zu kochen und die Kinder zu versehen, auch mit der Nadel zu wirken,weil er damit Bescheid wußte, den Besen zu führen und nebenher dem Bauern auf dem Feld zu helfen,was alles nicht wenig war, aber ihm völlig zu behagen schien. Er sagte, pandurischer Vaterland sei armer Land; er wolle sich machen neuer Vaterland auf fettem Boden. Wegen des Lohnes wollten sie dann miteinander sehen, wenn es einmal soweit sei. Es gab keinen sehr genauen Kontrakt, aber Ruodi Bürgler wußte nun schon, wem er trauen durfte und wer das war, der nicht zu kurz kommen wollte.

o war Christines Stelle besetzt, ehe dieser merkS würdige Ostermontag ganz zu Ende ging. Ruodi Bürgler kochte zum Abend seine erste Mehlsuppe und aß mit den Kindern aus dem Kübel. Dann trieb er die kleineren von diesen in ihr Stroh, und saß nachher mit dem Bauern auf der Feierabendbank vor dem Haus,führte dort ein aufmerksames Gespräch mit ihm, und putzte nebenbei das krumme Vaterunser, das er dann wieder in seiner Scheide unterbrachte. Der Tierstand befand sich auswärts auf der Abendjagd. Irgendwo [75]hinterm Haus hallohten die größeren Rangen. Der Mond stieg langsam über das Brandgemäuer herauf. Und der Bauer begann von dem Mädchen Christine zu erzählen,da der Pandur sie nun doch einmal kannte. Er begriff noch immer nichts. Er wußte nur eines sicher, daß sie nicht mehr da war. Der Schweizer erfuhr wie ein alter Freund die ganze Geschichte der Herkunft, sowie Gang und Inhalt des heutigen Gespräches, von den Katzen und Hunden an bis zu Gott dem Herrn, der sie erschaffen hatte, und der guten Gehilfin, die ihm Christine nicht werden wollte. Es gefiel ihm alles vorzüglich. Er zwinkerte auf beiden Augen. Es ging eine Wirkung aus von dem Zustand, die ihn außerordentlich lebendig und sinnreich machte. Aber er tat keine Meldung dazu, sondern ließ es gut sein, daß der Bauer sich mit Christine versöhnt habe und sie nun doch weg sei, und man nicht mehr wisse, was von Gott zu halten sei.

In der Nacht, da er nicht schlafen konnte, erinnerte sich der Bauer an die beiden jüngsten Gewinne seiner Barmherzigkeit und stand auf, um ihren Schlaf zu betrachten und sich an ihnen zu ermuntern. Der Mond schien so übermächtig, daß die Welt davon ein unheimlich nachtwaches Ansehen bekam, als sollte jetzt und jetzt irgendeine Geschichte mit ihr passieren, von der man noch nach hundert Jahren zu erzählen hatte. Aber der Bauer achtete nicht darauf; er hatte den Kopf voll ruhelosen Umgangs über das abwesende Mädchen Christine; höchstens daß ihm die Sehnsucht nach dem erreichbaren gegenwärtigen Trost noch heller darüber erglühte. Auf der Diele blitzte ein blauer Lichtstrahl [] 76 auf vor ihm. Als er ihm näher kam, sah er den Panduren mit gezogenem Säbel an der Haustüre stehen und Wache halten. Er sagte, die Halunken sollten nur die Köpfe herein strecken, so wollte er ihnen das krumme Vaterunser daranwettern, daß sie nicht mehr wüßten, ob sie Männchen oder Weibchen seien. Der Bauer wollte öffnen und hinaussehen, doch Ruodi ließ es nicht zu, sondern wollte die Tat allein tun. Da ging der Bauer nach dem Schlafraum der Kinder und suchte im Mondschein den fremden Jungen mit dem Mädchen,fand sie auf das erstemal nicht, und fragte die Reihen zum zweitenmal durch. Er mußte auch ein drittes Mal den Weg unternehmen. Nun trat er tiefgebückt von Schläfer zu Schläfer, durchforschte jedes einzelne Gesicht an Augen, Mund und Nase wie feindliches Gebiet, stieß auch jetzt nicht auf die erwünschten Verhältnisse, und begann zu zählen, eins, drei, sechs, neun,zwölf: mit zwölf war es fertig; weiter ging es nicht.Er zählte viermal auf zwölf, starrte ohne Verständnis die letzte Nummer an, den glückhaften Hemdenmatz,als ob er die Verlegenheit gemacht hätte, bis der Mond von ihm zurückwich, und wandte sich schließlich auf den Rückzug. Dem Schweizer, der immer noch an der Haustür aufpaßte, meldete er, es würden wohl keine Räuber sein, so und so. Darauf öffneten sie das Haus und machten einen Gang darum, sagten zueinander,es sei jetzt gut, und begaben sich wieder zu ihrer unterbrochenen Ruhe. Bürgler schlief wie ein Ofen in Christines Bett; der Bauer tat kein Auge zu in dieser verwünschten taghellen Nacht, die die Schatten nicht erlöste.[77]Als die Hausgesellschaft am andern Morgen zum Tisch kam, hatte der Pandur schon wieder für die Suppe gesorgt, aber es fand sich, daß kein Brot mehr da war;die beiden jungen Tunichtgute hatten es in der Nacht mitgehen heißen. Das schuf dem Bauern neuen Kummer.Wenn irgendwelche, so hatten diese Kinder das Auge Gottes nötig. Es schien ihm jetzt, sie schrieen auf ihrer Landstraße förmlich nach der Hand der Liebe. Er trug die Schuld, weil er sie gestern unter der Wirkung seines selbstsüchtigen Grames vergessen hatte. Er hatte sie oernachlässigt und dann verloren. Wie stand er nun da im schlechten Licht des ungetreuen Vaters? Gott würde ihm schon auf den Kopf hageln, wenn er von seinem Himmel herab merkte, wie die Dinge bei ihm lagen.

Fürs erste mußte frisches Brot gebacken werden.Die Freude lief nicht weit, weil im ganzen Großen nur zwei Laibe bei dem Unternehmen heraus kamen. Der Pandur schlug Sparsamkeit vor; die Kinder sollten Suppe essen; das Brot sei für die Arbeiter. Da wurde der Bauer ausfällig. Es könne sein, daß man das in Pandurien so halte; hier in diesem Haus seien die Kinder die Hauptsache; dann könne man sich auch darauf verlassen, daß Gott weiter helfe. Die Kinder standen darum herum und machten weite Ohren. Der Schweizer dachte, es sei gut und er wolle nicht für einen schiefen Kerl angesehen sein, und als es wieder Mittagszeit war, fand sich unerwartet ein Suppenfleisch im Kübel, zart und wohlbeschaffen, und sehr einladend.[78]„Ich hab' den Hasen gefangen,“ grinste Ruodi.„Gott hilft wirklich weiter. Ischt ein guter Mann.“

Der Bauer suchte sich vorzustellen, was wohl Christine zu dem Fall äußern würde. Als es ihm nicht gelang, beschied er sich dahin, daß der Hase ein Wild sei, und dankte Gott. Er dankte Gott wiederholt;endlich stutzte er über den plötzlichen Hasenreichtum der Landschaft, da nach seiner Meinung die Hunde schon lange damit aufgeräumt hatten. Er ließ es zwar gelten,daß sie dies Jahr wohl besonders diese Gegend aufsuchten wegen des weicheren Wassers, dankte auch noch für ein Reh, das er so wenig im Fell zu sehen bekommen hatte wie die Hasen, führte jedoch unvermutet eine Aussprache herbei mit dem geschickten Jägersmann,worauf der Segen Gottes wie abgeschnitten aufhörte,zum Bedauern der Kinderschule.

Diese Kinderschule schlug sich dem neuen Hausgenossen zu mit der einsichtigen Entschlossenheit und der Schnelle, die er, bei seinen besondern Talenten, von ihresgleichen gewöhnt war. Auf dem ersten abendlichen Rekognoszierungsgang durch das verbrannte Dorf hatten die Größeren ihn noch in mißtrauischem Abstand begleitet und sozusagen feindlich beobachtet. Als er sie anfing zu fragen, gaben die Jungen ihm zuerst zögernd und zurückhaltend, nachher mit würdevollem Ernst Bescheid, und wo sie etwas nicht wußten, wunderten sie sich, daß er danach forschte, und interessierten sich für ihn. Er stocherte mit seinem krummen Vaterunser in der Asche herum, beklopfte die Mauern, stieß mit den Absätzen gegen den Boden, und tat eine Menge Dinge,[]die ihre Fantasie erregten. Auf dem Nachhauseweg gingen sie schon nicht mehr so weit von ihm ab, und beim zweiten Abendgang machten sie sich langsam zu ihm und fingen ihm von ihren eigenen Entdeckungen an zu erzählen, die zwar alle miteinander nicht den Wert von einer alten Hose ausmachten, dafür aber ein lebendiges Verhältnis anbahnten zwischen den verlassenen Kindern und dem unternehmungslustigen Boten Gottes. Nebenher gruben sie miteinander aus einer untergegangenen Scheune ein paar Säcke Gerste aus,und bestellten noch schnell ein Stück Feld damit, das sie urbar machten. Wenn nun der Schweizer mit seinem Säbel an der Seite vorn am Pflug ging, so hingen alle Jungen bei ihm am Seil und halfen ziehen; zog der Bauer, so wollten sie lieber hinten drücken helfen und mußten vom Bauern befohlen werden. Wenn der Bauer seine Augen über die blühende Heide gehen ließ mit dem wimmelnden Leben darin,so rückte er grübelnd die Brauen zusammen und dachte an das Mädchen Christine und an die beiden Ausreißer, und ob ihm wohl Gott sehr böse sei. Was der Pandur so angab den Tag hindurch, tat Daniel,und was jener aufbrachte mit seinem erfindungsreichen Kopf, ließ er bestehen und fruchtbar werden, wie zum Beispiel den Gerstenfund, aber er hätte nicht das Verhältnis dazu, als kämen die Dinge von Gott, wie die früheren Zuwendungen, und gewann darum auch keine Stärkung daran. Er spürte eine unruhige Intelligenz, die von keiner reinen Güte wußte und völlig fern von allem Gottvertrauen sich selber umtrieb, und es betrübte ihn [80]neben dem andern Kummer, daß die Kinder seinen Zeichen so rückhaltlos zuflogen. Hätte er nicht auch das Lachen verlernt, so wäre er ohne Mühe mit dem Windbeutel fertig geworden, weil es dann die reichere und einladendere Geste gegeben hätte; aber seine Heiterkeit war ihm abhanden gekommen, und was von ihm noch vorlag, das konnte weiter keinen Vogel anlocken.

In der Zeit machte der Pandur den Kindern ein Feldfeuer nach dem andern, erzählte ihnen von den Schlachten, die er nicht mitgemacht hatte, zeigte ihnen,wie er spielen würde, wenn er eine Geige hätte, sang ihnen pandurische Lieder vor, von denen er selber kein Wort verstand und die weder ungarisch noch kroatisch lauteten, noch jemals in eines Menschen Mund gewesen waren, und tanzte dazu im Schein des Feuers und des aufgehenden Mondes mit gezogenem Säbel pandurische Tänze, daß den Kindern die Gänsehaut über den Rücken lief und sie nach Hause verlangten. Aber am nächsten Abend wollten sie wieder ein Feuer haben.

Die Kinder machten den Panduren auch mit dem Gespenst bekannt, und das war das Besonderste und Gehütetste, was sie wußten. Die Sache verhielt sich so: in einem Haus gluckerte und gackerte es, wie wenn Hühner da wären. Der Bauer glaubte nicht, daß Gespenster gackern und krähen konnten, aber die Kinder hatten vom Gegenteil Kenntnis. Zwar der Pandur verkündete, daß es überhaupt keine Gespenster gebe,und zog die Schule so lange damit an der Nase hin,bis sie es glaubte. Dann erzählte er Geistergeschichten,daß die Mädchen zu weinen begannen, und schalt sie,[];X 81 daß sie nun doch wieder an Gespenster glaubten. Schließlich brach er auf, um mit der ganzen Schar der Sache auf den Grund zu gehen. Es war im ehemaligen Pfarrhaus, dicht neben der niedergebrannten Kirche.Gerade als die Gesellschaft davor stand und ratschlagte,krähte es, und die Mädchen erbleichten; die Knaben bissen auf die Zähne. Man wurde einig, daß man den Totenvögeln vom Kirchhof aus beigehen müsse,zum Teil wegen der Sympathie, zum Teil, weil man vorne nicht hinein konnte vor Trümmern. Man kam an eine verrammelte Tür, und nun gackerte es schon sehr deutlich, als ob das Wesen gerade dahinter säße.Die Mädchen wichen in den Kirchhof zurück, denn sicherlich war es mit Schnabel und Klauen versehen und konnte fürchterlich zufahren damit. Bürgler maß den Fußtritt, den er der Tür versetzte, weise ab; sie krachte ein bißchen, und drehte sich langsam in ihren Angeln nach innen. Er zog den Säbel, duckte sich, trat in die Ruine ein und verschwand in einem schwarzen Loch, das den Kindern tief, leer und tückisch entgegengähnte, und das die Mädchen zu Tränen rührte. Die Jungens wollten anfangen, nach dem Panduren zu rufen und Lärm zu machen, da trat eine durchaus unerwartete Erscheinung aus der Tür des weiland Pfarrhauses an den späten Tag heraus. Die Kinder wußten nicht, war es die verwunschene neue Form des Panduren, oder die unentwegte Doppelseele der Pfarrerseheleute, die hier erschlagen liegen sollten. Denn nun erschien und stieg feierlich und wie geblendet die Treppenstufen herunter eine weiße Henne mit einem ebensolchen

Schaffner, Der Bote Gottes [82]Hahn, und um sie her wimmelte das Wunder einer Kückenschar piepsend in den goldenen Abend hinein,alle weiß und blinzelnd und taumelnd vor Licht, und mit dem entrückten Schweben der Erlösten. Neben der Tür sprang ein Fensterladen auf, in dessen Rahmen statt eines geistlichen Herrn der viereckige ungläubige Realistenkopf des Schweizers sichtbar wurde mit einer so ausgebreiteten weltlichen Zufriedenheit im Gesicht,daß alle Schauer des Todes und der Augsburger Konfession, die den heiligen Ort umwehten, davor sich zum reinen Behagen wandelten.

„Es ischt ein Wunder,“ sagte er, „und ich weiß nicht, wie es zugeht. Sie haben nur von Sauerkraut gelebt, das da in der Pfarrersküche schteht. Es ischt aber schon das zweite oder dritte Geschlecht; da liegen alte Hühnerleichen. Paßt auf die Hund' und Katzen auf.“Diese Pfarrersküche hatte besser vorgehalten, als die ganze übrige Pfaffei samt der Kirche mit dem Turm.Ruodi erkannte beim genaueren Zusehen, daß man sich unbesorgt darin aufhalten konnte, sowohl wegen der Einsturzgefahr, als auch wegen der heiligen Gebeine,die wohl irgendwo zwischen dem Getrümmer in der Hut Gottes lagen. Auf dem Herd stand noch eine Pfanne mit einem eingeschimmelten Kroatenbraten. Die Küchenmusik fand sich mit den Hauptstücken an den Wänden und in den Winkeln vorrätig. Der Schweizer schmunzelte und rieb sich ideenreich die Hände, hieß die Mädchen die Hühner einfangen und nach Hause tragen,zog sorgfältig Tür und Läden zu und versicherte sie, und [83]schritt mit seiner nun rein männlichen Kompanie säbelklirrend aus dem Kirchhof und die Dorfstraße hinauf.überm Bach im Feld gab er wieder ein Feuer mit Tanz und Gesang. Er sprang heute sogar durch die Flamme,weil es doch eine so merkwürdige Herzbeklemmung und Schönheit war mit dieser Frühlingsnacht in der neuen Heimat. Zum Schluß ergriff er einen Feuerbrand mit der linken Hand, in der rechten hielt er den gezogenen Säbel, rückte sich mit dem Rücken gegen das Feuer und dem Gesicht gegen die Mondsichel in Hochzeiterstellung, und ließ ein wortloses Singen und Rollen aus seiner Kehle strömen, dergleichen seine Kompanie in ihrem Leben noch nicht gehört hatte. Sein Adamsapfel hüpfte in seinem Hals auf und ab wie ein Zaunkönig im Busch. Manchmal war es den Jungen,sie hörten einen ganzen Wald von Auerhähnen und Kuckucken. Dann kam ihnen die Gegend riesig und bergig vor, und sie bekamen Heimweh nach ihrem eigenen Vaterland, in dem sie doch mitten drin standen.Dazwischen tönte es geradezu zwei- und vierstimmig aus der braunen Kriegsgurgel heraus, und dann weinte wieder nur ein einzelner Ton lang ausklingend durch die laue Nacht. Schließlich verstummte der Sänger ganz, und dann war für den Rest des Abends nichts mehr zu haben von ihm. Er warf den Feuerbrand in die Glut, stieß den Säbel in die Scheide, pfiff grimmig und frech durch die Zähne, hieb einen Bengel um die Ohren, weil er ihm die neue Singerei nachzutun versuchte, und jagte am Schluß die ganze Bande nach Hause. Nachher stocherie er für sich allein das Feuer [] 84 wieder auf, warf neues Gestrüpp hinein, daß es haushoch aufloderte, und bis lange nach Mitternacht sah der Bauer, der vor dem Haus auf der Feierabendbank dem eigenen Defizit nachdachte, seinen Schatten um den Brand herumflattern.

Aber der Pandur verlor sich nicht. Am andern Tag zog er mit seiner Kompanie schon wieder auf Entdeckungen aus. Diesmal wurde Werkzeug mitgenommen,Schaufeln und Pickel, und was sich als Brechstange gebrauchen ließ. Die Mädchen waren zur Hühnerwache befohlen wegen der Katzen und Köter. Der Bauer zimmerte einen Geflügelhof hinterm Haus. Bürgler hatte sich mit Zwiebeln und Salz versehen zu dieser Expedition. Stummel wußte im ersten Augenblick nicht,sollte er die Kompanie begleiten oder bei den Hühnern bleiben; schließlich entschloß er sich zu den Hühnern,weil er die doch noch lange nicht genügend betrachtet hatte.

Die Hühner hatten sich über die Nacht in der Wohnstube, aus der alle Katzen und Hunde zuvor hinausgetrieben worden waren, unter sicherem Verschluß aufgehalten. Jetzt bewegten sie sich weiß und schüchtern im Hof an der Sonne unter der Obhut von allen sieben Mädchen und einer großen Anzahl Köter, und unter dem interessierten Zusehen der Katzenschaft, die rot und graugestreift Zäune und Mauern über dem Wunder bewohnte.Aber allmählich sättigte sich die Neugierde und schärfte sich der Appetit um so mehr, und weil dieser schöne Traum hier dem Ansehen nach doch kaum für [85]ihre Wirklichkeit in Frage kam, verfügten sich die Getreuen nacheinander zur verspäteten Morgenjagd auf die Felder hinaus, bis alle Zäune leer waren und nur noch der einzige ungeschwänzte Freund der Hilflosen die Szene belebte. Da nahmen ihn die Mädchen, vermahnten ihn nachdrücklich, und wurden bald darauf auch nicht mehr gesehen. Jetzt begann der große Tag des Schwanzlosen.

Erst suchte er sich einen Platz, von dem aus der Hof ungehindert zu überblicken war, und der doch auch im Schatten lag. Der war eben gefunden, so kam wie von ungefähr ein grauer Kater des Weges getrabt, hielt angesichts des Hühnerlebens ein, machte grüne Augen,und fing überlegend an mit der Schwanzspitze zu wippen.Stummel erhob sich geräuschlos und kam aus seinem Schatten nach der gegenüberliegenden Seite in die Sonne herausgegangen, wie wenn er sich dort einen anderen Platz suchen wollte. Er tat das auch, aber der Kater wartete es nicht ab; er wandte den Kopf mit einem geradezu lächerlichen Schein von Ahnungslosigkeit von den Hühnern weg, und setzte sich wieder in Trott, der zu einem leichten Galopp wurde, als der Schwanzlose noch ein bißchen hinter ihm herknurrte. Stummel legte sich darauf in die Sonne zurecht, versuchte vergeblich in einem Anflug von Vergeßlichkeit eine Fliege mit dem Schwanz zu verjagen, erinnerte sich und schnappte wütend mit den Zähnen danach, gab sich darein und richtete die Blicke wieder auf den Hühnerhof. Hinter dem Haus hämmerte der Bauer. Durch den schwarzen Torbogen hindurch konnte man die Mädchen farbig unter einem blühenden Apfelbaum tanzen sehen. Die [86]Hühner bewegten sich bescheiden im Hof umher und unterhielten sich ab und zu halblaut miteinander. Aber mitten in einer Aussage blieb die Henne stecken, stotterte noch zwei, dreimal, und schrie laut auf. Sie breitete die Flügel aus und lief im Kreis bei den Kücken herum,um sie darunter einzusammeln; jedoch die hatten keine Ahnung, was sie meinte, und bekamen nur Angst.In der Zeit hatte auch der Hahn Laut gegeben, und obgleich der schwanzlose Hüter nichts von der Hühnersprache verstand, so merkte er doch, daß der Friede den Husten hatte. Sofort kriegte er den auch zu DDDDDD neben der Sonne herabgeschossen kam; sein Schatten zeichnete sich schon groß und dunkel auf dem Gemäuer der Hofstatt ab. Da besann er sich nicht, sondern fuhr wie der Teufel aus seinem Winkel hervor, daß Kücken und Hahn nach allen Seiten auseinander stoben,und traf mit dem beschwingten Strauchritter gerade in dem Moment zusammen, als dieser der verwirrten Henne in die Federn fiel. Damit hob eine tolle Rauferei an, in der bald der Köter und bald der Vogel unten lag, und während deren die Henne in der einen Klaue des Räubers lautlos den Geist aufgab und der Köter das rechte Auge verlor. Eine wirbelnde Staubwolke hüllte schließlich den ganzen erbitterten Auftritt ein.Die Mädchen gewahrten sie von ihrem Apfelbaum her und machten sich ahnungsvoll auf den Sprung. In der Zeit hatte der Kater seine Gelegenheit wahrgenommen,ein Kücken abgefangen, hingewürgt und beiseite geschafft,und bei einer eiligen Wiederkunft auch noch ein zweites [87]an sich gebracht. Die andern hatten sich im Gemäuer herum verkrochen und fielen rasch nacheinander der roten Vetterschaft, die dort mauste, und das letzte den Ratten in die Zähne. Als die Mädchen anrückten, lag der Köter sehr mitgenommen und erschöpft,jedoch als Sieger über dem verendeten Raubvogel, der sich so ärgerlich in die Henne verhakt hatte, daß sie ihm jetzt noch an der Klaue hing. Von den Kücken war nichts zu sehen als der graue Schwanz des Katers,der von seiner zweiten Unternehmung hinter ein Mäuerchen hinab verschwand. Der weiße Hahn saß in Todesangst auf dem Dach des Hauses, als wenig geschätztes überbleibsel eines ausgedehnten Untergangs.

Die Mädchen begannen das Geheul. Der Bauer kam und sah und rettete zunächst das Huhn unter dem Köter hervor. Man suchte die Kücken und fand sie nicht, nahm an, der Schwanzlose habe sie gefressen,und gab ihm anzügliche Worte statt des erwarteten und verdienten Lobes. Man nahm ihm auch den Habicht weg, und jagte ihn vom Hof, und die Mädchen warfen ihm noch Steine nach, weil sie doch einmal die Schuld am Unglück trugen.

Darauf wartete man auf die Kompanie wegen des zu kochenden Huhnes und Habichts und überhaupt Mittagessens, mußte sich mit trockenem Brot begnügen,weil der Koch ausblieb, fing zögernd den Nachmittag an, und vergaß den Schreck über Spiel und Arbeit.Der Hahn wurde eingefangen und gegen Abend in den neuen Stall gesperrt, wo er sofort einen einsamen Lebenswandel anfing.[88]Inzwischen war der Daumenlutscher an der Brechruhr erkrankt, und gab reichlich zu tun und zu sorgen.Der Bauer wich nachgerade keinen halben Schritt von ihm, und hatte jetzt wieder jemand, der ihn in Aktion brachte und seine verborgenen Kräfte reizte. Das wirkte wie eine zurückgeschenkte gute Zeit auf die Hungersnot in seinem Gemüt, und entzündete wieder einiges Licht in seinen Augen. Es war auch der Grund, weshalb die Kompanie, als sie am Abend mit einem aus zwanzig Scheuern und Schuppen zusammengestoppelten veritablen Wagen angefahren kam, so wenig Erstaunen machen konnte, und Bürgler vom Bauern weiter nichts hörte als die Worte:

„Der Franzel ist krank. Glaub, es ist die Ruhr.Weißt du etwas dafür?“

Ruodi wußte etwas; das gute Herz hatte siebenmal die Ruhr gehabt; Branntwein war das beste dafür. Er zog lächelnd eine Flasche erbeuteten Schnaps aus der Tasche. Und man mußte ihn so warm als möglich trinken. Der Bauer kochte den Schnaps und flößte ihn dem Franzel ein, bis der auch lächelte und ihm die Augen im Kopf zu wanken begannen. Darauf entschlief er, und weil nun sein Magen so betrunken war wie sein Kopf, so hörte die Ruhr auf und er bekam eine Nacht wie die Engel im Himmel mit lauter blütenfarbenen Kinderträumen. Am Morgen tat er,was er auch sonst gemußt und nur unter größerer Not vollbracht hätte: er starb; er lächelte sanft und selig noch weit in den Tod hinein, und wenn seine kleine Seele gekonnt hätte, so hätte sie sich aus Dankbarkeit [80]als eine Art Gloriole um das sündige Haupt des Abenteurers gelegt.

Der hatte mittlerweile die Hühnergeschichte erfahren,seinen Vorrat an Flüchen und Gotteslästerungen glatt aufgebraucht, und ingrimmig die tote Henne samt dem Habicht in die Suppe verkocht. Aber die Klage über den einäugigen Freund glaubte er nicht; er wußte besser,mit welchem Appetit sich der nachher in der Pfarrersküche auf die überreste der Kompaniemahlzeit gestürzt hatte wer fünf Kücken im Magen hat, ist doch über die erste Not hinaus , und warum er ihm seither nachlief wie seine Schleppe. Er stäupte das ganze Katzengesindel samt den unnützen Kötern aus der Stube, ließ nur den Einäugigen da, und legte ihm mit lauter guten Worten, dergleichen hier noch kein Mensch von ihm vernommen hätte, die beiden Vogelhälse vor und die vier Vogelbeine. Darauf kraute er ihm die Ohren, und sagte mit dem tiefen Baß der Erkenntnis zu ihm: „Bisch e brave Kaibehund!“ Das war nun schon fast zu viel für den Köter. Er winselte vor Dankbarkeit, leckte ihm die Hand, wollte wedeln, erinnerte sich wieder an seine Schwanzlosigkeit, setzte sich betrübt darauf und sah den guten Panduren wehmütig an. Dieser kannte so gut wie das Mädchen Christine die Mäuler, welche die Schafmilch wegsoffen und den Brotkasten unsicher machten.Wenn ihn dies Besondere nicht so wütend anfocht wie jene, so kam es nur davon her, daß er einerseits dafür schon zu kräftig in der Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen lebte, und übrigens zu den Müßiggängern und Topfräubern in einem ungefähr umgekehrten Nahrungs[]9q0 verhältnis stand, über dessen Form die Pfarrersküche sichere Auskunft geben konnte. Sie tat es jedoch nicht,sondern blies an schönen Frühlingsabenden verschwiegen ihr Räuchlein in die durchsonnte Luft, schlief bei Tag und erwachte am Abend, und wurde nachgerade wieder nicht mehr leer von guten Dingen und heimlichen Gästen.Daß dabei die Zahl der Hunde und Katzen sich langsam verminderte und im gleichen Maß eine gewisse Ernsthaftigkeit und Wehmut in der Lebensführung der überlebenden an den Tag trat, war nicht zu vermeiden und auch sonst nicht beunruhigend. Nebenher wurde,unter hellem Sonnenschein, auf dem Kirchhof ein Grab für den kleinen Franzel und seine kleinen Läuse geschaufelt, und der darin auf den weiteren Weg gebracht;aber einige von jenen waren vorher zum Hemdenmatz ausgewandert. Dem Bauern ging die Zeremonie nahe,und er sprach ein Vaterunser über dem Grab, das war naß von Tränen. Er wollte auch noch den Glauben sprechen, wußte ihn jedoch nicht mehr. Der Pandur wußte ihn ebenfalls nicht, und die Kinder kannten ihn nicht einmal dem Namen nach. So mußte sich der Daumenlutscher ohne den Glauben behelfen; aber Christine hätte ihn sicher sprechen können. Das Grab wurde zugeschaufelt, und der Bauer steckte ein Kreuz darauf, das er zu Hause aus dem Abfall vom Hühnerstall zusammengenagelt hatte.

Auf den zweiten Pfingsttag war beschlossen, daß die Buben geschoren werden sollten, und der Pandur spielte den Frisör. Er setzte sich auf die Feierabendbank, nahm die Schere zur Hand, und schnitt von den Köpfen []herunter, was darauf war, vom Größten an durch die ganze Kolonne hindurch, bis sich das Geschäft beim glückhaften Hemdenmatz, der zwar ein Mädchen war,aber sich unter lauter Erbschaft vom seligen Franzel nicht mehr zu helfen wußte, ins Leere hinausfraß.

Als das Kind die Erleichterung auf dem Kopf spürte, hob es die dummen Seligkeiten seiner blauen Augen dankbar und ernsthaft zum Panduren auf, und hatte heute zum erstenmal seinerseits auch ein Verhältnis zu der fremden Erscheinung. Es ergriff ihn mit Bedeutung bei der Hand, daß er aufstehen mußte,wenn er ihm nicht direkt gegen den Willen sein wollte,führte ihn daran mit einer Aufwallung inniger Zärtlichkeit quer über den Hof, und verschwand mit ihm durch die bekannte stehengebliebene Tür im Brandgemäuer, das den Hof von der einen Seite begrenzte.Es sagte: „Tomm, Mann,“ betrat kundig einen nicht zu dunklen Gang, ging ihm voran durch einen halbzerfallenen Stall, und stieg mit ihm durch eine offene Tür wieder an den freien Tag heraus. Angesichts einer Brennesselwildnis blieb es stehen und kauerte sich an der Hand des Boten Gottes so zur Erde, daß er sich mit bücken mußte und nun halb in den Nesseln verborgen den, ebenfalls bekannten, Beutel erblickte, aufhob und öffnete. Das Kind schaute zu ihm auf mit der dringenden Frage im Blick: „Ist das denn nun nichts?“ und sah äußerst befriedigt aus, da es Ruodis überraschung bemerkte und daraus schließen durfte,daß das Geheimnis hier gewürdigt wurde. Als der ungarische Krieger vor Verblüffung völlig aus der Rolle [92]fiel und wie ein Kind mit großen Augen das andere Kind fragte: „Ja, darf ich das denn haben?“ da nickte es ihm gütig und gönnerhaft zu. Es berührte seine Hand und streichelte sie leise, weil er ihm so gut gefiel, und nun zuckte bei dem Restaurator der Gemeinde Wullenhausen über die Erregung der Besitzfreude noch eine andere weniger bekannte, daß es ihn unerwartet herumriß und er unter einer verrückt wohltuenden Wallung den geschorenen Kindskopf zwischen seine Diebshände nahm und ein paar Küsse in das stille Gesicht setzte, die viel weniger von übung zeugten,als vom Vorhandensein eines erheblich guten Fadens im fragwürdigen Kittel seiner Menschlichkeit, der damit freilich immer noch kein Staatskleid wurde. Er vergaß völlig, daß er ein Bote Gottes war, und fing tiefverloren mit dem Kind an zu spielen. Er ließ es auf seinem Rücken reiten. Er führte eine Schlacht auf zwischen den Brennesseln. Er kitzelte es. Er zwickte sich in die Beine und schrie dazu. Schließlich fing er an zu singen, und das tönte gar nicht mehr nach der Ausgießung des heiligen Geistes, und auch nicht thüringsch oder hannoversch, sondern kam aus seinem dreieckigen Schweizermaul so lachend und kuhreigenmäßig und zugleich verständlich und mutterselig an den Tag, daß der Hemdenmatz ganz steif aufgerichtet dasaß und mit den großen Augen blinzelte vor Verwunderung und unbewußter Sehnsucht.

Als er fertig war, legte er sich ins Gras, öffnete den Beutel noch einmal und schüttete das Gut auf dem Boden aus, um es zu zählen und zu überschätzen []

und ein bißchen mit den Händen darin zu wühlen.

und ein bißchen mit den Händen darin zu wühlen.Nachher versorgte er das Ganze in einem guten Versteck. Am andern Tag war er vorläufig verschwunden samt seinem einäugigen Freund. Statt seiner schickte der große Vater droben dem betrübten drunten wieder ein Werk der Barmherzigkeit, vorgestellt durch eine blasse siebzehnjährige Landstreicherin mit drei kleinen Geschwistern, diesmal außerdem alles wirkliche ungarische Landsmannschaft. Das ergab nun nach der jüngsten Gottverlassenheit gleich einen vierfachen Händedruck.

X Schweizer traf die Gottesbotschaft an, und zwar unweit jener denkwürdigen Stelle, von der aus ihm, unter Christines Ellbogen hervor, die Welt so sonderbar erschienen war. Als er sie kommen sah, dachte er, er wolle nichts gesagt haben, aber hier sei ohne Zweifel ein Abenteuer auf dem Weg. Er hatte ja auch noch eine Satisfaktion zugut vom weiblichen Geschlecht.Zudem waren ihm in dieser Kriegswüste wieder die Bären und Tigerinstinkte aufgewacht. Und schließlich war sein Geschlechtsbewußtsein nicht viel besser kultiviert als das seines köterhaften Begleiters; wo die beiden etwas weibliches erkannten, rüsteten sie sich auf Unternehmung. Zuerst zog der Schweizer den Säbel und kratzte damit einen Strich über die Straße, dicht vor den Füßen der jungen Landstreicherin, die ihren Ge[94]schwistern einigermaßen erschrocken voranstand. Er befahl Halt und rückte pandurisch auf. Sie solle bleiben stehen und sehen ihn an. Ob sie einen heiligen Panduren kenne? Nein? Er sei vom Kaiser ausgeschickt gegen alles wilde Volk auf der Straße, das den Frieden störe. Gleich werde da hinten seine Kompanie den Berg heraufkommen; sie habe nur eben geschwind im Tal zwei Strauchdiebe an ihren Ort gebracht. Er könne sich ganz gut denken, daß auch sie ihre Finger verlängert habe, denn wovon lebe man. Ob sie wisse,was es für Prämien setze von Reich und Kaiser aus für solche Lebensläufe? Sie solle ihn nur um Gnade bitten, bevor seine Kompanie antrete. Jetzt könne man noch mit ihm reden; nachher vor der Kompanie müsse er streng sein wie der Teufel. Sie möge einmal ein Wort vorbringen.

Er wußte wohl, daß es keine Kunst war, einem Landstreicher mit Erfolg das Eigentumsgesetz um die Ohren zu schlagen; wer auf der Straße lebte, hatte immer ein paar Durchgriffe in seinem Gewissen auf Lager. Der Einschlag war daher für den Schweizer eine vollkommene Sache. Das Mädchen gab ohne Freud und Leid zu, daß es sich so verhalte mit dem Lebenslauf,und bekannte sich zu seiner Gnade mit einem halb trotzigen, halb verkommenen Lächeln des Einverständnisses in der Welt der Zugriffe und der verwilderten Hand. Nebenher lief ein bißchen armer Glückshunger,und über allem lag und gebot das richtige Unglück,ein Kind dieser ausgelieferten Zeit zu sein. Ein ganzer betrübter Roman erschien dem guten Schweizerherzen in [95]der entwurzelten Existenz, die doch weiter kein Verdienst aufbrachte, als daß sie ihm gerade unter einer brüchigen Weltstimmung begegnete, und zufällig das Wort wußte und das spöttisch glühende Licht von Lüsternheit und Verachtung in ihrem düstern Blick verbarg, das ihn aus der Weltlichkeit warf und ihm seine unkultivierte Bockskraft verleidete. „Gebt mir nur Pardon, schöner Mann, wenn Ihr dazu Feuer habt,“ sagte sie mit dem anzüglichen und lustlosen Tonfall der schnöden Unterrichtetheit. „Vielleicht habt Ihr dann auch noch ein paar Kreuzer für mich übrig“ sie sah nach seinem Beutel ; „so wollen wir im nächsten Wirtshaus auf das Wohl des guten Herrn eins trinken. Ist's noch weit bis dahin?“

Der gute Herr hätte angesichts dieser geoffenbarten Lebensöde an der Kinnlade eine Empfindung wie von ungeheuren Maulschellen. Er stand da, brachte die Zähne nicht mehr zusammen, entsetzte sich fortdauernd und in immer weiteren und schmerzlicheren Beziehungen in die gestrafte Welt hinein, und der Kopf brummte ihm von all den Kreiseln, die die Peitschen der Augenblicksbedeutung darin umtrieben. Er wußte auch: die Maulschellen kamen von Gott, dessen Bote er war, und er empfing sie sehr verdientermaßen, Teufel noch eins;es fehlte gewissen Leuten doch noch viel zu einem anständigen Kerl unter dieser trauervollen Bagage von Menschheit. Man hatte noch verflucht zu tun, daß man daraus heraus kam. Außerdem, wie sollte man diesem hübschen Generalmuster von einem Wüstenvogel nun vorpfeifen, daß er an den guten Gott glaubte? Beim [960]Hagel, man bekam eine Wut über sich selber, wenn man das junge Tier ansah. Wer hatte es so gerupft?

„Du sollscht nicht so vermessen daherschprechen,“ tadelte er unmutig. „Gnade ischt etwas ernschthaftes, und ischt nichts zweideutiges dabei, denn sie kommt von Gott. Aber ich kann dir keine geben, sondern du muscht dich bessern in deinem Herzen und Kopf. Ich will dir auch kein Geld geben zum Vertrinken; man kann dieses jetzt viel besser anwenden. Ihr seid nur Saufbolde und Raufbolde in Deutschland. In Pandurien hat man viel mehr Vernunft; da schaut man nur zu, daß man anschtändig lebt. Du sollscht es auch tun.“

Die Landstreicherin hob ihr ungläubiges Gesicht zu seinem gläubigen auf, und betrachtete ihn aus leicht gekniffenen Augen; diesen Ton kannte sie ebenfalls.

„Der Herr mag keinen Kreuzer dran wenden,“ entgegnete sie in tiefgefaßter Bosheit. „Man muß eine Gnade nehmen, wie sie kommt. Das Leben ist mehr als der Augenblick, und Gott zahlt selber mit schönen Worten.“ Sie lächelte ihn mit einer gewissermaßen ergebenen Rückhaltlosigkeit des Hohnes durch und durch,und er stand vor ihr wie ein Sieb oder Gitter des Schuldbewußtseins, nicht nur seines eigenen, sondern der ganzen sündenbehafteten Menschheit, und es gab kein verletztes Gesetz der höhern Sitte, das man nicht durch ihn hindurch in seiner blutenden Gestalt erblicken konnte. „Das sagt Ihr recht,“ fuhr sie kälter fort:„Die Leichtfertigkeit ist nicht pandurisch, aber Schäbigkeit und Heuchelei auch nicht, vorab im verliebten Vor[]haben, und wenn der Kaiser davon erführe, so weiß ich nicht, wie es ihm gefiele.“ Sie regte sich ein wenig auf, soviel es ihre verächtliche Art zuließ, fing unerwartet an, ungarisch zu reden, und erzählte ihm wunderbare Dinge in einer Vatersprache, von der er kein Wort verstand, aber sie alle. Er merkte nur, daß die Verschafluderung jetzt vollkommen sei, und stand geduldig unter dem Hagelwetter, das diese weibliche Jugend über ihn brachte. Das war aber noch nicht alles; mitten in ihrer Predigt sah sie ihn noch einmal besonders an mit ihren schwarzen Augen und hielt dann inne, und er mutmaßte, daß er etwas gefragt sei. Da raffte er sich zu einem Schlußversuch auf, dachte: „Bote Gottes,hilf dir,“ und probierte es mit der Redlichkeit.

„Ich verschtehe kein Wort von dir,“ bekannte er treuherzig. „Weiß der Teufel, was du da für eine Türkenschyrach redescht. Kannscht du nicht langsam schprechen? überhaupt, wenn du mir etwas zu sagen hascht, so rede deutsch, wie ich mit dir auch; das Ungarische ischt mir so verleidet, muscht du wissen, daß ich es gar nicht mehr hören mag, oder es wird mir heiß und kalt dabei. Auch bin ich gar kein Ungar,und auch kein kaiserlicher Gesandter; hab' nur keine Angscht nicht; und eine Kompanie ischt nirgends da hinter keinem Berg. Du muscht mir das Betreffende verzeihen; die Wüschte ischt schuld daran; es ischt mir schon einmal passiert. Aber sonscht meine ich es gut,und ich fange an und eifere um den Frieden; aber ich muß noch vieles lernen. Von dir will ich nichts Unrechtes; vielmehr dauerscht du mich in deiner Verkommen

Schaffner, Der Bote Gottes [98]heit, und ich möchte dir helfen; es ischt etwas heldenmütiges in dir.“

Das war sein ehrliches Gefühl von ihrer Erscheinung;aber sie mächte sich nichts daraus; das Bündel Elend hatte für die Stimme der Ergriffenheit keine Ohren.

„Es kam mich schon vorhin so an,“ machte sie mit spöttischen Lippen. „Du bist ein Schweizer Kuhmaul. Du kannst deine Zunge an eine Stange binden und damit dreschen. Ihr seid gut dazu, daß man mit euch andere totschlägt. Aber du bist auch dafür zu dumm. Warum bist du nicht daheim geblieben und hilfst den andern ihren alten Mist warm hälten?Was spielst du einen Schubiacken und machst die Straße unsicher, du Esel, wenn du um den Frieden eiferst? Eifere, für was du willst, aber gib die Bahn frei für vernünftige Leute, und so gut. Und bete zu Gott, daß Witz in deinen Kopf kommt, den hast du totnötig. Es ist ja schade für dich.“

Nach diesen Worten kehrte sie sich ihren Geschwistern zu: „Kommt, wir können weiter gehen,“ und setzte sich mit ihnen in Gang, ohne den verprügelten Restaurator und Boten Gottes noch einmal anzusehen. Nun befand sich der aber in seiner Zurechtgewiesenheit nicht einmal so übel, dank dem guten Faden in seinem Rock,und fühlte eine lebhafte Regung des Bedürfnisses, dafür dem lumpigen Engel des Herrn jetzt auch mit einem guten Tag zu dienen. Immerhin war sie ihm heimatlich gekommen und hatte gesagt, daß es schade sei für ihn; das glaubte er ihr aufs Wort, vornehmlich weil ihm die Aussage Perspektiven in die Zukunft öffnete.[]„Wo willscht du denn hin?“ fragte er hinter ihr drein. „Da laufscht du in die Wüschtenei, muscht du wissen. Da ischt nichts, als ein verbranntes Bauerndorf mit einem armen Bauern drin, der zwölf Kinder hat. Aber er nimmt dich noch auf. Er nimmt immer alle auf. Geh nur hin; die Hund zeigen dir den Weg.Daß dir die Wölf nichts zuleid tun in der Nacht. Und vielleicht bleibscht du bei ihm und lausescht ihm seine Bagage. Behüt dich Gott auf Wiedersehen.“

Die Landstreicherin hatte sich während dieser Worte halb erstaunt umgedreht und ihre dunklen Augen noch einmal auf den Schweizer gerichtet, der so väterlich reden konnte. Er stand da mit dem ausgestreckten Arm und Säbel wie ein Leuchtturm oder Wegweiser nach dem gelobten Ufer der Glückszustände, von dem sie so weit entfernt war wie er, und das sie wie er nur vom Gerücht kannte. Aber sein Hund gab ihm doch den Anschein, als liege er auf einem bestimmten Kurs irgendwohin und könne schon mancherlei aussagen.Es schien ihr vollends ein Anzeichen von Land auf diesem Ozean der Trübsal, daß einmal einer an ihr vorbeitrieb,der schließlich doch besser war, als er zuerst ausgesehen hatte. Darum erhellte sie auch ihre Miene ein wenig,fragte ihn, wie weit das noch sei bis zu jenem Dorf und Bauern, und machte sich nach einem kurzen Dank endgültig auf den Weiterweg.

Das tat auch Bürgler, indem er seinen Säbel wieder versorgte. Doch war ihm diesmal gründlicher aufgegeben, als nach der Begegnung mit dem Mädchen Christine, und er blieb noch einigemale stehen und []IO0O0 kehrte seinem Ziel den Rücken zu, um der jungen Jungfer nachzugucken.

„Das ischt mein Seel eine zweideutige Jungfrau,“brummte er verwundert; „kommt wie Maria Verkündigung, verkündigt die Wahrheit, und geht wie Maria Heimsuchung, sucht die Heimat. Finde die Heimat, gutes Mädchen. Gehe ein in deines Herrn Freude.“Im Weitergehen dachte er an seine eigene Heimat,ärgerte sich nachträglich über das Kuhmaul und über die Zungendrescherei, die ihm die Landstreicherin zugemutet hatte, sagte sich, daß er ihr eigentlich einen Goldgulden hätte schenken können, vermutete dies und das über seine Persönlichkeit und sein Dasein, und wandte sich einigermaßen bewegt, doch im Ganzen unbeirrt wieder seiner nächsten Vornahme zu. Er wollte in der Stadt etwas gründliches für die Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen tun, vornehmlich vermittels des Beutels, den ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte.

Gegen abend kam er zu dem einzelnen Haus an der Straße. Er überlegte, ob man ihn von seinem letzten Besuch her noch kennen werde, sah ein, daß er sich in diesem Fall noch selber überpanduren müsse,um nicht neben den Respekt zu fallen, zog im letzten Moment in Betracht, ob er nicht doch etwa lieber durch Leutseligkeit bestechen wolle, und betrat einstweilen das Haus, weil es angefangen hatte zu regnen. Es kam darauf an, was er zuerst zu sehen und zu hören kriegte;danach wollte er den Ton nehmen. Als er die Stuben[] 101 tür aufmachte, paßte von allen Voraussetzungen keine einzige, denn da lag ein toter Bauer auf dem Bett,die Kerze brannte neben ihm, und seine beiden dummen Jungen hatten sich an den Bärten und prügelten sich.Er mußte sehen, daß es zuerst überhaupt einmal Ordnung gab in diesem Haus. Er tat einen schönen schiedsrichterlichen Vortritt, und hielt ihnen so aus dem Stegreif eine kleine Rede über Frieden und Achtung vor der Ruhe des Toten, hatte auch den Erfolg davon, daß sie einander losließen und ihn anguckten, als wäre er ein Engel vom Himmel. „Schau,“dachte er, „man kommt mit der Leutseligkeit auch vorwärts; ich will anfangen und den Panduren abstreifen.“Er wollte gerade den zweiten Teil der Predigt einleiten und zur Nutzanwendung übergehen, da faßte sich der eine der beiden dummen Jungen an der Nase, wie wenn ihm ein Licht aufginge.

„He, Jochen,“ sagte er zum andern: „Ist das denn nicht der Pandur, der uns das Huhn gestohlen hat vor einem Vierteljahr? Komm, wir wollen ihm die Knochen entzwei schlagen.“

Er wartete gar nicht erst die Gegenmeinung des andern ab, sondern brachte sich in Bewegung, um seine menschenfreundliche Absicht in die Tat umzusetzen. Jetzt bereute der Schweizer freilich seine leutselige Anwandlung, aber es gab dabei nichts zurückzunehmen; er mußte geschwind den Säbel ziehen und den Schiedsrichtervorschritt in einen Fechterrückschritt verwandeln. Er fing sofort an, mit der blanken Säbelklinge so dringlich in der Luft herumzufuchteln, daß [] 102 den beiden Dummerjahnen war, als guckten sie in ein leibhaftiges Sommergewitter. Wer ihm zu nahe komme,schrie er, in der Angst wieder auf pandurisch, den wolle er in einen laufenden Brunnen verwandeln, aber nicht des Lebens, sondern des Todes. Da erkannte ihn auch der andere.

„Gotts Tod, er ist's,“ schwur er. „Mach dich hinter ihn, Hans, ich will ihm von vorn kommen.Laß sehen, ob er sich mit dem Säbelein die Knochen rettet.“

Er packte eine Holzbank neben dem Tisch auf und schwang sie über dem runden Schädel; der andere schob sich mit einem Knüppel, den er aus der Ecke griff, hinter ihn, und wenn nun der Bote Gottes irgendeinen Schutzengel hatte, so war es Zeit, daß er für ihn einsprang.Statt dessen bekam er einen Einfall. Er ließ überraschend den Arm mit dem Säbel sinken und sah mit allen Anzeichen von Schreck nach dem toten Bauern.

„Ha, ihr Hornböck', habt doch acht,“ sagte er mit verschnürter Stimme, die immerhin verteufelt echt klang.„Wißt ihr denn nicht, daß einer Seele die Beine einschlafen auf dem Weg zur Ewigkeit, wenn man an ihrer Leiche zankt? Vollends die Söhn! Ihr seid ärger als Vatermörder. Da, jetzt habt ihr's; ich sag's euch ja.“

Sie hatten natürlich gar nichts, aber zu seinem guten Glück fuhr ein Stoß Regenwind das Kamin DD das es davon gab, aussah, als blinzle der Bauer mit den Augen und wolle erwachen. Dazu heulte der Wind [] 103 einmal über den Estrich und klapperten die Türen, und alles miteinander machte gerade so viel Stutzigkeit, als Bürgler brauchte, um bei den dummen Teufeln mit seiner Sache wieder zu Wort zu kommen.

„Was wollt ihr überhaupt mit mir?“ fuhr er schnell fort, während die Rüpel noch in der Gänsehaut staken.„Nehmt euch ja vor dem Kaiser in acht, der wird ganz anderscht mit euch seiltanzen, wenn er hört, daß mir etwas zuleid geschehen ischt von euch. Ich bin auf dem geraden Weg zu ihm, weil ich ein Schtaatsverbrechen begangen hab', und über das kann nur der Kaiser ein Urteil geben, sonscht keiner in Deutschland.Und das kommt alle hundert Jahr einmal vor, drum ischt er scharf drauf. Also glaubt an Gott und segnet euch, sonscht kann ich euch beiden die Hälse abschneiden und darf kein Hahn danach krähen. Ihr kennt mich noch gar nicht. Wenn ihr Luscht habt, so kommt meinetwegen; ich bin schon mit andern Dingern fertig geworden als ihr seid. He, marschier doch her mit deiner Bank; ich will dir die Finger schtrecken, daß du einmal einen Fechtmeischter kennen lernscht.“

Nun stand er wieder auf der andern Seite und schaute herüber. Und den dummen Teufeln war es,als sei er der lebendige Mephistopheles, oder sonst ein schlimmer Geist, den man subtil behandeln mußte.Außerdem, wenn einer eine Teufelei fertig gebracht hatte, über die bloß der Kaiser urteilen konnte, der mußte schon was bedeuten. Jochen stellte seine Bank kleinlaut zum Tisch und Hans hing den Knüppel [] 104 an seinen Nagel, und dann sagte Jochen, der Herr solle es ihm nicht für ungut nehmen, indem Hans ihn aufgestiftet habe; der sei ein Krakeelhund. Der antwortete gestochen, wenn man es nicht mit dem Kaiser zu tun bekomme, so sei jedenfalls Jochen nicht schuld daran; er hätte den Herrn mit der Bank zu Brei zusammen gehauen, wenn der ihn nur ein bißchen gefürchtet hätte; aber ihm sehe jeder auf hundert Schritt den Tollpatsch an.

„Ha,“ begehrte Jochen auf: „So ist's doch schad',daß dir der Herr nicht den Bauch gekitzelt hat mit seinem Säbelein.“

„Du Esel, er wäre doch zuerst an dich gekommen,“erwiderte Hans. „Was meinst du wohl, wie geschwind er dir unter deiner Bank durchgewischt wäre? Ha, ich hätte ihm noch ein Huhn obendrein geben wollen, wenn er dir's nur gut besorgt hätte.“

So verdarben sie einander wieder wohlbedacht die Luft, rückten sich unterm Schimpfen schrittweise näher,bis sie sich Nase vor Nase gegenüber standen, nacheinander ohne Hast die Hände hoben, und sich wieder an den Bärten hatten. Auf einmal handelten sie von Haus und Hof, daß ihnen alles gemeinsam gehöre, daß sie da bleiben wollten bis an ihr seliges Ende, aber daß jeder Angst hatte, der andere wolle alles für sich allein nehmen und ihn an die Fremde herausstellen.Hans beteuerte, er gehe einmal hier nicht ab; Jochen möge machen was er wolle. Jochen schwur, er wolle sich eher am Dachbalken aufhängen, als daß er dem andern den Platz allein lasse. Sie waren so durchaus [] 105 und wunderbar einig in ihrer Angst vor der leeren Fremde und in ihrer Liebe und Anhänglichkeit zur angeborenen Heimstadt, daß es auch wirklich ein Ding der Unmöglichkeit war, wie einer den andern darin verstehen sollte.

Als der Schweizer Charakter und Dichtigkeit der Streitgründe erkannt hatte, wartete er nicht weiter auf seine Abfertigung, sondern richtete sich auf eigene Faust bei den guten Leuten ein. Er steckte den Säbel in die Scheide, nahm seinen Ranzen von der Schulter und legte ihn auf den Tisch, schnallte den Gurt ab und machte es sich bequem auf eben der Bank, mit der er vorhin hatte breitgeschlagen werden sollen. Er öffnete den Ranzen, brachte daraus einen halben Laib Brot zum Vorschein nebst einem Ding, das aussah, wie ein Rehschlegel, das aber zu seinen Lebzeiten bedeutend mehr gejagt hatte, als es selber geijagt worden war, zog ein Messer aus der Tasche und fing an zu essen, ohne sich weiter um die Haderer zu kümmern. Er zeigte damit,daß er ein Seelenkenner war, denn er hätte erst den dritten Bissen hinunter geschluckt, so hob Hans die Nase und schnüffelte in die Luft. Darüber wurde auch Jochen aufmerksam, ließ Hansens Bart los und drehte sich nach dem Panduren um.

„Gotts Tod, Hans, der ißt Braten,“ sagte er verblüfft und schluckte schon gewaltig. „Er soll uns auch was abgeben. Braten hab' ich schon lang keinen mehr gefressen.“

„Ich auch nicht,“ sekundierte Hans, trat dem Panduren hoffnungsfroh näher und scheuerte sich den Rücken.[] 1060 Wenn seine Geschmacksfantasie einen starken Eindruck empfing, so überlief ihn eine Nesselsucht davon. Er hatte zu scharfe Säfte für sein süßes Fleisch.

Der Schweizer lachte.

„Sitzt her, wenn ihr etwas zu trinken habt dazu.Alles was recht ischt. Sonscht müßt ihr euch die langen Zähne am Türpfoschten schtutzen.“

Die Brüder warfen einander einen Blick zu, der war zuerst direkt sinnig. Freilich hatten sie etwas zu trinken. Sie hatten immer etwas zu trinken; woher waren sie denn so breit und dumm? Aber wer wußte,wie lange nun die Freude noch dauerte? Sie machten miteinander kehrt, setzten sich in Gang und verließen Schulter än Schulter die Stube, in der der Pandur mit dem toten Bauern allein blieb, und mit dem guten Hund Stummel. Er fürchtete sich aber nicht vor der armen Leiche; dafür hatten ihm die Lebenden aller Orten schon zu scharf zugesetzt. Allein weil es nachtete, stand er auf und holte die Kerze, da sie dem Todesfall doch nichts nützen konnte, und stellte sie vor sich auf den Tisch, um damit das Mahl zu illuminieren. Als die Brüder mit einem Eimer voll Bier auftraten, hatten sie zuerst wieder eine Gänsehaut zu verwinden über das Wagestück, das sie da ausgeführt sahen. Der Kerl mußte wirklich ein großer Sünder sein, daß es ihm nichts geschadet hatte. übrigens war das Bier von A bis Z eigener Sud, im Keller ausgeführt aus wildem Hopfen und selbstgepflanzter Gerste, und sonst gab es keine Friedenswerke von Belang in diesem Haus. Sie hatten sich unter der Leitung des Vaters auch im Krieg [] 107 je und je zu dem beliebten Trank verholfen mit Tücke und Wachsamkeit, wobei ihnen einmal die Mutter nachts auf Posten beim Gerstenfeld, als sie das Schelmgeschrei anfing, totgeschlagen wurde. Morgens fanden sie sie so und so und, was schlimmer war, das Feld abgemäht.Das war das einzige Jahr, in dem sie fremdes Bier tranken, nämlich gestohlenes von einem Stadtbrauer;es schmeckte ihnen aber nicht. Im Herbst stahlen sie auch noch die Aussaat für den Frühling, und waren seither immer wieder fein heraus gewesen. Leider sah es für das nächste Jahr um so betrübter aus, weil sie vor lauter Hader heuer nicht zum Pflügen und zum Säen gekommen waren.

Als der Pandur den Segen im Kübel wahrnahm,tat er seinen Sack noch einmal auf und brachte einen zweiten Rehschlegel daraus zum Vorschein. Die Brüder fuhren mit einem frischen Laib Brot auf, und Bürgler versorgte den seinen in den Ranzen zurück; nun aß und trank das Kleeblatt wirklich für drei Wirte und drei Gäste. Man hielt sich auch nirgends mit Erklärungen auf, sondern blieb ernsthaft und stillschweigend daran, bis nichts mehr übrig war, als die kahlen Knochen und das leere Holz. Darauf saßen die Brüder eine Weile satt und stumm auf ihren Plätzen und redeten mit ihrer Seele, und der Pandur ging mit sich zu Rate, ob er nun von seinem großen Verbrechen erzählen solle. Aber wie er die Augen hob, sah er,daß sich die Rüpel über den Tisch hin auf eine Weise tückisch anstarrten und allem Ansehen nach etwas bedeutendes damit meinten. Hans hätte seine Fäuste [] 108 geballt auf der Tischplatte liegen und sperrte sich an seinen gewaltigen Armen mit allen Muskeln, als sollte er weggeschleppt werden. Jochen stützte das Kinn auf die Hände und die Ellbogen auf den Tisch, und machte immer kleinere und giftigere Augen an seinen Bruder hin. Der fing langsam an zu schwitzen und zu zittern vor Anstrengung, und endlich hielt er's nicht mehr aus.

„He, wenn du am Ende meinst, ich sitze jetzt finster im Kopf von dem Bier, und du kannst mich langsam anfangen hinausstechen mit deinem Gucken, so dann müssen wir von vorn anfangeñ. Es fehlt halt noch viel dazu.“

Darauf erwiderte der andere, und legte die Hände vom Gesicht an die Tischkante zum Aufstehen fertig:

„Das ist gut, mein Seel. Spanne nur die Arme.Aber du mußt noch an mancher Maß hinaufklettern mit der Gurgel, bevor du mich vor die Türe setzest.Komm her.“

Das Wort fand Anklang. Sie standen beide von den Sitzen auf und gingen mit dem leeren Eimer wie vorhin Schulter an Schulter und mit Köpfen, die schwindlig waren vor Mißtrauen und Angst, aus der Stube. Im Keller war ein Loch in den Boden gegraben und mit vieler Vorsorge zur Aufbewahrung des Gewässers hergerichtet. Zu den Schweden, die drunten etwa nach vergrabenem Geld stöberten, hatte der Vater immer liebevoll gesagt: „Gebt acht, daß ihr nicht in die Jauche fallt!“ Jetzt schöpften sie mit wortlosem Ingrimm ihren Eimer wieder voll daraus, faßten ihn an den Ohren, stiegen die Kellertreppe hinauf damit,[] 109 und setzten ihn droben in der Stube mit Wucht auf den Tisch. Aber so beharrlich sie nun, diesmal ohne sich mit Essen aufzuhalten, nach Jochens Rat mit den Gurgeln an den Maßen hinaufkletterten, so brachten sie sich doch nicht höher, sondern es kam beiden vor,als versänken sie immer tiefer in ihrer aussichtslosen Verlegenheit. Schließlich fing Hans aus einem langen Schweigen heraus laut an zu heulen und zu bellen,obwohl er der stärkere war; aber er hatte das weichere Gemüt. Da schlug Jochen mit der Faust auf den Tisch, daß das Bier im Kübel einen Sprung tat.

„Gotts Tod, ich hänge mich auf diese Nacht, so hast du deinen Willen und kannst dich hier allein breit machen, Hungerleider, elender.“

Obwohl er das härtere Gemüt hatte, so überkam ihn doch etwas wie Atemnot, sobald er damit durch einen besonderen Regen mußte, wenn ihn sein Bruder machte. Vollends den bärenmäßigen Menschen heulen zu sehen, wirkte in seine Lungensäcke wie ein Sturz Roßnägel und verleidete ihm das Leben.

Hans kam vom Bellen ins Belfern.

„O du märterlicher Hund, der du bist. Wenn du dich aufhängst, so hänge ich mich vorne dran, daß du mir gerade ins Gesicht sehen mußt, wie ich dir die Zunge herausstrecke. Komm, wir wollen sehen, wer stärker ist. Ich will probieren, ob ich dich erwürgen kann. O du Blitzhund, ich muß halt heulen. Warte nur bis nachher!“

Der Schweizer hatte sich bis jetzt in seiner Ecke rein aufs Aufmerken verlegt und dabei ab und zu [] 110 etwas kurze Weile gehabt; nun fing ihn das Wesen langsam an zu verdrießen. Freilich hatte er dafür auch allen Bescheid zu Hause über die beiden unvernünftigen Notleidenden und konnte nun mit Sachoverständnis eingreifen. Er klopfte mit der flachen Hand auf die Tischplatte, um Aufmerksamkeit zu schaffen, und setzte sich gerade.

„Sagt mal, ihr guten Männer, ihr habt euch doch gern. Ihr seid ja völlig verliebt ineinander.Warum heiratet ihr euch da nicht? He?“

Sie mächten runde Augen an ihn her. Aber er sah so ernsthaft und ehrbar drein, daß sie den Vorschlag gelten lassen mußten. Sie richteten schüchtern und mit einer Art von Zärtlichkeit von unten herauf die Blicke aufeinander, hielten einander nicht aus,glitten ab und suchten sich wieder. Es war doch wirklich ein Vorschlag zur Güte. Hans wurde sogar richtig rot bis hinter die Ohren und, um sich Haltung zu geben, griff er nach dem Bierkübel und setzte ihn sich ins Gesicht. Er hatte ihn kaum abgestellt, so zog ihn Jochen auf seine Seite herüber und tat es ihm nach. Dann guckten sie wieder zueinander hinüber und empfanden Wohlgefallen aneinander. Ruodi sah ein,daß alles Element vorhanden und nur noch eine kleine Direktion nötig sei.

„Es kommt bloß darauf an, welcher dem andern die Ehe anträgt,“ erklärte er mit dem vorigen Ernst.„Dem gehört dann das Äußere und der andere, weil er seine Frau ischt. Aber dem anderen gehört das Innere und auch der andere, nämlich der Mann, der das AÄußere [] 111 hat. So kommt einfach keiner zu kurz. Uüͤberlegt's euch einmal.“

Dem großen Hans ging ein hurtiges Licht auf im Kopf, daß sein ganzes weitausgebreitetes Gesicht davon hell wurde. Er legte die Hand an den Bierkübel und zog ihn langsam zu sich herüber, indessen er wieder rot wurde und Jochen verliebt von der Seite ansah.

„Willst du mich halt zum Mann, Jochen? Ich will dir schon gut brauen.“

Er hob den Kübel vors Gesicht und tat ein paar mächtige Züge.

Diesmal schlug Jochen nicht bloß mit einer Faust auf den Tisch, sondern mit beiden. Dazu fuhr er von seinem Sitz auf, daß Hans erschrocken den Kübel hinstellte und den bösen Wüterich verständnislos anstarrte.

„Daß du mich in den Regen schicken kannst, Gotts Tod?“ schrie er. „Ich sage dir, vergiß das. Du bist der feinere, du gibst die Frau. Dein ist das Innere und mein ist das Außere, weil ich der Gröbere bin.“Er schlug wieder um. „Mein Seel, es ist mir verleidet;ich will mich nur aufhängen heut nacht. Friß alles allein, Wanst, gottloser.“

Er tauchte mit seiner adergeschwollenen Stirn tief in den Bierkübel unter. Hans mächte nun ein sehr trauriges Gesicht und begann wieder zu schwitzen.

„Aber ich bin doch der Dümmere,“ wandte er noch schüchtern ein. „Und ich hab' das weichere Gemüt.“Doch schuf er keine Stimmung damit. Jochen bliehb für diesmal dabei, daß er sich hängen wolle. Hans machte noch einen Versuch, Jochen zu der Beweisführung [] 112 einer Kraftprobe zu verlocken, weil es ihn gelüstete, ihn mit der Gelegenheit tüchtig zu kneifen. Jedoch der ließ sich nicht mehr aus seinem Hinterhalt herauslocken. Hans tat einen mächtigen Seufzer. Ruodi erhob sich gelangweilt.

„Ihr müßt halt abwechseln. Werft das Los, ihr dummen Tröpfe,“ sagte er hochmütig. „Ich will jetzt schlafen. Wo kann ich unterkriechen? Wenn ihr mir ein gutes Bett gebt, so mag es sein, daß ich euren Schtreit dem Kaiser vorlege, wenn ich zu ihm komme.Besser ischt es freilich, ihr vertragt euch. Der Kaiser tut nichts umsonscht, müßt ihr wissen.“

„Ha, ach ja, Herr, sagt's ihm doch,“ bat Hans und schlug ein paar Augen zu ihm auf, die waren ganz violett vor Gram. „Ihr geltet gewiß etwas bei ihm,weil Ihr so ein besonderer Spitzbube seid. Es soll uns auf ein Ohm Bier oder zwei für ihn wahrhaftig nicht ankommen. Und wenn er Euch nicht hängen läßt, und Ihr kommt auch sonst frei davon, so könnt Ihr Euch einen ganzen Monat lang umsonst befressen und besaufen bei uns. Kommt, wir wollen Euch schon ein Bettlein zeigen. Unsere Schwester hat drin geschlafen, die Käthe;aber sie ist mit den Soldaten gelaufen, das Mensch.“

Als sich Hans erhob, stand auch Jochen auf; er hatte Angst vor der Leiche in der Ecke, und außerdem,daß Hans etwas mit dem Herrn abkarten könnte, um den Kaiser zu seinen Gunsten zu bestechen. So begleiteten sie ihn beide zu dem Bettlein, holten miteinander noch einen Armvoll Heu, weil das Stroh darin inzwischen herausgefault war, wünschten ihm eine gute Nacht und trollten sich. Der Pandur stieß den Fenster[]

laden auf, daß frische Luft herein kam, redete ein

laden auf, daß frische Luft herein kam, redete ein Weilchen mit seinem Freund Stummel, und legte sich ins Heu, um nach kurzer Zeit alle Not der Welt zu vergessen. Als er am andern Morgen fräüh in die Stube trat, schliefen die armen Teufel noch wie die Klötze auf der Ofenbank. Der Kübel war leer, und sie hatten aller Annahme nach keine kleinen Räusche zu vertun. Er störte sie nicht dabei, schnallte den Säbel um, warf seinen Ranzen über und trat aus dem Haus,um den Abend zu guter Zeit die Stadt zu erreichen.Der Morgen war frisch und duftete wie ein Gewürzladen, daß Stummel nicht aus dem Niesen herauskam.Nachher trat die Sonne aus dem Nebel, und da fing Bürgler an zu niesen, weil sie ihm in die Augen schien.Darauf gewöhnten sie sich, hörten mit Vergnügen die Lerchen singen und sahen die Schmetterlinge gaukeln, und gegen Mittag fingen sie sogar einen richtigen Hasen miteinander auf dem Feld. Der Schweizer machte ein Feuer,teilte Stummel seinen Anspruch roh zu und briet seinen eigenen, und war einmal mit der Weltordnung so durchaus zufrieden, daß er erfreut in die Worte ausbrach:„'s isch doch ä kaibe netti Welt do unte.“

De Friede war, wenigstens bei Tag und in jener Gegend, in die der Schweizer im Verlauf des Nachmittags eintrat, schon so begriffen und angewandt,daß nun vielerorten und je länger je reichlicher auf Schaffner, Der Bote Gottes [114]den Feldern ein herzhaftes Zugreifen umging und, das A Stadttor die Schildwache in ihrem Häuschen schlief,als Ruodi mit seinem struppigen Freund in die Stadt herein schritt. Stummel lief hinter seinem Herrn weg neugierig auf das Zeichen zu und beroch es unterhalb,wo es schön grün und braun gestreift war. Dann nahm er voll Ideen den linken Hinterfuß auf und zielte damit die Stadt hinunter; da er nur noch das linke Auge hatte,so sah es aus, als drücke er das andere zu. Darauf trabte er quer über die Straße einem neuen Interesse entgegen. Ein weißer Spitz hatte den Vorgang beobachtet und kam geradeaus herbeigelaufen, als Stummel den Rücken drehte. Er verschaffte sich einen Einblick, zielte versuchsweise auch ein bißchen, hatte aber eigentlich nicht viel Zeit, sondern flitzte erregt davon und dem fremden Besuch nach. Nachher erschien ein Pudel, und dann kam ein Wolfshund, zwei Teckel kamen und ein großer Metzgerhund trat auf, und alles unterrichtete sich, zielte schnell die Stadt hinunter, gab den Vorgängern recht und rannte dem fremden Besuch nach.

Stummel hätte sich gerade mit einer Spur abgegeben, als ihn der weiße Spitz erreichte. Da beschäftigte er sich einen Augenblick freundlich mit ihm, ließ sich auch ein bißchen mit dem Pudel ein, stellte sich vorübergehend mit dem Wolfshund in den Kreis, der rasch in einen knurrenden und schnarchenden Wirbel ausartete, runzelte verblüfft die breite Stirn über die beiden Dachse, wartete den Metzgerhund nicht ab, warf die Nase hoch, weil er eine bekannte Witterung auf[] 115 fing, und rannte damit wie unter einer Fahne die Straße hinunter einer jungen Frau nach, die dort ging;Spitz, Pudel und Wolf rannten mit, aber die Dachse hoppten verloren hintendrein. Als Stummel der jungen Frau nahe kam, heulte er hell auf in einer Tonart,deren sich alle Geschöpfe bedienen, die da säugen oder gesäugt worden sind, wenn sie das hohe Gefühl der Wiedersehensfreude ausdrücken müssen. Doch hier klang noch eine besondere Wullenhauser Färbung mit, die bewirkte, daß die junge Frau sich getroffen umdrehte und nun zeigte, daß sie das Mädchen Christine war. Da zeigte der fremde Besuch, daß er der gute Hund Stummel sei und sie freilich noch sehr wohl kenne,und sich schrecklich freue, sie wieder zu sehen. Die beiden letzteren Punkte wurden gegenseitig; aber bei Christine kam noch ein Mitleiden über das verlorene Auge und eine flüchtige Verwunderung über den noch einmal gekürzten Schwanz hinzu, sowie überhaupt über den ganzen Umstand, denn wie kam das Tier in die Stadt? Ihr erster Gedanke war der Bauer, und sie sah sich um, erblickte jedoch nichts auf der Straße, als Hunde und Kinder und den Feierabendschatten, der sich langsam vom Tor herunter aufmachte. Sie beschwichtigte ihr Herzklopfen mit dem Zeichen des alten Unmuts, dachte, wenn sie den Bauern zu sehen kriegen solle, so werde sie ihn wohl zu sehen kriegen, sagte:„So kam halt, Stummel,“ und nahm ihren Weg wieder unter die Füße. Stummel tat einen gewaltigen Freudenblaff, machte einen senkrechten Satz in die Luft,daß er sich fast nach hinten überschlug, und fuhr unver[] 116 sehens seitwärts heraus dem Wolfshund in die Weichen,der daneben Maulaffen feil hielt, daß Spitz und Pudel zu Tode erschrocken auskniffen. Der Wolf verbat sich das; doch stellte sich heraus, daß Stummel den Teufel danach fragte, und der Wolf mußte es anerkennen und den Platz räumen. Stummel trabte erhobenen Hauptes im Glanz des Siegers und an der Seite des Mädchens Christine die Straße hinunter, sah nicht rechts noch links, sondern mit seinem einen Auge nur leuchtend zu Christines Gesicht auf, und war so völlig vertieft und entrückt in seiner freudigen Bewegung, daß er vorne im Kopf der festen und frohen überzeugung war, hinten werde nach Gebühr fortwährend gewedelt.Das war nun freilich nicht der Fall; dort schimmerte bloß im milden Licht der untergehenden Sonne das runde Schnittscheibchen als ein stilles Laternchen unbewußter Wehmut.

Christine ging mit ihrem Begleiter durch mehrere enge, vergiebelte und verwinkelte Straßen mit grobem Steinvflaster und Häusern daneben, die schmal und engbrüstig Seite an Seite standen, oben ewig die Köpfe zusammensteckten, und sich in Reihen vorn herein neigten,um sehen zu können, was auf dem Grund der Gassen passierte. Stummel hatte die Anschauung hinter seiner Stirn, als trabe er auf der feuchten Sohle eines verzweigten Geklüftes, in dessen Gestein sich seitwärts überall Menschen hineingewühlt hatten, deren, nebenbei bemerkt, ihm noch nie so viele auf einmal zu Nase gekommen waren. Seine bisherige Erfahrung ging dahin, daß der Mensch ein Einsiedlertier sei; nun beob[] 117 achtete er, daß er anderwärts auch in Herden lebte.Aber Stummel war ein Hund, der sich über nichts aus der Fassung bringen ließ, der einfach aufpaßte, daß er zwischen den Dingen sein Fortkommen behielt. Er stellte fest, daß Christine zur Herde gegangen sei, rekapitulierte, daß die Hunde hier unten anders gerieten als droben in der Sonne, und bemerkte, daß er einen feuchten Pelz bekam. Einmal passierten die Freunde einen alleinstehenden steilen Felsen oder Berg, der von innen heraus leuchtete, und von dessen Spitze gerade ein vermutlich sehr großes Tier zu brüllen anfing.Stummel erschrak etwas und witterte erregt in die Höhe, konnte nichts riechen, kam in Verlegenheit und fing an zu winseln, weil er nun nicht wußte, was er zu erwarten hatte. Er steckte die Nase in Christines Hand, merkte, daß die ganz ruhig blieb, und faßte sich wieder; aber er sträubte die Haare, so lang ihnen der Abendwind das tönende Gebrüll in die Klüfte hinein nachwehte, durch die sie ihren Weg weiter gingen. Endlich bei einer vorspringenden Ecke trat Christine direkt in die Wand ein, und Stummel damit. Er merkte nun wohl, daß das Lokal, in das er da kam, Ahnlichkeit besaß mit den andern Räumen, in die ihn der Schweizer auf dem Weg hierher geführt und in denen er vorher beim Bauern sich umgetrieben hatte; aber es war im ganzen enger, unfreier und viel dunkler,und es roch feucht. Man mußte jetzt abwarten, was geschah mit einem.

Christine schloß die Haustür hinter sich, tat ein paar Schritte in einen finstern Gang, und stieg seitwärts [118]im Winkel eine Treppe hinauf. Droben schritt sie in umgekehrter Richtung einen etwas helleren Korridor entlang, kam an einer offenen Tür vorbei, durch die sie eine Jungfrau oder Frau sich ausziehen sah, obwohl es noch gar nicht Schlafenszeit war, runzelte die Stirn und erklomm zornig eine zweite Treppe, über der die Bodentür aufging und eine Erscheinung wie ein roter Hahn auf einer Feuerleiter sich hervorschob. Das war der Herr des Hauses. Der Hahn in der Höhe erklärte sich als dessen magerer, blasser Knabenkopf, auf dem eine spitze und hohe rote Mütze saß; sie hing seitlich mit zwei Ohrenklappen bis nahe zu den Schultern herunter.Die Feuerleiter wurde bewirkt durch die schwarzen Querschnüre, die seinen roten Schlafrock von unten bis oben zusammenhielten. Das Gesicht schaute dem Mädchen Christine traurig und mißbilligend entgegen. Es machte am hellen Tage einen gewissen weitherkommenden Eindruck von überwachtheit und Abgewendetheit, und zwei stille Linien, die seitwärts an der Nase herunterliefen,gaben Bericht von allerlei geduldig ertragener Mühseligkeit des Daseins.„Hast du die Linse?“ fragte er. „Gib.“ Er nahm ihr das Glas ab, prüfte es rasch und richtete seinen schwermütigen Alchimistenblick noch einmal auf das Mädchen: „Du gehst wieder unter dem Einfluß des bösen Geistes, der da heißt Aufenthalt und heimlicher Widerstand, aber ich werde dich ihm noch für immer entrücken. Dein Fleisch ist stark, dein Geist ist schwach;ich will dich wenden wie einen Rock. Siehe, da ist schon die hohe Quadratur, und der Sextilschein kommt [110]auf glühenden Füßen herauf. Mache dich an deinen Platz, daß uns der Bär bereit findet. Spute dich,Widersinn. Tummle dich, Eigensinn. Und daß mir niemand das Licht verdirbt durch den Dienst des Bauches! Gleich komme ich über euch mit der tiefen Unwissenheit. O ihr Tiere, gehorchet mir. Ihr Kreaturen,tut meinen Willen. Gehe, laufe, halte den Weisen nicht auf.“

Der blasse Eiferer zog sich hinter die Tür zurück,die ins Schloß schnappte. Christine drehte sich mit gesenkten Augenbrauen auf der Treppe um und stieg langsam und verdrossen die Stufen hinunter. Stummel war nicht mit hinaufgekommen, sondern hatte inzwischen bei der jungen Frau oder Jungfrau zu schaffen gefunden, die sich hinter der offenen Tür schon so früh zum Schlafengehen anschickte. Als Christine dahin kam, sah sie ihren wiedergefundenen Freund leuchtenden Auges, mit seitwärts heraushängender Zunge, und im übrigen staubig und borstig neben der zärtlichen Erscheinung sitzen, die ihm eine weiße Hand auf den Kopf gelegt hatte, mit der anderen hilflos an ihrem bloßen Arm auf und nieder fuhr, und dazu etwas Weniges weinte. Da kam für Christine der Augenblick, mit ihrem Ärger hinter dem Brustlatz hervorzufahren.

„Da wollte ich doch lieber auf allen Vieren nach Magdeburg kriechen, als so ein Hudelleben führen, wie du tust. Ich will mich aufzäumen lassen für einen Esel, Säcke tragen und im Prügelregen gehen, und wenn ich dir begegne, so haue ich immer noch hinten [] 120 hinaus und schreie: Guten Tag, dumme Traurigkeit.Meinst du, hat dich Gott darum so rund und lustig ins weiße Fell gepackt, daß du einem alten Uhu im Schatten helfen sollst Mäuse jagen? Ha, schlage ihm seinen Hahnenkamm um die Ohren, verjuck ihm den Krempel droben, mit dem er in die Sterne guckt, nimm ihn bei der Hand, geh vors Tor mit ihm in den Wald,gib ihm starken Wein zu trinken und sieh zu, wie ihm wird bei dir. Mein Seel, ich will nur gleich anfangen und ihm die Zunge salzen.“

Die also angeredete junge Dame hieß Luna und war die Ehefrau des schwermütigen alten Herrn, der vorhin von der Bodentreppe herunter Christine aufgesagt hatte. Sie erwiderte zunächst nichts, sondern zog noch ein kleines Register an ihrem Weinörgelchen, daß es ungetröstet säuselte und herzbebte und für jedes tiefe Andante bereit und eingestellt war, wer's darauf spielen wollte. Dann wandte sie das Gesicht halb zu Stummel,faßte ihn nachdenklich an einem seiner Schweineohren er mußte den Kopf etwas schief halten, wenn es nicht empfindlich werden sollte , schob die andere Hand unter die Achselhöhle und schielte mit einem grünlichen Spott und Leidensblick zu dem resoluten Mädchen auf.

„Das ist vielleicht gut für dumme Bauern,“ stichelte sie aus ihrer schwierigen Traurigkeit heraus. „Du hättest deinen Daniel so zubereiten sollen. Aber von studierten Herren verstehst du nichts; dazu bist du zu dumm mit deinem gewohnheitsmäßigen Kopf, mußt du wissen.Sieh zu, daß du kluge Gedanken denken lernst,wie ich. Du transpirierst zu viel. Du bist tierisch,[121]täppisch und gemein. Du verdirbst auch immer meinem Herrn das Licht mit deiner Gefräßigkeit. Ich will heut nicht haben, daß du etwas ißt, hörst du? Ich befehle es. Es ist eine wichtige Nacht. Es gibt Quadratur und Sertilschein. Davon begreifst du nichts;aber mein Herr hat mir alles erklärt. Geh jetzt, daß du auf deinem Platz bist, wenn mein Herr mit der tiefen Unwissenheit über uns kommt.“

„Mag er doch seine tiefe Unwissenheit für sich behalten,“ rief Christine mit ärgerlichem Lachen zurück und schüttelte den Kopf, daß die braunen Löckchen, die sie in der Stadt bekommen hatte, um ihre hübschen Wangengruben flogen. „Es dünkt mich, wir sind leider allein schon unwissend genug; will er uns denn noch dümmer haben?Zwar wenn du wieder einmal richtig essen wolltest, so wärest du sofort gescheit. Du kommst von der Gnade und wirst eckig, liebste Muhme. Ich wollte nicht, daß mir auch so spitze Ellbogen gerieten, wie du schon hast.“

Luna setzte sich gerade auf und blinzelte Christine ängstlich ins Gesicht.

„Findest du, ich bin mager, Christine? Ja? Mager will ich nicht werden. Mager ist sehr häßlich. Habe ich spitze Ellbogen?“

„Sieh her,“ sagte Christine statt der Antwort und streifte den Armel vom Handgelenk zurück, daß ihr fester, nackter Jungfernarm ans Licht kam: „Das wächst nicht vom Hungerleiden, auch nicht vom Herumsitzen.Wer sich regt, pflegt sich. Er wird noch eine Vogelscheuche machen aus dir mit seiner tiefen Unwissenheit.“

Luna stand entschlossen auf.[] 122 „Christine, ich binmeinem Eh eherrn ergeben, weißt du; aber eine Vogelscheuche aus mir machen soll er nicht; denn es schadet ihm selber, wenn er eine häßliche und schwache Frau bekommt.“ Sie stockte einen Augenblick, schluckte ein bißchen, und sah dann Christine,wieder mit schwimmenden Augen, betrübt und bittend an: „Was muß man da tun, Christine?“

Das Mädchen zog die Schultern hoch.

„Weiß ich das? Essen willst du nicht; es verdirbt dem Herrn das Licht. Frage ihn selber, er ist so klug; vielleicht findet er etwas zwischen den Sternen für dich.“

Luna schüttelte traurig den Kopf.

„Dort ist nichts von der Art. Dort ist nur Zukunft und Vergangenheit, und die Leichtigkeit der Sternenluft. Christine, glaubst du wirklich, daß es das Licht verdirbt, wenn ich ein bißchen etwas esse?Ich bin ziemlich schwach, und da muß das Licht doch auch schwach werden, nicht wahr? Dann sieht D bin, so muß das Licht um so heller scheinen. Was meinst du?“

„Was ist da zu meinen?“ erwiderte Christine gelangweilt. „Daß eine magere Gans kein Schwan ist.Ich hab' meinen Tag beigetrieben; nun steht mir die Suppe an. Von dir verstehe ich nichts, weil du gebildet bist und ich nur einen gewohnheitsmäßigen Kopf habe. Es kann sein, es ist wirklich besser für dich,daß du Hunger leidest.“

Sie schickte sich zum Gehen an. Sie dachte ganz []richtig im Sinn der kräftigen Erde, daß Lunas zärtliche Bedürftigkeit ihr von selber folgen werde. Das geschah auch, aber mit Protest und unerwarteter Verhinderung.

„Nein, du darfst nichts essen, Christine, hörst du!Ich kann es nicht dulden. Du hast es auch gar nicht nötig; du bist so stark und dick, wie ich eben gesehen habe. Aber mir mache etwas ganz Leichtes, Verdauliches von Milch und Ei um meines lieben Herrn willen. Geh und bringe mir's bald, gutes Bäschen.“

Christine drehte ihren Kopf betroffen und halb belustigt zur Seite, und ihre dunklen Augen blickten so lebendig und blau, daß davon zwei heimliche Ringe an der Wand hinab glitten. Doch sagte sie nichts dagegen,rief den braven Hund Stummel und ging ab mit ihm.Luna entkleidete sich darauf vollends bis auf die Haube und den Ehering, und streckte sich in Erwartung kommender Verfügungen und Geschehnisse auf die geschnitzte Truhe, die sie vorher mit Kissen belegt hatte. Sie schlief gleich ein vor Schwäche und Traurigkeit, erwachte aber jeden Augenblick, weil ihr der bestellte Abendimbiß im Sinn herumging, und dann war es ihr immer, als hätte sie inzwischen wieder eine halbe Stunde verschlafen;nur am langsam vorrückenden Abend- und Zwielicht erkannte sie, daß es jedesmal bloß um eine Minute ging oder gar um eine halbe. Dazu träumte sie eine bunte Menge Gesichte durcheinander, und erlebte während der kurzen Augenblicke Romane, die sich durch ganze Tage hindurch zogen und Voraussetzungen mit sich brachten,die von fremden Jahren und Gegenden herkamen.Schließlich träumte sie, das Mädchen Christine stehe []vor dem Hauptportal des Münsters und trage ihre,Lunas, weiße Füße auf den flachen Händen, die Fersen sich zugekehrt, und alle Leute, die daran vorbei zum Gottesdienst gingen, rümpften die Nase, weil sie blonde Schnurrbärte auf den großen Zehen hatte. Sie schoß mit einem leichten Angstschweiß aus dem Schlaf auf,wußte nicht, wo sie sich befand, erkannte mit vieler Mühe die Stube wieder, und sah Christine mit einer weißen Platte auf den Händen durch die schon stark verdämmerte Tür hereintreten; aber auf der Platte lagen nicht ihre, sondern die weichgekochten Füße eines vierwöchigen Kalbes. Leider stieß sie nun der Freund Stummel mit seiner kalten Nase in die Seite, daß sie aufschrie, weniger aus Schreck gerade darüber, als in Wirkung eines allgemeinen heruntergekommenen Körperzustandes. Sie brach in ein kurzes, heftiges Schluchzen aus, erholte sich soweit, daß sie zwar mit nassem Gesicht, aber scharfem Appetit die beiden Kalbsfüße essen konnte, examinierte Christine zwischenhinein mit Drohungen und Verheißungen auf ihren nüchternen Magen,hielt ihr noch einen kleinen Vortrag über ihre plumpe Leiblichkeit, die es dem Herrn schon an sich schwer genug mache, stellte ihr ihre eigene Mondhaftigkeit musterweise vor Augen, und mußte es schließlich erleben, daß der Herr mit seiner tiefen Unwissenheit über sie kam,bevor die abgenagten Knöchelchen weggeschafft werden konnten. Es zeigte sich, daß er ihr den Sündenfall übel nahm.

„Ach Luna, was seh ich da?“ sagte er schmerzlich erregt und wies auf die Platte. „Das muß mir wahr[125]haftig leid tun. Verrat des Herzens, Treulosigkeit des Leibes, Ungehorsam gegen den Geliebten und Weisen:o du, wie ist dein Stern verfinstert und die Quadratur deiner Tugend zusammengebrochen! über dir steigt der Sextilschein des Urteils auf. Ich muß dich heute vielleicht weggeben. Ich muß dich wahrscheinlich zu den Toten werfen. Warum hast du mir das angetan,Luna, Zentralstern der hohen Bedeutung?“

Die Dame Luna regte sich mit keiner Wimper und sah unter ihrer Haube hervor ihren Eheliebsten mit großen und etwas verzagten Augen aufmerksam an,bis grüne Lichter darin auftraten, was besagte, daß sie wieder einen Einfall habe.

„Was willst du denn mit mir?“ fragte sie sanftmütig. „Habe ich Knöchelchen gegessen? Wie werde ich dir das antun, lieber Balduinus? Die Knöchelchen waren sogar meine Mittagsmahlzeit, die ich habe stehen lassen dir zuliebe. Du mußt mit dieser tierischen Seele reden. Ich schlief bis vorhin, ehe du kamst. Ich machte ihr gerade Vorwürfe und wollte haben, daß sie sich entledige. Befiehl es ihr auch, sonst verdirbt sie dir das Licht ganz und gar.“

Der Herr mußte die Front wechseln. Dabei kehrte er die derberen Spieße heraus, beging die Unvorsicht, auch leiblich gegen die Magd vorzuschreiten, und hatte zu seiner Verwunderung plötzlich einen schwarzen Köter vor sich stehen, der nicht verheißungsvoll knurrte und der ganz offenkundig nach des Teufels Umgang aussah. Er zog seine Leiter etwas ins Dunkel zurück und hob dort ein Beschwören an, das einen [120]echten Höllenpelz schon gesträubt hätte, wenn er auch mit noch so versuchten Pomaden gesalbt gewesen wäre. Doch anstatt daß er einen Belialspriester aus Christines schwanzlosem Freund herauskomplimentierte,rief diese ganz einfach, wenn auch ein wenig beklommen: „Komm Stummel, es tut dir niemand etwas,“und verließ mit ihm und mit den Knöchelchen auf dem Teller die Stube. Der blasse alte Herr sah noch, wie der Hund draußen im Korridor eines der Knöchelchen aus Christines Hand erschnappte, und beruhigte sich darüber mittels eines logischen Schlusses. Er verlangte von Luna Rechenschaft über die Herkunft des Hundes, erklärte, als Christine ohne diesen mit einem Licht in der Hand zurückkehrte, daß er ihn als Medium brauchen wolle, daß Christine ihm den Pelz herunterschneiden müsse,weil er das Licht verhindere, und daß sie in ihrer Person sich der bewußten Ungehörigkeit zu entledigen habe.Allein seine Mäuse wollten sich auf diesem Weg nicht vermehren. Christine antwortete verdrossen, daß sie keine Lust habe zur Entledigung, und daß er den Hund selber scheren müsse, wenn es ihn nach solcher Wolle gelüste. Der Sternseher verlor darüber die letzte Heiterkeit. Er zeigte seinen Laien die schweren Gefahren, denen sie sich mit ihrer Unbotmäßigkeit aussetzten, und verfiel in einen Weinkrampf. Die Dame Luna erhob sich hastig von ihrem Lager. Sie gebot der Magd, das Licht auf den Tisch zu stellen und ihr zu folgen. Auf dem Korridor redete sie ihr heftig und bitter ins Gewissen, und verordnete in einem Ton,der keinen Widerspruch erlaubte, daß sie sich nun [127] beide miteinander der Entledigung unterziehen wollten,damit sie ihrem Herrn nicht das Licht verdürben und Unheil anrichteten am Himmel und vielleicht noch gar über sich selber. Hatte sich Christine schon vorher über die schweren Gefahren erschreckt, so machte es nun völlig Wirkung auf ihre Unbelehrtheit, daß sie unter Umständen etwas am Himmel verderben konnte.Sie bereute lebhaft ihren Leichtsinn und gewöhnlichen Kopf, aber auch, daß sie in diesem Haus unter Gewalt gekommen war, und erklärte sich zu allem bereit, was die Dame Luna von ihr begehrte. Und während der Herr drinnen weiter weinte, hälfen sie einander und trösteten sich, und gelobten unter Tränen und Seufzern eine in der andern Hand Besserung und vermehrten Ernst. Schließlich erschienen sie wieder im Wohnzimmer, Luna bleich, doch mit glänzenden Augen, während Christine eher trübe blickte.Sie machten sich an den Hund, besprachen ihn und schnitten ihm den Pelz herunter, kniffen ihn häufig ins Fell zu seinem großen Verdruß, und ließen ihn hernach fürs erste laufen, nackt und geschunden wie er war,bis der Herr weiter über ihn verfügte.

X Sternseher erholte sich vom Elend des gewöhnlichen Lebens, das ihn angefallen hatte, und machte sich bereit, die Nacht und das Werk zu beginnen. Er verband der Dame Luna die beiden Fern[] 128 sinne und führte sie in den ummauerten Garten, wo er sie auf eine Bank legte, ihr das Brustbein mit Lichtsubstanz bestreute im Namen der himmlischen Leichtigkeit, und sie dem Nachttau überließ. Darauf brachte er seinen siebzigjährigen Vater von irgendwoher angeschleppt, und streckte ihn in ein windiges Leintuch gehüllt und ebenfalls seiner Fernsinne beraubt auf eine zweite Bank, die mit der Lunas und den übrigen im Garten in das Verhältnis und die Richtung des kleinen Bären gebracht war. Luna stand im Kontakt mit dem Zentralherzen des Nachthimmels, dem Polarstern; der alte Herr belegte die Schwanzwurzel, während nachher Christine unter die linke Vorderpfote des glänzenden Tieres kam. Vorher erschien der tiefsinnige Mann noch mit einem andern Greis, der sein Schwiegervater war,ferner mit einem Schuster, einem stadtbekannten Tagedieb,der ihm gegen Bezahlung seine Anziehungen und Lichtquellen zur Verfügung stellte, sowie die seiner Ehefrau,über die er nach einer sozusagen himmelsgeographischen Orientierung durch den Sternseher die Bemerkung getan hatte, ob es nicht auch ein nördliches Kreuz gebe; da wäre sie sicher der rechte Kerl darunter. Allen wurden die Fernsinne verbunden, dem Schuster und seinem Weib außerdem die Arme an die Bank geschnallt, und schließlich Stummel, dem Hund, die vier fröhlichen Füße verstrickt und die Schnauze gezäumt, daß man seiner sicher war;er bekam unzutreffenderweise den Platz unter dem mittleren Schwanzstern.

Der alte Mann verließ den Garten und erschien mit dem reinen Licht seines Willens und dem großen Rauch []seines Irrtums in der Höhe darüber auf einem Observatorium, das er sich vor das Dach hinaus hatte bauen oder hängen lassen. Von dort herunter hob er schmerzund sehnsuchtsvoll den Sternensegen an, streute im Mörser gestoßene Lichtsubstanz in die Luft, gab den Welten die hohe Wissenschaft und die drei Zeiten, und sprach endlich unter der Erschütterung der Vorereignisse die tiefe Unwissenheit aus über die Gesellschaft im Garten. Er richtete das Perspektiv zwischen die Sterne hinein, schob seine bescheidene Person davor, und machte sich von da nicht weiter bemerkbar.

Die Nacht lag warm über der Erde; der Südwind seufzte in den Baumkronen. Trotzdem begann die zu so hoher Bedeutung erhobene Gemeinde leise zu frieren,Stummel, den Hund, mit einbegriffen. Die Greise schliefen zwar darüber ein, weil sie nichts mehr zu denken hatten, und der Schuster folgte ihrem Vorgang; es war seine Bestimmung, von allen Zuständen den bequemen Grund zu finden. Auch seine Frau gab sich und verließ die Widerstände. Sie erinnerte sich mit Verwunderung an die freudige Schönheit des Sternenhimmels, die sie vorhin bemerkt hatte, erlöste sich für eine halbe Stunde darin von der Erbärmlichkeit der Gegenwart, kam im weiteren wieder darauf zurück, und versank in ein schwermütiges und hoffnungsarmes Nachdenken über die Absichten der Weltregierung, ihr besonderes Leidwesen betreffend, das sie mit ihrem Ehestand bekommen hatte. Die Dame Luna fror hingegen viel zu sehr, als daß sie zum Denken vordringen konnte. Sie weinte unter ihrer Augenbinde Schaffner, Der Bote Gottes [130] über die kalte Nacht wie Christus über Jerusalem, und war fest davon überzeugt, daß sie sie nicht mit dem Leben überstand. Das Mädchen Christine dachte an die einfachen, verständlichen Verhältnisse zurück, die sie im verbrannten Dorf Wullenhausen verlassen hatte. über dem zeitgemäßen Zauber stieg ihr die kräftige Gestalt des Bauern Daniel auf, die neben aller Grilligkeit doch mancherlei Würde und neuerlich auch Ansehen herbrachte. Christine sah jetzt, daß sich in seiner Geste der Erbarmung wenigstens das wirkliche Leben aussprach,während in dem gegenwärtigen Treiben nur die Unheimlichkeit eines besessenen Kopfes wirkte. Sie merkte und fühlte heute den grundsätzlichen Unterschied zwischen ihren Beziehungen zum Irrtum des Bauern, und denen der zärtlichen und wenig tüchtigen Dame Luna zum Gemütsgram des Sternsehers. Und so erblickte sie auch die eigentliche Unwirklichkeit des allgemeinen Zustandes, den das Stadtleben hervorbrachte. Sie standen hier für ihr Gefühl alle in der Luft und unterschieden sich nicht viel von Gauklern und Beutelschneidern, weil keiner einen Acker baute und Vieh zog, wie es bei einem elementaren Dasein, auf das sie mit ihren Fähigkeiten angewiesen war, vorkam. Freilich war vorderhand in dem Mißstand keine Besserung zu hoffen, oder der Bauer kam sie holen. Zum andern Fall wollte es ihre unentwegte Tüchtigkeit, daß an dem Platz ausgehalten wurde, auf dem man stand, weil sie bei Veränderungen die Sicherheit und den überblick verlor.

Was den guten Hund Stummel anging, so schnatterte er aufrichtig und rückhaltlos vor Frost in seiner Nackt[]heit, die außerdem weder rosig noch sonst eben reizend unter der Schere herausgekommen war. Zudem witterte er fortwährend seine Freundin Christine und konnte nicht zu ihr, weil das Vermögen seiner Füße gefesselt lag, begriff nicht, daß sie ihm nicht helfen kam,durfte nicht heulen, weil ihm die Schnauze zugebunden war, wollte fortwährend den nicht vorhandenen Schwanz brauchen wegen der Mücken, und verlebte alles in allem die verlassensten und lausigsten Stunden, die er sich überhaupt vorstellen konnte. Außerdem schlief ihm immer abwechselnd eines seiner vier Beine ein. Aber auf einmal fuhr er mit dem Kopf auf und tat einen Blaff in seiner weiten Kehle. Er hatte etwas gehört.Gleich darauf bekam er auch Witterung. Sein Gehirn vollzog Schlüsse. Er unterschied vier Gerüche von ebensoviel Männern, von denen der eine sehr fett sein mußte, und einer roch sauer, aber der dritte süß, und der vierte war noch jung. Es schoß ihm heiß in die Füße. Ein elektrischer Strom zuckte ihm die Wirbelsäule herauf nach dem Kopf. Potz Knochen, wer jetzt hinlaufen und bellen konnte! Er zerrte an seinen Fesseln,aber der Sternseher hatte seine Sache gründlich gemacht. Er blaffte in seiner Kehle: Wuff, wuff! Dazwischen winselte er. Und wenn ihn die Wut überkam,knurrte er und fletschte die Zähne.

Inzwischen kamen wirklich vier Männer den Gartenweg hergeschlichen. Sie waren über eine Mauer hereingestiegen und spionierten nun im Schatten der Büsche sachte gegen das Haus vor, halslang und helläugig,und einer hinter dem andern. Voraus wiegte sich

I8[]auf geschmeidigen Beinen ein ungeheurer Kerl, ein Faß von einem Kerl; den hatte Stummel ganz richtig herausgerochen. Er hatte so fürchterliche Muskeln an den Oberarmen, daß er die Hände weit vom Leib weg vor sich hertragen mußte, weil es ihn sonst oben in den Schultergelenken gespannt hätte; darum hatten ihn die drei andern mit Fug an die Spitze gestellt. übrigens bemerkte man sie fast gar nicht hinter dem kolossalen Kavalier.

Sie hatten schon die ganze Ecke des Gartens durchpürscht, als sie alle zugleich Stummel seufzen hörten.Der Dicke blieb stehen und drehte den Kopf über die Schulter zurück, was er fast ganz herum konnte als Ersatz für die Körperwendung, die für ihn zu umständlich und schwierig war.

D0 Ohren nehmen kann,“ brummte er zurück. „Was ist denn das für eine Theologie? Da läuft ein Hund herum.“Das ging den mit dem sauren Geruch an, der die Gelegenheit ausspioniert hatte und gleich hinter dem Dicken kam. Er tat einen langen Rückschritt vor der tastenden Hand des Vormanns, trat dabei mit den Absätzen seinem eigenen Hintermann auf die bloßen Zehen, die der vorn aus seinen Schuhen herausstreckte,empfing einen Genickbohrer dafür, daß ihm die Augen übergingen, und kam so recht auf Umwegen zum antworten: es sei kein Hund da gewesen, und die Anspielung auf die Theologie verbitte er sich; die habe hier nichts zu schaffen. Der Dicke besann sich einen [133]Augenblick, mit welchem Mittel gegebenenfalls der Bestie zu begegnen sei, und setzte sich wieder in Bewegung.Das taten auch die andern drei. Darüber fing Stummel an zu winseln, und alle nahmen es für ein gutes Zeichen;sie dachten, daß der Hund sich langweile.

Aber der Dicke stoppte zum zweitenmal und fing leise an zu fluchen. Den andern drei sprang das Herz hoch wie auf Kommando; sie stellten das Atmen ein.Die dunklen Brüder waren ahnungslos in den Bereich der tiefen Unwissenheit geraten und stießen nun hintereinander auf das Nachtleben der braven Magd Christine. Ihre erste Auslegung, die noch unter gesträubten Haaren vor sich ging, erklärte ihnen eine gemordete arme Leiche; nacheinander erkannten sie, daß die Leiche atmete und sogar, zunächst freilich zu ihrem erneuten Schreck, die rechte Hand hob, um eine Mücke von der Nase zu verjagen. Zufällig blickte der mit dem süßen Duft und mit den gequetschten Zehen in die Höhe, und sah vor dem Dach draußen den Gelehrten vor dem blanken Fernrohr stehen. Es wurde ihnen noch beklommener zu Mut, weil sie jetzt nicht wußten,ob sie nicht vielleicht unwissend in einen zwanghaften Kreis getreten und in ein ungünstiges Verhältnis geraten seien. Der dicke Kavalier untersuchte in der Eile seine Gemütsumstände und merkte, daß er noch guter Laune und nirgends eine Veränderung mit seinen Neigungen vor sich gegangen war. Der Theologe dachte an das Dogma von der heiligen Dreieinigkeit und an das vom Abendmahl in beiderlei Gestalt,fand seine positive Stellung und Zuneigung dazu un[]angetastet, und beruhigte sich. Der Süße stellte sich schnell nacheinander ein rechtes geschmalztes und geöltes Fressen vor und die im Haus zu stehlenden silbernen Löffel und Golddukaten, was ihn alles nach wie vor bekannt und zutraulich ankam. Und der Jüngling dachte an seine transzendentale Liebste; es gelang ihm,ihr in Gedanken einen Kuß zu senden. Alle miteinander machten sie sich klar, daß dieses vorliegende große Mädchen und Medium weder sehen noch hören konnte,und darum nicht umgebracht zu werden brauchte. Sie stellten sich wieder auf die Zehen und setzten ihren Weg fort, der sie zunächst zu Stummels Leidensbank führte.Stummel warf sich wie ein Seehund in einer Folge von Körperschnellungen knurrend und schnarchend den Spitzbuben entgegen, fiel von der Bank herunter und erregte stille Heiterkeit. Der Süße stöhnte leise aus Vergnügen über die anhaltenden Robbensprünge,die er nach seinen Beinen tat. Der Dicke hieß den Jüngling die Fesseln und die Zäumung untersuchen,sah dem Umstand zu, ohne eine Miene zu verziehen,scheuerte der schmerzlich erregten Kreatur mit einem kleinen, eleganten Weltmannsfuß die Rippen, wozu er ein paar tröstende Worte brummte, und befahl mit einem Seufzer der Erleichterung das Weitergehen: den brauchte man also auch nicht um die Ecke zu bringen; es war immer schön, wenn man einen am Leben lassen konnte.

Als der Zug mit dem Kavalier voran zu der Bank kam, die vom Weib des Schusters belegt war, zeigte es sich, daß die durch unbekannte Mittel ihren Kopfverband gelockert hatte, und infolgedessen hören konnte.[]Sie gab auf das leise und zögernde Knirschen des Kieses Laut, in der Meinung, es sei ihr Mann, womit der Dicke in dieser italienischen Nacht die sonderbarste Anrede zu genehmigen bekam, die ihm seit langer Zeit ein Südwind zu Ohren getragen hatte.

„He, Stockfisch! He, Windbeutel!“ sprach sie ihn an mit einem Ton freud und leidenschaftloser Selbstverständlichkeit, in dem eine Resignation von ziemlich langer Hand trübe mitklang und Stimmung machte.„Da bin ich. Wo suchst du mich denn? Komm, nimm mir die Binde vom Kopf, daß ich dich sehen kann mit deinem Schlechtegroschengesicht, du Herumvagierer,Tagedieb, alter Schnapphahn.“

Der Ehrenmann stand still und verwunderte sich mit einem halb verlegenen und halb wütenden Kopf. Es war kein Zweifel, daß alle diese Titel auf ihn paßten wie angemessen, und das gab die Verlegenheit. „Windbeutel, Herumvagierer, Tagedieb, alter Schnapphahn,“repetierte er im Aufflug unter einem leisen Mitrauschen von Zärtlichkeit und Wehmut: „Du bist erkannt, Waldemar.“ Aber dann griff er nach seinem Degen. Wie das hier aussah, mußte jetzt vielleicht doch jemand daran glauben, gerade, weil er erkannt war; nun war der Verrat doch so nahe bei der Hand wie die Armelkrause. Er schlich sich an das bedenkliche Zeichen heran und beugte sich darüber, sah, daß diese schmähende Frau nicht einmal häßlich oder alt war, sondern sogar recht annehmlich, und wunderte sich wieder.

„Wer bin ich?“ raunte er ihr zu, und brauchte auf die Antwort nicht lange zu warten.[136]„Nun wer sollst du wohl sein?“ erwiderte sie ablehnend. Sie tat ihrer vollkommenen Geringschätzung seiner Person weder besondere Ehre noch auch Zwang an; ihre Antwort klang durchaus objektiv und unparteilich. „Des Teufels Läusefresser bist du. Du hast es nötig, dich geheim zu machen. Hast du mir nicht meinen Sonntagsrock verkauft? Sieh mal an, und unser Bett habe ich schon zweimal zurückverdienen müssen. Ach du liederlicher Hans Lump, warum bist du auf Gottes Erde so gar nichts wert? Wenn du nur um drei Kreuzer besser wärst, so wollte ich dich ausläuten lassen als den vornehmsten Mann unter der Sonne. Kannst du dich denn gar nicht ändern? Es ist mir aber etwas eingefallen unterm Liegen, und ich will es dir sagen. Ich muß nur etwas sehen dabei. Komm, löse mich!“

Währenddessen hatten sich die andern drei herbeigeschlichen, und standen nun um den seltenen Auftritt herum. Der Dicke merkte jetzt wohl, daß sie nicht ihn meinte; der Süße, der sich am besten auskannte in der Stadt, brachte heraus, daß sie die bittere Schusterin aus der Kirchgasse sei. Sie wollte wieder zu melden anfangen,weil sie keine Wirkung feststellte von ihren Worten;der Kavalier fürchtete Aufstand und kam ihr zuvor;er hielt es für klug, auf ihre Intention einzugehen,bis man sie beruhigte und seitwärts herauskam.

„Sei doch 'still, gute Frau, und schimpfe nicht immer,“ antwortete er in ihres Mannes Namen. „Soll der Plärrant auf dem Dach droben alles hören, daß wir nachher verraten sind? Sag her, was du weißt;[]dann will ich sehen, ob ich dich aus deiner Taufe hebe.Hol' mich der Teufel, du triefst von Tau.“

Gerade erhob der alte Herr ein langgezogenes Geschrei, ähnlich dem ersten, mit dem er die tiefe Unwissenheit über die Gartengesellschaft brachte, aber dringender und jämmerlicher, weil das Elend der Verlassenheit aus den Sternen über ihn kam, und die tiefe Unwissenheit, die nach seinem Willen im Garten bleiben sollte, langsam aufstieg und schon fühlbar mit Kälte um seine Füße strich; auch ging das letzte Mondviertel auf, und es war noch keine Erlaubnis aus dem Sextilschein gesprungen. Darum mußte nun eben der Seelenzauber gesungen werden. Er war gefährlich wegen der Geister der Schwere, die sich gern daran hingen; es durfte nicht ein schöner Ton dabei sein. Indessen gelang die Erfüllung dieser Kondition wirklich so durchaus, daß es die Spitzbuben zu frieren begann unter dem Mondgebrüll. Der Südwind wühlte wie mit Händen in den Büschen. Eine Nachtigall begann zu klagen. Eine Sternschnuppe fuhr vorbei und beleuchtete flüchtig den tiefsinnigen Garten.

„Mache dich nicht so breit,“ tadelte die Schusterin.„Meinst du, du kannst mir noch irgend einen Rock oder eine Halskrause verkaufen? Ich bin jetzt wahrhaftig so kahl wie ein Baum im Winter. Komm lieber her und schaffe mir die Augen frei, damit wir miteinander sehen mögen, wo uns wieder ein guter Tag herwächst.Ich sage dir doch, daß ich einen Einfall habe.“

Der Dicke hatte sich schon so eifrig in seine Rolle hineingewebt, daß er jetzt den Kopf schüttelte.[138]„Laß erst das Geheimnis aus dem Uferrand deines Mundes in meine Ohren spazieren,“ verlangte er; „alsdann will ich sehen, was sich für dich tun läßt. Ich bin nur zu froh, daß ich auch einmal das Heft in den Händen habe. Jetzt will ich dich beherrschen mit meinem Geist. Rede. Und rede wenig, aber wahr.Dein Herr höret.“

Die Schusterin bewegte mißbilligend die Mundwinkel.

„Ich wollte, du sprächest einmal vom Arbeiten und Rechttun, und nicht immer von Phantasien. Wir wissen doch wahrhaftig, an wen du unser einziges Kind um Biergeld verschachern wolltest. Warum willst du die Leute jetzt mit Nichtsnutzigkeiten reizen? Bitte uns lieber,daß wir Geduld mit dir haben. Ich sehe es leider werden über dir, daß die guten Dinge weglaufen vor deinem Gesicht wie vor einer Kröte, und die Menschen beiseite sehen, wenn du ihnen Tageszeit bietest. Oder hängt vielleicht noch nicht der allerletzte Ziegel von unserm Dach beim Wirt an der Tafel? Nimm mir jetzt die Binde weg.“

Auf dem sündigen Acker des Dicken ging leise die Saat der Teilnahme auf vor dem eröffneten Unglück,daß sich da so tiefgehalten vor ihm manifestierte. Aber eine schelmenmäßige Gegenregung, teils Gottlosigkeit,teils Leichtsinn, und aber zum Teil ein dringlicher und plötzlicher Wunsch, den Untergrund dieser Geduld zu erforschen, lockte ihn entgegen dem Sinn des Auftritts in den Übermut.

„Das werde ich wahrhaftig nicht tun,“ antwortete er einigermaßen freudig erregt, weil ihm im gleichen []Augenblick noch der Schuster einfiel, und er mitlaufend beschloß, diesem eine Suppe einzubrocken. „Sondern ich glaube, ich will dir jetzt ein bißchen Haut herunterschinden oder so etwas. Eigentlich gelüstet es mich,dir ein Stück von deiner spitzen Nase abzuschneiden,und ich will mich nur gleich daran machen, so lange ich die Freiheit von Gott dazu habe. Zwar wenn du jetzt sofort mit deinem Geheimnis herausrückst, so will ich dich für diesmal vielleicht verschonen, so wütend ich bin über deinen Lebenswandel, und so durstig nach dem Anblick deiner Pein. Ich sehe, daß die Bank aus Sandstein ist; daran läßt sich trefflich ein Messer schärfen.“

Er dachte, er werde jetzt wohl ihre Gehaltenheit gesprengt haben wie eine Schafherde, und es machte ihm Eindruck zu bemerken, daß der erfahrene Ernst ihrer Miene keinen Schein von seinem Wert verlor; nur das leise spöttische Licht eines Lächelns glitt jetzt darüber und brachte auf ihrem Mund flüchtig eine Linie heraus mit einem Schwung von verborgener Laune, die ihn sofort zu ihrem Gefangenen machte.

„Ach du armer Narr,“ entgegnete sie mit dem klugen Gemütston mitleidiger Heiterkeit: „Du dürftest wahrhaftig stolz sein, wenn du einmal dein Messer nicht umsonst wetztest. Was mich angeht, so wollte ich deiner Lust zur Regsamkeit gewiß nicht hinderlich sein, weil es dann doch einmal eine Tätigkeit darstellte, die von dir ausginge. Aber es würde dich reuen, und du würdest keine Freude davon haben, sondern zuerst den Verdruß der Mühe und nachher den Anblick einer verstümmelten Frau.“ Sie ging wieder zur Tagesordnung über. „Ich []I40 will dir jetzt mein Geheimnis mitteilen. Ich habe wieder darüber nachdenken müssen, wie wir uns doch mit so vieler Trübsal durch die Tage bringen und nichts davon haben können als schwarzes Brot, während bei andern Leuten die silbernen Löffel und Messer in der Lade liegen und Hoffahrt bewirken. Morgen oder übermorgen kommt uns der Gerichtsbote ins Haus, und dann wirst du in den Schuldturm geführt. Du denkst nicht daran, aber ich denke daran, weil ich ein Kind habe von dir. Wenn wir nur die silbernen Löffel und Messer bekommen könnten, die ich hier weiß, so wäre uns geholfen. Außerdem könnten wir uns wieder einmal zu einem Stück Fleisch verhelfen und auch zu einem Schluck Wein, und kämen wieder zu Kraft.Vielleicht fehlen dir bloß die Säfte, daß du dich gar nicht mehr aufschwingen kannst. Wie scheint dir das?“

Dem Kavalier liefen, sozusagen im Hintergrund, die Spiegel an vor Mitleid. Er pfiff leise durch die Zähne:„Aha, siehst du wohl. Das kennen wir.“ Er schlenkerte die Hand vor eingebildetem spitzbübischen Vergnügen.Er wechselte einen verständnisvollen Blick mit seinen Komplizen. Der Südwind seufzte. Die Nachtigall klagte.

„Gut scheint mir das,“ erwiderte er munter vor seinen getrübten Spiegeln. „Deine Gedanken sind ganz meine Gedanken. Du mußt nämlich wissen, ich bin gerade auf dem Weg zu den silbernen Löffeln und Messern. Plage dich nur nicht mit Nachdenken, denn ich fürchte mich doch immer, wenn ich dich denken sehe;sieh vielmehr zu, wie du dich aufblasen kannst, damit du Blut unter deine Haut bringst, sonst wirst du dich [] 141 erkälten und nachher habe ich meine schwere Mühe mit Zutragen und Wegtragen. Ich habe wohl Jurisprudenz studiert in Gießen und in Erfurt, aber keine Medizin.Auch war ich allezeit ein forscher Kerl, den die schönsten Mädchen und Frauen lieb hatten, so daß ich mich nur wundern muß, wie ich an einen solchen magern Besen geraten bin. Ich habe beinahe den Professorgrad erlangt, und wenn du böse Hexe mich nicht zu einem Schuster und Wichsemaul verzaubert hättest, so wäre ich heute ein geehrter Mann und Magistrat, und gar kaiserlicher Rat. Ich hätte einen dicken Bauch und zöge den Leuten die Haut über die Ohren nach den Regeln der Reichsregierung. Warum hast du das alles vorgenommen und gesündigt mit mir? Beim Teufel, ich möchte nicht in deiner Haut stecken, weder heute nacht,noch bei der Auferstehung der armen Würmer. Ich schere mich den Henker um den Schuldturm und um die Besserung. Aber die Geschirre will ich schon stehlen.Sage mir nur genau, wo ich sie finde, daß ich keinen Lärm machen muß.“

Er blinzelte seinen Gesellen wieder zu, und hätte D unbekannten Ursache alle miteinander durchprügeln mögen.Er war wütend und schob es auf den Schuster. Es drängte ihn, sofort etwas zu unternehmen, und er verwies den Drang beunruhigt in die Zukunft. Inzwischen gab ihm die Schusterin ihre Anweisungen, und er hörte mit geschärftem Ohr auf den Klang ihrer Stimme wie auf eine Kirchenmusik.

„Und glaube ja nicht,“ beschloß sie ihre Rede, „du []

— 142

142 könntest mir etwas beiseite bringen; ich habe alles gezählt. Es sind elf Löffel und zwölf Messer; den zwölften Löffel habe ich zur Probe schon an mich genommen.Lege sie vor das Küchenfenster hinter den Laden; man kann sie nachher von dort mitnehmen. Vergiß auch nicht, in der Truhe nachzusehen; sie ist nicht verschlossen. Mach fort, bevor er auf dem Dach aufhört zu schreien.“

„Ist gut,“ sagte der Kavalier, nahm noch ein letztes Auge voll von ihrer widersprechenden Gegenwart und dachte wieder an den Schuster. „Diese Sache wird dir nicht nach Wunsch gelingen, denn du kennst mich noch gar nicht; ich habe heute Unterweisung bekommen vom Sternseher, und werde fortan fürchterlich deinen Herrn spielen. Und was den Schuldturm angeht, so sollst du wissen, daß ich mich jetzt unsichtbar machen kann. Aber lassen wir das gut sein für diesmal.Schlaf wohl, und vergiß nicht, dich aufzublasen.“

Er winkte seinen Spießgesellen und verschwand bald darauf in der Dunkelheit mit einer unsichern Frivolität im Kopf und einem desto gewisseren Dorn im Fleisch.

ls der abnehmende Mond über dem Garten stand A und die Nachtkühle von der Kältewelle, die der unermüdlichen Rundreise der Morgenröte um den Erdball immer fünfzehn Breitegrade voraussaust, noch Vrschärfung erlitt, führte der Sternseher vor dem Dach [143]draußen ein paar letzte müde Bewegungen aus, stand eine Zeitlang mit mutlos gesenktem Kopf unter dem mißglückten Unternehmen und zog sich endlich kummervoll ins Dach zurück. Darauf erschien er im Garten zwischen der betrübten Brüder- und Schwesternschaft und hob zunächst die tiefe Unwissenheit auf. Leider konnte er mit dieser Maßnahme seinem Vater nicht mehr viel helfen, denn der hätte sich in der Zeit sachte ins ewige Leben hinüber gefroren, worüber der Sohn in berechtigte Bestürzung geriet. Er band eilig den Schuster los, daß er ihm den Alten ins Haus tragen half,rannte wieder hinaus und holte Christine, damit sie heißen Tee mache und Tücher wärme, lief nach seinem Schwiegervater, stellte im Vorbeilaufen die Schusterin und zuletzt auch seine Dame Luna auf die Füße, und fuhr dann so lange händeringend in dieser ratlosen Geschichte herum, bis ihn Christine ins Bett schickte.Sie brachte auch den andern alten Herrn zur Ruhe,sowie die kleine verschüchterte Dame Luna, die sich einbildete, daß sie jetzt auch gleich daran müsse, weil ihr die Rippen weh taten von dem angestrengten Frieren im Garten, und zeigte schließlich den Schustersleuten den Weg aus dem Haus. Die Schusterin wollte den Lohn für die Nacht haben, aber Christine schlug die Haustür zu. Sie schlug auch die hintere Tür zu und wäre gern noch eine Weile so weiter verständlich gewesen, wenn es nicht an Schlössern und Angeln dafür gefehlt hätte. Sie ging ins Zimmer, wo der tote alte Herr lag, betrachtete ihn, runzelte die Stirn über ihn und zog ihm ärgerlich das Leintuch übers Gesicht. Sie [] 144 zog in Gedanken auch eins über ihr ganzes gegenwärtiges Dasein, dachte im Vorbeigehen an den Bauern Daniel, ob er sie wohl heute werde holen kommen,und ärgerte sich abermals, und ums Morgengrauen fiel ihr der gute Hund Stummel ein, der noch draußen im Garten lag und die hohe Gelehrtheit des Hausherrn im Nachttau ausbadete. Er winselte schwach,als er sie kommen hörte, leckte ihr die Hand, nachdem sie ihn losgebunden hatte, und dann seine unmündigen vier Füße, und folgte ihr mit hängenden Ohren ins Haus, wo er sich unter den Feuerherd verkroch und sich nur noch einmal hervorschob, um die Mehl und Brotsuppe, die ihm Christine inzwischen gekocht hatte,schnell herunter zu schlappen.

Dann begann Luna zu klingeln und mußte Tee haben, darauf vier Bettkrüge, und außerdem warme Tücher, wie vorhin der tote alte Herr, dem sie sich schon an allen Gliedern so ähnlich fühlte. Der Sternseher verlangte ebenfalls nach Tee; der Schwiegervater wollte mit Schnaps eingerieben sein, und Luna auch,als sie es gewahr wurde. Sie bestellte heißen Wein dazu; sofort roch das der Schwiegervater und forderte gleichfals welchen, aber nicht zu wenig. Der Sternseher nahm auch einen guten Schluck, und die Dame kuna trank noch ein zweites Näpfchen leer, worauf es still wurde. Eines nach dem andern bemerkte einen freundlichen Zustand im Kopf, dachte eine Weile darüber nach, und brach mit lahmen Knien in ein Loch hinunter, wo es dunkel war und der Atem lieblich säuselte. Nur der Sternseher raffte sich noch einmal [145]auf und sprang aus dem Bett, weil ihm unter seinem unverbesserlichen Astrologenbewußtsein etwas eingefallen war. Wenn das Medium für die Schwanzwurzel sich vergeistigt hatte, so mußte der Polarstern wachbleiben und aufmerken, sonst brachte jener Unordnung und Mißgeschick über die Lebensläufe der anderen Konstellanten. Er ging zu Lunas Bett hinüber und rüttelte sie aus dem ersten Schlaf.

„Luna, du mußt aufwachen,“ erklärte er mit milder Festigkeit. „Du mußt wach bleiben, hörst du? Wenn du jetzt schläfst, so läßt er heimlich los und du fällst in das gewöhnliche Geschehen herab. Und dann ist vielleicht alles aus. Du bist heute nacht der Mittelpunkt unseres Schicksals.“

Der Mittelpunkt des Schicksals war so freundlich und wachte auf, aber nicht, weil er sich um den fraglich gewordenen Wurzelstern bekümmern wollte, den Lkuna jetzt wirklich vollständig vergessen hatte. Sie lachte vielmehr auf eine neckische und zärtliche Weise, hob ihre schmale Hand auf, faßte ihren Eheliebsten am Ohr,zog ein bißchen daran und sagte mit wunderhübschen grünen Lichtern in den Augen:

„Gelt, jetzt habe ich dich in den Wald gekriegt, du Sternentollpatsch. Die Christine hat's mir geraten:geh in den Wald mit ihm sie sang es beinahe ,und gib ihm Wein zu essen wollte sagen, zu trinken,Wein zu trinken. O, o, jetzt wollen wir uns freuen.Wo hast du nun dein Fernrohr, mit dem du in meinen Himmel gucken kannst?“

Dem alten Herrn schwindelte vor Erstaunen über die Schaffner, Der Bote Gottes

10 [146]fremdartige Sache, die ihm da auf einmal erschien;ein solcher Ton war noch nie mit ihm geredet worden.Er hatte aber außerdem trotz seiner fünfzig Jahre noch nie die Wirkung eines tüchtigen Glühweins im Kopf verspürt, die jetzt teils störend, teils erlösend in den Gang der Stunde eingriff. Er erhob abwehrend die arme, magere Hand, weniger gegen seine Frau, als gegen ein Geschick, das er nun hereinbrechen sah.

„Die Wurzel ist schon entwichen,“ klagte er. „Die Macht ist dahin. Du fällst aus der Leichtigkeit. Du stürzest. Das Schicksal überschlägt sich und und besiegelt sich, besiegelt dich, be siegelt uns alle. Ach,ach, ich rasiere mich noch einmal; dann schneide ich mir ich mir du Mittelpunkt des Schi Schicksals, ich schneide mir mir den Polarstern ab abgeschnitten. O, abgeschnitten, abgeschn nitten. Sehr schön.“Er drehte sich um und wollte zu seinem Bett zurück; aber als er seiner Frau den Rücken zugebracht hatte, verlor er das senkrechte Privilegium und kam hinterwärts mit einem mäßigen Schütter auf den Boden zu sitzen, wo er sich nach einem vergebenen Versuch, wieder auf die Füße zu gelangen, eben noch zum Anlehnen unten weiter vorschob und es dabei bewenden ließ. Er sagte noch einmal: „Abgeschnitten,sehr schön,“ stieß einen Weindampf durch die Nase,faltete ergeben die Hände und versank von neuem in die Grube. Die Dame Luna wunderte sich in ihrem bewölkten Kopf, daß sie wieder allein war,machte ein Mäulchen, schnitt eine kleine hübsche Grimasse []hinterher und sank ihm nach. Ihre schmale Hand, die über die Bettkante heraus hing, schwebte wie eine weiße Taube über seinem kahlen Schädel, der darunter im Widerschein des Morgenlichtes rötlich aufzuglühen begann.

In der Zeit hatte die Schusterin mit ihrem Eheliebsten einen Handel angefangen, der diesem merkwürdig vorkam. Schon in der Stube war es ihm aufgefallen,daß sie ihm ein scharfes Auge ansetzte; er dachte, das Frieren habe ihr die Laune verdorben. Darauf war von Christines Hand nur eben die Haustür ins Schloß geflogen, als sie auf das Küchenfenster zuging und den Laden öffnete; allein statt der silbernen Löffel und der sonstigen erwarteten Gegenstände hatte ihr der schnippische Kavalier die ausgetragenen Schuhe des Süßen,der in der Sternseherei an neue geraten war, auf den Fenstersims gesetzt. Der Schuster dachte, sie werde etwas über den Nachtlohn in die Sternseherei melden wollen und wunderte sich schier aus der Haut, als sie mit ihrem wohlbekannten Distelbusch, ohne dort ein Wort anzubringen, herum und auf ihn zukam. Ob etwa das nun die angezeigte neue Lebensart sei? fragte sie ihn auf eine bestimmte trockene Art, hinter der ein ziemlich schwerer und dunkel verbrämter Verdruß saß und hervorwirkte. Dann solle er sich nichts einbilden;an Lumpigkeit sei sie bereits gewöhnt von ihm. Jedoch an seine überheblichkeit wolle sie sich nicht gewöhnen;da höre für sie aller Weg auf.

„Du denkst vielleicht, du hast einen feinen Streich geführt gegen mich?“ fuhr sie fort mit mehr Sorge 10*[148]als Zorn in Stimme und Gebärde. „Stehst da und hast Falten im Bauch vor Freude. Ich habe keine Falten im Bauch, aber mein gutes Gewissen steht bei mir zur Linken, und meine Rechtschaffenheit zur Rechten.Ich bin kein Lump und Leutevexierer. Und hat mich vielleicht das Hungern an deinem Tisch vom übermut gebracht, so habe ich doch so viel Kraft und Geschicklichkeit behalten, daß ich mir zutrauen will, mich mit dem Kind ohne dich durch die Monate zu bringen, nicht schlechter als bei dir, und mit viel mehr Frieden und Wohlgefallen. Du hast es in der Hand. Aufziehen lasse ich mich nicht von dir. Ich muß ein armer Hund sein, gut, so ist es Gottes Wille; ich bin auch einmal jung und hoffärtig gewesen. Jetzt hat mich Gott in die Schule genommen; aber du bist nicht der Lehrer,wie du dir vielleicht einbilden willst. Dir sage ich Lebewohl, sobald du mir beschwerlich wirst. Was willst du nun tun, sage?“

Der Schuster hatte immer noch Fantasie, so stürmisch ihm ihre Vögel schon um den Kopf flogen.Er dachte, sie vermute, daß er den Lohn für die Nacht schon eingezogen habe, und antwortete mit dem Ton der Wahrheit, er wisse weder von Silber noch von Gold; sie möge den Bettel immer an sich nehmen.Lehrer her oder hin, er habe hier keine Geschäfte mehr; er wolle jetzt nach Hause und zu Bett; das sei die ganze Schule. Dann sah er eben noch, daß ihr seine Antwort mißfiel, kam aber nicht mehr dazu,sich um die Gründe zu bekümmern. Er meinte, er müsse einen neuen Standpunkt suchen, weil sie einen [] 149 Vorschritt gegen ihn tat, der vielleicht etwas ernsthaft aussah, aber außer sich selber nichts weiter bedeutete.Sie tat auch einen zweiten Vorschritt, weil sie jetzt durch seinen verdorbenen Garten hindurch wollte mit einem letzten, ganz besondern Wort. Allein er verstand sie in seinem permanenten schlechten Gewissen und in seiner nichtsnutzigen Beschaffenheit fehl, stellte ihr ein Bein, fing sie in seine langen Affenarme ein, und riß sie in der unnötigen Sorge um seine schönen Augen so kräftig an sein Bierherz, wie es ihr von ihm noch nie aus Liebe passiert war. Sie rannten dabei die Köpfe aufeinander, daß sie das Feuer Gottes jedes in einem andern Land brennen sahen, und die Schusterin zeigte der Nacht das Weiße im Auge. Der Schuster merkte einen warmen Bach in seinem Bart und ließ sie wieder fahren, um sich zu seiner Nase zu bekennen, die jetzt blutete. Die Frau tat in ihrem Kopfdampf, den sie vom Zusammenstoß bekommen hatte, in einem Atem dreißig Schritte die Straße hinunter, blieb stehen und besann sich, erinnerte sich, daß sie beim Abschiednehmen gewesen war,und fand den Anschluß wieder. Der Schuster kam ihr über seine Nase gebeugt mit kleinen Schrittchen nachgetrippelt, seltsam breitspurig, damit er seine Strümpfe nicht verdarb, und mit hochgehobenen Händen, um das Blut zu stellen. Als sie den Effekt bemerkte, knüpfte sie den Faden noch einmal am Ausgangspunkt an.„Hast du dir Schaden getan?“ fragte sie. „Warum bist du so heftig? Bei dir jagt immer eine Fantasie die andere, und dann kannst du nicht warten, bis du sie übertrieben hast. Aber sage jetzt, willst du mit dem [150]Silber deine Gläubiger bezahlen und uns und dem Kind wieder für einen rechtschaffenen Namen sorgen? Denke nicht, daß es so weitergehen kann; ich mag mich nicht länger schief begucken lassen als Schuldenmacherin und Gesellin eines Schuldenmachers in allen Gassen.“ Sie erhob die Stimme fast zum Ton der Bitte: „Gib mir das Silber in die Hände. Ich will es dir verwalten und uns wieder zu Ansehen bringen um des Knaben willen;er ist unschuldig und hat allen Anspruch an uns.Hörst du?“

Der Schuster ärgerte sich.

„Krieg die Kränk. Geh in die Wüste predigen,“schimpfte er unter seinen aufgehobenen Händen und drehte ihr gräßlich das Gesicht von unten herauf zu: „Ich möchte doch des Teufels und Henkers wissen, was du immer mit meiner Nichtsnutzigkeit zu haselieren hast.Warum hast du mir kein besseres Weibergut zugebracht?Freß ich allein am Tisch, oder sind wir unser drei?Was willst du überhaupt groß Schulden bezahlen mit dem Trinkgeldchen aus der Sternseherei? Und wo willst du denn hinlaufen, he? Laß mich jetzt zufrieden, oder ich werde dir verdrießlich, verstehst du. Du kennst mich noch gar nicht.“

„Gewiß,“ spottete die Schusterin bitter. „Das walte Gott. Der Sternseher hat dich berichtet, ich weiß. Du wirst dich unsichtbar machen, wenn morgen oder übermorgen die Gerichtsboten kommen. Warum hast du mir denn nichts abgeschnitten heute nacht? Es ist doch merkwürdig, wie schön der Mann aus der Nase zu bluten versteht, dem von Gott Freiheit gegeben ist, dies [1581]und das zu tun. Weißt du, wozu du Freiheit hast von Gott? Daß dich des Teufels Kühe für Unkraut fressen. Aber ich mag es nicht abwarten.“

„Monika,“ erwiderte der Schuster dieser herben Rede mit aufgehobenen Händen und trippelte ihr wieder nach: „Monika, ich hab' dir's immer gesagt, daß du noch am Verstand Schaden nehmen wirst mit deinen zornigen Leidenschaften. Jetzt bist du so weit, wie ich deutlich höre. Gnade dir Gott, arme Seele, ich glaube,du mußt ins Narrenhaus. Geh doch langsamer, sonst verderbe ich mir das Wams.“ Er bekam es plötzlich wieder mit der Bangigkeit und verfiel im Umschwung aufs Zureden. „Zwar gib dich doch nur zufrieden, beste Monika, braves Weib,“ beruhigte er. „Ich merke schon, daß du gar nicht närrisch bist, sondern völlig gescheit, und alles richtig beurteisst. Und es ist wahr,ich bin ein schlechtes Fleisch, aber ich will mich ändern und bessern, sobald mein Nasenbluten vorbei ist. Ich will mich zu Hause sofort hinsetzen, und will einmal Tag und Nacht für dich arbeiten, damit du wieder zu essen hast und fett wirst, denn dann regt man sich weniger auf und betrachtet das Leben mehr kavaliermäßig. Ich will dich fortan auch besser behandeln und dich nicht mehr so vernachlässigen, und wir wollen einander lieben wie die Vögelein, daß die ganze Stadt ihre Freude daran haben soll. Laß mich nur machen,du wirst noch deine Wonne erleben mit mir, liebste Monika.“

Die Schusterin kannte dies Feldgeschrei. Sie blieb spöttisch und streng auf ihrer Seite, und wollte sich [] 152 dort nun eben ohne weitere Antwort zum Nachhausegehen anschicken, als das vierblättrige Kleeblatt wie von ungefähr um die Ecke gegangen kam, und sich sogleich über den Streit verbreitete.

„Alles mit Maß,“ rief der Dicke und warf sich in die Brust: „Was ist denn das für eine Lebensweise, he? Ist euch euer Haus zu eng für euren Zorn und Streit, daß ihr die Gasse davon voll macht? Zu wem betet denn der Kerl, Theolog? Was ist das für eine Gottesverehrung?Hol' mich der Teufel, das sind Götzendiener. Sie verehren den Mond, der über der Gasse steht. Kerl, hör'auf zu schwören, sag' ich. Ich leid es nicht, daß du jemand anders anbetest, als die Dreieinigkeit.“

„Ach, er blutet ja aus der Nase,“ fiel der Jüngling dazwischen, bückte sich und guckte ihm von unten ins Gesicht.

„Halts Maul, Aff,“ knurrte der Dicke. „Das tut er aus heidnischer Leidenschaft. He, Frau, kriegen wir Antwort oder kriegen wir keine? Weißt du nicht,daß du auf dem Boden des römischen Reiches deutscher Nation stehst und christliche Gebeine in deinem Fleisch hast?“„Da müßt Ihr meinen Mann fragen, Junker,“ entgegnete sie abweisend und jetzt von zwei Richtungen verdrossen. „Er hat Jurisprudenz studiert in Gießen und in Erfurt. Er ist auch allezeit ein forscher Kerl gewesen, sagt er, und hat ihm nie an Raupen im Kopf gemangelt und an Läusen darauf, sagt er. Fragt ihn.Vielleicht ist er ein Kommilitone von Euch.“

„Das ist möglich,“ sagte der Kavalier betreten. Er [153]2 fühlte sich je länger je weniger wohl in seinem schlechten Scherz, vollends jetzt unter den offenen Augen des mystifizierten Weibes, das in allen armen Fähnchen,die seine Kleidung ausmachten, so viel tüchtige Haltung zeigte. Er machte sich wieder an den Schuster. „Also her mit der Auskunft, verfluchter Magier, bedenke unsern Wissensdurst. Mit welchem Paragraphus läßt sich dein Gottesdienst beweisen und herausstreichen vor dem Kaiser, wenn er danach fragt?“

Der Schuster wandte sich ihm mit erhobenen Händen zu.

„Da ist kein Magier, Herr Professor,“ klagte er seitwärts an ihm hinauf: „Meine Frau reitet der Teufel. Ich bin nichts als ein armer Schuster aus der kleinen Kirchgasse und habe das Nasenbluten, wie der andere edle Herr Ritter ganz recht gesehen hat in seiner Weisheit. Ich weiß von keinem Gott außer der heiligen Dreifaltigkeit, und warte nur darauf, daß das Blut still steht, so will ich meiner Alten die Rippen verbrämen. Aber für ein kleines Trinkgeldchen kann ich Euch schon einen Magier und Götzenknecht ganz in der Nähe verraten. Ihr müßt wissen, ich eifere auch für den wahren Gott.“

Der Dicke sah die Schusterin an. Herrgott, dachte er hingerissen, man muß sie aus dem üblen Spiel rücken;sie ist zu gut dazu. Friede sei mit ihr. Er bemerkte mit Achtung den weiten Bogen ihrer Brauen, und begriff, daß sie sich nicht billig gab.

„Gestrenge Herren,“ entgegnete sie, „ich schwör's euch zu: ich glaube ihm kein Wort. Macht's auch so,[184]dann fahrt ihr wohl. Er erzählte mir noch eben heute nacht, die schönsten Weiber und Jungfrauen hätten ihn poussiert vor Zeiten, aber jetzt sei er zu einem Schuster und Wichsemaul verzaubert von mir, und könnte doch einen dicken Bauch haben und kaiserlicher Rat sein, und den Leuten die Haut über die Ohren ziehen. Er sagt,das seien die Regeln der Reichsregierung. Ich weiß es nicht; er soll mit euch darüber reden.“

Der Kavalier war zu Ende mit seiner Laune. Der Anblick des unnützen Wichts trieb ihm die Galle ins Blut; am liebsten hätte er ihn frisch vom Fleck weg am Kragen genommen und durchgewalkt.

„Nun zum Teufel, Kerl, das ist alles starker Tobak,“rasselte er ihn an. „Magier oder nicht Magier, dich muß ich vor die Faust ziehen. Mich gelüstet schon lang,einen solchen Schädel zu rasieren, wie du einen hast.Willst du dich mit Angebereien aus deinem Dreck heben?Du mußt wissen, daß ich den Brauch habe, jeden unter mein Eisen zu nehmen, den ich auf Denunziation betreffe; das ist sozusagen eine liebe Gewohnheit von mir.Erkläre dich schnell, sonst weiß ich nicht, was mich im nächsten Augenblick ankommt. Wen willst du mir verraten, Schuft?“

„Ach hoher Herr, niemand, niemand,“ jammerte der Schuster. „Und ich will Euch nur meine Beine zeigen,daß Ihr seht, ich bin ein Schuster und kein Denunziant.Zwar ich kann meine Hände nicht herunter lassen, weil ich sonst in der Erregung vielleicht einen Blutsturz bekomme. Aber wenn jemand so freundlich sein will und mir die Hosen abziehen, so könnten es alle Herren sehen,[155]denn ich habe Schwielen auf den Knien vom Absatzbauen,nicht gar große, denn ich bin nicht für die Leidenschaft wie meine Frau, aber ich habe doch. Und wenn Ihr dann findet, daß das eine nicht wahr ist, was diese schlimme Holzwespe sagt, so braucht Ihr auch das andere nicht mehr zu glauben, was ich soll gesprochen haben über Kaiser und Reich, wovor mich Gott bewahre, ich meine vor der Lästerung. Die Gürtelschnalle ist vielleicht auf die Seite gerutscht, liebe Herren.“

Bereits hatte sich der Süße auf den Wink des Dicken an den Schuster gemacht, um ihm aus der Hose zu helfen, und der Saure stand ihm bei. Außerdem berief jener sich noch auf den linken Plattfuß, der ebenfalls ein Erkennungszeichen sei vom Knieriemen; da zogen sie ihm die Schuhe samt der Hose aus, fragten ihn, ob er sonst noch ein Merkmal habe, sagten, er solle ihnen in die nächste Gasse folgen, wo der Mond und das Sternenlicht besser einfalle, damit man seine Schwielen und den Plattfuß auch wirklich sehen könne,und hoben sich mit den Effekten davon. Er trippelte ihnen mit aufgehobenen Händen nach, wie er sie gehen und manchmal auch locken hörte, kam von einer Gasse in die andere, passierte die Hölzerstraße, kreuzte den Münsterplatz, wunderte sich, daß es noch weiter gehen sollte, rief nach den edlen Herren: „Heda, heda, hier ist mein Seel die schönste Heiterkeit in der ganzen Stadt!“trat sich einen Nagel in den Fuß, fing an hurtig zu hüpfen,weil er Angst bekam für sein Eigentum, und verlor sich endlich im Gassengewirr des Judenviertels aus dem Mondschein und aus aller guten Zuversicht und Laune.[] 156 Inzwischen war die Schusterin in den Besitz von seltenen Dingen gekommen. Der Dicke hatte ihr sein Herz geschenkt und sein Leben zur Verfügung gestellt samt seinem Hab und Gut. Er bot ihr eine bare Anzahlung von einem Goldgulden, legte eine silberne Dose dazu und seine ewige Seligkeit, und verschwur sich mit seinem zwiespältigen Kopf zu jedem Lebenswerk, das sie ihm etwa aufgeben könnte. Aber sie gab ihm gar nichts auf, außer daß er sie ungekränkt lassen und seiner Wege gehen solle; denn sie merkte nun wohl, wes Hagels Korn dieser Kavalier war. Und als er mit seinem Antrag deutlich wurde, erlaubte sie ihm mit einem Seitenblick, in dem der tiefere Grund und Wille ihres Wesens mit listig-trübem Schein aufschimmerte, für seinen Wunsch alle ihre vergangenen Tage; für die künftigen müsse er ihren Schuster fragen und außerdem den Papst wegen dem Dispens. Doch vertrieb sie ihm auf diese Weise nicht nur keinen Appetit,sondern von ihrer sorgenvollen Herbheit und enttäuschten Kraft ging direkt Erregung und Begierde auf ihn über, und als ausgefluchter Weiberkenner, der er war, witterte er hinter den etwas bittern Zügen ihres Gesichtes eine kurzweilige und unternehmende Seele, die man nur in gute Stimmung zu bringen brauchte. So schied er für diesmal von ihr mit der Versicherung, daß er sie nicht vergessen und unter besseren Lichtern wiedersehen werde, woraus sie sich nicht eben viel machte; sie bat sich nur aus, daß man sie allein nach Hause gehen ließ.

Ums Frühgeläut kam ihr der Schuster vor die Tür []

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157 gehinkt, würdelos in Wams, Hemd und Mütze, und in seinem Gemüt auf alle Weise strapaziert und mit Kummer belastet. Sie empfing ihn völlig schweigend,und achtete auch nicht auf sein trübsinniges Erstaunen darüber. Weil er diesmal wirklich keine Lockung verspürte, sich mit Sprüchen hinter der Maßregel her aufzulassen, so drückte er sich an ihr vorbei still ins Bett und fing dort sogleich einen Schlaf an, der in den hellen Morgen hineinfloß wie ein Bach aus Teer.Aber die Schusterin begann ihren Tag.

D Mädchen Christine konnte nicht manchen Griff tun, ohne dem Verlust des Silbers auf die Spur zu kommen. Die erste halbe Stunde füllte sie damit aus, das Vermißte an andern Orten zu vermuten und zu suchen, die zweite, nachzusehen, was etwa sonst noch abhanden gekommen sei, und nach Verfluß der dritten stieg sie die Treppe hinauf und fing an, auf die Schlafzimmertür der Meistersleute zn trommeln. Das nahm eine gute Zeit in Anspruch; denn wenn der Schlaf des Gerechten schon tief ist, mit welchem Lot soll man dem der Seligen auf den Grund geraten? Schließlich kam dem Sternseher das Getös zu Ohr und das Tageslicht zu Auge, und ein peinliches System von schartigen Messern, das er sich an Lunas Bettpfosten in den Rücken geschlafen hatte, trug zu seiner beschleunigten Ermunterung bei. Als er die Botschaft [158]vom gestohlenen Silber vernahm, wollte es ihn freilich bedünken, es sei nicht der Mühe wert gewesen, und er sah nach seinem Bett, in dem er noch gar nicht recht gelegen hatte. Umgekehrt hatte nur dieser Klang genügt, die Dame Luna aus ihrem Weinnebel und Pfühl heraus und mit einem einzigen Ruck auf die Füße zu E empfand, war bestürzt, entsetzte sich und schrie auf,zuerst fast noch mit geschlossenen Augen, dann mit dem aufgerissenen Jammerblick des Hinterbliebenen,und ihr Mann merkte in aller Kreuzlahmheit und Düsternis, daß er jetzt in Aktion werde treten müssen.Das tat ihm leid und er versuchte, ihr Verachtung einzuflößen gegen die Zufälle der Zeitlichkeit und die öden Begriffe Geld und Gut, geriet aber übel damit. Er bekam Wahrheiten zu hören, die ihm in den Ohren summten wie Bienen, nur daß sie ihm keinen Honig hineintrugen.

„OHde?“ weinte und schrie sie ihn an: „Wieso öde?Du bist öde. Du hast deine Nase zwischen den Sternen,und in der Zeit wird mir das Silber gestohlen und werden mir meine Ketten und Spangen entwendet, an denen ich meine Freude habe. Daß doch dir deine dummen Fernröhren auch geholt würden; ich wollte lachen und Sprüche machen wie du. Jetzt guck hinein und sage aus, wo das Silber ist, wenn du etwas kannst, so wollen wir dich loben. Schaffe mir meine Ketten wieder und meine Ringe.“

Sie hatte sich in der Zeit in den Unterrock gebuddelt,warf noch geschwind ein Tuch über ihre Schultern, riß [159]die Tür auf und eilte blind vor Traurigkeit an dem Mädchen Christine vorbei die Treppe hinunter, um den Verlust in Augenschein zu nehmen. Als Christine ihr nachkam, kniete sie vor der ausgeräumten Truhe und spähte angestrengt hinein, sah aber nichts als das dürre Holz und die Tränen, die sie nacheinander hinein weinte.Die Spitzbuben hatten auch rein an allem ihrem Eigentum Gefallen gefunden, und es war jetzt ausgemacht,daß die feine und zärtliche Dame Luna nichts mehr besaß, als was sie gerade auf dem Leib trug und etwa noch so droben auf dem Stuhl liegen hatte. Auch der Sonntagsanzug des Sternsehers war fort samt Barett und Handschuhen und einem Beutel mit dreiundsechzig Goldgulden. Es war ein Wunder, daß sie die Kiste hatten stehen lassen. Dafür waren die Zinnleuchter verschwunden und von der Uhr die Gewichte und der Perpendikel abgehängt wegen des Bleies und des Messings; auch die Ofentür hatte den Weg auf die Straße gefunden, und wer sich jetzt etwa im Wort Gottes und des Tomas a Kempis darüber trösten wollte,suchte gerade so vergebens danach, wie nach den silbernen Spangen, die es zusammen hielten. Auf diese Weise war im ganzen Haus Luft und Leichtigkeit geschaffen worden; man hatte es während der Beschäftigung mit dem Todesfall nur nicht bemerkt. Das Gewässer der Trübsal kam endlich auf den Sternseher eingeschwemmt;er sollte den Dieb wahrsagen und das irdische Gut wieder schaffen. Die Dame Luna forderte es mit spitzen und zugleich betrübten Ausdrücken, und es war für das blödeste Auge zu sehen, daß ihr Glaube und Gehorsam daran hing.[] 160 Der alte Herr nahm seufzend seine zwei Weiber mit auf die Geheimkammer, die sonst das ganze Jahr außer dem seinen keines Menschen Fuß betrat. Es wimmelte darin von Fliegen, Motten, Spinnen, Tausendfüßlern und Kakerlaken, wie die Frauen unter allem Leidwesen mit Schreck und Grausen bemerkten. Die Decke hing darüber schwarz von Köhler und Alchimistenrauch,der Boden hatte Brandlöcher, und es schwindelte einem,wenn man unter sich sah, vor lauter Kreisen und Dreiund Vierecken, die mit Kreide darauf durcheinander gezeichnet waren. In einer Ecke lag ein Häufchen Mäusedreck beisammen und freute sich still vor sich hin. Der Sternseher rettete den Frauen fortwährend das Leben, indem er sie an den Röcken vor unsichtbaren Fallen zurückriß, und stellte sie endlich in einem neutralen Doppeldreieck sicher. Er ging zum Herd,fachte Feuer an, tat Glut in eine Pfanne, streute eine Handvoll besprochenen Baldrian darauf, trat damit zu den Frauen vor das Doppeldreieck, stellte die pfanne mitten zwischen sie hinein und begann zu schwören, daß sie den Gestank vergaßen und sich zu fürchten anfingen. Als das geschehen war, kippte er die Pfanne auf den Boden um, hob sie senkrecht hinauf, hoch von der Glut weg, und wartete, wie der Rauch ging. Der machte erst eine kleine Deutung nach der Gegend des Judemnviertels, verbreitete sich dann aber eingehend über die Stadt, woraus der weltmüde Mann listig deutete, daß die Spur des Silbers zwar nach dem Judenviertel gehe, jedoch das Gemeinwesen überhaupt nicht viel wert und vielleicht sogar wie seiner[] 161 zeit Sodom und Gomorrha zu einem Gericht reif sei.Er riet seinen Frauen, vom übriggebliebenen ein Bündel zu schnüren und mit ihm aus dem nächsten Tor zu wandern, um nicht vielleicht mit den Ungerechten umzukommen, denn man wisse nie, mit welcher Post der Zorn und Spruch der Vorsehung eintreffe. Er war des schmerzhaften Treibens um das irdische Gut leid und hoffte mit dieser Gelegenheit sich in das Glück des Nichthabens retten und seine Dame Luna zugleich dahin nach sich ziehen zu können.

Lunag fürchtete sich sehr und glaubte wegen des großen Gestankes. Sie fragte, ob sie hier reden dürfe,und redete. Alle Nöte und Schrecken der vergangenen Nacht, des Morgens und der Stunde rannen ihr nun zusammen zu einem einzigen trüben Strudel, und wenn sie aus diesem heraus bat, der Sternseher solle sie nur bald aus der schlimmen Stadt führen, so war es ihr erbärmlich ernst damit. Was bei jenem unter der Oberfläche blieb und nur als Orakelspruch zu einer vorsichtigen Gestalt kam, wurde bei ihr völliges Tagesgespräch: der Wunsch, aus der Mühle einer Daseinsform herauszukommen, die nunmehr deutlich das Korn des Unglücks mahlte und gänzlich in den Händen des Mißgeschicks zu sein schien. Aber der Sternseher war ohne Hoffnung, während die Dame Luna hinter dem Orts und Luftwechsel alle möglichen Verheißungen und neuen Wunder aufblühen und winken sah. Und da es doch hier einmal so bestellt sei, so solle man nur sofort aufbrechen. Christine möge das Bündel schnüren und mitkommen, daß sie auch ihre Seele errette, die Schaffner, Der Bote Gottes

121 [] 162 zwar nicht vom besten sei, aber noch veredelt werden könne durch Fasten und Wachen.

Christine machte ein dunkles Gesicht und sah ablehnend drein.

„Das kommt mir spanisch vor,“ sagte sie, „daß Gott durch einen stinkenden Rauch solche Dinge sollte offenbaren. Ich wollte lieber noch ein anderes Zeichen abwarten, bevor ich an dieses glaubte. Die Menschen sind auch nicht so schlecht, daß das geschehen dürfte.Ihr kommt ja nie heraus; wie wollt ihr das wissen?“

„O du Bauernbauch,“ schalt die Dame Luna:„Das ist ja eben die Weissagung, daß man's erfährt und hat's nicht gesehen. Willst du hier deinen täppischen Kopf geltend machen? Bleibe in der Stadt und gehe mit den Bösewichtern unter, wie es deine Verstocktheit verdient. Ich scheide mich von dir.“

Sie trat entrüstet von ihr weg; aber Christine zweifelte weiter.

„Und wovon willst du denn draußen leben, wenn du deinen Schmuck und dein Silber vermissest, und der Herr seine Dukaten? Laß uns zuerst unser Eigentum wieder finden und das Haus verkaufen, damit wir nicht Bettler werden. Dann mögen wir immer noch wegziehen und glauben desto lieber, weil wir weiter leben können.“

Die Dame Luna sah ihren Mann an.

„Das ist gut, Balduinus,“ sagte sie mit einem schimmernden Blick. „Laß uns zuerst unser Eigentum wiederfinden, damit wir nicht betteln müssen. Geht das nicht? Wird es denn wirklich so schnell kommen?[] 163 Die Menschen sind ja gar nicht so sehr schlecht. Und sie haben sich überhaupt gebessert. Mögen die Bösewichter uns wenigstens noch das Haus zuvor abkaufen. Was schadet's, wenn sie damit betrogen sind? Die Stadt geht ja dann doch unter.“

Sie nieste von dem Rauch. Der Sternseher schüttelte traurig den mageren Kopf.

„O Lung, du Erdenkloß,“ antwortete er, „wie leid tust du mir, daß dein Sinn noch so sehr auf das Vergängliche gestellt ist. Ich muß dich wahrhaftig einen Monat lang in die Behandlung nehmen, daß die Teufel der Schwere von dir gehen. Du wirst nicht als ein Engel Gottes erscheinen am Tag der großen Erscheinung, sondern als ein Brauknecht oder Metzgerbursch.“

„Wieso?“ fragte sie dümmlich und schickte dem Mädchen Christine einen Blick zu, daß sie ihr helfen solle.„Es ist drunten ein Handschuh von den Spitzbuben liegen geblieben,“ bemerkte die an der Rede des Sternsehers vorbei. „Wir sollten den meinem Hund zu riechen geben und ihn suchen machen, vielleicht gewinnen wir die Spur. Aber wir dürfen nicht warten damit, sonst geht uns der volle Tag drüber, und kein Hund findet dann mehr das Rechte heraus.“

Luna schwindelte einen Moment, teils vor permanenter Schwäche, teils vor Rauch und teils vor der starken Natürlichkeit dieses Einfalles. Sie stimmte der Magd bei und trieb, was sie konnte, daß der Hund auf den Weg kam. Der Sternseher mußte sich an

1*[] 164 ziehen; dasselbe tat auch sie, und in zehn Minuten stand die ganze Hausgemeinde, Herr, Frau und Magd samt Lunas Vater, welcher Silbergreis inzwischen auch mobil geworden war, auf der Straße um den nackten,schwanzlosen und einäugigen Köter herum, dem Christine den Handschuh des dicken Spitzbuben unter die Nase hielt. Der Hund merkte eine Bekanntschaft und begann wirklich zu suchen, fand eine Spur, fuhr dann aber so eifrig dahinter heraus, daß er ihnen von der dritten Gasse weg schon aus den Augen verschwunden war. Sie riefen, pfiffen und drohten, liefen was sie konnten, halfen sich mit Nachfragen weiter, bekamen einen Schweif von Neugierigen und Spottvögeln hinter sich, und es fing ihnen an zu dottern über ihrer großen Schläue. Jedoch zur rechten Zeit kamen aus einer Seitengasse vier Junker oder Ritter wie die Engel Gottes herausgeschwebt, voran ein ganz dicker, der seine Hände einen Schritt vor sich her trug. Sie sahen den Aufstand, traten dem Volk ernsthaft und verächtlich entgegen und nahmen sich der kleinlauten Hausgemeinde an. Die Dame Luna mußte erzählen,was vorgefallen war.

„Ach, edler Junker,“ klagte sie, „daß Gott den bösen Spitzbuben, die es in dieser Stadt hat, keine gute Stunde mehr gönnte, sondern nur üble und schmerzensreiche.Wir sind heute nacht völlig ausgeraubt und in allen Kammern kahl gemacht worden. Aber wir stehen den übeltätern auf der Spur mit dem Hund, weil sie einen Handschuh verloren haben. Leider ist uns der Hund davongelaufen.“[] 1605 Der Kavalier sah den Handschuh in Christines Fingern und brachte seine rechte unbekleidete Hand unauffällig auf den Rücken. Er machte ein Gesicht so fromm wie der Milchtopf in der Sonne und wunderte sich.

„Nun, gnädigste Dame, wie kann man ein Haus ausrauben, in dem so viele aufmerksame Leute wohnen und schlafen, wie ich hier vor mir sehe? Auch sagt Ihr, ein Hund sei Euer; verzeiht, hat der Hund kein Gehör und Witterung?“

„O das ist der teuflischste und verlorenste Hund,den es gibt,“ schalt sie. „Er bellt und wütet ganze Nächte lang, daß niemand ein Auge zutun kann; und wenn man dann endlich vor Todmüdigkeit hinsinkt in der zehnten oder zwölften Nacht und einen Wächter nötig hat, so sieht er freundlich zu, wie die Verdammten das Silber forttragen. Und jetzt ist er auch noch weggerannt.“

„Mit Gott,“ antwortete der Saure und blickte sie aus seinem schwarzen Kopf strafend an. „Das macht,daß Ihr Euer Herz an das eitle Gut hängt und Eurer Seele vergeßt. Geht heim, tut Buße und reinigt Euch,ob Euch Gott wieder gnädig wird. Und danket ihm,daß er Euch auf so sinnreiche Art aus den Klauen des Satans gelöst hat.“

Niemand von der Kompanie wußte recht, ob der Saure im Ernst sprach oder Theater machte. Er hatte Theologie studiert, und es ist bekannt, daß diesen Käuzen gegenüber keine einzige psychologische Regel und Voraussetzung zutrifft, weil sie den Bau der [] 166 Seele noch mehr verändert als die Jurisprudenz.Aber der Sternseher war ganz seiner Meinung. Er nickte kräftig mit der roten Mütze und wandte sich mit Höflichkeit an den Sauren.

„Das habe ich meiner Frau auch gesagt, werter Herr. Sie ist ein Kalb voll Fleischlichkeit und eitlen Wesens, und ich werde noch viele Mühe haben mit ihr. Dann hat diese alberne Person hier den Tanz mit dem Hund angegeben, damit die Kreatur auch noch in den Strudel gezogen werde. Ich mag nichts mehr mit dem Silber und Gold zu tun haben. Wir wollen überhaupt nach Hause gehen und unsern Auszug anfangen.“

Jetzt trat der Schwiegervater vor, der solange unzufrieden zugesehen hatte.

„Es verdrießt mich gewaltig, was du da über meine Tochter gesagt hast, lieber Eidam,“ tadelte er und reckte seinen alten Rücken. „Sie ist kein Kalb voll Fleischlichkeit, denn so habe ich sie nicht erzogen, vielmehr gottesfürchtig und sehr mäßig. Aber du bist ein Esel voll Flausen und Grillen und ich weiß nur nicht, warum ich dich nicht im Stich lasse, wie du dastehst und lästerst in deinem gottlosen und unchristlichen Aufzug.Mein Herzbruder Dorian, dein seliger Vater, liegt zu Hause tot und ist erfroren. Er war ein schwacher Mann,aber ich habe immer noch bessere Knochen als du und will dir lieber mit eigenen Händen die Spukkammer aus dem Dach reißen und auf die Gasse werfen, als daß ich dir noch einmal auf die Bank liege oder erlaube, daß meine Tochter darauf liegt. Und wenn du uns das [] 167 Gut nicht wieder herschaffst, so werde ich das Hausregiment in die Hände nehmen, so wahr ich selig sterben will.“

Der Süße hatte Hunger und wollte über der Renommiererei der alten Wackelhose nicht länger auf leere Zähne beißen.

„Ich meine, werte Dame und ihr Herren und Freunde, wenn wir gegessen haben, so werden wir klüger sein und uns besser verstehen,“ ermahnte er.„Das Gut ist vorderhand weg; das bleibt, wie es ist.Aber die Jungfer da hat ja den Handschuh, so ist uns der Sünder sicher. Nachher wollen wir euch auch suchen helfen, und für sein Unterkommen am Galgen braucht dann der dicke Halunke nicht zu sorgen, dem dieser riesige Handschuh gehören muß. Die gnädige Dame wird nichts dagegen haben, daß wir hilfreiche Kavaliere uns bei ihr zum Frühstück einladen.“

Der Süße hatte einen süßen Geruch, aber sein Kopf steckte voll Finten und Mücken; er mochte jetzt nichts lieber, als bei Tag in dem Haus etwas Gutes schmausen, in welchem er bei Nacht gearbeitet hatte.

Der dicke Kavalier war mit dem Frühstück einverstanden; aber er glaubte nicht, daß der Eigentümer des Handschuhs ein besonders großer oder starker Mensch sei, vielmehr eher mittel in jeder Beziehung. Dagegen stimmte er dem Süßen darin bei, daß die Hausgemeinde des Sternsehers auf seine und seiner Kameraden Mithilfe rechnen müsse, stellte sich als den Junker Rolandus vor und seine Komplizen als die Herren Magister Ebenreiz, Lizentiaten Stockholz und Leutnant Liebes[] 168 weis. Gerade wollte man sich auf den Weg zum Frühstück machen, als noch geschwind etwas dazwischen platzte. Denn da kam der ungetreue Hund Stummel fröhlich mit einem fremden Herrn oder Kerl die Straße hergegangen, konnte sich nicht genug tun, ihm nach der Hand zu springen und sie zu lecken, und manchmal schleifte er hinten ganz schief über den Erdboden hin vor lauter Freude. Luna sah den Auftritt zuerst,schrie auf, zeigte noch schnell mit der Hand danach und fiel in Ohnmacht; ihre schlecht genährten und strapazierten Nerven hielten diese überraschung nicht mehr aus. Ihre letzte Hirntätigkeit war die freundliche Vorstellung, daß man jetzt den Dieb und so Silber wie Gold wieder habe.

„Guten Morgen, ihr Herren,“ sprach Ruodi die Vier an und bewies damit, daß sie ihm bekannt waren und er ihnen. „Seht, da habe ich meinen Hund wieder,von dem ich euch erzählt habe und der mir weggekommen ischt; das ischt ein wahres Pläsier. Aber Gott soll mir Haut abziehen, wenn ich den Türken, den gottverstoßenen, ausfinde, der ihn mir geschoren und gezwickt hat, mein Seel, den will ich auch scheren und zwicken. Der Hund kann nicht sagen, was man sonscht noch gemacht hat mit ihm; aber er huschtet und ischt ganz meineidig erkältet. Da soll der Teufel dreinschlagen. Was ischt denn aber los hier?“

Das war die Rede, die er führte unterm Aufmerken aller Fenster und Zuschauer und zur schauervollen Freude aller Ohren. „Von welchem Zaun ist denn die Zunge gebrochen?“ riefen die Leute und lachten ungläubig.[] 1609 Immerhin sah er reputierlich genug aus mit seinem Schnauz und Säbel; auch hätte er sich gestern einen Offiziersrock gekauft, eine Anzahl Fantasielitzen und ctressen darauf genäht und Sterne dazwischen gesteckt,so daß jetzt kein Teufel wußte, wie hoch man ihn eigentlich einschätzen sollte. Eines hatten die Viere sicher,daß er Geld besaß wie Heu, und das war schon damals die durchschlagendste Legitimation. So traten sie nun höflich vor ihm zurück, damit er den Kern dieses Auftrittes zu sehen bekam, und der Dicke beantwortete ihm seine Frage.

„Diese Dame und ehrbare Frau ist ohnmächtig geworden, sobald sie Euer Gnaden erblickte. Ich habe noch nicht erlebt, daß jemand einen solchen Eindruck auf Frauenzimmer hervorbringen kann. Erlaubt mir.“Er stellte vor, den Schweizer als den Herrn Obersten Ritter von Holdrio aus Ungarn, im Auftrag der kaiserlichen Regierung in hiesigen Landen, um den Frieden zu inspizieren, und darauf den Sternseher, den Schwiegervater und die ohnmächtige Dame Luna, alle mit bescheidener Unterstreichung ihrer Verdienste und Qualitäten als das, was sie übrigens waren, worauf aber der Sternseher statt mit Gegenhöflichkeit nur mit einem bedenklichen Seitenblick auf den Hund reagierte, und der Schwiegervater mit einem feindseligen.

Nachdem es dem Köter Stummel schon einmal hatte vorkommen wollen, als befinde er sich zwischen bekannten Gerüchen, entdeckte er plötzlich seine Freundin Christine,die sich mit ihrer Herrin beschäftigte und ihn von allen Leuten allein nicht bemerkt hatte. Wie sie nun von [] 170 seiner Schnauze angestoßen aufsah, stand der wohlbekannte Landfahrer vor ihr, dem sie auf der Straße von Wullenhausen Behandlung zugewandt hatte, aber er war heute mit Stättlichkeit angetan. Es ging ihr rückläufig durch den Kopf, daß er ein Herr Oberst und vom Kaiser geschickt sein solle, nach dem Frieden zu sehen, jedoch die Verlegenheit darüber wurde von einer Verwunderung unterlaufen, denn der Hund ließ an keinem Zeichen, das er von sich gab, Zweifel übrig,ob er zu dem fremden Ritter aus Ungarn gehöre oder nicht. Da war ihr nächstes Gefühl doch wieder Verdacht und Mißtrauen.

„Wie kommt Ihr zu dem Hund, Herr?“ fragte sie mit dunklem Gesicht. „Er war heut nacht bei uns.Er gehört ins Dorf Wullenhausen. Wißt Ihr vielleicht,wo Wullenhausen liegt?“

Er wußte, wo Wullenhausen lag, und wußte auch, mit welcher Farbe diese Magd und Streiterin Augen malte, wenn es nötig wurde. Aber er ließ sich nicht mehr unter die Rippen fassen, von keiner Bagage auf der Welt; mit diesen Höflichkeiten war es jetzt vorbei. Er erwog und beschloß außerdem, er wolle nun kaiserlich auffahren; denn immerhin hatte man sich an dem Hund strafbar benommen.

„Ins Kaisers Namen, was hör' ich? Das ischt mein Seel gut. Du bischt ja wahrscheinlich ein ganz schauderhaftes Weibsbild, soviel ich weiß von dir, und hascht das schlechte Gewissen. Ich kenne, glaub' ich jetzt, den, der dem guten Tier das Haar abgeschnitten hat, und hat ihm die Haut gezwickt in schändlichem []Gelüschten. Ischt das chrischtlich? Ich meine, du bischt nur der Schlechtigkeit nachgelaufen von einem gewissen Ort an einen andern gewissen Ort. Was hat dir der brave Hund zuleid getan? Meine Herrschaften, dieser Hund hat drei Kinder aus dem ungarischen Meer gerettet und einen alten Mann aus dem Feuer. Er hat einen sehr schönen Schwanz gehabt, aber da ischt im Meer ein Hecht gekommen und hat ihn ihm abgebissen;das kann jedem passieren. Und sein rechtes Auge ischt ihm kaput gegangen im Kampf mit einem deutschen Räubersmann. Darf man da ein solches treues Tier mißhandeln und nackt machen, daß es sich verkältet,und dazu lachen? Ich glaube einmal nicht. Man muß immer zuerscht fragen, wo ein Ding herkommt und was es wert ischt, und dann soll man erscht noch seine schlechten Finger davon lassen.“

Er betrachtete das Mädchen mißvergnügt und bei allem guten Willen zur Gerechtigkeit mit Unbehagen.Er glaubte nun doch nicht, daß der Bauer absolut ein wertvolles Gut verloren habe mit ihr, wie er sich einbildete. Mindestens war sie trotzig und wenig weise. Christine ihrerseits sah etwas erschreckt den fantastischen Kerl an und wußte nicht mehr, ob sie ihren klaren Sinnen glauben solle oder seiner Aussage,die mit soviel echter Herzwärme des Weges kam. Die Dame Luna kehrte aus ihrer Ohnmacht zurück und fragte sofort, ob man den Dieb habe. Aber der Schwiegervater sprang für das Mädchen Christine ein,da er sich nun doch als Hausvorstand fühlte.

„Wollt Ihr uns nicht mitteilen,“ fragte er patzig,[] 172 „wann Euch Euer Hund abhanden kam? Dieser ist ein gemeiner Dorfköter, wie hier alles weiß. Er läuft jedermann zu, von dem er etwas zu fressen erhofft.Seit einem Vierteljahr zieht er einem Metzger den Fleischwagen; von dem haben wir ihn. Was wollt Ihr also mit uns?“

Er sah den Schweizer geringschätzig an; aber der fuhr mit der Faust an den Degenkorb und kochte auf wie heiße Milch.

„Das ischt mein Seel schlecht gelogen und ein Schluck für eine Kuh, aber nicht für Edelleute. Wenn hier gedichtet werden soll, so will ich Euch mit einer einzigen Erfindung an die Wand nageln, daß Euch in zehn Jahren kein anderer wieder herunter lügt. Aber da schteht Wahrheit. Schaut her und blinzelt nicht.Ich will Euch kreuz und quer über die Ohren auseinandersetzen, daß der Hund nicht länger als eine Nacht bei Euch im Bett gelegen hat. Blitz und Hagel,ich bin geschtern mit ihm zum obern Tor herein gekommen und hab' einmal nach den Schtraßen gesehen, da ischt er schon weggefangen gewesen. Der Kaiser hat in Wien zu mir gesagt: ‚Geh' hin, Ruodi,schau mir dem Frieden ein bißchen nach in meinem Reich‘, und hat mir diesen vornehmen Hund dazu geschenkt, daß es jetzt nur jedermann weiß. Da ischt er her, und von keinem Wullenhausen, und hat noch sein Leben keinen Wagen gezogen, aber hier schaut er viel verdorbenes Volk an. Ischt es ein Wunder, wenn er herabgekommen aussieht, nachdem Räuber, Hechte und Weibsbilder über ihm gewesen sind? O Donner[]wetter, der Kaiser wird Augen machen. Aber ich glaub'wahrhaftig, ihr habt überhaupt einen Sonntagsbraten wollen herrichten aus ihm, he?“

Die Dame Luna, die erst halb begriff, was vor sich ging, und von der Handlung doch gern ein Röllchen an sich ziehen wollte, plapperte verwundert hinter dem Alten hervor.

„Gehört denn der Hund Ihm, Herr Offizier? Ich wollte es gleich nicht leiden, daß man ihn schor. Er ist ein edles Tier.“

Der Oberst wandte sich interessiert nach der neuen Seite. Da war ja wieder Leben aufgekommen, und außerdem verschiedene Augenfreude und Anziehung.

„O jawohl, zu dienen, gnädigschte Dame,“ erwiderte er höflich; „dieses ischt ganz und gar mein Hund. Ich kann es beweisen. Und er ischt der geischtreichschte Hund, den es gibt.“ Er kehrte sich zu Stummel:„Komm, wir wollen uns unterhalten,“ zog den Säbel,hielt ihn wagrecht von sich, sagte: „Wie fliegt der Schtorch über das Dach?“ und Stummel setzte mit einem rüstigen Sprung darüber. Der Oberst faßte den Säbel noch mit der andern Hand an der Spitze, so daß er damit eine Schlinge bildete, bemerkte lächelnd zur Dame Luna: „Er kann auch Geometrie,“ fragte ihn: „Wo ischt das Zentrum?“ und der Hund sprang durch den Kreis. Er war schon aufgeregt und tanzte kläffend hin und her. Der Oberst sagte: „Komm, wir wollen schpazieren gehen,“ und bot ihm einen Arm;Stummel stellte sich auf die Hinterbeine, fuhr ihm mit einer Pfote in den gebogenen Arm und hüpfte [174]neben ihm her. Der kaiserliche Offizier faßte ihn galant an der Pfote und tanzte ein paar Schritte Menuett mit ihm, und dann sangen sie zweistimmig miteinander.Schließlich präsentierte der Oberst den Säbel und befahl ernsthaft: „Setze dich auf deinen Glanz!“ Der Hund setzte sich. Seine Augen glühten blau, und er hing aufgeregt die Zunge heraus. Aber der Oberst verbeugte sich vor der Dame Luna, wozu er mit dem Säbel kavaliermäßig seitwärts unten heraus grüßte,und beschloß ernsthaft unter aller Verbindlichkeit:

„Ihr seht, es ischt mein Hund. Er gehorcht niemand sonscht, als noch dem Kaiser, von dem er herschtammt.Da soll man doch nicht so dumm kommen und sagen,er zieht dem Metzger den Wagen!“

Nun gefiel der Dame Luna dieser bunte Tänzer und Krieger gar zu wohl. Ihr Mann stand zwar auch farbig genug da, aber er war lediglich nach oben gerichtet und fantasierte nur, wenn die Eingebung aus den Sternen über ihn fiel. Dieser Offizier, den doch der Kaiser geschickt hatte, wie man hörte, tat sich um und vergaß alle Vornehmheit, bloß um ihr zu beweisen, daß der häßliche Hund ihm gehörte. Das gewann sie für ihn. Sie neigte ihm holdselig den blassen Kopf zu.

„Ich bin nun ganz überzeugt davon, daß der schöne Hund Sein ist, Herr Offizier. Ich hätte es schon früher gemerkt, aber da war ich ohnmächtig. Und ich verstehe auch, daß Er Genugtuung haben muß für das Ungemach,das Ihm in der Gestalt Seines Hundes bei uns leider widerfahren ist. Dieses törichte und sinnlose Weibs[]bild soll Haare lassen ganz nach Seinem Belieben; dafür hat sie Gott so wenig gefürchtet und an dem edlen Rücken Raub begangen. Ich wollte, Er strafte sie recht tüchtig durch; sie sitzt uns gar zu plump und herrisch auf der Erde da. Möchte der Herr aber nicht derweilen mit uns frühstücken kommen, sofern er ohne silbernes Besteck, das uns die Diebe gestohlen haben, vorlieb nehmen will?“

Der Oberst dankte erfreut, weniger wegen des FrühDDDBrüderschaft, als wegen der Anmut und Lockung, die von der Dame auf ihn überging. Er steckte den Säbel ein, nahm ihn in der Scheide zierlich unter den linken Arm, wartete, bis der Sternseher seiner Gattin mitgeteilt hatte, daß auch die vier andern Herren eingeladen seien und ihr übrigens das Silber wieder verschaffen wollten, und führte mit der hübschen und zutunlichen jungen Frau den Zug an, der sich nun die Straße hinunter der Sternseherei zu bewegte.

Mcch freue mich,“ sagte die Dame Luna, „daß ich J einem vornehmen Herrn Zufriedenheit schaffen kann. Er ist aus Ungarn, wie man hört?“

„Ja,“ antwortete das Schweizermaul, „aber ich kann ganz gut hochdeutsch schprechen. Ich schpreche nur ungarisch, wenn ich aufgeregt bin. Aber ich bin jetzt schon gar nicht mehr aufgeregt, oder nicht vor [] 176 Zorn, sondern eher vor Fröhlichkeit, denn Ihr seid eine meineidig schöne Frau, mein Seel. Mögt Ihr die Offiziere gut leiden?“

Die Dame Luna lachte leise.

„Ja, wenn sie dem Kaiser gleichen; der Kaiser ist der schönste Mann, den es gibt.“

„Das ischt wahr, und ich gleiche ihm auch wirklich,man hat mich schon dreißig oder vierzigmal für ihn angesehen und mir Referenz erwiesen, daß ich nicht gewußt hab', wohin schauen. Drum bin ich ins Reich auf Reisen geschickt, damit es keine Verwechslungen mehr gibt. Der Kaiser hat nämlich gemerkt, daß mein Schnauz länger wird als seiner, und da will er jetzt abwarten, bis er ganz lang ischt; dann kennt man uns daran. Es ischt schon gedruckt in der kaiserlichen Druckerei.Sobald ich zurückkomm', wird's ausgeteilt. Der Kaiser ischt ein braver Herr.“

„Da ist der Herr wohl gut katholisch, wie wir hier in der Stadt?“

„Nein, gewiß nicht. In Ungarn hat man nämlich keine Religion; die fangt erscht weiter oben an bei der Donau, ein wenig links. Ihr müßt denken, wo die Leut' sonscht etwas haben, da haben sie nicht noch Religion dazu. Die Schweizer haben auch keine, aber sie haben die hohen Berg, und in Ungarn da haben sie halt das Ungarische. Es ischt eine Verblendung.Wenn Ihr da in Deutschland etwas hättet, so wäret Ihr dabei geblieben mit Dank gegen Gott, und hättet Euch nicht die Köpf' verhauen mit dem meineidigen [] 177 Guschtav Adolf. So ischt das eben. Jetzt habt Ihr erscht recht nichts.“„Aber es ist doch Frieden. Die Verdienste gehen auch wieder an. Und wir sind manchmal schon ganz lustig.“„Ja, das muß ich gerade kontrollieren, ob dem Kaiser sein Frieden in Ehren gehalten wird bei Mannen,Frauen und Jungfrauen. Aber besonderlich bei den Frauen.“

Die Dame Luna schlug ihre Augen zu dem Abenteurer auf, und unter ihren seidenen Wimpern knisterte es leise.

„Er soll sich mit meinem Frieden ergötzen, Herr Oberst, wenn Er ihn nicht zu gering finden wird.“

In ihren Blicken glühten wieder grüne Mücken auf;sie schwärmten unternehmend aus, schwirrten an seinem betreßten Rock herunter und streiften aufmerksam und munter den Beutel, den er am Gürtel hängen hatte und worin ihre ahnungsvolle Elsternseele noch nicht einmal den ganzen Reichtum vermutete, der darin steckte.

„Ei, was denkt Ihr auch,“ erwiderte der Schweizer leutselig: „Euer Friede ischt wahrhaftig für jeden König gut genug, und ich werde Euch in Wien rühmen und angeben, daß man Euch zur Friedenspatronin für dieses Land machen muß. Ich will es ausrichten, daß Ihr sogar eine Edelfrau werden sollt. Es ischt nur schade,daß ihr schon einen Mann habt; Ihr tätet mir gut gefallen. Ich geb' mich sonscht nicht mit verheirateten Weibern ab, aber ich bin ein Edelmann; Ihr verschteht mich.“

Schaffner, Der Bote Gottes

12 [] 178 Unterdessen hatte der Junker den Sternseher unter den Arm genommen, und folgte den beiden auf zehn Schritt Abstand.

„Bei meiner Ehre, Herr,“ sprach er: „Ich habe noch keinen Mann von solcher Charaktergröße getroffen,wie Ihr sie beweist. Ich glaube wirklich, Euch ist nicht wenig entwendet worden. Schlagt Ihr das irdische Gut so niedrig an?“

Der alte Herr bekam wieder Spielraum. Da war einer, der vielleicht eine Ahnung von der Leichtigkeit der Sternenluft besaß.

„Wie kann man hoch anschlagen, was niedrig ist?“erwiderte er. „Ihr geht sehr dick einher und steht schwer auf der Erde, und doch seid Ihr kaum in meinen Kreis getreten, so fühlt Ihr die tiefe Unwissenheit des Fleisches und müßt Fragen stellen. Wer Bergluft atmet,der erweckt den Hunger des Leibes, aber wer Sternenluft atmet, der erweckt den Hunger des Geistes, dessen Nahrung Leichtigkeit ist. Ihr solltet sehen, daß Ihr Euch abmagertet, damit Euch die Leichtigkeit der Sternenluft geoffenbart würde.“

Der Kavalier zeigte Zweifel.

„Eure Frau ist mager genug und weint doch um das Silber; sie kann gar nicht schnell genug wieder dazu kommen. Wie soll ich das deuten?“

Der Sternseher erhob den Blick in Hoffnung.

„Ich werde ihr auch diese Schwere noch abnehmen.Sie weint nicht nach dem Silber, wie Ihr meint,sondern aus dem Schmerz des Irdischen, den sie empfindet. Sie kann es nur nicht verstehen, weil sie noch [] 179 zu viel Substanz hat. Ich werde sie jetzt einen Monat lang unter den zehrenden Stern stellen, den ich kenne;er hat heute nacht die Auflösung meines Vaters vollbracht. Ich vermeinte zuerst, daß es ein Unglück sei;aber das ist ein Gedanke, der aus der Mühsal des Fleisches kommt. Ich habe fortan eine Leiter und Bahn zur Leichtigkeit gleich dem Erzwater Jakob. Darum ist es auch ein großes Glück, daß das Silber und die Schwere des Goldes von uns genommen ist, und wenn Ihr etwa denkt, ich fluche dem Dieb, so irrt Ihr Euch;vielmehr liebe ich ihn und will ihn durch die Macht meiner Ausstrahlung zu mir ziehen, daß er vielleicht sein Fleisch verliert wie ich und seine Schwere in andauerndem Verlust von ihm geht, wenn auch unter Schmerzen. Wenn ich ihn unter meine Zuneigung ziehen kann, so soll er mein Erbe und übertreffer sein, so daß es von ihm heißt: Balduinus Alizel lebte mager und in Entbehrungen, aber Balduinus Alizel ging vor ihm her wie ein fettes Rind.“

Der Dicke sah sich schon in schlotternden Gewändern in der Zugluft stehen und nach den Sternen gucken.Er war nicht einmal sicher, ob es diesem bleichen Weltfeind nicht gelingen werde, ihn auf die Knochen zu reduzieren, ja, er spürte sogar schon Anziehung von ihm, und es wurde ihm wind und weh in seinem Fett.

„Wie könnt Ihr behaupten, daß Ihr ihn liebt,“rief er voll Widerspruchs, „da Ihr ihm doch das Wohlleben von den Knochen sieden wollt mit Eurer Wissenschaft? Ich, wenn ich zum Beispiel der Dieb wäre,würde da keine Liebe darin finden, sondern ich möcht'

12*[] 180 Euch mit Ansehen zu sagen den Schädel einbrechen.Verzeiht, aber ich bedenke, wenn mir so mitgespielt werden könnte, so wollt' ich doch lieber ein Silber wiederbringen.“

„Weil Ihr ein Tor seid und ein Gefäß der Eitelkeit. Ihr steckt so tief in Eurem schlechten Fett, daß Ihr keinen reinen Gedanken fassen könnt. Ich sage Euch, die Leichtigkeit der Sternenluft ist das allerbeste, was einem Menschen nur zu wünschen ist. Wenn ich nun dem Dieb dazu verhelfen will aus Dankbarkeit,hasse ich ihn also? Ja, ich will mich jetzt auf meine stärksten Wissenschaften besinnen; vielleicht daß ich ihn zu einer schnellen Abzehrung befördern kann; es macht mir nichts, wenn er mir voraus kommtz; vielmehr erhalte ich dadurch eine weitere Treppe, die ich vor die andere setze; so komme ich meinem Heil wieder näher.Ich bin froh, daß Ihr mir widersprecht; das fördert und weckt die Imagination.“

Der Kavalier schwitzte.

„Das ist mir eine sonderbare Liebe,“ antwortete er ärgerlich. „Weshalb zieht Ihr Euch nicht selber die Auszehrung an den Hals, wenn das so etwas Glückhaftes ist?“

Der Sternseher lächelte schmerzlich.

„Die Sünden meiner Jugend werfen Schätten dazwischen. Ich kann nur mehr auf andere wirken, weil es mir verwehrt ist, mich selber zu erlösen.“ Aber gleich raffte er sich wieder auf und erheiterte sich wunderbar,daß es dem Dicken kalt über den Rücken lief: „Dafür will ich auch alle Kraft und Kunst auf die Menschen [] 181 werfen, die in meine Kreise treten.“ Er sah den Junker liebevoll und ein wenig schalkhaft an: „Auch Ihr werdet bald die Arbeit meiner Gedanken an Euch verspüren.Ihr seid so ein rechter Sündenhengst und Schmalztopf des Satans, so daß ich gar nicht erwarten kann, bis ich die Nadel auf Euren Bauch gerichtet habe.“

Der Kavalier entsetzte sich; er fing an zu trippeln.

„Nein, nein, laßt das nur,“ rief er so laut, daß die Dame Luna und der kaaiserliche Oberst zurücksahen.„Ihr müßt nicht gegen Gottes Willen streben, der an mir herauskommt, denn es gäbe eine Gegenwirkung,die ich nicht aushielte; ich müßte auseinander bersten und würde mit einem schrecklichen Fluch und Geschrei über Euch vorzeitig in die Hölle fahren. Und ich rate Euch, laßt den Dieb nur auch zufrieden. Es ist gar nicht sicher, ob er mit Eurer Erleichterung etwas anfangen kann. Steht er im Bündnis mit dem Teufel,wie ich sehr vermute, so lacht er sich eins und Ihr verliert den Wurf und einen Engel. überhaupt, laßt uns neutral bleiben; das ist mir viel lieber. Wir wollen Freunde sein, und so gut.“

Der Sternseher nickte ihm still und kinderfröhlich zu.

„Fürchtet Euch nur nicht. Ihr werdet sehr bald Geisterluft schmecken, und dann wird Euch der irdische Geschmack und aller Kitzel so artig des Todes sterben,wie ein sechzehnjähriges Mägdlein. Aber kommt nun,wir sind zu Hause.“

Der Schweizer war mit der Dame Luna schon eingetreten. Bevor ihnen die neuen Freunde folgten, sahen sie sich nach dem Gefolge um. Da stand der Schwiegervater [] 182 mitten auf der Straße zwischen dem Süßen und dem Sauren, und hielt sich den Bauch vor Lachen. Die beiden hatten sofort angefangen seine Erdenlust mit Schnurren zu streicheln und, als sie Appetit nach mehrerem merkten, mit Anekdoten und standfesten Liebeshändeln zu regalieren, so daß er in einem zu schwur, sie seien die verfluchtesten und famosesten Kerle,die es gäbe, und es tue ihm nur leid, daß nicht einer von ihnen sein Schwiegersohn geworden seiz; das hätte einen anderen Lebtag abgesetzt, als bei dem sterntollen Hungerleider.

Ziemlich weit hinten folgte der Jüngling mit dem Mädchen Christine. Wie er nun einmal gestellt war,und weil er doch eine nette Magd vor sich merkte, von der er allerhand Verständnis erwartete, so hatte er sich daran gemacht, ihr von seiner transzendentalen Liebsten zu erzählen und dem zuckersüßen Lebenslauf, den seine Seele mit ihr verführe; überall ließ er seine verliebte Laterne leuchten, daß dem guten Mädchen das Wasser im Mund und leider auch in den Augen zusammenlief. Der Erfolg war, daß sie jetzt weinte wie ein Röhrenbrunnen vor Sehnsucht und Reue, und aus dem bohrenden Gefühl ihres fruchtlosen und närrischen gegenwärtigen Daseins. Der Jüngling besann sich, daß dem Mädchen mitgespielt werden solle vom Obersten, und fing an zu trösten, es werde nicht so schlimm ausfallen; wenn dergleichen Herren nur ihren Magen gefüllt hätten, wofür sie nachher wacker sorgen solle, so ließen sie krumm grade sein. Allein die Zusprache bewirkte uur, daß sie wegen des treulichen Klanges das Leiden der Verlassen[] 183 heit und Ode noch größer machten, und der gute Junge schließlich betrübt verstummte.

Drinnen wurde Christine von der Dame Luna mit spitzen Worten empfangen, weil das Frühstück nicht auf dem Tisch stand; aber sie war so gesetzt, daß sie sich aus dem Nadelstich nichts machte, wenn sie am Schwerthieb krankte. Die Letzung erschien auch noch immer früh genug; vorher führten die Dame Luna und der Schwiegervater die Herrschaften durch das Haus und zeigten den vier Spitzbuben bei Tage, was sie in der Nacht für Arbeit geleistet hatten. Luna zählte die entschwundenen Herrlichkeiten auf, und es war so viel Silber und noch mehr Gold und Edelgestein dabei gewesen samt Seide und Sammet, daß die Kavaliere ganz sehnsüchtig drein und einander ansahen, aber auch verlegen, weil diese feine Dame so ungeheuer lügen konnte. Der Oberst freilich hatte keine Ursache, an ihren Angaben zu zweifeln; er wußte es nicht besser. Sie wandte sich mit ihren Worten auch zumeist an ihn,und er sprach mit bewölktem Kopf seinen Unwillen aus über den elenden Stand dieses Friedens. Der Schwiegervater spritzte nur so von Ehrenrührigkeiten gegen die Galgenvögel und machte sich anheischig, ihnen, wenn man sie erst habe, die Gefängnissuppe so zu würzen,daß sie an ihren Gedärmen verzweifeln sollten; er wisse Kräutchen, die was rechts besorgen könnten, und mit dem Kerkermeister habe er mehr als nur ein Vogelnest ausgenommen in seiner Bubenzeit.

Das war bereits das zweite Fegefeuer, durch das der Dicke mußte. Er tat einen Fluch aus über[] 184 raschung, schimpfte fürchterlich auf die gottverlassenen Halunken und wischte sich öffentlich den Schweiß von der Stirn. Der Süße nagte betreten an seinem blonden Bart, starrte den Schwiegervater aus bleichen Augen an, sagte, es sei recht, er solle es ihnen nur tüchtig einbrocken, und lächelte ihm darauf zu wie ein krankes Kind. Der Jüngling sah tiefsinnig dem Mädchen Christine zu, wie sie den Tisch deckte, überlegte, inwiefern sie seinem transzendenten Liebchen gleiche, und nahm sich vor, ihr in der Küche nachher den Rest seines Preisgesangs über sein gegenwärtiges schönes Leben vorzusingen, damit sie auch einen Trost habe. Der Lizentiat haßte von allen Toren am meisten die Lügner und die Prahler.

„Es ist immerhin merkwürdig, daß man Euch das Haus ausräumen konnte, während Ihr drinnen wart,“erwiderte er anzüglich. „Vielleicht hattet Ihr Euch mit Wein überladen?“Der Schwiegervater sprühte den Frager wütend an.Der Sternseher verfiel noch einmal in Schwermut bei der Erinnerung an die ergebnislose Nacht. Aber die Dame Luna trat flink vor den Riß.

„In der Tat,“ log sie mit leichtem Erröten, das sich reizend auf ihre Aussage beziehen ließ: „Ihr müßt wissen, wir feierten im Garten ein Liebesfest, weil gestern mein Geburtstag war. Wir hatten schon viel süßen Wein getrunken, und nachher aßen wir noch hartes Gebäck; das macht ein so starkes Geräusch im Ohr,daß man immer aufhören muß zu knabbern, wenn jemand etwas sagt, sonst versteht man ihn nicht. Da[4]185 rüber kann man ganz gut ein paar dumme Spitzbuben überhören, nicht wahr?“

„Dieses ischt richtig,“ pflichtete der Oberst bei.„Schpitzbuben gehen auch immer nur auf den Zehen.Ihr habt da eben keine Ahnung davonz; ihr seid ehrenfeschte junge Männer, aber ihr redet manchmal dumm; Gott bessere euch. Wollen wir jetzt zu essen anfangen, schönschte Dame Luna? Nachher überlegen wir dann auch, wie die Schpitzbuben möchten gefunden werden. Die Herren da können nämlich nichts rechtes denken, wenn der Magen ihnen gleich unter dem Herzen sitzt; man muß ihn vorher herabziehen durch leibliche Genüsse.“

Unterdessen war der Schwiegervater verschwunden,um nach seinem toten Herzbruder zu sehen. Als schon alles Platz genommen hatte, kehrte er mit ernster Miene zurück und sagte, es sei doch ein Elend; aber wenn nun einer der Herren hier sein Schwiegersohn wäre,so könnte man heute nachmittag miteinander auf die Dinkelswiese zum Fest gehen. Der Oberst las in den Augen der Dame Luna die Meinung, daß das freilich etwas sehr Schönes wäre, und brachte schnell Öl auf die Wellen der Trauer, die ohnehin nicht zu hoch gingen.Eigentlich sei doch nur der Sternseher betroffen von dem Todesfall, führte er aus, und außerdem scheine es sich um einen ziemlich alten Vater zu handeln, da der Sohn auch nicht mehr eben jung am Tisch sitze.So möge das Alter tot sein und die Verwandtschaft trauern, aber die Jugend müsse ihre Freude und Lust haben.“ Die Rede gefiel jedermann, mit Ausnahme des [] 186 Hausherrn, der sogleich eine Ansprache dagegen schickte,aus der zwar die schönste Sternenluft und Leichtigkeit der Himmelsliebe wehte, die aber nichts bewirkte, als daß ihn der Dicke kraft der neuen Freundschaft hieß den Mund halten; er habe heut nichts zu tun und zu melden, als für Essen und Trinken zu sorgen; morgen wolle man sich dann mit der Sternenluft versuchsweise einlassen, und vielleicht übermorgen mit der Leichtigkeit der Himmelsliebe. übrigens solle er froh sein, daß man ihm die Spitzbuben auftreiben helfe, damit er wieder in Besitz seines vielen Eigentums komme.

Der alte Herr traute seinen Ohren nicht. Er drehte dem Dicken ein bekümmertes Gesicht. zu.

„Habe ich Euch denn nicht auseinandergelegt, Ihr Fettwanst, was für ein Vorteil mir durch die Entwendung erwachsen ist? Aber der Teufel der leiblichen Genüsse hat Eure Seele schon wieder in seinen Krallen. Ich will Euch überhaupt nicht für Essen und Trinken sorgen,und ich will auch nicht, daß Ihr Euch um den Dieb bemüht. Niemand hat Euch darum gebeten, als vielleicht mein verblendetes Weib, das nun dasitzt, von Euch verführt dem Fraß obliegt und der Völlerei pflegt,und darüber aus der Verheißung fällt.“

Der Junker fuhr auf.

„Bei allen heiligen Zeichen,“ rief er, „dieser Käse stinkt mir zu sehr. Wer hat uns zum Frühstück geladen, du oder deine Frau? Willst du Ritter und Edelleute verunehren in deinem Haus? Sieh zu, was es dir einträgt. Ihr Herren, ich denke, wir werfen den Tisch um und suchen uns Weide, wo schöner geläutet wird.“[1837]Die vier saßen mit strackem Rücken auf ihren Stühlen, bereit, mit dem ersten Zeichen aufzuspringen und die Demolierung zu beginnen. Die Dame Luna erschrak erbärmlich, aber der Oberst beruhigte sie und versprach ihr Schutz im Namen seines Kaisers. Der Sternseher stand schlank auf seinen Füßen da und schaute blaß, jedoch leuchtenden Blickes, auf die Gesellschaft.In seinem Gesicht ging ein Lächeln auf, das immerhin nicht von dieser Welt war und das sogar auf den dicken Spitzbuben seinen Eindruck machte.

„Fangt sogleich an, lieber Herr, und reißt mir das Haus um,“ erwiderte er aus seiner Leichtigkeit heraus,die nun mit jedem Augenblick auffälliger wurde. „Nichts haben ist das Glück des Windes. Alles hingeben ist die Seligkeit der Himmelsluft, wie Ihr an Sonnenschein und Regen sehen könnt. Sterben ist die Wonne,die uns gegeben ist, aber Ihr versteht sie nicht. Ich wollte Euch beleidigen, daß Ihr mich erschlüget; aber ich bin schon mit dem Haupi entrückt. Ihr müßt wissen, daß ich Euch liebe. Und Ihr seid meinem zehrenden Stern vermählt, weil Ihr sein Licht erkannt habt. über einen Monat werdet Ihr an meiner Hand gehen.“

Der Kavalier entsetzte sich wieder. Da war der Ton zum zweitenmal. Er stürzte hastig ein Glas Wein hinunter. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch.

„Zum Galgen gehe ich über einen Monat mit Euch,Himmelherrgottssakrament,“ schrie er. „Soll man denn ersticken an Eurer Himmelsluft? Viel lieber erwürge ich an einem Hammelknochen, und ich mag Hammel [] 188 in den Tod nicht ausstehen. Brüder, laßt uns fressen und saufen, was der Bauch hält. Das ist die Leichtigkeit, die ich predige.“

Die andern drei und der Schwiegervater stimmten ihm lärmend zu. Der Oberst legte der Dame Luna ein Stück kalten Braten vor, schenkte ihr das Glas wieder voll, das sie mit Anstoßen leer getrunken hatte, und sah mit Vergnügen, daß sie rote Wangen bekam.

„Ich wollte nur, ich könnte Euch immer so bedienen und noch viel besser,“ raunte er ihr mit einem feurigen Blick zu.

Sie antwortete mit einem zärtlichen.

„Pflücket die Rose, eh' sie verblüht, Herr Oberst.“

Der Sternseher versank nach einem letzten glückhaften Aufglühen hinter den Tisch hinab. Es war ihm heute in einer Stunde geschenkt worden, wonach er schon Jahre und Jahre vergebens rang. Er tat nur kaum die ersten Züge Himmelsluft, und fand sie schon süßer und wunderbarer, als es ihm seine seligste Ahnung versprochen hatte. Ja es war ihm, und darüber erschrak er freilich ein wenig in seinem verlegenen Prophetenkopf, als ob das Gewicht seiner Sinne von ihm abfiele und als ob er plötzlich weit entfernt vom trüben Irrtum seiner und aller Wissenschaften dahin geführt würde von Energien, die gar nichts mehr von irgendeiner Erkenntnis hatten, und in Bahnen, auf denen es einem vorderhand nur schwindelte. Es betrübte ihn eine Spur und gab ihm zu denken, entzog ihn aber auch der weiteren Entwicklung der Dinge, die er doch [180]mit dem Willen seiner Himmelssehnsucht in Bewegung gebracht hätte.

Der Junker trank sein Glas wieder aus, sah einen Augenblick nachdenklich auf den leeren Boden, wurde in seiner Krakeellaune mit sich einig, daß man bei den Schusterleuten dazwischen fahren müsse, und wandte den Kopf nach dem Schwiegerväter.

„Herr, Ihr wißt, was es auf sich hat mit dem Indizium,“ sagte er. „Es ist etwas nütze oder es ist nichts nütze. Wenn wir die Folter nicht hätten, so müßten wir wahrhaftig sehen, daß wir zu Witz kämen.Aber um davon zu reden, so fällt mir bei, daß wir heute morgen, als wir von der Bierbank nach Hause gingen, vor Eurer Tür einen Menschen mit einem Weib über Silber streiten hörten, und meine Herren Kameraden sagten, es sei der Schuster aus der kleinen Kirchgasse gewesen mit seiner Ehefrau. Nun, das kann ich nicht beschwören, aber wir wissen alle vier, daß sie zu ihm von Silber sprach und verlangte, daß er es herausgebe, aber der Schlingel wollte nicht und schimpfte wie eine Elster. Da es mir jetzt aufstößt, so schafft es mir zu denken. Gotts Elend, es kann alles mögliche Silber damit gemeint gewesen sein; vielleicht ging es auch um das Eure. Ihr führt keinen schlechten Keller. Mit dem Beding wollte ich auch hier und da einmal in der Zugluft stehen und Sterne ablesen.Meine immer, es sei ein guter Pfälzer.“

Das hatte er richtig geraten, obwohl er's nicht bestätigt bekam, weil die Nachricht zunächst Aufsehen und dann Begierde nach Einzelheiten erregte. Die [] 190 Einzelheiten brachten eine Anschauung auf, und sobald nur einmal diese Göttliche sich eingestellt hat, so wird jedes ausgeblasene Windei zur unumstößlichen überzeugung. Der Schwiegervater lärmte und schwur wie ein Pfarrer. Die Dame Luna hob mit schwankender Hand das Glas, tat einen Zug und sah den Obersten mit feuchten Augen an.

„Wir haben ihm so viel Gutes getan,“ sagte sie.„Und wir haben ihm und seinem Weib zu verdienen gegeben. Ich bin seinem Knaben Patin. Aber nun muß er unbedingt das Silber herausrücken, nicht?Was macht man jetzt?“

Von der Aufregung bekam sie den Schlucken. Sie saß lange da und klang wie ein Brunnen, in den Tropfen fallen, versuchte dagegen zu kämpfen, indem sie immer einen Mundvoll Wein nahm, sich die Ohren zuhielt und ihn herunterschluckte, und machte es noch schlimmer damit. Schließlich konnte sie das Glas nicht mehr halten, lachte noch ein paarmal auf und wurde still.Da erkundigte sich der Oberst beim Schwiegervater nach der verschwiegenen Einsamkeit und verschwand, nachdem er Bescheid bekommen hatte, daß es um die Ecke rechts im Hof sei. Er ging nicht nach dem Hof, sondern als er an die Küchentür kam, schwenkte er da hinein, und das war links. Trotzdem fand er aufs Haar, was er suchte, nämlich das Mädchen Christine, mit dem er ein besonderes Wort zu reden hatte. Der Hund Stummel lief ihm an der Seite.[]

Dreizehntes Kapitel

Corsn saß auf einem Küchenstuhl beim Herd und grämte sich. Als sie den Obersten in der Tür gewahrte, wischte sie mit dem Ärmel über die Augen und setzte sich aufrecht. Sie war sogar schon wieder kampfbereit, wartete aber immerhin ab, was ihr der Besuch bringen sollte. Der Oberst betrachtete sie vorerst noch einmal und fand nun, daß sie annehmbar und tüchtig dreinschaue und einem vernünftigen Wort mit reichlich klugen Augen entgegen sehe. Da beschloß er, mit dem aufzufahren.

„Ich weiß, wer du bischt,“ nickte er ihr zu. „Du bischt dem Bauer in Wullenhausen seine Magd und heisescht Chrischtine. Er hat mir alles erzählt, wie ich bei ihm durchgereist bin, um seinen Frieden zu inschpizieren.Er sagt, weiß der Teufel, warum mir das Mensch weggeloffen ischt. Ja, warum bischt du ihm weggeloffen?Er ischt ein braver Mann und hat dich gern gehabt.Ich glaube aber, du bischt eine Feuerbüchs, die was rechts los geht.“

Als sich Christine so anreden hörte, faßte sie Zutrauen; der Angriff auf eine Jungfernschaft brauchte weiter keinen Unfrieden zu geben.

„Wenn Ihr ihn habt kennen lernen, so wißt Ihr auch, was für Geziefer alles auf dem Hof herum frißt und rumort,“ erwiderte sie düster. „Dabei hält kein rechtes Christenmensch aus auf die Länge. Nimmt mich wunder, daß Euch die Hunde nicht von den Knochen gefressen haben, bevor Ihr den Hof zu sehen bekamt.“[] 192 „Was du da meinscht,“ sagte der Schweizer und warf sich in die Brust. „Das geht nicht so leicht,einen kaiserlichen Abgesandten fressen! Siehscht du diesen Sabel? Ich hab' dir ganz anderscht aufgeräumt mit dem Hundzeugs. Immer zwei auf einmal hab'ich abeinander gehauen, einen am Hals und einen im Kreuz. Glaub, die Buben vom Bauern haben sie gefressen nachher. Ich hab' aber den Hof fascht nicht finden können, weil du mir die Augen im Kopf unterobsig gestoßen hascht mit deinem verfluchten Ellbogen. Verschtehscht denn du keinen Schpaß? Ich bin ein meineidig guter Kerl, daß ich mich noch mit dir abgebe.“

Christine sah den Hund Stummel an und hätte Lust zu lachen.

„Da habt Ihr wohl auch den vom Schwanz gebracht und vom Auge?“ fragte sie und machte ein Gesicht wie Aprilwetter.

„Nur vom Schwanz,“ erwiderte der Schweizer.„Nur vom Schwanz. Das Aug' hat ihm doch der Räubersmann herausgehaut. Jetzt sind nicht mehr viel Hund' auf dem Hof.“

„Aber Katzen?“ vermutete Christine bitter. „Weiß nicht, welche mehr gestohlen haben, die Hund' oder die Katzen.“„Ja, die Katzen erwischt man weniger leicht. Aber die Buben fressen sie eigentlich noch lieber als die Hund'.Sie haben uns fünf junge Hühnlein geschtohlen noch ganz zuletscht, weil die nichtsnutzigen Mädchen nicht aufgepaßt haben. Und der Habicht hat die Henne tot gemacht, aber der Stummel den Habicht. Hat dem []Stummel auch ein Aug' herausgehackt o Herrgott,wir haben es ihm wieder eingesetzt. Hascht du da eine Hitze!“

Er nahm den Hut vom Kopf und wischte sich die Stirn. Christine horchte auf.

„Hat er denn Hühner gehabt?“ machte sie erstaunt und halb erfreut.

„Ja. Es ischt nur noch der Gockel übrig. Der sitzt hinter dem Haus im Hühnerschtall und denkt sich allerhand aus. Wir haben sie aus dem Pfarrhaus herausgelassen; war ein rechtes Wunder.“

Christine tat halb widerstrebend einen weiteren Vorschritt.

„Was machen die Kinder?“

„Die Kinder sind alle halb nackend und verlaust.Ich hab' sie geschoren und das Haar mitsamt den Läusen im Herd verbrannt. Das hat meineidig geduftet. Der ganz Kleine mit dem weißen Kopf, der Franzel, weischt du, der ischt dann geschtorben. Und der Bauer ischt schwermütig; er lacht gar nicht. Vielleicht ischt er immer so gewesen.“

Er sah sie an, ob sie jetzt wohl werde Rührung merken lassen. Aber sie tat es nicht. Sie preßte die Lippen zusammen, und er merkte nur, daß sich ihr Herz unter dem Brusttuch sozusagen mit den Schultern herumdrehte und an den Bändern zog, mit denen es zwischen die Lungen gehängt war; sie selber tat keinem Menschen und keinem Umstand die Ehre an; sie beanspruchte sie allein für sieh. Da wurde der Oberst deutlich.

Schaffner, Der Bote Gottes

13 [] 194 „Ich will dir etwas sagen, du Magd Chrischtine,“hob er an gleich dem Engel Gabriel vor der Magd Maria: „Fürchte dich nicht, und sei aber auch nicht trotzig. Ich muß nämlich das Dorf Wullenhausen reschtaurieren, verschtehscht du? Wiederherschtellen. Ich hab' dem Kaiser das Wort darauf gegeben. Jetzt nehme ich hier Knechte und Vieh mit, auch frische Hühner für den Gockel, und ein paar Säue oder zwei.Und du kannscht nur gleich auch mitkommen; so hat das Gendte ein End' und der Bauer heiratet dich. Du muscht dich gar nicht besinnen, sondern ich will dir alles befehlen. Ihr seid ja aufeinander so heraus,daß keines mehr Tag und Nacht merkt, und jedes meint, es ischt das andere. Laß nur den Geischt, den Schternseher, und sein luftiges Weibchen; jetzt sollscht du eine Bäuerin und gesegnete Mutter werden, dann hascht du genug Schternen.“

Indem ging eine Tür auf. Der Lärm der Tischgesellschaft fiel auf einen Augenblick in den Hausgang und zog sich wieder zurück. Darauf kam ein Schritt gegen die Küche her, und der kaiserliche Gesandte fand für gut, sich zu verziehen.

„übermorgen gehe ich hier ab,“ sagte er noch.„Ich sehe dich schon noch einmal. Mache dich bereit zu deinem Glücke.“

Als er den Hausgang vorging, begegnete ihm der Jüngling und blühende Fantasie-Bräutigam und fragte ihn freundlich, wo es denn nun sei. Er antwortete wie der Schwiegervater: im Hof rechts, vollendete seinen Weg und trat durch die Tür wieder ins Wohnzimmer,[195]wo gerade der Süße aufstand, an sein Glas klopfte und aus voller Kehle Silentium brüllte. Die Dame Luna fuhr erschreckt aus einem kleinen Schläfchen auf,das sie eben gehalten hatte. Der Schwiegervater sah den Süßen mit gerötetem Gesicht an und protestierte heftig. Der Saure suchte ihn am Rockschoß auf seinen Stuhl zurückzuziehen, aber er explodierte schon fast vor Mitteilungsbedürfnis. Sein Bart, der ihm braun und plötzlich aus Kinn und Wange herausspritzte, sträubte sich vor Redewonne; er griff stürmisch über den Tisch nach dem Glas der Dame Luna, weil er sein eigenes schon zerschlagen hatte. Silentium! Silentium! Der Sternseher blickte mit erfreuter Innerlichkeit aus stillen,erleuchteten Augen vor sich hin und spürte von dem ganzen Lärm nichts weiter, als daß er ihn um so dichter in ihn selber einspann. Der Junker hatte aufgehört zu trinken. Er saß dem alten Herrn mit aufgestützten Ellbogen finster gegenüber und beobachtete ihn mit tiefem Mißtrauen. Es war kein Zweifel, der Kerl gefiel ihm an keiner Haarspitze mehr, und sah so unheimlich aus, wie nur ein verbotenes und gefährliches Zeichen aussehen konnte. Man verstand auch für keinen Pfennig von seinem Seelenleben und hatte nicht einmal eine Ahnung, wie er innerlich heißen konnte. Der Teufel wußte, ob er ihm nicht schon die kleine kalte Greisenhand auf sein großes fettes Herz gelegt hatte.

Der Süße redete. Das Lange und Breite von seiner Ansprache war, daß man nun miteinander dem verfluchten Schuster ins Haus fallen und ihm das un1 2*[190]gerechte Gut wieder abjagen solle, bevor er damit auf die Verschleißbank könne. Er fand in seinem Räuberherzen wundervolle Worte gegen die Gottlosigkeit im allgemeinen und gegen die des Diebstahls im besondern,berauschte sich daran zum volltönenden Lob der Tugend und fing auf dem Gipfel seiner galgenfröhlichen Seligkeit an zu weinen vor plötzlicher Ahnung des wahren guten Gottes, die er sich durch seinen übermut auf den Hals zog. Schließlich brachte ihn der Saure auf seinen Sitz zurück und ergriff dafür selber das Wort. Er stimmte dem Süßen völlig zu, nur sei es ausgemacht,daß ein solcher undankbarer und gefährlicher Bösewicht an den Galgen gehöre, wohin man ihm in Gemeinschaft zu verhelfen habe. Er sprach mit düsterer Bitterkeit und glaubte jedes einzelne Wort, das aus seinem Mund ging, weniger im Licht einer sittlichen Anschauung,als unter dem Zwang des auf den Schuster nun einmal übertragenen abstrakten Problems von Sünde und Buße, welches er im Weindampf auf seinem theologischen Tisch liegen sah, und von dem dieser Tisch wieder rein werden mußte. Auf moraltheoretische Rechenexempel reagierte sein Apologetenkopf unter den schwierigsten und bewußtlosesten Begleitumständen kraft des Gesetzes vom Reflex. Doch passierte ihm nicht das Mißgeschick, daß er auf der Höhe seines abstrusen Gedankenganges den wahren Gott zu ahnen kriegte wie der Süße, sondern er beendete seine Rede in guten Formen, und bewirkte damit die Bereitwilligkeit zum Aufbruch bei der kopfschweren Tafelrunde.

Als man nach dem Bräutigam suchte und aus [] 197 guten Gründen leise in den Hausgang trat, merkte man ihn in der Küche bei dem Mädchen Christine.Es ging aber mit dem Besuch gerade sehr rasch zu Ende. Eben hätte der Jüngling noch Honig geredet,da schmiß Christine mit Getöne eine Pfanne auf den Herd und erwiderte mit dem schnöden Tonfall der beabsichtigten Beleidigung, er solle sie jetzt endlich in Ruhe lassen mit seinem idealen Liebesgeplärr, das ihr nun schon zu den Ohren heraushänge, worauf der junge Herr plötzlich mit dem Rücken in der Küchentür erschien und schrie, daß sie das noch bereuen werde. Man wolle einmal genauer unter ihre Fingernägel sehen wegen eines gewissen gestohlenen Gutes.Was Spitzbuben? Es brauche keine Einbrecher, wenn der Schelm im Haus sitze. Ihr würden wohl noch Daumenschrauben anzumessen sein, so widerspenstig sie sich bei Tage gebe. Christine erwiderte gelassen, er könne ihr außerdem noch den Kopf kratzen und in die Rückseite blasen, worauf der Fortgang der Verhandlung in einem ungeheuren Gelächter der Zuhörerschaft unterging.

Dann brach man auf, um nun einmal einen Dachs in seinem Bau zu überfallen.

Der Schwiegervater schlug vor, es sollten einige Herren durch das Nachbarhaus gehen und von hinten in den Hof oder Garten des Schusters hineinklettern,damit der nicht etwa auf demselben Weg entwischen möchte; der Süße und der Fantasiebräutigam folgten dieser Anordnung. Die übrige Gesellschaft trat von vorn öffentlich in das Haus ein, nämlich der Schwiegervater,der Sternseher, die Dame Luna, der Oberst mit dem [198]Hund, der Dicke und der Saure. Christine war bei dem Toten zu Hause geblieben. Die Schusterin empfing die Herrschaften nicht eben zuvorkommend. Sie hatte inzwischen einen Verdacht gefaßt von der Unschuld ihres Schusters und dem wirklichen Hergang des Nachtgespräches, und der trug nicht zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Zuerst wollte sie ihnen den Schuster überhaupt nicht zeigen, aber nachdem der Schwiegervater ein Hauptwort gesprochen hatte, wies sie auf die Kammertür und wandte sich wieder zu ihrer Arbeit.Der Schuster saß im Hemd auf der Bettkante und hatte gerade darüber nachgedacht, wie er jetzt wieder zu seiner oder irgendeiner andern Hose kommen solle; der Anblick des Junkers gab seinen Engeln Stärke, denn er bildete sich ein, der Auftritt komme ihm zugunsten seiner Beine ins Haus.

„Ich dächte mir wohl,“ rief er ihm mit Augenzwinkern entgegen, „daß mich die Herren nicht sitzen lassen würden mit dem Schabernack, den sie mir angetan haben. Ich kann mir auch vorstellen, daß mir die Taschen nicht leerer zurückkommen, als sie von mir genommen wurden. Die Herren sind wahrhaftig Witzköpfe und haben mich aufgebracht wie einen Fuchs.Gebt mir jetzt das Eigentum nur gleich her, damit ich hineinkriechen kann. He Weib he, Nachtjacke, komm mal her, hier sind die Ritter, die mir die Hose abgezogen haben, daß du mir nun Glauben schenkst mit deinem zänkischen Kopf. Laßt doch sehen, ihr Herren,laßt sehen; sonst fängt meine gnädige Frau Luna an und schämt sich vor mir.“[]Der Schwiegervater fand zunächst keine Worte auf diese ihm völlig dunkle Rede. Der Dicke hatte keine Lust zu sprechen, und dem Sauren fiel nichts ein. Der Oberst machte sich Gedanken anderer Art, die sich auf die Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen bezogen.Die Dame Luna an seinem Arm schlief stehenden Fußes.So gab es eine kleine Stille und Verwunderung, aus der der Sternseher nun wieder als Herr der Stunde hervortrat.

„O Schuster,“ sprach er mit erheblicher Leichtigkeit und mit der Liebe des Befreiten: „O Schuster, kümmere dich nicht um Hosen und Taschen, denn darauf kommt es jetzt nicht mehr an, sondern über einen Monat wirst du mit diesem Herrn an meiner Hand gehen und nichts mehr bedürfen. Und du wirst so fett sein wie er, und er wird so mager sein wie du.Wahrlich, heut' ist dir deine Blume aufgegangen.“

Der Kavalier sah den Sternseher von unten herauf aus wütenden Augen an, hielt sich aber ruhig. Der Schuster zog sich behaglich das Hemd über die Knie.

„Ha, das soll mir wohl recht sein,“ lachte er und wiegte sich. „Der Herr sieht mein Seel wacker genug aus mit seinem Rundbauch. Und wenn ich danach nichts mehr zu tun brauche, so will ich schon an Eurer Hand gehen, soweit Ihr wollt. So lange wie der dicke Kavalier halte ich's aus, und wenn ich seinen Bauch kriegen soll, kann's überhaupt nicht schlimm werden.Dann müßt Ihr mir Eure Hosen abtreten, Herr Junker,weil sie Euch zu weit sind. Und mit meiner alten Ziege werde ich nur noch schriftlich und durch Stafetten verkehren. Wann soll's denn losgehen?“[] 200 Inzwischen war dem Schwiegervater der Faden wieder zuhanden gekommen, und der Schuster hatte das Maul nur eben zugemacht, so fuhr er ihm schon mit dem kratzigen Wischer drüber.

„Ersticke an deinem Geschwätz, alter Plauderer,“schrie er ihn an. „Jetzt wollen wir von anderen Sachen reden. Kurz und gut: du kramst das Silber heraus, das du mit deinem Weib heute nacht meinem Schwiegersohn und meiner Tochter gestohlen hast, oder sieh dich schleunig nach dem Galgen um, daß du nicht unvermutet dran kommst. Wo ist das Gut?“

Dem Schuster wurde reichlich schwach vor Schreck;da kam nun das verfluchte Silber von der andern Seite. „Na, na,“ stammelte er und guckte hilflos um sich: „Na, na, na!“ Die Dame Luna war aus ihrem Schlafständchen aufgefahren und begann gleich wieder zu schlucksen. Aber der vorige Ton hatte die Schusterin unter die Tür gezogen.

„Gebt Platz, Herrschaften,“ sagte sie entschlossen und trat mitten durch die Gesellschaft hindurch. „Ihr habt heute nacht euren Spaß gehabt auf der Straße.Gut, Straße ist Straße. Aber hier ist unser Haus,und da müßt ihr uns zuerst fragen, ob's uns recht ist,wenn ihr weiter mit uns Kurzweil treiben wollt. Und daß ihr's nur gleich wißt: es ist uns nicht recht.Florian, sage es den Herrschaften, daß sie ihren Weg weiter suchen.“

Der Schuster bekam wieder Maulwerk.

„Jawohl, ganz recht,“ krakeelte er hinter ihr her.„Aber zuerst sollen sie mir meine Hose heraus machen,[] 201 und dann mag sie meinetwegen der Teufel holen. Wo ist nun das Eigentum, Ihr schwarzer Beichtvater? Ihr habt sie mir ausgezogen, schafft sie mir wieder an meinen Hintern, oder ich will Euch vor dem Gericht herumkurranzen, daß Euch die Augen übergehen.“

Das war nicht nach dem Geschmack des Schwiegervaters gesprochen.

„Hört, hört,“ rief er. „Das Volk will sich noch auflassen. Erst stehlen und rauben, und hinterher die Nase blähen. Aber ich will Euch zeigen, wer den andern herumkurranzt, Ihr uns oder wir Euch. Geht doch einmal nach den Stadtknechten, Herr Lizentiat, daß diese Höllenhunde an ihren Ort kommen.“ Der Saure ging kopfnickend ab. Der Schwiegervater stemmte die Fäuste in die Seiten: „Ha, so ein Gelichter! Ich möchte nicht hin, wo ihr erwartet seid.“

Die Schusterin erwiderte ruhig den Blick.

„Es ist hier kein Mann im Haus, das kommt Euch zu gut,“ gab sie zurück. „Die Sternseherei soll uns unsern Lohn geben für die Nacht; das steht ihr besser an als Eure Fastnacht. Seit wann laufen die Narren mitten im Sommer?“

Der Schwiegervater schnappte nach Luft.

„Halt's Maul, Lumpenbande,“ schrie er sie an.

„Nehmt Euch in acht, ich kann auch schimpfen,“mahnte die Schusterin. „Ich glaube wahrhaftig, Ihr seid betrunken und geht nach Schlägen in der Weise aller alten Esel.“

„Ich gehe nicht nach Schlägen, aber in vier Wochen sehe ich dich am Galgen baumeln, loses Maul.“[] 202 „Dann spuck' ich Euch in die Augen, so kommt ein Lümmel billig zu einer Brille.“

Der Schwiegervater lief herum und rang die Hände.

„Ich habe keine nötig,“ schrie er sie von der Seite an.

Das war die Einleitung zu einem Schimpfkonzert von solcher Kunst und Gediegenheit, daß jedermann die Ursache des Auftrittes vergaß und sich nur der wonnevollen Lust der offenen und ausgesuchten Beleidigung hingab. Die beiden Partner schritten bedächtig alle Regionen der Lebensschnödigkeit ab und gingen an keiner Stinkraute vorbei, die sie sich nicht unter die Nase rieben. Sie erfanden Ausdrücke und Schmähungen von blitzblanker und nagelneuer Ewigkeitswährung, erschöpfende und immer wieder neu erfrischende Bezeugungen gegenseitiger Abgeneigtheit und Verachtung.Sie schimpften mit einer Liebe und Hingebung, die durchaus nicht etwa einer besseren Sache wert gewesen wären, sondern es war dafür der würdigste Gegenstand zur Stelle, den man sich wünschen konnte, nämlich das reine Feüer und Sakrament des negativen Prinzips,welches das positive am Leben erhält von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ja, sie gingen so hingegeben in dieser religiosen Handlung auf, daß sie es beide übel bemerkten,als die Dame Luna sich auch daran beteiligen wollte,und der Schwiegervater sie wütend hieß den Mund halten.

Der Schuster dachte nun seine Gelegenheit wahrzunehmen und kniff aus. Er schoß plötzlich von der Bettkante auf, rannte in seinem Hemd quer durch das []Zimmer nach der Tür, gab dem Dicken, der dort stand,einen Stoß vor den Bauch, daß ihm ein Wind entfuhr, und sprang in langen Sätzen durch den Hausgang nach der hinteren Tür. Aber dort standen die Wächter und nahmen ihn schlank in Empfang. Zugleich traten vorn die Stadtknechte ins Haus mit dem Lizentiaten und einem hübschen kleinen Jungen, der ihnen neugierig nachlief. Und der Schluß der übung sollte nun darin bestehen, daß der Schuster und sein Weib von ihnen in den Turm geführt wurden wegen Diebstahls. Es war die Zeit, daß kein Dieb am Galgen vorbei kam, wenn man ihn kriegte, außer er schlug dem Tag der Wehen ein Schnippchen.

Doch ging noch ein Nebenspiel von dem Auftritt aus. Als die Stadtknechte die Schusterin mit dem Verhaft belegt hatten, sah sie auf den kleinen Jungen und fragte jene, was denn nun aus ihrem Kind werden solle. Sie fragte es so, daß man darauf antworten mußte; ihre Stimme klang um eine ganze Quart tiefer,und in ihrem Gesicht lebte unter Gram und Bestürzung eine Sorge, die ihm gleichsam eine ganz andere Richtung und einen trüben sympathischen Schein der Mütterlichkeit gab, und die geradeaus zu Gemüt ging. Die Stadtknechte guckten sich verlegen an. Einer von ihnen sagte, sie solle es ihren Gevattersleuten übermachen,denen es nachher ja sowieso zufalle; wo die seien? Die Schusterin sah die Dame Luna an mit einem halb bittenden, halb feindlichen Licht in den Augen. Die Gevattersleute stünden da und könnten es ja nur gleich mitnehmen. Ah, das sei gut, sagten die Knechte, aber [] 204 die Dame Luna weigerte sich; sie wolle keine Schelmenkinder in ihrem Haus haben, und überhaupt gehe man jetzt auf die Dinkelswiese. Der Schwiegervater stimmte ihr bei und war der Ansicht, daß man die Brut samt den Alten ausrotten solle. Man fragte den Sternseher.Der schüttelte sanft den Kopf.

„Es ist jetzt nicht mehr Zeit, Kinder anzunehmen,“sagte er freundlich und lächelte. „Sondern wir wollen die Kinder samt den Müttern verlassen. Wir fangen an und schweben auf. Das ist die einzige Bedeutung.“

Die Stadtknechte guckten sich wieder an; der Mensch kam ihnen noch sonderbarer vor, als sein Ruf aussagte.Sie drangen noch einmal in die Dame Luna, daß sie sich auf die Milde besinnen solle, sonst müsse die Schusterin das Kind mit in den Turm nehmen. Sie verhärtete sich und schwieg. Der Schwiegervater wollte wieder anfangen zu schimpfen, aber es war nun auch dazu nicht mehr Zeit; denn jetzt trat der kaiserliche Oberst vor.

„Dieses ischt mir mein Seel eine betrübte Sache,“sprach er mit Ansehen. „Wird hier dem Kaiser sein Frieden nicht besser reschpektiert, als daß man läßt kleine Kinder in den Turm schpazieren? Dagegen muß ich proteschtieren im Namen des Kaisers, der mich geschickt hat, daß ich nach dem Frieden schauen soll. Dame Luna, ich hätte dieses nicht erwartet von Euch. Ihr habt ein kaltes Herz und ein so unfreundliches Gemüt,daß ich mich gleich von Euch abwenden muß, wenn Ihr Euch nicht anderscht besinnet. Ihr müßt das Kind an Euch nehmen, sonscht rede ich kein Wort mehr mit Euch und erwirke Euch noch eine Schtrafe, an die Ihr []

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205 Euer Leben lang denkt bei Tag und bei Nacht. Wird das Kind aufgenommen oder wird das Kind nicht aufgenommen?“

Der Schwiegervater schrie, daß das Kind nicht aufgenommen werde; man lebe hier in einer freien Reichsstadt und tue, was man möge. Die Dame Luna sagte berbissen dagegen, er solle still sein, und zu den Stadtknechten, sie sollten das Kind ihretwegen in ihrem Haus absetzen; die Magd sei daheim. Sie wandte sich schmollend von dem Obersten ab.

Der Schuster war inzwischen in sein Wams geschlüpft und sollte auch eine Hose anziehen von den Stadtknechten aus. Da schrie er sie mit der Wut des Elends an: „Ich hab keine, ihr Esel!“ und sie nahmen ihn so mit. Sie gingen ab mit Mann und Frau und mit dem kleinen Jungen, der sich am Kleid seiner Mutter festhielt und ihr so trippelnd und stolpernd nachklunkerte.

ls der betrübliche Zug verschwunden war, tat der A Dicke, der völlig im Anschauen und Anhören gebannt dagestanden hatte, einen Seufzer. Es war ihm,er habe da etwas Rechtes und eine durchaus wünschbare Gegenwart oder Zukunft aus den Augen verloren, und er erfüllte sich mit einem dunklen ürger, von dem er zwar selber nicht recht wußte, was er bedeutete, der aber zu angelegentlich hinter dem abziehenden Bild der [] 2060 Schusterin herstrudelte, als daß er auch über die Ursache hätte im Zweifel sein können. Inzwischen wandte man sich nach dem Ausgang, voraus unter Knurren und Maulen der Schwiegervater mit der Dame Luna,die er an sich gezogen hatte, um sie vor weiteren Gewalttaten zu schützen, hinterher etwas nachdenklich der Oberst, den der Sternseher begleitete. Der sah den wackeren Krieger aufmerksam an und schüttelte den Kopf. Er schüttelte den Kopf abermals und öffnete dann den Mund zu ihm.

„Ihr gehört zu einer andern Konstellation, Herr Oberst,“ stellte er ohne Vorwurf fest, doch mit einigem Bedauern. „Der zehrende Stern hat keine Macht über Euch. Ich kann Euch auch nicht an mich ziehen; vielleicht habt Ihr selber Anziehung, denn man gehorcht Euch. Ich grüße Euch, Herr Oberst.“

Der Schweizer guckte den alten Herrn unruhig an;davon verstand er gar nichts. Er sagte aufs Geratewohl Danke, lüftete den Hut, und sah wieder auf die Dame Luna, an der er jetzt herumrechnete, ob sie wohl dennoch in die Restaurierung hineinpasse, oder überhaupt nicht. Währenddessen hätte nicht viel gefehlt,so wäre dem Fantasiebräutigam vom Junker eine Maulschelle zugewachsen. Die Herrschaften hatten nur eben die Rücken gedreht, so stieß den der Teufel wieder mit dem Diebsfinger ins Genick; er wollte mit der Gelegenheit auch beim Schuster räumen, sich aber wenigstens mit besseren Schuhen versehen; der Edle lief heimlich in seinen eigenen auf dem bloßen Erdboden.Da kam den Dicken eine solche Wut an, daß er mit []ungewohnter Geschwindigkeit mit der Hand ausfuhr,und der Bräutigam sich nur durch einen geschwinden Bückling vor einer Allerweltsbackpfeife retten konnte.

„Wer mir hier auch nur eine leere Wand mit dem Finger anrührt, dem renne ich den Schädel ein daran,“kochte er auf. „Wer hat euch geheißen die Leute in unsere Schwemme reiten, Kanaillen?“

Der Saure bleckte die Zähne.

„Hast du nicht selber den Sums aufgebracht?Schlag' dich vor deinen eigenen Hirnkasten.“

Der Dicke schnob wie ein Nilpferd.

„Hab' ich den Sums aufgebracht, so war's mein Sums und nicht deiner. Weißt denn du Rattengesicht,was ich im Sinn hatte?“

„O, geheimnisvolle Absichten,“ höhnte der Saure.

„Meine geheimnisvolle Absicht kannst du wissen,“erwiderte der Dicke. „Wenn die Schustersleute gehenkt werden, so ist es meine geheimnisvolle Absicht, dich gleich nebendran in die Höhe zu bringen. Du weißt,was es auf sich hat mit meinen Redensarten. Laß jetzt deine Theologie spielen.“

Der Saure murrte noch etwas von des Dicken Jurisprudenz, und daß er ein für allemal seine Theologie aus dem Spiel lassen solle, aber der Süße war dafür,daß man sich jetzt nicht unnütz streite, sondern auf die Dinkelswiese gehe, um nach den hübschen Jungfern zu sehen. Das war auch die Meinung der Dame Luna,denn als die vier vor die Tür kamen, drehte sie sich gerade halb um und fragte spitz und mit dem Ton der Verdrossenheit zurück, ob man jetzt eigentlich tanzen [] 208 gehe oder nicht, und es galt sowohl ihrem Ehegemahl als dem Herrn Obersten, über den sie mit gutem Grund fuchtig gewesen war, jedoch nun schon nicht mehr so sehr, denn es war ihr inzwischen der verheißungsvolle Beutel wieder eingefallen, der ihm am Gürtel hing.Der Oberst antwortete höflich, daß er nichts anderes wünsche, und so setzte sich die Gesellschaft im ganzen in Gang, um aus der Stadt zu kommen. Es gab unterwegs auch genug Dinge, die die Dame Luna ihrem fremden Gast als höfliche Wirtin zeigen mußte, und es dauerte nicht einmal bis zur Dinkelswiese, so ging sie wieder an seiner Seite, aber doch noch nicht an seinem Arm.

Auf der Dinkelswiese wimmelte es von fröhlichem Volk. Zwischen den bunten Ufern der Marktbuden trieb sich ein ebenso bunter See von Baretten, Mützen,Hauben, Wämsern, Zunftzeichen, Bärten, Wangen und Zöpfen umher, aus dem mit goldenen oder blauen Lichtern allenthalben das Fangspiel lockender Jungfernblicke heraufglänzte und das erfahrenere Gleiten lächelnder Frauenaugen; es war aber eines so wenig nütze wie das andere, und wer Bescheid wußte, antwortete keck und hochfahrend. Dazwischen trieb sich immer ein Zug Musikanten oder Soldaten durch, und manchmal auch Reiter zu Pferde. Und einmal kam der Landesherr auf seiner Schecke des Wegs geritten und nickte nach allen Seiten: „Guten Tag, guten Tag!Amüsiert euch recht; ich mag's leiden zu seiner Zeit.“A das Pferd an. Als er die Dame Luna bemerkte mit []ihrem Anhang, dachte er, daß da etwas dahinter sein müsse und machte fragende Augen zu ihr. Sie knixte sozusagen an ihm hinauf und lächelte ergeben, was ihm gefiel und ihn zu der Anrede veranlaßte, wer sie sei.Sie sagte es und stellte ihm auch gleich ihren Vater vor,alsdann den kaiserlichen Obersten als den Ritter von Holdrio aus Ungarn, darauf ihren Ehemann, der aber den Fürsten nur weltverloren anguckte und sich gar nicht verbeugte, und zum Beschluß die vier Kavaliere nach der Reihe und Dicke; die dienerten, was sie konnten.Der Kurfürst machte ein immer merkwürdigeres Gesicht dazu und war schließlich im ungewissen, ob er nun gefrozzelt sei oder nicht. Er brach in ein verlegenes Gelächter aus, fitzte dem Dicken mit der Gerte halb ärgerlich über den Bauch und ritt schnell davon unterm erstaunten Nachsehen der Gesellschaft. Die Dame Luna ranzte den Obersten an, warum er jetzt nicht mit seiner Gesandtschaft herausgefahren sei, was doch Ehre gegeben hätte? Er erklärte ihr, daß sie das nicht besser verstehe; er sei inkognito hier und müsse es auch bleiben, sonst werde man ihm blauen Rauch vormachen betreffs des Friedens. Das war eine Antwort, und die Dame Luna wandte sich betroffen auf ihren Weg zurück. Da stand sie auf einmal dicht vor zwei großen schwarzen Kettenbären, die die Köpfe hin und her warfen, die Augen verdrehten und schon schrecklich brummten. Sie schrie auf und fiel dem kaiserlichen Obersten in die Arme. In der Folge ließ sie sich auch wieder von ihm führen.Nachher kaufte er ihr ein Lebkuchenherz und ein Schaffner, Der Bote Gottes [210]Riechfläschchen, wonach sie ihm auch ihre gute Zeit wieder auftat.

Vor der Tanzwiese bekam sie Streit mit ihrem Vater. Der wollte nicht, daß sie darauf springe, aber sie hatte riesige Lust dazu. Der Oberst merkte das kaum, so kriegte er auch welche; die Folge war, daß gesprungen wurde. Der gute Hund Stummel sprang mit in den Strudel hinein. Als das getan war,hatte sich der Alte im Zorn weggehoben. Auch der Sternseher war abhanden gekommen; der Oberst sah ihn gerade noch im bunten Strom als roten Fackelstern den Platz hinunter treiben. Von dem vierblättrigen Kleeblatt standen die drei jüngeren Hoffnungen am Rand des Tanzplatzes und äugten nach vier Jungfern, die unter einem Baum saßen und mit stillem Ernst trockenes Brot aßen. Der dicke Junker schien ebenfalls eigene Wege gegangen zu sein. Die Jungfern sahen brav genug aus, aber es schien, als ob sie nicht gerade ins Fette gesetzt seien. Ihre Gewändlein spannten sich knapp und etwas schäbig um ihre Schultern, die von der besten Sorte waren; sie lachten nicht und sangen nicht und sammelten auch nicht in die Scheunen mit ihren Augen, weil sie ganz gewöhnliche Lerchenschnäbel zur Schau trugen, und nicht vergoldete oder wenigstens versilberte, wie die anderen Mädchen. Der Süße sagte, er kenne sie jetzt; sie müßten dem Ansehen nach die vier Jungfern aus der Schneidergasse sein, die das ganze Jahr von der Luft lebten; aber er wundere sich, daß sie auf das Fest kämen. Der Oberst entschied, das gehöre in seine Ge[] 211 sandtschaft, und war dafür, daß man sie fragen gehe.Das geschah, und der Oberst führte das Wort. Die Dame Luna war schon aus Neugier dabei; die viere bildeten ein Stadtgespräch.

„Warum sitzet ihr hier, schöne Jungfern, und esset trockenes Brot?“ fragte der Oberst. „Ischt hier kein Wein vorhanden für euch in diesem Frieden? Ich bin wahrhaftig verwundert.“

Die älteste sah nach dieser Anrede stolz geradeaus und runzelte die weiße Stirn. Die zweite senkte den Blick und ihren blonden Scheitel, und steckte einen frischen Bissen in den Mund. Die dritte guckte seitwärts in den Himmel, schluckte hinunter und zeigte dem Tag eine wunderhübsche weiße Kehle; darüberhin errötete sie und lächelte sogar ein wenig; aber antworten tat sie auch nicht. Nur die vierte und jüngste blickte dem Frager ins Gesicht, wenn auch ein wenig schnippisch und geschäftsmäßig.

„Wir essen trockenes Brot, wo wir mögen,“ erwiderte sie und ihre Stimme klang zum Verwundern unfestlich. „Zu fragen hat da niemand weiter danach.Wenn's Euch nicht gefällt, so müßt Ihr wegsehen,oder eben Wein zutragen.“ Und sie setzte noch die sonderbaren Worte hinzu: „Wir bemühen uns um nichts.“„Potz Hagel,“ machte der Oberst verwundert. „Dann seid ihr mir eben die rechten Vögel. So wollen wir uns um so mehr um euch bemühen. Herr Leutnant,lauft einmal geschwind und holt uns eine Kanne Wein her. Und noch mehr Brot. Aber auch Würschte und [] 212 Käse. Da ischt Geld.“ Der Fantasiebräutigam lief.„Muß man's euch auch in die Mäuler schieben, wenn's beliebt?“Die jüngste betrachtete ihn ruhig und schüttelte den hübschen Kopf.

„Nein, das tun wir selber. Wir essen aber nur ganz feine Sachen, müßt Ihr wissen. Würste mögen wir gar nicht, und Käse nur von Holland.“

Der Oberst schickte auch den Süßen fort, damit er Käse von Holland herbrachte und feine Fleischwaren,außerdem Kuchen für den Nachtisch.

„Da seid ihr aus einer sehr feinen Familie?“ fragte er darauf. „Warum eßt ihr dann aber so schlechtes Brot in euch hinein?“„O, seid so freundlich,“ erwiderte die Kleine und brachte eine Menge Ernst auf. „Das ist das beste Brot, was es gibt. Ich merke, daß Ihr nicht von hier seid. Das da sind meine Schwestern. Es wäre eigentlich Zeit, daß wir nach Hause gingen. Lange ausbleiben ist gewöhnlich.“

„Oho, nein, sondern jetzt wollen wir doch zuerscht den Wein trinken, den ich habe holen lassen, und das feine Fleisch essen samt dem Käse von Holland und dem guten Kuchen. Seid doch nicht wie die Fliegen auf dem Kuhohr.“„Was kümmert uns Euer Wein, Herr, und Euer Käse von Holland. Da müßt Ihr uns zuerst fragen,ob wir davon wollen. Ich denke, wir brechen auf,Schwestern.“[]Die Schwestern strichen sich die Brosamen von den Röcken und stützten die Handflächen auf den Boden.Der Oberst bekam Angst und fing an zu tanzen vor ihnen.

„Heiliges Donnerwetter, was seid denn ihr für meineidige Ziegen?“ schalt er. „So etwas ischt mir noch gar nicht vorgekommen. Also ich frage euch, wollt ihr von dem Wein trinken und von dem feinen Fleisch essen und dem Käse von Holland, den die Kavaliere gleich bringen werden? Es würde mich wahrhaftig freuen, wenn ihr so gütig wäret, sonscht muß es ja doch umkommen. Bleibt sitzen, habt die Freundlichkeit und tut uns die Ehre an.“

„Meine Schwestern sitzen schon seit zehn Jahren;da kommt es auf eine Stunde auch nicht an.“ Die Kleine lächelte spöttisch, jedoch es traf nicht die Schwestern,sondern die Zuhörer. „Aber wir wollen wirklich so gütig sein, da Ihr uns darum bittet. Man muß uns immer bitten, sonst stecken wir mitten darin auf. Wer seid Ihr überhaupt?“

Diesmal stellte der Oberst vor, die Dame Luna,die der Kaiser nächstens zur Freifrau machen werde,den Lizentiaten Stockholz, die andern beiden in Abwesenheit, und sich selber inkognito im Namen des Kaisers. Darauf bat er die Kleine um ihre Personalien und um die der anderen Jungfrauen. Sie machte mit sich den Anfang.

„Ich bin das Freifräulein von Reschen, Margareta mit Namen, und erst sechzehn Jahre alt. Dies sind meine Schwestern: Philippine, Therese und Cordula.[] 214 Cordula ist die älteste und muß von uns zuerst geheiratet werden, oder wir bleiben alle ledig. Die Schweden haben uns unser Schloß und Dorf verbrannt und die Bauern verjagt. Ihr müßt aber Euren scheußlichen Hund wegbringen, sonst gehen wir doch nach Hause.Wir lassen uns keine Gewöhnlichkeit gefallen.“

Der Oberst war verwirrt.

„O, was ich sagen wollte,“ stotterte er: „Was ich da sagen wollte der Hund ischt nämlich ein ganz edles Tier. Er hat nur ein Kind aus dem ungarischen Meer gezogen, und da hat ihm ein Hecht den Schwanz weggeschnappt. Und dann hat ihm ein Räuber noch ein Auge herausgehauen, aber er hat den Räuber ganz anderscht herunter gerissen. Und die Weiber haben ihn widerrechtlich geschoren heut' nacht. Er ischt aber edel.“

Die Kleine wollte noch weiter Widerspruch geltend machen, jedoch die älteste entschied mit einer tiefen und schönen Stimme: wenn der Hund sich so betragen DD vollbringe nicht solche Taten. Der Oberst guckte sie an. Sie schaute aus dunklen Schwermutsaugen, die wunderbar zu ihrer Stimme paßten, ruhevoll in sein verlegenes Abenteurergesicht hinein, so daß er nun Hoheit wie Unglück merkte und noch vieles andere von ihr und von sich selber, worüber er nicht so rasch ins Klare kam. Jedoch es galt, sich zu beweisen. Er verbeugte sich mit Dank vor dem Fräulein, bat um die Erlaubnis zu sitzen, half der Dame Luna ins Gras,lud den Sauren mit einer flüchtigen Handbewegung []ein, sich gleichfalls niederzulassen, und setzte sich selber.Darauf kamen die beiden Abgesandten mit den Viktualien, und der Oberst fing an und machte den Wirt.Als er merkte, daß die Jungfrauen um die Teller verlegen wurden, sah er sich um, entdeckte in der Nähe eine Kolonie Huflättich, ging hin, brach eine Anzahl großer Blätter, schwenkte sie im Bach, der vorbei floß, und legte sie der Reihe nach vor. Er streifte dabei der Jungfrau Philippine die Hand, um zu erfahren, ob sie kühl sei oder warm, da sie doch nichts sprach. Sie war köstlich warm und der Oberst bat um Verzeihung. Sie zeigte dem Tag wieder ihre weiße Kehle und errötete.

„O, es tut gar nichts,“ sagte sie und lachte scheu und etwas unbeholfen, weil sie es nicht gewöhnt war.Diese gefiel nun von allen vieren dem Fantasiebräutigam am besten, weil es ihm ihre Kehle angetan hatte und ihr Erröten unter ihren braunen Haaren,und auch weil ihre Stimme so zutraulich streichelte.Sie war wirklich noch reizender als seine unsichtbare Liebste, und vor allen Dingen vornehmer, gewissermaßen feudaler und gegenwärtiger.

Am längsten schwieg die Jungfrau Therese. Aber endlich öffnete auch sie die Lippen zum Reden. Sie schlug ihre blauen Träumeraugen zum Schweizer auf und ließ sie einen Augenblick forschend auf seinem Gesicht ruhen.

„Seid doch so freundlich, Herr Oberst,“ ließ sie sich darauf vernehmen, „und gebt mir nun ein wenig Käse von Holland.“[] 216 Der Süße saß näher beim Käse und kam dem Obersten zuvor; der verneigte sich leicht vor ihr und machte eine Handbewegung nach dem Süßen, die besagte, daß es in seinem Namen geschehe. Der Süße schnitt ihr im Eifer einen Happen ab, der die größten Ansprüche befriedigen konnte, merkte es knapp beim Vorlegen, dachte, er werde nun einen Wischer kriegen,und war äußerst erbaut und gerührt, als sie ihm die Portion ohne Widerspruch abnahm und sich sogleich darüber machte. Er sah ihr mit steigender Sympathie zu, wie sie mit ihren kräftig-leichten Händen vorweg damit aufräumte, und war gänzlich ihr Mann und Knecht, als sie in der gleichen stillen und unwidersprechlichen Weise, wie vorhin den Obersten, nun ihn ansah und noch um ein Stück Käse von Holland bat.In der Zeit und Begeisterung fraß er freilich allein den dritten Teil des ganzen übrigen Käsevorrats auf.

Als die Jungfrauen gegessen und getrunken hatten,wollten sie nicht ungern Kurzweil haben. Die drei älteren gaben zwar kein Wort her darüber; sie sahen wieder nach ihren Richtungen, Cordula stolz geradeaus,Therese über ihren gefüllten Magen herunter in ihren Schoß und Philippine seitwärts in den Himmel hinein,wobei sie die Hände gefaltet vor sich zwischen ihre Knie streckte. Aber die kleine Margareta erlaubte den Kavalieren, daß sie jetzt mit Singen anfangen dürften,nur solle es dabei fein manierlich zugehen.

Damit war keine kleine Verlegenheit ins Land gekommen. Der Saure wußte überhaupt nur Schelmenlieder und kapitulierte von vornherein; der Süße hatte [] 217 das Herz voll Liebe zum Wohlleben und darum ging ihm der Mund am leichtesten von Wein und Braten über; der Oberst sah vollends ein, daß er mit seinen ungarischen Stückchen hier nicht wirken konnte. Der Bräutigam schlug eine Hymne an die Mutter Gottes vor, und die sangen sie denn vor Angst vom ersten bis zum letzten Vers, gewaltig und deutlich, außer dem Lizentiaten, der wegen seines reformierten Glaubens nur die Melodie mit la la li mitbellte. Die Jungfern machten zuerst andächtige Gesichter, dann merkwürdige,und zuletzt guckten sie ganz vergnügt darein. Die viere schwitzten wie die Bärentreiber mit ihrem Lob der Maria und die Hälse taten ihnen weh, weil es diesmal doch so schön gesungen sein mußte. Als sie fertig waren, attestierte die kleine Margareta, daß der Herr Oberst es am besten könne, und erlaubte ihm dafür, nun allein vorzusingen.Der Oberst entsetzte sich, wollte etwas dagegen einwenden,brachte aber nur ein betrübtes Gekrächze heraus, und fing in der Not seiner Seele einen Kuhreigen an, daß die Luft sofort voll Kälbergebrüll war; dazwischen tönte Glockengeläut und Echogespött, und zuletzt kam wieder ein Ding gestrudelt, das hörte sich an wie das Gemecker einer Ziegenherde unter einem Wasserfall. Das verzwickte Schweizerstück hatte so gut seine Ausführlichkeit wie die Hymne, und als der Oberst fertig war, standen ihm die Augen aus dem Kopf, weil es hier nicht die rechte Luft dafür war, sondern eine viel zu dicke und staubige; er hatte auch Herzklopfen. Zum Glück kam in diesem Augenblick der Junker auf einem schwarzen Bauernhengst angeritten und brachte neues Interesse auf.[]

Fünfzehntes Kapitel

unächst gab es wieder eine allgemeine Vorstellung,3 wobei nichts Neues herauskam, als für die Jungfern,daß dies der gelehrte Junker Waldemar Rolandus sei,und für diesen die Existenz der Fräulein. Er war abgestiegen, hatte seine Bücklinge gemacht, und führte seinen Gaul nun zunächst in den Wald wegen dessen Empfindlichkeit gegen den Sonnenstich, wie er angab;er band ihn in einem guten Dickicht an einen Baum und überließ ihn dem grünen Laub.

Die Dame Luna hätte so lange geschwiegen und sich ein Urteil gebildet über die vielbesprochenen Fräulein.Nun ergriff sie das Wort.

„Erlaubt,“ wandte sie sich an die älteste: „Erlaubt,man sagt in der Stadt, daß Ihr von der Luft lebt.Ich weiß auch, wie das tut, nicht nur Ihr. Das ist gar nichts Besonderes, obwohl ich es nicht nötig hätte,denn wir sind wohlhabend, und nicht abgebrannt wie Ihr.“Es bewies sich etwas in diesen vier Jungfrauengestalten, das sie zum Widerspruch reizte und ihr nahezu Arger verursachte. Das war deren gute Haltung und ihre fortdauernde schöne Eigenmächtigkeit, die sie sich durch alle teure Zeit zu bewahren schienen. Ihr Verhalten glich so dem von gefangenen jungen Habichten,und es wurde damit auf tüchtige und schier spöttische Art deutlich ausgedrückt, daß man wie jene immerhin von Räubern abstamme wenn auch nur von einem hungrigen armen Teufel von Winkelhecht und kleinen []Bauernschinder , und daß man sich einmal nicht zu ducken gedenke. Das regte die Dame Luna auf. Die Jungfrau Cordelia antwortete ihr entsprechend mit ihrer großen und weiten Stimme.

„Das Volk ist dumm genug, aber Ihr seid noch dümmer, wenn Ihr ihm nachsprecht. Ich weiß niemand,der von der Luft lebt. Und wenn Ihr es tut und habt es nicht nötig, so macht Ihr damit nur Eure Torheit kund, die nach Eurem Ansehen wirklich nicht klein zu sein scheint. Ihr tut selten das, was Euch gefällt,sondern Euch heißt man.“

Das war eine Rede nach dem Sinn des schwarzen Theologen; er liebte das starke Gewürz. Er neigte sich der Jungfrau Cordelia zu, und sein Kopf grüßte sie.

„Ihr habt einen hohen Sinn, edle Jungfrau,“sprach er mit düsterm Beifall. „So muß man mit den Nichtigkeiten der kleinen Welt umspringen. Ihr seid eine Dame von großer Erfahrung; Ihr solltet einer Gemeinschaft vorstehen.“

Die Dame Luna hatte ohnehin wieder Wein in den Kopf bekommen. Nun in der Verwirrung der Abfuhr meinte sie wegen des tragischen Tones, der Saure habe der Jungfrau in ihrem Namen heimgeleuchtet. Da gackerte sie noch ein bißchen hinterher.

„Ja wohl, Ihr solltet eine Pfarrerin werden. Oder ein Pfarrer. Ihr schimpft; ha, das kann jeder. Ich finde das dumm. Und man heißt mich überhaupt nur das Beste, Ihr Hungerleiderin.“

Der Saure biß sich in die Lippen; der Dicke wischte den bösen Mann von der Scheibe.[] 220 „Nehmt's Ihr nur nicht übel, schöne Jungfrau,“sagte er. „Ich glaube, sie wird abends immer noch auf den Armen zu Bett gebracht. Erzählt uns ein wenig von Euch, wenn Ihr wollt. Mir scheint, Ihr habt schon was Rechtes erlebt.“

„Ja, denk' mal,“ wandte sich der Süße strotzend von Mitgefühl an ihn: „Die Fräuleins haben ihren Herrensitz samt Dorf und Bauern durch die Schweden verloren. Alles ist heidi mit Feuer und Schwertz; soll da nicht der Teufel dreinschlagen? Ich führe aus der Haut, wenn mir so etwas passierte. Aber die Fräuleins sind stolz.“

Er sah die Jungfer Therese an mit einem wirklich seelenvollen Blick und seufzte. Der Bräutigam tat dasselbe vor der Jungfrau Philippine, nur daß er nicht seufzte, sondern seinen jungen Schnauzbart strich. Der Junker eröffnete eine vernünftige Konversation, und führte sie auch, hauptsächlich aus eigenen Mitteln, weiter.Der Süße schmachtete nur ab und zu „Ach Gott!“dazwischen; der Saure zog bei besonders traurigen Punkten die Brauen zusammen, und der Fantasiebräutigam fing in der Zeit eine richtiggehende Himmelei an mit der Jungfrau Philippine, die sich seinem hohen Reiz leider nicht zu verschließen vermochte, um so weniger,als es der erste war, den sie von männlicher Seite bis jetzt überhaupt erlit. Die Dame Luna lag an der Schulter des kaiserlichen Obersten und schmollte wieder.Später tröstete sie sich, blieb aber bei der Anlehnung und vertrieb sich die Zeit damit, mit dem Beutel des Schweizers zu liebäugeln, über dessen Wert und Inhalt [221]ihre Meinung bedeutend gestiegen war. Unter dem Gespräch ruhte auch die Kanne nicht. Der Bräutigam mußte einmal nachfüllen gehen, was er mit einem zierlich-kräftigen Stechschritt hin und zurück würdig ausführte. Der Stechschritt gefiel der Jungfrau Philippine,die noch nie so etwas gesehen hatte, außerordentlich gut und stürzte sie gleich ein ganzes Klafter tiefer in den Abgrund der Bewunderung, die sie für diesen feurigen Jüngling empfinden mußte. Die Jungfrauen gaben sich übrigens nicht spröde, sondern taten den Rittern dankbar, doch mit schönem Maß, Bescheid, wogegen sich die Dame Luna entschieden weigerte, noch mehr Wein zu trinken.

Unter der Spezialgeschichte des Verfalls derer von Reschen, die sich aus den Antworten und Darstellungen der Jungfern im Rahmen der allgemeinen Zeit und Leidensgeschichte des langen Kriegslaufes heraus entwickelte, überschritt der Oberst still den tiefsten Punkt seiner Verschüchterung vor diesen wirklichen und wahrhaftigen Edelfräulein, atmete einmal unauffällig auf,und schwenkte sich dann mit jedem Schwung, den er der Weinkanne gab, höher in die Gottesbotenlaune der tiefsinnigen Dreistigkeit hinauf. Als der Wein zum achtenmal rund ging, fühlte er sich völlig munter und ebenbürtig und von gleichem Blut mit allen Fürsten und Königen der Welt. Es war keine Entwicklung im Verlauf eines aristokratischen Ideenganges, sondern der hundsnatürliche Landstreicherschluß einer halbverlorenen Bauernseele: „Pah,kann keiner mehr sein, als lebendig und weniger, als tot, und wer auf zwei Füßen steht, ist Königs genug.“[] 222 „Ja, nämlich,“ hob er auf einmal eine Rede an und setzte die Dame Luna gerade: „Ja, nämlich, das interessiert mich alles gewaltig und erweckt meinen Unwillen. Das ischt dann doch kein Friede! Das ischt ja ein Kriegszuschtand! Ihr müßt wissen, schönschte Jungfern, daß ich Oberscht und Ritter von Holdrio aus Ungarn vom Kaiser inkognito ausgeschickt bin, um hier im Land nach seinem Frieden zu schauen. Wo ein Friede ischt, da soll ich ihn grüßen vom Kaiser. Wo keiner ischt, da soll ich gucken, daß ich einen mache. Bei euch ischt keiner, also muß man euch einen machen.Dazu bin ich ausgerüschtet mit Geld und Gut und großer Vollmacht, wenn ich sie gebrauchen will; sonscht bin ich inkognito, das gibt viel bessere Einsichten. Ihr müßt diese Dame Luna entschuldigen; sie hat heute schon viel Wein erkannt und verträgt nichts, darum legt sie sich schon wieder auf meine Achsel. Es ischt gut; liegt auf meine Achsel; aber Ihr müßt mir nicht vorn herüber hängen. Nämlich seht, da ischt zum Beischpiel auch ein Dorf mitten im schönschten Land;ischt aber kein Friede drin, sondern nur ein armer Bauer mit elf Kindern, fremden und eigenen, und Hund und Katzen. Da muß man auch Frieden schaffen. Also was fang ich an? Ich hole Leut', Knecht' und Mägd'und alles Volk, was arbeiten will. Das kann sofort Bauer sein und sich in die Häuser setzen. Ich kaufe Wagen und Plüg und Samen und Hausgerät, und was man halt so braucht für die erschte Einrichtung,verschteht ihr? Allerlei Samen habe ich schon. Das ischt nicht für euch, ich weiß es wohl. Aber Ihr müßt mir [223]doch nicht vorn herüber hängen, liebschte Frau Luna;Ihr könnt mich doch wahrhaftig ganz gut verschtehen auch so nebendran. Ich hab schon ein Schtücker dreißig Männer und Weiber beisammen, und will morgen oder übermorgen abgehen damit, daß sie mir nicht auseinanderlaufen. Das ischt das Lange und Breite. Jetzt fehlt mir bloß noch ein Pfarrer, ein Magischter, ein Advokat, und ein rechter Soldat, der die Leut gegen die Räuber und Wölf führen kann und nachher der Oberförschter wird, wenn man im Wald wieder wohnen darf.“

Er brach ab, weil die Jungfrau Cordelia die Hand erhob und ihn ansah.

„Herr Oberst, Euer Beutel,“ sagte sie leise und blickte danach. Aller Augen folgten den ihren, aber die der Dame Luna waren schon vorher dabei gewesen;außerdem hatte sie mit ihrer kleinen unnützen Hand D zutraulich in die Tiefe des Beutels. Die Gesellschaft sah sie unter hohem Staunen wie ein Geistchen verschwinden, im Dunkel ein weniges suchen, und darauf mit Gold gefüllt im Licht wieder auftauchen.Die Dame Luna hatte die Worte der Jungfrau Cordelia überhört, aber nun trat ihr die Stille, die um sie herrschte, zum Bewußtsein, und sie guckte verwundert auf. Sie merkte der Reihe nach alle Augen auf ihre dumme, weiße, goldgefüllte Kinderhand gerichtet, zuletzt,fast Schläfe an Schläfe mit ihr, auch die des Obersten,und sie war durchaus voller Gnaden. Sie schaute die Reihe noch einmal durch und dann ihrem Obersten [224]gerade ins Gesicht, lächelte, wandte sich wieder an die Gesellschaft: „Habt ihr schon soviel Gold beisammen gesehen? Ich nicht,“ und endlich an den Obersten: „Du könntest mir das da schenken, magst du? Das heißt,wenn du mich lieb hast.“

Der Oberst mußte mögen; die Gebärde überzeugte. Er sagte ernsthaft, es sei gut; sie könne es gern behalten; sie solle sich damit nun ins Gras legen,wenn sie wolle, weil sie ihn müde mache mit dem Anlehnen. Sie nickte freundlich und gehorchte, und die Gesellschaft atmete auf wie nach einem Mirakel. Ruodi bemerkte noch leichthin, es sei sein privates Zehrgeld und nichts vom Kaiser dabei, und ging in Fortsetzung seiner Rede zur Anwendung über. Er sprach nun ziemlich dringend und fast gebietend, und blickte auf eine Art schwermütig drein, daß jedermann mit Respekt dagegen aufkommen mußte.

„Ich sehe hier lauter brave und tüchtige junge Leut'sitzen, die aber keinen Ascht haben und keine Verwaltung.Graben mögt ihr nicht, kann euch auch keiner zumuten.Zudem schteckt schon viel zu viel Volk in dieser Schtadt; wer keine Konnexion hat, kommt in kein rechtes Bett. Nehmt den Kaiser für eure Konnexion und helft mit an seinem Frieden schaffen, daß wieder ein Pläsier wird im Dorf.Ihr habt zum Exempel die Theologie gelernt,“ wandte er sich an den Sauren: „Ischt nicht gerade am meischten wert, aber ein Pfarrer muß sein. Hüte meine Lämmer.Kommt mit und werdet unser Seelsorger. überlegt's Euch. Ihr könnt unsern Magischter abgeben, Junker Ebenreiz. Wir werden Euch in Ehren halten und recht[] 225 schaffen nähren und bezahlen, je besser die Gemeinde wieder in Flor kommt. Rechnen und Schreiben ischt wichtig fürs Leben. Und der Leutnant verschteht den Krieg und das Jagdwesen; werdet unser Kavalier gegen die Räuber und unser Förschter gegen die Wölf'. Dafür habt Ihr freie Jagd, und Wohnung und Lohn obendrein; ischt mein Seel alles das beschte Angebot,das man einem Menschen machen kann heutzutage.Der Ritter Rolandus soll unser Amtmann werden; er hat das Recht schtudiert; so hat der Frieden seinen Vorschteher und ischt gut behütet. Ich sehe nur, daß ich den Wagen wieder in Gang bringe, dann mache ich weiter; in einem Jahr muß ich durch sein, sagt der Kaiser. Aber was da die schönen Jungfern angeht,Gottsblitz, so wäre es gescheit, Ihr fragtet sie, ob sie mit wollen. Sie sehen wahrhaftig wacker genug drein alle vier. Ich will sie ausschtatten, daß es ein übermenschliches Vergnügen sein soll. Ich glaube nicht,daß sie noch auf Grafen und Barone warten, sondern ich meine, daß sie zugreifen werden, wo es etwas für sich schon passen. Das ischt meine wahre Meinung.Man muß schauen, daß man das Elend und das verdammte Geflunker aus dem Weg räumt, damit man sich wieder zu sehen kriegt.“

Das war die Rede des Schweizers. Sie versetzte ihn selber Schritt für Schritt in ein unruhiges Erstaunen über den Geist, der diesen Tag aus ihm Meldungen tat. Aber weil er dabei so sorgenvoll und vielverwaltend aussah, war nicht eines unter den An

Schaffner, Der Bote Gottes

5 [] 226 wesenden, das nicht dachte, man könne sich den Vorschlag wahrhaftig einmal überlegen, außer der Dame Lunga, die im Gras lag und mit den Goldstücken spielte.Zwischen den Fräuleins und den Kavalieren gingen schon verschiedene ernsthafte Betrachtungen hin und her, in denen nur ganz wenig Unzufriedenheit lebte, welche sich außerdem auf die Gegenwart bezog. Während man vorher auf der Wand der Zukunft von einer Partei den kahlen Stein der Unfruchtbarkeit gesehen hatte,und von der andern im besten Fall das Zeichen des Stockmeisters und den reizlosen Schattenriß des Galgens,war ihnen nun von der Hand des kaiserlichen Gesandten eine bescheiden bekränzte Tür aufgegangen, durch die die lebhafteren Fantasien schon die verlegene Gesellschaft im Gänsemarsch in den Zustand der Zufriedenheit eingehen sahen. Der Saure blickte kräftig sinnend über die Schulter der Jungfrau Cordelia hinweg nach dem Dickicht, in dem der Junker seinen schwarzen Bauernhengst untergestellt hatte. Der Bauernhengst war nach seiner Kenntnis von der Lebensweise des andern gestohlen, und er empfand plötzlich Sorge, daß ihn selber auf der Schwelle des neuen Lebens noch geschwind die Hand der Gerechtigkeit erwischen könnte, was doch nun schade wäre, da man mit einer schönen Jungfer so dicht vor einer Pastorei stand. Der Süße betrachtete windelweich vor Rührung die kräftigschönen gefalteten Hände der Jungfrau Therese zwischen ihren Knien,und sah sie dabei sich gegenüber an einem gedeckten Tisch sitzen, der sich in Wahrheit bog, und zwar bis auf seine Schenkel herunter, vor der Last der Bauern[] 227 abgaben an Eiern, Butter, Speck, Hühnern, Bier und Schwarzbrot. Man mußte zugeben, daß das noch besser war als die schönste Räucherkammer ausgeräumt, und vor allem bequemer; die Gefahr schlug er nicht so hoch an. Der Leutnant sah das Problem nach seiner Verfassung von der verliebten Seite. Es schlichen ihm lauter warme Dachse über den Magen,vorwärts und rückwärts, und rieben einer nach dem andern den Rücken an seiner Herzspitze, was ganz unmenschlich wohl tat und kitzelte. Er spitzte den runden Mund und flüsterte versuchsweise „Philippine“,und es war ihm, als ob er reinen Zucker lutschte. Er steckte allbereits von den Fußsohlen bis unter den Scheitel voll Honigseim der Hochzeitsnacht, und es brauchte nur einen Blick von der Jungfrau Philippine,so flog er in die Luft wie ein Pulverfaß vor lauter Katerlenzlichkeit. Glücklicherweise behielt sie diesen Blick bei sich, wodurch er zu ihrem Trost und unverständigen Vergnügen weiterhin auf seiner braunen Soldatenhose vor ihr im Gras sitzen blieb und sie anbetete. Die kleine Margareta dachte weiter an keinen Mann, sondern nahm sich vor, den guten Geist des Dorfes abzugeben,wenn der Handel zu einem festen Abkommen führen sollte, und war ganz erschüttert vom Glück ihrer Schwestern, das sie machen konnten. Sie hielt sich mit großen Augen still, um ja nichts zu verscheuchen,kniff sich in die Beine, weil sie am liebsten aufgesprungen wäre, um gleich die Paare zusammen zu befehlen und die Welt an sie zu vergeben, und betete in ihrem festen,kampffrohen Herzen zu Gott, so stark sie konnte.

1 9 [] 228 Der Junker leistete jedoch das Unmögliche: er schwebte. Er hing zwischen der Vergangenheit und Zukunft mitten über einem Zustand, der keine Gegenwart war und kein Ja und kein Nein zu irgendeinem Ding auf der Welt. Auf einmal war er über das Irdische aufgehoben worden wie ein voller Maßkrug an einem Henkel, den man ihm in der Magengrube angesetzt hatte und der verflucht empfindlich werden konnte, wenn er abriß; und wer garantierte ihm dafür bei seiner Leibesschwere? Aber das edle Gefäß war nicht mehr mit dem öden Wasser der Spitzbüberei gefüllt,sondern zu seiner Verlegenheit mit dem schweren Dunkelbier der Liebe. Das leuchtete nun schön und schicksalmäßig unter dem Auge einer Vorsehung, die kaum angefangen hatte, mit seiner weltmännischen Ignoranz umzuspringen, und schon das Wunderbarste mit ihm fertig brachte. Nun hatte er aus lauter Opposition und Wut einen Bauerngaul gedrückt, aber es nützte ihm gar nichts, sondern die bittere Schusterin ritt hinter ihm mit, wie sie vorhin vor ihm her gegangen war zwischen den Stadtknechten. Das war die schwere Not seiner ersten echten Leidenschaft und zugleich seiner ersten anständigen Lebensregung. Jedoch was fing er an mit einem Vorschlag auf Einrichtung, wenn das Weib dem nichtsnutzigen Schlingel gehörte, und er vielleicht zwanzig Jahre umsonst warten konnte, bis sie für ihn frei wurde?Der Schuster sah wahrhaftig zäh genug aus. Dabei war der Junker ein Vierziger und seine Liebe eine Dreißigerin; wie sollte denn das aussehen nach zwanzig Jahren? Immer vorausgesetzt, daß sie überhaupt glück[]

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229 lich aus dem Stockhaus heraus kamen, wohin er ihnen mit seinem tollen Kopf geholfen hatte; der Probelöffel war bei ihr gefunden worden; nun konnte genau besehen nur noch ein Wunder helfen. Zum Teufel, tat man da nicht am gescheitesten, man führte noch ein paar Hauptzüge aus in der Welt, und ließ sich dann hängen?

De Vorschlag des Schweizers stand zu plötzlich und zu hell zwischen den beiden Lagern, und die scheue Gegenwart lag auf beiden Seiten zu erfahren im gewitzigten Bewußtsein, als daß davon gleich Früchte ins Gras rollen konnten. Man schwieg, spürte Einladung, stellte sich vor und betrachtete das Vorgestellte. Dann seufzte der Süße, tiefauf und weithin hörbar: „Ach ja!“ Der Saure guckte ihn wütend an; was hatte der zu seufzen? Er war eifersüchtig und darum zum Krakeelen aufgelegt.

„Ach ja,“ äffte er ihm bissig nach. „Der Hängemagen wittert schon Bratwürste und Sauerkraut. Arbeit wittert er nie. Entweder er frißt oder er stöhnt.Man sollte sowas in den Trog schnitzen für die Kühe.“

Der Süße nahm das Wort übel und betrachtete die Anrede wegen der Gegenwart der Fräulein als eine schwere Beleidigung, die er nicht an sich hängen lassen durfte. Er schnellte mit Schwung aus dem Gras in die Sitzlage und fuhr mit den Fingern durch seinen Spritzbart.[]„Will das Kammergespenst sich hier wichtig machen?“trompetete er. „Bringt mir doch den schwarzen Affen einmal her; ich will ihn auf den Baum hinauf jagen,wo er hingehört. Dir steht das Eingeschnitztwerden mein Seel näher als mir, von wegen deinem Saurerübencharakter. Schöne Fräuleins, seht ihn nur an:er ist ein Neidhund, wie in den nächsten hundert Jahren keiner mehr gemacht wird.“

Der Saure erblich vor der Tragweite der empfangenen Herausforderung, sprang vom Boden auf die Füße, schritt zum Magister, der noch im halben Friedenszustand schäferlich im Gras saß, und wollte ihm gerade einen Kopfschlägel anpassen, als er sich von hinten kräftig am Wams gezogen fühlte. Er verlor den Stand und mußte rückwärts aufs Geratewohl wieder Niederlassung nehmen. Wie er sich nach der Hand umsah,die den Durchgriff bewirkt hatte, gehörte sie der Jungfrau Therese, neben der er nun auch saß. Sie guckte ihm mit ruhiger Freundlichkeit ins Gesicht.

„Ich habe wohl bemerkt, daß Ihr zu wenig esset,“sagte sie zu ihm. „Wir müssen die Türen zu den Zorngängen, die vom Magen in den Kopf führen, fleißig mit Speise verstopfen. Bittet Gott um einen besseren Appetit.“

Der Lizentiat wollte wieder aufspringen, aber sie hielt ihn am Gürtel fest. Da trat die Jungfrau Cordelia ins Mittel.

„Wenn der Herr seine Ehre verteidigen will, Therese,“rief sie mit ihrer großen und weiten Stimme, „so hindere du ihn nicht daran. Du bist jung und un[231]erfahren und verstehst nichts von Satisfaktion. Der Herr ist beleidigt.“

„Gottsblitz,“ schrie der Süße, „ich bin zuerst beleidigt, wie ihr alle gehört habt. Die Jungfer hat ein gutes Werk getan, und es soll sie niemand darum betrüben. Jetzt will ich mich über den Friederich hermachen, ob ich ihm seinen lutherischen Katechismus auf nasenstüberisch auslege.“

Auf der anderen Seite des Lizentiaten saß die Jungfrau Philippine. Weil der Leutnant fürchtete, daß ihr aus der Rauferei Ungelegenheiten und vielleicht gar Rippenstöße erwachsen könnten, brachte er dem Süßen unversehens die Degenscheide zwischen die Füße, womit der kreiselhaft zweimal um sich selber torkelte, wie eine Sternschnuppe mit der Nase voran neben die Dame Luna ins Gras schoß und dort mit ihr ihr Gold beguckte.

„Wenn Ihr raufen wollt, so geht beiseite,“ rief er ihm sieghaft in seinen Sturz nach. „Hauen sich auch echte Kavaliere zwischen den Damen herum und bringen die mit in Gefahr?“

Die Jungfrau Therese fand das Verfahren heimtückisch und sagte es gerade heraus. Jedoch die Jungfrau Philippine legte sich auf diese Welle.

„Nein, liebe Schwester, sondern es war soldatisch und kavaliermäßig,“ sprach sie mit aufleuchtenden Wangen dagegen. „Es steht den Herren nicht an, sich zwischen uns zu schlagen. Wie leicht könnten wir dabei Schaden nehmen.“

Sie spähte wieder schräg in den Himmel hinein und zeigte ihre Kehle. Der Oberst stimmte ihr bei,[] 232 und die kleine Margareta stimmte dem Obersten bei,und als der Magister Lunas Gold lang genug besehen hatte, hob er sich wieder auf. Dasselbe hatte der Lizentiat schon getan; nun ließ er sich mit dem Gefühl und Ansehen des Vaters, der sich mit dem Lausepack von Rangen nicht weiter abgeben will, neben der Seniorin Cordelia nieder.

„Eure Schwester hat vielleicht recht,“ erkannte er unter düsterem und entsagendem Achselzucken an. „Aber sie hätte es doch nicht tun sollen; es verstößt gegen die zarte Weiblichkeit. Außerdem danke ich Euch.“

Cordelia antwortete mit einem ernsthaften Kopfnicken, und das Feld war in dieser Ecke soweit bestellt. Die Jungfrau Therese bat ihrerseits den Magister zu sich, damit sie ihm das Wams abstauben konnte;er hatte sich mit dem Schulterblatt an einem Maulwurfshaufen gerieben. Er mußte sich dazu bei ihr niederlassen, wenn sie nicht aufstehen sollte. Sie sagte,er solle nur nicht traurig sein; was sie angehe, so sehe sie ihn für einen vollkommenen Kavalier an, der sich auf alle Weise im richtigen Licht gezeigt habe. Er schnaufte noch einmal, warf einen schwerversöhnlichen Edelmannsblick nach dem Sauren und einen nach dem Leutnant, und gab sich mit der Würde eines zahmen Löwen in ihre Regie. Als der Leutnant merkte, wie da unter dem offenen Himmel mit der Erlaubnis Gottes verfahren wurde, entdeckte er eine Spinne an der Jungfrau Philippine, spickte sie ihr mit großer Kunst vom Kragen, und blieb gleich bei ihr für künftige Rettungen.[]In diesem Augenblick tauchte der Schwiegervater wieder auf. Er hätte sich das ein und andere Krügel Bier vor das Rückgrat gestellt, war wieder auf seine Tochter zu denken gekommen und sofort gerührt aufgebrochen, um sie zu suchen, und kam nun mit einem Maßkrug in der einen und zwei Würsten in der andern Hand angeschwankt; und unter das Kinn hatte er sich noch ein Brot geklemmt. Die Kavaliere unterrichteten ihre Jungfrauen über seine Persönlichkeit.

„Ah, meine Kavaliere, was seh' ich, up!“ gröhlte er aus seiner gequetschten Kehle heraus und schielte fürchterlich unten hervor. Er hatte den Schlucken.Er bekam ihn immer nach dem Genuß von Alkoholika,und die Dame Luna hatte ihn von ihm geerbt.„Hallo up ich muß euch euch loben. Wahrhaftig, up. Aber ihr laßt mir meine geliebte Tochter darben in Einsamkeit; dafür will ich euch up auf den Buckel steigen. Was? Ist sie nicht schön? Up.Ist sie nicht eine Dame von reinem Wasser? Mamelucken, die sie beiseite sitzen la lassen, sag' ich.Töchterchen, up, komm her zu mir, sag' ich. Komm zu deinem alten Vater, sag' ich. Da ist Bier. Da sind Würste, up. Da ist ein Brot. Hörst du? Was hast du denn da? Potz Gott, Go Gold hat sie. Gold hat das Töchterchen. Ei fahr' hin im Segen!“ Das Brot entfiel ihm vor Erstaunen. Er sank mit dem Bierkrug und den Würsten neben seiner Tochter voll Andacht in die Knie, und zischte wie eine Krähe. Schließlich stellte er auch den Krug ab, warf die Würste ins Gras und sich dazu,und fing mit ihr tiefsinnig an in dem Gold zu spielen.[] 234 „Der Ritter aus Ungarn hat es mir geschenkt, weil er mich so lieb hat,“ erklärte sie. „Er hat noch viel mehr. Und wir haben viel bessere Sachen schnabuliert,als du da bringst, Wein und feines Fleisch, und Käse aus Holland, ja. Laß dir nur Wein geben. Vielleicht bekommst du auch ein wenig Gold. So viel wie mir kann er dir freilich nicht schenken. Aber er ist wirklich sehr reich.“

Der Alte rappelte sich auf den Knien nach dem Schweizer herum und machte ihm lauter Marabubücklinge. Er hatte glänzende AÄuglein und rieb sich die Hände, daß die Finger knackten. Er bedankte sich für seine Tochter. Er bedankte sich für Kinder und Kindeskinder und für Gott und die Welt. Er entschuldigte sich auch, und wußte nicht wofür. Er lobte und pries den guten Charakter des Obersten und strich ihn mit einer Wut heraus, als seien alle Anwesenden der konträren Meinung. Dafür setzte er sich selber so tief in der Würdigkeit herab, daß es einen Hund erbarmte; nämlich der gute Hund Stummel ging zu ihm und beroch ihn von allen Seiten, wie er da auf den Knien lag und schwur, nieste und kam mit einem feuchten Blick zu seinem Herrn zurück. Das Ende vom Lied war, daß der dicke Junker anfing zu fluchen wie ein Stocktürke, ein Spiel vorschlug, seine Würfel nicht finden konnte und erst recht ins Wettern kam. Jedoch der Schwiegervater konnte dienen. Er zog ein Würfelchen aus dem Busen und reichte es dem Obersten. Er schenkte es ihm sogar. Da war der's auch zufrieden, weil ihn wie den Junker ein heimliches Feuer brannte, nur daß []es sich bei ihm nicht um eine Schusterin oder anderweitige Bürgerin handelte, sondern er hatte seit seinem kälberbeinigen Gesang die Ohren wieder voll Kuhgeläut und die Nase voll Firnwind, und wo er hinguckte, da sah er Wasserfälle und Gletscher, und dazwischen allenthalben das stille Fließen der Alpweiden. Doch in der bitteren Wut der Sehnsucht kam er mit dem Kavalier auf einer Bank zusammen, und so hob denn nun ein Spiel und Treiben an, das ohne diese Grundzustände kein Teufel begriffen hätte.

Erst waren es nur die drei Männer. Der Dicke setzte einen Taler an; der Schwiegervater jammerte;da sprach der Dicke seinem Dreibätzner Talergeltung zu, und der Oberst war es abermals zufrieden. Der Schwiegervater tat gleich den höchsten Wurf und gewann zwei Taler und seinen Dreibätzner zurück. Der Junker dachte, der Schwiegervater werde jetzt auch voll spielen, aber der setzte freundlich seinen Silberling wieder und verlor ihn an den Schweizer. Der warf ihn ihm mürrisch zurück, und der Schwiegervater gewann sogleich einen zweiten Satz damit. Er wurde vollends munter, nahm einen der gewonnenen Taler, legte ihn auf den Plan, rief: „Fünf Taler wert für mich!“ und warf sechs Augen vor die verblüfften vier seiner Partner.Der Oberst schmiß drei und der Junker nur eines, und der Schwiegervater heimste den Satz ein, zehn Taler und seinen eigenen. Da riß der Junker seinen Hut vom Kopf und wischte dem Alten damit erbittert eins über den nackten Schädel. Die Gesellschaft hatte sich inzwischen um die Gruppe gerottet und so lange mit [236]stiller Verwunderung dem tollen Spiel zugesehen. Jetzt sagte die kleine Margareta, die am meisten Schätzung besaß für den Wert des Geldes, unter dem Beifall ihrer Schwestern und der Kavaliere, daß das kein christliches Wesen sei; wenn der alte Mann weiter mittun wolle, so müsse er jetzt auch voll setzen; anders litten sie's nicht. Der warf ihr einen grünen Blick zu und wandte dagegen ein, daß er ein armer Mann sei gegen zwei reiche Junker; er verlange richtiges Verhältnis. Margareta hielt ihm vor, daß sein Dreibätzner den Junkern nicht einmal einen wert sei, aber ihr Taler ihm in der Tat fünfe, und daß so erst recht kein Verhältnis gemacht werde. Der Alte wollte aber die Gerechtigkeit des Verlustes sehen auf der andern Seite, und der Junker ärgerte sich in seinem trüben Kopf, kam der Jungfrau grob und befahl Fortgang des Spieles. Der Oberst hieß den Leutnant frischen Wein holen, und der Alte legte zwei Taler ins Gras. „Zehn Taler wert für mich.“ Der Leutnant bat die Jungfrau Philippine mit holdem Blick und Wort, ihn auf den Gang zu begleiten. Sie spähte zuerst schräg in den Himmel,erhob sich errötend an seiner Hand und ging mit ihm.Zwar verschwunden waren sie bald miteinander im Bürgertreiben, jedoch auf ihre Wiederkehr hatte man ziemlich lange zu warten; und als sie endlich auftauchten, trug die Jungfrau für einen der gestohlenen Dukaten des Sternsehers eine Kette am Hals.

Nun begann die Kanne wieder zu kreisen, und hinter der Kanne her das Gefühl des schönen Daseins. Die Eintracht wurde aufs neue ein positives Ding. Die [] 237 Stimmung der abenteuerlichen Stunde ergab die befriedigende und erhebende Anschauung wohlanständiger Geborgen und Vergnügtheit, und jedes Stegreifpaar brachte seinen eigenen Mond über den Krater hervor,in dem die drei Spieler wie die Verwunschenen saßen und Gold spieen oder schlangen, daß es ein beklemmendes Ansehen hatte. Die kleine Margareta klätschte immer in die Hände, wenn der Alte einen Satz verlor,und rümpfte die Nase, wenn er gewann; sie haßte ihn geradezu fürchterliih. Die Dame Luna saß hinter ihm und nahm von Zeit zu Zeit eine Hand voll Silber und Gold von ihm in Empfang, denn er war der Hauptgewinner, und schüttete es erfreut zum andern. Dann sahen ihr der Lizentiat und die Seniorin Cordelia mißbilligend zu. Der Junker würfelte sich immer tiefer in seine Wut hinein und der Oberst in die Melancholie.Sie ärgerten sich, wenn sie gewannen, weil es nicht in ihre Stimmung paßte, und verdoppelten den Satz, wenn sie verloren, weil es eine gute Erweisung gab. Der Dicke führte den Mund voll anzüglicher Reden gegen den Alten, aber der Oberst saß so stumm über dem Spiel wie ein Berg. Schließlich tat der Junker einen vergebenen Griff in seinen Beutel und entdeckte, daß er leer sei. Einen Augenblick war es still um ihn;die Kavaliere reckten die Hälse; die Jungfern verlangsamten den Atem; dann machte er eine wegwerfende Handbewegung von vollendeter Kavaliermäßigkeit, die ihm das Herz der kleinen Margareta im Sturm gewann, und wandte sich an die Gesellschaft.

„Ihr habt meinen Gaul gesehen, Herrschaften,“[238]sagte er. „Ich hab ihn vor zwei Stunden einem Bauern abgekauft. Ein gutes Tier, aber es ist darauf gepfiffen. Ich setze ihn gegen alles. Sind meine Herren einverstanden?“

Der Schweizer war es. Er war heute mit jedem Vorschlag einverstanden, der nur ein bißchen unsinnig aussah, geschweige mit diesem Kapitalstück von einer Verrücktheit. Aber der Alte machte Ausflüchte und wand sich; er wollte jetzt lieber aufstecken, als den ganzen Gewinn noch einmal aufs Spiel setzen. Das nahm der Dicke übel. Das Blut schoß ihm ins Gesicht. Er riß wieder den Filz vom Kopf und es hagelte jetzt dem Alten nur so von Hieben über die alten Fuchsohren,daß er vor lauter Blinzeln nichts mehr sehen konnte.

„So grüßt ein Filz den andern, du Schuft,“ schrie er. „Meinst du, wir haben mit dir gespielt, um dich fett zu machen? Wenn wir nicht verrückt wären, so hätten wir dir den Schuh in den Ruhepunkt gesetzt.Soll ich dich zu Brei schlagen, oder willst du um den Gaul setzen?“

Weil der Alte auch die anderen murren hörte, fand er, es sei gescheiter einzulenken, als noch empfindlichere Maßregeln zu erfahren. Er sagte blinzelnd zu seiner guten Tochter, sie solle ihm doch schnell eine kleine Handvoll Taler hergeben. Die legte er demütig ins Gras, weil er doch so ein armer Mann war, und es zeigte sich, daß weder der Junker noch der Schweizer die Genauigkeit aufbrachten, noch den viel breiteren Rest des Gewinnstes, der bei der Dame Luna zurückgeblieben war, herzufordern; sie waren dafür heute zu []sehr aufs Große gestellt. Der Oberst schmiß seinen Beutel dazu. Der Alte warf an und brachte fünfe auf. Der Junker schmiß viere, der Schweizer sechse, und der Gaul gehörte ihm. Er verzog keine Miene, schob dem Junker die Taler des Alten zu, deutete auf seinen Beutel, sah den Alten düster an und murmelte: „Wir zwei. Noch einmal alles!“ Der Alte wagte nicht zu mucken und ließ sich noch ein Händchen voll Gold geben. Aber er gewann diesmal. Der Oberst ließ den Beutel Beutel sein und erhob sich.

„Morgen um die siebente Schtunde bin ich am oberen Tor. Wer in des Kaisers Frieden eingehen will, soll sich hinmachen. Es ischt ein luschtiger Nachmittag gewesen. Hoffentlich sehen wir uns wieder.“

Er grüßte gravitätisch und schritt, vom guten Hund Stummel gefolgt, aus dem Kreis nach dem Dickicht.Bald darauf hörte man ihn den Waldweg herunterreiten und den Hund aufgeregt dazu bellen. In der Weile raffte der Alte den Beutel an sich, öffnete ihn und stülpte ihn um; da fielen ihm drei rote Kreuzer in den Schoß, sonst nichts. Das Gelächter, das sich über den Schabernack und über das Schafsgesicht des Alten erhob, erhöhte noch das Ansehen des Obersten,und läutete andererseits einen vergnügten Abend ein.Der Junker steckte zufriedener, als er wahr haben wollte,die Taler, die jener ihm noch zugeschoben hatte, in die Tasche, und die kleine Margareta sah ihm dabei voll Teilnahme zu. Als er aufblickte und es merkte, lachte er sogar und trat damit für diesmal an die Sonnenseite seines schwarzen Berges heraus.

„Wollen wir's verjucken, Kleine?“ fragte er lustig []

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240 und nahm sie unter den Arm. „He holla, wir wollen tanzen,“ rief er. „Hol' der Teufel alle Kopfhänger.“

Bald darauf verschwanden als letzte die schönen schwarzen Zöpfe der Jungfrau Cordelia an der Seite des Lizentiaten im Festtreiben, und Vater und Tochter waren auf der Wiese allein gelassen. Da machten sie,daß sie ihre Taler und Dukaten an sichere Orter brachten,und hoben sich ebenfalls davon, der Alte unter Schimpfen und Lästern wegen der drei Kreuzer, aber die Dame Luna in glücklicher Versunkenheit. Das Gemeinsame an ihnen war nur, daß sie beide je einen Beutel innig um den Hals gefaßt vor sich her trugen und jeden Augenblick hinsahen, ob die Nähte auch noch dicht seien. Sie hätten mit großer Schläue Erde oben auf die Schnürmünder gestreut, so daß es aussah, als brächten sie Waldboden nach Hause. Die untergehende Sonne überschüttete ihren stillen Schädlingswandel mit einem weltöffentlichen Bad und Meer von Gold, und wie sie so nebeneinander her an ihrem Waldrand hin nach Hause schritten, von allen Bejahungen des Lebens umlächelt, war wieder einmal nicht zu sagen, worin denn nun eigentlich der Wert und Sinn des mühevollen Daseins bestehe.

Dr dieselbe Glorie ritt der kaiserliche Oberst auf der Landstraße jenseits des Waldes der Stadt zu.Der gute Hund Stummel sprang wie verrückt um den Roßbock herum, bellte und winselte, und konnte gar [241]nicht begreifen, warum sein Herr auf dem Tier droben saß. Er dachte zuerst, es handle sich um ein böswilliges Attentat des Pferdes, und er müsse seinem Herrn beispringen; aber dann sprach ihm der von oben herab mit den gleichen beruhigenden und befehlenden Lauten zu wie auf dem Boden und hatte auch seinen Geruch nicht verändert oder verstärkt, wie man doch in der Angst tut. Da bildete er sich einen Begriff von dem Schweizer, der zehnmal größer war als sein Fassungsvermögen und der schnurstracks auf ein D Geschrei an die Beine, der gegen ihn des Weges kam und nur ein bißchen verdächtig roch oder aussah.Doch dem Schweizer war es nicht wie einem höheren Wesen zumute. Er fuhr auf seinem Pferd fort sich zu betrüben, wie er vorhin auf ebener Erde getan hatte.Außerdem merkte er, daß er ebenfalls zu schweben anfing, nur daß bei ihm das Phänomen nicht über einem festen Punkt gesammelt, sondern im weiten Raum verirrt geschah, nämlich zwischen dem Zwang und Kulturwillen, mit denen er, wie Jehovah über dem Chaos der Welt, über der ungelösten Frage des Dorfes Wullenhausen lag, und der unvernünftigen Kraft der Liebe, die von der Murmeltierandacht und der MuhSeligkeit seiner Heimat zum Himmel aufleuchtete. Dazu sah er sich in ein ganzes Gewebe von Lügen und Flunkereien verstrickt, und Gott mochte wissen, wie er mit guter Art aus dem Wald wieder herauskam.Vorderhand ritt er nach der Sternseherei, um das Mädchen Christine zu berichten, daß er also schon morgen Schaffner, Der Bote Gottes [3]242 nach Wullenhausen zurück mache. Unter dem Tor ehrte ihn die Wache; er war schon ein bekannter Mann,von dem man die wunderbarsten Geschichten erzählte.In der Stadt hatte der Köter Stummel eine Rauferei nach der andern wegen seines Herrn, der auf dem Pferd droben saß, was er doch nicht begriff.

Das Mädchen Christine stand mit dem Schusterjungen unter der Haustür und sah nach der Herrschaft aus. Der Oberst hielt sein Pferd bei ihr an; der Köter Stummel lief zu ihr und stieß ihr seine Schnauze in die Hand:„Was sagst du dazu, daß er auf dem Pferd sitzt? Ich verstehe es wahrhaftig nicht. Was man alles erlebt,nicht?“„Es ischt gut, daß ich dich da treffe, Mädchen Chrischtine,“ sagte der Bote Gottes von seinem Roßbock herunter. „So brauche ich nicht abzuschteigen und in das Totenhaus hinein. Ich mag keine Totenhäuser und Toten. Und ich wollte dich fragen und dir zu Gemüt führen, daß ich morgen früh vom oberen Tor wegmache, um sieben Uhr. Pack dein Sach und schtell dich ein. Mir ischt das Wesen da in der verdammten Schtadt verleidet, und ich begreife nur gar nicht, daß du in dem meineidigen Schwindel bleiben magscht. Du bischt doch ein anschtändiges Mensch. Hier wird gelogen und geschtohlen und betrogen, daß nie keiner weiß,wenn er einen andern anschaut, welcher von beiden der größere Schpitzbub ischt. Fahre ab mit Freuden, Mädchen Chrischtine, und schtelle dich wieder bei deinem Bauern,welcher immer den Hals nach dir verdreht. Deine Herrschaft, das ischt schon die gröschte Betrübnis, die ich []weiß. Der Alte ischt, glaub' ich, ein guter Narr, und der Alteschte ein Vogelschteller, und die Frau ischt der Lockvogel, kommt mir vor, aber nicht echt. Nimm nur den Knaben da mit, denn ich glaube nicht, daß er es gut haben wird bei ihnen, und er sieht brav aus. Der Schuhmacher sitzt im Turm mit seinem Weib; ich meine, sie werden nicht wieder heraus kommen; es schpricht vieles gegen sie. Es ischt ein Elend, wie es in dem Kaiser seinem Frieden zugeht. Komme nur zeitig morgen früh.“

Er wendete seinen Gaul herum, und Stummel kam wieder gelaufen. Allein Christine war nicht der Meinung des Obersten.

„Ich habe in Wullenhausen nichts zu schaffen,“erwiderte sie düster, doch mit einem wertvollen Anschein von Festigkeit. „Wenn mich jemand haben will, so soll er mich holen.“

Der Oberst betrübte sich noch mehr.

„Dumme Kuh, er weiß ja doch nicht, wo du bischt,“sprach er ihr zu. „Wie kann er dich da holen? Du solltescht dich mit Vernunft begaben. Und jetzt ischt die Ernt' im Land; rechne selber, kann da einer einem Weibsmensch nachlaufen?“

Christine sah das ein und war auch dankbar für den Zuspruch und guten Willen, hatte aber noch zu viel Werg an der Kunkel ihres Unmutes, als daß sie in diesen Feierabend eingehen mochte. Der Oberst schaute schwermütig dem Roßbock zu, wie er mit den Ohren spielte.

„Soll ich dann einen Gruß ausrichten?“ fragte er

16*[]noch. Als keine Antwort zurückkam, ließ er den Kopf hängen und setzte den Gaul in Schritt. Unter pessimistischen Betrachtungen über die Beschaffenheit des menschlichen Herzens und Kopfes ritt er die Stadt hinauf, übersah in Gedanken seine Herberge, in die er wollte, bis er plötzlich vor dem Tor hielt, kehrte kopfschüttelnd um, überritt schier den Alten mit der Dame Luna, erwiderte mürrisch und nebenhin ihren eifrigen Gruß, und stieg endlich aufgebracht, aber zu Stummels großer Erleichterung und Freude, vor der Herberge ab.Er warf dem Knecht die Zügel zu, ließ sich ein Nachtessen auftragen, fand den Wein sauer und das Huhn zähe und verfügte sich knurrend und knätternd auf sein Zimmer, wo er ohne weiteren Aufenthalt ins Bett kroch und zu schlafen anfing.

Derweilen kamen Vater und Tochter vor der Sternseherei an, wo das Mädchen Christine aus unfrohen Grübeleien von der Treppe aufstand und ihnen eine bewölkte Stirn entgegenhob. Sie dachte daran, daß der Oberst den Alten einen Vogelfänger und die Frau einen unechten Lockvogel genannt hatte, sah sie daraufhin an und machte die unwillkommene Beobachtung,daß in ihr kein Gefühl für ihre Herrschaft gegen die wenig günstige Einschätzung aufstand. Die Dame Luna,als sie den kleinen Unglücksvogel erblickte, der ihr von der heutigen Erpedition ins Haus gehüpft war und ihr nun erwartungsvoll entgegensah, zog ein schiefes Gesicht, spannte einen Finger vor seiner Nase und versetzte ihm einen Stüber.

„So, bist du da, Schelmenfrucht?“ singsangte sie [] 245 spöttisch und ungerührt. „Du kannst im Keller schlafen,die Magd soll dir Stroh aufschütten. Und zu essen brauchst du nichts als Rübenschalen; das ist gut genug für dich. Pack dich weg da, wir wollen vorbei.“ Zu Christine sagte sie: „Du kannst uns nun die Hühnchen braten zum Nachtessen. Spute dich, wir haben Lust dazu. Für dich koche eine Hafergrütze.“

Sie meinte das mit den Rübenschalen nicht gerade wörtlich; es tat ihrem dummen Kopf und Herzen nur wohl, dem traurigen Lichtstümpfchen die Zukunft anzusagen; denn freilich dachte sie nicht daran, ihm eben ein prächtiges Leben machen zu wollen. Sie trat mit hester Laune ins Haus, freute sich über das schöne glückhafte Dasein und betrübte sich nicht einmal über den kargen Gruß des Obersten. Sie dachte, es werde ihm eine Laus über die Leber gelaufen sein; wenn die Männer Mucken hatten, so kam dabei nur ihre Dummheit heraus, sonst nichts; alle Männer waren dumm.Doch beriet sie sich immerhin mit ihrem Vater, wo das gewonnene Gut unterzubringen sei, und vergrub es in Gemeinschaft mit ihm in ihrem Strohsack. Sie speiste mit gesegnetem Appetit zu Abend der Sternseher bereitete sich auf seinem Observatorium weiterhin auf die ewige Leichtigkeit vor , und ging mit Behagen, aber allein, zu Bett, wo sie noch eine Weile wach lag, aus Gesättigtheit und Langeweile anfing leise zu singen,und sich so langsam in einen netten, unbedeutenden Schlaf hinübersang, bei dem nichts harauskam, als daß sie nachts noch weniger wert war als bei Tage.

Der kaiserliche Oberst lag schon im ersten Traum,[246]der darin bestand, daß er den Bauern Daniel und das störrische Mädchen Christine vor dem Altar ehelich zusammengab, als die vier Kavaliere unten in der gefüllten Gaststube um einen Winkeltisch herum saßen und der Beratung pflogen. Der Junker hatte seine Stiefel ausgezogen am Boden neben sich stehen und rauchte eine holländische Pfeife. Es machte, von allen Seiten gesehen, den Anschein, daß er den anderen drei zusprach und ihnen eine ruhige und mannhafte Sache auseinanderlegte. Der Lizentiat nickte gelegentlich mit dem schwarzen Kopf dazu und schien es nicht übel zufrieden zu sein; ab und zu griff er auch gedankenvoll nach dem Weinkrug und tat einen bedeutenden Zug daraus. Der Süße schlang einen Kapaun in sich hinein und knaudelte immer einmal voller Eifer sowohl des Essens als des Zuhörens ein paar Worte dazwischen; der war im Prinzip ebenfalls einverstanden.Der Leutnant guckte dem Dicken aus leichtentzündeten Augenrändern optimistisch ins Gesicht, wirbelte lächelnd seinen Schnurrbart und schwärmte dann wieder plötzlich mit seiner animierten Männchenseele hingerissen nach allen vier Weltgegenden aus; ihm wimmelte die Welt von lauter Philippinen, und es war ihm bei Gott nur recht, daß jetzt einmal mit der ersten der Anfang gemacht wurde. Der Junker sagte schließlich, wenn sie's nicht fänden, wie der Oberst gesagt habe, so wollten sie sich für die Mühewaltung etwas in die Hand legen lassen und die Jungfern wieder in ihr Nest setzen. Und wenn etwa die drüben im Futter ausschlagen sollten, was er zwar nicht glaube,[247]so seien sie ja die Kerle, es ihnen zu vertreiben, oder sie auf ihrem Besen zum Teufel zu jagen. Außerdem könne eine anderweitige Unternehmung einmal wirklich nichts schaden; im Vertrauen gesagt komme ihm der Boden hier neuerlich ziemlich warm vor; dagegen sei im Land draußen überall frische Langmut Gottes vorhanden. Kurz und gut, man solle es eben versuchen.

Diesen Worten folgte ein Schweigen von beiläufig einer halben Stunde. Der Süße schob inzwischen den Teller von sich, wischte das Maul und sagte: „Potz Gott, der Fraß kann gelten.“ Dann seufzte er,legte sich an die Wand zurück und fing einen Verdauungsschlaf an, der von ihm aufstieg wie Rauch vom Mist.

Nachher kam der unruhige Geist wieder über den Junker. Er qualmte ganze Gebirgszüge aus seiner Pfeife vor sich in die Luft. Er ging in seinen Strümpfen eine Zeitlang vor dem Tisch hin und her, wobei er mit der linken Hand die Pfeife hielt und die rechte wegen der Spannung seiner furchtbaren Oberarmmuskeln leise schlenkernd einen Schritt voraustrug. Schließlich zog er wieder seinen Stuhl unter sich. Und nach einer weiteren Pause fing er zu den beiden Wachen, diesmal in dem galgenmäßigen Rotwelsch, das das überbunte Lagerleben des langen Krieges geschaffen hatte und das von da aus das Verständigungsmittel aller Buschklepper und Strauchritter geworden war, eine zweite Rede an, die von weniger friedlichen Dingen handelte, und die zunächst verschiedene Wenn und Aber von der andern Seite gegen sich bekam.Aber er setzte wilde Zeichen auf und gab Benefizien zu,[] 248 und der Erfolg der Unterredung bestand darin, daß der Süße um Mitternacht mit ein paar Rippenstößen munter gemacht wurde, der Dicke seine Pfeife ausklopfte und die Stiefel anzog, und das Vierblatt die Wirtsstube verließ. Draußen begehrte der Süße weinerlich zu wissen, was vor sich gehen solle, und bekam zunächst undurchsichtige Redensarten an den Kopf. Er merkte nur, daß scharfe Luft wehte, und ermunterte sich. Als er sah, daß der Gang noch einmal nach der Sternseherei zielte, wußte auch er Bescheid.

Sie kamen wie gestern durch den Garten herein,fanden aber diesmal die Bänke leer und die Haustür verschlossen und sogar verrammelt. Auch die Läden waren im Erdgeschoß versichert, jedoch droben im Oberstock nicht. Da stellte sich der Dicke unter das Fenster neben der Gartenmauer, mit dem Rücken gegen das Haus, und hielt schweigend die Hände von sich. Der Süße half dem Lizentiaten, der leichter war als er und schon die Schuhe ausgezogen hatte, auf die Schultern des Dicken, und der Leutnant kletterte, ebenfalls barfuß, am Lizentiaten hinauf, um von dessen Achsel durch das Fenster, das in den oberen Korridor ging,wie ein Fisch ins Haus zu schlüpfen. Bald darauf erschien er unten in der geöffneten Haustür und nickte,daß alles in Ordnung sei. Der Dicke und der Süße zogen auch die Stiefeln aus, stellten sie in Reih und Glied neben die der andern an die Hauswand, und verschwanden hintereinander in der Tür. Sie waren nicht umsonst heute in der Sternseherei zu Gast gewesen und hatten das Haus gezeigt bekommen; nun kannten []sie sich trefflich aus. Leise und mit guter Weile stiegen sie die Treppe hinauf und schlichen droben den Korridor entlang. Sie standen jetzt dicht an der Tür, hinter der die Dame Luna auf ihren Geldbeuteln schlief. Endlich legte der Süße die Hand auf den Drücker und begann langsam zu öffnen; er konnte das am besten, ohne daß die Falle klinkte und die Angel knarrte; er hatte so eine weiche, geschmierte Schlendrianshand. Als die Tür offen und abermals eine Weile gelauscht worden war, machte der Dicke sich auf und fing an ins Zimmer zu schleichen; er hatte den elastischsten Schritt; der Süße tappte wie ein Nasenbär, und die andern beiden hatten Ladestöcke in den Beinen. Die Dame Luna schnarchte ein bißchen, was äußerst beruhigend klang;auch der Schwiegervater nebenan hatte sich ein Holzscheit vorgelegt. Der Junker kam an das Bett der Dame Luna, guckte durch die Dunkelheit zu, wie sie lag,und stieß sie familiär in die Seite.

„He, du, Töchterchen, wach mal auf, hörst du?Mach deine Auglein klar; ich muß dich etwas fragen.“

Das leise Schnarchen hörte auf; nur das Sägewerk des Alten lief weiter. Im Bett regte es sich.

„Was ist? Wer ist da?“

„Ich, der Vater,“ fistelte der gewaltige Kavalier mit der dünnen Stimme des Alten. „Denk' mal, gerade wache ich auf und will mich besinnen. Da hab' ich dir doch mein Seel vergessen, wo wir das Geld von den Bummelanten hingesteckt haben, weißt du, vom Würfelspiel. Wo zum Henker ist's nur auch, he?“

„So ein Schafskopf,“ klagte die Dame Luna. „Du []bist doch wahrhaftig nachgerade zu nichts mehr nütze,als die Menschen um die Ruhe zu bringen. Wo sollen wir's hin haben? Ich liege halt drauf.“

„He, he,“ krächzte der Junker. „Mach' keinen Spaß,Töchterchen, und sei auch nicht böse. Wenn der Mensch alt wird, so verliert er manches. Jetzt sag' im Ernst,wo hast du's hin, damit ich's wieder weiß.“

„So soll dich das Zipperlein plagen, damit du in deinem Bett bleibst,“ schalt sie. „Ich sage dir's ja,daß ich darauf liege. Pack' dich jetzt.“

„Mordsweibchen, wie bist du so nichtsnutzig,“brummte der Dicke mißbilligend. Aber da hätte sie schon eine Hand auf dem Mund, die sich kein bißchen alt und gebrechlich anfühlte, als sie danach griff, sondern warm und sehr kräftig. Dann kamen dunkle Kerle über sie, und sie wurde in ihre Bettdecke verpackt wie eine Kalbsroulade. Sie wußte in ihrem Kindskopf noch gar nicht, wie ihr geschah, da war sie schon eine erledigte Sache. Und die beiden Beutel hingen im Gürtel des Junkers Rolandus.

„Haltet Euch nur nicht mit Rechnen auf, schönste Dame Luna,“ sagte er und neigte sich über sie: „Ihr müßt doch gewöhnt sein, still zu liegen. Zudem habt Ihr's heute lind und warm, und lange nicht so ungesund, wie die letzte Nacht im Garten. Schlaft wohl bis zum Morgen, holdes Unkraut.“

Das war der Anfang. Den Schwiegervater weckte man nicht erst lange; man stopfte ihm frischweg die Mühle mit seinen eigenen Strümpfen und ließ ihm auch alles übrige zukommen, ohne ihn darum zu be[] 251 grüßen. Man band ihm die Extremitäten zusammen,warf flüchtig die Decke über ihn, und wandte sich mit der Unternehmung dem Sternseher zu. Vom Garten aus hatte man Licht bemerkt im Observatorium; so wußte man, wo er zu suchen sei. Aber immerhin knarrte die Treppe. Da öffnete er selber die Türe und kam sehen, was gespielt werden solle, war mit seiner Vergeistigung auch schon so weit vorgeschritten, daß er nicht eine Spur erschrak, sondern lächelnd die Hände hob und ihnen entgegentrat.

„Ganz recht, auf dem hölzernen Weg müßt ihr kommen, Geister der Schwere und der gewöhnlichen Absicht,“ sprach er sie an. „Ich erwartete euch durchs Fenster. Das war dumm, nicht? Aber ich weiß immerhin, woher ihr kommt und wer euch führt. Ich kenne euren Meister. Ich kenne euren Auftrag. Ihr blinzelt in meinem Licht wie die Eulen. Ich weiß, ich weiß,ihr seid sehr verlegen. Ihr dachtet, ihr wäret unwillkommen. Ihr seid willkommen; das ist mein Sieg und euer Verlust. Tritt näher, Wanst. Dich sah ich schon einmal; aber ich habe vergessen, wo oder wann. Ich habe mit dir geredet. Bist du nicht der Ritter vom schwachen Geist und schweren Leibe? Ich habe dir meinen Namen ins Fleisch gebrannt. Sprach ich nicht zu dir, in einem Monat werdest du an meiner Hand gehen? Mein zehrender Stern ist über dir. Wahrlich, in einem Monat wird es sich erfüllen. Aber hinter dir steht es schwarz und unbelehrbar. über den hat der Geist keine Gewalt. Er ist das inkarnierte Prinzip der Finsternis, die aus dem hintern Angesicht der Weis[] 252 heit kommt. Doch er ahnt es nicht und meint, er sei das wahre Licht. Ich sehe auch die Finsternis, die aus dem Bauche wächst. O du Liebe der Erde und des fetten Daseins, von deinen Lenden werden kommen die Kinder des Lichtes und der Leichtigkeit, aber du wirst dich schütteln über ihnen und deine Ohren verstopfen vor ihrem Gesang. Und wirst zu dem Schnurrbart sprechen: ‚Sträube dich!‘ und zu dem schwarzen Bart:Flattere!“ Und du junger Schnurrbart mit der wackern roten Wange, der du so mutig auf deinen Füßen dastehst, du bist dazu aufbewahrt, daß du deine Ohren zwischen Knie steckst und nicht mehr heraus bringst.Du wirst um dich schlagen und bald erlahmen, und wirst viele Gesichter lachen machen. So spreche ich und will es bewähren. Ich weissage und niemand soll es glauben, sondern es wird geschehen und treffen.“

Soweit war der alte Herr gekommen mit seiner Prophetie, als der Junker, dem es wieder kalt den Rücken hinunterlief vor diesem fatalen Theoretiker,fand, es sei Zeit, daß man gegen seine Zeichen aufkomme, bevor sie anfingen und sich einem wieder zwischen die guten Stunden mengten. Er stieg schnell und mit Kraft die Treppe vollends hinauf, schob ihn ins Zimmer hinein, zog die Tür davor zu, drehte den Schlüssel um und wandte sich aufatmend gegen seine Gesellen, denen er sagte, daß das Geschäft für diesmal und hier erledigt sei. Er verzichtete auf das schöne Messing an den Instrumenten. Sie stiegen miteinander die Treppen hinunter und verließen das Haus durch die bequemere Vordertür, nachdem sie im Garten []

wieder zu ihren Schuhen gekommen waren. Sie ver⸗

wieder zu ihren Schuhen gekommen waren. Sie verschlossen die Haustüren und nahmen die Schlüssel an sich. Auf der Straße händigte der Junker den Dreien die zwei Beutel aus; das war das Benefizium. Sie teilten es sogleich unter sich. Darauf schritten sie entschlossen die Stadt hinauf in der Richtung nach dem Stockhaus.

X Lizentiat und der Leutnant gingen direkt darauf zu, während sich der Dicke mit dem Süßen seitwärts drückte. Im Stockhaus lag das Schustersehepaar, auf das der zweite Teil der Exrpedition zielte.Man wußte, daß der Stockmeister drei, vier ledige Stadtsoldaten bei sich im Quartier liegen hatte; die mußten zuerst heraus. So fingen die beiden an, Lärm zu schlagen an der Tür, und als der Stockmeister seinen Kopf mit der Schlafmütze aus dem Fenster streckte,riefen sie atemlos hinauf, er solle doch einmal schnell mit seinen Soldaten kommen, die bei ihm lägen;drunten in der Stadt gehe man eben damit um, die Sternseherei zum zweitenmal auszurauben, und die Dame Luna sei vielleicht schon massakriert, aus Rache wegen des gefangenen Schusters. Wenn man eile, so könne man nun die ganze übrige Brüderschaft aufheben und Ruhm davon haben.

Als der Stockmeister diesen Bescheid hatte, sagte er munter: „Wir wollen sie sogleich am Kragen holen,“[] 254 und verschwand mit seiner Schlafmütze ins Haus hinnein wie verschluckt. Nach einer Weile trat er aus dem Tor mit jungen und alten Jünglingen, die mit schlafenden Händen an ihren Uniformknöpfen fingerten und die Säbelriemen aus den Mäulern hängen hatten, statt um die Bäuche gebunden. Und einer schleppte mit Getöse sein Schießgewehr kolbennach zwischen den Knien die Staffel herunter, während er sich den Gurt um das offene Wams seilte. Trotzdem ging es von der Stelle mit den Wackeren; sie entschwanden im jägermäßigen Schleichsprung, und die Straße wurde wieder still hinter ihnen. Dafür trat der Junker mit dem Magister auf den Plan und bekam ziemlich glatte Arbeit. Er lärmte die Stockmeisterin ans Fenster, und als die heraus sah, hatte er den Süßen am Genick und sagte, der Stockmeister schicke ihn; da sei schon einer von den Galgenvögeln. Es erschienen bereits weitere Schlafmützen in den Fenstern der Nachbarschaft; man mußte munter sein. Die Tür ging auf; der Dicke nahm dem Weib das Licht aus der Hand und versicherte sich ihrer; der Süße schloß die Tür und schob den Riegel vor. Und dann war die Befreiung der Schustersleute nur noch eine Frage der Zeit. Das Weib führte und brauchte die Schlüssel,wie man's haben wollte. Aber als die letzte Tür aufging und der Junker die Schusterin erschreckt und schlafunsicher in ihren Ketten vom Stroh aufrasseln hörte und sah, griff er sich an die Kehle und guckte teufelsmäßig um sich, ob nicht jemand zur Stelle sei, den er dafür zusammenhauen könne. Dann schluckte er ein [] 255 paarmal, und kam endlich mit dem entsprechenden Fluch zu Passe. Die Schusterin wußte immer noch nichts; sie stand aufrecht und mit Haltung da und erwartete gefaßt das Kommende, das sie sich trübsinnig und bitter vorstellte, wie denn auch der Schuster erbärmlich auf den Knien hockte und sein Leben verloren gab. Die Stockmeisterin schloß die Kettenschlösser auf,und der Junker faßte die Schusterin mit Zartheit an der Hand.

„Ihr seid frei, gute Frau,“ sagte er und hatte schon wieder seinen leichten Weltmannston gefunden. „Ihr dürft Euch wieder des Lebens freuen, weil Euch ein Kavalier liebt. Vielleicht wißt Ihr gar nicht, was Ihr wert seid; aber der Kavalier weiß es. Denkt ihm bei Gelegenheit auch einmal ein bißchen daran, daß er für Euch etwas gewagt hat. Kommt, Frau; kommt,Schuster; eure Sicherheit ist noch nicht fertig; wir wollen sie jetzt vollenden.“

Das geschah dadurch, daß die Stockmeisterin den Weg zur Hinterpforte zeigen mußte, aus der der Süße mit den Schustersleuten das Freie gewann, und darauf dem Junker den zum vorderen Ausgang. Als er ihn gewiß hatte, legte er das Weib stumm wie vorhin den Schwiegervater, trat vor allen Augen allein aus dem Haus, schloß zu und machte sich unter Mitnahme des Schlüssels die Gasse hinauf davon, worauf er hinter der Kirche mit den drei Flüchtlingen zusammenstieß.

Indessen hatten die andern beiden Kumpane die Braven vor die verschlossene Sternseherei gestellt und sich anerboten, den Halunken drinnen von der Nachbargasse aus in [] 256 den Rücken zu fallen. Der Stockmeister gesellte ihnen noch einen jungen Soldaten bei, der bei der ganzen Affäre am schlechtesten fuhr, denn kaum war er mit den gefährlichen Brüdern in der Gasse, so bekam er vom Lizentiaten eine Nuß ungeknackt auf den lieben Hirnkasten, die ihm das Denken für lange Zeit verleidete. Darauf schlugen sie sich nach dem oberen Tor und spielten dort dem Wächter, mit dem der Hund Stummel bereits Bekanntschaft gemacht hatte, auf ähnliche Weise auf, wie vorhin dem Stockmeister, nur daß der mit einem schwereren Tritt die Treppe herunter kam und sich drunten sogleich an ihnen verbiß. Er schlief nur bei Tag, während jeder für sich selber wachte;nachts war mit ihm nicht zu spaßen. Die Brüder merkten,daß durch diesen alten Dachs der ganze Handel noch in Frage kommen konnte, und zogen blank. Der Alte säumte sich auch nicht und wischte dem Lizentiaten eine Quart über den Kopf, die dieser eben noch parierte. Er parierte die zweite und führte die dritte selber, die zwar an sich nichts ausrichtete, aber dem Leutnant Zeit gab,einen guten Stich anzusetzen. Der alte Schnauzbart sank lautlos zusammen wie ein Sack und machte sofort ein Ende. Eben kam die andere Gesellschaft um die Ecke und sah ungern, was geschafft war. Man nahm dem Toten die Schlüssel ab und schloß die kleine Torpforte auf, durch die alle ins Feld traten, mit Ausnahme des Junkers, der sich weigerte, die Stadt zu verlassen. Die andern wunderten sich höchlich, machten ihm Vorstellungen wegen der Gefahr und fingen vor Angst und Unbegreiflichkeit an zu schimpfen. Aber er erwiderte,[]er habe Gründe; sie sollten sich jetzt nur auf den Weg machen und ihm auf die Schusterin gut aufpassen,daß ihr nichts abgehe; übrigens wachse auf allen Bäumen Laub und Wiedersehen; wenn seine Zeit erfüllt sei,werde er sich in Wullenhausen einstellen. Mit diesem Bescheid drückte er die Pforte ins Schloß, riegelte und hing dem toten Wächter die Schlüssel wieder an den Gürtel. Darauf schritt er unterm letzten Mondviertel ohne Hast die Straße hinunter seiner Herberge zu und wußte nun nicht, wie ihm eigentlich zumute war. Von außen gesehen, so trug er die Stirn in leichten Falten,aber die Augen darunter blickten heller, als den ganzen Tag, und wenn man dem leisen Schlenkern der vorausgetragenen weißen Weltmannshände glauben wollte, so war seine Sorglosigkeit eine runde und sichere Sache;daß sie unsichtbare Ketten trugen, von einem sympathetischen Zwang angelegt, konnte man nicht obenhin sehen. Die persönliche Freiheit des Junkers Rolandus stellte eine Lottonummer da, die bereits von ihrem Besitzer berechnet war und nun vor dem Ereignis stand,gezogen zu werden.

In der Herberge warf sich der Junker angekleidet auf sein Bett und schlief bis gegen morgens sieben Uhr.Dann stand er auf und wusch sich. Als er aus dem Haus trat, merkte er sofort am Gewimmel auf der Straße, daß die Geschichten der Nacht in Umlauf waren und alles denkbare Aufsehen erregten. Folgendes wußte man: in die Sternseherei war zum zweitenmal eingebrochen und die Leute geknebelt worden; der Vater des Sternsehers lag schon einen Tag tot, und man Schaffner, Der Bote Gottes

27 [258]hatte es verschwiegen und gestern sogar noch in Gesellschaft der vier dunklen Brüder und des kaiserlichen Obersten die Dinkelswiese besucht. Den Stockmeister hatte man nach der Sternseherei gelockt, dort einen Soldaten niedergeschlagen, und derweil die Schustersleute aus dem Stockhaus befreit und das Weib des Stockmeisters geknebelt; und schließlich war der Wächter am oberen Tor zusammengestochen worden. Wahrscheinlich hatte die ganze Bande durch das Tor das Freie gewonnen. So ein ausgedehntes, geheimnisvolles,langatmiges und gesegnetes Nachtstück war noch nie erlebt worden, und gleichfalls noch nie ein so kurzweiliger und helläugiger Montagmorgen. Vor dem oberen Tor standen sich die Bürger auf den Füßen und hatten Maulaffen feil wie auf der Messe. Aber unter dem Tor hielt der Bote Gottes auf seinem schwarzen Roßbock zwischen einem sonderbaren Geläute von Säcken und Säckchen mit Sämereien, die er für sein Dorf eingekauft hatte und die nun üppig lächelnd zu beiden Seiten des Sattels herunterhingen. Auf der Torbank aufgereiht saßen die vier Burgfräulein, jede mit einem Bündelchen auf dem Schoß; und der gute Hund Stummel paßte auf das Ganze auf. Der Junker schaffte sich mit Mühe Platz durch den Schwarm und trat zum Obersten. Der nickte ihm vom Sättel herunter unfröhlich zu.

„Das ischt eine meineidige Geschichte mit dem Kaiser seinem Frieden,“ begrüßte er ihn. „Ich habe gute Luscht und fahre dazwischen, aber ich muß ihnen noch Zeit geben; und den Wächter wieder lebendig [259]machen kann ich doch nicht. Wo sind die andern Junker?“

Der Dicke grüßte die Fräulein und erwiderte, daß die Junker vorausgemußt hätten wegen nötiger Angelegenheiten, über die ihnen gestern noch spät Kunde zugekommen sei; im ersten Dorf jenseits der Grenze werde man auf sie stoßen. Auch er selber könne leider nicht gleich mitkommen, weil es zuvor in der Stadt noch einiges Guthaben einzuholen gebe für ihn und die andern; aber er wolle treiben, was er könne, um seinen Gesellen und den angenehmen Jungfrauen bald nachzufahren.

„Dann ischt das gut,“ sagte der Oberst und wandte sich an die Fräuleins: „So werden wir heute allein aus dem Tor marschieren. Das erschte Dorf nach der Grenze ischt Taurenschtein; ich kenne es. Ich denke,wir wollen abgehen.“

In dem Augenblick erklangen Trompeten aus der Stadt die Straße herauf, und der Landesherr kam an der Spitze einer kleinen Reiterschar auf seiner Schecke des Wegs geritten. Das Volk summte wie ein Bienenschwarm. Der Fürst rief mit heller Stimme drüberhin, die Bürger sollten nach Hause gehen und sich an ihre Arbeit machen; das da sei ein Exempel für seine Gerichte und kein Fressen für Maulaffen. Indem erklangen auch vor dem Tor Trompetenstöße, und der Fürst setzte seine Kavalkade in Bewegung, so gut es ging durch den wimmelnden Käse. Der andere Zug erreichte vor ihm das Tor. Da wurde die Durchlaucht ärgerlich und fing an mit der Reitpeitsche ein wenig 72*[] 260 unter die Dickköpfe auszufahren, worauf er in kurzer Zeit eine Gasse bekam und nun auch endlich seine Gäste empfangen konnte, drei kaiserliche Räte, die das Land bereisten, um sich für die Majestät in Wien über den Stand des Religionsfriedens zu unterrichten, mit einem Panierträger, einem Trompeter und etlichen zwanzig Reitern im Gefolg, die ein Hauptmann führte.

Der Bote Gottes an der Spitze seiner Jungfernschaft hatte sich vor dem augenfälligen Auftritt still beiseite gestellt, während der Köter Stummel ihn erregt anschrie. Als die Räte durch das Tor hindurch waren,brachte er seinen Roßbock auch in Gang und ritt nun seinerseits in umgekehrter Richtung mit leicht gesenktem Kopf und bescheiden lächelnd den Jungfrauen voran in den offenen Morgen hinaus, von niemand bemerkt,als mit einem flüchtigen Blick vom Auge des Fürsten,der sich einen Moment über den Aufzug wunderte und ihn vergaß.

Nach einer halben Meile drehte sich der Oberst auf seinem Pferderücken nach den Jungfrauen um.

„Sie sind an mir vorbei geritten und haben mein Inkognito nicht erkannt,“ sagte er und lachte ein wenig mit seinem dreieckigen Schweizermaul. „Nämlich weil ich das Kinn eingezogen hab'. Es ischt ganz gut so.Sie machen den Aufwand und ich besorge den Frieden.Wenn ich mit ihnen reiste, so käme ich zu nichts.“

Er strich seinen Schnurrbart, wandte das Gesicht wieder geradeaus und versank von neuem in das bescheidene und verzeihende Lächeln der wahren Größe.

Auch den Junker Rolandus traf das Auge des []

— 261

261 Fürsten an diesem Tag noch einmal, als am Nachmittag die Stadtknechte mit seiner Person im Verhaft an einer Kreuzung auf den offiziellen landesherrlichkaiserlichen Umzug stießen und sich herumschwenkten,um diesen vorbei zu lassen. Die Glocken läuteten und die Böller krachten. Der Stadtbürgermeister schritt in großer Gala einher mit den Ratsherren hinter sich.Und die bunten Zünfte waren bis auf den letzten Mann aufgeboten und mobil. Der Fürst erinnerte sich blitzartig, den dicken Schelm schon einmal gesehen zu haben,verlor ihn aber aus der Aufmerksamkeit, wie vorhin das Züglein vor dem Tor, und jedes Wässerchen floß weiter seinem Tümpel zu.

Gegen Abend wurde der Sternseher mit dem Schwiegervater und der Dame Luna den gleichen Weg gebracht, unter dem christlichen Hallo des Volkes, das wieder einmal ein Hexenfeuer aufglimmen sah.

N der zweiten Meile gerittenen Weges hatte der Oberst einen Einfall. Er kletterte von seinem Roßbock herunter und sagte zur Jungfrau Cordelia, sie solle nun einmal eine Strecke reiten. Sie sah ein,daß es ihr zukam und stieg mit ihrem Bündelchen unter seiner Hilfe in den Sattel, worin sie ganz gut saß und sofort wacker zuritt; und der Oberst lief zufrieden nebenher. Nachher ritten auch die andern Fräulein, mit Ausnahme der kleinen Margareta, die [] 262 lieber zu Fuß ging; sie war auch die leichteste von allen. Die sechste Meile ritt der Oberst wieder selber,und so kam man gegen Abend an das einsame Haus an der Landstraße, in dem die beiden Dummerjahne wohnten, die sich nicht kriegen und nicht lassen konnten.

Sie hatten die drei Tage dazu benützt, sich wegen der Heirat, die ihnen vom Schweizer vorgeschlagen war, und wegen des Vortritts dabei so gründlich im Haus herumzuprügeln, daß nun keiner von beiden mehr auf seinen Füßen stehen konnte vor Elend und Schwäche; sie hatten über dem dringenden Geschäft sogar das Essen versäumt. Sie lagen nebeneinander zwischen Ofen und Tisch auf dem Boden, zankten sich krächzend weiter, fluchten, beteten, schworen und weinten,und wischten sich immer einmal liegenderweise noch einen lahmen Nasenstüber aus.

Die Jungfrauen entsetzten sich sehr über den unsinnigen und blutrünstigen Anblick, nur die Seniorin Cordelia nicht, weil sie ein festes Herz besaß und von ihrem Vater aus schon mehr zerschlagene Bauern gesehen hatte. Der gute Hund Stummel merkte, daß hier etwas übel stand, und winselte. Der Oberst trat mit einer Anrede auf.

„Dieses ischt mir jetzt ein meineidiges Anschauen mit euch, muß ich sagen. Warum lieget ihr hier und betet und faschtet und schlaget euch die Nasen breit?Ischt denn ein Verstand bei dieser Kurzweil? Ich möchte es gerne wissen.“

Jochen richtete sich auf dem Ellenbogen hoch und guckte, wer denn da rede.[]„Du, Hans,“ sagte er dann zu seinem Bruder,„da ist der Herr Spitzbube wieder, der zum Kaiser um sein Urteil gemußt hat. Ich glaube, er ist dort gewesen und hat jetzt auch unseres, nämlich wer von uns das Weibsbild sein soll und wer der Mann.Aber das will ich gleich sagen: bekomme ich den Besen in die Hand, dann sollst du nichts zu lachen haben,denn ich lasse mich einmal nicht in den Regen schicken von dir. Ich gehe nicht aus dem Hüttchen, darauf kannst du dich sterben legen.“

Hans erwiderte schwach:

„Hättest du dich doch nur gleich aufgehängt, wie du wolltest, so hinge ich jetzt vor dir und streckte dir die Zunge heraus; das sollte mir gut tun. Laß jetzt den Kaiser gesagt haben, was er gesagt haben mag. Ich sage nur: hat er gesagt, ich soll die Betten schütteln und Brei kochen, so ist mir das ganz recht; dann bleib'ich im Haus und behalte das Dach über dem Kopf.Sonst sag' ich nichts.“

Darüber mußte sich Jochen sehr aufregen. Es war doch zum Teufelholen, was Hans für ein schlauer und geriebener Schubiack war; man konnte nicht genug aufpassen auf ihn. Er wischte ihm zur Sicherheit eine Maulschelle, suchte nach Worten, drehte sich mit Schultern und Fersen herum und versetzte ihm auch noch zwei, drei müde Fußtritte. Darauf brachte er sich wieder in die parallele Lage mit ihm, und hatte nun die Antwort.

„O du gottloser Höllenhund, wie bist du doch so abgefeimt mit deinen Listen in deinem spitzen Kopf.[] 264 Willst du jetzt ganz gewiß die Betten schütteln und Brei kochen? Schaut mal an das wilde Schwein, es will die Betten schütteln und Brei kochen. Aber ich sage dir, du sollst der Bauer sein. Seht, Junker, das Vieh im Stall kann mich nämlich gar nicht ausstehen;es geht mit den Hörnern auf mich los, weil ich einen schlechten Geruch an mir habe; aber ihm lecken unsere Kühe die Schnauze die Kreuz und die Quer, wie kann er da die Betten schütteln und Brei kochen? Hans, du Knecht des schwarzen Teufels, ich muß dir verkündigen:wenn ich sehe, daß du den Kochlöffel anrührst, so gehe ich hin und hänge mich auf. Der Kochlöffel steht mir zu, wie du sogleich hören wirst. Junker, redet jetzt nur.“„Ja, redet jetzt,“ forderte auch Hans. „Aber zuerst muß ich diesem eigensinnigen und unfreundlichen Hund,welches mein Bruder ist, noch einen Bock zwischen die Rippen stellen.“ Er tat es und Jochen hustete erbärmlich danach. „Ich habe ihm gewiß schon tausend Böcke zwischen die Rippen gestellt; aber glaubt Ihr,daß er sich zur Gerechtigkeit bekehrt?“

Er sank stöhnend vor Müdigkeit zurück; aber Jochen ließ sich nicht verwirren.

„Gotts Tod, seht ihn nur an, Junker,“ erwiderte er und hustete, „so merkt Ihr gleich, wo das ungerechte Leiden sitzt. Ich hab' ihm das Maul zu einem alten Schuh vergerbt, und er kann nicht aufhören mit Fortbabbeln uud Zanken, weil er mich aus dem Hüttchen treiben will; aber ich will mich lieber aufhängen,als daß ich ihm die Türklinke allein in die Hand gebe.[] 205 Redet jetzt, Junker. Du wirst gleich sehen, Hans, daß der Kaiser ein kluger und gerechter Herr ist. Ich hoffe stark auf den Kaiser, Junker.“

„Ich auch, Junker,“ sagte Hans. „Ich hoffe auch stark auf den Kaiser. Der Kaiser muß Recht schaffen zwischen uns, denn er ist ein großer Herr und dafür bezahlt; auch hat er Einsicht und ist nicht so ein tolles Rindvieh wie du, Jochen. Redet nur, Junker.“

Der Oberst kehrte sich zu seinen Jungfrauen.

„Setzet euch hierher an den Tisch, Fräuleins; ich muß jetzt den Männern des Kaisers Willen verkündigen,“ordnete er an. Die Jungfern setzten sich; sie waren wegmüde. Der Schweizer trat mit Ansehen vor die merkwürdigen Prügeljungen.

„Ihr geberdet euch in dem Kaiser seinem Frieden wie die unbändigen Wölfe und seid wert, daß man mit euch die Schtraßen pflaschtert und mit Wagen über euch fahrt,“ hob er mit einem schönen, ehrlichen Kulturzorn zu predigen an.

„Hörst du, Jochen? Das geht auf dich, du bockiger Esel!“ rief Hans und richtete sich interessiert auf, soweit es ihm möglich war.

„Nein, das geht auf dich geradeso,“ berichtete ihn der Bote Gottes. „Ihr seid beide gleich unsinnig.Und wenn es möglich wäre, daß einer noch dümmer wäre als ihr, so könnte er sich nicht mehr zusammenXDD Dummheit.“

„Ja, Herr, sagt's dem wilden Schwein nur recht,“ermunterte der Knabe Jochen den kaiserlichen Gesandten,und blinzelte schon vor Zufriedenheit über den nächsten [] 2660 Schlegel, der dem andern sofort an den Kopf fliegen mußte. „Es ist auch meine Meinung, daß er noch auseinander fallen wird, aber nicht vor Dummheit, wie Ihr da sagt, sondern vor Schlechtigkeit. Ihr müßt ihn über seine Schlechtigkeit strafen, Herr, sonst kriegt er keinen Respekt vor dem Kaiser, denn er ist sehr schlecht.“

Hans hatte sich enttäuscht und betrübt wieder sinken lassen.

„Herr,“ sagte er müde: „Hört nicht auf ihn; er spricht wie die Kuh mit dem Schwanz: es ist nie kein Verstand und kein Christentum dabei. Verkündet uns in Gottes Namen den Spruch des Kaisers, aber heißt ihn still sein mit seinem Haß und Zorn; es geschieht mir leid damit, denn ich bin doch sein Bruder und habe das zartere Gemüt.“

Jochen regte sich wieder auf, aber der Oberst brachte nun Autorität zutage.

„Haltet das Maul, wenn ich rede,“ schrie er sie an.„Ihr seid hoffärtig und voll Gift, und solltet demütig sein. Ihr habt dem Kaiser seinen Frieden nicht gehalten,und der Kaiser ischt fuchssteufelswild. Ihr habt euch eine Suppe eingebrockt, und der Kaiser hat euch ein Salz hineingeschmissen; jetzt kommt die Reihe wieder an euch, nämlich mit ausfressen. Wenn ich gewußt hätte, daß ihr das Ding so heidnisch betreiben werdet,so hätte ich euch mein Seel sitzen lassen in eures Herzens Viecherei. Jetzt habe ich für euch geredet und ärgere mich meineidig darüber; aber ich kann's euch noch heiß genug vorsetzen. Schteht auf. Einem Kaiser seinen Schpruch hört man nicht an und liegt auf der [] 267 Bärenhaut. Schteht auf, sag ich, sonscht werde ich fuchtig.“ Er schlug mit der Faust an den Säbelgriff,und die eingedonnerten Lümmel fingen verschüchtert und seufzend an, sich vom Boden zusammenzulesen. Sie wären für das schönste Glas Bier jetzt nicht aufgestanden,aber die Furcht Gottes bewirkte es ihnen in Zeit von drei Vaterunsern; ihre Seufzer und Notblaser waren reichlich dreißig wert. Sie wollten sich gleich auf die Ofenbank setzen, jedoch der Oberst gewann Größe in seinem Zorn. Hatten sie sich lahm geschlagen und schrien nach dem Kaiser, so sollte ihnen auch nichts vorenthalten werden vom Gerichtsgang. Nun hingen sie da in ihrem eigenen Elend wie in Kleiderstöcken vor ihm und warteten auf das Recht des Kaisers, und der Schweizer verkündete es ihnen.

„Ihr Knüppelköpfe und schauderhafte Narren habt Verrücktheiten getrieben miteinander im Tag des Kaisers,von dem er gesagt und offenbart hat: ich gebe ihn euch mit Frieden, und ihr sollt ihn nehmen und wohl anwenden, daß es bald wieder Freude gibt im deutschen Land nach der langen Traurigkeit. Der Kaiser will,daß man gute Werke tue im Namen Gottes zur Wohlfahrt von dem Volke, aber ihr schlagt einander die Köpfe blutig und verbreitet Unverschtand. Darum so will der Kaiser, daß man euch zuerscht eine Nacht in den Sauschtall schperrt, damit, daß ihr merket, was der Unterschied ischt zwischen einem Menschen und einem unvernünftigen Vieh. Sodann schämt ihr euch vielleicht die Läus' vom Kopf, aber das ischt nur gut und noch lang nicht alles, sondern ihr seid miteinander verbannt [268]von diesem Haus und Land, auf daß ihr vielleicht einsehet, wie ihr dagegen gesündigt habet. Ihr müßt euer Gut auf einen Wagen laden, die Hütte zuschließen,bevor sie einfällt und euch totschlägt, und mit mir gehen an einen Ort, der abgebrannt ischt von dem Kriege und ganz leer, und müsset mir helfen vieles wieder aufbauen, weil es der Kaiser so geordnet hat. Ihr müßt zwei Jahre und einen Tag für den Kaiser und das Land schaffen, sonscht kommt ihr unter die Soldaten und müsset gegen die Türken ziehen; die werden euch dann ganz anderes Wasser in die Augen treiben. Aber wenn ihr euch im Dorf gut haltet, so will euch der Kaiser noch einen kleinen Lohn ausrichten oder Weiber geben, die euch etwas zubringen, damit ihr ihm fruchtbar werdet. Das ischt sein Schpruch und Wille über euch Händelkaiben, und ihr könnet mein Seel froh sein,daß es so gut abgelaufen ischt; im sächsischen, wo ein viel schärferer Kommissar ischt, hat es schon ganz andere Donnerwetter gesetzt. Aber ich werde mich auch mit mehrerer Zornmütigkeit versehen, denn es verleidet mir,mit Viechern umzuspringen. Ihr könnt euch jetzt da hinsetzen. Habt ihr etwas zu fragen?“

Die Lümmel ließen ihre traurigen Figuren schwer auf die Ofenbank niederfallen und saßen sofort fest darauf wie volle Säcke. Das Gewitter war ihnen ganz verwünscht in die Knochen gefahren, und sie merkten nun wohl, was es mit der Hoheit und Majestät eines Kaisers auf sich hat. Sie fühlten sich von dem Urteil so geradeaus und unwidersprechlich am Magen gepackt und in ihren ungerechten Neidhartsherzen getroffen, daß [] 269 die Wirkung, die davon in ihren Köpfen vor sich ging,völlig der Erschütterung vor einer direkten göttlichen Offenbarung des Rechtes gleichkam. Hans, der mit seinem Intellekt gerade noch an diese Lichtgrenze streifte,erfuhr auch die stärkere Blendung, während der Knabe Jochen sich einfach vor der erkannten höheren Macht ergab und die Ausführung des kaiserlichen Spruches vor Augen nahm. Dabei stieß er auf die Kühe.

„Ha ja, zu fragen wäre da schon etwas,“ brachte er nach tiefem überlegen vor. „Wir haben also zwei Stück Vieh; was soll damit sein jetzt?“

Der Oberst war dabei, seinen Säbel abzuschnallen,und wollte den Jungfrauen eben Order geben für das Nachtessen. Er wandte sich erstaunt dem Frager zu.

„Du wirscht wahrhaftig sehen, daß damit großer Nutzen geschehen wird in dem abgebrannten Dorf, wo keine einzige Kuh schteht bei einem Bauern mit elf Kindern. Ihr habt keine Kinder, sondern nur zwei Bäuch. Ischt da groß etwas zu fragen? Ich glaube einmal nicht.“

Jochen riß die Augen auf und erhob eine Hand,was bei ihm eine Gebärde von unbegreiflicher Wichtigkeit und Dringlichkeit ergab. Dazu schüttelte er den Kopf.„Doch, ich glaube das schon, Junker,“ protestierte er. „Unsere Kühe gehören uns; die kann uns der Kaiser nicht aberkennen, und der Papst auch nicht. Wir wollen in den Saustall kriechen, das kann uns der Kaiser heißen; wir müssen auch mit in das verbrannte Dorf kommen, weil es die Strafe ist. Aber an die []Kühe darf er uns nicht tasten, das gäbe keine Gerechtigkeit. Sonst wäre mir der Schwede gerade so lieb wie der Kaiser.“

Der Schweizer stutzte und dachte nach. Der Kerl hatte recht. Er hatte sogar vollständig recht. Man konnte ihn zum Beispiel Baumwanzen fressen heißen zur Buße; das tat er; es ging seiner Persönlichkeit nicht nahe; aber an die Kühe durfte man ihm nicht tasten;da fing sozusagen seine Heiligkeit an. Er wurde ganz verwirrt und schämte sich heftig.

„Du Hornbock, wer sagt dir denn,“ erwiderte er hastig: „Wer sagt dir denn Was du dir da einbildescht! Der Kaiser kümmert sich den Teufel um deine dreckigen Kühe, kannscht du mir glauben. Nämlich sie werden euch abgekauft natürlich. Ich kann mich bei Gott giften über so ein dummes Untertanengeschwätz. Wollt ihr mein Pferd haben für die Küh?Ischt ein braves Tier. Hab alles Geld ausgegeben für Anwerbungen und Gerät und muß warten, bis neues kommt von Wien. Wollt ihr das Pferd? Küh sind mir wichtiger.“

Auf einmal lachten sie beide über das ganze Gesicht wie unter einer Sonne. Einen Gaul? Ha, ja! Sie hatten ihrer Lebtage noch kein so rares Tier gehabt.Brauchten nicht mehr zu melken und zu grasen, und konnten nach Feierabend darauf spazieren reiten.

„Magst du, Hans? Ha, also. Ja, Herr, wir wollen schon. Ist wahrhaftig ein vornehmer Tausch. Hat's aber auch nicht den Dampf oder den Spat?“

„Darfscht es anschauen. Ischt mein Seel ein Pferd,[271]das den Kaiser tragen kann. Aber ich will noch darauf reiten, bis wir nach Wullenhausen kommen, und dann wenn ich auf Visitationen aus muß. Ihr bekommt ja doch nur Schtreit, wer zuerscht hinauf soll. Ich will's euch bewahren und in Gang halten.“

Sie guckten betrübt und geschlagen vor sich auf den Boden. Der Herr hatte wieder recht. Daß der andere das Pferd am Zügel nahm und darauf den Herrn spielte,das konnte natürlich keiner ausstehen. Sie sagten kleinlaut, sie seien es zufrieden, und der Oberst trieb sie nun auf, daß sie im Namen des Kaisers in den Saustall kamen. Die Jungfern machten ein Nachtessen zurecht, und die beiden Tölpel bekamen etwas davon durch das Loch geschoben. Die Kühe im Stall hatten sich klugerweise selber los- und an den Heustock gemacht; denen fehlte nichts, als daß ihnen die Milch weh tat. Davon half ihnen der Oberst, und die Jungfern halfen diesem davon. Die Rüpel mußten angeben, wo sie das Bier hatten, so floß auch für den Obersten noch ein Extrabrunnen, und männiglich kam diesen Abend mit fröhlich gespanntem Bauch zu Bett.Aber die Jungfrau Therese bekam eine schlechte Nacht,weil sie in ihre Milch hinein noch eine Kanne Rüpelbier versuchte.

Des andern Morgens um vier Uhr machte der Oberst Tagwäche. Die Kühe wurden gemolken und gefüttert, die Karre aus dem Schopf gezogen und die Betten der Rüpel samt Tisch und Bank und allem beweglichen Gerät darauf geworfen, das Vieh sodann vor die Karre gespannt, ein Eimer Bier zwischen dem [] 272 Gerümpel noch zu guter Letzt verstaut, darauf die baufällige Hütte im Namen des Kaisers abgeschlossen, und die Tagereise angetreten. Der Oberst ritt auf seinem Roßbock voran, die vier Jungfern folgten, und die beiden Rüpel hinkten mit den Kühen an den Halftern hinterher, jeder mit einer, daß keiner zu kurz kam. übrigens verloren sie nicht viel bei dem Handel.Die Hütte konnte wirklich jeden Tag in ihren eigenen Schoß zusammensinken. Gesät hatten sie nichts und verließen daher auch keine Ernte. Sie waren im besten Zug gewesen, in ihrem Neid und Bier zu ersaufen, und die Lebensverlängerung war ihnen einfach als eine unverdiente Gnade zugekommen.

Die drei Gaudiebe wurden am vorbestimmten Ort getroffen samt den Schustersleuten, über die sich der Oberst verwunderte, aber nicht lang; er wußte aus Erfahrung, wie das nachher aussieht, wenn man einen Zug gezogen hat, und ließ die Sache auf sich beruhen.Die Brüder, die immerhin einen beklommenen Tag hinter sich hatten, sahen, daß er Umstände merkte und trotzdem nichts dazu sagte, und vermehrten ihren Respekt vor der Weisheit dieser Obrigkeit, obwohl sie ihm im andern Falle reichlich zähnefletschend begegnet wären. Nach geschehener Meldung und Lügenpost wegen der Schustersleute schlugen sie sich erleichtert zu ihren Jungfern, und der Marsch ging nun mit voller Besetzung weiter. Der Oberst verfiel zwar von neuem auf die tiefe Schwermut des Daseins, aber sonst ließ sich niemand leeres Wasser im Mund zuRE [27]73 teten sich mit ihren Nasen wieder in den warmen Wind der Sympathie. Die kleine Margareta nahm sich in ihrer daher kommenden überflüssigkeit der Schusterin an, die trübe unter ihrer Muttersorge einherging, und diesmal für gute Zusprache einen guten Dank hatte.Und der Schuster entdeckte in den beiden Lümmeln Leute und sogar Männer, denen es nach allem Ansehen noch schlechter ging als ihm, und machte sich sachte zu ihnen.

„Kommt ihr auch mit uns, ihr Männer, mit eurem Vieh und Gerümpel?“ sprach er sie an mit der herablassenden Leutseligkeit des Stadtbewohners. „Ich meine, nach Wullenhausen.“

Sie guckten ihm einen Augenblick tief versonnen ins Gesicht, und nickten mit den großen Köpfen: ja,sie kämen auch mit. Drauf ließen sie die Köpfe wieder hängen.

„Das ist recht,“ ermunterte der Schuster väterlich.„Man muß es loben, wenn Leute arbeiten wollen. Wir kommen euch dafür auch helfen. Wir bringen euch das Wort Gottes, und die Lehre, und die Obrigkeit; das wird euch erst den Buckel rund machen. Was ich bin,so hab' ich nichts übrig für die schwere Arbeit; ich werde euch den Küster abgeben. Aber warum hinkt ihr denn so erbärmlich, ihr Männer, und sehet zu Boden?“

Sie hoben nacheinander wieder die Gesichter und guckten ihn mit Achtung an, weil er so genau wußte,was er wollte, und alles so behende sagen konnte. Das brachten sie zum Beispiel nicht fertig.

„Ja, Herr,“ erwiderte der Knabe Jochen: „Ja, Herr,Schaffner, Der Vote Gottes

8 [] 274 schlaft Ihr eine Nacht im Saustall mit zerschlagenen Knochen und laßt dann sehen, ob Ihr am andern Tag tanzen und singen mögt. Wir mögen das einmal nicht.“

„Das ist so oder so,“ erwog der Schuster. „Aber warum habt ihr denn im Saustall geschlafen?“

Jochen sah weinerlich aus.

„Weil's der Kaiser befohlen hat über uns. Der Junker hat den Bescheid gebracht.“

„So? Weshalb hat das der Kaiser über euch befohlen?“

„Weil wir nicht einig werden konnten,“ antwortete der Knabe Hans, „wer von uns die Betten schütteln und den Brei kochen soll. Keiner will der Mann im Hause sein. Und wir sind doch Brüder. Man soll nicht zanken, sondern arbeiten.“

„Hat euch der Junker auch die Knochen verhauen vom Kaiser aus und die Gesichter gemalt?“

„Nein, das haben wir selber getan. Aber der Kaiser hat uns unsere Viecherei melden lassen. Jetzt müssen wir dafür zwei Jahre und einen Tag für ihn arbeiten in Wullenhausen; dann kriegen wir Weiber und Geld,und kommen voneinander.“

„Sieh da,“ verwunderte sich der Schuster, und dachte lebhaft. „Schau an, ihr kommt voneinander.Das ist gescheit vom Kaiser. Was meint ihr, wenn ich zwei Jahre und einen Tag bei euch die Glocken gezogen hab', ob ich dann auch von meinem bittern Weib komme, und sie von mir? Bei uns ist es umgekehrt.Ich wäre nämlich gern der Mann im Haus und kann ihn nicht werden; bei uns will keins das Weib sein.[] 275 Das wäre gerade so günstig für uns wie für euch, und ihr seid nicht einmal Mann und Weib.“

Die Rüpel betrachteten ihn mißvergnügt. Nun merkte man deutlich, daß dieser Kerl aus der Stadt nur ein leichter Wicht war.

„Das kann keiner verstehen, der aus der Stadt kommt,“ schnitt Hans hochmütig und verachtungsvoll das weitere ab und spuckte aus. „In der Stadt hat niemand was, und sind sie alle Windbeutel oder Spitzbuben, wie man an Euch sieht; Ihr seid ein Windbeutel. Ihr mögt schon bei uns die Glocken läuten, auch zehn Jahre, nicht nur zwei; ob Ihr damit von Eurem Weib loskommt, das wissen wir nicht.“

Jochen war ganz mit seinem Bruder einverstanden.Der Kerl war ein Windbeutel; und Küster mochte er wirklich sein, so lange er wollte; das kümmerte ihn nicht. Aber wie nun sein Kopf auf das Praktische und Ausführbare gerichtet war, so brachte er den Respektsrückgang umgehend in einem Vorschlag zum Ausdruck.

„Ihr könnt uns aber einmal eine Zeitlang die Kühe führen, lieber Herr,“ blinzelte er ihn freundlich an, „daß wir uns ein wenig am Wagen hinten nachziehen lassen können und ausruhen, denn Euch sind keine Knochen zerschlagen, und Ihr habt auch nicht im Saustall geschlafen. Nehmt sie nur einfach da am Strick, und die andere auch, und geht in der Mitte voraus, so laufen sie Euch von selber nach. Wir kommen dann wieder.“

Der Schuster hatte den Strick in der Hand, bevor

18*[276]er überhaupt wußte, ob er sich dazu herablassen solle,und war auch schon in die Mitte auf den Weg vor die Kühe geschoben. Jochen zwinkerte seinem Bruder listig zu, und der gab ihm den andern Strick, sagte:„Dank auch, Herr!“ und trat schmunzelnd nach links aus, wie sein Bruder nach rechts. Sie ließen die Karre vorbeirumpeln und machten sich mit schönem Einverständnis über den Bierkübel her, der hinten untergeschoben stand. Sie nahmen den Deckel davon,steckten die Köpfe einhellig nebeneinander unter den Hausrat hinein, faßten sich irgendwo fest, und begannen zu trinken. Um die Wahrheit zu sagen, so soffen sie wie die Kälber. Sie tauchten die Gesichter in den geschätzten Trost, und fingen an zu ziehen. Das Bier stürzte ihnen sofort röhrenvoll in die Mägen wie aus einer Küferleitung. Manchmal schwappte ihnen bei einer Wegunebenheit das Element in den Halskragen und über die Ohren; dann hoben sie die Köpfe,schnaubten einmal und setzten frisch an. Sie hörten nicht auf, bevor sie mit den Mäulern auf den Kübelboden stießen. Da wunderten sie sich, ließen es sein und kamen mit triefenden Bärten und blanken Augen wieder ans Sonnenlicht. Bei der Mittagsrast sagten sie, der Kübel werde geronnen haben, und manches sei wohl auch verdunstet.

Bei dieser Mittagsrast war es, daß sich der Schuster an des Obersten Hund und dann an den Obersten machte. Er habe von den Bauern das und das vernommen, brachte er vor, was ihm sehr gefalle. Wie es nun sei, ob ihm der Oberst nicht beim Kaiser er[]

wirken könne, daß er auch mit seinem Weib aus—⸗

wirken könne, daß er auch mit seinem Weib auseinander dürfe, bevor er zu einem toten Mann werde über ihren Forderungen und großen Ansprüchen; er wolle gern der Gemeinde dafür zwei Jahre und einen Tag die Glocken ziehen. Es komme ihm natürlich nicht auf eine Glocke mehr oder weniger an, wenn nur der Kaiser ein Einsehen haben wolle.

Der Oberst machte zuerst ein saures Gesicht über den Angang und wollte nichts davon wissen. Der unnütze Kerl mißfiel ihm, und er hatte auch staatspolitische Bedenken gegen die Einrichtung. Aber der Schuster fing an vorzustellen und zu versprechen, legte sich aufs Bitten und bekam Wasser in die Augen, so daß der Oberst schließlich murrte, er möge dem Kaiser einen Schriftsatz machen und nach Wien an den Hof schicken; er wolle ihn unterstützen, und so gut. Aber er solle ihm den Hund unpoussiert lassen; das könne er nicht ertragen von solchen Leuten.

M dem dritten Tag fingen die Brandruinen an eine häufigere Sache zu werden längs des Weges,den die Karawane zog, aber Gärten und bebaute Felder eine seltenere. Es roch nach Pulverdampf, und was ein waches Auge war, das stellte sich auf Mißtrauen ein. Weil die schlechten und ewig hungrigen Marodörseelen der umgekommenen nordischen Glaubensstreiter noch zu Tausenden unerlöst im fremden Land um[278]gingen, gaben die Wälder nur ein unheimliches Aussehen, und es mußten viele deutsche Frühlingsregen drüber gehen, bis man sich wieder wohl fühlen konnte darin. Gegen den Abend des dritten Reisetages sah es bereits so verloren und ungeheuer aus, daß der Oberst und die drei Kavaliere die Säbel mit Fett einschmierten,damit sie leichter aus den Scheiden fuhren. In der Vordernacht hielten die Kavaliere abwechselnd Wache,um nicht etwa im Schlaf um die fröhlichen Seelen zu kommen; der Oberst hütete von der ersten Morgenstunde an bis zum Frühgrauen. Da stand er mit dem gezogenen Säbel im Arm unbeweglich vor der Tür des verlassenen Hauses wie ein Ausrufezeichen der Schwermut, hatte seinen Gehörsinn lagermäßig um sich verbreitet und ausgeteilt, und schaute starr und geradeaus nach dem schimmernden Lichtstreif des südlichen Nachthimmels, in dem er weiß Gott was für Zeichen aufragen sah. Seine Augen leuchteten silbern von einem sehr lebendigen Schmerz, der in seiner Schweizerbrust wühlte und glühte. Er gab weiter keine Zeichen her, verharrte unerkannt in seinem souveränen Leuchten, fraß wie ein König sein Leid in sich hinein, und ließ sich mit schöner Haltung die Sternschuppen vor der Nase herunterregnen. Räuber traten nicht auf. Mit dem Sonnenaufgang machte er wieder Tagwache. Darauf ergriff die Karawane mutig das Reststück des Weges, das zwischen ihrem Nachtquartier und dem ersehnten Ziel hingespannt lag.

Der Oberst verbrachte diesen Tag auf dem Rücken seines Roßbocks ernsthaft und wortkarg. Nach jedem []verbrannten Dorf, durch das man zog, blickte er peinlicher und älter drein. Wenn er das Zeichen der öden Heide, die jetzt das frühere gesegnete Kulturland überwucherte, betrachtete und bedachte, so kam ein gramvoller Zug in sein Gesicht, und er seufzte. Bemerkte er aber einen Rudel Wölfe, der an einem Waldrand hinschlich, so ließ er den Kopf hängen und schielte ED Gäste eigenhändig gemacht und ins Land gesetzt hätte.Andererseits trugen diese Eindrücke, die von allen Seiten auf die Karawane mit Ernsthaftigkeit und Trauer zukamen, dazu bei, erstmalig ein festes Gefühl der Zusammengehörigkeit unter die gemischte Gesellschaft zu bringen. Wie der weibliche Teil abwechselnd eine Strecke auf der Karre fuhr, und andere dem Fahrenden zulieb daneben her gingen, so kamen auch die beiden Lümmel mit in den Kreis und machten Bekanntschaften.Nachdem sich ihnen der Schuster als ihr zukünftiger Küster schlecht empfohlen hatte, führte sich nun zuerst der Leutnant, weil er der glücklichste und darum der Gesprächigste war, als den Förster und militärischen Gouverneur des Bezirkes Wullenhausen bei ihnen ein,geradheraus, unbekümmert und schneidig, wie es ihm zukam. Nachher hatten sie den Magister Ebenreiz gebührend zu beachten, und schließlich wurde ihnen von der Seniorin Cordelia der Pfarrer als das größte Tier vorgestellt, vor dem sie einen Bückling machten, als wollten sie auf seinem Kopf Holz hacken. Von den Fräulein wurde ihnen zu verstehen gegeben, daß sie die künftigen respektiven Honoratiorendamen seien.[] 280 Der Süße gab der Erwartung Ausdruck, daß man nichts zu klagen finden werde über die Bestellung von Küche und Keller in dem hinterländischen Nest, was das Wullenhausen zu sein scheine, sonst wäre man doch lieber in der Stadt geblieben, wo man eine christliche Liebe auch jederzeit mit Dank betätigen könne.Er hielt den Knaben einen vorläufigen Vortrag über die Notwendigkeit einer guten Ernährung bei Leuten,wie die anwesenden Herrschaften seien, denn mit leerem Bauch könne weder ein Pfarrer gut predigen und strafen,noch ein Magister lehren, noch ein Förster den Wölfen obliegen. Besonders des Magisters müsse geachtet werden wegen des zehrenden Argers, oder es gebe eine Schande für eine Gemeinde, wenn ein Magister früh mit Schwindsucht abgehe; dazu habe er keine Lust.

Ihm schloß sich der Lizentiat an mit einem allgemeinen Abriß der Sittenlehre und Heilsordnung, wie er sie in Wullenhausen aufzustellen und durchzuführen gedenke, und gab den Brüdern einen Begriff vom spezifischen Gewicht und der Dichtigkeit seines evangelischen Eifers. Sie sahen dazu ziemlich bedenklich drein, weil es ihnen scharf und kitzlich zu sein schien, und wenn es auf sie angekommen wäre, so hätten sie am liebsten ohne Pfaffen weiter gemacht, wie sie auch ohne Pfaffen in die Welt gekommen waren. Bei näherer Prüfung merkte der künftige Seelsorger, daß sie nicht einmal etwas von den Sakramenten wußten und den Herrn Christ nur als einen entfernten merkwürdigen Bruder im Gedächtnis hatten. Konfirmiert waren sie auch nicht,und wahrscheinlich hätten sie in ihrem Leben noch [] 281 nichts auf den Kopf bekommen als Prügel und Läuse,und etwa noch Regenwasser, aber kein Taufwasser.Sie waren die reinen Heiden, und dem Lizentiaten sträubten sich die Haare auf dem Kopf vor Bekehrungseifer. Aber die anderen Reiseteilhaber interessierten sich nun so lebhaft für die Monstrositäten, daß er die Inangriffnahme des verdienstlichen Werkes verschieben mußte, so gern er sofort angefangen hätte damit. Dafür hatte er von allen zuerst ein lebendiges Verhältnis zu dem allgemeinen Begriff Wullenhausen. Er machte sich nach dieser Erfahrung ein Bild vom Seelenzustand der Gemeinde und war bereits voll Phantasie und Willensentfaltung mitten in einer Sache drin, zu der es die andern noch meilenweit hatten, bis sie die erste Berührung damit nehmen konnten.

Nachher war der Leutnant so gefällig und entwickelte den Lümmeln seinen Feldzugsplan gegen die Strauchritter in den Wäldern, und gegen die Wölfe,mit denen er so exemplarisch aufzuräumen gedachte,daß es sie bei seiner Beschreibung vor Freude zu kitzeln anfing. Erst schmunzelten sie, und Hans begann sich den Rücken zu scheuern, weil er davon die Nesselsucht bekam. Dann taten sie ein seelenvolles Grinsen auf,und schließlich konnten sie sich nicht mehr halten vor Pläsier über alle die gehangenen Spitzbuben und totgeschlagenen Raubtiere, die ihnen der Leutnant vorstellte, und platzten mit einem ungeheuren ländlichen Gelächter an den schönen Tag heraus. Sie wieherten und kreischten und wurden sofort blau im Gesicht. Sie polterten alle Treppen und Stufen der tölpelhaften [] 282 Ausgelassenheit hinauf und wieder hinunter. Sie meckerten wie Ziegen und brüllten wie Kühe. Sie duckten und krümmten sich und bekamen Bauchweh. Sie schlugen sich mit den freien Händen auf die Schenkel und nachher auf die Mäuler, daß es klatschte, und endigten dann ziemlich plötzlich in einem hinfälligen Gewimmer, weil es doch solche Sachen auf der Welt gab.So hätten sie sich in ihrem Leben noch nie angestrengt mit ihrem Gemüt. Der Schweiß lief ihnen in Bächen über die Gesichter. Sie seufzten, guckten erbärmlich von einem zum andern, und hatten eine Heidenangst, daß man sie noch einmal lachen machen könnte, denn das hielten sie nicht mehr aus; sie waren es ja nicht im mindesten gewöhnt. Es hatte sie völlig von der Kraft gebracht. Sie knickten viel tiefer in die Knie beim Gehen als vorher, und schüttelten noch einigemal bedauernd die Köpfe; dann versanken sie für die nächste Stunde, und es war nichts mehr aufzubringen mit ihnen.

Es ging um jene Tageszeit, von der man nie weiß,ob man noch Nachmittag oder schon Abend zu ihr sagen soll, daß der Köter Stummel, der vorn beim Obersten trabte, die Nase in die Luft streckte und Laut gab, und der Oberst sich in seinen Steigbügeln aufrichtete und mit vorgeschützter Hand Ausschau hielt. Er setzte sich zwar wieder in den Sattel zurück, blieb aber von da an in angespannter Haltung, und reckte sich in der Folge noch öfter hoch, woraus die Gesellschaft richtig schloß, daß Wullenhausen in Sicht sein müsse; aber es gewahrte niemand etwas davon, nicht einmal den Kirchturm. Fragen konnte man nicht, weil Ruodi heut den [] 283 ganzen Tag rastlos vorausritt, manchmal bis auf den Abstand von einer halben Meile. Und das sonderbare war: auch bei den Ruhehalten, wenn man ihn wirklich unter einem Baum im Kreis sitzen hatte und er sich vielleicht noch Essen und Trinken geben ließ, so kam man ihm doch nicht näher; durch eine geheimnisvolle Vorrichtung behielt er die Distanz bei und verbreitete Unnahbarkeit um sich. Nun, nach der fünften oder sechsten Ausschau, setzte er seinen Roßbock in Galopp,schrie etwas zurück, wobei er nach dem Feld deutete,riß den Säbel aus der Scheide, und fuhr wie ein Gewitter ein Stück die Landstraße hinunter und quer über die Heide hinein, wo er zwischen dem Gestrüpp unterging; der gute Hund Stummel verschwand knapp hinter ihm. Der Leutnant war der Ansicht, daß eine Teufelei los sei auf dem Feld und man dem Obersten sofort nach müsse. Er hatte schon seine Klinge bloß und fing auf stehendem Fuß den Kriegstanz an. Die Bauern und der Schuster hätten bei den Weibern zu bleiben, befahl er, aber der Lizentiat und der Magister sollten blank ziehen und mit ihm laufen wie rechte Kavaliere. Dermaßen angeredet blieb ihnen auch nichts anderes übrig, so wenig Lust sie hätten, der Lizentiat,durch unzeitigen Hingang das schöne Bekehrungsgeschäft zu verlieren, und der Magister, noch dicht vor dem endlich erreichten Fleischtopf mit Kummer in die Grube zu fahren. Sie zogen vom Leder, reichten noch geschwind ihren Jungfrauen die Hände, und fingen hinter dem Obersten und dem Leutnant her zu laufen an, erst die Landstraße hinunter, und dann auf der Spur des [284]Roßbocks ins wilde Feld. Sie hörten ein wolfsmäßiges Gebrüll des Köters Stummel, darauf ein hitziges Säbelklirren und des Obersten Stimme, die hell wie eine Lerche zum Himmel stieg und sie zur Hilfe rief. Sie wurden erst recht eifrig, sprangen und stolperten, fielen auf die Nasen, rafften sich wieder auf, kamen an einem Bauern vorbei, der mit dem Kopf nach unten an einen Baum gebunden hing und neben dem mit eingeschlagenem Schädel ein hingelieferter Strauchdieb lag, und rannten unerwartet auf das Gefecht, das der brave Hund Stummel und der Oberst auf seinem Roßbock mit vieren von der Sorte des Toten hatten.Der Leutnant hieb gleich dem nächsten ein rotes Halsbändchen übers Genick und rettete dem Obersten, der dieser Gefahr den Rücken zukehrte, das Leben damit.Der Süße sprang dem zweiten buchstäblich auf den Bauch, den der aber lange nicht so stattlich trug wie der Junker Rolandus, sondern schäbig und ganz räubermäßig, sank ihm im Hinstürzen mit Inbrunst an die Brust und fing unter einem gefährlichen Aufflackern seiner Panthernatur ein Spiel mit ihm an, das ihm den Teufel gefiel und lästig wurde. Er kniff ihn in die Gurgel;er zupfte ihn am Bart; er biß ihn versuchsweise in die Nase, setzte ihm die Daumen auf die Augen, bohrte ihm seine Knie in den Magen, und schien es darauf angelegt zu haben, ihm das Leben zu verleiden und ihn mit System von der Kraft zu bringen. Er vergaß darüber Himmel und Erde samt allen Fleischtöpfen darunter und darauf, und sogar die gute Jungfrau Therese; er vergaß auch den ganzen übrigen Streit, der um ihn lärmte, und versank [285]mit der Gebärde unaussprechlicher Hingebung in diesen einen besonderen Handel, den er mit dem vorliegenden Halunken hatte. Wenn der Leutnant mit seinen Augen nicht überall gewesen wäre, so hätte den Süßen ein baumlanger Galgenschwengel, der das Halsbändchen vom Leutnant gefaßt hatte und nun dem brüllenden Wanst zum Entsatz herbei lief, mit seiner Klinge an die Eiche gespießt, die nebendran stand, und dann wären biele gute Dinge von einem selten vorzüglichen Magen unverdaut geblieben. Aber der Leutnant zeigte jetzt erst,was er für ein Satan war. Mit einem niedlichen Stoß heftete er dem Langen die beiden Schenkel zusammen, als sie gerade zum letzten Schritt aneinander vorbei wollten, und der Lange stand da wie verwunschen,wußte nicht, wie ihm geschehen war, und erblaßte. Er überlegte, erkannte die Trefflichkeit der Anordnung,und wandte dem Leutnant ein Gesicht voll verlegener Hochachtung über seine Schulter zu, daß der jugendliche Held hell auflachte. Er nickte ihm fröhlich zu:„Willst du Pardon nehmen, Langer?“ und der Lange nahm.

Mittlerweile stand der Lizentiat vor einem blaubraunen Kerlchen mit einem kleinen rostigen Säbelchen,mit dem es aber focht und fuchtelte wie sieben Teufel,daß es dem Sauren, der doch auch eine gute Klinge führte, ganz miserabel zumut wurde. Er kam sich vor wie ein Baum im Wind mit seinen schönen, wohlbedachten Auslagen, Primen und Terzen, von denen er keine einzige an den Mann brachte, während der blonde, blauäugige Feldteufel immer emsig darauf los [] 286 stach und säbelte, und nur aufpaßte, daß er nicht unter einem Hieb des schwarzen Theologen stehen blieb. Wenn der seinerseits seinen Stand behauptete, so geschah es lediglich dadurch, daß er immer einmal einen richtigen wütenden Türkenhieb dazwischen setzte, vor dem der Kleine nichts machen konnte als ausreißen, weil sein Säbelchen für solche Paraden zu nichtsnutzig war; dann kam er aber gleich wieder mit pandurischem Kriegsgeschrei angetanzt, und das Spiel fing von vorne an.Auch diesem guten Jungen verschaffte der Leutnant Feierabend, indem er ihm von hinten im Vorbeigehen eine Hacke schlug, die ihn prompt vor die Füße des Lizentiaten lieferte. Da schmiß er sein Säbelchen weg und verlangte Pardon, bekam ihn und ließ sich die Hände schnüren. Man stellte ihn zum Langen, sah,daß der dicke Teufelsknecht auf dem Boden vom Magister noch immer wohl versorgt wurde, und wandte sich endlich dem Obersten zu, der sich so lange ritterlich mit einem bärenhaften roten Hauptschurken herumgehauen und immer einen umso schwereren Stand gegen ihn bekommen hatte, je mehr der in seinem struppigen Kopf für die famose Idee munter geworden war, nachher auf dem Roßbock und im betreßten Rock des Obersten von der Stelle zu reiten. Der Halunke trug einen himmelblauen Edelmannshut, der dem Obersten nicht fremd war; er gab auch den Stoff zu der Unterhaltung her, die die beiden alten Bekannten unterm Geschäftsgang miteinander führten. Erst hatte sich ihm der Halsabschneider ans rechte Bein gehängt und versucht, ihn vom Gaul zu ziehen. Der brave Köter [] 287 Stummel fuhr ihm in die Weichen, wo man am kitzlichsten ist, und gab ihm eine andere Richtung. Der Rote warf sich nun auf den Hund, jedoch der Hund war flinker als er, und außerdem bekam er vom Obersten ein Eisen an den Kopf, das seine Stellung in der Welt von neuem veränderte. Er versuchte es mit dem Messer, und es wäre gewiß etwas Schönes gelungen damit, wenn ihm nicht der Köter wiederum die Himmelsgegend umgewandelt hätte. Das kurzweilige Spiel repetierte sich noch zweimal. Beim fünften Gang würde Stummel übermütig und lief dem Halunken direkt ins Messer; das brachte ihn von der guten Laune und gleich hinterher auch von der schlechten. Er tat noch einen wütenden Sprung nach dem Feind, bekam ihn an der sündhaften Hand zu packen und verbiß sich mit aller Kraft seiner furchtbaren Kiefern hinein, als ob er ihn hinter sich her in die unerwünscht erdffnete Vernichtung hinabziehen wollte. Der rote Ketzer fluchte wild auf, holte mit der andern Hand aus, und versetzte der erbitterten schwarzen Bestie nun eine ganze Kollektion von Messerstichen und Fußtritten. Doch der Todeskrampf war schon in ihr, und wie jener auch an seiner Hand riß und schüttelte, so biß sie nur noch immer fester zu, bis der sich in die Knie warf und sich hastig daran machte, ihr die Kiefern mit seinem Messer aufzubrechen. Da ging etwas wie ein stilles Lachen über das Gesicht des guten Hundes Stummel, und er starrte den Gauner mit dem tiefen Verständnis des Sterbenden für die Verlegenheit des Lebens aus dem übriggebliebenen Auge spottvoll an, zuckte einmal zu[] 288 sammen, tat noch einen Ruck in den Kiefern, und drehte sich schwer auf die Seite.

Das wickelte sich in ziemlich kurzer Zeit ab. Als der Leutnant von der Bändigung des kleinen Blonden dazu kam, war schon alles geschehen. Der Oberst hatte nicht viel dabei tun können, weil der Roßbock unter ihm den Glauben an das guüte Spiel verloren und angefangen hatte, Kapriolen zu schlagen. Der Rote stach und biß nun zwar noch etwas Erkleckliches um sich, doch war er an einer Hand stark engagiert und mußte schließlich Gewalt erfahren; aber er nahm keinen Pardon, sondern ließ wie ein gefangenes Wildschwein alles mit stummer, tückischer Wut über sich ergehen.

Am Ende gedachte man des Bauern, der im Gestrüpp verkehrt an einem Baum gebunden hing; man ging ihn suchen, fand und erlöste ihn. Es war weiter nichts mit ihm, als daß ihn die Strick und verschiedene Prügelmale schmerzten, auch klagte er über Kopfweh,worüber sich niemand wunderte. Im übrigen hatten die Buschklepper eben erst anfangen wollen, ihn recht zu schinden, weil er ihnen einen nagelneuen Bruder totgeschlagen hatte. Der Streit war über Schafe losgegangen, die sie von der Weide treiben wollten. Er hieß Daniel und war der Bauer von Wullenhausen. Als er von seinen Befreiern auf den Kampfplatz geführt wurde,sah er seinen entlaufenen Panduren mit einem tüchtigen Pferd am Zügel und in einem betreßten und besternten Rock vor der Leiche des guten Hundes Stummel stehen und auf die leeren Zähne beißen, daß es Wülste setzte an den Backen. Man führte diesem den Bauern vor []und sagte etwas Entsprechendes dazu; er streifte ihn mit einem trockenen Blick, in dem die scharfe Trauer von der Nachtwache nun mit beigesetzten Sturmlichtern glühte,sagte, es sei gut, befahl, die Strauchritter zusammenzubinden, warf noch ein Auge auf den vollendeten Köter Stummel, bestieg seinen Roßbock wieder und ritt entschlossen der Männerschar voraus nach der Straße zurück.

Darauf zog man in das verbrannte Dorf ein. Voraus ritt der kaiserliche Oberst, hoch zu Roß, mit Tressen und Sternen, aber düsteren Angesichts und in einer Art von auffälliger Einsamkeit, weil nun nicht mehr der gute Hund Stummel an seiner Seite trabte. Dem Obersten folgten in kurzem Abstand die Kavaliere, diesmal nicht neben ihren Jungfrauen her, sondern mit gezückten Degen zu Seiten der gefangenen Buschklepper,von denen drei doch immer noch ziemlich mobil waren,nämlich der rote Ketzer, der kleine blonde Feldteufel,und der dicke Hauptmann. Diesen hatte der Süße zwar erheblich gekniffen, aber nicht von Blut gebracht,während der Lange mit steifen Knien und nur noch D und innig um baldiges Quartier betete. So paßte der Süße fleißig dem dicken Hauptmann auf und der Saure dem kleinen Blonden, aber der Leutnant ging munter und unauffällig neben dem roten Ketzer her und schielte nur ab und zu aus den Augenwinkeln an ihm vorbei;der Rote merkte bald, daß er den glorreichsten Wächter bekommen hatte, und gab auch den letzten Trumpf verloren. Er hätte nur noch gern dem naseweisen Schuster eins ausgewischt, der jetzt breitspurig und

Schaffner, Der Bote Gottes

10 [] 290 blutrünstig mit einem Knüppel unter den Wächtern auf der andern Seite ging und ihn keinen Moment aus den Augen ließ; nachher konnte man seinetwegen mit ihm machen, was man wollte.

Den Kavalieren folgten die Jungfrauen mit der Schusterin, aber nicht zu dicht, weil sie dem Frieden immer noch nicht trauten. Hinter diesen kamen die beiden Rüpel mit ihrer Karre. Und den Beschluß machte der Bauer Daniel, der an seiner Verwunderung über das Gesehene und Gehörte herumrechnete und sich nicht denken konnte, was es zu bedeuten hatte.

Auf dem Dorfplatz machte der Oberst Halt, wandte sein Pferd herum und erwartete den Zug. Hinter ihm wölbte sich der geschwärzte Torbogen, durch den er unter der Begleitung der hundert Köter den Hof des Bauern Daniel zum erstenmal betreten hatte. Der Geruch des Roßbocks brachte die von den Mahlzeiten noch übrig gebliebenen auch jetzt wieder auf den Schauplatz; als sie herauskriegten, daß der wohlbekannte Pandur obendrauf saß, hielten sie ihr Temperament zurück, setzten sich abwartend auf ihre Schwänze, und gelangten mit ihren Empfindungen für diesmal nur mit einem zwar grundsätzlichen, jedoch gänzlich anspruchslosen Gebelfer und Winkelgeschrei zum Ausdruck, das durch den Ton seiner Sanftmut die Bewohner des Hofes aus ihren Verstecken hervor lockte und aus dem Tor zog. Die Jungen erkannten an den feldwegblonden Schnurrbartenden, die ihm unter den Ohren hin reitermäßig in die laue Abendluft stachen, ihren vermißten Freund, und alsobald war dieser Heiland zu Pferd [] 291 von einem bunten Gewimmel schmutziger Kinder umringt, wie eine Säuglingsnase von Sommerfliegen, nur daß er sich nicht rümpfte; er nickte ihnen mit mildem Ernst zu und teilte ihnen mit, daß der gute Hund Stummel tot sei. Er wandte sich wieder dem Zug zu,der jetzt die Dorfstraße herauf kam, und die Kinder traten ein wenig von ihm zurück, durch den vertieften Klang seiner Stimme und sein vornehmes Aussehen verdutzt,aber mit um so größerer Hochachtung vor seiner Persönlichkeit und Neugierde auf die kommenden Dinge. über den verwilderten Feldern stand das feierliche Friedenszeichen der Abendsonne und verklärte, was ihm ins Licht kam, Wolken und Bäume und Sträucher, den X Spiel der jungen Wölfe am Waldrand und den verlorenen Trott des Buschkleppers, und das Münster in der menschenreichen Stadt nicht schöner als die hoffenden Brandruinen des verlassenen Dorfes Wullenhausen.Die Kinder sahen mit Anteil in demselben gnadenreichen Licht die vier Räuber von den Kavalieren herführen, bemerkten darauf die folgende Frauengruppe,und schließlich unter andächtigem Staunen die beiden Kühe vor der Karre und die blonden fremden Bauern.Unter dem Torbogen stand die junge Landstreicherin,welcher der Bote Gottes vor acht Tagen auf der Straße begegnet war, inmitten der Nesthocker und Hemdenmätze, die sich nicht heraus getrauten; sie schaute mit leicht gekniffenen Augen dem Auftritt entgegen, von dem nun kein Mensch wußte, worauf er hinauslaufen wollte.

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Einundzwanzigstes Kapitel

is der Zug am Platz war und Aufstellung geA nommen hatte, begann der Bote Gottes eine Rede.Die Rechtslage war ihm völlig klar. Es handelte sich um die Bande, die ihn vor einem Vierteljahr am Waldrand ausgezogen und verwandelt hatte. Damals waren sie Werkzeuge der Vorsehung gewesen, aber heute waren sie keine Werkzeuge der Vorsehung, sondern attrappierte Marodöre und Buschklepper, über denen das Schwert der Gerechtigkeit hing. Er prüfte sich streng, und es lebte keine Spur von persönlichem Rachegefühl in ihm,noch eher eine Art Wohlwollen aus Dankbarkeit, heiliger Eifer des Gesandten, und darüber die stille Flamme der Erkenntnis.

„Kavaliere und edle Fräuleins,“ hob er an. „Ihr sehet, daß ihr jetzt im Dorf Wullenhausen seid, von welchem ich euch in wahrhaftigen und ernschten Ausdrücken geredet und gesagt habe, daß es verbrannt ischt und niemand gehört. Vielleicht haben es die Schweden angezündet; vielleicht haben es die Kaiserlichen getan.Dieses ischt gleich und immer dasselbige unvernünftige Wüschtentier, nämlich der Mensch. Sie geben vor, sie wollten über den wahren Glauben vom Leder ziehen und fangen sogleich an zu schtehlen, plündern und mordbrennen.Aber wieder aufbauen tun sie nicht, sondern verzehen den Raub in Gottlosigkeit, wo sie nicht vor Zeiten totgeschlagen sind, und lassen die Trümmer liegen. Da muß der Kaiser ein Einsehen haben und den Bauern vorführen, welcher nicht mit seinem Glauben laut ischt, sondern die Erde []bearbeitet. Wäre nicht die lange Hand aus Schweden übers Meer gekommen und hätte wegen des erhofften Fischfangs das Wasser trüb gemacht, das Land hätte seinen Frieden schon lang haben können, und nicht auf Koschten seines Wohlschtandes, sondern vielleicht nur um seinen lutherischen Bocksbart, an dem gar nichts liegt; wir sind alle Kinder Gottes. Daran ischt jetzt nichts mehr zu ändern; wir müssen mit dem Kaiser schauen, daß wir wieder zu Gnaden kommen. Dafür seid ihr willigen und braven Kavaliere hier angetreten samt den Fräuleins und den anderen Leuten, die sich aber zum Teil in der Notlage befinden. Nun habt ihr erfahren, was das für Gewalten sind, die unserm ehrenwerten Bauernwillen entgegenwirken mit Messer und Säbel. Sie wirken auch dem Willen des Kaisers entgegen, und müssen darum ihr Urteil haben aus Kraft meiner Vollmacht von des Kaisers Majeschtät. Führt die Räuber vor mich.“

Die Räuber wurden gebracht, und das Atemanhalten ward nun eine allgemeine Sache, während der Schweizer mit seiner Rede fortfuhr.

„Ihr schädliche und niederträchtige Gesellen seid erwischt und gefangen über Räubereien am hellen Tag.Ihr wisset von euren Köpfen und Hälsen, daß ihr von Rechts wegen Beil und Strick darüber verdient habt.Ihr habt den Bauern Daniel an einen Baum gebunden und habt ihn schinden wollen; dafür seid ihr gar dem schmerzhaften Rad verfallen. Aber ich bin des Hängens und Räderns verleidet und will es einmal anderscht probieren. Schaut auf. Gelobet mir [] 294 auf diesen Sabel er zog ihn blank Urfehde und nützlichen, friedlichen Wandel, so will ich euch euer Leben lassen, das in meine Hand gelegt ischt, aber nicht den freien Paß. Ihr müsset hier bleiben im Dorf Wullenhausen und helfen den Bauern und Kavalieren das Dorf wieder aufbauen, zwei Jahre und einen Tag. Ihr müsset die Knechte der Bauern und des Friedens sein, wie die Bauern vordem die Knechte eurer gottlosen Raserei und eures Unfriedens gewesen sind. Danach will ich euch hier in ein Haus setzen und euch Weiber geben, und will sehen, ob ich Freude erlebe mit euch. Wer dem Kaiser in der Person seines Bauern, dem er zugesellet ischt, oder des Friedens,dem er dient, mit Unbotmäßigkeiten begegnet und Schaden bringt, der soll am Strick in die Höhe schnellen als wie der Fisch an der Angel. Ich werde mit vielen Augen über euch wachen und euch die Fußfesseln nicht eher abnehmen, als bis ihr dem Bauern, dem ihr dient,die Hand küsset, und mit ganz klaren und freundlichen Augen in den Frieden des Kaisers schauet. Bindet sie los, damit sie schwören mögen, aber passet ihnen wohl auf. Und tretet jetzt also her.“

Weil diese Ansprache des fantastischen Schweizers,die er im natürlichen Sinn und im Namen des gesitteten Daseins an die Versammlung richtete, nicht sowohl aus einem spintisierenden Kopf kam, sondern noch viel mehr aus einem erregten Gemüt und aus den religiösen Hintergründen eines naiven blutwarmen Kulturwillens, und weil aus seinen Worten die Stimme des Sohnes klang, die für den Vater wirbt, so blieb davon [2058]eine Andacht über den Zuhörern, die nur langsam gerade so viel Raum für andere Regungen gab, daß dem Obersten gehorcht und das verderbte Vierblatt vorgeführt werden konnte. Man band sie nach der Reihe los, und es fand sich, daß der Lange und der kleine Blonde willig waren, den Eid zu schwören; aber der schäbige Hauptmann machte Umstände, und der rote Ketzer schnitt eine Grimasse und sagte, der Kaiser könne ihm sonstwas. Da vereidigte der Oberst die beiden Willigen und ließ sie zu den Freien treten; den beiden Sündern erkannte er zur Ermahnung und für vorläufig eine Tracht Prügel zu. Die blonden Bauern mußten sie halten, und der Süße schwang, was den dicken Hauptmann anging, mit Liebe und Verständnis den Stock; den roten Ketzer verprügelten die Rüpel selber. Nach dieser Maßregel war für den Hauptmann der Weg zum ehrenvollen Rückzug gedffnet, und er betrat ihn ohne sonstige Umschweife; jedoch der Rote blieb in der Verachtung des Kaisers stehen. Der Schweizer ließ auch den Hauptmann schwören und in den Kreis treten, wo ihn der Süße brüderlich empfing und ihm zum Willkommen im Bund der Gerechten ergriffen die Hand schüttelte; er zerdrückte eine Träne im Augenwinkel und sagte: „Salve, Bruder. Gnade ist zuerst scharf wie Pfefferwurst, aber dann lieblich wie Kückenbrust.“Dem Roten hielt der Oberst noch eine kurze Rede,in der er ihm das Spiel, das mit ihm im Namen des Kaisers gespielt werden sollte, nach Einsatz, Verlust und Gewinn genau auseinander legte, ihn dringend ermahnte, sich auf keine andern Gründe zu verlassen, als [] 296 auf die Erklärung seines Willens zum Friedenswerk und auf die daraus folgende Gnade des Kaisers, und ihm nach erneuten Lästerungen der angebotenen Hand gefaßt und wohlbewußt das Urteil sprach, daß er durch den Strick vom Leben zum Tod gebracht werden solle als widerstrebende und schädliche Krankheit im lieblichen Leib des Friedens. Und zwar solle das Urteil sofort ausgerichtet werden.

Er gab auch eine Begründung des Urteils.

„Ischt hier einer, der da schteht, der nicht weiß und schpürt in seinem Herzen, daß das gute und getreue Wesen nur da gemacht werden kann und gedeihen bei den Menschen, wo man Werke der Arbeit hervorbringt und hinschtellt, und wo einer dem andern trauen kann? Nicht wahr, was nützlich und fromm und lieb ischt, das erschtreben wir von Herzen und hangen ihm nach, ein chrischtliches Haus, ein gesundes Vieh im Schtall, ein braves Feld, ein Weib und wohlgeratene Jugend drum herum. Davon kommt uns Freude und Lachen und offener Kopf, und werden unsere Augen hell, daß wir nun Musik machen und singen und tanzen mögen, und wir werden nur immer besser, und dann, so glauben wir an Gott und danken ihm, daß er seinen vernünftigen Willen in uns gelegt hat. Aber was sollen wir machen mit den wilden Sauen und Wölfen, die unsere Saat verwüschten und unser Vieh abwürgen? Und mit den Bösewichtern, die unserm Werk feind sind und mit dem Messer zwischen unsre weißen unschuldigen Kindlein und Lämmer fahren?Bei Gott dem Herrn, wir fangen sie und schlagen sie [297]tot ohne Erbarmen, und hängen sie, damit die Holdseligkeit in der Freude fortleben kann. Nun hat dieser bekundet und deutlich gesagt: Ich frage den Teufel nach eurem Frieden!‘ So nehmet ihn, zaudert nicht das geringschte, sondern henket ihn sofort auf!“

Das war das zweitemal, daß der Schweizer mit der Stimme Gottes sprach. Es gab außer dem roten Galgenvogel niemand unter der Zuhörerschaft, dem es nicht aufs Haar so schien, wie er es darstellte, und sie wurden alle von einem heiligen Grimm gegen die Bösewichter erfüllt, die den Frieden verachteten und das Werk der Guten schädigten. Sie nahmen den roten Schächer und schleppten ihn nach der nächsten Ruine,wo ein Balken einladend in den Raum hinausstach.Der Lizentiat versuchte noch schnell mit der abscheidenden Seele zu reden; der Delinquent sagte, er solle ihm den Buckel hinauf steigen. Bereits war der vorwitzige Schuster auf das Gemäuer geklettert, um den Strick über den Balken zu werfen. Zu seinem Leidwesen brachte er hernach die Nase zu dicht zur Exekution. Als der Sünder schon eine Weile in der Schlinge hing und man dachte, es werde fertig sein mit ihm, trat jener aus freien Stücken hinzu, um ihm von unten nach den Augen zu sehen; dabei bekam er unversehens einen Absatz in die Zähne gestellt, an dem kein schlechtes Leder war. Der Spaß verdarb ihm das Interesse und die reine Freude an der gegenwärtigen Handlung; aber der rote Halunke hatte seinen letzten Wunsch erfüllt und gab zufrieden den Geist auf.

Nachdem dies geschehen war, stellte sich der Oberst [298]wieder an die Spitze der Karawane, um zunächst den Honoratioren ihre Quartiere anzuweisen und dann die Schustersleute und die Bauern mit ihren Knechten unterzubringen. Er ritt neben dem Mitzug der gesamten Jugend völlig das Dorf hinauf, und hielt bei der ehemaligen Schule, die aus schwarzgeränderten Witwenaugen traurig auf die Gesellschaft herabsah.

„Dieses ischt die Schule und die Wohnung des Magischters,“ erklärte er dem Süßen. „Die Mauern sind noch gut; man muß nur allmählich Fenschter einsetzen und Ziegel auf das Dach bringen, so kann man mit dem Unterricht anfangen. Hinten hinaus sieht man auf die Berg; es ischt eine sehr schöne und kurzweilige Lage. Einen Schlüssel brauchet Ihr nicht; das Haus ischt dato offen.“

Er überließ den Magister und die Honorität ihrem Erstaunen und ritt weiter. Er kam zum Bach, bog davon links ab und hielt zum zweitenmal vor zwei noch ziemlich erhaltenen Hofstätten. Er wartete, bis die blonden Lümmel mit der Karre nachgekommen waren, und hieß sie antreten.

„Dieses ischt euer Unterkommen,“ bedeutete er sie.„Ihr habet vordem nicht so breit gesessen. Du Hans ziehscht mit der rechten Kuh in das rechte Haus, und du mit der linken Kuh in das linke Haus. Du kriegscht den Langen als Knecht, aber Jochen kriegt den Dicken. Der Kleine kommt zum Bauern Daniel.“

Mittlerweile war der Süße von seiner Verblüffung zurücke und mit der besseren Gesellschaft dem Obersten nachgekommen; es summte irgendwie darin wie in [290]einem entfernten Akazienbaum zur Blütezeit. Der Oberst streifte das Völkchen mit einem zerstreuten und ferngewandten Blick und führte weiter zur dritten Station. Das war die eingefallene Kirche mit dem übel zugerichteten Pfarrhaus. Die Kavaliere machten sehr ernste Gesichte. Die Seniorin Cordelia sah dunkel und streng geradeaus, die Jungfrau Therese blickte zu Boden, Philippine zeigte ihre Kehle und auf ihren Wangen leuchtete die Röte des Unwillens. Aber die kleine Margareta glänzte über das ganze Gesicht vor richtigem Kinderentzücken, weil es hier so wundervoll viel zu tun gab. Der Oberst grüßte die Kirchenruine mit einem männlich hoffnungsvollen Blick, verweilte ein paar Atemzüge lang unter einer leisen Regung von Wehmut auf dem Grabhügel des seligen Daumenlutschers, den er über die Turmtrümmer hinweg erblickte, und wandte sich darauf an die Gesellschaft.

„Dieses ischt das Pfarrhaus und die Kirche,“ erklärte er. „Sie sieht nicht zum beschten aus und man muß den Turm ganz neu bauen, das Schiff nicht;wenn man die Wetterseite mit Brettern verschlägt, so kann man gleich mit predigen losfahren darin, wenn man will. Das Haus ischt aber ganz gut im Schtand auf der hinteren Seite, und die Fräuleins sollen darin wohnen, bis es vorn ausgeräumt und wieder eingerichtet ischt. Die Kavaliere müssen bis dahin in der Schule haushalten. Ich bin beim Bauern Daniel.Und wir wollen wacker angreifen, so kriegen wir einen Zuschtand in Gang hier. Morgen wollen wir aufs Feld hinaus miteinander.“[] 300 Nun war es den Kavalieren doch wirklich gleichgültig, wo der Oberst wohnte und wo man morgen hinwollte. Zum Teufel, es lief ja hier alles auf Ruinen hinaus und auf magere Zeit! War dieser kaiserliche Gesandte verrückt, oder machte er sich einen Spaß mit der Gesellschaft? Es erhob sich eine große und merkwürdig weite Stille nach der Vorstellung der Pfaffei und der Kirche, und wenn der Schweizer ein bißchen mehr Augen für das Gegenwärtige gehabt hätte, so hätte er wenigstens die blasse Ratlosigkeit und Ablehnung merken müssen, die man seiner guten Meinung entgegenbrachte. Aber seine Blicke streiften mit einem hellen, dankbaren Leuchten des Vertrauens über eben dieses verwahrloste Feld, auf das man morgen miteinander hinausspazieren wollte, und er sah darauf im Glanz der Zukunft und der untergehenden Sonne Wiesen grünen und Herden weiden, Kornfelder wehen und schwere Erntewagen nach Hause trotten, und es ging davon eine Verklärung über sein Gesicht, die echtes Licht vom Licht des fruchtbaren, blühenden Gottes war,die die Gesellschaft aber nicht verstand und lebhaft geneigt war, ihm übel auszulegen. Schließlich fing es den Leutnant an zu kitzeln, weil seine Philippine so dumm drein guckte. Er lachte ärgerlich auf und sagte,das sei ja ein vorzüglicher Witz, aber sie möchten nun in der Tat gern ihre müden Gebeine zur Ruhe bringen;sie hätten nicht das Glück gehabt, reiten zu können,wie der Herr Oberst. Und wo er denn nun eigentlich die dreißig Arbeiter habe, die von ihm in der Stadt seien angeworben worden?[]Der Bote Gottes drehte sich auf seinem Roßbock um und zog die Augenbrauen hoch.

„Ich verschtehe das nicht,“ erwiderte er und sah wirklich völlig unschuldig aus. „Ihr könnet eure Gebeine doch jetzt zur Ruhe legen; ich habe euch ja eure Quartiere gezeigt. Gehet nur in die Häuser und Gott sei mit euch.“

Die Kavaliere erblaßten wie Ein Tuch. Es war nicht daran zu zweifeln, daß der Oberst sich über sie lustig machte. Andererseits hing so viel Wesen und Beziehung drum und dran, daß sie doch nicht so rasch mit der Schärfe des Gegenwortes zustande gerieten,wie sie es sonst von sich gewohnt waren. Währenddessen kam ihnen der Schuster von seiner Seite zuvor.Er fiel zwar fast um vor Schmerz, aber seiner Fantasie tat das weiter keinen Eintrag. Er drehte dem Obersten seine blutrünstige Stadtschnauze zu, schielte ihn entsetzlich an und erhob seine Stimme.

„Ja, he, und wo soll denn ich bleiben? Wo ist mein Haus, he? Wo ist meine Küsterei? Ich kann auch keinen Turm sehen mit Glocken, die ich läuten soll, damit ich von meinem bittern Weib loskomme,wie Ihr mir versprochen habt, daß Ihr beim Kaiser bewirken wollt. Ich muß Euch sagen, ich will sogleich zu läuten anfangen, daß ich nicht einen einzigen Tag verliere. Sehet zu, daß ich zu meinem Recht komme,sonst wollt' ich doch lieber, man hätte mich im Stockhaus gelassen.“

Diese Rede brachte die Verhandlung in Fluß. Die Kavaliere gifteten sich, daß der Windbeutel auf ihrer [] 302 schönen Zornbank stand und sich droben wichtig machte,sozusagen auf ihre Kosten, denn was stellte er vor,nicht wahr? Und wie sah das aus? Für diese unnütze Krähe hatten sie sich eingesetzt, einen Torwart erschlagen und sich den Stadtbann über den Hals gezogen. Dies kam ihnen nicht so bald zum Bewußtsein, als sie auch schon den besten Punkt ihrer Position in Luft aufgehen sahen. Verflucht, nein, Auswahl hatten sie gar nicht groß, aber spielen ließen sie trotzdem nicht auf sich. Der Schuster wurde beiseite gesetzt und das Maul halten geheißen, und dann traten die Brüder entschlossen den Obersten an. Sie wollten jetzt kurze und bündige Auskunft haben über die Frage, was diese Neckerei bedeuten solle.

Der Oberst erkannte da immer noch keine Neckerei.Sie sollten ihm sagen, womit sie geneckt seien, so könne er ihnen vielleicht helfen. Sie konnten nun nicht mehr tiefer erbleichen, und fingen mit den gelben und grünen Farben an. Womit sie geneckt seien? Tod und Teufel,ob das nicht einen Menschen und dazu Notabeln necken heiße, wenn man ihm eine Pfaffei verspreche und ihn vor einen Dreckhaufen stelle? Wenn man ihm eine Schulmeisterei vorzaubere und ihn in ein leeres Brandloch kriechen heiße? He, wo denn nun also das Gesinde sei? Und wovon man hier leben solle? Bei Gott, wenn es auf diese Fragen keine hübsche Antwort gebe, so wolle man beweisen, daß man sich auch vor einem kaiserlichen Obersten nicht weiter geniere, wenn es sich darum handle, eine bucklige Rechnung eben zu machen. Und auf den Kaiser mit seinem Frieden sei []gepfiffen mit allen Angeboten und warmen Lockvögeln,wenn er nicht für Kost und Logis sorge, und das respektabel, Himmeldonnerwetter. Wie es nun also stehe damit?

Die Lockvögel gingen von dem Süßen aus, und die Jungfrau Therese bezog einen davon auf sich. Sie hatte wie alle Leute, die zum stillen Wohlleben neigen,eine dünne Haut, und war nun sehr empfindlich über den Stich. Sie hob sogar die Augen vom Boden,reckte ihre Gestalt ein wenig auf und raffte den Rock zusammen.„Liebe Schwestern,“ sagte sie, „ich bin nicht der Meinung, daß wir. können Lockvogel genannt werden und es uns müßten gefallen lassen. Es ist wahr, wir besitzen nichts infolge des Unglücks, das die Schweden über uns gebracht haben. Aber wir haben doch auch nicht gesehen, daß die Junker groß Gut hätten. Uns ist eine Mitgift vom Kaiser zugesagt. Ich denke, wir haben unsern aufgegebenen Paktus erfüllt und dürfen sie an uns ziehen. Alsdann wollen wir uns weiter begeben, weil wir beleidigt sind und gering geachtet.Wie dünkt euch das?“

Sie konnte so reden, da sie im Grund nicht den Magister meinte, sondern den guten Tag, der etwa bei ihm stand. Weil sie von der Laune gebracht war,wirkte diese Differenz sofort aus ihr heraus; das übrige tat das Ritterblut dazu. Der Süße war aber kein Ritterblut, sondern ein ganz armer Tagedieb und Habenichts, erschrak mörderlich über dies Gerede, und betrübte sich bis auf die Hosensäume herunter. Er guckte []die Jungfrau Therese mit matten Augen an, schluckte erbärmlich und hatte es gar nicht so gemeint; aber zur Replik kam er nicht. Der Leutnant hatte in dem Moment ein Weidmannsgesicht er sah sich im Wald herrlich mit sieben Hunden hinter einem Hirsch herjagen , und war auf einmal im Bild. Was ihn anging: für ihn war jedenfalls hier gesorgt.

„Die Jungfer macht sich plusterig,“ stellte er spöttisch fest. „Ich will wirklich nichts danach fragen,ob wir etwas haben oder ob die Fräuleins etwas haben.Mich dünkt, wir hätten alle miteinander nichts. Aber es steht in meinem Sinn so, daß es mir hier gefallen will und ich bleiben mag. Hat einer sonstwo goldne Berge stehen, der gehe sie suchen. Und mag mich ein Mädchen nimmer, so nehme ich mir ein anderes. Das ist meine Meinung.“

Das Wort war wieder bei der andern Seite. Die Jungfrau Philippine riß es erglühend an sich und begann augenblicklich damit fortzulaufen. Sie warf im Fliehen einen schrägen Hühnerblick zum Himmel hinauf, sagte dem Leutnant eben noch schnell ins lächelnde Gesicht, daß sie ihn für einen ausgemachten Kujon und schlimmen Buben estimiere, nach dem sie nicht mehr die kleinste Nachfrage halte, und daß er ihr in den Schuhen könne gestohlen werden. Sie schlug einen Arm vor die Augen, krümmte den Rücken, zog den Kopf ein und gab einen weiten und breiten Liebesschmerz aus,der wie ein Juniunwetter in die versammelte Bergwelt hineinfuhr.

Dem Leutnant wurde es ein wenig schwül bei der []Witterung, aber er machte sich fest und spielte den Stoiker. Da ranzte ihn der Lizentiat, der einen Blick der Seniorin Cordelia aus der Luft gefangen hatte, gewaltig an. Ob ein naseweiser Grashüpfer, der noch feucht sei hinter einem Ohr, sich unterstehen wolle, die Damenwelt zu beleidigen? Derselbe solle aufpassen, daß er nicht mit eisernen Handtüchern trocken gerieben werde.Gut, er könne Wölfe jagen und in den Wäldern herumstolpern; das sei eben recht für einen Kesselflickersohn.Aber hier handle es sich um respektable Fräuleins und um Kavaliere, die was gelernt und nicht nötig hätten,sich necken zu lassen. Er wollte der Seniorin zuvorkommen; leider dachte sie ganz andere Gedanken.

„Ihr Herren, streitet euch nicht,“ ermahnte sie, „denn es hat keinen Wert mehr. Vielleicht seid ihr geneckt,aber es scheint mir, als ob ihr nicht viel zu räsonieren hättet. Wahrscheinlich hat man euch schon in der Wiege geneckt. Nun, ihr könnt gehen, wohin ihr wollt. Das können wir nicht, sondern wir wollen umkehren von euch. Ich meine nicht, daß wir euch nötig hätten.Ihr wißt, wer wir sind. Wir wissen nicht, wer ihr seid. Wir haben es uns bei euch gefallen lassen. Ihr habt den Kontrakt umgestoßen, das ist eure Sache.Wir wollen in dieses Haus gehen, Schwestern. Man hat sich übel erzeigt an uns.“

Die Dinge standen für den Boten Gottes nicht mehr so bedrohlich. Er hatte geduldig dem Spiel von Grundsätzlichkeiten zugesehen und sich nur betrübt über den unfriedlichen Zustand dieser Seelen. Jetzt ritt er seinen Roßbock gegen das Pfarrhaus, gängelte ihn zwischen

Schaffner, Der Bote Gottes

20 [] 306 dieses und die Jungfrauen, daß sie mit dem Abtreten sich gedulden mußten, stellte ihn herum mit dem Kopf gegen die Gesellschaft, wodurch er dieser und sich gewissermaßen einen frischen Standpunkt gab, und fing mit der Moral an.

„Bleibet noch hier, ihr Jungfrauen,“ sagte er und zeigte ihnen ein Gesicht, aus dem der ganze Gram und die schwere Trauer des vereinsamten Erlösers herausdämmerte, und das jedermann zu einer neuen Art von Aufsehen zwang. „Und ihr Herren laßt das böse Blicken sein. Ihr habt heute alle schlechte Sitten gezeigt und sehr rauhe Gemüter, und ich muß euch tadeln.Ihr habt euch nicht aufgeführt wie die Friedensbringer,sondern wie zornige Schweden und übelnehmer. Und ihr seid doch Ritterfräuleins und Kavaliere. Ihr habet einander plötzlich beleidiget und wisset gar nicht warum.Und bis dato habet ihr einander lieb gehabt. Jetzt tut es euch leid; ihr beißet auf die Schnurrbärte und schämet euch. Und die stolzen Fräuleins haben das Wasser in den Augen. Ihr scheltet mich, daß ihr keine fertigen Häuser und Versorgungen antreffen könnet hier.Ich frage euch, was habet ihr etwa besseres verlassen darum? Und wäret ihr etwa doch nicht des guten Willens, für den ich euch gehalten habe in aller Einfalt, daß ihr euch selber gern eine Gegenwart schaffen möchtet unter dem blauen Himmel? Ischt Gott der Herr der Welt fertig begegnet? Und ihr wollt euch nur ins Fette setzen und zu wohlleben anfangen? Hat Chrischt der Sohn die Welt im erlösten Zuschtand angetroffen? Und ihr wollet gleich anfangen zu herrschen []und die Nasen aufzuschperren? Ischt da ein Verdienscht dabei? Wir wollen uns doch Verdienschte machen und sie verbreiten unter die Menschen. Es ischt wahr, man kann alles hinschmeißen und sagen: ich bin geneckt.Die hier gewohnt haben vorher, die sind geneckt, weil sie es haben lassen müssen. Ihr seid gegrüßt vom Frieden und vom Kaiser, und könnet Heimat bekommen und auch Zufriedenheit. Ischt dieses nichts? So will ich von meinem Pferd schteigen und unter euch gehen,und ihr könnet mit mir machen, was ihr wollet; aber ich bekomme allerwege einen guten Tod, denn ich weiß,für was ich schterbe, wenn ihr nicht wisset, für was ihr leben sollet. Das ischt mein letschtes Wort. Könnt ihr es verschtehen, so ischt es euch gut. Könnt ihr es nicht verschtehen, so ischt es euch nicht gut.“

Er hatte zum drittenmal Worte Gottes geredet, saß da auf seinem Roßbock und horchte ihnen nach, und es blühte davon eine stolze und schamhafte Bescheidenheit in seinem Kopf. Er schmeckte gleichsam von fern die gnadenreiche Süße der Auserwähltheit, und das schwere Glück der erfüllten Botschaft sank ihm dunkel auf sein braves Prophetenherz; davon wuchs ihm noch eine kleine Angstlichkeit zu, die aber nicht vorhielt,sondern sich in einem befreiten und unbegreiflich einsichtigen Lächeln in seinem Gesicht erlöste.

Es fand sich, daß nun doch allerlei Augen und sonstige Sinne aufgegangen waren, geöffnet von der sanften Engelshand einer noch kaum geahnten höheren Sittlichkeit, und daß in den störrischen Kreis Nachdenklichkeit einzog, während man noch eben daran 0*[308]gewesen war, sich an den Kragen zu fahren und dann nach allen vier Winden auseinander zu stieben. Was war zu tun? Der Weg nach der Stadt zurück ging über die Klinge, was die Kavaliere anbelangte, und für die Jungfrauen standen auch keine besondern Wegweiser daran. Hinsichtlich des irdischen Gutes, so hatten sie alle vorne nichts und hinten nichts; jedoch hier stand man immerhin auf einem Boden, der weder heiß noch eben widerwillig war. Und vor allen Dingen: man stand nun einmal darauf. Und dann hatte man sich da auch schon mit der Rechtspflege befaßt und ein Urteil vollzogen; so etwas verbindet und schafft tiefere Beziehungen. Dem Lizentiaten fielen zum überfluß die beiden Heiden wieder ein, und sein theologisches Bewußtsein feierte etwas verlegen und mit schamhafter Glorie Auferstehung. Der Süße überlegte, daß ein großer Pflanzfleck um das Schulhaus lag, aus dem sich in nicht zu langer Zeit die schönsten Dinge herausziehen lassen mußten. Er schielte schon halb versöhnt und wirklich gerührt nach seiner Jungfrau Therese, die jetzt die Augen wieder am Boden hatte, und wußte sich keinen artigeren Wunsch, als sie in den Arm zu nehmen und so mit ihr ein pralles rosiges Schlachtwürstchen aufzufuttern. Die Seniorin Cordelia dachte,wenn der Herr Lizentiat wieder ankommen wolle, so werde sie es ihm nicht zu schwer machen. Und so fand sich unter Gottes Nachhilfe in jedem Kopf zur rechten Zeit die rechte Vorstellung ein, und der Tag schloß damit, daß man wirklich verabredete, am andern Morgen miteinander aufs Feld hinaus zu gehen.[]

Der Oberst ging aber noch diesen Abend mit den

Der Oberst ging aber noch diesen Abend mit den Kindern dahin. Er machte ihnen wieder ein Feuer,spielte ihnen den flammenden Teufel vor, sang, was sie hören wollten, ungarisch und kroatisch, und jodelte,daß ihnen die Köpfe klangen und die Nachthasen auf dem Feld das Frieren ankam davon.

ls der Oberst auf dem Nachhauseweg wieder an A den Bach kam, schickte er die Kinder voraus und unternahm noch einen Rundgang durch das Dorf. Die Schulmeisterei lag ruhig; die Kavaliere hatten ihr Stroh aufgesucht und schliefen bereits den ersten köstlichen Schlaf der Wegmüden. Auch im Pfarrhaus herrschte Stille. Der Oberst wußte, daß dort zwei ordentlich breite Bettstellen mit Strohsäcken standen, und daß die Jungfrauen darum nicht am schlechtesten aufgehoben waren; übrigens konnten sie wirklich nicht verwöhnt sein. Als er sich dem Haus näherte, in dem er die Schustersleute untergebracht hatte, sah er die Schusterin unter der Haustür sitzen und weinen. Es gab ihm einen Stich, gerade diese Frau weinen zu sehen. Er dachte unruhig nach, woran er es etwa habe fehlen lassen, ihren Zustand zu erhöhen, besann sich, daß sie eine Mutter war, die man von ihrem Kind entfernt hatte, erschrak auf eine gewisse verstehende und durchbrechende Weise, und schlich sich verlegen vor ihr vorbei.Aber es stand ihm fest, daß man diesem Weib helfen mußte. Man mußte ihr ebenso helfen, wie man der []ganzen Welt half, denn bedeutete die Welt schließlich mehr, als eine Mutter mit ihrem Kind?

Er hätte fast seine beiden Rüpel vergessen über diesen Betrachtungen, erinnerte sich ihrer noch im letzten Augenblick und erlebte sofort eine neue Unzufriedenheit mit ihnen. Denn da er nun gegen ihre Häuser kam,standen sie immer noch mit den Kühen an den Halftern bei der Karre auf der Straße, hatten ihre Knechte an die Räder gebunden und sich wieder an den Bärten und zankten um die Karre. Der Knabe Hans war durch den Knaben Jochen um einen Wischer Bart gebracht,und Hans nahm eben Jochens Kopf in die Hände und biß ihn ins Maul. Der Oberst trieb sie auseinander, tadelte sie und entschied, daß die Karre der Gemeinde gehöre, bis man jedem seine eigene werde beschafft haben. Das ließen sie sich gesagt sein; sie lösten ihre Knechte von den Rädern und schoben sich,jeder mit einem Knecht und einer Kuh am Halfter, unter Dach. Der Oberst teilte ihnen den Hausrat aus, und nachher gingen sie noch mähen. Der dicke Räuberhauptmann mußte ihnen die leere Karre nachziehen; der Lange pflegte seine wunden Schenkel. Die kleine Margareta war unterdessen bereits mit Leinwand und Wundbalsom angekommen, hatte den armen Schelm verbunden und ihm nett zugeredet, und so wirklich ihre Mission der Charitas im Dorf eröffnet. Nun mähte Jochen links vom Bach und Hans rechts; Hans lud vorne auf und Jochen hinten, wie es der Oberst angeordnet hatte. Dann zerrte Jochen mit dem Dicken die beladene Karre nach Hause, und Hans schob hinten.[]zutn Währenddessen saß der Oberst neben dem Bauern Daniel vor dem Haus. Der kleine Ungar hatte sich schon ins Heu gemacht samt der ganzen Jugend; die junge Landstreicherin bewohnte Christines Kammer. Der Oberst dachte fest und mit Absicht an das Mädchen Christine und wartete, bis es der Bauer spürte und von ihr zu reden anfing. Das dauerte etwa eine halbe Stunde. Endlich hob er das dunkle Gesicht von den Fäusten, guckte mit ein paar hoffnungs und ratlosen Augen in den Nachthimmel und seufzte.

„Hast du sie nicht gesehen in der Stadt?“ fragte er dann mit halber Stimme und von allem Klang und Schein verlassen.

Der Oberst überlegte. Dem mußte man die Lichter langsam anstecken, sonst schadete man ihm an den Augen. Er räusperte sich. Ob sie nicht doch im Streit voneinander gekommen seien? Sie wollte ihm einmal keinen Gruß mitgeben; nur nach den Kindern habe sie gefragt und nach Hund und Katz. Aber jetzt sei ja eine andre Magd da, und so gut.

Der Bauer schüttelte den Kopf. Daran war gar nichts gut; das Mädchen war ein Luder. Die Christine sei den Bälgen auch nicht grün gewesen, aber sie habe sie doch nicht regiert, daß sie schon bald alle stotterten,wenn sie sie nur sahen. Arbeiten konnte die ja, der Christine zum Trotz, und proper war sie für sieben Wasserhexen, jedoch was half das, wenn es die unmündige Kreatur auszubaden bekam? Die Katzen vergiftete sie mit Grünspan, und ein Hund getraute sich schon gar nicht mehr auf den Hof; die waren nun vollends ver[]z122 wildert. Dabei machte sie nicht das geringste Aufsehen;es ging alles still und exakt seinen Weg. Man konnte einen Respekt haben vor ihr; ihm war sie unheimlich.

So sah es aus um den Bauern Daniel, und der Oberst wunderte sich jetzt nicht mehr, daß der noch einmal um ein kleines Kindergewicht abgenommen hätte,seit er von ihm weg war. Aber nun schien es Zeit,mit seinem Trost aus dem Sack zu fahren, daß es so und so und auch elend genug zugehe mit dem Mädchen Christine, und daß sie bei Tag und bei Nacht nichts besseres wünsche, als wieder auf dem Bauernhof zu wirtschaften, völlig jetzt, wo es keine Hunde und nur noch wenig und ängstliche Katzen gebe. Vor allem müsse der Bauer freilich das Mädchen heiraten,daß es eine Feschtigkeit werde in dieser Liebe, und ein rechtes chrischtliches Hauswesen, an dem der Kaiser seine Freude haben könne.

Sie sprachen noch dies und das über den Fall;der Schweizer erzählte und der Bauer tat einmal eine halbe Frage darüber weg, die der andere einfangen und für ganz beantworten mußte. Darauf saß der Bauer, schwieg und rechnete, kam schließlich zum Ergebnis, daß es mit dem Roggen noch drei Wochen dauern könne, aber alsdann, wenn er drinnen sei, wolle er vielleicht einmal nach dem Mädchen Christine in der Stadt sehen gehen. Und dabei blieb es für diesmal.

Am andern Morgen nicht zu früh ging man nach Verabredung aufs Feld hinaus, um sich vom Obersten zeigen zu lassen, wie man eigentlich in der Hoffnung saß, und wie man auf die Büsche klopfen müsse, um [313] das Wohlergehen, das darin schlief, herauszutreiben.übrigens hatten die Herrschaften eine gute Nacht gehabt, nur der Schuster klagte über Rheumatismus,weil es in seinem Schlafzimmer gezogen habe. Die Rüpel waren auch mit von der Partie, und der Oberst forderte sie auf, Felder auszusuchen, die sie bebauen wollten. Da machten sie kleine Augen, zogen die Gesichter in Kennerfalten, gingen nachdenklich her und hin und hielten mit vorgehaltenen Händen Ausschau;aber der Teufel fügte es, daß sie ausgerechnet die gleichen Stücke wollten. Sie fingen wieder an, einander Büffelblicke zuzuschicken, und waren schon bei den ersten halblauten Verwünschungen angekommen, als der Oberst,der mit der Gesellschaft weiter gegangen war, um die Felder des Bauern Daniel vorzuzeigen, den Handel inne wurde und abstellte. Er hob sie aus der Verlegenheit, indem er ihre Namen aufs Geratewohl zwischen die Büsche warf und die streitigen Objekte zur Hinterhand legte. Damit gaben sie sich wieder zufrieden und stolperten einträchtig nebeneinander mit den Notabeln fürbaß, um zu sehen, was noch weiter gespielt werden solle.

Der Bauer Daniel war zu Hause geblieben, um die Schafe zu scheren, damit, wenn ihm die Räuber noch einmal darüber kamen und dann etwa ihre Absicht erreichten, er sie doch nicht samt der Wolle verlor.Die junge Landstreicherin, die Helene hieß, war mit dem neuen Knecht, den sie bekommen hatte, dabei, ein Rübenfeld zu hacken und zu jäten; auch von den Kindern mußte alles einen krummen Rücken machen,[] 314 was über fünf Jahre hinaus war, den kleinen Hemdenmatz mit eingeschlossen. Als die indessen ihres geliebten Panduren ansichtig wurden, ließen sie Rüben Rüben sein und liefen ihm mit Jubel zu. Helene befahl sie zurück, zuerst ohne sich nach ihnen umzusehen; als sie sich aufrichtete und die Gesellschaft erblickte, schärfte sie ihren Ton. Wenn jemand heute mittag etwas zu essen wolle, so solle er sich schleunig wieder hermachen; man könne noch genug Geklünker nachziehen im Land herum;sie habe keine Lust, Tagediebe zu füttern. Die Kinder blieben unterwegs und äugten den Obersten an; das Geklünker ging geradeaus auf seine Gesellschaft. Der Oberst lachte.

„Du muscht nicht so giftig sein, Helene. Arbeiten ischt gut, und ich habe auf diesen Feldern schon mehr gewerkt, als du in deinen Tagen zusammenbringen wirscht, denn du bischt nur sehr dünn; aber man muß es fröhlich tun, oder es beschießt nicht. Es ischt schön,daß diese Rüben doch noch gekommen sind. Ich habe schon geglaubt, sie sind meischtens verdorrt in der letschten Hitze. Du bischt aber ein meineidig hübsches Mädchen geworden in Wullenhausen.“

„Dann bin ichs nicht von Eurer Gnade“ erwiderte sie kühl. „Was Ihr in der Zeit geworden seid, weiß man nicht.“ Sie besann sich, ob sie die Kinder noch einmal rufen solle, ließ es und beugte sich wieder über ihre Arbeit.Der Oberst strich sich den Schnurrbart und ging ins Feld hinein. Als er bei ihr ankam, tupfte er ihr mit dem Finger auf den Rücken, daß sie sich erstaunt aufrichtete,und machte ein halb amtliches und halb privates Gesicht.[]„Ich bin der kaiserliche Oberscht und Ritter Holdrio aus Ungarn an der Grenze,“ belehrte er sie, „und muß hier im Land nach dem Frieden schauen. Gib dir Mühe,daß deiner ein gutes Gesicht bekommt. Es täte mir leid, wenn du keine Freude kriegtescht, denn du gefällscht mir sehr.“

Sie überlegte, daß er gestern den roten Kerl hatte hängen lassen und dachte, es müsse doch wohl etwas daran sein, konnte sich aber trotzdem nichts daraus machen, daß sie ihm gefiel, weil es nicht gegenseitig war.

„Dann ist das gut,“ sagte sie und betrachtete ohne Zuneigung seinen gänzlich schmucklosen Bauern und Kuhhirtenkopf, den er optimistisch zwischen den eckigen Schultern trug. „Ich wollte Euch damals nicht beleidigen; aber wenn Ihr ein rechter Ritter sein wollt,so müßt Ihr auch die Jungfern auf der Landstraße in Ruhe lassen.“

Sie drehte ihm zum zweitenmal den Rücken zu,und er setzte sich betroffen an ihr vorbei in Gang, besann sich, daß er zur Gesellschaft zurück müsse und kehrte um. Diese Seele hatte jetzt nicht nur keine Freude, sondern sie blickte ihn kalt und mit Abweisung an, und seine frohe Botschaft bewirkte gar nichts bei ihr, obwohl sie ihm, das konnte er mit Wahrheit sagen, allbereits am besten gefiel von allen Mädchen und Frauen, die er je gesehen hatte. Es war ein Werk des Teufels, daß es so ganz andere Menschen geben konnte, von denen man nichts verstand und die einem mit solchen Indianeraugen ins Gesicht schauen konnten.Fortan trug er Trauer um die junge Landstreicherin,[] 316 aber er gab noch keine Hoffnung verloren. Wahrscheinlich war sie sehr stolz und hatte vielleicht einen Kern zu bewahren, der mehr wert war, als sein ganzes wie sagte sie? Geklünker, das er da hergeführt hatte. Oder war es kein Geklünker? Das wußte jetzt nur Gott und sagte es ihm nicht.

Unter schmerzlicher Nachdenklichkeit führte er seine Kavaliere und Burgfräuleins die Runde fertig und ins Dorf zurück, und fing dort mit ihnen endgültig die Restaurierung der Gemeinde Wullenhausen an. Zuerst sah er nach dem Schlafzimmer des Schusters, der krumm ging und fortwährend seufzte, und fand, daß man nur eine herausgeworfene Tür wieder einzuhängen brauchte,so war dem Zugwind abgeholfen; dazu war der Schuster wieder zu nichtsnutzig und bequem gewesen. Die Rüpel halfen sich selber und machten sich ohne Aufenthalt an ihre Gärten, damit es wenigstens noch Rüben und vielleicht etwas Kraut gab dies Jahr. Wenn ein guter Herbst wurde, so konnte man immerhin einen ganz braven Keller besetzen auf den Winter. Sie faßten vom Obersten die Sämereien. Hans bekam statt des Langen, der vorderhand noch arbeitsunfähig war, aushilfsweise den kleinen Ungar zugesellt. Die Kavaliere machte der Oberst ebenfalls graben in ihren zustehenden Pflanzflecken, und die zustehenden Jungfrauen gingen ihnen mit dem Samen nach, was sie wohl verstanden vom Burggarten her. Der Oberst selber wirkte mit seinen Jungen an der Wiederherstellung der Pfaffei und des Schulhauses. Sie vernagelten die Wetterseite der Kirche mit Brettern von den Brand[]stätten, und der Lizentiat hielt am Sonntag seinen ersten Gottesdienst. Er predigte über den Text: „Was der Mensch säet, das wird er ernten.“ Die Honoratioren sangen den Choral unter dem Vortritt des Magisters,und den Bauern und Räubern lief es kalt den Rücken hinunter.

Nachher aß man miteinander unter den Bäumen Spießbraten von einem Eber, den der Leutnant im Wald gejagt hatte mit der konfiszierten Büchse des dicken schäbigen Räuberhauptmanns, und dazu gab es Pilze und wilde Kirschen, auch Erdbeeren, was jedermann erbaulich zu Gemüt ging, nur daß die Rüpel das Bier vermißten, und der nichtsnutzige Schuster fand,daß die zahmen Kirschen vom Markt doch noch anders schmeckten. Am Nachmittag wurde eine Kinderlehre in Schwung gebracht, wobei dem Lizentiaten zu seinem freudigen Grausen seine schlimmsten Erwartungen in Erfüllung gingen. Er mußte den Kindern zuerst einmal sagen, daß sie Menschen seien, und daß es außerdem einen Gott gebe, der sie gemacht habe, was sie ihm freilich nicht glauben wollten; sie lächelten skeptisch und stießen einander an, doch als er ihnen die höllischen Strafen über den Köpfen aufhing, wurden sie nachdenklich und kriegten Besorgnisse. Die Rüpel, die auch dabei saßen und sich mitgemeint merkten, guckten einander mit langen Gesichtern an, ärgerten sich, standen auf und stampften demonstrativ aus der Kirche; das brauchten sie sich nicht gefallen zu lassen. Hingegen die Landstreicherin Helene faßte Zuneigung zu dem schwarzen Predikanten, weil er ihr Richtung im Leib zu haben schien und die Leute [] 318 auf ihre Wege wies; das hatten sie nötig. Für sich selber nahm sie nichts von dem Strauß; sie überließ alles der Bagage. Die Schusterin dachte an ihren kleinen Jungen und weinte leise in ihrem Winkel.Schwalben, Rotschwänzchen und Spatzen flogen geschäftig ein und aus durch die unverglasten Fensterlöcher, und fütterten ihre Bruten. Ab und zu kam ein Köter an die offene Tür, überlegte sich, ob da etwas für ihn abfallen könne, und zog schleunig seines Weges weiter,wenn der Lizentiat mit einem neuen Heilsatz unter die Leute fuhr. Und draußen auf dem leeren Kirchplatz lag die alte heidnische Sonne auf dem Bauch und lachte, was sie konnte.

Man begann nun erst recht die Brandstätten auszuräumen und auf Brauchbarkeiten zu untersuchen,und möblierte auf diesem Weg langsam die Pfaffei aus und die Schule, auch die Försterei und die Küsterwohnung. Es kam immer einmal wieder ein Gerät zum Vorschein, nur daß man reichlich zu flicken hatte daran. Man fand noch zu verschiedenen Malen Roggenkorn, und sogar etwas Hafer; auch auf Weizen stieß man, aber er hatte leider zu keimen angefangen an seinem Ort, und daselbst eine bleiche und geisterhafte Blindenanstalt eingerichtet, die niemand etwas nützen konnte.Man zerstörte das Treiben und ging weiter dem offenen Tag nach. Der Leutnant hatte durch Geduld und List das Zutrauen einiger Köter gewonnen; die dressierte er auf die Jagd, und wurde nun gar nicht mehr ohne sie gesehen. Jochens Kuh brachte ein Kalb zur Welt.Der lange Räuber fing an und kroch vors Haus, wo [] 319 er die Nachmittage auf der Bank saß und Löffel schnitzte.Er schnitzte auch Mütter Gottes, jedoch der Lizentiat verbot es ihm, weil es hier reformiert zugehen sollte.Der Schuster besorgte seinen Brief an den Kaiser; der Ed mußte ihm dafür einen Tag im Garten arbeiten. Er übergab ihn darauf dem Obersten, und der sagte ihm zu, daß er ihn befürworten und mit der nächsten Post,die der Bauer Daniel machen werde, auf die Reise bringen wolle. Dafür mußte er dem Obersten noch zugunsten der Gemeinde vier Säcke gedörrte Kirschen einliefern, die man mit den andern, die die Kinder einsammelten, für den Winter aufhob. Man ließ auch sonst nichts umkommen, und hielt den Wald und das verwilderte Feld scharf unter dem Auge. Man sammelte Farren und trocknete ihn als Streu für das Vieh. Was von Wild eingeliefert wurde, häutete man säuberlich ab und der dicke schäbige Räuberhauptmann gerbte die Felle obenhin in der wieder ausgegrabenen Gerberei am Bach unweit der Schule; er war früher ein Gerbergesell gewesen. Damit gewann Hans, dessen Knecht er war, einen Vorsprung vor seinem Bruder und fing an, Bedingungen zu stellen, wenn jemand ein Fell wollte. Der Oberst schritt zwar ein und bestimmte,daß er dann auch dem Leutnant die Felle abverdienen müsse, und so blieb es vorläufig bei der Gegenhand,aber Hans dachte darüber nach, wie er die Felle in sein Eigentum bringen könne. Er machte mit dem Schuster und dem Leutnant einen Vertrag, daß der Schuster auf seine Rechnung dem Leutnant solle jagen []helfen, wofür dann ihm, Hans, die Felle zufielen; in der Zeit wollte er dem Schuster seinen Pflanzfleck besorgen und ihm auch ein Drittel von seinem Kuhmist abtreten. Der Schuster kalkulierte, jagen im Wald sei lustiger als pflanzen und graben und zu Haus bei seinem trauernden Weib sitzen, und ging breitbeinig in den Vorteil ein. Der Leutnant fragte den Teufel nach Vorteilen, wenn er nur trockenes Pulver hatte und ganze Schuhe. Er bedang sich ein jährliches Fixum fertiger Häute aus, und Hans fing seine Gerberei an.Der Schuster begann mit des Jägers Hunden zu laufen,was ihm viel schneller verleidete, als er sich vorgestellt hatte. Nach acht Tagen wollte er den Handel zurücktun,jedoch Hans berief sich auf den Vertrag und ging mit ihm vor den Obersten; da mußte der Schuster weiterhin Wölfe treiben und Bälge nach Hause tragen. Das brachte ihn zu Kummer und grauen Haaren.

Als Jochen diesen Erfolg Hansens merkte, hielt er mit seinem Knecht Rücksprache, um heraus zu bekommen,was er etwa in dieser Art los hatte. Da war er von Hause aus ein Schreiner und Tischler, konnte auch zierliche Sachen drehen, und, wie er schon bewiesen hatte, mit dem Schnitzmesser umgehen. Das däuchte Jochen eben nicht viel. Als aber der Knecht wieder auf seinen Beinen stehen konnte, tat er eine Schreinerwerkstatt auf, die sich von selber, unter Jochens großer Zufriedenheit, zu einer allgemeinen Zimmerei erweiterte.Und weil diese Kunst nun noch ungleich wichtiger und öffentlicher war, so erlebte Jochen die Genugtuung, daß der Bauer Daniel mit ihm in Verhandlung trat wegen []seines Dachstuhls, der ihm in einer Sturmnacht eingebrochen war. Sie kamen übereins, daß Jochen ihm einen neuen aufsetzen solle, wofür ihm Daniel den ältesten Jungen als häuslichen Lehrling zuerkannte,außerdem für die Wintersaat über die allgemeine Anweisung hinaus einen Sack Roggen; das brauchte gerade noch einmal soviel Boden, als der Knabe Hans bestellen konnte; dafür verfügte Jochen auch über zwei Hände mehr zur Arbeit. Der Bauer Daniel seinerseits konnte das ganz gut auslegen; der Schweizer hatte ihm für eine tüchtige Ernte gesorgt. Und seitdem dieser als kaiserlicher Gesandter mit der Gesellschaft im Dorf umging, waren beim Bauern ohnehin Einsichten und Lichter aufgegangen. Vorgearbeitet hatte schon die strenge Hand der jungen Landstreicherin Helene, aber die Munterkeit kam doch hauptsächlich von den Zeichen des Mädchens Christine her, die ihm wieder im Gesichtsfeld erschienen waren. Jetzt trieb auch er seine Jugend an die Arbeit, nur auf eine fröhlichere und anmutigere Weise als Helene, und er brauchte in diesem Kurs bloß ein paar Tage, so hatte er alles Regiment wieder in der Hand. Er begann mit seinen zwanzig Händen zu sammeln und einzuheimsen, daß es ein Ansehen bekam,und weil er die große Familie ausmachte, so brauchte er nur wenig Abgaben an das Gemeinwesen zu entrichten. Andererseits, weil jetzt Vertrauen und sogar einige Sicherheit ins Dorf eingekehrt waren, mochte man sich auch lieber innerlich wiederherstellen und auf schönere Wohnlichkeit verlegen, das alles mit dem Gedanken an das Mädchen Christine.

Schaffner, Der Bote Gottes

21 [] 322 Die Häuser der Honoratioren waren soweit hergerichtet, und die Kavaliere traten vor den Obersten und sagten, sie wollten jetzt auch heiraten. Der Oberst war es zufrieden, bestimmte den nächsten Sonntag zur Verkündigung und den übernächsten zur Trauung, und die Kavaliere verließen ihn erbaut. Gleich darauf kamen sie noch einmal und fragten, wie es mit der Mitgift des Kaisers beschaffen sei? Jetzt hätte man den Zeitpunkt, daß sie eingenommen werden könnte. Der Oberst entschied, sie sollten nur herzhaft heiraten; sobald man die Ernte vom Feld habe, reise er oder der Bauer Daniel nach der Stadt, um das Guthaben aufzuheben;dato sei keine Zeit dazu. Die Kavaliere sahen das ein und waren zum zweitenmal erbaut.

Nachdem sie sich die Straße hinunter verzogen hatten,stand der Oberst etwa fünf Minuten still und betrachtete nachdenklich den strohblonden Schopf des Hemdenmatzes,der zu seinen Füßen auf der Erde saß und mit seinem Säbel spielte. In der Toreinfahrt stand mit gesträubten Haaren ein Kater und schrie. Der einsame Gockel hinter dem Haus krähte. In der Küche hantierte die Landstreicherin mit Geschirr. Es fiel ihm wieder ein,daß sie niemand gehörte. Eigentlich ergab das ein sonderbares Gefühl; es beunruhigte und beschäftigte.Herrgott, was für Verantwortungen er trug für diese wilde Seele. Er bekam Herzklopfen, wenn er sie sah oder hörte, obwohl sie immer noch kein Zeichen von sich gegeben hatte, als ob er ihr anfange, besser zu gefallen. Sie fuhr ihm wie aller Welt kühl und gelassen über den Weg, und redete eigentlich nur mit []Z 323 ihren Geschwistern. Aber es kam gewiß darauf an,daß man ihr eine Hand bot, so schlug sie auch ein.Er ließ dem Hemdenmatz seinen Säbel und ging aus.Nach einer halben Stunde kam er mit einem Strauß wilder Rosen zurück. Er schritt direkt nach der Küche,wo Helene am Herd stand. Sie hatte eingeführt, daß ihr niemand in die Küche kommen durfte, wenn sie kochte; Christine war zu ihrer Zeit mit derselben Maßregel nicht durchgedrungen. Der Oberst wartete geduldig mit seinen Rosen, bis sie ihn eines Blickes würdigte.„Was wollt Ihr?“ fragte sie endlich geärgert über ihre Schulter hin. Er schaute sie mit richtigem Seelenkummer an.

„Ja, so bischt du,“ stellte er fest. „Du giebscht einem deine Augen zu erkennen und fragscht: was wollet Ihr? Und ich habe einen Busch Rosen in der Hand. Meinscht du, daß ein solcher in übler Absicht zu dir kommt? Ich will dir etwas sagen: sei nicht hochfahrend und auch nicht traurig, sondern siehe zu,daß du dich erheiterscht mit Menschen. Du gehörscht nirgends hin, und wir gehören alle nirgends hin. Das ischt die Zeit. Vielleicht gehörten wir auch nirgends hin, wenn eine ganz andere Zeit wäre. Darum so tun wir uns zusammen, ob wir vielleicht wieder eine Freude bereiten und uns bessern, und eine Heimat machen. Und ich wollte dir sagen und dir vorschlagen,Mädchen Helene: mache eine Heimat mit mir. Du kennscht mich jetzt. Ich bin der Dümmschte nicht und der Faulschte auch nicht. Wir fangen eine Hofschtatt an und schaffen uns einen Reschpekt unter allem Volk

21*[324]vor Mensch und Tier. Willscht du? Es ischt mir meineidig ernscht damit.“

Helene hatte ihm während seiner Rede ein wenig erstaunt, doch völlig ungerührt ins Gesicht geleuchtet.Nun schüttelte sie leichthin den dunklen Kopf und wandte sich ab.

„Nein, ich will nicht,“ beschied sie ihn mit ihrer metallklaren Stimme. „Sorgt für die Bande; ich hab' Euch nicht nötig.“ Sie verschärfte den Ton wieder.„Und ich habe Euch schon gesagt: Ihr gefallt mir nicht.Ihr seid mir zu kälbermäßig und herrisch dabei. Geht heim zu Euren Kuhmäulern.“

Er ließ den Kopf hängen vor diesem unzugänglichen Fels und seufzte.

„Magscht denn du keinen Frieden?“ fragte er traurig.„Du freuscht dich nie und hascht nichts lieb, nicht einmal dich, wie es scheint, geschweige andere. Wir wollen dich fröhlich machen, wie wir selber sind. Nimm diese Rosen.“

Helene verzog den Mund.

„Begreift Ihr denn nichts? Ich kann Euch nicht ausstehen. Macht meinetwegen den Teufel fröhlich.Aber geht mir aus der Küche, oder ich sage noch etwas,das mich reut nachher.“

Der Schweizer war nahe am Heulen. „Warum hassescht du mich denn?“ fragte er schwermütig. Als er keine Antwort bekam, legte er den Strauß auf den Küchentisch, drehte sich halb um, hatte eine Art Vision,in der er sie flüchtig begriff als sein Gegenteil und feindliches Prinzip, fiel wieder in die Wirklichkeit und []

wußte so wenig als vorher, außer, daß er es gerade

wußte so wenig als vorher, außer, daß er es gerade noch gewußt habe. Er verließ die Küche und sagte zu seinem kleinen Geist, er solle sie aufgeben; das tat der zwar, aber verbessert war nichts damit. Er ging aufs wilde Feld hinaus nachdenken, kam nicht zum Essen heim,fiel von einer Passionszeit in die andere, pilgerte zu Stummels Grab und heulte dort ein bißchen, kam sich siebenmal so einsam vor als jemals, und fand die Welt und das menschliche Herz hundsmiserabel eingerichtet.

un fing die Ernte an, und der Oberst hatte wieder N eine Freude. Er dachte daran, wie er mit dem Bauern den Pflug am Strick durch den Boden gerissen und nach dem ersten Gerstenfund gerade noch einmal soviel mit den Kindern umgelegt hatte. Jetzt stand es fröhlich da, und der Bauer machte wieder muntere Augen. Er spaßte sogar mit den Kindern:

„Ha ja, jetzt bin ich der reichste Bauer im Bann.Ich weiß gar nicht mehr recht, soll ich mit euch Lausbuben noch reden oder nicht. Die Christine wird Augen machen, hoho.“

Das war des Schweizers Genugtuung. Er hütete sie und sagte keinem Menschen ein Wort davon. Im ganzen machte sie ihn nicht lustiger. Wie des Bauern Wagschale vor Behagen sank, so stieg die seine aus Mangel in die leere Luft. Es war ihm, als seien [] 326 irgendwie irgendwelche Tage gezählt bei ihm, und müsse er sich rüsten, mit eintreffender Order aufzubrechen.

Mittlerweile kam der Roggen heim, und der Lizentiat warf die drei Paare von der Kanzel, sich mit der Seniorin Cordelia zuletzt auf die andern beiden. Am nächsten Sonntag traute er sie, am Schluß sich selber mit eben dieser Jungfrau Cordelia. Er fragte sich laut im Angesicht Gottes: „Liborius Elfentag Stockholz,Diener des Herrn an dieser Gemeinde Wullenhausen,willst du die christliche Jungfrau Cordelia von Reschen zum Ehegemahl nehmen und ihr treu verbleiben in Zucht und Gottesfurcht bis zum Tode ?“ und antwortete tief und ergriffen: „Ja, ich will!“ Darauf fragte er die Jungfrau, ob sie auch wolle; sie wollte gleichfalls und er gab sie mit sich zusammen. Nach dem Gottesdienst führte der Oberst die neuen Ehepaare im Namen des Kaisers offiziell in ihre Amtswohnungen ein.

An der schönen Ernte des Bauern Daniel hatten vom Obersten aus alle mithelfen müssen, weil man nachher doch auch die Wintersaat und einiges Brot davon zog. Aber der Schuster hielt diese viele Arbeit nicht länger aus. Er legte sich hin und starb im Verlauf von drei Tagen an einem inneren Fieber, woran man sonst nicht so geradeaus zu verscheiden pflegte. Der Leutnant,der ihn nun am besten kannte, sagte von ihm aus, wenn man ihm etwa aufs Grab schreibe: „Hier ruht in Gott der Schuster Florian,“ so könne man einmal ganz sicher sein, daß die Inschrift die Wahrheit aussage. Er habe so und so oft den Wald zu seinem Bett gemacht, so werde er es auch fertig bringen, sich mit Gott zuzudecken.[] 327 Man begrub ihn unter dem geistlichen Beistand des Lizentiaten neben dem Daumenlutscher, und so kamen zwei Tagediebe zusammen zu liegen. Niemand dachte daran, auf welche unerwartete Weise ihm sein Wunsch erfüllt worden war, von seinem bittern Weib loszukommen. Die Schusterin weinte nicht heftiger, als nötig war; ihre Trauer galt auch weniger dem wirklich begrabenen Taugenichts, als der Lebensmöglichkeit, die mit ihm aufgehoben war, ohne zur geraden Gestalt gekommen zu sein.

Am andern Morgen machte der Bauer Daniel die Entdeckung, daß sein kleiner blonder Knecht und die junge Landstreicherin verschwunden waren. Es hatte nur auch gar niemand etwas gemerkt von einem Einverständnis. Hinterher fiel es dem Bauern ein, daß er sie in der letzten Zeit etwa zwei oder dreimal miteinander reden gesehen hatte, aber nicht lustig oder poussierlich, sondern eben ganz gewohnheitsmäßig; das war wohl in Ungarn so der Brauch. Ihre Geschwister hatte Helenye dem Bauern und der Gemeinde überlassen.Der Oberst dachte lange und gründlich nach. Am Abend des zweiten Tages brachte er das Erkenntnis ans Licht: „Es ischt ein Rabenaas und man muß es laufen lassen. Man kann nicht Weschtwind und Oschtwind miteinander haben, sonscht gibt es nur Wirbel und Gewitter.“ Erst viel später stellte es sich heraus, daß die beiden Einträchtigen ein paar Stunden weiter im Land sich auf eigene Faust angesiedelt hatten; das war ihnen ersprießlicher vorgekommen, als den dummen Bauern Knecht und Magd zu machen. Man sieht [328]die pandurische Stammelternschaft der Nachbargemeinde noch heutigentags an. Im ganzen Herzogtum kommen nirgends mehr so bunte Mädchen und phantastische Schlingel vor, wie in Gägenheim, aber es hält nicht vor; mit dreißig Jahren ist Flaum und Schaum zerstoben und es gibt nirgends nüchternere Frauen und gleichgültigere Männer, als auch wieder in Gägenheim,während in Wullenhausen Sinne und Gemüter in den ruhigeren Jahren erst recht anfangen zu blühen.Ruodi Bürgler setzte dem Bauern für vorläufig die Schusterwitwe in den Haushalt, mit der er sich sofort wohl versorgt merkte, und hieß ihn seine Christine holen, als dieser Wagen lief. Es fing ihn an zu treiben,und so trieb er auch den Bauern. Eines schönen Morgens begann erst der Horizont leise zu glühen vor der Sonne her, da stand Daniel vor dem Haus mit dem Roßbock des Obersten am Zügel. Der Oberst trat aus der Haustür und zählte ihm noch einmal die Menge von Dingen auf, die in der Stadt besorgt werden sollten, und der Bauer kletterte aufs Pferd und sagte ade. Bald darauf klapperte er an der Schule vorbei über den Bachsteg zum Dorf hinaus, und fing auf der Landstraße seine Staubwolke an, die ihn nun begleitete bis vor die Stadt, wo die gepflasterte Straße begann. Die interessierte ihn wacker, aber er bekam noch ganz andere Dinge zu sehen, zum Beispiel die dichte Menge hoher Häuser und Giebel, die großen,stolzen Kirchen, die geschmückten Frauen und fetten Bürger, die glänzenden Kauf und Rats herren, und die schnittigen Beutelklemmer. Er erwog jedes Ding in []seinem mageren schwarzen Kopf, und es schien ihm, als ob alles in allem nicht gerade groß von Gewicht sei.Leben taten sie ja gewiß gut genug hier; er dachte an das Dorf Wullenhausen und an seine halbverbrannte Hofstatt, und ein Schein von Bitterkeit ging über seine gute Seele, daß das unnütze Pack hier so wohl gebettet lag; er hatte zwischen Füchsen und Wölfen jahrelang ein beklommenes Dasein geführt. Dann erinnerte er sich an seinen neuen Dachstuhl und freute sich wieder.

Er stieg vor der Herberge ab, die ihm anbefohlen war, fragte nach dem Markt und erfuhr, daß heut nichts zu handeln sei, weil eine Hochgerichtsaktion vor sich gehe über einen Magier, der verbrannt, und einen Strauchdieb, der gehängt werden solle. Das kümmerte ihn zunächst nichts; aber dann wurde der Strom auf der Straße so stark, daß er doch mit mußte. Er kam auf den Gerichtsplatz, kriegte einen viel besseren Standpunkt, als ihm wichtig war, und sah mit Befremden und Mitleid die armen Teufel, den Sternseher Balduinus Alizel und den dicken Junker Waldemar Rolandus, vom Henker an Stricken durch die Volksmenge zu ihrer elenden Erfüllung schleppen. Die Leute erzählten wieder einmal alles, was sie wußten und nicht wußten. Der Alte sei ein Hexenmeister und habe seinen eigenen Vater umgebracht, um mit seiner Seele schwarze Magie zu treiben. Der dicke Beutelschneider habe den Torwächter erstochen, um ein spitzbübisches Schustersehepaar aus der frommen Stadt zu entrücken, das bei eben diesem Sternseher Silber und Gold gestohlen habe. Es war klar, daß da ein Zusammenhang bestand, und jeder []hatte eine andere Deutung dafür. Sicher wußte man nur, daß der dicke Schuft in sündigen Beziehungen gelebt hatte zur Schusterin, und daß er in der Stadt geblieben war, nachdem seine Komplizen schon Fersengeld gegeben hatten, um die Gläubiger des Schusters noch um dessen Hab und Gut zu bringen. Auch waren die AD worden,und diese Schlüssel hatten ihm die neue verschärfte Halsgerichtsordnung des Kaisers aufgeschlossen. Der Sternseher war ein Heidenhund, der zu bellen anfing,wenn man ihm ein Kruzifix zeigte, und der vom Dicken sagte, daß er sein Sohn sei; allein man hoffte, daß D

Der betrat inzwischen an der Hand des Sternsehers den engeren Kreis, der von Stadtknechten abgesperrt war. Er sah etwas blaß und übernächtig in den Tag, hatte nichts von seiner kavaliermäßigen Leichtigkeit und guten Haltung verloren, und auch nichts von seinem Bauch, und blickte gelassen und fast belustigt in die dummen Vettermichelgesichter, die ihn an seinem Weg wie Schweißtropfen an den Rändern einer Wunde von beiden Seiten anstarrten. Er sah ein, daß es eigentlich nicht ihm schlecht ging, sondern diesem weiten,summenden Volk, das sozusagen ein offenes Bein hatte und es nicht inne wurde, weil es so groß war; es war doch viel tausendmal größer als der große Drache, der es erst nach vier Wochen im Kopf spürte, wenn ihn ein Tausendfüßler unterm Schwanz zwickte.

Der Sternseher freute sich auf den Tod. Er stolperte ihm auf seinen alten Füßen aufgeregt und fröhlich ent[331]gegen, und sprach zu dem dicken Strauchdieb, für dessen Seele man doch Hoffnungen hegte, so verführerisch von der Leichtigkeit der Sternenluft, in die sie nun gleich nach der Weissagung miteinander eingehen würden, daß das Volk ganz wild und zapplig wurde. Er guckte freundlich und mit der listigen Kennermiene des Feinschmeckers in den Hagelschauer von Schmähreden und Drohungen, der seinen Weg begleitete, und fand immer neuere und schönere Preisworte für die zu erwartende Erlosung von der Schwere und Aufhebung der Gebundenheit, daß der Junker das Volk vergaß und ihm zuhörte. Er erbleichte zwar und verlor auf einen flüchtigen Moment die weltmännische Fassung, als der innere Ring der Stadtsoldaten sich hinter ihm schloß und er jetzt unausweichlich Auge in Auge mit dem Galgen und den letzten Dingen stand. Jedoch die Melodie der himmlischen Leichtigkeit,die mit geisterhafter Schöne aus dem alten Mund des Sternsehers klang, nahm seinen Geist sofort wieder gefangen, so daß sich nun eine stille Heiterkeit auf seinem Gesicht auftat, und er aller Sorgen quitt seine wohlgebildete und unentschiedene Bravemannsseele in das Eigentum des energienreichen Himmelstürmers befahl.

Der Mönch trat auf mit seinen groben Symbolen,und wurde vom Sternseher mit dem hellen Spott des Verklärten weitergeschickt, und vom Junker mit einem halb scheuen Dank und Lächeln höflich abgelehnt.Das Volk summte. Der Alte nahm den Kopf des weitläufigen Burschen zwischen seine Hände und drückte ihm einen Kuß auf die Stirne, wozu er sich ein wenig [332]über seinen Bauch spannen mußte, trat von ihm zurück und betrachtete ihn liebevoll und feurig, und auch mit einem Zug hellsehender Aufmerksamkeit, wie um ihn nachher gleich wieder zu erkennen, und wandte sich entschlossen seinem Scheiterhaufen zu, den er stürmte wie eine feindliche Burg oder eine Brautkammer. Als er oben stand und herab sah, hatte er das alte Herz so voll verstehender Liebe zu den Menschen, daß es ihm war, wenn er nur mehr dazu getan hätte, es zu erweitern,so müßte er jetzt das ganze schwere Volk zu sich herauf ziehen können. Das hätte einen Einzug gegeben von wunderbarer Sieghaftigkeit; leider hatte er sich durch seine Jugendsünden darum gebracht. Er sah nach seinem Sohn Rolandus. Der stand unter dem Galgen und trug die weißen freien Weltmannshände vor sich her.Nun wurden sie ihm gebunden; er bestieg, aus eben dieser Ursache etwas unsicher, die Leiter; der Henker legte ihm den Strick um den Hals und stieß ihn von der Sprosse, und im nächsten Moment war er von der Schwere befreit und umschwebte mit seiner Seele schlank und freundlich den Scheiterhaufen des Sternsehers, der schon mit dem Rauch kämpfte. Er rief der Seele zu: „über ein kleines, mein Sohn, so werde ich ausfahren. Schwebe zu meiner rechten Hand!“ Er kehrte sein Gesicht noch einmal dem weiten, wühlenden Volk zu, sprach die tiefe Unwissenheit darüber aus, hob den Blick mit Schwung zum Tageslicht, das nur noch flackernd durch seinen Rauch zu ihm hinein drang, verstummte und gab den spekulativen Geist auf.

Der Bauer Daniel suchte nach diesen Geschichten [] 333 beunruhigt und irgendwie traurig seine Herberge auf,verzehrte still sein Abendessen, das besser war, als er's je in seinem Leben genossen hatte, und ging zu Bett.Das Bett war ein gewöhnliches grobes Herbergsbett, wie das Essen ein gewöhnliches grobes Herbergsessen gewesen war, aber es kam ihm eins wie das andere zu üppig vor für seine bescheidene Person, und er schlief mit schlechtem Gewissen ein.

Am andern Tag war großer Pferde und Viehmarkt;das paßte ihm wie bestellt in seinen Auftrag. Er sollte vom Obersten aus den Roßbock verkaufen und für sich eine trächtige Kuh dagegen einhandeln. Mit den beiden Rüpeln dachte der Schweizer schon fertig zu werden; aus lauter Liebe zum Bauern Daniel war er doch noch einmal der Ungerechtigkeit in die Hände gefallen mit seiner munteren Hirtenseele. Außerdem sollte der Bauer für das vom Kuhkauf übrig bleibende Geld Werkzeuge und Nägel und einen ganzen Sack voll anderer Notwendigkeiten anschaffen. Es war ein Geschäft, das einen Vormittag reichlich ausfüllte. Indessen verkaufte er den Gaul ziemlich rasch, erhandelte die Kuh,brachte sie in die Herberge, und ging gleich wieder weg, kam mittags bepackt wie ein Maulesel zurück,lud ab, aß etwas, und fragte endlich nach der Sternseherei. Der Wirt dachte, er wolle bei der Versteigerung mit handeln, die heute dort vor sich ging,und wies ihm seinen Weg. Daniel wunderte sich flüchtig über den Ton, in dem es geschah wie über eine gerade sehr bekannte Sache, machte sich jedoch ohne Redensarten auf die Füße dahin. Er malte sich aus,[334]was Christine für Augen machen werde, wenn er nun auf einmal vor ihr stand, und legte sich zurecht, was er sagen wolle.

Er traf alles anders, und bekam dazu noch so bedenkliche und elende Auskünfte, daß es ihm ganz grau vor den Augen wurde, und er mit leeren Blicken und sausenden Ohren in die Verwüstung starrte und lauschte, mit der ihn das Juden und Maklerwesen der Versteigerung umgab. Ha ja, also ihr Vetter war das gewesen gestern auf dem Scheiterhaufen. Schlecht bedient war sie mit dieser Vetterschaft, mußte man sagen. Die Base Luna hatten sie ins Kloster gesteckt, und der alte Vogelfänger war unter dem Prozeßbetrieb kindisch geworden und saß nun zwischen den Narren. Wo das Mädchen Christine hingekommen war, konnte ihm lang keiner sagen. Schließlich erfuhr er, daß sie mit dem Schustersjungen an der einen Hand und einem Bündel an der andern die Stadt hinauf gegangen sei.

Das gute Herz des Bauern Daniel tat einen Juchhesprung: war sie mit dem Bündel die Stadt hinauf, so war sie auch aus dem Tor, und wanderte jetzt auf der Straße nach Wullenhausen zum Bauern Daniel. Auf einmal wurde dieser steifknochige Bauer beweglich. „He,hoppla, macht Platz, ich hab's eilig. Ha, laßt mich durch,sag' ich.“ Es setzte schon Rippenstöße von seiner und Flüche von allen anderen Seiten. Fäuste und Stöcke flogen in die Luft und fuhren auf den Schädel des rabiaten Bauern herunter. Aber er scherte sich den Teufel um Fäuste und Stöcke. „He, hoppla, Platz gemacht!“ Verprügelt und verflucht gelangte er aus dem Gedräng und die Straße [] 335 hinauf nach der Herberge. Ha, bei Gott, was er für eine Eile hatte! „Meine Zeche, he, ich hab's pressant.“Er zerrte schwitzend und dampfeud die Kuh aus dem Stall und band sie vor der Herberge an, rannte hinauf,belud sich mit seinem Einkauf, und kam die Treppe herunter geklirrt und geklappert wie der böse Feind. Er warf seine Zeche auf den Tisch, sagte ade, band draußen die Kuh vom Ring, und begann sofort einen kleinen Dauerlauf mit ihr, bekam einen Schwarm Kinder hinter sich, passierte trotzdem unangefochten das Tor,und fing draußen wieder seine Staubwolke an. Er hätte den neuen Torwächter fragen können, ob hier ein so und solches Mädchen durchgekommen sei, aber er dachte gar nicht daran, so sicher war seine gute Seele ihrer Sache.

Gegen Abend fand er das Mädchen Christine vor der untergehenden Sonne am Straßenrand sitzen mit dem Schusterskind. Der Knabe weinte vor Hunger und Müdigkeit, und Christine wußte ihrer Seele keinen Rat mehr.Ihr Unternehmungsgeist und wackerer Mut hatte sie vollständig verlassen, wie es solchen schmalkopfigen Christen gewöhnlich geht, wenn sie einmal eine vernünftige Idee auf eigene Rechnung ausführen sollen. Der Bauer gab dem Jungen ein Stück Brot aus seinem Sack, und dem Mädchen Christine gute Worte aus seinem Kopf, beobachtete mit hellen Augen, wie die hungrigen armen Seelen die Lebensmittel in sich hinein aßen, und gab immer noch mehr dazu, bis es fürs erste ausreichte. Er warf seine Packen und Bündel ins Gras, ließ die Kuh weiden,setzte sich zu Christine, und fing nun erst ein rechtes [3360]Gespräch an, in dessen Verlauf er wohl merkte, wer jetzt zahm war. Aber das Mädchen Christine hatte auch seine Ohren und Augen, und so diplomatisch der Bauer es anstellte, so hörte sie doch seinen Liebes und Freiertritt schon von weitem und fing an, Blumen vor die Haustür zu stellen, zuerst zögernd und ungewohnt, dann mit schönem Vertrauen und mit Hingebung. Eine solche anständige Handlungsweise lohnt sich immer, und so konnte die Sonne eben noch rasch vor dem Untersinken mit einem letzten zehenständigen Schielen über ihren Berg hinüber sehen, wie der Bauer Daniel das Mädchen Christine in den Arm nahm und ihr die Schwere des einsamen Daseins von den Schultern hob.

In diesem Moment geschah noch etwas ganz besonderes.Die Kuh auf der Wiese hörte auf zu weiden, stellte die Ohren, drehte die breite Nase nach der Straße, von wo sie hergekommen war, zog Luft ein und gab ihrem Bedenken durch ein tiefes, bedeutungsvolles Brummen Ausdruck. Dagegen klang ein helles Gewieher die Straße herauf, das schon selber wie auf Hufeisen herfuhr, und dahinter kam hoch erhobenen Kopfes der schwarze Bauernhengst des Obersten angetanzt mit einem so wunderlich leichtfüßigen Füllentrab, daß er nur ganz kleine Staubwölkchen unter sich aufbrachte, für jeden Huf immer eines. Er wieherte noch einmal, warf bereits den dicken Kopf in der Luft herum zur Begrüßung, und stand vor dem Bauern Daniel, schnaubend und dampfend, gezäumt und gesattelt, und stieß ihm die heiße Nase ins Gesicht,bevor er noch recht wußte, um was es sich bei diesem Spaß handelte. Schließlich ging ihm doch das ent[] 337 sprechende Licht auf. Er bewillkommte das gute Tier und ergab sich gerührt in seine Anordnungen, teilte ihm ein Stück Brot mit, streichelte es, bis es sich beruhigt hatte, band es stillsinnig mit der trächtigen Kuh zusammen,und nahm mit der ganzen Gesellschaft den Weg wieder unter die Füße, um zur Nacht noch rechtzeitig irgendwo unter zu kommen.

Schluß

Wäre dem Obersten diese erquickliche Gemütsregung eines Tieres, um das er sich doch nicht besonders gekümmert hatte, in die Wissenschaft getreten, so hätte er vielleicht seiner Verlassenheit aufgeholfen damit, und gar einen Ersatz für den guten Hund Stummel bekommen. Aber er stand in dieser Nacht dunkel und freudlos im wilden Feld, hatte seinen Gram wegen der miserablen Einrichtung des menschlichen Herzens um sich ausgebreitet wie einen Prophetenmantel, und sah wieder mit dem gespannten Glühen im Auge am Himmel das Südlicht erwachen und mit Gestalten und Bildern vor seiner tieferregten Anschauung innig aufschäumen.Er biß die Zähne aufeinander wie vor der Leiche seines vierbeinigen Freundes, und stöhnte vor Verlassenheit.Er hatte als Pionier und Kulturfaktor, wie sein Wille nun einmal entbrannt war, Heimaten geschaffen, und durch seine wohlmeinende Klugheit aus dem Nichts Zufriedenheiten hervorgezogen; für ihn war nichts unter dem Fischzug gewesen und er war auch selber kein Fisch,

Schaffner, Der Bote Gottes

22 [] 338 daß er etwa in diesem Teich bei den andern hätte weiterleben und zwischen Arbeit und Ruhe so hinschwimmen mögen. Nein, sein Werk war hier getan.Er kam sich hundert Jahre alt vor als kaiserlicher Oberst und mußte sehen, daß. er sich wieder verjüngte. Er hatte keine Heimat; dafür herrschte er im Reich der Gestalten. Eine neue Gestalt her, und so Gott befohlen. Was konnte es der Welt und der Beschaffenheit des menschlichen Herzens helfen, wenn er den Kopf hing! Und ein Feuer wollte er noch haben zu guter Letzt.

Er begann Holz zu suchen und schichtete einen Reisighaufen, der nicht viel kleiner ausfiel, als der Holzstoß, auf dem sie in der Stadt dem Teufel seinen Magier verbrannt hatten. Er verbrannte keinen Magier darauf,sondern den kaiserlichen Obersten und Ritter von Holdrio aus Ungarn an der Grenze. Als es recht schön lohte und flammte, legte er Hand an sich und löste die Sterne von seiner Schweizerbrust. „Ihr habet eine kleine Nacht geschienen,“ sagte er zu ihnen, „da ischt ein Zeugs zueinander gekrochen und hat jetzt seine Meinung. Gehet hin und schauet, wo die Sonne ischt.“ Damit meinte er nichts als seine nächste Form, nach der er aussah.Er riß auch die Tressen von seinem Rock und warf sie samt den Sternen ins Feuer. Es fing ihm an zu leichtern. Er schwatzte mit sich und lachte sogar. Er dachte an die junge Gemeinde Wullenhausen, und guckte in die Vorstellung hinein wie in einen vergangenen Traum. „Es ischt meineidig wunderlich,“ fand er, und schüttelte den Kopf. Er begann zu singen, zuerst in der [339]Versinnerung leise ungarisch und kroatisch, dann kräftiger in der Hirtenweise der Kuhbruderschaft, aus der er seine scheckige Seele her hatte, und zum Schluß jodelte er.Er stellte ein ganzes Fest und Feuerwerk von Jodlern an, ein Preis- und Wettjodeln mit sich selber, ein prähistorisches Konzert von einem höhlenmenschenmäßigen musikalischen Herumgebell mit dreizehn Echoen, ein unartikuliertes auf Terzen und Akkorden gestelltes Affengeschrei, mit dem er aus einem irrsinnig gewordenen Kanarienvogelhals alle Leitern der menschlichen Gemütszustände hinauf und herunterraste, unerbittlich und unermüdlich hinauf und herunter, bis er fand, es sei jetzt genug. Darauf saß er eine halbe Stunde mit aufgestütztem Kopf schwermütig brütend am Boden neben dem Feuer, raufte gedankenverloren Gras und Blumen aus ihrem Schlaf, erhob sich frierend, schauderte, knöpfte das Wams zu, trat vom Feuer weg und blickte flüchtig und halb scheu nach dem Südlicht. Er lächelte mit seinem dreieckigen Schweizermaul auf eine Art verlegen über die Schulter in der Richtung nach Wullenhausen, ging drei Schritte gerade aus, blieb stehen und sah mit seitwärts geneigtem Kopf sorgenvoll zu Boden, tat noch ein paar gewissermaßen prüfende Tritte, hob eine Hand und schnippte mit den Fingern.Er setzte sich den Hut fester auf den Kopf und fing nun an zu gehen, langsam, mit dem Ansehen eines Spaziergängers und der verhaltenen Federkraft des Läufers, was ihm einen merkwürdig auf und ab schwankenden Gang gab, den er sonst nicht hatte. So verschwand er zwischen den träumenden Gebüschen.

2*[] 340 Das Feuer brannte noch bis in die Morgendämmerung,und glomm bis über den Sonnenaufgang übernächtig in den Tag hinein. Unterdessen wurde das Dorf munter und nahm sein Wesen auf, wo es gestern abend von ihm war liegen gelassen worden. Die Schusterin kochte die Morgensuppe und wartete auf den Obersten, wunderte sich, daß er nicht auftrat, dachte, er schlafe vielleicht noch und klopfte vergeblich an seine Kammertür. Als es Mittag vorbei war, meldete sie den Verlust den Honoratioren. Die mutmaßten, er sei vielleicht unter Räuber gefallen, und gingen ihn suchen mit Stecken und mit Stangen. Sie fanden nichts als das frische Feuer, das noch ein paar Gluten von der Nacht in seinem Schoß bewahrte, und kamen auf seltene Gedanken. Der Leutnant stocherte einen Blechstern aus der Asche, und nun war es ihnen doch verwünscht so,als hätte er sich bei lebendigem Leib selber verbrannt.Freilich sah es jetzt mit ihrer Mitgift ziemlich entfernt aus, und wenn sie nicht noch der Bauer brachte, so kamen sie überhaupt nicht mehr dazu.

Der Bauer brachte keine Mitgift, sondern Nägel und Werkzeuge, eine trächtige Kuh, den verwaisten Roßbock des Obersten, das Kind der Schusterin, und das Mädchen Christine. Sie nahmen ihn ins Kreuzverhör, konnten aber nichts herausbringen. Nachdem sie acht Tage gewartet hatten, wollten sie das Pferd an sich ziehen, bekamen es mit den blonden Lümmeln zu tun und mußten es ihnen lassen. Weil es sich herausstellte, daß die sich nun erst recht nicht darüber einigen konnten, boten sie es doch den Honoratioren []an und nahmen die Kühe als Eigentum zurück, die ihnen der Oberst dafür abgehandelt hatte. Die Honoratioren konnten sich auch nicht einigen. Sie stritten darum, bis sich der Gaul fast lahm gestanden hatte im Stall. Am Ende griff der Leutnant durch und nahm ihn in Gebrauch mit der Geltendmachung, daß es einem Pfarrer oder Magister doch nicht anstehe, sich auf einem Pferderücken zu tummeln. Nun ritt er darauf zur Wolfsjagd.

Da dem Knaben Hans der Schuster aus dem Kontrakt heraus gestorben war, kam er mit dem Bauern Daniel überein, daß sein Zweitältester an die leere Jägerburschenstelle neben den Leutnant trat. Dafür liefen nun Daniels Jungen jahrelang mit rehledernen Kreisen und Dreiecken auf den Sitzverschwiegenheiten durch die Dorfgassen. Die Schusterin blieb samt ihrem Jungen mit Christines Willen auf Daniels Hof, der ihre braven Hände auch gut brauchen konnte. Inzwischen feierte das Paar Hochzeit. Der Leutnant gab ein paar Schüsse ab. Die beiden Lümmel mußten mit Blumen umwundene Stöcke vor den Hochzeitern herschwenken, was ihnen sehr sonderbar vorkam. Der Magister brachte den Kindern zu dem Anlaß das erste Lied bei; sie schrieen es in der Kirche.

Eines Tages sah der Knabe Hans den Vorteil ein,den der Bauer Daniel durch den Menschenreichtum seines Hofes vor ihm voraus hatte. Er nahm mit der Schusterin Rücksprache, und die Folge war, daß sie als Hansens Frau mit ihrem Jungen vom Hof Daniels auf den seinen zog. Diesmal schwang Jochen [] 342 allein den Blumenstab; das kam ihm noch sonderbarer vor. Nun brachte Hans das tüchtige Weib zu neuem Flor und fand nebenher, daß ihm damit auch nicht übel gedient sei. Jochen hätte ihm gern das Kunststück sofort nachgemacht; aber er mußte warten, bis das älteste Mädchen des Bauern Daniel soweit nachgewachsen war.

E

24 []Werke von Jakob Schaffner Irrfahrten. Roman. Zweite Auflage.

Mit wahrem Entzücken versenkt man sich in diese Kleinkunst, die so herzenswarm und sinnig, so frisch und schelmisch, nur allein deutschem Geist entspringen kann! Wie da jedes Eckchen des alten Schuhmacherhauses zwischen den zwei „Strömen“ (dem Rheinstrom auf der einen und dem Menschenstrom der Gasse auf der anderen Seite)mit einer Liebe durchsonnt wird, die ihm Leben, Wärme, Bedeutung und Fülle gibt, das ist die echte germanische Dichterfähigkeit, das Große im Kleinen zu erkennen, das Schöne im Unscheinbaren, das Weltweite, Ewige im räumlich Engsten. (Die weite Welt)Die Erlhöferin. Roman. (zFischers Bibliothek zeitgenössischer Romane)Ein Buch, gleich ausgezeichnet durch eine von Anfang bis zu Ende gleich spannende, dabei niemals auf grobe Effekte abzielende, oft von dramatischem Leben erfüllte Handlung, durch einen wunderbaren Stimmungsreiz und echtes Lokalkolorit. Mit großer künstlerischer Meisterschaft weiß Schaffner dem alten Stoffe des Bruderzwistes neue Seiten abzugewinnen, neue Töne weiß er anzuschlagen in dem alten und doch ewig neuen Liede von der Liebe des echten und unechten Sprossen desselben Vaters zu dem gleichen Mädchen.Da ist nichts zu spüren von „epischer Breite“, die so oft herhalten muß, wenn der Nomanschreiber die Dürftigkeit der Handlung durch unbegründete Längen der Darstellung zu verdunkeln sich abmüht,ruhig und gleichmäßig und mit zwingender innerer Noiwendigkeit geht das Schicksal seinen Gang. (Straßburger Post)Die Laterne. Novellen. Zweite Auflage.Der Novellenband wird eingeleitet von einer Erzählung „Grobschmiede“, und sie ist das Schönste, was ich seit langem gelesen habe.Mit einer schalkhaften Innigkeit, einer treuherzigen Wärme, einer festen Behaglichkeit wird der durchaus nicht ungewöhnliche Stoff ausgebreitet und vorgetragen, daß man in allen Tiefen entzückt ist; die ganze Her lichkeit unserer liebsten deutschen Meister dringt dabei auf uns ein, und am Ende hat man das Gefühl, daß man etwas wundervoll Frohes []und Schönes erlebt hat ... Würde diese Erzählung in den Werken Gottfried Kellers stehen, so würden wir sie zu dem Schönsten rechnen,was dem Meister gelang. (Velhagen Klasings Monatshefte)Hans Himmelhoch. Wanderbriefe an ein Weltkind.

Weniger das Buch als der Typus ist das Interessante an den Wanderbriefen dieses Schweizers. Mit dem neuen Dichtertyp der Jensen und der Schaffner reguliert sich das schwankende Verhältnis des Ich zur Welt als künstlerischem Objekt wieder: das Blut des Kosmos kreist in ihren Adern, die Stürme des Alls brausen in ihrer Brust. Sie sind Romantiker von Geblüt, aber sie haben der Romantik einen neuen Sinn gefunden, der ihr Rückgrat gibt: der Rausch ihrer schöpferischen Umarmung begreift den Fortschritt unserer wirtschaftlichen Kräfte in sich. Sie reisen, wie die Nomantiker von einst, aber ihre Reisen wissen nichts von Empfindsamkeit; sie sind Auswanderer, Goldgräber in den unerforschten Fernen, die uns solange tot und seelenlos erschienen. Sie sind Poeten des zwanzigsten Jahrhunderts. Das literarische Echo)Konrad Pilater. Roman. Dritte Auflage.Konrad Pilater läßt sich auf vieles ein als guter Kerl, aber im rechten Augenblick nimmt er seine Unabhängigkeit und Unverschämtheit immer wieder zu sich. Die Hauptmasse des Romans gilt der überaus anmutigen Schilderung des Bräutigams und angehenden Meisters, wie er Schritt für Schritt ins Philisterium tritt. Aber das Eigentliche ist das nicht. Das Eigentliche für Schaffner oder Pilater ist die regenbogenfarbene Sehnsucht, oder wie es seine reifere Männlichkeit nun empfindet, das Weltgefühl, dieses Zucken in der Brust von Drang, Willen, Anziehung aller Dinge über uns und unter uns. Warum zieht die Erde am Monde,wovon strahlen die Kinderaugen, wodurch ist das Gras grün?Woher sind alle diese Dinge gekommen? Pilater vermißt sich nicht, die letzten Fragen zu beantworten, aber er hat das Recht,so keck zu fragen, weil er das Ein und All fühlt als schmerzlich süße Gewißheit in der eigenen Brust, und es ist eben diese mit Verstandes helle glücklich geeinte Gemütsgewalt, die ein so herzliches wie kluges, die ein so deutsches Buch hervorgebracht hat.Vossische Zeitung, Berlin)Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenbainichen. [] []*ð 8 *5


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TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Der Bote Gottes: ELTeC Ausgabe. Der Bote Gottes: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-471F-0