49497 []Draußen in dem hübschen, alten Landhaus vor dem Städtchen lebte seit etwa anderthalb Jahren ein Mann, der viel zu reden gab,obwohl er ein sehr stilles Leben führte. Der „Amerikaner“, wie ihn Sroß uund Klein nannte, war ein noch recht rüftiger Herr, Mitte der sechziger Jahre, ging mit seiner schönen, rassereinen dänischen Dogge viel spazieren und unterhielt sich freundlich mit Jedermann, den er traf. Wer ihn reden hörte, merkte gleich, daß sein Äbername nicht seine Herkunft, sondern nur einen langen Aufenthalt in der neuen Welt bezeichnete.
Herr Andreas Markhofner war sogar ein Kind des Städtchens selbst, ein Sohn des Kupferschmieds Markhofner am obern Tor, den die ältern Leute alle noch gekannt hatten. Sr selbst war schon als junger Bursche ausgewandert; man hatte 45 Jjahre lang nichts mehr von ihm gehört und nun war er auf einmal wieder da als reicher Mann. Freilich die drei großen Möbelwagen, mit denen er ankam,waren nicht, wie die Jugend des Städtchens erwartet hatte, ganz voll Soldsäcke und Banknotenpäckchen gewesen, sondern hatten nur guten Hausrat geborgen. Aber immerhin das Steuer-Kapital des Städtleins hatte durch die Rückkehr dieses fast verschollenen Bürgers doch einen außerordentlich erwünschten großen Zuwachs bekommen und, wo etwas freiwillig gesteuert wurde, da verhielt sich der Amerikaner durchaus anständig, weder knorzig noch protzig; er gab reichlich und gern, dabei ohne Seschrei und Aufsehen.
Die notwendige Reparatur der Kirchenorgel war infolge seines Zuschusses nun endlich fest beschlossen; der Verkehrsverein hatte seit seinem Beitritt sämtliche Bänke am StadtbergWeg neu streichen lassen; die Tuberkulose-Liga konnte unbesorgter als vorher Kranken und Sefährdeten Srholungskuren bewilligen, denn Herr Markhofner []hatte dem Kassier gesagt, für so etwas sei er immer zu haben. Der Männerchor schließlich, der vor seinem 50jährigen Jubiläum stand,hatte eine so wirklich uberraschend X es schnöder Andank hätte heißen müssen, wenn das schöne Fest nicht in geziemender Weise zur Huldigung für den hochherzigen Sönner geworden wäre. Die Aberreichung der wundervoll kalligraphierten EhrenmitgliedsArkunde an ihn sollte im Festakt sozusagen den von Reden und Sesängen umrahmten Höhepunkt bilden.
Aber ach, Herr Andreas Markhofner war trotz höflichster Einladung nicht erschienen und, da damit niemand gerechnet hatte,so war einige Derwirrung ins Festprogramm gekommen und noch am MontagAbend, als die Häupter des Männerchors bei Küfer Hutzinger zur Nachfeier beisammensaßen, wurde nicht ohne einigen Arger davon gesprochen.
„Hat er sein Nicht-Erscheinen denn irgendwie begründet, als Sie ihm die Arkunde ins Haus brachten?“, fragte der junge Lehrer Brödli den Dereinspräsidenten Oberrichter Holzmann.
Der zuckte die Achseln: „Begründet? ja oder Nein, wie man will. Sr hat gesagt, es sei sehr freundlich von uns gewesen, ihn einzuladen, aber er bleibe eben Sonntags grundjsätzlich daheim. Das ist doch kein vernünftiger Srund, nicht wahr, meine Herren?“
Alles nickte Heren Holzmann beistimmend zu und Metzger Mayfelder lachte grimmig:
a, einen Sonntagsrappel hat er, der Amerikaner; das hab'ich bitter genug erfahren.“
Man drängte ihn, seine Srfahrung zu erzählen.
„Ja, als ich hörte, daß so ein Soldvogel sich bei uns niederließe, da hab' ich mich, wie alle unsere Professionisten, herzlich gefreut, und als seine Haushälterin übrigens ein Frauenzimmer, das weiß, was ein gutes Stũck ist den ersten Sonntagsbraten für ihn bestellte, da wollt ich Ehre einlegen und schnitt das Allerfeinste heraus und versprach es zu schicken. Am Sonntag früh trägt der Franz, mein Lehrbub, das Brätlein hinaus, samt den Bratwürsten []für Ihre Frau, Herr Oberrichter es ist ja ein Weg und bringts wieder heim. Die jungfer habe gesagt, sie wollten den XEhab ich mich geärgert! Sesagt hatte sie's, das war wahr; aber ich hatte gedacht, es gehe wie hier üblich. And nicht einmal entschuldigen konnt' ich mich; denn ein volles Jahr kam die Jungfer Salome keinen Schritt mehr in meinen Laden. Srst seit ein paar Wochen ist der Amerikaner wieder mein Kunde und zwar ein guter, das muß ich sagen, und ich sorge dafür, daß er den Sonntagsbraten am SamstagAbend kriegt.“
Man lachte und Herr Mayfelder setzte dazu:
„Weiß der Teufel, ob er ein Jahr lang Kraut gefressen hat oder wo er sein Fleisch herbezog; hier hat er's nicht genommen, das weiß sch, weder beim „Schwanenwirt“ noch beim „Schwartensepp.“
Posthalter Hügi schmunzelte und sagte: „Das kann ich dir schon sagen, Jjakob, ohne das Postgeheimnis zu verletzen. Jeden Tag kam,bis eben vor ein paar Wochen, ein sauberes Kistlein an, das als Absender den Namen einer sehr renommierten Sroßmetzgerei aus der Stadt zeigte. Natürlich Sonntags ausgenommen, aber das Samotago-paket war jedesmal doppelt so schwer!“
„So, so,“ grollte der Metzger, „aus der Stadt hat er's kommen lassen müssen, als ob wir nicht grad so gut schlachteten!“
„Ja, aber eben der Sonntag war's, Maufelder, nicht die Qualitãt,“ lachte wieder der Posthalter und er setzte dazu: Vbrigens das muß man dem Amerikaner lassen, er hält seine Srundsätze auch aufrecht, wo es ihn trifft. Auch die Post, die Zeitungen und Briefe will er Somitags nicht; es sind noch kaum vierzehn Tage, daß er einen eingeschriebenen Expreßbrief aus Amerika einfach nicht annahm am VLonntag.“
Auch Bäcker Leibundgut gestand, daß er mit den Frühstücks-weggen die gleiche Srfahrung gemacht wie Mayfelder, und Herr Brödli sagte spottend: „Ja, der nimmt Euch Seschäftsleute in die kKur und dressiert Euch, wie er will; das tut Euch nur gut.“[]Das reizte den Metzger. Sr schlug mit der Faust auf den Tisch und schimpfte: „Schikane war's und ist's! And Hochmut! Der Narr will's einfach anders haben als andere Leute!“
„Nun ein reicher Amerikaner ohne Schrulle, das wäre wie eine Rose ohne Dorn!“ tröstete man ihn und suchte nun doch zu ergründen, warum der Amerikaner just aus dem Sonntag eine solche diebhaberei mache. Man ftellte fest, daß er kein „Stündeler“ sei;das habe sich an seinem ganzen Verhalten, namentlich auch an seiner schönen Sabe für den Männerchor gezeigt. Nicht einmal sonderlich kirchlich scheine er zu sein; er sei zwar einige Male in der Predigt gewesen, aber nicht allzuhäufig, jedenfalls nicht regelmäßig. Amso unerklärlicher schien den Herren die Sonntagsschrulle des Amerikaners.
Das Sespräch, das die Herren darüber auf dem hübschen, mit KübelOleandern umstandenen VDorplätzchen der Hutzingerschen Weinstube führten, wurde jäh unterbrochen, als um die Scke mit einem Mal Herrn Markhofners dänische Dogge auftauchte. Wie nun gleich darauf ihr Herr selbst folgte und mit freundlichem Sruß fragte, ob er auch sich bei ihnen niederlassen dürfe, da wurde es natürlich gern gestattet; aber es lag doch eine gewisse allgemeine Verlegenheit über den ersten Minuten, weil man nicht über das eben Sesprochene weiter reden wollte und Alle in ihren Sedanken doch nicht davon loskamen.
Herr Brodli, der diese Derlegenheit besonders peinlich empfand,weil er eine gerade, aufrichtige Art hatte, ertrug das Schweigen nicht länger.
„Herr Markhofner,“ sagte er, „wir haben gerade von Ihnen gesprochen. Wir konnten nicht recht begreifen, warum Sie gar so streng gegen alle Sonntags-Arbeit und alles Sonntags-Oer-gnügen sind.“
Der Angeredete lachte ein wenig und sagte dann: „Hab's wohl gemerkt, meine Herren, daß Sie mich eben in Arbeit hatten und konnte mir auch denken weshalb. Mein LonntugsFanatismus, oder wie Sie es nennen wollen, plagt Sie. Aber er ruht nicht bloß auf []einer Schrulle, sondern er ist das Ergebnis meiner Lebenserfahrung.Langweilt es Sie nicht, so will ich's Ihnen gern zu erklären versuchen.“Offen gestanden, die Mehrzahl der Herren war nicht besonders erfreut von diesem Angebot und ärgerte sich ein bischen, daß der Lehrer so offen ihr Sespräch verraten hatte. Aber es ging doch nicht wohl an, die Aufklärung abzulehnen, und so machte man sich bereit, sie mit Ergebung anzuhören.
„Fünfundvierzig Jahre,“ begann Herr Markhofner, „bin ich von hier fortgewesen, nicht die ganze Zeit in Amerika. Srst ging ich als junger Kaufmann nach Frankreich, ein paar Jjahre darauf nach Spanien und wieder nach ein paar Jährchen wechselte ich von Barcelona ins spanische Amerika hinũber. Fast ein Jahrzehnt habe ich teils im sũdlichen Brasilien, teils in Argentinien zugebracht, in sehr verschiedenen Stellungen. Derdient habe ich meist gut, aber vor mich gebracht doch nichts Rechtes, obwohl ich damals zeitweilig Werktags und Sonntags ganz gleich fortarbeitete. And wenn ich einmal in diesen Jahren am Lonntag nicht schaffte, so erholte ich mich, wie ich glaubte, um so gründlicher. In Wirklichkeit war's aber nie Erholung, sondern immer nur Zerstreuung. Ich zerstreute an diesen Lonn und Feiertagen, die ich mit allerlei Freunden bei den Dergnügungen südamerikanischer Sroßstädte oder auf Lustreisen zubrachte, viel meiner innern und äußern Kraft, ohne es selber groß zu merken.Klar wurde mir's erst, als mich Seschäftsbeziehungen und Lebensverhältnisse, die ich Ihnen hier nicht ins Einzelne schildern kann, in den Norden, in die VDereinigten Staaten, führten und zwar nach NewHampshire, ins richtige NeuEngland. Am ganzen Wechsel der Lebensart fiel mir am unangenehmsten zunächft der Sonntag auf, der Sonntag ohne alle meine bisherigen Zerstreuungen, ohne Theater,Konzert, ohne Seselligkeit und Dergnügen, der richtige “
„Englische Sonntag,“ fiel Posthalter Hügi ein, der vor Jahren []drei Wochen über dem Kanal gewesen war, „kenne das, trostlos langweilig. Puh, wenn ich nur dran denke!“
Ja, so kam's mir zuerst auch vor,“ sagte Herr Markhofner,„aber mit der Zeit lernte ich's anders auffassen. An den Vankees war mir von Anfang aufgefallen, wie viel frischer, energischer,stählerner der ganze Lebens und Arbeitsbetrieb war als bei den Leuten im Süden und in unserm alten Europa. Ss ging auch nicht allzulang, so fühlte ich mich in diesen sftarken Strom sozusagen mit hineingerissen und hatte Erfolg. Was ich erworben habe, so daß ich jetzt als behaglicher Hausbesitzer und Jubelgreis in der alten Heimat sitze, stammt aus meinen Jahren im Norden.“
ESr schwieg einen Augenblick, trank einen Schluck und fuhr fort:Wenn ich mich nun besinne, was meinem Leben die neue Art gab,was überhaupt der Srund der amerikanischen Frische und Tüchtig-keit ist, so spielt ja da vielerlei mit, aber nicht zum wenigsten eben die angelsächsische SLonntagsauffassung, der ich mich erst auch recht widerwillig gebeugt habe, die sich mir aber nach und nach als große Wohltat enthüllte.“
Herr Oberrichter Holzmann unterbrach ihn entrüftet: „Ansinn,herr Markhofner, so ein englischer langweiliger Heuchelsonntag, dieser Sipfel der Odigkeit, kann doch nicht anders als schädigend wirken;das ift meine feste Aberzeugung.“
„Mag sein, Herr Oberrichter, mag sein; nur steht Ihrer Äberzeugung meine Erfahrung gegenüber. Ich habe ja früher den Sonntag auch so verstanden, wie man ihn gewöhnlich versteht. Man will Erholung von ihm und das ift ganz richtig. Aber man sucht die Srholung draußen: in der Natur, in der Seselligkeit, im VDergnügungsbetrieb, in Konzert, Theater, Reisen usw. In meinen nordamerikanischen Jjahren habe ich ihn dann anders verstehen gelernt;auch als Srholungstag, aber eben nicht durch Zerftreuung, sondern durch Sammlung: in der Stille eigenen Nachdenkens, im Kreis der Familie. Zuerst kam mir's ja auch langweilig vor, gewiß, aber je mehr ich mich dran gewöhnte, desto mehr spürte ich auch die Kraft []dieser Sitte. Nach einem LSonntag der Zerstreuung, wie ich's früher gehabt, war mir der Montag immer nur ein halber Tag. Nach einem Sonntag der Sammlung ging die Arbeit am Montag doppelt leicht und für die ganze Woche wirkte die gesammelte Kraft nach.Dadurch wurde mein ganzes Schaffen frischer, erfolgreicher und dadurch auch froher, freudiger. Das ist meine Srfahrung mit dem Sonntag, der nicht der Arbeit und der Zerstreuung, sondern der innern Sammlung dient.“
„Lammiung, immer SRammlung? Was meinen Sie denn eigentlich damit?“ polterte Metzger Mayfelder. Sr hatte sich am meiften geärgert, daß nun ihr friedlicher Abendschoppen so ernst zu werden drohte, und da er im Ärger sein Schöpplein etwas rascher als sonst geleert hatte, so war er nun ein wenig schwer von Begriff und leicht von Zunge geworden.
„Sammlung?“ antwortete lächelnd der Amerikaner, „ja, wenn ich Ihnen das erst erklären muß, so werden Sie es wohl kaum verstehen.Aber versuchen will ich's doch. Als ich noch Seschäftsmann war wie LSie, da ging's mir wie es Ihnen wohl auch geht: ich hatte viel Arger. Angestellte, Kunden, Lieferanten waren oft wie verschworen,mich aufzuregen und ungeduldig zu machen und ich hätte oft die ganze Menschheit am liebsten dahin gewünscht, wo der Pfeffer wächst.“
Herr Maufelder staunte; er hätte einen solchen Sefühlsausbruch dem ruhigen, reichen Amerikaner gar nicht zugetraut; nun nickte er gewaltig und brummte sein Leibsprüchlein vor sich hin: „Mensch,ärgere mich nicht!“
„Wenn ich nun am Sonntag dieselbe Menschheit um mich zu zerstreuen, wie man sagt in SEisenbahnen und Tramwagen, auf Dampfern und Landstraßen, in übervollen Wirtschaften und Dergnügungslokalen wiedertreffe, so bin ich am Montag immer in genau derselben gereizten Stimmung ihr gegenüber wie am Samstag-Abend.Ich habe am Sonntag nichts gewonnen. Verbringe ich aber den Zonntag in aller Stille mit den Meinen, so ärgere ich mich erstens selber nicht, und zweitens, wenn ich mir's so überlege, so finde ich,[]daß wahrscheinlich die Menschen nicht bloß mich geärgert haben,sondern ebenso ich sie und diese AÄberlegung macht mich ruhiger,milder, und ich gehe am Montag ganz anders in den notwendigen Verkehr mit Lieferanten, Kunden und Angestellten hinein ich habe mir Seduld gesammelt am Sonntag.“
„Hat sich was, hat sich was,“ lachte Oberrichter Holzmann,„ich hätt' mich heut morgen in der Audienz auch nicht so über den Prozeßhammel von Sroßhofbauern geärgert, wenn mir nicht von gestern der Jubiläumsrummel in den Sliedern gesteckt hätte!“
„Ss brauchen nicht einmal die Menschen zu sein,“ fuhr Herr Markhofner fort, „allein schon unser Seschäftsbetrieb an sich nimmt mit seinen Sorgen, seiner Arbeit, seinem Hundertlei von großen und kleinen Dingen unser ganzes geistiges Wesen, unser ganzes Nervensystem in Anspruch. Wenn ich jetzt am Sonntag einem Delorennen, einem FußballMatch oder dergleichen beiwohne, so ist das eben wohl eine Sache, die mich in ganz anderer Richtung in Anspruch nimmt, aber eben mich doch auch in Anspruch nimmt, meine Nerven fordert, mich mit Lärm und Aufregung umgibt: es ist Zerftreuung, aber nicht Sammlung. Sammlung ist's, wenn mich der Sonntag aus dem Lärm in die 8Stille führt, wenn ich wirklich ruhe,an einem schönen Buch mich erquicke, mit meinen Kindern mich freue.Dann habe ich Kraft gesammelt für die Woche. Derftehen Sie nun,was ich damit meine, Herr Mayfelder?“
Da der Angeredete auf diese Frage nur etwas Anverständliches brummte, fügte Markhofner noch bei: „Man kann natürlich keinem Menschen ein fertiges Rezept für seine Sonntagsfeier geben. Dem Sinen kann Sammlung sein, was dem Andern nur Zerstreuung ist,3. B. ein rechter Spaziergang. Aber im allgemeinen, was als Sonntagsvergnũgen heute unter uns gilt, ist meist nur Zerstreuung und sehr selten etwas von Sammlung dabei. Oder nicht, meine Herren?“
Zie mußten ihm im Srunde alle Recht geben, wenn sie an ihre gewõhnlichen Sonntage dachten und an den geftrigen insbesondere.
„Man sieht es ja an den Folgen,“ fuhr Herr Markhofner fort.[]„Es war mir, seit ich wieder in unserm lieben Daterland weile,nichts so betrübend zu sehen, als die furchtbare VDerdrossenheit, mit der Anzãhlige an ihrer Wochen und Lebensarbeit stehen. And wissen Sie, was zum guten Teil daran schuld ist?“
Sr griff zu dem Zeitungshalter, der auf dem Tisch lag, weil die Herren vorhin geschaut hatten, ob schon ein Bericht über die Jubilãumsfeier im Blatt stehe. Die SonntagsNummer war auch noch da und Herr Markhofner hielt den AnzeigenTeil vor seine Tischgenossen hin. Es war kein SroßsftadtBlatt, sondern nur eine bescheidene Bezirkszeitung. Aber da standen außer der Sinladung zum jubiläumsKonzert des Männerchors noch der Kreisturntag in Knötliswil, eine TheaterAufführung „Jutta von Sternheim, oder:Blutige Rache“ in Afflikon, Tanzvergnügen in Hopsigen, Frauenhofen und Küßwangen, Preiskegeln im „Bären“ zu Neundorf, eine Bekanntmachung der EntenbachTalbahn über drei neu in den Fahrplan eingeschaltete Sonntagszüge, FreicKonzert des Musikvereins Tuthausen im „goldenen Sternen“, Kaninchen-Ausstellung in Küngelheim usw. usw.
„Ss ist ein wenig viel auf einmal,“ gab Herr Brödli zu, als der Amerikaner eine Anzeige nach der andern im Marktschreierton vorgelesen hatte.
„Ss ist zu viel,“ sagte Markhofner ernst, „es ist Dergeudung unserer Volkskraft, Zerstreuung, Zerstreuung, wo Lammlung nottäte,Lärm, wo wir Stille brauchten. Deshalb, mag man mich einen Sonntagsnarren nennen, meinetwegen! Ich will doch, soviel ich kann, dafür wirken, daß auch unser Schweizervolk den Sonntag als wirklichen Erholungstag, den Sonntag der Sammlung, nicht der Zerstreuung, wiederfinde.“
Lehrer Brödli hatte eine Sinwendung, die aus der Not seines Herzens stammte; denn er beschäftigte sich viel mit all den schweren Fragen des Menschenlebens; die Spannung z3wischen Kapitalismus und Sozialismus, die Sebundenheit unseres Dolkes in der Trinksitte und derlei Dinge gaben ihm zu schaffen. „Herr Markhofner, was []Sie sagen hat viel für sich, aber meinen Sie wirklich, die ArbeitsDerdrossenheit unserer Zeit mit mehr Sonntagsruhe heilen zu können?Deren Wurzeln liegen doch viel tiefer; der Kapitalismus und Mammonismus hat uns die Schaffensfreude geraubt. Durch den verfluchten SeldDienst ist unser Seschlecht so gehetzt, gejagt und geplagt,daß es nur Zerstreuung will und zur Lammlung gar nicht mehr fähig ist. Wie ist ein Sonntag der Sammlung möglich für die Vielen,Dielen, die kein Heim haben, wo sie einmal für sich sein können?Da müssen zuerst die VDerhältnisse anders werden, ehe Ihre Bestrebungen für einen bessern, edlern Sonntag einsetzen können.“Der Amerikaner streckte dem jungen Manne die Hand hin und drückte die Rechte, die Herr Brödli ihm bot, gewaltig. „Sie nehmen mir aus dem Munde, was ich sagen wollte. Natürlich alle Arbeit für einen wertvollern Sonntag hat nur dann Sinn, wenn sie in dem Willen wurzelt, der aufs Sanze geht, der nicht Flecken ausputzt,wo das ganze Kleid gewaschen und erneuert werden muß. Aber,nicht wahr, es ist doch gar zu bequem, jede Sinzelfrage aus der Not unseres Volkes von sich wegzuschieben mit dem großartigen Satz:Andert erst die allgemeinen Verhältnisse!“ Da heißts das Sine tun und das Andere nicht lassen! Arbeiten für die soziale Srneuerung unseres Volkes und jetzt schon tun für den bessern Sonntag, was auns möglich ist. Die Sonntagssache ja nicht mit der ganzen, großen Sache der Srneuerung verwechseln, aber ebenso wenig wegen der Serneuerung im allgemeinen die Sonntagssache gering achten!“
„Ja, was kann denn unsereiner für den Sonntag tun?“ fragte Herr Brodli.„Nun, zunächst einmal sich selbst den Sonntag der Sammlung an Stelle des Zerstreuungs-Sonntag setzen und dann sein Blick streifte Metzger Mayfelder und Bäcker Leibundgut dafür sorgen,daß Andere nicht durch uns unnötige Sonntagsarbeit und Sonntags-hetze bekommen!“
Die beiden Handwerker spürten, daß sie das anging, und, wäh[]rend Mauyfelder wieder etwas brummte, ergriff nun Herr Leibundgut das Wort:Ja, Herr Markhofner, das ist alles ganz recht und Lie können sich schon einen arbeitsfreien Sonntag machen und altgebackene Wegglein essen; deswegen muß mein Lehrbub doch herumlaufen, die übrige Kundschaft will doch warme Weggen.“
„And wenn Sie die LSonntagspost nicht annehmen,“ sagte der Posthalter, „deswegen müssen die Briefträger doch ihre Austragung machen; was nützts, wenn Sie allein keine Briefe und Zeitungen wollen?“„Nicht viel, allerdings,“ erwiderte Markhofner, „aber zunächst für mich: ich habe doch ein sauberes Sewissen in dieser Sache, das ift schon ein Nutzen, und 3weitens müssen doch Sinzelne mit dem guten Beispiel anfangen. Dielleicht wirkts doch mit der Zeit. Wenn bei uns hier, nun etwa außer mir noch Sie, die Sie hier sind, dazu etwa der Herr Pfarrer, der Herr Doktor und ein paar Andere die Sonntagsbedienung von Metzger und Bäcker sich verbitten, glauben Sie nicht, daß dann bald Sie, Herr Maufelder, und Sie, Herr Leibundgut, sich und Ihren Lehrbuben am Sonntag-Morgen Ruhe gönnen könnten?“
Beide Handwerker nickten und auch die Andern gaben es zu,und mehrere nahmen sich vor, mit ihren Frauen über diesen Punkt zu reden.
„Abrigens,“ fuhr Markhofner fort, „für mich ist das nicht bloß eine Frage des Nutzens, sondern der Pflicht. Ich will meinen freien Sonntag haben, und da ich mich einen Christen heiße, so gilt doch auch mir das Wort des Meisters: „Was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut auch ihr ihnen.“
Herr Oberrichter Holzmann wurde unruhig. Sr war als Präsident außerordentlich darauf erpicht, daß das nie verletzt werde, was man im Mãnnerchor die konfessionelle Neutralität nannte, und worunter die Meisten verstanden, nie auch nur im Sespräch etwas Religiöses aufkommen zu lassen. Sr schaute drum auch jetzt ängstlich auf die
3 []Ahr, als der Amerikaner so offen und unbedenklich ein Bibelwort am Wirtotisch anführte, beglich seine Zeche, erhob sich und gab damit das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Während sich alle zerstreuten, dat Herr Brödli Herrn Markhofner, ob er ihn ein paar Schritte begleiten dürfe.
„Noch etwas möchte ich Sie fragen, Herr Markhofner; Sie haben jetzt in allem, was Sie vom Sonntag sagten, kein Wort von seiner religiösen Bedeutung gesprochen; das wird doch sonst von den Freunden der SonntagsSache in den Dordergrund gestellt. Was halten Sie denn davon?“
a, lieber Herr Lehrer, davon halte ich viel, nur mochte ich beim Abendschoppen nicht gerade das zuerst auspacken, sonst wäre der Herr Oberrichter schon viel früher nervös geworden,“ setzte er lächelnd dazu. Denn er war ein guter Menschenkenner und es entging ihm nicht leicht etwas von den Mienen und dem Benehmen der Menschen und dem, was sich dahinter verbarg.
„Sehen Sie, ich sprach vom Sonntag als dem Tag der Lammlung. Besser können wir uns nicht sammeln, besser nicht Kraft für die Woche finden, als wenn wir am Sonntag uns nicht nur aus dem Lärm in die Stille flüchten, sondern auch aus der Tiefe der Welt in die Höhe Sottes. Sie haben vorhin mit vollem Vecht darüber geklagt, daß so Diele in unserm Dolke kein Heim haben, wo sie den Sonntag recht feiern können. ja, Sott sei's geklagt! Aber Sott sei auch dafür gedankt, daß doch in jedem Dorf ein Haus ist,wo man am Sonntag eine Stunde der Sammlung haben kann, die Uirche. And wenn unsere evangelischen Kirchen nicht nur eine Stunde oder 3wei, sondern immer, wenigftens den ganzen Lonntag, offen stünden, so wär's noch besser! Ich hab's auch lang versucht, ohne Sott durchs Leben zu kommen und es war mir nie ganz wohl dabei. Da hat's mich dann auch der englische Lonntag gelehrt, was uns Sottes Wort an Kraft und Stärkung für unser tägliches Leben gibt. Nicht nur was ich äußerlich, sondern auch was ich innerlich geworden bin, danke ich dem Sonntag und dem Sott, der mir diesen []Tag gegeben. Bei unserer ganzen Stellung zum Lonntag dürfen wir uns nur nie in die Meinung verlieren, unsere Sonntagofeier sei ein harter Dienst, den wir Sott leifteten. 8So verstanden die Pharisäer ihren Sabbat, und diese Auffassung hat auch, übrigens zu Anrecht, den englischen Sonntag in Derruf gebracht. Im Segenteil,der Sonntag ist der größte Dienst, den Sott uns leistet, die größte Wohltat, die er uns erweist. Wenn wir das erfassen und nicht vergessen, so lernen wir den Sonntag erst recht mit Freuden feiern.“
Sie waren vor Herrn Markhofners Haus angekommen und es war spät geworden; drum verabschiedete sich Herr Brödli und der Amerikaner sagte ihm freundlich: „Sott gebe Ihnen, daß Sie seinen herrlichen Sonntag ganz erkennen in seiner Sröße und recht lieb bekommen.“
ESs ist eine merkwürdige Beobachtung, daß eine Sache, die wir einmal kennen gelernt haben, uns in allernächster Zeit unvermutet oft aufstößßt. Als Lehrer Brödli nach Hause kam, lag die Abendpost auf dem Tisch, und der 3weite Amschlag, den er öffnete, enthielt einen Bericht und Aufruf des „Sonntags-Vereins“. Noch gestern hätte er wohl mit dem Arteil „Stündeli-geug“ die Drucksache dem Dapierkorb übergeben. Nun war sein Sinn geweckt. Srulas das Heftchen aufmerksam durch und unter dem Eindruck des Sesprächs mit dem Amerikaner setzte er gleich unter die gedruckte Beitrittserklärung, die ihm aus dem Bericht entgegenfiel, seine Anterschrift.
Willft du es nicht auch tun, lieber Leser?
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- TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Sammeln oder Zerstreuen? Eine Geschichte vom Sonntag: ELTeC Ausgabe. Sammeln oder Zerstreuen? Eine Geschichte vom Sonntag: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-467C-8