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Ein kleiner Anfang.Wo Aecker und Wiesen aus dem Thale nach den Bergen hinansteigen, über deren Rücken sich ein Laubwald streckt, dort liegt das Dorf Kestenhofen. Die Hauptstraße, die zwischen den Bergen in's Innere des Landes führt, geht nicht weit daran vorbei und bringt durch die Fuhrleute und Fremden noch extra Erwerb und Leben zu der Cultur in's Dörflein,welche Pfarrer und Schulmeister von Amtswegen, Krämer,Wirth und Hausirer aber auf eigene Faust und nach ihrer Weise den Kestenhofern mitzutheilen suchen. Wer Genaueres wissen will, muß auf seiner Landcharte nachsehen und findet er darauf den Namen nicht, so mag er sich sonst ein Dorf aus seiner Bekanntschaft denken, es wird schon irgendwo eins passen, drin der Andres und sein Häuschen nebst seinem Acker und dem Flecke Wiesland Platz haben.

Wer aber den Andres will kennen lernen, der trifft ihn gerade in der untern Stube an und zwar hinter dem großen eichenen Tische und nicht drauf, obgleich er seines Zeichens ein Schneider ist und dem schwarzen Rocke eines Landrathes neue Aufschläge ansetzt. Wahrscheinlich weil er neben der edeln []Schneiderei auch noch Erdäpfel hackte, Korn säete und erntete,waren seine Beine nicht schmiegsam genug geblieben, um sie nach Handwerksbrauch übereinander zu schlagen, weßhalb er vorzog wie gewöhnliche Menschen auf einem Stuhle zu sitzen.

„Da soll ihm ein Stadtschneider kommen und es besser machen!“ sagte wohlgefällig Meister Andres halb für sich,halb zu seiner Frau, als er die Landrathsärmel vor sich hin hielt und sich fast selber über seiner Hände Werk verwunderte.Nachdem er noch drauf gespuckt und es gebügelt, legte er das Meisterstück bei Seite und stand auf, nun ein andrer Mensch,denn er wollte hinter's Haus, geschwind ein Paar Stauden Erdäpfel, von den spätern, auszuhacken. Vorsichtig zog er die weiße Zipfelkappe über die Ohren, als er zum Fenster hinausblickte in den grauen unfreundlichen Herbstnebel, der auf dem Felde lag und die entferntern Bäume nur wie dämmernde Schatten erscheinen ließ. Drauf sah er gegen den Ofen, vor dem Frau Lisebeth saß und Aepfel schnitzte zu einem Gemüse. Es war fast als stände ihm seine eigne Ehefran im Wege, nach dem Gesichte zu schließen, womit der Meister nach dieser hinblickte.Wie unschlüssig blieb er einen Augenblick stehen, dann aber,als hätte sich inzwischen Courage bei ihm angesammelt, schritt er sachte nach dem Känsterlein neben der alten Wälderuhr und langte vom obern Schafte eine rundliche, wohlverkorkte Flasche herunter. Ein Gläslein war auch nicht weit und was sich Andres unn da drein goß, etwa bis zur Hälfte, das sah nicht anders aus wie das klarste Wasser. Es war auch solches; freilich gebranntes, hätte es ja sonst nicht erwärmen können und zum Erwärmen bei dem feuchtkalten Herbstwetter nahm. doch allein der Schneidermeister einen Schluck auf den []

Zahn. Dieß sagte er der Lisebeth ausdrücklich, als sie mit nicht gar freundlichen Augen dem Herunterlangen der Flasche und dem Eingießen zusah und dabei im Aepfelschnitzen ein wenig innehielt. Ob denn die Schnapsflasche schon wieder zum Vorschein komme? hatte sie gefragt. Andres erplicirte,daß das „schon wieder“ schlecht am Platze sei, man wisse ja wie gestern das Sauerkraut ihm so auf dem Herzen gelegen,daß er ein Schlücklein zum, Verreissen“ habe nehmen müssen,und vorvorgestern, als er dem Gemeinderath in Lümpischwyl die neuen Hosen gebracht, sei er neben den Kaffee gekommen,da, meine er, habe er doch auch sein Tröpflein verdient. Er sei nicht ganz unter der Nase und seine Gesundheit sei ihm zu lieb, fuhr er, durch seine eignen Worte ermuthigt,fort, um bei solcher feuchten giftigen Luft sich nicht in Acht zu nehmen; er meine, die Lisebeth könnte es wissen, wie die kalten Nebel ihm jedesmal in den Leib führen und die Winde stockten! Er aber habe schon zu viel die Erfahrung gemacht,wie heilsam da ein Schlücklein Gebranntes sei und wäre die Lisebeth eine rechte Frau wie andre, sähe zu ihm, wie sich's gehörte, so würde sie im Gegentheil ihm noch zureden,nicht ihn hindern wollen. Zudem bringe er ja niemand damit in Schaden oder Unkosten, denn den Brenz habe er geschenkt gekriegt vom Krämer, als er dessen Sämmi das erste Kamisol gemacht.

Dieß und noch mehr sprach der Schneider-Andres zu gegen das Fenster sah, als gegen den Ofen, wo diese stand.Daß er fast mehr Worte machte als für ein gutes Gewissen nothwendig waren, mußte er am Ende selber finden, besonders [8] da ihm niemand widersprach; wenigstens schloß er mit der Betrachtung, daß er wol ein Esel sei, so viel zu reden, sei er doch Herr im Hause und keinem Menschen Rechenschaft schüldig! Heimlich aber ärgerte er sich doch, daß ihm die Frau nicht widerredete, merkte er ja gar wohl an ihrem Gesichte, daß sie vielmehr aus Unglauben und Trutz schwieg und um so hartnäckiger, jemehr er sich ereiferte. Sie schien weder Augen noch Ohren zu haben und auf nichts in der Welt zu achten als auf die Kerne und Stiele, welche sie aus ihren Aepfeln herauszuschneiden bemüht war. Es mußte dieß nicht der erste Discurs dieser Art gewesensein, denn auch das Büblein, das in der Stube war, ließ sich dadurch nicht sonderlich anfechten: der Hansli saß gemüthlich am Boden und nähte ein Paar Restchen Tuch mit einem Fadenschlag zusammen für irgend einen unbekannten Zweck.Als indeß der Bater sein Gläschen geleert, näherte er sich diesem sachte und brachte es an seinen Mund, noch einen,drin zusammengelaufnen Tropfen zu erhaschen und streckte zu dem Ende die Zunge in das Glas, fast bis auf den Boden hinein. Wie dieß aber die Mutter bemerkte, ließ sie Aepfel und Messer im Nu fallen und schoß auf das Bürschlein zu,ihm heftig das Glas von den Lippen reißend und es hart auf den Tisch absetzend, daß der Kleine ganz erschrak und zusammenfuhr.„He, he! Gift wird's keins sein!“ bemerkte hierauf Meister Andres etwas gereizt, weil er darin die Antwort auf seine schöne lange Vertheidigungsrede zu vernehmen meinte. Da hielt nun Frau Lisebeth auch nicht länger an sich:[]„Geht's mich nichts an wenn du Schnaps trinkst oder nicht, so geht's mich doch an wenn das Kind trinkt und bei ihm leid' ich's nicht, du magst nun im Hause zehnmal Herr sein wollen!“

Besondre Gründe lagen hierin eben keine, aber dafür etwas in Stimme und Ausdruck, was auch selbst beim Andres das Gewicht der Gründe zu ersetzen schien und zudem eine Widerlegung unmöglich machte. Der Schneidermeister kannte seine Frau wie sie ihn, und seine Courage war viel zu wenig in der Wolle gefärbt, um in dergleichen ehelichen Ungewittern nicht Farbe zu lassen. Frau Lisebeth zankte nicht gerade häufig und es kostete sie jedesmal eine Ueberwindung, wenn sie widerreden sollte, aber wo sie einmal ihren Kopf drauf gesetzt, da nahm sie, nach des Andres Ausdruck, rein keine Vernunft an. Ihm aber blieb, als dem Klügern, in diesen Fällen nichts übrig als nachzugeben. Ein solcher Punkt und wunder Fleck war nun gerade der Schnaps; vor diesem hatte sie eine innerliche dunkele Scheu, die mit der langsam sich entwickelnden Liebhaberei ihres Mannes für das Getränke nur wuchs und ihr die eigne Abneigung zu einer Gewissenssache heiligte.

Mit halb spottender, halb bemitleidender Miene und inwendigem Aerger über seinen Rückzug, drückte sich Meister Andres ohne Weiteres zur Stube hinaus nach dem Erdäpfelacker, wohl bewehrt und gepanzert mit dem Schnäpschen und der Nachtmütze gegen alle Tücken des giftigsten Herbstnebels. Frau Lisebeth aber schaffte fast heftig Glas und Flasche weg, als könne sie nicht eilig genug alles Aergerniß aus den Augen räumen.[]

Lisebeth war die Tochter eines Bauern und Gemeinderaths von Kestenhofen gewesen. Der Vater hatte eine schroffe und jähzornige Gemüthsart gehabt und Frau und Kinder scheuten ihn mehr als daß sie ihm zuneigten. Die Mutter galt, was man so nennt, für eine gute Frau, d. h. sie war ein wenig schwach und einfältig. Wetterte der Vater, dann zitterte Alles im Hause, auch Lisebethli, das im Allgemeinen mehr dem Vater nachschlug. Die Mutter hatte nie an einen Widerspruch gedacht, man nahm das Ungewitter so auf wie man sich dem Donnern und Blitzen vom Himmel her unterzog. So lernte Lisebethli auch von klein auf dulden und schweigen und nur wenig unverkümmerte Kinderfreuden erblühten ihm in der ewigen Wetterluft des elterlichen Hauses. Niemandem theilte es sich mit, auch der Mutter nicht, an deren Zagheit und Unsicherheit es doch keinen Halt gefunden hätte, sondern behielt Alles für sich und in sich. Darum galt es, was es doch nicht war,für kalt, gefühllos und unfreundlich. Der Vater wurde in der Folge immer launischer und so zürnte er oft auch ungerechter Weise. Lisebethli, dem ein tiefes Gerechtigkeitsgefühl innewohnte, staunte, erschrak, als ihm das erste Mal die Unbill deutlich und unverkennbar vor Augen trat. In seiner etwas schwerfälligen Art konnte es sich lange nicht darein finden:wie das denn möglich sei? Eine mächtige Revolution ging in dem verschlossenen Herzen vor sich, von der freilich sonst keine Seele etwas ahnte. Erst eine neue Ungerechtigkeit, nicht gegen Lisebethli selbst, sondern gegen die Mutter, brachte die innere Umwälzung auch am's Licht. Heftig, beinahe grimmig,und mit einem Schrei warf sich das verschlossene, erst wie theilnahmlos dastehende Mädchen auf den zornigen Vater []und mehr als die Worte gaben sein wilder Gesichtsausdruck,die fast drohenden Geberden seine Gesinnung kund. Der Vater erschrak mitten in der Aufregung und sein Zorn wich für den Augenblick dem Erstaunen über sein Kind, das er nie so gesehen, dem er nie eine solche Bewegung und Entschlossenheit zugetraut hätte.

In solcher Gewaltsamkeit, ja Verzerrung, kehrten die Aus- oder Losbrüche von Lisebethli's Gefühlen vielleicht nie wieder wie dieß erste Mal, indeß war gleichwol eine Bahn gebrochen. Wenn der Mutter oder sonst jemand im Hause Unrecht geschah, konnte das Mädchen mit einem Muthe, der keine Gefahr erwog noch scheute, dem zürnenden Vater entgegentreten. Dadurch zog es sich zwar oft harte Begegnung zu,doch machte es auch durch seine Entschlossenheit den Alten mehr als ein Mal mitten in seiner Leidenschaft stutzen und bewirkte im Allgemeinen, daß er sich bei der Gegenwart des Kindes in Acht nahm. Lisebethli aber gab sich von seinem Widerstande keine Rechenschaft, dachte nicht darüber nach und war naher wieder das alte: still, abgeschlossen, duldsam, dem es kein Mensch ansah, wie scharf es innerlich Recht und Unrecht, Gut und Böse abwog und schroff schied.

Der Vater hatte für hablich, wie man sagt, für einen satten Bauern gegolten; bei seinem Tode zeigte sich, daß es mit seinem Vermögen nicht zum Besten stand und man mußte es als ein Glück ansehen, daß für die Güter sich ein Käufer fand. Diese Verhältnisse mochten auch theilweise die Launen des Alten erklären. Die Mutter überlebte ihn nur kurze Zeit und Lisebethli stand nun ziemlich allein, innerlich wol gefestet, nach außen indeß fast ohne Halt und ohne daß es sich [110] recht zu helfen verstand. Nur ein Pathe, der Letthofbauer,nahm sich einigermaßen der Verlassenen an, aber er wohnte nebenaus und von dem Dorfe entfernt, darin Lisebethli im Hause eines ältern Bruders ein eignes Stüblein inne hatte.Fast zwanzig Jahre trennten die beiden Geschwister, sie waren wenig bei einander gewesen bisher und keines fühlte auch jetzt vom andern sich angezogen. In dieser Zeit kam Andres,schon als Knabe eine lustige aufgeweckte Haut, von der Wanderschaft in sein Dörflein zurück und setzte sich darin als Schneider, nur ein kleines Grundstück nebenbei bebauend.Er freite um die stille, nicht unschöne Lisebeth und ihr mäßiges Vermögen, sich eine brave Frau und seinem Heimwesen etwas mehr Ausdehnung zu verschaffen. Der Pathe war nicht günstig für ihn gestimmt, er hätte Lisebeth lieber einen ganzen Bauern zum Manne gewünscht, als einen, der an einen Schneider geflickt war. Diese indeß war ohne tiefre Neigung gleichwol gewillt, dem Andres ihre Hand zu reichen und so brachte sie auch der Letthofbauer nicht davon ab, besonders da sie von dem harten, rauhen und derben Bauernsinne in ihrem Leben schon so Vieles erlitten und andrerseits die heitre leichte Gemüthsart des gewanderten Andres wie ein Sonnenstrahl in ihr lichtloses Gemüthsleben hineinfiel.Sie lebten im Ganzen zufrieden, ohne Ueberschwänglichkeit, die auf dem Lande so schon selten ist, dafür giebt's denn auch weniger Enttäuschung und, die Folge davon, keine so tiefen Spaltungen. Des Andres leichte bewegliche Weise, ob er gleich, wie's das Handwerk mit sich brachte, dann und wann seinen Bockssprung machte, focht die Lisebeth doch lange nicht an, litt sie dadurch ja weniger als durch des Vaters [11] harten Sinn. Erst als der Andres einmal, zweimal ein Glas über den Durst hinaus getrunken, als ihr der Verdacht kam, er nehme wol während des Tages gelegentlich ein Schnäpschen, als sie gar eine Brenzflasche im eignen Hause entdeckte, ob auch eine geschenkte, erst da zog eine trübe Wolke über den Hausfrieden weg und erwachte in Lisebeth jener in Schlummer gesunkene, alte schroffe Geist des Widerstandes.Zu Hause hatte sie zuweilen den Vater nach der Flasche greifen sehen, besonders wenn er mißlaunig war und hatte empfunden, daß er nachher noch heftiger wurde. Aus dieser eignen Wahrnehmung, aus Aeußerungen der Mutter wie Fremder, hatte sie die Flasche als Ursache all jener stürmischen Auftritte und Ungerechtigkeiten, deren Zeuge sie gewesen,ansehen und als Wurzel alles Unglückes verabscheuen lernen.Wie mißtrauisch sie daher ward und wie tief es ihr in's Herz griff, als Andres auch dann und wann darnach langte, lange noch bevor sich eine nachtheilige Wirkung äußern konnte, läßt sich leicht ermessen. In der etwas ungelenken Art, womit sie es anstellte, und bei der sonstigen natürlichen Verschlossenheit,gelang es Lisebeth nicht, den Andres von der aufkeimenden Neigung abzubringen. Mit hundert Ausflüchten, mit Spotten und Verkleinern fiel es ihm nicht schwer die Befürchtungen seiner Frau als übertrieben, ihre Strafreden als Windmühlenkämpfe und ihre Behauptungen als Gespensterfeherei auszudeuten. Daß sie ihm nicht beikam, er ihr nicht glauben wollke, wie bestimmt und ausgemacht doch Alles in ihrer Seele stand, das schmerzte Lisebeth und schärfte ihr ängstliches Auge nur um so mehr. Daher denn auch die Heftigkeit, in die sie ausbrach, als an dem Morgen nun gar noch ihr Knabe [11] das leere Schnapsglas in kindischer Naschsucht ergriff und einen letzten Tropfen daraus zu erhaschen suchte. Je mehr sie von ihrem Manne sich immer und immer wieder weggedrängt sah, um so fester war sie entschlossen, bei dem Kinde auch keinen Zoll breit nachzugeben und vor dieses und gegen die drohende Gefahr mit aller Kraft und Entschlossenheit des mütterlichen Herzens sich hinzustellen.

I1.Eine Familie auf dem Schub und wie die Leute, ein Landjäger und der ,Kößleinwirth von ihr sprechen.Wie viel oder wie wenig Erdäpfel Andres auf seinem Acker ausgehackt, das findet sich nirgend aufgezeichnet; aber der feuchte Nebel hatte sich schon eine Weile in feinen dichten Regen aufgelöst, der ihm selbst seine Zipfelmütze durchdrungen und den erwärmendsten Schnaps am Ende verwässert hätte, wäre er draußen stehen geblieben. Er war aber bereits wieder in der vom Kunstofen behaglich erwärmten Stube und schneiderte am Fenster hinter dem eichenen Tische über Hals und Kopf.Auch der Hausfrieden war indeß wieder zusammengeflickt worden, da ja der Ausbruch bei Lisebeth vorüber und Andres in seiner leichten Natur überhaupt nicht lange etwas nachtrug.

Ein Zusammenlaufen der Leute, besonders der Dorfjugend, auf der Gasse, trotz Regen und Koth, zog die Aufmerksamkeit der Familie bald auf sich. Unter der Menge erkannte man zwei Landjäger mit Waidtaschen und Kara[13] binern, welche fremdes Gesindel vorbei zu führen schienen und nun in der gegenüberliegenden offnen Scheune Rast machten und Obdach gegen die Nässe und Kälte des Herbstwetters suchten. Während die Landjäger sich schüttelten und von Gewehr und Lederzeug die Regentropfen wegwischten,dabei auch fluchten über das Hundewetter, den bodenlosen Weg, das verdammte Lumpenpack und der eine den Statthalter, der andre den Teufel an ihre Stelle wünschte, krochen ihre Schützlinge ohne sonderliche Gemüthsbewegung in die Scheune und hockten da und dort ab, wo's gerade war. Halb mürrisch, halb gleichgiltig ließen sie sich von dem neugierigen Volke begaffen und achteten auch nicht auf die Aeußerungen und Bemerkungen Derer, welchen sie, und nur zu wohl, bekannt waren. Es war der Toni von Nesselstorf und seine Familie.Wie Halbwilde wären sie fast zu fürchten gewesen, hätten sie nicht gar zu armselig und elend ausgesehen, der Mann, seine Frau, die einen jährigen Buben trug, und das Mädchen nebst einem Schlingel von etwa zwölf Jahren. Zerlumpt waren alle ungefähr gleich: dem Alten und dem Buben waren die Hosen unter den Knieen abgerissen, die Fetzen hingen in langen Zotteln maß und kothig bis auf die Knöchel herunter und schlugen um die nackten Beine, der Frau und dem Mädchen ebenso ihre Unterröcke, bei beiden sahen die Kniee noch extra aus Löchern heraus in die trübe Herbstluft. Von Farben an den Kleidern war dabei nirgend die Rede mehr, zwischen grau, fahl, braungelb schwankte Alles an ihrem Leibe von unten bis oben. Hatte der Vater einen halbzolllangen eisgrauen Brat, so lag den andern dafür sonst eine Kruste auf den Gesichtern, die auch nicht dahin gehörte in einem Lande [14] wo das Wasser nichts kostet. Nur von Toni ließ sich behaupten, daß er ein Hemde anhatte, indeß ursprünglich ein blaues, der Bube und seine Schwester trugen Jacken von erwachsenen Mannsleuten, weite zum Glück, daß sie sich drein wickeln konnten, denn Knöpfe waren keine mehr dran. Der halbe Arm des Schlingels war völlig nackt, ob er den Aermel in der Hand eines Landjägers oder an einem Dornhage gelassen, das freilich konnte man nicht mehr errathen. Die Mutter sah noch am meisten einem Weibsbilde ähnlich, das jährige Kind, das sie trug, war hingegen in Lumpen gewickelt,die gar nichts vorstellten. Ein großes Bündel lag neben ihr in der Tenne, es mochte etwas wie Bettwerk sein, ein rußiger Kessel war drauf gebunden und ein Krug ohne Henkel, wahrscheinlich der Hausrath der armen Familie. Auch das Mädchen mit den zerzausten, triefenden Haaren über's Gesicht und den scheuen, wilden Augen trug ein armseliges Bündelein in zerrissenem Schnupftuche am Arme. Es war baarfuß wie die andern Alle, mit Ausnahme der Mutter, die ein Paar zerrissene Zeugschuhe trug, welche sich von irgend woher aus der Stadt auf's Land verirrt hatten, an denen aber die Bergkur nicht sonderlich angeschlagen, am wenigsten wie heutige auf den herbstnassen Feld und Karrwegen.

Abscheu, Ekel und hernach erst Mitleid mußten auch unempfindliche Gemüther beim Anblicke dieser so jämmerlich verwahrlosten Menschen anwandeln; zumeist erstere waren auch auf den wenig beweglichen Gesichtern der Dorfbewohner von Kestenhofen deutlich zu lesen. Am widerwärtigsten war noch der Toni anzuschauen, recht das Bild eines verkommnen Lumpen und versunkenen Schnapsers: glotzäugig und stumpf,[45] thierisch zusammengeknickt, erschien er jetzt, da er nüchtern und müde. Dieser Eindruck machte sich bei den Umstehenden auch in allerhand Aeußerungen und Anspielungen Luft, die sich auf seine Vergangenheit bezogen. Er und die Seinen waren der Schrecken der Umgegend gewesen, Niemand hatte gern Eines der Familie in der Nähe seines Hauses oder Gartens angetroffen, gewöhnlich fehlte nachher dieß und das, ein Baum war geleert, ein Paar Erdäpfelstauden ausgelüpft, ein Huhn fehlte oder ein Geräthe, ein Stück Werkzeug, von Wald- und Feldfreveln nicht zu reden. Von vielem Unheil ließ sich freilich mur vermuthen, der Toni habe es angerichtet,von manchem aber hätte sich's sonnenklar beweisen lassen,denn er oder eins der Kinder waren sogar auf der That ertappt worden; aber Niemand wollte da recht angreifen, man fürchtete sich vor den verwilderten Menschen und ihrer gottlosen Rache und trug schweigend den kleinen Schaden um sich nicht gar größern zuzuziehen, wie den Toni gelegentlich androhte, verstohlen, andeutungsweise, durch zweite, dritte Hand beim Schnaps oder unter vier Augen wo man keinen Zeugen hatte wider ihn. Man fürchtete ihn um so mehr, als er im Verdachte stand, vor Jahren, da er noch in bessern Umständen gewesen, sein eignes Haus angezündet oder wie die Leute es nannten, „dem Staate verkauft?“ zu haben. Jetzt so zwischen den beiden Landjägern, betrachteten darum Viele die gefährlichen Menschen mit etwas von der Scheu und Schadenfreude zugleich, womit man ein gefangnes wildes Thier betrachtet,einen angeschossenen Wolf oder einen flügellahmen Hühnerweih. Manche, die Klugen nämlich, hatten es prophezeiht,daß es so kommen würde, Alles haarscharf bis auf's Pünkt[]V

1 chen. Es wäre ja keine Gerechtigkeit mehr im Himmel, wenn Tagediebe im Wirthshause herumlungern und saufen und lästern und stehlen und dabei doch gedeihen könnten, während ehrliche Leute von früh bis spät arbeiten und schinden müssen,sich mit Gott und Ehren durchzubringen! Wer wollte auch sonst noch länger rechtschaffen sein in der Welt?

Unter den ersten dieser Propheten und Strafprediger befand sich der Krämer Stoll, ein Mann, dessen habliches AusGleichgiltig standen oder hockten die Vaganten in der Scheune herum, theilnahmlos gegen die Leute, die sich herbei gedrängt,und auch gegen einander, als ginge Keins das Andre was an, sondern Jedes wäre allein für sich auf der Welt und das nur halc. Als aber Meister Stoll so gar schön und moralisch sprach, da fuhr doch die Frau des Toni, die das andre Gerede wenig beachtet, aus ihrer Gleichgiltigkeit auf und sagte mit stechendem Blicke: „weißt, Krämer, man hängt nur die kleinen Schelme, die großen läßt man laufen oder macht Drathe saß, machte große Augen. Noch mehr entsetzten sich indeß die Umstehenden ob der frechen Rede; nur zu hinterst im Trupp der Dorfleute hörte man einen Ton wie von zurückgehaltnem, schadenfrohen Lachen. „Halt dein wüst Maul,du Bettelmensch!“ sagte der Krämer, indem er drohend einen Schritt vorwärts that. Aber der Landjäger hatte dem Weibe schon mit dem Kolben einen Stoß gegeben, sich ruhig zu verhalten und mit düstrem, bösem Blicke wandte sie sich und kramte etwas in ihrem Bündel herum. Krämer Stoll indeß hatte noch Allerlei über Diebsgesindel, Lumpenpack und

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Hallunken zu bemerken, welche ehrliche Leute vergebens um den guten Namen zu bringen suchten und die man ehedessen kurzweg gehenkt habe, während man sie heutzutage aus übertriebnem Mitleide zur Plage der Menschheit herumlaufen lasse! Auch Andres, der neugierig das Fenster geöffnet und draus dem Spektakel zugesehen, während sein Bube auf die Gasse gesprungen war, schüttelte bedenklich den Kopf und verwunderte sich, wie tief auch der Mensch sinken könne! er erinnre sich noch, wie der Toni als ein schmucker und lustiger Bursche um seine jetzige Frau, die ein gar hoffärtiges Mädchen gewesen, gefreit habe. Er sei freilich von Kindsbeinen auf ein Thunichtgut gewesen und dem Vater schon als fünfzehnjähriger Schlingel fortgelaufen und auch die Marei, seine Frau, lieber auf Tanzböden und hinterm Hause gestanden,als drin in der Küche oder am Spinnrade! So sei halt das Bischen Vermögen von den Alten bald drauf gegangen, Kinder hätten sie alle Jahre wenigstens eins gehabt und als sie DDBezirksschreiber und Gantrufer bald hinterher gekommen!

„Der Schnaps ist aber doch an Allem Schuld!“ hörte Meister Andres hart hinter seinem Rücken eine Stimme tönen,mitten in seine Erplikationen hinein. Wie erschrocken wandte er sich rasch vom Fenster um und sah da gerade seiner Lisebeth,die unbemerkt hinter ihm gestanden, in's Weiß vom Auge.

„Hast noch keine Ruhe?“ fragte der Schneider seine Frau, aber nur wie verlegen und um etwas zu sagen und auch sie gab keine weitre Antwort darauf.

Inzwischen hatten die Landjäger ihre Köpfe zusammengesteckt und leise mit einander gesprochen mit Blicken und

Meyer-Merian, Mareili.[]J 6

Worten, wahrscheinlich davon, daß auch Herbstregen zum durstigen Wetter gehöre und nirgend im Reglement stehe, wie viel Stunden die Polizei nüchtern durch Dick und Dünn herumzurennen habe. Die Hauptsache sei doch, daß die Vagabunden sich im Trocknen befänden, einer von ihnen zweien aber könne wol schnell im Rößlein einen Schoppen nehmen,dazu seien ja die Wirthshäuser in der Welt. So blieb denn der eine der Landjäger vor der Hand beim Toni und dessen Familie als Schutz und Ehrenwache zurück und sein Kamerad löste sich ab und marschirte nach der Dorfschenke, gerade rechts um die Ecke. Nachdem diesem der erste halbe Schoppen hier die Zunge ein wenig beweglich gemacht, fing er an, sein heutiges Elend zu klagen, mit den gehörigen Flüchen und Schwüren natürlich, sonst hätte man ihm ja nicht geglaubt.Seiner Lebtage, erzählte er dem Rößleinwirth und den paar Gäästen, die hier ebenfalls gegen ihre innre Blödigkeit kämpften, seiner Lebtage, Gott straf ihn! habe er kein so verdammtes Gesindel zu arretiren gehabt! Er hatte vom Statthalter den Befehl erhalten, den Toni nebst Familie aus der Gemeinde Nesselstorf, darin der seit zehn Jahren sich niedergelassen und am Ende seiner Laufbahn einen verfallnen Kuhstall bewohnt, nach seiner Heimatgemeinde Lümpischwyl jenseits des Berges zu transportiren und dem dortigen Gemeinderath zur Versorgung zu übergeben. Wäre der Toni ein Minister oder sonst eine wichtige Person gewesen, so hätte man von ihm sagen können, daß er sich in Nesselstorf unmöglich gemacht durch Stehlen, Betteln, Erpressen und Aergerniß aller Art; zwar schon lange, nun aber auch noch indem er, trotz aller dieser Hilfsmittel und Künste und obwol ihm die Seinen [19] treulich dabei an die Hand gingen, der fremden Gemeinde vollständig zur Last fiel durch sein immer tieferes Verkommen und durch Krankheiten, welche eine förmliche Versorgung erforderten. Die Familie sollte bei dem Anlasse getrennt werden, die Frau mit dem jährigen Büblein zu Verwandten kommen, die größern Kinder hingegen, der Bube und das Mädchen, bei ehrbaren Bauersleuten untergebracht werden,ehe sie bei den Eltern und durch ihr Zusammensein zu gänzlichem Diebspack heranwuchsen. In Kestenhofen, wo jetzt Halt gemacht wurde, war der Scheideweg, rechts über den Berg führte ein Sträßlein nach Lümpischwyl, links in das Thal hinein eins nach dem Letthof, wo das Mädchen, Mareili hieß es, sein Unterkommen zu finden hatte.Er danke Gott, daß er das Volk so weit habe! betheuerte der Landjäger bei seiner armen Seele, nachdem er einen tüchtigen Schluck genommen, gleichsam zur Entschädigung; hintendrein zog er eine abgerissene Epaulette aus der Tasche und zeigte auf einen bedenklichen Eindruck an seinem Tschacko. Zu Beidem war er folgender Weise gelangt:Nachdem schon vorher dem Toni amtlich angezeigt worden, man werde ihn mit Sack und Pack heute nach seiner Heimatgemeinde schaffen, er habe sich demnach bereit zu halten,kam am Morgen früh der Landjäger in seine Wohnung, wenn man von einem Kuhstall, um dessen Baufälligkeit willen das liebe Vieh draus geflüchtet, so sagen kann. Da waren noch wenig Vorbereitungen zur Abreise getroffen: in den Betten lagen die Leute freilich nicht, aber da und dort in einem Winkel auf Laubsäcken und in halbfaulem Stroh und schnarch3*[]2*7

7]ten. Als der Landjäger Lärm machte, Holla rief und den Nächsten anstieß mit dem Fuße, tönte ihm ein schlaftrunkner Fluch als Morgengruß entgegen. Der Toni hatte sich geregt und machte sich aus seinem Geniste heraus. Doch lange wußte er nicht was gemeint war, die Uniform brachte ihn wol ein wenig zur Besinnung, aber nicht ganz; halb abwesend, halb scheu glotzte er die gelben Knöpfe und den glitzernden Säbel an und taumelte. Eben so wenig schien er den Bericht, den er erhielt, zu verstehen, denn ein Mal sagte er he ja! das andre Mal nein und kratzte dabei in seinen struppigen Haaren und den Strohstoppeln drin. Endlich kam guter Rath; auf dem Gesimse lag eine Blechflasche, die ergriff er und nachdem er zitternd den Zapfen darin herausgezogen, setzte er an und that einen Schluck, nur einen, der aber gleichwol gut ausgab.Jetzt ging ihm ein Licht auf, in die matten stieren Augen kam ein wenig Glanz und Leben, die schlaffen wüsten Züge zogen sich zusammen, der Toni erholte sich wie ein erlöschendes Lämplein, dem man Oel zuschüttet. Aber tückisch und trotzig wurde zugleich auch der Blick, der hängende träge Mund aufbegehrerisch: Was man eigentlich von ihm wolle?er habe nichts gestohlen, wer ein Recht habe, ihm so in's Haus hereinzubrechen? Und als ihm der Befehl vom Statthalter vorgewiesen wurde, meinte er, der Statthalter und die Regierung und die ganze Welt könnten ihm und sie gäben ihm alle zusammen nichts, drum solle man ihn ungeschoren lassen, er begehre nicht von hier fort! Da der Landjäger auch deutlich zu reden begann, so erwachten allmälig die Uebrigen gleichfalls und wollten sich ebenso wenig fügen, als ihr Stammherr, der Toni. Jedes schimpfte und lästerte [21] anders, auf seine Weise gleich meisterhaft, so daß dem Polizeidiener unter all den Ehrentiteln und Verwünschungen, die ihm zu Theil wurden, der Kopf zu sausen begann. Er gedachte es kurz zu machen und faßte den Toni am Kragen,mit ihm die gezwungne Lustfahrt zu beginnen. Indeß abgesehen davon, daß ihm sofort ein Stück des Kittels in den Händen blieb, hatte er auch sonst mit seinen Fingern in ein Wespennest gelangt. Wie auf ein verabredetes Zeichen erhob sich von allen Seiten ein wilder Sturm und was in der Spelunle sich vorfand, schwebte drohend über seinem Haupte,ein dreibeiniger Stuhl, der eiserne Topf, ein Holzschuh, von Fäusten und Nägeln ganz abgesehen. Die Weiber waren nicht die hintersten, am wenigsten das Mädchen, das wie eine wilde Katze gegen den bedrängten Landjäger ansprang. Toni hin,Toni her, der Landjäger mußte auf seine eigne Sicherung denken. Was ihm da weiter begegnet, wußte er auch nicht einmal mehr recht zu sagen, so drunter und drüber ging's,die einzige Ordre, welche ihm jetzt gegenwärtig war, kam nicht vom Statthalter her, sondern von seiner eignen Kanzlei und die befahl ihm bei Todesstrafe, sich für Haut und Haare zu wehren. Er erinnerte sich hintendrein bloß dessen, daß der ältre Bube, ein zwölfjähriger Schlingel, mit einer alten Mistgabel gegen ihn eindrang, ihm den Hals zwischen den beiden Zinken faßte und ihn so an die Wand drückte und festhielt. Wäre dem Landjäger nicht der Säbel zwischen die Beine gekommen, daß er taumelte, und ihm im Gemenge der Hut nicht über die Augen heruntergeschlagen worden, daß er nichts sah, er würde dem Hallunken gezündet haben, so aber mußte er geduldig herhalten und von der Alten und ihrem

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Mädchen sich nach Noten durchbläuen lassen, ein Herkules hätte keine andre Wahl gehabt! Wie er wieder aus dieser Klemme gekommen, gab der Landjäger nun nicht näher an,er konnte oder wollte es nicht sagen, entweder dadurch, daß die Familie Toni vom Dreinschlagen zuletzt müde geworden oder indem er kapitulirt. Jedenfalls zog er ab mit eingedrücktem Tschakko, ein Paar abgerissenen Knöpfen und einer im Stiche gelassenen Epaulette, welche ihm indeß von der Frau großmüthig nachgeworfen wurde, als er den Kuhstall wol oder übel verlassen. Ging der Mißhandelte über diesen Abschnitt seiner Erlebnisse etwas bündig weg, so verweilte er dafür um so ausführlicher bei der Schilderung seiner Rückkehr in Begleitung eines Cameraden und bei der Züchtigung,die sie beide nun an den Feinden der öffentlichen Sicherheit genommen. Sie hätten da mit den Kolben geredet und mit ihren Stiefelabsätzen die Befehle des Statthalters ausgeführt,auch hätten sie den Hexen von Weibsbildern das Kämmen für den Tag erspart! So hatten die Landjäger Alles bis auf Heller und Pfennig bezahlt und waren nichts schuldig geblieben, das Lumpenpack konnte nachher unter sich Abrechnung halten. Es habe auch angeschlagen, rühmten sie, unterwegs hätten die Strolche wie Schäflein gefolgt, Keins nur gemuckst!Und nachdem der Grünrock die äußersten Haare seines Schnäuzleins, so gut sie es erleiden mochten, zusammengedreht, schüttete er auf seine Heldenthat noch einen halben Schoppen hinunter und stand dann auf, seinen Kameraden abzulösen und dem verfluchten Gesindel, wenn's nöthig sein follte, den Meister zu zeigen, denn vom letzten Pfiff war seine Rache wie seine Courage von neuem aufgeweicht worden.

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Während der ganzen Erzählung aber hatte ihm der Rößleinwirth gar aufmerksam zugehört und Recht gegeben, so viel nur in der Waidtasche Platz fand. Er half ihm nach Leibeskräften (und dieß wollte beim Rößleinwirth etwas heißen),über das liederliche Volk losziehen, das am meisten die Wirthe in Mißkredit bringe. „Es gibt genug studirte Narren und Phantasten und Pietisten sagte er, welche auf solches Hudelpack weisen und die ehrlichen Wirthe dafür verantwortlich machen wollen. Diese schreiben dann ihr hirnverbranntes Zeug in Zeitungen, posaunen mündlich und schriftlich in alle vier Winde hinaus, die Wirthshäuser und der Liqueur seien das Verderben des Volkes und stellen Beispiele hin und Rechnungen auf, es könnte einem selber schier bange werden, wenn man's nur so liest. Aber himmelschreiendes Unrecht ist das,eine Wirthschaft bleibt einmal ein so rechtmäßiger Beruf wie jeder andre und wenn hie und da Mißbrauch geschieht, so findet man den überall sonst nicht weniger, selbst mit der Bibel! Ich kann ja Keinem verbieten zu trinken, mein Schild hängt für Alle da, wollte ich Einen abweisen, ei, da würde ich schön verschrieen werden. Niemand ist mit solchen Saufbrüdern übler dran als die Wirthe selber, man muß aufschreiben, kommt in Verlust, oft unvernünftig, und will man zu seiner Sache sehen und nicht länger borgen, sondern macht seine Forderung anhängig, dann wird man verschrieen und findet Land auf Land ab nirgend Recht. Es gibt genug Neider, die's einem noch gönnen oder Vorwürfe draus machen.wie's doch bei keiner andern Handtierung, obschon sie kein Haar besser von der Verfassung vergarantirt ist, sonst so vorkommt!“

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Demnach trennten sich Wirth und Landjäger in vollkommenster Uebereinstimmung und nicht anders, trotz allem Schimpfen, als die besten Geschäftsfreunde, welche einander in die Hand arbeiten, wenn auch der Stoff, in dem sie machen,nicht gerade der kostbarste und appetitlichste heißen kaun, und der Artikel des Einen die Rohwaare ist, der Andre aber mit dem Fabrikate sich befaßt.

11*Mareili.

Während diese Gespräche im Wirthshause fielen, hatte sich der andre, beim Toni zurückgebliebene Landjäger die Zeit so gut vertrieben, als ihm dieß ohne Schoppen möglich war.Er lehnte zu dem Ende am Tennthore, verschränkte die Arme und schlüg bald das linke Bein über das rechte, bald auch umgekehrt. Daneben unterhielt er sich mit den Bauern, die noch herumstanden, erzählte auf trocknem Wege die gleichen Geschichten, welche sein Kamerad im Rößlein auf nassem und kümmerte im Uebrigen sich nicht sonderlich um die seiner Obhut zunächst Anvertrauten: die seien mürbe genug und machten keine zu weiten Sprünge heute! Deßhalb war's denn auch wol möglich, daß das Mareili, welches scheu und lauernd alle Bewegungen seines Peinigers beobachtet, leise und unmerklich wie eine Katze sich hinterm Rücken des Landjägers um den Pfosten des Scheunenthors herumdrückte und seinem Hange nach Freiheit und Stehlen folgend, irgend

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Etwas zu erhaschen suchte, da sein Magen so gut als der eines Landjägers einer Erquickung bedurfte. Zudem mochte geschehen was wollte, es ging ja jetzt in Einem zu und mit in die große Rechnung! So schlich es hinter das Haus nach den Baumgärten, zwischen Misthaufen, Hollunderbäumen und Schweineställen hin. Ein Baum, der noch voll der schönsten Lederäpfel hing und aus des Schneider-Andres Matte gar versuchungsvoll über den Haag herüberlugte, zog auch des Mädchens Aufmerksamkeit bald genug auf sich.Blitzschnell bückte es sich und hob einen, zwei große Kiesel vom Boden auf, die es indeß rasch unter seine Schürze versteckte, als es Jemand kommen hörte. Es war zwar nur des Andres und der Lisebeth kleiner Hansli, ungefähr vom selben Alter wie das Mareili, aber mehr zurück im Wachsthum.Sah nun das Büblein gleich nicht gefährlich aus, der Instinkt und die angewöhnte Verstellungskunst hielten das Mädchen in seinem Beginnen zurück, es kehrte sich ab und wühlte in einem in der Nähe stehenden Kübel voll Schweinstränke, denn bei dieser Handtierung hielt es sich für sicher und mochte denken, ein Spatz in der Hand sei besser als eine Taube auf dem Dache. Es fischte aus der unsaubern dicklichten Brühe einen Erdäpfel heraus, biß das Verdorbne dran weg und verzehrte gierig und ohne das mindeste Zeichen von Ekel oder nur Ueberwindung, das noch Eßbare davon. Hansli, der sich bisher immer einen Unterschied gedacht zwischen Schweinen und Menschen, machte sonderbare Augen zu dem was er sah und ob es dem Bettelkinde auch zehnmal wohlschmeckte, sein Herzchen wurde nichts um so weniger von Mitleid lebhaft bewegt. Der beste Beweis dafür war, daß er seinen Apfel,[26] den er eben angebissen, aus dem Munde nahm und ihn dem Mareili anbot. Ueber das düstre scheue Gesicht des Wildfangs flog eine eigenthümliche Bewegung und es riß seine Augen auf, daß die wie zwei runde Kohlen den Hansli anstarrten. Einen angebissenen Apfel von den Zähnen weggeben, das war dem Mädchen ein jedenfalls ebenso Unerhörtes und noch Unbegreiflicheres als dem Kleinen ein aus der Schweinstränke herausgeangelter Erdäpfel. Ohne ein Wort indeß und in einem Augenblicke war der Apfel verschlungen. Diese Meisterschaft mußte auf den Hansli Eindruck machen. „Wart' ich bring dir Brot!“ mit diesen Worten rannte er in's elterliche Haus und bettelte bei der Mutter um ein Stück Brot, aber ein großes.

In der Zwischenzeit spähte das Mädchen mit Luchsaugen nach den Lederäpfeln. Es schien ihm in den Armen und Beinen darnach zu jucken, besonders als es noch eine Lücke in dem Haage nebenan entdeckte. Indeß es blieb unentschieden stehen und wie nach einer Art krampfhaften Bewegung,wenn sie im Nachlassen ist, entfielen die beiden Steine seiner Hand unter der Schürze. Der Hansli kam mit einem Stücke Schwarzbrot zurück und hielt es seiner neuen Freundin wie im Triumphe hin. Aber fast zornig sah ihn diese an, daß der Kleine darob ordentlich erschrakr. Ohne Dank, mürrisch nahm sie die Gabe hin und eben so wandte sie ihm auch den Rücken und ging fort, als hätte ihr der Knabe was zu Leide gethan.

Mareili sah den zweiten Landjäger gerade um die Ecke kommen vom Rößlein her und eilig huschte es wieder in die Scheune zurück und mischte sich unter die Seinen, als wäre es nie einen Schritt weit entfernt gewesen.

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Nachdem auch dem andern Landjäger das Nöthige geworden, war's endlich Zeit zum Aufbruche, zudem hatte der Regen etwas nachgelassen und die grauen Nebelmassen schienen sich zu lichten. Der Toni und die Seinen hatten ja jetzt ebenfalls ausgeruht. Gepackt und angeschirrt wäre zwar auch bald gewesen, gleichwol stand noch ein hart Stück Arbeit bevor. Die Trennung nämlich, nicht allein der zwei Landjäger, die gute Cameraden waren, sondern auch des Mareili von seinen Leuten, welches nun mit einem der beiden Grünröckler nach dem Letthofe abbiegen sollte. Uebergroße Zärtlichkeit hielt zwar die Familie des Toni nicht zusammen und dem Mareili konnte es auf dem Letthofe, seinem künftigen Aufenthaltsorte, auch leicht besser ergehen als bisher daheim.Ebenso wenig büßte es einen besondern Segen der Erziehung und des elterlichen Hauses ein, aber all diese vernünftigen Gründe und noch zehn andre dazu kamen nicht auf gegen die dunkle Macht und verborgene Kraft des Blutes, wie diese das Herz schlagen macht und am Herde der Leidenschaft Gefühle braut. Denn ob das Blut ein böses, die Bande der Familie aus nicht gar viel Besserm als aus Galgenstricken ten Zerfressene zusammen und legen so in aller Entartung und Verheerung wenigstens durch ihre Kraft Zeugniß ab von ihrem göttlichen Ursprung als wirksamstes Mittel zum Guten.Mareili wollte einmal nicht von den Seinen fort und als der Landjäger kurzen Prozeß zu machen gedachte und es am Arme faßte, kratzte und biß es und achtete weder der Stöße noch der Schläge, die es erhielt. Es entwand sich auch, theils mit Gewalt, theils mit Geschmeidigkeit und sprang auf die

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Mutter zu und auf das kleine Brüderchen, das es heftig umschloß. Der Kleine, der von Allem nicht viel verstand, begann zu heulen, die Mutter begehrte furchtbar auf und kein Schimpfwort war, weder auf der Erde noch unter derselben,das sie nicht gegen die Landjäger gebraucht. Zwischenein, wenn ihr der Vorrath auszugehen schien, brach sie in wildes Klagen und herzzerreißendes Jammern aus. Tückisch wie ein zorniger Hund, der sich zu beißen fürchtet, der Prügel halber,die er schon erhalten und die ihm noch in frischer Erinnerung stehen, stellte sich der altre Bube gegen die Landjäger, mehr hinter ihrem Rücken als von Angesicht zu Angesicht. Wäre eine Mistgabel in der Nähe gewesen, wer weiß wie's den beiden Polizeidienern wieder ergangen wäre, trotzdem sie auf der Huth waren. Am wenigsten Lärm noch machte der Toni,aber nicht gerade weil er der vernünftigste war. Er fluchte wol, er stieß Verwünschungen aus, aber mehr so als hergebrachte Redensarten, ohne Saft und Kraft; es war keine Gefahr dabei, das Feuer fehlte, war frühe schon mit dem letzten Schnapsdunste verflogen. Stumpf und stier, wie in halbem Schlafe, schien er nur sich zu widersetzen und wüst zu thun, weil die Andern alle auch so thaten.

Es gab einen Erzspektakel, besonders als die Landjäger,theils gewitzigt, theils erbittert durch den Auftritt am Morgen, wenig Umstände machten, mit vernünftigem Zureden sich nicht verköstigten, sondern gleich brutal drein fuhren und selber noch lauter zu brüllen und zu fluchen suchten, dabei auch weder Fäuste noch Gewehrkolben, noch Fußtritte sparten.In seiner Wuth packte einer das Mareili an den Haaren und da es sich zu Boden warf, schleifte er's darauf hin: das [29] gab ein Geschrei, man mochte es drei Dörfer weit hören.Auf dieses erhob sich doch ein Murren in der Menge der Zuschauenden und etliche der Männer legten sich dazwischen:Mensch sei Mensch und sie möchten ein Vieh nicht so behandeln! Den Toni begehrten sie zwar nicht in Schutz zu nehmen,es seien Wenige im Orte, denen er nicht schon schlimmen Dienst geleistet, aber gleichwol sei es ihnen zuwider, in ihrem Dorfe Auftritte zu erleben, als wäre man mitten in der Türkei!

Dann sprachen sie dem Mädchen, daß außer sich war und vor Aufregung zuckte und schluchzte, ruhig zu: es solle sich nicht fürchten, Uebles werde ihm nichts geschehen und komme es auf den Letthof, so könne es im Gegentheil von Glück sagen, die Eltern dürfe es ja immer wieder besuchen,es werde nicht eingesperrt!Herzhafter noch nahmen die Weibsleute Partei für die Mißhandelten und schimpften gar weidlich auf die Landjäger,die wol gegen so arme Tröpfe gewaltigen Heldenmuth zeigten,bei Nachtbubereien aber, die das halbe Dorfe auf den Kopf stellten, sich nicht blicken ließen. Was denn auch so Landjäger davon wüßten, wie es einer Mutter um's Herz sei, von der man ihr Kind wegrisse! Die mitleidigen Seelen ließen es aber nicht bei den bloßen Worten bewenden, die eine kam da mit einem Halstuch, einer Schürze, einem Hemdlein, die andre dort mit einem Stück Brot, einer Handvoll dürrer Schnitze, dieselben Leute, die vor Kurzem noch so lieblos und verächtlich über Diejenigen den Stab gebrochen, welche sie nun vor noch roherer Behandlung glaubten schützen zu müssen.

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Die Landjäger zwar beriefen sich auf ihre Consigne und wollten von niemand Befehl annehmen, indeß' stimmten sie gleichwol unvermerkt ihre Saiten etwas tiefer. Da der erste Ausbruch vorbei war, die Familie des Schnapsbruders durch die Gaben heitrer gestimmt war, die Leute zuredeten und besänftigten, so erfolgte denn nun auch die Trennung Mareilis von den Eltern und Geschwistern unter nur mäßigem Geheule. Am schwersten noch schien dem Mädchen der Abschied vom kleinsten Brüderchen zu fallen, vom Vater dagegen wandte es sich ziemlich kurz und trocken ab und sah sich auch nicht mehr um, als es mit dem einen der Landjäger das Thal hinunter nach dem Letthofe zog.vy.Der Letthof und seine Kewohner.Der Weg bog um einen Hügelrand und führte aus einem leichten Tannengehölze auf freie Wiesen und Aecker hinaus. Der ganze Thalkessel lag offen ausgebreitet, rundum die Tannen der Höhen und Bergrücken staken tief in den grauen Nebelwolken, die sich auf das Gebirge gelagert. Von ihnen herab zogen sich die grünen kalten Herbstmatten in's Thal und schlossen sich an die Brachfelder und an die schwarzen Aecker, denen schon die Wintersaat anvertraut war. Die einzelnen Fruchtbäume drauf prangten in gelb und rothen Blättern, davon der Wind schon einen Theil auf den Boden geschüttelt. Es sah recht herbstlich und einsam aus. In der

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Tiefe aber, wo der Thalgrund sich erweiterte, unmittelbar vor der hohen röthlich grauen Fluh, welche neben dem mehr hügligen Bergrücken aufstarrte, lag ein Gehöfte, ein Haus mit gewaltigem vorspringendem Dache, nebst angebauten Scheunen und Stallungen. Dieß war der Letthof. Wie unfreundlich und fast winterlich rauh die Landschaft rings aussah, der Hof hier schien sein eignes Klima zu haben, wie eine besondre Welt in der allgemeinen mitten drin zu liegen. Hatte sich doch gerade auch über ihm der Himmel jetzt etwas aufgethan,daß aus dem bläulichen Flecken durch die zerrissenen Herbstnebel selbst Sonnenstrahlen auf das alte Ziegeldach fielen und in den kleinen Fensterscheiben freundlich glitzerten, über Wiesen und Baumgipfel mit goldigem Scheine wie ein Segen sich vertheilten. Den Pappeln und dem niedrigen Buschwerke nach zu schließen lag hinter den Gebäuden ein kleiner Weiher,das Bächlein, das neben der Straße vorbeifloß, mochte von dorther kommen und den Abfluß wegführen. Mitten in dem etwas ansteigenden Hofe stand eine riesige Trauerweide, noch jetzt in vollem grünem Blätterschmucke, neben ihr der Brunnen mit dem langen Troge zum Tränken des Viehes. Gastlich stieg aus dem Kamine der Rauch hoch in die Luft hinauf,weiße Tauben saßen friedlich auf der Kante des Daches,andre kamen eben vom Felde geflogen und ließen sich zu ihren Gespielen nieder. Im Hofe drunten spazierten die schwereren Hühner behaglich umher, König Hahn erprobte seine Sporen auf dem geflochtenen Misthaufen an dem hausväterlichen Geschäfte, den Seinen Körnchen oder Wuürmchen hervorzukratzen,während die watschelnden Enten sich an dem Abflusse des Brunnens zu thun gaben, der nach dem Bache zu rann. So [52] regte und bewegte sich in der wohnlichen Nähe des Menschen und in seinen Schirm und Schutz geflüchtet, die friedliche Thierwelt, denn selbst der freche Spatz war zahm und manierlich geworden und tauchte sein Schnäbelchen gar sittsamlich vom Brunnstocke in die klare Fluth hinein, als hätte er nie ein Körnlein, nie eine Kirsche gestohlen. Neben diesem heitern Leben fiel die Leere der Landschaft nur noch mehr auf: wie ausgestorben lagen Wiesen und Wäälder rings umher, denn die Krähen, die fern über den schwarzen Tannen sich jagten und schreiend zankten, ließen die Oede bloß noch trauriger und noch ärmer erscheinen.

Mareili, das mit dem Landjäger auf den Hof zu wanderte, mochte wenig von alldem gewahren, düster und verbissen sah es nicht weit umher, es kaute an seinem Grolle,alles Andre ging es ja doch nichts an. Nichts gehörte sein und die Menschen hatten ihm bisher noch wenig Freundlichkeit erzeigt; was es von ihnen genossen, war ihm verdrießlich als Bettelgabe zugeworfen worden oder es hatte es gestohlen.Jetzt hatte man ihm noch das Einzige, was es gehabt und was ihm lieb gewesen, genommen, das jährige Brüderlein nämlich; darüber war es nun um so verdrießlicher und finstrer.Es fuhr aber doch plötzlich mit einem Schrei auf, als es mit dem Landjäger jetzt in den Hof trat und auch dieser stutzte und fluchte, um sein Erschrecken zu verbergen. Ein mächtiger Hofhund stand vor den Beiden und schlug kräftig gegen sie an. Er machte nicht viel Geschrei noch überflüssige Geberden,aber man sah seinem Blicke und seiner Haltung an, daß ihm Ernst war, einstweilen Niemanden vorbeizulassen und daß es gerathen sei, es nicht erzwingen zu wollen. Der Hund war []7*ruhig an der langen Kette vor seinem Häuschen gelegen und hatte sich gutmüthig Hühner und Spatzen hart an der Nase vorbeispazieren lassen, ohne mehr als zu blinzeln, bei der Ankunft der Fremden indeß hatte er leise geknurrt. Da ihn diese aber hinter dem Hofthoxe nicht bemerkt, war er endlich,wie plötzlich verwandelt, aufgeschossen und versperrte nun mit aller Strenge und allem Grimme seines Wächteramtes den Fremdlingen den Durchpaß; besonders das bettelhafte Mareili schien ihm sehr verdächtig vorzukommen. Da öffnete sich hinten im Hause ein kleines Fenster und das breite graubärtige Gesicht eines Bauern in weißer Zipfelmütze füllte es wie einen Gemalderahmen fast ganz aus. „Rinki, kusch!“ rief eine kräftige, befehlsende Stimme und mit einem Seitenblicke nach dem Fenster, als wolle er bedeuten, seine Pflicht habe er nun gethan, kehrte der Rinki gravitätisch um und kroch langsam vor sein Häuschen zurück. Unter der Hausthür aber erschien bald die Gestalt der Bäuerin, welche in ihrer behäbigen Wohlgenährtheit die Thürpfosten ungefähr gerade so ausfüllte wie der Kopf ihres Eheherrn die Fensterrahme.Freundlich hieß sie Landjäger und Mareili in's Stüblein treten, darin sie gerade am Kaffee seien, und auch zusitzen:sie würden etwas Warmes brauchen können! meinte sie, besonders gegen das Mädchen gewendet. Bei diesem verfing indeß das Wohlwollen nicht viel. Ohne Dank, ohne Gruß trat es über die Schwelle und blieb dann scheu und stockig in der Nähe der Thüre stehen, blickte nur von untenherauf verstohlen nach der gewaltigen dreibeinigen Kaffeekanne mit vbem messinggelben Bauche und nach dem riesigen Laibe Schwarzbrot, der daneben auf dem blanken Tische lag. Wie Meyer-Merian, Mareili.

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*3 ein gefangener Marder wär' es am liebsten wieder durch die Thüre hinausgewischt oder durch's Fenster auf- und davongesprungen. Erst auf die dritte, vierte Nöthigung hin nahm es endlich auf dem angewiesenen Stuhle Platz, den Leuten vom Hofe halb den Rücken zuwendend. Als ihm indeß aus einem geblumten Schüsselchen der Kaffee in die Nase dampfte und es das weiche äßige Schwarzbrot zwischen den Fingern fühlte, da überwand der Trieb der Natur allen Trutz und alle Scheu und es begann aus Leibeskräften einzubeißen, als hätte es den ganzen Tag schon mit dem Großknecht um die Wette gedroschen. Der Letthofbauer und seine Frau aber, die den, Wildfang sich nun auch etwas näher betrachteten, schienen von ihren Entdeckungen nicht gar sonderlich erbaut zu werden,besonders der Mann nicht, der mit einem halben Blicke des Vorwurfs seine Ehehälfte ansah, welche ihrerseits etwas kleinlaut vor sich hinblickte und dem scharfen Auge des Alten auswich.

Die Letthofbäuerin war die Ursache, daß das Mareili auf den Hof gekommen. Sie hatte nach langem Widerstreben ihres Mannes es endlich durchgesetzt, denn er hatte sich immer dagegen mit dem Spruche gewehrt und gesperrt: „eigne Kinder zieh', fremde Kinder flieh'!“ Treulich hatte er die eignen Kinder exzogen und durfte sie sehen lassen. Zwei Töchter hatten auf andre Güter geheirathet und waren gleichfalls tüchtige Bauerinnen geworden. Nun hatte die Letthofbäuerin von dem Toni und seinem Elende gehört, besonders auch, wie verwahrlost die Kinder seien. Es ging ihr dieß nahe, denn mit der Mutter von Toni's Frau war sie einst gemeinsam in Unterweisung gegangen und hatte Theil an ihr

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7 genommen, dem ärmern Mädchen diese und jene Gutthat erzeigt, wodurch dieses ebenfalls anhänglich an sie geworden.Im spätern Leben waren die beiden Jugendgespielen auseinander gekommen, auch die Nachbarschaft hatte aufgehört; erst als der leichtfertige Toni heirathete, vernahm die Letthofbäuerin, er nehme eine Tochter ihrer ehemaligen Freundin.Als sie wieder etwas von der Familie erfuhr, war es die Nachricht von deren völligem Untergange und ihrer Auflösung,wobei die Kinder von der Gemeinde zu den Mindestfordernden sollten verkostgeldet werden. Das ging ihr an's Herz und sie ließ nicht nach, bis der Letthofbauer endlich einwilligte, eins der Kinder, das Mädchen, auf seinen Hof zu nehmen: die alte Vren werde so übelmögig und komme nicht mehr überall nach, es thue ihr gut wenn sie Nachhilfe erhalte! wußte die Bäuerin, dem besten Minister zum Trutz, ihren Antrag zu begründen und zu unterstützen bei den Kammerverhandlungen, die sie deßhalb mit ihrem Alten führte. Der Letthofbauer hatte nicht gerade ein hartes Herz, indeß ebensowenig ein weiches, er war ein ganzer Bauer mit aller Nüchternheit und aller trocknen Zähigkeit eines solchen. Fremder Leute Kinder vom Rande des Verderbens ziehen und bei sich aufzunehmen, das lag ihm ziemlich ferne, sie gingen ihn nichts an, es hatte ihm auch Niemand geholfen, die seinen groß zu ziehen! Dann war noch Verantwortlichkeit dabei, es kam etwas Fremdes in's Haus, Stbrung vielleicht, und einmal Ja gesagt, war es nachher schwer die Last wieder loszuwerden.Wenn hingegen die alte Magd Nachhilfe brauchte, für die Arbeit es an Händen fehlte, ja nun, fo war das etwas andres,da mußte für Hilfe gesorgt, mußte noch mehr Gesinde ein[]3*3 gestellt werden, besonders weil durch die Heirath der Töchter auch sonst manche Lücke entstanden war, die inzwischen noch nicht völlig ausgefüllt worden. Von der Seite her war ihm die Frau nun auch mit dem Mareili beigekommen, der Anblick des verwilderten Mädchens aber zeigte nun, daß dieß die schwächre Seite sei und es vor der Hand mit der Hilfe und Unterstützung nicht gar viel sein werde. Deßhalb denn auch jetzt jene scharfen und jene verlegnen Blicke der beiden Gatten.Indeß war nun einmal die Sache so und der Letthofbauer war zu wenig Freund von vielem Erläutern und Auseinandersetzen und hielt zu heilig und fest an seinem einmal gegebnen Worte, als daß sich aus dieser Enttäuschung sofort irgend eine Veränderung für des armen Kindes zukünftiges Schicksal ergeben hätte. Hatte der Letthofbauer viel Aehnlichkeit, außen und innen, mit der Fluh, die hoch hinter seinem Hofe emporragte, so glich dafür die Letthofbääuerin ebenso sehr dem heitern blauen Himmel, der über dieser lagerte und die Härte milderte, die schroffen Abhäuge und Schrunden und die zu starken Schatten ausglich, die aus dem harten Gestein, das in keinem Wetter wankte, Gras und Blumen hervorrief und selbst die Tannen drauf schöner und kräftiger in die Höhe trieb.So war das Verhältniß der zwei Eheleute schon hundert mal gewesen, so machte es sich auch dießmal wieder zum Segen ihres Hauses geltend.

Nachdem der Letthofbauer sein Pfeiflein gestopft und nach der alten Manier mit Zunder angebrannt, ging er noch um den Hof herum, da und dort nachzusehen, ob die Arbeit gethan, Geräthe und Werkzeuge am Schermen und Alles in gehöriger Ordnung; denn jeden Tag schloß er auf diese Weise

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2 ab, als ob es der letzte sein könnte und morgen ein andrer Meister hier zu befehlen hätte, der Jedes am gehörigen Orte finden müßte, damit es keine Verwirrung, noch ein Stürmen und Stocken gebe. So hatte er's von je gehalten und diesem Gebrauche mochte auch zum großen Theil die musterhafte Wirthschaft zuzuschreiben sein, welche auf dem Hofe überall DD und Mareili in der Küche war, schüttelte die Letthofbäuerin,die im Stüblein allein zurückgeblieben und das auf der Ofenbank liegende Bündelein Mareili's etwas genauer untersuchte,bedenksam ihren Kopf, wol ob den Entdeckungen, die sie daran gemacht: das sei doch auch gar zu bös! so arg hätte und es fiel ihr auf's Gewissen, was für eine schwere Bürde sie sich mit dem Mädchen aufgeladen, besonders auch ihrem Alten gegenüber. Indeß war sie bei aller Milde und Gewissenhaftigkeit durchaus keine verzagte Frau, sie beschloß,nur um so fester anzugreifen, nur um so getreuer auszuharren und die Enkelin ihrer ehemaligen Gespielin zu einer rechtschaffnen Christin und einem brauchbaren Menschen zu erziehen.Mit gutem Gewissen wollte sie einst vor Gottes Richterstuhl und die längst verstorbne Jugendfreundin treten und Rechenschaft ablegen von dem Amte, das sie jetzt übernahm. Sie rief zu dem Ende die alte Vren in's Stüblein, die schon über oierzig Jahre auf dem Hofe diente und als ihre rechte Hand galt, indem sie mit Wohl und Wehe des Hauses und dem Thun und Denken ihrer Meistersleute fast in Eines verwachsen war. Dieser überband sie nun die nächste Aufsicht und Führung des neuen Ankömmlings und ließ sich durch das etwas [38] verdrießliche Dreinsehen der alten Magd nicht irre machen.„Jetzt führ' das Mädchen zunächst an den Bach,“ schloß die Bäuerin ihre Anempfehlung, , und wasch' es tüchtig,darnach nimm ihm seine Hudeln weg und hänge sie auf den Estrich, es werden droben im Troge noch etwas Kleider vom Käthrinli her da sein, die kannst du ihm anziehen, damit es wie ein Christenmensch und ein Weibervolk aussehe und nicht wie ein Zigeuner!“

Hatte zwar die alte Vren eine gewichtige Stimme im Capitel und versäumte sie auch nicht dieselbe nöthigenfalls ungefragt geltend zu machen, selbst der Meistersfrau entgegen,so wußte sie doch auch aus langer Erfahrung, und merkte den Fall schon am Tone ab, wo eine Einfprache vergeblich war und sie mit Kopfschütteln, einigem Brummen und andern einzelnen Zeichen von Mißvergnügen, welche sie frei hatte,sich begnügen mußte. Mit solchen ließ sie es auch jetzt bewenden, als sie die Stube verließ und dabei die Thüre etwas fester als gewöhnlich hinter sich zuzog. Auch in der Küche schien, dem Klirren und Schmettern nach, nicht Alles am rechten Orte zu stehen und wenn in der Folge Mareili am Bache nicht gründlich aller Unreinlichkeit durch den Strohwisch, dessen sich die Vren bediente, erledigt ward, so konnte man sicherlich der alten Magd nicht Schuld dran geben, denn am nachdrücklichen Reiben ließ sie es nicht fehlen, wie die überströͤmenden Augen und die rothen Striemen des Mädchens am deutlichsten bewiesen.

Die Bäuerin aber, nachdem sie vom Brette über der Thüre die alte messingbeschlagne Bibel heruntergelangt, setzte sich ruhig an's Fenster und schlug das Buch auf, darin es [3]3 von Zeichen wimmelte, um nun, zum Schlusse des Tages und zum Beginne ihres neuen Werkes, noch ein Capitel der heiligen Schriften ungestört zu lesen. Es war dieß ihr bewährtes Hausmittel, durch welches sie sich bei allen wichtigen Anlässen Sammlung, Muth und Kraft zu verschaffen pflegte und in Freud wie Leid jeweilen am sichersten in das rechte Gleichgewicht setzte.v.Es rnmort. Im Milchkeller wird Friede geschlossen.

Schon in den nächsten Tagen schien sich auf dem Letthofe etwas verändert zu haben, ohne daß so recht deutlich zu sehen war was denn eigentlich. Mit der Ankunft Mareili's war in das friedliche Leben, da nach altem Brauche ein Tag wie der andre verlief, etwas gekommen, das, wie ein Sandkörnlein in einem Räderwerke, die alte gefestete Ordnung, den ruhigen Gang zwar nicht unterbrach, aber doch ein leichtes Knirschen,ein Reiben, das ihm sonst fremd gewesen, hervorrief. Es sah beinahe aus, als wäre das herbstliche unfreundliche Wetter von draußen da und dort in die heitre Stille des Hofes hereingedrungen und hätte in Scheune und Küche, selbst im behaglichen Stübchen, gelegentlich ein Stück Nebel zurückgelassen.Dem alten Bauern sah man zwar von außen nicht viel an,noch weniger war Andres von ihm zu hören. Er ging seinen alten Gang Morgens und Abends, war der Halt und das

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Haupt des ganzen Hofes wie immer. Nur wer ihn so genau kannte wie seine Frau, der bemerkte doch, daß er etwas stiller war als sonst und abgemessener, der sah seinem Blicke an,daß er beobachtete und seinen Mienen, daß er nachsann, fast wie Einer, der auf seiner Hut ist. Indeß er äußerte sich in keiner Weise sonst; daß aber Mareili die Ursache dieser Veranderung war und diese, durch das Mädchen, nicht minder der Letthofbäuerin galt, das blieb letzterer selber am allerwenigsten verborgen. Denn wie Mareili für sich scheu, mißtrauisch war, auswich und wortkarg nur im Winkel herumhockte, so verstimmte es mit seiner Verstimmung und seiner Unfreundlichkeit, bei dem einförmigen und nahen Zusammenleben auf dem Hofe, ebenso auch alle Andern. Die Letthofbäuerin aber war es, welche es herbeigezogen und der es nicht gelang, die störende Einwirkung zu verwischen. Die Knechte zwar achteten nicht gar viel des neuen Ankömmlings, indem sie ihn übersahen. Sie lachten und spotteten wol über die neue Nachfolgerin Vrenes, wie sie Mareili scherzweise nannten und die alte Magd mit dem verwilderten Mädchen aufzogen,indem sie sie fragten, ob sie einst auch so gewesen sei? oder meinten: Mareili lasse sich gut an, auch so freundlich zu werden wie Vrene, welche freilich manchmal barsch genug mit dem jüngern Gesinde abgefahren und nun so ihr Altersvorrecht zu büßen bekam. Vren, die von Anfang an der Bescheerung wenig Freude gehabt und nur schwer ihren Widerwillen heruntergewürgt, kam durch solche Sticheleien vollends außer sich und sie rührten ihr die Galle kübelweise auf. Es schien völlig ein böser Geist in sie gefahren zu sein, und alle Anfälle von Koller, auf zehn Jahre zurück, waren gegen ihr [41] jetziges Poltern und Stürmen, damit sie gleich einer Hornisse in Küche und Haus herumfuhr, nur leichte Regungen einer vorübergehenden Verstimmung gewesen. Holz- und irden Geschirr ging in drei Tagen unter ihren Händen mehr zu Grunde als sonst in einem halben Jahre und hätte sie nicht für sich selber gebrummt und gescholten, man hätte glauben können,daß ein Nervenschlag ihre sonst so bewegliche Zunge in Stillstand versetzt und dafür deren ganze Kraft und Rührigkeit sich auf Arme und Fäuste geworfen.

Die Meistersfrau sah und hörte dem Treiben eine Weile geduldig zu und meinte, am Ende werde Vren wol müde werden und von selber wieder zur Vernunft kommen, jeder Mensch habe seine Mucken, schlage man gegen die, so surrten sie nur um so ungestümer und lästiger. Bürschchen, die noch nicht trocken hinter den Ohren seien und Maägde, die yoch die Milchzähne hätten, begehrten ja jetzt auf und meinten, die ganze Welt sollte sich nach ihnen richten oder wenigstens vor ihrer Ungnade erschrecken; da dürfe einer alten Magd, die oierzig Jahre treu und redlich zu Menschen und Vieh gesehen,auch etwas zu Gute gehalten werden, besonders wenn sie daneben doch für einen durch's Feuer liefe! Als es aber mit dem Stürmen und Poltern kein Ende nahm, sondern womöglich noch ärger wurde und sogar der Letthofbauer bei einem Anlaß bemerkte: so fange es ihm bald an zu verleiden! da beschloß die Bänerin doch mit der Vren zu reden. Sie that es aber nicht vor Andern, fondern wartete einen Augenblick ab, wo der Bauer nicht im Hause und die Knechte in Stall und auf Feldern beschäftigt waren. Dem Mareili hatte sie hinter dem Hause eine Beschäftigung angewiesen [2] und während nun die alte Magd drunten im Keller die Milch abrahmte, trippelte die Frau ebenfalls die Treppe hinunter, wobei sie natürlich auch ein Becken trug und sich was zu thun machte. Kaum merkte Vren die Meisterin, da klapperten die Rahmschüssel und das Milchgeschirr und das Seihbecken zusammen, als wollten sie Krieg auf Tod und Leben mit einander anfangen; eine halbe Maß Milch schwabbte bei der Gelegenheit aus dem großen Kübel heraus und platschte auf den Tisch. Dieß war das Signal: „Wo fehlt's dir auch,Vren? hab' erst gemeint du brauchst vom Doktor und es greife dich wol stark an?“ bemerkte, mit einem halben Blicke auf die Milchlache, ruhig und trocken die Bäuerin. Vren versuchte erst trutzig zu schweigen, indeß sie mochte es nicht verhalten, wie ja in einem Wasserfasse das Wasser auch nicht zurückbleiben kann, wenn man unten den Spund lockert. Aber vor lauter Eifer, weil Alles auf einmal hinausmöchte, steckt sich's dann oft und übersprudelt und so erging's auch der Vren, als sie dem langverhaltenen Grimme endlich Luft machte. Es gehe jetzt in's dreiundvierzigste Jahr, daß sie auf dem Hofe sei, platzte sie heraus, und sie möchte gerne wissen, worin sie sich verfehlt habe! sie habe noch nie gesagt,etwas sei ihr zu viel, daß man sie nun auf die Seite stelle.Lieber wolle sie ganz gehen und das gleich, wenn sie im Wege sei; ihr Brot werde sie schon noch anderswo verdienen können,bei fremden Leuten, wenn ihr das auch harte falle und sie bisher gemeint habe, man werde sie vom Letthofe aus nach dem Gottesacker tragen. Begehre man sie nicht mehr, so hätte man es ihr wenigstens sagen dürfen, so viel glaube sie verdient zu haben in den dreiundvierzig Jahren![]4J

In diesem Tone ging's noch eine Weile und es wäre keine Möglichkeit gewesen, mit dem schärfsten Scheermesser dazwischen zu fahren, geschweige mit einer gewöhnlichen Zunge,so ununterbrochen lief Alles am gleichen Fädlein fort. Den Vortheil aber hatte es, daß Vren sich merklich erleichterte und ihr Gemüth selber weich machte, so daß sie gegen das Ende,als ihr der Odem ausging, in Thränen ausbrach, wie wenig die sonst in ihrer Natur lagen. Die Bäuerin, die lange nicht recht wußte, was der alten Magd denn eigentlich im Kopfe stecke, merkte endlich doch, die Ursache des ganzen Verdrusses müsse Mareili sein, von dem Vren meinte, es werde nun an ihre Stelle kommen, oder wenigstens ihr einen Theil ihrer Verrichtungen abnehmen, darauf sie so eifersüchtig war wie eine achtwöchige junge Frau auf ihren Ehemann. Nachdem Frau Ann erst große Augen gemacht, mußte sie endlich herzlich lachen: „O Vrene, Vrene! bist doch immer das gleich thörichte Mädchen wie vor fünfundzwanzig Jahren, da du bei Nacht und Nebel auf- und davonlaufen wolltest, weil ich am Abend zuvor, eh' mein Lisebethli auf die Welt kam, nicht von der Zwiebelwähe essen mochte, drauf Speck und Zwiebeln daumensdick lagen, obschon du doch selber sie gemacht hattest,sondern mir ein Süpplein kochte. Sieh doch nur das Mareili an, was für ein verwahrloster Tropf das ist! Ja, das wäre mir eine Hauptmagd das! Für dessen Geköch würde sich sogar der Rinki bedanken. Und wie's mit der Ordnung und der Reinlichkeit bei ihm steht, das konntest du selber am besten sehen; lieber Gott! das Mareili und Haus und Hof besorgen! Nein, Vren, wenn das dein Feind sagte, ich wollte dir's nicht übelnehmen, wenn du ihm die Augen auskratztest;[]4/aber daß du selber meinst, der Strubel steche dich aus, das ist doch fast lustig, zürn' mir's oder zürn's nicht.“ An den Abstand von einem Mareili und einer Vren hatte letztre bisher allerdings nicht gedacht, vor lauter blinder Eifersucht nicht. Nun, da ihr die Meisterin das Brett vor dem Kopfe wegnahm, kam ihr doch vor, ja, es sei ein Unterschied und sie sei-eigentlich ein Esel gewesen, die Spöttereien der Knechte für baare Münze zu nehmen und sich damit in's Bockshorn jagen zu lassen. Vren sah darum in dem Augenblicke auch ziemlich verblüfft aus und wußte sich nicht besser zu helfen,als indem sie den Schürzbändel auflöste und von neuem wieder knüpfte. Frau Ann aber, die Letthofbäuerin, benůtzte diesen Moment, um ihr Saatkörnlein in das gelockerte Erdreich auszuwerfen. „In's Herz hat's mich geschnitten,“ begann sie, „daß so ein junges Blut an Leib und Seele zu Grunde gehen soll, und besonders noch das Großkind von einer Jugendgespielin. Nur darum hab' ich's in's Haus genommen, aus bloßer Christenpflicht und um Gottes Lohn.Ich hab' darauf gezählt, daß du mir dabei an die Hand gehest, das Halbwilde zu einem Menschen zu erziehen, aber ich seh!, daß ich mich geirrt habe und du mir's im Gegentheil noch schwerer machen willst. Es ist nicht genug, daß der Meister schon sauer dazu sieht, du mußt noch nachhelfen mit Poltern und Wüstthun; aber so ist's, man kann sich auf Niemand mehr verlassen heut zu Tage, die Alten sind noch ärger als die Jungen, wenn's bei ihnen anfäugt zu rappeln!“Das nahm nun Vren doch auf die Ehre und da sie horte,der Meister sehe sauer dazu, so trieb sie der Instinkt, welcher die Weiber immer zusammen halten läßt gegen die Manns[1] leute, gleichviel ob Meister oder Knechte, noch schneller auf der Bäuerin Seite hinüber und machte sie am Ende aus einer Gegnerin zu einer eifrigen Verbündeten. Sie habe ja nicht gewußt, daß es so gemeint sei! leitete sie ein, ein Wort hätte man ihr wol sagen können, es sei ihr auch schwer zgenug gefallen. Wenn's aber sich so verhalte, je nun, sie sei auch nicht das Unvernünftigste und habe so gut als Andre eine unsterbliche Christenseele. Sie begehre am letzten es gegen die Meisterin zu halten, wenn Alles sonst ihr zuwider sei: im Gegentheil!

So gab ein Wort das andre bis der Friede geschlossen und die Allianz, wenn auch ohne besondres Aufsehen, befestigt war. Die Mellgeschirre und Milchbecken schienen auf einmal einen sammtnen Ueberzug erhalten zu haben, als Vren am Ende der Verhandlungen ihre Geräthschaften zusammenräumte und die Kellertreppe hinanstieg, mit dem festen und redlichen Vorsatze, ebenso herzhaft wie sie jngst am Bache den Strohrübel bei Mareili in Anwendung gebracht, denselben auch künftig an Seele und Leib bei ihm zu handhaben aus guter Christenpflicht und dem sauern Gesichte des Letthofbauern zum Trutze.

Es hielt indeß mit Mareili zähe, indem es doch schon dreizehn bis vierzehn Jahre in seiner Weise festgewachsen war und nicht den guten Willen hatte, davon abzugehen, sondern sich feindlich gegen die neue Umgebung verschloß. Wer sich so lange an Herumziehen und Tagedieben gewöhnt, von Ordnung und Fleiß nie was gewußt noch gesehen, sein täglich Brot vor fremden Thüren gebettelt oder von fremden Bäumen und Feldern gestohlen, zwischenein herumgelungert und die

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Brenzflasche als den Zweck des Lebens praktisch kennen gelernt, dem schmeckt ungewohnte harte Landarbeit nothwendig sauer, dessen kräftige und junge Glieder ermatten gar bald bei anhaltender Beschäftigung. Fast noch unlieber aber als auf Feld und Acker arbeitete das verwilderte Mädchen in Küche und Haus, war es doch da unter den Augen und in der Nähe der Meisterin und obendrein noch eingeschlossen. Güte und Ernst schienen gleich wenig verfangen zu wollen und mußte Mareili mehr als einmal mit schwarzer Luftsuppe zu Bette gehen, nach dem Spruche des Apostels Paulus: „wer nicht arbeitet der soll auch nicht essen!“ so hatte das Mädchen viel zu oft schon ebenfalls gehungert, als daß eine große Veränderung darauf eingetreten wäre. Ja, hätte der Letthofbauer diesen Spruch nicht mit so großer Kaltblütigkeit geltend gemacht, so wäre sein Aerger dem boshaften Wildfange eher noch eine Aufmunterung als eine Abschreckung gewesen.

VI.Der Rinki thut seine Schnldigkeit und der Schwächre gibt am Ende nach.Es war am Ende eines trüben Tages als nach dem Abendsegen die Knechte schweren Trittes sich in ihre Kammern bereits zurückgezogen und dabei den Rinki mitgenommen hatten.Der Bauer saß noch auf der Ofenbank und rauchte seine Pfeife in regelmäßigen Absätzen, die Bäuerin mit Vren aber [47] schor Erdäpfel für den morgenden Tag und beide gähnten sich dabei einmal um das andre an. Mareili war ebenfalls schon in der Kammer und es war stille im Stübchen und rund um, nur der Wind pfiff dann und wann vernehmbar um · das breite Dach, als hielte er eine Unterredung mit dem Wasserstrahl, der in den Brunnentrog plätscherte. In diese Stille und Eintönigkeit hinein gellte mit einem Male ein fürchterlicher Schrei, als stieße man Jemandem einen Dolch unversehens in den Leib, daß der Bauer aus seinem halben Dusel auffuhr und die beiden Weiber ihre Messer vor Schrecken in die Schüsseln fallen ließen. Ungewiß sahen Alle einander an, als meinte Jedes nur geträumt zu haben, da wiederholte sich das Geschrei, wenn auch weniger heftig, doch angsthafter und ein drohendes Knurren, ein kurzes Anschlagen,wie von einem großen Hunde, gesellte sich dazu. Bald war der Bauer gefaßt und hieß Vren die Laterne anzünden und ihm in den Hof folgen: es müßte etwas nicht richtig sein.Vor Zittern kam die geängstigte Magd nicht dazu, sondern fuhr mit dem Lichte immer um den Docht herum, bis die Bäuerin ihr half. Noch mehr indeß fürchtete sie sich hinauszugehen: das sei keine menschliche Stimme gewesen, nur Gespenster könnten so schreien! behauptete sie, man solle um tausend Gottswillen nicht hinausgehen, es werde der Federhändler sein, den man vor vierzig Jahren mit verdrehtem Halse an der alten Föhre hinter der Fluh gefunden und der sich jedesmal hören lasse, wenn's ein Unglück gebe! Der Bauer nahm keine große Notiz von der Einrede, sondern ergriff die Laterne selber und schritt hinaus, gefolgt von seiner Frau, die den Alten nicht allein wollte gehen lassen. Vren []R .Xx indeß, die sich noch mehr fürchtete einzig in der Stube zurückzubleiben als mit hinauszugehen, duckte sich furchtsam hinter die Meisterin, indem sie in der Angst die Schüssel mit den Erdäpfeln unterm Arme ebenfalls mitnahm, das Messer aber in der Verwirrung auf dem Tische liegen ließ und dabei theils betete, theils jammerte und die Bäuerin am Rocke zurückzuziehen suchte. Der Alte pfiff ein, zweimal dem Rinki und ein paar kräftige Laute, die der von der Nähe der Hofgatter her vernehmen ließ, gaben bald die Richtung an, nach der hin der seltsame Zug sich bewegte. Hart an der Hofgatter stand der mächtige Hund in drohender Stellung, aber zwischen ihm und der Gatter, an diese eng gepreßt, lag unbeweglich noch ein menschlicher Körper, dem nur ein angstunterdrücktes Stöhnen zeitweise entfuhr, aus lauter Respekt vor den Zähnen und dem Knurren des starken Thieres. Bei der Annäherung und auf den Befehl seines Meisters zog sich der Rinki ein paar Schritte zurück und wedelte gegen ihn, obschon er den verdächtigen Gegenstand nicht außer Augen ließ. Da wickelte sich denn aus einem Weiberrocke, einer Schürze, eine verworrene Mädchen gestalt hervor und aus den zerzausten, über's Gesicht herunterhängenden schwarzen Haaren blickten die scheuen Augen Mareili's die Umstehenden an, indem die Furcht darin alsbald einem Gemisch von Scham und Grimm und Trotz zu weichen schien. Da auf den Lärm auch die Knechte herbeigekommen waren, der eine mit einem Prügel, der andre mit einer Mistgabel, indem sie Mord und Einbruch vermuthet, so sah es allerdings komisch genug aus, als Alle so drohend und bewehrt um das vierzehnjährige verzauste Mareili herumstanden und selbst des ernsthaften Letthofbauern Gesicht überflog ein

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Lächeln, während die Knechte ihre Waffen so gut möglich vor dem Scheine der Laterne verbargen und Vrene aus dem hintern Gliede herzhaft in die Front trat und dem Mädchen die Kleider nothdürftig zurecht zog. Die Bäuerin aber hieß die Bursche wieder zu Bette gehen und führte Mareili in die Stube zurück, voran mit keckem Schritte jetzt Vrene, die Laterne in der Hand. Bis zur Thüre indeß schritt in Siegesgefühl und im Bewußtsein seines wolgeübten Wächteramtes der Rinki,eins nach dem andern hinter sich wolgefällig ansehend und selbst gegen Mareili gelegentlich wedelnd, als wär's im Uebrigen nicht so böse gemeint gewesen.

Es ergab sich nach einigem Lügen und Verwickeln in den Aussagen, daß Mareili den Augenblick, wo die Knechte in ihrer Kammer, die Meistersleute aber mit der alten Magd noch in der Stube waren, dazu hatte benutzen wollen, seinen gezwungnen Aufenthalt auf dem Letthofe zu verlassen und bei Nacht und Nebel nach Lümpischwyl zu den Seinigen und in die alte Ungebundenheit und Tagdieberei zu entfliehen.Der Rinki aber, den es aus seiner Rechnung gelassen, hatte ihm da einen gar argen Strich durch dieselbe gemacht. Denn obschon er und Mareili sonst friedlich an einander vorbeigingen, das kluge und wachsame Thier mußte doch etwas Ungerades vermuthet haben, als das Mädchen in der Dunkelheit so leise und dem Hause nachstreichend über den Hof gegen die Gatter schlich und nicht, wie doch der Brauch gewesen,dieselbe mit dem Schlüssel öffnete, sondern sich anschickte darüber weg zu klettern. So sei noch Niemand Ehrlicher vom Letthofe weggegangen, mochte der Rinki bei sich überlegen,weßhalb er den Flüchtling plötzlich hinten am Rocke wieder

Meyer-Merian, Mareili.[]*20 heruntergezogen. Mareili, das den Hund nicht gesehen, war hierüber heftig erschrocken und hatte, herunterstürzend, jenen Schrei ausgestoßen, der in Vrene's Phantasie so schauerlich widerhallt war. Der weitern Flucht aber, ja dem bloßen Aufraffen von der Erde, hatte sich Rinki's drohendes Knurren und der warme Athem, der dem Mädchen nahe genug über das Gesicht strich, bestimmt genug in den Weg gestellt. Erst als der Meister gekommen und sich von dem ungewöhnlichen Vorfalle selber überzeugt, hatte der Hund den Fall als für sich erledigt angesehen und seine übliche Runde auf dem Hofe in ernster Gelassenheit weiter fortgesetzt.

Ueber diesen Fluchtoersuch machte der Letthofbauer Mareili keine besondern Vorwürfe oder Zusprüche, der Rinki, mochte ihm scheinen, habe da für das Nothwendige schon hinlänglich gesorgt und ihm das Weitre erspart. Das Benehmen der Meisterin ließ ebenfalls keine Aenderung wahrnehmen, im Gegentheil, eine Art von Bedauern vermehrte noch ihre sonstige Güte und Nachsicht. Vrene allein schien sich in ihrer Weise für den ausgestandenen Schreck einigermaßen entschädigen und die Anzüglichkeiten der Knechte über ihren, hinterrücksen“ Heldenmuth aufwägen zu müssen.Sie suchte deßhalb dem Mädchen mit allabendlicher Erzählung von schauervollen Mord und Spulgeschichten die Haare zu Berge zu treiben und ihm so die Lust für ähnliche Ausreißereien ein für allemal zu benehmen.

Auf Mareili selber, nachdem ihm nur erst der große Schreck wieder aus den Gliedern gewichen war, hatten weder Liebe noch Furcht einen besonderen Einfluß, es schien sich in seinem Trotze noch mehr zu verschließen als vorher, wenn es [51] nach außen sich auch etwas zusammennahm und weniger Anlaß zu Klagen bot. Am allerwenigsten gelang es dem armen Rinki einen nur halbwegs freundlichen Blick von ihm zu erhaschen. Ja, wer weiß, ob dem treuen Thiere nicht noch ganz Andres von dem rachsüchtigen Mädchen zu Theil geworden wäre, wenn nicht die bewährte Kraft doch einen gewissen Respekt gepflanzt gehabt hätte.

Nach dem Vorfalle mochten etwa drei, vier Wochen verstrichen sein und Vrene ihren Vorrath von Gespenster und Räubergeschichten nahezu verschossen haben, als eines Abends Mareili nirgend zu finden war. Gleich nach dem Mittagessen hatte die Bäuerin es in's Dorf hinübergeschickt um Salz zu holen und ihm das Geld dazu und ein Säcklein mitgegeben.Es war ein schöner Novembertag, so einer, der den Wintermonat vergessen macht und in den Herbst zurückversetzt mit seinem milden Sonnenschein, dem blauen Himmel und der reinen Luft. Da bisher kein ordentlicher Schnee gefallen,so standen die Matten noch in hellem Grün, die Tannen auf den Höhen hin hatten ohnedieß ihr Gewand noch an und wenn der Buchwald auch kahl war, die Luft war so duftig,der Sonnenschein so lachend, daß man bei dem rothen Schimmer und den sanften Schatten den Mangel nicht einmal recht gewahrte. So ein heller schöner Tag, der wie ein Stück des verlorenen Paradieses in die grauen und rauhen Novembertage hineinbricht, hat eine gar wundersame Macht, erweckt auch alle die Gefühle und Triebe und Pläne wieder, die man im Herzen schon ergebungsvoll für ein Jahr zur Ruhe gebettet und lockt hinaus und hinauf auf die Höhen, über die Matten, wo kein ängstlicher Pfad mehr den Fuß und mit ihm

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Schritt und Tritt beengt und schließt die weite Welt noch einmal auf, indem er den Nebelvorhang an den goldnen Schnüren der Sonnenstrahlen hinwegzieht. Ein ähnliches Gefühl mochte das alte Herz der guten Letthofbäuerin angeweht haben und wenn sie selber auch gerne drunten und in der behaglichen Beschränkung ihres Hofes blieb, so empfand sie doch noch so viel davon, daß sie Mareili die Freude gbnnte, hinauszulaufen in den schönen Tag, zu athmen die reine frische Luft und die jungen Glieder drin zu regen und zu bewegen. Deßhalb hatte sie ihm den Auftrag nach Kestenhofen gegeben. Und Mareili, in dessen wildes Herz die Sehnsucht nach den Bergen und der Freiheit allerdings im Freien draußen bald genug eingezogen, machte sich die Absicht der Meisterin nur zu sehr zu Nutze, indem es sich nicht allein den bescheidnen Spaziergang nach Kestenhofen gefallen ließ, sondern bei der schönen Gelegenheit das Weite suchte, dießmal von keiner Gatter gehemmt und von keinem Rinki zurückgehalten.Vergebens war, als es zu dunkeln begann, die Bäuerin wiederholt an's Fenster getreten und hatte nach dem Hofthor kammer hinaufgestiegen von wo man den sich schlängelnden Weg bis in den waldigen Hügel, in den er sich verlor, hinein verfolgen konnte und hatte ihre alten Augen angestrengt, das Dunkel zu durchdringen und auf dem hellen Sträßlein noch das rückkehrende Mareili zu entdecken. Es war nichts zu sehen und Niemand wollte kommen. Ihre Unruhe wuchs,wie sehr die erfahrne Frau auch äußerlich sie zu beherrschen verstand, als das Essen aufgetragen ward und die Knechte []mit Vren sich einstellten, Mareili's Platz aber leer blieb und der Letthofbauer nach dem Mädchen fragte, da ihm sogleich jede Abweichung von der Ordnung auffiel. Sie erzählte ganz kurz, daß sie Mareili um Salz zu holen, das ihr ausgegangen, nach dem Dorfe geschickt, und daß es bis jetzt noch nicht zurückgekommen. Der Bauer sagte nun vor den Dienstleuten auch nichts weiter, man saß zu Tische, wie immer wurde das Tischgebet gesprochen und dann gegessen, Niemand sprach mehr ein Wort von Mareili, bis am Ende der Mahlzeit Vrene, die am wenigsten leicht zu schweigen vermochte,fragte, ob sie das Essen an die Wärme stellen solle? Da die Bäuerin mit der Antwort einen Augenblick zauderte, fragte der Meister, wann denn Mareili fortgegangen?„Gleich nach dem Imbis,“ antwortete Frau Ann.„So wird's nicht nöthig sein, das Essen aufzubehalten!“schloß der Bauer die Unterhaltung und die Knechte standen von der Bank auf, Vrene trug ab, die Bäuerin hatte noch in der Küche etwas anzuordnen auf den folgenden Tag,indeß der Alte seine übliche Runde machte. Als er später von Stall und Scheune zurückkam, stopfte er gewohnheitsgemäß seine Pfeife, brannte sie mit ein paar langen Zügen an und setzte sich zu gemächlichem Rauchen an sein Plätzchen am Ofen.Ebenso stillschweigend saß die Frau hinter dem großen Tisch und schnitzte Brot in eine große Schüssel zu der nächsten Morgensuppe, man sah ihr an, daß sie eine Anrede ihres Eheherrn nicht gerade wünschte, aber gleichwol gefaßt erwartete. Nach einiger Stille, in der nichts hörbar war als die eintönigen abgesetzten Züge aus der Tabakspfeife und das [8]54 *

Knirschen der durchschnittnen Brotrinde, blieb diese denn auch nicht länger aus.„Mareili wird schwerlich wiederkommen,“ hub der Bauer an, und als die Frau schwieg fuhr er fort: „So hat man's mit dem Erziehen fremder Kinder; ich hab's am Anfang gesagt, wie's komme, aber es hat müssen sein. Man stellt sich's vorher gar leicht und schön vor; sind sie indeß nur halb aus dem Unrath herausgezogen, so ist dies der Lohn für all die Mühe und Unlust. Art läßt einmal nicht von Art und einfältige Bauersleute sollen froh sein, wenn sie vor der eignen Thüre gewischt haben.“So sprach der Letthofbauer, ruhig, trocken und in einzelnen Absätzen, zwischen denen er seine Pfeife im gehörigen Gange erhielt.Ruhig hatte ihn Frau Ann angehört, als er aber geendet,da ließ sie die Hände mit dem Brot und dem Messer in ihre Schüssel sinken, hob den Kopf empor und blickte fest nach dem dunkeln Winkelchen hin, wo ihr Alter am Ofen saß. „Müh'und Unlust hat Niemand mehr gehabt von dem Mareili als ich und doch reut's mich nicht, daß wir's aufgenommen. Ich hab's auch nicht aus Vergnügen gethan, aber als ich von dem Elende gehört, da sagte ich zu mir selber: wenn das eins von meinen Kindern beträfe! Und es ist mir nachgegangen,ich habe denken müssen, wie gefällig wir dagegen mit unsern Kindern gewesen. Desselben Abends las ich in der Bibel die Stelle: „was ihr gethan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan;“ und es lam mir wie eine Schuld gegen Gott vor, daß ich mir vor[]J4e nahm, das Mareili ihm zum Danke christlich und ehrlich zu erziehen.“

Die Bäuerin hatte die letzten Worte mit gehobner, ja fast feierlicher Stimme gesprochen und über ihr sonst ruhiges und wohlwollend behagliches Gesicht war ein eigner Ausdruck D Rede und Gegenrede blieb es auch, der Alte rauchte seine Pfeife zu Ende und die Frau schnitt ihren Laib Brot für die Morgensuppe vollends ein; nachher begaben sich beide zur Ruhe, des heutigen Vorfalls mit keiner Sylbe mehr erwähnend. Auch am folgenden Tage war nicht Rede davon. Den dritten Vormittag sah man den Letthofbauern auf dem Hofe einige Vorkehrungen treffen, die er sonst am Nachmittag abzuthun pflegte, ebenso trug er Einiges den Knechten auf, was er gewöhnlich selber ausführte. Nach dem Imbis holte er seine guten Schuhe herein und langte hinterm Ofen den Hut bom Rechen herunter, zugleich schnitzelte er Tabak in seinen ledernen Beutel. Da der Meister selten ausging, es sei denn,daß ihn ein besondres Geschäft dazu nöthigte, er ferner kein Freund war, weder von viel fragen noch antworten, so erkundigte sich die Bäuerin beim Knechte, ob im Stalle etwas vorgefallen, oder noch ein Stück Vieh herbei solle? es sei im Herbste einmal davon die Rede gewesen. Der Knecht aber wußte nichts. Als der Alte indeß nach seinen Kamaschen fragte,benutzte die Frau diese Gelegenheit: ob er Abends zeitlich wiederkomme oder man mit dem Essen auf ihn warten müsse?

Er wolle nach Lümpischwyl, antwortete der Bauer, er habe mit dem Müller noch eine alte Abrechnung und dann könne er auch nachsehen, ob das Mareili dort sei, er denke

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Abends zu rechter Zeit wieder zurück zu sein, vielleicht bringe er das Määdchen mit.

Frau Ann kannte ihren Mann zu gut, als daß sie nur ein Wörtlein ihm in die Sache hinein geredet hätte, auch nicht einmal eins des Beifalls oder der Erkenntlichkeit, wer aber ihr Herz hätte sehen können, dem würde dieses vorgekommen sein nicht anders als ob die Sonne eben darin aufgegangen wäre. Der Meister indeß zog ruhig ab, bis an den Grenzstein hatte ihm der Rinki noch das Geleite gegeben, war dann,nachdem er vergebens gewedelt, stehen geblieben und hatte dem Herrn nachgeblickt, halb in der Hoffnung, der werde sich noch umkehren und ihn mitkommen heißen. Der Herr aber kehrte sich nicht mehr um, die mächtige Gestalt, uum welche kleine Tabakswölklein von Zeit zu Zeit, wie Nebelchen um eine Fluh, flatterten, schritt unvderwandt des Weges dahin,der Schlucht zu und als sie in dieser endlich verschwand, ließ der Rinki traurig den zottigen Schweif hängen, wandte um und trabte langsam wieder nach dem Hofe zurück.

Wol war Frau Ann die Hauptursache, daß der Letthofbauer sich aufmachte, das Mareili in Lümpischwyl selber wieder zu holen und nicht mit Unrecht glänzte den ganzen Nachmittag jener stille Freudenschein auf ihrem Gesicht, der den Sieg der Weiber über ihre widerstrebenden Männer zu begleiten pflegt. Auch soll der braven Frau ihr Triumph nicht geschmälert werden, aber gleichwol hatte noch ein andrer Grund zu dem Entschlusse des Alten mitgewirkt. Wie wenig ihm Mareili für seine Person zusagte und er's noch nicht vergessen, daß ihn seine Alte mit dessen Aufnahme halb überlistet, das Mädchen war nun einmal doch auf dem Hofe,[57] zählte zu ihnen, war ein Theil des Hauses, das unter des Meisters Obhut und Sorge gestellt war, und an dem er darum ebenfalls, wie an allem Zugehörigen, zähe hielt. Daß er nun ein Solches ohne seinen Willen, ja wider denselben, sich entfernen ließ und gar auf diese betrügliche Weise,das vertrug sich nicht wol mit jener Auffassung. Ebenso sehr wie das Gefühl der Verantwortlichkeit, trieb demnach den Letthofbauern jenes der Zugehörigkeit sein Recht und feinen Anspruch zu wahren und keinen Eingriff darein zu dulden.Er, der das Mädchen anfangs nicht gewollt, das ihm aufgedrungen worden, jetzt, da er's einmal hatte, ließ er's nicht so leichten Kaufs wieder fahren.

In Kestenhofen, wo der Meister zunächst Mareili nachfragte, fand er Geld und Salzsack beim Krämer: das Mädchen sei vorgestern dagewesen, habe beides niedergelegt und gesagt, es werde es nachher Jemand wieder abholen. Er setzte seinen Weg nach Lümpischwyl fort, wo er zunächst zu seinem Kunden, dem Müller ging, sein Geschäft mit ihm in's Reine brachte und nach der Familie und dem Aufenthalt des Toni sich erkundigte, dabei zu gleicher Zeit von der Anwesenheit des Flüchtlings Kenntniß erhielt. Der Beschreibung nach war die Wohnung leicht zu finden: hinter einem alten verfallenden Hause mit tief herabgehendem, von Moos und Gras und Blumen dicht besetztem Dache stand noch ein Anhängsel,dessen fehlende Ziegel durch faule Bretter ergänzt und dann die Löcher in der Mauerwand mit Lehm und Moos nothdürftig ausgestopft waren. Eine der Gebäulichkeiten schien sich an der andern zu halten, es wäre nur schwer zu sagen gewesen welche? Wahrscheinlich wäre jede zusammengefallen,[]*9 wenn man sie getrennt hätte; aber Eintracht macht selbst einfallende Häuser noch stark. Gebückt trat die hohe Gestalt des Letthofbauern durch die niedrige rußige Thüre gerade mitten in Wohn und Schlafstube und selbst Küche hinein, indem alle diese verschiedenen Räumlichkeiten Bequemlichkeit halber Eins waren.

Stroh, halbfaules, schmutzige Bettstücke und Lumpen, die vielleicht Kleider bedeuteten, ein zerbrochner Tisch und dreibeinige Stühle, rußiges Kochgeschirr und ein paar ungleiche Kaffeeschüsselchen, die nach Brenz rochen und ihre Ohren eingebüßt hatten, ein Korb ohne Boden und ein zusammengefallner verlechneter Züber, daneben ein Haufen Rüben, aufgelesenes Reisig und ausgerissene Zaunpfähle, dieß Alles,und wer weiß was sonst noch, lag und stand durch- und übereinander, als ob erst eine Bande Kroaten Hausdurchsuchung gehalten hätte. Unter den Hudeln auf der Streu schnarchte Etwas, das doch wol ein Mensch sein mußte, denn zwischenein gab es einen Fluch oder ein irres Wort von sich und ein paar andre größre und kleinere Gestalten hockten da und dort am Boden oder in den Ecken herum. Eine davon war Mareili,es erblickte den Eintretenden zuerst und rief erschrocken: „der Meister!““ Das half diesem auch auf die Spur und nach einem kurzen Grüßgott ging er gerade auf Mareili zu, ohne sich um die Andern viel zu kümmern, legte ihm seine schwere Hand auf die Schulter und sagte: „du kommst mit!“ Hierauf wandte er sich und ohne nach dem Mädchen weiter zu sehen, schritt er nun wieder aus der Stube, oder dem Stalle,oder was die Spelunke sonst vorstellen sollte, in's Freie. Und richtig stand Mareili draußen auch hinter ihm, es war dem Alten gefolgt ohne es nur recht zu wissen und ohne zu wollen.[]J

Niemand hatte ihm früher daheim je so recht befohlen, es darum auch Niemandem recht gehorcht; von Befehlen und Gehorchen hatte es auf dem Letthofe zum ersten Mal einen Begriff bekommen und der Respekt vor des Letthofbauern Wort und Gebot hatte sich bei ihm bereits so festgesetzt,war ihm nachgegangen, selbst mitten unter die Seinen zurück,und zwang es unwillkürlich, dem Meister zu folgen. Die Angehörigen hielten es in ihrer ersten Ueberraschung auch nicht davon ab, am letzten der Vater, denn dieser war es,der betrunken, auf dem Boden schnarchte: sogar für die Andern lag im Auftreten, in der Miene und dem Ausdrucke des Letthofbauern etwas, das dem Gehorsam gewaltig nachR oorwagte.Der Alte schlug mit dem verblüfften Mädchen den Weg nach Kestenhofen ein. Ohne viele Worte gingen beide neben einander her, Mareili aus Furcht und Trutz schweigend, der Bauer, weil er einstweilen nichts zu sagen hatte. Erst in Kestenhofen, vor dem Hause des Krämers, hieß er seine Begleiterin hineingehen und nun den Sack und das Salz holen,er wolle warten! Mareili kam mit dem Salzsacke auf dem Kopfe wieder heraus, sie setzten ihren Weg durch's Dor fort und verfolgten dann das Sträßchen, das nach dem Letthofe abging. Als sie in die Waldschlucht, welche das Nebenthal von dem Hauptthale trennt, einbogen, verkürzte der Alte etwas den raschen Schritt, den sie bisher gegangen, und sprach zu dem Mädchen in seiner festen Weise, der man es anhörte, daß jedes Wort galt als wär's schriftlich gegeben:Dießmal hab' ich selber noch dich geholt, läufst du wieder []55.

1 fort, so wird dich der Landjäger bringen, zähl darauf! denn wenn du zehnmal fortläufst, du bleibst auf dem Letthof, das ist gesprochen. Du siehst noch nicht dein Bestes ein, bist noch zu jung und einfältig, aber den Unterschied vom Letthof und wie's bei euch in Lümpischwyl aussieht, den kann auch das Dümmste merken. Arbeiten mußt du, ja freilich, und an Ordnung und Zucht dich gewöhnen, da geht nichts ab; so ist's auf dem Letthof von je der Brauch gewesen und du wirst ihn nicht ändern. Dabei hast du Essen bis genug und was sich etwa sonst noch gehört; man wird dich nichts mangeln lassen. Für die Zukunft aber sollst du ein ehrlich Auskommen finden durch deiner Hände Arbeit und, will's Gott, zuletzt ein selig Ende. Die Meisterin meint's wol mit dir, die halte in Ehren und schau auf sie in Allem, denn ihr hast du's zu danken, wenn etwas andres aus dir wird als ein Bettelmensch oder noch Schlechteres!“

Sie traten jetzt aus dem Hohlweg und über den niedern Tännchen breitete sich das Thälchen mit dem stattlichen Hofe vor ihnen aus. Der Meister faßte sich bei diesem Anblicke kurz zusammen und sprach: „Mach jetzt wie du willst, aber einen Weg muß es gehen, mit Güte oder mit Strenge, und beides, Guthaben und Schlechthaben liegt in deiner Hand,merk's! sieh, dort ist der Letthof!“

Auf dem Hofe angelangt, that Niemand dergleichen als ob etwas besondres vorgefallen, die Meisterin bot einen guten Abend und hieß Mareili das Salzfaß füllen, der Rinki wedelte vergnügt um seinen Herrn herum und machte vor Freude ein paar ungeschickte Sätze; selbst um das Mädchen schnupperte er im Vorbeigehen einen Augenblick freundlich. Die Knechte [31] gingen ihren Geschäften nach oder berichteten dem Meister auf seine Fragen. Kurz, die gesammte Arbeit auf dem Letthofe ging ihren ununterbrochnen Gang fort, nur Vrene machte sich um die Angekommnen herum mehr als nöthig war zu thun und blickte von der Seite Mareili oder den Bauern an,nicht anders als müßten einem von beiden wenigstens in der Zwischenzeit Hörner gewachsen sein. Denn daß man fortlaufen und wieder zurückkommen konnte, wider Willen noch dazu, und es da keinen Auftritt geben sollte, das wollte der guten Vren einmal nicht in ihren alten Kopf; Beulen und blaue Mäler, zerissene Kleider und Geheul, so wie Scheltworte und Püffe, hätten nach ihrer Ansicht nothwendig zu einem solchen Ereignisse mit hinzugehört. Wenigstens sie, schloß sie ihren Gedankengang ließe sich anders als halbtodt nicht zurückbringen, wenn sie einmal fortliefe; sollte sie hingegen ein Fortgelaufenes wieder einholen, so würde es ihr in den Fingern krammseln bis sie ein paar tüchtige Ohrfeigen ausgetheilt, von einem mündlichen Putzer, daß es tropfte, gar nicht zu reden: „Das gehöre sich und sonst sei's keine Zucht!“

Und so ganz Unrecht sollte Vren auch nicht haben.

Nur die Ueberraschung hatte Mareili's Widerstand gelähmt, die Furcht seine Zunge gebunden; jetzt wieder, auf dem alten Boden, der es so unter den Füßen gebrannt,und als der Meister den Rücken gekehrt, im Stalle und Hofe den gewohnten Geschäften nachging, Niemand auch um das Mädchen war als Vrene und in der Entfernung die gutmüthige Meisterin, jetzt wieder brachen die verhaltne Scham und Wuth und der alte Trotz gewaltsam hervor. Es brauche Niemand sich seiner anzunehmen! begehrte es auf; [60] daheim sei ihm wohl gewesen, was für ein Recht man habe,es von den Eltern wegzureißen? es laufe doch wieder fort,hundert Mal noch und wenn man es zwingen wolle, so wisse es auch was es thue, es zünde den Hof an, dann habe man's.

Solches vermessene Reden bot der alten Magd die schönste Gelegenheit nachzubessern in dem was Meister und Meisterin ihrer Meinung nach versäumt. „Schweig mit den Lästerreden,du gottloses Maul!“ fuhr sie über das Trutzende her; „denke wie män dich aus dem Miste gezogen, drin du verfault wärest! Eins, das die Landjäger auf dem Schub gebracht und das wie ein Wildes aufgewachsen, will noch aufbegehren und droht mit ich darf nicht sagen was. An's Schellenwerk gehörst du, ja, aber nicht in ein christliches Haus!“ Vrene meinte wieder den bewährten Strohrübel brauchen zu müssen, aber Mareili war zu ergrimmt, als daß der gehörig wirken konnte, es war nur Oel in's Feuer geschüttet, der Wildfang schrie und schimpfte noch ärger und Eins suchte bald das Andre zu überbrüllen. Vrene, bei der der mündliche Unterricht mit der Geduld dem Ende zuging, war drauf und dran, ihre Gründe und Vorstellungen mit ein paar faßlichen Maulschellen eindringlicher zu machen, da erscholl aus der Stube her die Stimme der Meisterin ein, zwei Mal rasch und laut hinter einander und rief nach Vren. Als diese,zwar unwillig über diese Störung, mit rothem Kopfe in die Stube trat, kramte da die Bäuerin unter einer Menge von Säcken und Säcklein herum, die sie aus dem Kasten der Fensterbank hervorgezogen. Wo denn auch der Kümmel sei? fragte sie während des eifrigsten Suchens die Eintretende.Ausgehends der Woche komme der Krautschneider, sie habe [33]*nachsehen wollen, ob noch genug da wäre, denn da die Krautköpfe besonders schön dieß Jahr, so habe sie im Sinne, auch in die alte kleine Stande einzumachen.

Vren wollte von dem Kümmel nichts wissen: er müsse bei den andren Säcklein sein; als vor vierzehn Tagen die Meisterin Bauchweh gehabt und sie ihr eine Kümmelbrühe gekocht, habe sie richtig das Säcklein wieder in die Sitzbank oersorgt und seither mit keinem Finger angerührt! Gleichwol DDD es schien fast, als werfe diese immer wieder die Säcklein durcheinander, das kein Mensch wissen konnte, was erlesen war und was nicht von den Saamen und Gewürzen allen,die da eingebündelt lagen. Endlich unter einem Haufen, von dem Vren gemeint, daß sie ihn wenigstens schon zehn Male durchsucht, fand sich das Gesuchte, als aber die Bäuerin den Bendel losknüpfte und mit der Hand in den Beutel griff,nach der Menge sich zu erkundigen, da stieß sie mit Vrenes Ellbogen ungeschickt genug zusammen und die Körnlein fielen auf den Boden heraus. Daß die Finger einer alten Bäuerin und einer noch ältren Vren nicht die geschicktesten Instrumente find, kleine Kümmelkörnlein von der Erde schnell aufzulesen, das ist begreiflich, es dauerte deßhalb eine graume Zeit bis sie damit zu Ende gekommen und derweilen konnte der Zorn und die Streitlust Vrenes prächtig verkühlen und die ruhigste Kaltblütigkeit wieder die Oberhand bei ihr gewinnen.Indeß auch Mareili draußen wurde allgemach stille, dermalen allein zu toben den Meisten doch gar zu undankbar vorkommt.Die Ruhe bei dem Mädchen war inzwischen nur eine ganz äußerliche und daß eigentlich sonst Niemand von seinem Toben [834] und Drohen besondre Notiz nahm, brachte es innerlich noch mehr auf. Des Nachts, als man sich zum Essen an den Tisch setzte, erklärte es, daß es nicht essen wolle. Es wurde nicht gezwungen, indeß seinen Platz einnehmen, das mußte es doch,im Uebrigen ließ man ihm seinen Willen, kein Mensch redete ihm deßhalb zu oder blickte nach ihm hin. So war's auch den folgenden und den ganzen dritten Tag als Mareili, mit dem Vorsatz sich auszuhungern, wie ein Oelgötze zwischen den waidlich einhauenden Tischgenossen saß, die Knechte einen Erdäpfel um den andern von der Platte langten und Vrene die unabgehobne Milch mit lautem Behagen löffelweise einschlürfte. Mareili berührte seinen Löffel nicht und keine Seele schien es zu bemerken, nachher standen Alle wieder auf und gingen an ihre Arbeit und Mareili an die seine, gerade als ob es wie immer gegessen hätte. Am vierten Tage,Mittags, als Dienst- und Meistersleute wieder am Essen saßen, das Mädchen unter ihnen wie gewöhnlich und die Suppe ohne seine Mithülfe bereits versorgt worden, brachte Vren zwei mächtige Schüsseln mit Erdäpfeln und Aepfelschnitzen herein und stellte sie mitten auf den Tisch. Gewaltige Dampfwolken wirbelten duftend aus ihnen empor, und ein appetitliches Stücklein dürren Speckes mischte noch seine Würze dem allgemeinen Wohlgeruch verführerisch bei. Sogar der wolerzogne Rinki unter dem Ofen hob seinen schweren Kopf und schnüffelte lüstern mit seiner schwarzen Nase. Thurmhohe Haufen, und auf jedem ein rosafarbnes Stücklein Fleisch,bauten sich auf den Tellern der Knechte auf und schwanden vor ihrem Appetite wie Schnee in der Marzsonne. Stumm und trotzig saß Mareili mit leerem Teller zwischen inne,[635] roch den köstlichen Erdgeruch der Kartoffeln, sah die verführerischen Schnitze, das ungewöhnliche Speckstücklein, es hörte Vrene aus Leibeskräften schmatzen, sah das ohnehin schon behagliche Gesicht der Meisterin noch glänzender werden um den Mund und das rundliche Kinn, von dem saftigen Fette des Speckes und erblickte seinen eignen Hunger leibhaftig aus den gierigen Blicken des Rinkt wiedergespiegelt. Immer finstrer wurde da seine Miene, eine dunkle Röthe überflog es bis über die Ohren und in den Nacken, plötzlich brach es mit Heulen los, schluchzte und zuckte und fuhr am Ende mit der Gabel,unmãchtig sich ferner zu beherrschen, in die Schnitze und Erdäpfel hinein und begann unter einem Strom von Thränen zu essen wie ein junger Wolf. Erstaunt hatten diesem Ausbruche Alle zugesehen und selbst über des Letthofbauern ruhiges und unbewegtes Gesicht war etwas wie Verwunderung hingeflogen.Indeß Niemand sagte ein Wort und das Mädchen, indem es seinem Heißhunger die Zügel schießen ließ, dachte, sah und hörte nichts Andres und wenn man mit Kanonen vor der Stubenthür geschossen hätte. Sein Essen war endlos. Als es zuletzt wieder zur Besinnung kam, schien es wie erstaunt oder aus einem Traume erwacht. Scham, daß es seinen Vorsatz des Aushungerns gebrochen, schien es nun bei gesättigtem Hunger anzuwandeln, indeß es war geschehen und das Gefühl eines gefüllten Magens hatte andrerseits doch auch wieder seine Vorzüge. In einiger Verwirrung durch diese widerstreitenden Empfindungen, schlich sich Mareili nach dem Essen in die Küche hinaus. Auch die Bäuerin hatte dort selb und jenes zu handtieren und als sie mit einem Laib Brot wie von ungefähr in die Nähe des Mädchens kam, schnitt sie Meher-Merian, Mareili.[22]1 so drei Finger breit in der Hälfte davon herunter und bot es dem Kinde mit freundlichen Worten dar. Ein dreitägiger Appetit und ein vierzehnjähriger Magen schlagen aber auch nach einer Mahlzeit ein Stück frisches äßiges Brot nicht aus und um so weniger, je größer das ist. Mareili griff darum zu und man sah ihm an, es that ihm wol, nicht nur im Magen,auch im Herzen: zum ersten Male flog etwas wie Erkenntlichkeit über sein Gesicht und gab seinen wilden Augen einen sanftern Glanz.

VII.Die Lehrzeit oder Tropfen höhlen Felsen aus.Das Eis war gebrochen und von da ab schien Mareili sich in seine neue Lage ergeben und auf die Heimat und das frühere Leben verzichtet zu haben, ob auch mit widerstrebendem Herzen und feindlichem Sinne gegen die neue Umgebung. Es machte keinen Versuch mehr zu entfliehen, war mit seinen Gedanken jetzt nicht mehr in der elterlichen Lumpenwirthschaft,strebte nicht länger mit allen Sinnen nach der hergebrachten Ungebundenheit, der altgewohnten Zuchtlosigkeit, sondern ergab sich allmälig darein, auf den Letthof zu gehören, hier daheim zu sein. Zwischen Einst und Jetzt, zwischen Lümpischwyl und dem Letthof ward eine Kluft befestigt, nicht nur durch den ziemlich weiten Weg vom Hofe nach dem heimatlichen Dorfe hinüber, sondern auch in Mareili's Geiste.

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Damit indeß war erst der Eingang durch den Dornenhag gebrochen, welcher den steinigen und von Unkraut überwucherten Acker verschloß : das Jäten und Umfahren und Steine weglesen war damit noch nicht besorgt, noch weniger guter Samen ausgestreut und zum Keimen, Wachsen und Blühen,ja gar Fruchtbringen gebracht. Dabei erging es Mareili wie einem eroberten Lande, das dem siegreichen Könige als neuem Herrn sich wol unterwirft, seine Befehle annimmt und seine Verordnungen ausführt, inwendig aber immer das Gefühl nährt, daß es nur der Gewalt erlegen und der Herrscher eigentlich sein Feind gewesen und noch sei, trotz der in amtlichen Erlassen ausgehängten Vaterrolle. Darum begleitet es mit Mißtrauen jeden seiner Schritte, nimmt- jede Handlung als verdächtig auf und legt sie zum Schlechten aus. Gleicherweise verwehrte der trotzige Geist des Mädchens eine volle und rückhaltlose Hingebung und verlangsamte so den Erfolg und erschwerte die Fortschritte. Jener Stachel in seiner Brust giftete seine Zufriedenheit und stellte es doch immer wieder als ein Fremdes nebenaus von allen Andern, die Freud und Leid, Arbeit und Ruhe nicht nur theilten, sondern auch innerlich zusammentrugen und in gegenseitiger Mittheilung verarbeiteten, daß ein wohliges Daheimsein, ein sichres Behagen auch über das Fremdeste kam.

Es bedurfte der ganzen Macht der Alles besiegenden Gewohnheit um diesen Widerstand immer mehr zurückzudrängen,einzuschließen hinter sieben Mauern, die sie darum aufführte,ihn zu binden mit ihren unzerreißbaren Banden. Zwei Mächte,die feindlichsten der Welt, standen da einander gegenüber: die

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I

Ordnung eines Bauernhofes und die Bauernsitte hier, die schlechten Gewohnheiten des Vagantenthums dort. Jene vertreten von einem großen Hofe mit allen Bewohnern, diese in einem einzelnen vierzehnjährigen Mädchen, abgeschnitten von allem Zuzug, umringt von feindlichen Elementen auf fremdem Boden. Ein bessrer General als so ein Mareili hätte sich hier nicht auf die Länge zu behaupten vermocht. Wenn der Letthofbauer befahl, so ging's wie am Schnürchen, die Knechte gehorchten ohne Widerrede, man merkte es höchstens an den etwas schwerfälligen Tritten, daß ihnen der Auftrag nicht so recht schmeckte, und es mußte einem schon sehr wider die Haare gehen, wenn er ein Wort brummte, nachdem er um die nächste Ecke gebogen, früher jedenfalls nicht. Auch die Bäuerin widerredete dem Alten nicht, wenigstens nie vor den Leuten, höchstens fügte sie dem Befehle noch etwas bei,gab so eine Art Auslegung dazu, wodurch eine Milderung,eine kleine Beschränkung oder Erleichterung bezweckt wurde,ohne daß davon die Autorität des Meisters Eintrag erlitt.Von ihr selber konnte man am wenigsten sagen daß sie befahl und man ihr gehorchte, obschon sie die Haushaltung leitete.Sie war in der That die Seele derselben, die Seele aber sagt nicht zum Fuß, zur Hand im Befehlshabertone: thue das,gehe dorthin! es ist da kein ausdrückliches Gebieten, sondern es macht sich von selber, ja versteht sich von selber. Die Bäuerin verstand es aus dem Grunde, ihren Leuten etwas zuzurüsten,unter die Hände zu geben, daß die meinten, sie hätten es selbst genommen, oder es sei von selber gekommen und hintendrein steif und fest glaubten, aus eignem Verstande es gethan zu haben, während die kluge Frau sich mäuschenstille dabei hielt,[25]732*höchstens ein wenig auf den Stockzähnen lächelte, wenn Solches ihr sogar mit ihrem Alten gelegentlich gelang. Nur bei Vrene nahm diese feine Taktik eine etwas derbere Gestalt an,da dieselbe nicht nur dicke, sondern daneben auch gar reizbare Nerven besaß. Vren allein schien sich eine Art altes Vorrecht gewahrt zu haben, das nämlich, der Meisterin gegenüber zu knurren. Da sie indeß diese Freiheit mit um so größerer Treue und Anhänglichkeit aufwog, so übte die Letthofbäuerin Nachsicht und entschuldigte es vor dem Bauern, als die besondre Natur der alten treuen Magd, der sie jeden Augenblick den ganzen Hof anvertrauen könnte. Merkwürdigerweise schloß sich Mareili auch mehr an Vren an als an die Bäuerin,obschon die Strohrübel-Manier, mit der jene sich des Mädchens annahm, gegen die Milde und Schonung der Meisterin sattsam abstach. Es vergaß es halt der guten Letthofbäuerin nie, daß sie eigentlich die Ursache seines gezwungnen Aufenthaltes auf dem Hofe war und jedes freundliche Wort, jede Güte der Frau kam ihm nun als ein so geringer Abschlag dieser großen Schuld vor, daß sie diese mehr nur vergegenwartigten anstatt verminderten. Vren hingegen stand Mareili schon als Magd näher, sie war auch dienstbar und daß sie manchmal knurrte gegen die Meisterin, herumschoß wig eine gejagte Hornisse, aufrührerische Worte gebrauchte, bei dem anhänglichsten Herzen, das gewann ihr die Neigung des Mädchens, das nicht tiefer sah, noch viel mehr. Ob sie nun diesem selber gelegentlich den Kosftrauf ihre beliebte Weise wusch,hatte nicht so viel zu bebeuten, „es war Vrene!“ (wie auf dem Hofe allgemein die Entschuldigung für dergleichen Auslassungen gebräuchlich war) und dann war ja Mareili's

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Haut nicht so verwöhnt, um dadurch sehr verwundet zu werden, eine handgreifliche Behandlung entsprach seiner Verwilderung und natürlichen Rohheit fast besser als der Bäuerin milde Art, die mit ihrer Liebe noch nicht in das verfinsterte und verwahrloste Gemüth hineindrang.

Auf dem Letthof war Jahr aus Jahr ein ein Tag wie der andre, ob man im Wintermonat auch die Frucht drosch,welche man im März gesäet und im August geschnitten. Im Sommer um vier Uhr und im Winter um halb sechs Uhr stand Vren auf, man hätte die Uhr darnach richten können, so wenig wich sie von der Zeit ab. Mareili, das bei ihr schlief,mußte mit ihr aus den Federn, wie sauer es dem trägen Mädchen schmeckte und wie mürrisch und verschlafen es am Anfang sich benahm. Das verstand sich einmal so auf dem Hofe, wer hätte da nach dem Gefallen oder Nichtgefallen eines Mareili's fragen wollen! Die Eintheilung des Tages,die Ordnung und Besorgung der Geschäfte verlangte dieß,es war gar nicht anders möglich, war natürlich so. Das Mannenvolk wollte zur rechten Zeit an's Frühstück sitzen und Vrene hätte sich in's Herz hinein schämen müssen und alle möglichen Anzüglichkeiten der unverschämten Knechte zu erdulden gehabt, wenn die nur zehn Minuten mit dem Kaffee oder der Suppe wären verzögert worden. Und es waren nicht die ungeduldigen Knechte allein, auch der Letthofbauer, der zur bestimmten Zeit den Morgensegen zu lesen pflegte, mit dem jedes Tagewerk begonnen ward, würde bei einer Verspätung ein sonderbares Gesicht gemacht haben und dieser Letthofbauer war der Einzige, gegen den Vrene nie einen Widerspruch in's Gesicht sich erlaubte, über den sie erst in ihrem Gebiete, der

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Küche, zu knurren und brummen begann, oder auf dem neutralen Boden des Hühnerstalles und Milchkellers. Das Mittagessen Schlag eilf Uhr war dann wieder solch ein unwandelbarer gegebner Punkt und wie hätten sich die vielfachen Haus-, Garten, Feld- und Stallgeschäfte je zwischen Morgenessen und Imbis eintheilen lassen, wenn nicht die pünktlichste Ordnung wäre festgehalten worden! Da fiel keinem Menschen eine Aenderung ein, nicht einmal die Möglichkeit einer solchen. Mochte Mareili schläfrig, lässig oder widerwillig sich geberden wie es wollte, Niemand gab ihm für etwas Andres als der Brauch einmal war nur Gehör, es kam nirgend an mit seiner Weise, und auf die Dauer ging's allein auch nicht.Gern oder ungern, es wurde mitgerissen durch die Macht der VD0 wenn Vren das rechte Bein links über's Bett hinaushob,sein linkes rechts aus den Federn ohne nur den Mund gen, ganz natürlich so und Vren konnte beim Erwachen ihre Ellbogen so ruhig lassen, als ob sie allein im Bette gelegen.Auf diese Weise ergriffen die feste Ordnung des einfachen Bauernhauses und das gute Beispiel, das die Leute unabsichtlich gaben, Mareili noch an gar manchem Flecke, oft ohne daß es eine Ahnung davon hatte. Die schärfste Polizeivorschrift so wenig als die ausgesuchteste Erziehungsweise haätten einen so gründlichen Erfolg haben können, wie diese gewöhnlichsten Hausmittel. Das erst erzwungne Guthalten in Ordnung, Fleiß und Aufführung wurde dabei endlich zur Gewohnheit, zur andern Natur, gerade wie vorher das lange Verharren unter den schlechten Einflüssen des elterlichen Kreises [72] dem Mädchen Schmuz, Liederlichkeit, Faulheit und. hundert Untugenden zur Gewohnheit gemacht hatte, trotz seinem angebornen Sinne für Reinlichkeit und Schicklichkeit. Abgeschnitten von den frühern Gelegenheiten und Versuchungen, durch seine Entfernung und Verpflanzung gleichsam in die Unmöglichkeit des Sündigens gesetzt, verblaßten allmälig die alten Erinnerungen vor der lebendigen Frische des gegenwärtigen bessern Eindruckes, die bösen Neigungen dorrten immer mehr ab und in hoffnungsvollem Grün keimte die gute Saat links und rechts empor.

Soviel in ihrem Vermögen stand half hiebei die geschickte und treue Hand der Bäuerin nach, meist unsichtbar,aber beinahe allgegenwärtig und selbst der schweren, der guten Vren kam ihr unbestreitbares Verdienst dabei zu. Daß sich indeß die Sache weder so schnell noch so leicht machte, das empfand Niemand besser als gerade die Letthofbaäͤuerin, denn an Rückfällen und Geduldsproben war kein Mangel. Nur wahrhaft christliche Liebe half ihr überwinden, erstens den stummen Widerstand, dann alle die Untugenden, wie Trägheit,Lüge, Dieberei. Um Mareili zum Fleiße anzutreiben konnte die Meisterin einmal zu ihm sagen: „Wenn du mit dem Misten des Hühnerhofes fertig bist und Wasser in die Küche getragen hast, so kannst du hereinkommen und dein Neunebrot holen.“ Oder ein andermal: „Du kannst im Pflanzland die Bohnen brechen, sobald du sie hast, so sag' mir's, ich bin im Milchkeller, es sind im Kratten noch eine Handvoll Kirschen von gestern.“ Und Mareili hatte einen viel zu gesunden Appetit nach einem rechtschaffnen Stück Brot, wie nach einer Handvoll Kirschen, als daß es sich nicht sollte beeilt haben,[73] die aufgetragne Arbeit in aller Ordnung zu vollbringen, denn das wußte es, die Meisterin sah nach und, wenigstens nach seiner Meinung, gar genau. Daß am Anfang namentlich die Meistersfrau sich mehr nur mit dem guten Willen begnügte und hintendrein noch im Stillen die Bren sandte zum Nachbessern oder Nachlese halten, das wußte vas Nodchen freilich nicht. An den langen Herbst- und Winterabenden durfte Mareili auch ein oder zweimal die Woche für sich spinnen,wenn es die ganze Zeit sonst fleißig gewesen war und einen schönen, gleichen Faden gezogen hatte. Es besaß seine besondre Kunkel, den Hanf schenkte ihm die Meisterin und versprach noch obendrein für zwei oder drei Hemden den Weberlohn zu zahlen. Etwas Eignes, ein paar Strangen Garn und die Aussicht auf ein selbstgesponnenes Hemde, hatten aber doch schon einen Reiz für Mareili, das ja bisher Alles nur erbettelt und um den Gottswillen geschenkt gekriegt. Der Reiz aber hielt seinen Fuß nur um so fester auf dem guten Wege des Fleißes und der Ordnung. Ebenso wenn ihm die Bäuerin ein Stück von ihren Kleidern schenkte und anpassen ließ, nachdem es eine Weile sich erträglich aufgeführt und im Arbeiten besonders brav ausgehalten.

Bei der natürlichen Rührigkeit und Anschickigkeit Mareili's war es fast weniger schwierig die angewöhnte Trägheit und Tagedieberei zu bekämpfen, als die Laster der Lüge und der auf Naschhaftigkeit begründeten Dieberei auszurotten. Diese waren ihm so zur andern Natur geworden und in's Fleisch hineingewachsen, daß es Anfangs schien, es betrachte sie nicht bloß als etwas, das keine Schande sei, sondern es wisse sie nicht einmal recht zu unterscheiden. Es hatte sich von

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Kindsbeinen auf so in Lügen und Diebereien bewegt und war dazu von den Eltern angeleitet worden, daß es des dauernden Aufenthaltes auf einem Letthofe brauchte wo solches geradezu fremd war, um einzusehen, es sei denn doch nicht so ganz das Gewöhnliche und zum Leben gewissermaßen Nothwendige.Die Leute hier hatten genug zu essen, man gönnte es ihnen und es schien sogar der Bäuerin im Herzen wol zu thun,wenn thurmhohe Platten und unergründliche Schüsseln rein abgeräumt wieder in die Küche wanderten. Aß einmal Eines nicht als habe es von Morgens früh bis spät am Abend gedroschen, so erkundigte sich die Meisterin gewiß theilnehmend,ob ihm was fehle und sie ihm einen Thee kochen solle? Dabei ward am Essen nichts gespart, die Milch nicht bis auf's himmelblaue Wasser abgerahmt und ebensowenig mit Salz und Butter gekargt. Es fiel darum Niemand ein, heimlich etwas zu nehmen, da offen sich satt: zu essen so gute Gelegenheit war. Ueberdieß waren Meister und Meisterin überall selber dabei und hatten scharfe Augen, die in alle Winkel und Ecken drangen, eines Jeden Gang und Arbeit überwachten und nirgends Rost oder-Spinnweben, ja nicht einmal Staub sich ansetzen ließen. Den größten Einfluß auf ihre Dienstleute übte das eigne gute Beispiel; es gelte seine Sache, meinte der alte Bauer, also müsse er auch vorangehen! Es war noch die alte Mode auf dem Letthofe gültig, wo der Kommandirende vor seinen Leuten steht, nicht unsichtbar hinter der Front oder aus irgend einem entfernten Hauptquartiere seine Befehle ertheilt und die Ausführung dem guten Willen oder Geschicke der Untergebnen überläßt. Es war darum auch nirgend viel zu verheimlichen für diese, oder falsch zu berichten,[2]13

Schwarz in Weiß zu verwandeln, Niederlagen in Siegesbotschaften, wie dem Kaiser von China durch seine Mandarine nach Pecking gemeldet werden. Mit einem Wort, lügen war schwer und trug nicht viel ab. Aus dieser schlechten Gelegenheit und dem Abstande von seinem vorigen Leben lernte Mareili erst recht Lügen und Stehlen als etwas Unrechtes und Verwerfliches betrachten, es fing an, erst sich in Acht zu nehmen damit, darnach sich zu schämen, wenn es ertappt ward,und am Ende gewöhnte es sich's allmälig ab.

Ein eigner Trieb zu Stehlen hatte es lange jedesmal fast unwiderstehlich angewandelt, wenn es allein bei Milch, Butter,Eiern oder Obst sich gefunden, und eher hätte es Reue empfunden, die schöne Gelegenheit unbenützt vorbeigehen zu lassen.Ohne besondres Aufsehen paßte aber die Bäuerin auf, als sie das Uebel entdeckte, merkte sich die Verstecke unterm Strohsacke, in einem Winkel des Hühnerhofes, hinterm Immenhause oder in Büschen hier und da und sah dann von Zeit zu Zeit, oder wenn sie Verdacht schöpfte, dort nach. Fand sich etwas, so zog sie die Sachen hervor und indem sie mit Angabe des Ortes wo sie das Verdächtige gefunden, Mareili dasselbe zgab, hieß sie es das Gefundne an den Ort hintragen, wo es hingehörte. Dieß geschah in der Folge auch von den Knechten und von Vren und diese machten spöttische Gesichter genug dazu und ließen spitze und anzügliche Bemerkungen mitlaufen.Vren verschloß ihre Sachen in der Kammer sorgfältig mit dem Beifügen: seit etwas Zeit scheine es nicht mehr so sicher zu sein auf dem Letthofe, der Rinki lasse doch niemand Fremden herein, aber früher sei's nicht so gewesen, man hätte da keinen Schlüssel umgedreht, sie seien alle rostig geworden!

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Mareili, das gar wol wußte, auf wen das gemünzt war,fing da an sich zu schämen, weniger daß es gestohlen, als daß es entdeckt war, offenkundig dastand unter der Last der allgemeinen stummen Anklage und man es nicht einmal der Prügel oder sonstiger Strafe werth achtete. Es verleidete ihm nach und nach.

Mit den Lügen erging's ganz ähnlich. Am Anfange kamen so dicke, daß selbst eine Vren darüber stolpern mußte und man sie mit Handen greifen konnte. Allmãlig wurden sie feiner und überlegter. Schöpfte aber die Bäuerin Verdacht, und ihr ruhiges Auge sah meist richtig, so wurde Mareili ganz gelassen und ernst nochmals gefragt und es mußte das Gleiche, die Lüge nämlich, wiederholen, wodurch sie ihm selber gleichsam vor die Nase gehalten wurde. Den festen offnen Blick der Meisterin, der dabei auf seinem Gesichte ruhte, ertrug es mit allem Trotze immer schwerer. Beharrte es gleichwol dabei, so schwieg gewöhnlich die Bäuerin,es war aber noch nicht gewonnen, denn sie wußte meisterhaft nachher aus andrer Zeugen Mund, ganz nur wie gesprächsweise, in Mareili's Gegenwart die Wahrheit herauszubringen und ohne daß sie an das Verhör noch zu denken schien. Nur ein einziges Wort hatte dann einen besondern Ton, ein Blick bloß fiel auf das schuldige Mädchen, wenn die Wahrheit an den Tag kam, davor bei aller äußern Frechheit dieses doch jedesmal erbebte und stückweise seine schlechte Gewohnbeit aufgab.So brachte fast durchgehends nur mit Güte und ausschließlich mit Liebe die Letthofbäuerin das verwilderte Mareili in ein besseres Geleise hinüber, darin es durch die Ge[77] wohnheit immer fester gehalten wurde. Vren, der es oft nicht nur im Hergen wallte bei den Unarten allen, sondern selbst in den Armen juckte, warf der Meisterin mehr als einmal vor,sie liebe den fremden Wildfang mehr als die eignen Kinder.Gegen diese sei sie nicht halb so nachsichtig gewesen, Käthrinli und Bäbeli seien schon erwachsen gewesen und hätten doch für Kleineres noch den Marsch gekriegt, daß es eine Art gehabt. Auch habe Frau Ann nicht selten bei der Zucht die Arme mehr angestrengt als die Lunge, ob sie dagegen dem Mareili nur je eine einzige Ohrfeige gegeben? trotzdem alle Tage zweimal gewalkt zu werden, ihm nur eine gute Kur wäre und sein Pelz dabei sich noch wohl befinden würde. Es sei himmelschreiend so ungerecht zu sein! schloß Vren, und bedauerte die bereits verheiratheten Töchter Käthrinli und Bäbeli noch jetzt, als wären sie erst vor einer Stunde mit der Ruthe abgestraft worden.

Die Bäuerin aber lachte erst über dergleichen Ausbrüche von Vrens Eifer, der freilich weniger ihren Töchtern galt als dem Mareili. Dann aber ward sie doch ernster und sagte zu der alten Magd: „du hast Recht, mit meinen eignen Kindern war ich viel strenger und würd's noch sein. Aber meine Kinder wußten auch, wenn ich sie züchtigte, gar wol, wie lieb sie mir waren und sie liebten auch mich sehr. Mareili aber, der arme Tropf, kann das nicht wissen, weiß von Liebsein und Liebhaben überhaupt nicht viel, sein Herz ist mir noch fremd und oerschlossen, das muß ich behandeln wie ein Wochenkindlein und noch ein krankes obendrein. Schlaägt aber ein solches eigensinnig gegen den Löffel mit Arznei, so nimmt man auch nicht die Ruthe sondern geschweigt und kirrt es mit einem

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Stücklein Zucker oder sonst etwas das ihm schmeckt und gefällt.“Vren schüttelte den alten Kopf und meinte nur so halblaut für sich; dann und wann eine saftige Ohrfeige, ein gründlicher Puff hätten doch auch ihre apparte Wirkung und beschleunigten die Besserung; Mareili sei nicht von so subtilem Teige, daß sie viel schaden könnten! In etwas mochte vielleicht Vren auch Recht haben und so viel war gewiß: Mareili,welches der Bäuerin vollauf Arbeit und Mühe verursachte,dessen sich diese gegen die Dienstleute und selbst den Letthofbauern so oft annehmen mußte, es stieg dadurch allerdings an Werth und Interesse für die brave Frau, welche Mutterstelle an ihm vertrat; schätzt man eine Sache doch besonders auch nach dem Preise, den sie kostet.

Die guten Anfänge im Einzelnen da und dort trugen zur Verbreitung und Beschleunigung der Besserung bei, sie erzeugten für sich wieder Gutes oder erleichterten dessen Aufkommen und Gedeihen, so daß auch zartre Keime nach und nach Wurzel schlugen, Dieß und Jenes sproßte, das eines Schutzes, eines Haltes bedurfte, den es nun allmälig fand.Aehnlich läßt man in einem umgeschlagnen Forste, der zu neuem Walde gedeihen soll, Saatbäume stehen, welche zugleich den jungen Wuchs schützen mit ihrem Schatten vor zu viel Sonne, oder mit den kräftigen Wurzeln an Halden vor Erdrutschen und Wassern. Für die Letthofbäuerin aber war das Treiben jedes neuen guten Schosses der gefreuteste Lohn für ihre unverdrossene Gärtnerarbeit und nur Eines verdarb ihr die Freude, das nämlich, daß das Mädchen ihr so wenig offenes Vertrauen bezeigte, daß eine unübersteigliche Scheide[79] wand zwischen ihnen beiden blieb, ein kalter Luftzug zwischen ihrem Herzen und dem Mareili's zu wehen schien, der jede innigere Annäherung, jede Hingebung verhinderte. Dieses Hinderniß wurde selbst nicht überwunden, als im folgenden Jahre das Mädchen in die christliche Unterweisung trat und nachher das erste Mal mit den Letthofbewohnern, als wären es seine Angehörigen, zum heiligen Abendmahle ging. Wie ernst es die kirchliche Handlung sonst auch nahm, das Verhältniß zu seinen Pflegeeltern wurde kaum durch eine leise vorübergehende Regung in etwas erwärmt und wenige Tage nachher schon trat die alte Fremdheit wieder ein, in der es die aufgetragne Arbeit zwar ordentlich und genau vollführte,zu Klagen durch sein Betragen wenig Anlaß gab, für die Liebe und das Wohlwollen hingegen ebenso unempfänglich schien, als es selber nie eine weichre wärmre Empfindung gegen Jemand kund gab. Wie es Gemüther giebt, die, einem heitren Sommertage gleich, Alles um sich erheitern und erwärmen und selber warm und hell drein sehen, andre wieder,die wie Regenwetter oder gar Sturm und Donnerwetter auf ihren Umkreis wirken, so glich Mareili einem nebligen Herbsttage, an dem's zwar nicht stürmt und nicht regnet, aber auch die Sonne nicht hervor will, sondern ein grauer frostiger Himmel eintönig und freudlos über der Gegend und den Menschen drin sich ausbreitet.

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VIII.Kestenhofen. Krämer Stoll, eine Standesperson.Kestenhofen war ein ganz stattliches Dorf, das sich durfte sehen lassen, es hatte Häuser, mit Mauern und Ziegeldächern,versteht sich, wie man sie nicht überall im Lande fand. Des Krämers Stoll sein Haus hätte selbst einem Städtchen keine Unehre gebracht, seit er's gelb anstreichen und die Fenstereinfassungen und Fensterläden schön grasgrün malen lassen.Das Pfarrhaus verlor sich ganz dagegen und vielen Leuten gefiel auch seitdem das Rößlein nicht mehr so wol, trotzdem dieß das größte Haus war und der Schimmel auf dem goldverzierten Wirthsschilde keck genug in die Welt hinaussprang.Hinter den Häusern und Scheunen dehnten sich Baumgärten mit den kräftigsten Obstbäumen aller Art und Wiesen nebenan verstärkten noch den Eindruck von Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit, den das Dorf und seine Gemarkung Jedem beim ersten Anblick machte.

Man hörte damals im Lande mancherlei Klagen bald lauter, bald leiser über das zunehmende Branntweintrinken und die Verarmung und Verlotterung, welche die Folge davon seien. Wenn man dabei auf einzelne Gemeinden besonders wies, so war Kestenhofen mit darunter. Viele Leute zwar und auch solche, die Einfluß hatten und die Jeder als Ehrenmänner mußte gelten lassen, Landräthe sogar, meinten, diese Klagen über das Schnapsen und sein Verderben seien eigentlich doch auch viel Modensache, Jeder meine, er müsse in diese Trompete blasen um sich ein Ansehen zu geben und stark [81] werde da in den Tage geredet und behauptet und schwarz gemalt und faustdick aufgetragen, während es doch in Wirklichkeit nicht halb so gefährlich aussehe, die Dörfer, trotz ihrem Berfall und Untergange, noch alle ständen und die Menschen drin einstweilen auch noch lebten und wie immer auf zwei Beinen gingen. Ja im Gegentheil! es gebe fast täglich neue und mehr als nothwendig, bei all den Verheerungen und der Pest, welche der von Pfarrern und Kopfhängern oder sonst unpraktischen Phantasten so verschrieene Branntwein immerfort anrichte. Die Welt sei wie sie immer gewesen!

Andre aber entgegneten wieder hierauf: Wol stehen die Matten gleich schön grün um das Dorf her, die Bäume haben nach alter Weise volles und weißes Blust, der Himmel blaut und thaut wie von jeher über der Landschaft und die Vögel pfeifen die gleich fröhlichen Liedlein; man merkt dem Dorfe das Verderben nicht an so von außen, wo ja Alles freundlich und lieblich aussieht über den Schäden und der Noth, die unter der Hülle zehren und wie ein böser Ausschlag fortkriechen. Aber wer nicht nur auf Bäume und Matten sieht und vom Sonnenschein sich nicht blenden so läßt, daß er nichts in den dunkeln innern Räumen der Häuser zu unterscheiden vermag, der wird auch die Klagen über den Verfall und das Elend schwerlich sehr übertrieben finden!

Um zu wissen wer da Recht hat und wer Unrecht, wer die Wahrheit sagt und wer übertreibt oder übertüncht, wird es am besten sein, selber im Dorfe ein wenig herumzugehen und durch die Fensterscheiben und halboffenen Thüren in das innere Leben und Weben mit eignen Augen hineinzublicken,unbemerkt so viel als möglich und jedenfalls auch unange

Meyer-Merian, Mareili.[8] meldet. Und auch wo im Geheimen ein verschlossenes Herzkämmerlein sich aufthut, wollen wir hineinzugucken versuchen oder verborgne unsichtbare Gedanken, Wünsche und Absichten erhaschen, wo die irgend durch das Schlüsselloch einer feuerfesten siebenfach verriegelten Thüre entwischen mögen.

Der Krämer Stoll ist schon ein halber Bekannter, zudem hat da Jeder Eintritt, es wird nicht abwegs fein bei ihm den Anfang zu machen, ohnehin da sein Haus so freundlich einen anlacht und man jeder Zeit Leute bei ihm antrifft. Denn geht einem Aetti der Tabak zu seinem Pfeiflein aus, so findet er ihn beim Krämer, will irgend eine Gotte (Pathin) ihrem Hausli oder Heiri bei einer Gelegenheit ein gutes Maul oder einen verdorbnen Magen machen, so stehen da Lebkuchen oder gemalte Zuckererbsen zur Auswahl bereit und den Weibern gar erblüht in dem Laden ihr ganzes Paradies, von Häftlein und Beinknöpfen an ihre und ihrer Männer Kutten, bis zu den hoffärtigsten Haubenbändern, den buntesten Halstüchlein und Zucker und Kaffee und Cichorie, gelben und blauen,obendrein. Welche Wichtigkeit der Meister Stoll und sein Laden deßhalb für das ganze Dorf haben mußte, ließ sich errathen, wenn man auch nicht wußte, daß erstrer im Gemeinderath saß und in letzterm auf einem der hintern Schäfte noch ein paar mächtige Strohflaschen standen, mit Kartoffelgeist die eine, mit Rübenschnaps die andre. In jeder Noth,für Hauen und Stechen und Freud und Leid suchte beim Krämer sich Alles Rath und Hilfe und er war auch ganz der Mann darnach, der bereitwillig überall half, wie seine Frau in ihrer Art nicht minder. Trotz seiner Willfährigkeit, oder vielleicht gerade wegen derselben, gedieh Meister Stoll zusehends,[]0**209 er hatte immer mehr Auswahl, es sah stets hablicher bei ihm und um ihn aus, er selber fing an einem Herrn zu gleichen,wie sein Laden ebenfalls einem Herrenladen in der Stadt ͤhnelte.

Eben tritt der Schneider-Andres in die Stube und daß auch der hier gut bekannt sei, zeigte schon die gegenseitige Vertraulichkeit womit die beiden Männer sich grüßten. Das war auch natürlich, denn der Andres bedurfte für seine Profession fast tagtäglich etwas von den Siebensachen des Krämers,war's nicht Faden, so waren es Knöpfe, oder Bänder, oder Barchent, ein Stücklein Wachs, Nähnadeln, kurz Hundert für Eins. Auch jetzt brauchte er Hosenschnallen und schwarzen Faden, dazu einen neuen Fingerhut, denn der alte war ganz durchlöchert. Willfährig half ihm der Krämer das Passendste aussuchen und packte ihm auch noch ein Stücklein Kreide dazu,die der Andres fast vergessen hätte. Dabei war von allerlei Dorfneuigkeiten, vom Wetter und den Aussichten und dem Stande der Feld- und Baumfrüchte die Rede. Während dieses Discurses hatte Meister Stoll ein Gläslein auf den R nen Flasche dasselbe mit Brenz voll. Neben dieses legte er auch das Päcklein gekaufter Waaren und während der Schneider letztres in die Tasche schob, brachte er das Gläslein an den Mund und leerte es, erst in einem Zuge nicht gar zur Hälfte, nachher im zweiten ganz, Alles das ohne Komplimente oder viel Redensarten, als müßte es so sein. Es war zwar DDD00Sonne herrlich warm draußen. Man sah, der Andres hing nicht mehr wie früher von der Witterung ab und wußte am

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Schnaps noch andre Eigenschaften zu schätzen, als nur die des Erwärmens, wenn er sich jetzt auch nicht anstrengte, in weitre Erbrterungen darüber einzugehen. Es hätte sich dies ja nicht einmal der Mühe gelohnt für ein einziges Gläschen, das überdies nichts kostete, sondern in den Kram ging, den er als guter Kunde hier eingekauft. Ob indeß dafür die Schnallen oder der Nähfaden ein wenig theurer geworden, das untersuchte der Schneider auch nicht weiter, er nahm wol an,Nein! besonders wenn er das Gläschen in der Hand hielt zwischen Zeigefinger und Daumen. Der sei von einer neuen Sendung! belehrte ihn der Krämer, kräftigern und gesündern, der einem auf dem Todbette noch das Herz erquickte, habe er noch nie gehabt. Durch das Lob aufmerksam gemacht, trank nun Andres ein zweites Gläschen erst recht mit Verstand und indem er als Sachkenner schmeckte, schien er mit in den Ruhm einzustimmen. Plötzlich kam auch ein Krug zum Vorschein, ob der beim Krämer in Vorrath gestanden, ob er in Meister Andresens Kittel gesteckt, oder aus dem Boden gewachsen, wäre schwer zu sagen gewesen, doch wie dem sei, Andres fand es passend, daß man, was im Hause“habe und ließ das Gefäß mit dem kräftigen Geiste füllen.Einstweilen aber wolle er ihn noch hier lassen, bemerkte er,es schicke sich ihm jetzt nicht, den Krug mitzunehmen;gegen Abend geh' er in's Bödeli, ein wenig zu grasen, dann habe er die Grasbäre bei sich und in dieser lasse sich auf dem Heimwege die Flasche gar kommod nach Hause tragen! So war es verabredet und der Schneider that gar nöthlich, wieder an seine Arbeit zu kommen; die Frau werde so schon schmalen!meinte ew halb im Scherze, halb im Ernste. Und „schreibt's [57]*zum Futterzeug!“ fügte er noch bei, als er sich verabschiedete und aus dem Laden trat. Der Krämer aber rief ihm nach,„'s ist schon gut!“ Andres hatte früher bei seinen Käufen Alles gleich baar bezahlt, in letztrer Zeit hingegen war er vom Meister Stoll selbst aufgefordert worden, doch lieber Etwas zusammenkommen zu lassen; es sei für Beide bequemer,als da jedesmal die paar Batzen hervorzuklauben und zu wechseln oder herauszugeben, er mache ihm dann vierteljährlich oder halbjährlich, wie's ihm dienlicher, die Rechnung,was in der Stadt auch so der Brauch sei. Andres meinte zwar erst: habe er bezahlt, he nun, dann seien sie fertig und man wisse hernach was einem noch bleibe! Noch weniger wollte die Lisebeth, seine Frau, von dem Aufschreiben wissen:jeder Schluck Kaffee, den sie noch nicht bezahlt, würde sie im Halse würgen, behauptete sie. Da indeß der Andres von seinen Kunden auch nicht immer bezahlt wurde und am wenigsten zum Voraus, wo er doch seine Einkäufe zu der Arbeit machen mußte, so blieb dann und wann Einzelnes stehen bis zum nächsten Mal. Es blieb allmälig auch noch ein wenirlänger stehen, besonders da der Krämer nicht dran erinnerte und laäͤnger zu warten auch dem Schneider diente. Wollte dieser später dann zuweilen Etwas zahlen, so hieß es: he, warte doch, es ist ja auch Dies und Jenes noch aufgeschrieben,mach's lieber zusammen richtig, wenn sich's dir schickt! Und dem Andres ging bis in drei, vier Wochen Geld ein oder er verkaufte von seinen Früchten auf selbe Zeit, da war er's denn auch zufrieden und so kam es endlich doch zu dem, was der Krämer von Anfang an gerathen, zum Aufschreiben nämlich. Mit diesem Aufschreiben nun ist's eine eigne Sache.

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Zieht man beim Kaufen sein Beutelchen heraus oder kratzt im Hosensacke sonst die Batzen zusammen, da sieht man wie viel man ausgibt und wie viel oder wenig bleibt. Das macht schon, daß man sich wol besinnt, den Batzen zweimal umdreht vor dem Ausgeben und bei Dem und Selbem, das man vielleicht auch noch brauchen könnte, denkt, he, ich kann da doch noch warten, mit dem pressirt's nicht so, nächste Woche ist Markt, dann muß ich eine neue Sense und ein paar Rechen kaufen und die Frau hat etwas von einem Kübel gesprochen,hiefür ist mir das Geld nöthiger!

Läßt man aber aufschreiben, so geht's anders; man nimmt's leichter, denn man sieht die lieben Batzen, die's ausmacht, nicht von Angesicht zu Angesicht, so höchstens halb vom Rücken her und da aus weiter Ferne. Es hat Zeit! denkt man, und solche Kinder bleiben die meisten Menschen ihr Leben lang, daß sie die Zukunft immer goldfarbig sehen und meinen, was für namenloses Glück alles ihnen regnen werde,wenn nicht vom Himmel gerade, so doch aus Amerika. In selber Zeit dann würden sie die paar Batzen und noch weit mehr, welche sie jetzt schuldig blieben, leicht aus dem Abfalle ihres Glückes tilgen können! Daß es schlimmer, knapper gehen könne in der Zukunft, an das hingegen denkt unter Hunderten kaum Einer. Jedesmal wenn man aufschreiben läßt, ist's nur ein Mal und zwischen den einzelnen Malen und Posten liegt im Kopfe des Käufers gar Vielerlei, was die Verbindung und sogar den Blick von einem zu dem andern hindert, so daß man höchstens so halb und halb noch die letzte Schuld gewahren mag, das Frühere aber im Nebel verschwimmt und verschwindet. Dieser Nebel liegt nun leider nicht auch auf [37] dem Papiere des Wirths, Krämers oder Bäckers, sondern dort steht, gerade oder krumm, Zahl an Zahl der Reihe nach gar verdammt deutlich unter einander und zählt man zusammen, macht's eine Summe aus, der man's ansieht, verschwunden ist jedenfalls nichts, eher dazu gekommen. Während man die Batzen, die Etwas kostet, nicht sieht, sticht dafür umgekehrt,was man daraus kaufen möchte, um so lebhafter in die Augen,es fehlt am rechten Gleichgewicht, man nimmt am Ende auch was man nur halb nöthig, will sagen gar nicht nöthig hat.Von Abmarkten ist beim Aufschreiben ohnehin selten die Rede,doch zu markten, sondern auch weil man großartiger gestimmt ist es hat ja Zeit und Zeit ist Geld! sagt das neumodische Sprichwort. Freilich ist das wahr, aber nicht allein für's Nehmen, auch für's Geben.

Auf's Haar so erging's dem Andres, der also auffchreiben ließ, und bald so keck, wie es der Krämer nur je gewünscht,auch Schnaps, da und dort eine Flasche, vielleicht selbst einzelne Gläslein, doch erst nach deren Verwandlung in Knöpfe,Faden, Futterzeug und dergleichen trockne Gegenstände. Denn unter einer Maaß durfte der Krämer keinen Branntwein verkaufen, dies verbot das Gesetz schwarz auf weiß, und dem Gesetze in's Gesicht zu schlagen, das lag dem Gemeiüderath Stoll fern. Der Andres indeß war nicht der Einzige in seiner Art, wie ihn hatte der Krämer noch gar viele Kunden,bessre oder schlechtre. Besonders Weiber waren nicht wenige darunter und ob denen sonst der Kaffee ihr Himmelreich war,so schien ihnen ein Schluck Schnaps das Paradies zu sein,[5]38 und dort drin sind die Weiber halt auch gern, seit Evas Zeiten her, besonders der verbotnen Früchte wegen. Selten zwar tranken sie beim Krämer ein Gläslein, bewahre! aber sie brauchten daheim in der Haushaltung zu Dem und Jenem,auch für die Kinder, die beständig schrieen und nicht schlafen wollten, zum Ansetzen von irgend einem Magenmittel, gegen das Zahnweh und dergleichen ein halbes Schöpplein Brenz.Einen halben Schoppen nun, und selbst einen ganzen, durfte der Krämer, wie gesagt, nicht abgeben. Indeß konnte so ein Frauelein doch auch nicht wol eine Maaß auf's Mal kaufen;selbst die Erpichteste wäre darob erschrocken, der Menge wie der Ausgabe wegen, während so ein zwischen Tag und Nacht geschwind geholtes Halbschöpplein eigentlich gar nichts ausmachte. Es wäre zwar das einfachste und auch durch das Gesetz vorgesehene, Auskunftsmittel das gewesen, diesen kleinen Bedarf im Wirthshause zu holen, statt beim Krämer, dort kriegte man Schnaps in allen Abstufungen von der Maaß bis zum kleinen Gläschen herunter. Die Frauen aber gingen gar ungern in's Wirthshaus, besonders um so was zu holen.Sie kamen leicht in's Gerede, auch wenn sie zur Hinterthüre hineingingen und die Wirthin aus der Küche herausriefen.Irgend ein Gast, vielleicht gar der eigne Mann, traf sie doch einmal und wie leicht kam man da in's Gerede, wurde aus einer Läus ein Elephant gemacht! An dem Flecke aber waren die Weiblein um so empfindlicher, je wunder er gerade war.Wie unverfänglich erschien hingegen der Krämer, bei dem man Essig und Oel, Cichorie und Pfeffer und hundert andre Dinge, wie die in jeder Haushaltung vorkommen, von schreienden Kindern und Zahnweh und Hausmittelchen ganz abge[29] sehen, alle Augenblicke holen konnte, ohne das mindeste Aufsehen.

Und nun diese gute Gelegenheit doch nicht benützen sollen,des grausamen Gesetzes wegen, das die Männer, welche das Wirthshaus nicht scheuen müssen, den armen Weibern gewiß zum Schabernak gerade aufgestellt!Niemand ging diese Noth, ja Ungerechtigkeit, durfte man fast sagen, mehr zu Herzen als dem Krämer Stoll selber;darin war er der Vernünftigste. Und wie er es gut meinte mit Jedermann, that er gerne sein Möglichstes, den armen Leutlein zu helfen und die Härte des Gesetzes nach Kräften zu mildern. So gab sich's denn, daß da und dort eine Frau mit einer großmächtigen, durch und durch gesetzlichen Maaßflasche, oder einem Kruge, so groß wie ihn nur Wäscherinnen besitzen, über die Straße zum Krämer schritt und das Gefäß dort auf den Ladentisch abstellte. In diese irdene Höhle Xaxa nun rieselte ein dünnes Brünnlein hinunter, nicht stärker als ein halb Schöpplein Branntwein es zu machen vermag und die Käuferin, nachdem sie die paar Kreuzer auf den Tisch gelegt, oder aber aufschreiben lassen, trug unter dem breiten Mantel der mäßigen Gesetzlichkeit wol geborgen, das kleine winzige ungesetzliche Halbschöpplein über die Gasse nach Hause zurück. Es ist wahr, Meister Stoll gestand es im Stillen ein, ganz nach dem Buchstaben des Gesetzes sei das eigentlich kaum; indeß Jeder müsse auf seine Sache sehen, namentlich heutzutage, im Uebrigen gebe immer nur seine Frau und nicht er diese kleinen Portionen, die Teufelsweiber wüßten gar wol,an wen sie sich da zu wenden hätten!

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So ging es ein Weile ganz ordentlich fort bis des Rößleinwirths Schwäher, der auch im Gemeinderath saß, ein paar Male zu sticheln begann, und die Halbschöpplein in den Maaßflaschen Wunder was für einen Lärmen zu machen anfingen.Stoll war puncto Ehre gewaltig kitzlig: so solle man ihm nicht kommen, wolle man, was er vielleicht einmal aus reiner Gefälligkeit und Uneigennützigkeit gethan, gleich an die große Glocke hängen, he nun, so könne man das, Mißgunst sei ein altes Laster in der Welt, er vermöge es noch ohne den VProfit zu machen, den ihm ein halbes Schöpplein Schnaps bringe,er finde es nur sonderbar, daß die Leute nicht schon vorher,ohne daß man sie dazu gezwungen, zu dem Rößleinwirth gegangen!

Am Profit, wenn auch nicht eines, doch von ein paar hundert halben Schöpplein Schnaps, schien indessen dem Krämer Etwas zu liegen, wenigstens hing ob seiner Hausthüre eines schönen Morgens ein kleiner neugemalter Pintenschild.Er hatte gerechnet, hin und her, und am Ende gefunden,es lohne sich gar wol der Mühe, ein wohlfeiles Wirthspatent zu lösen, das sei bald herausgeschlagen, den Platz habe er, vorn die Kammer gebe die Gaststube und stehe Einer im Hausgange, dann habe er die Wahl links in den Laden oder rechts in die Schenke zu treten. Zur alten Kundsame komme so noch neue hinzu und er brauche sich nicht zu geniren, des Rößleinwirths Schwäher solle ihm dann kommen, dem allein zum Trutz schon wollte er ein Patent lösen, wenn er auch keinen Vortheil davon hätte!

Somit wirthete also auch der Krämer und die Weiber DDDDDDDD [91] pen, sie konnten ihre kleinen Fläschlein ganz unbemerkt unter der Schürze mitbringen, daneben nahm Mancher und Manche bei einem Einkauf im Kramladen, der guten Gelegenheit halber, noch ein Gläslein oder Schöpplein. Auch Andres blieb dem zum Wirthe erweiterten Krämer getreu, mochte der treiben was immer er wollte. Hatte er ihm früher mehr Waare abgekauft und so ein Schnäpslein nur dreingehen lassen, so ward er jetzt, seit der Schild draußen vor dem Laden hing,ein um so besserer Kunde für den Brenz, besonders da er weniger Waare zu brauchen begann, wegen der Abnahme der Arbeit, die allmälig eintrat. Wer in des Krämers Buch geguckt hätte, dem würde da ein merkwürdiger Fortschritt aufzefallen fein. Auf den früheren Seiten stand nur so alle vier, fünf Wochen eine Flasche Schnaps und zwischenein war alles Mögliche eingeschrieben, auf den letztern Blättern hingegen war der dritte Posten eine Halbmaaß und das Datum betrug oft nicht viel mehr als vier, fünf Tage. Dem Krämer war's im Grunde freilich gleichgültig, wofür die Franken und Batzen angesetzt waren, Eines galt ihm was das Andre,indeß seine unangenehmen Folgen für Andres hatte der Unterschied doch, auch dem Meister Stoll gegenüber. Hatte Letzterer früher gemahnt, doch stehen zu lassen und nicht bei jedem Batzen gleich abzurechnen, so kam's ihm nun allmälig nothwendig vor, wegen der Zahlung ein Wörtlein fallen zu lassen:es stehe wol viel bei einander und er brauche Geld, um den und jenen Einkauf zu machen, oder einen Kaufmann zu zahlen,der ihm die Rechnung geschickt! Erst tönte er nur so drauf und war gar höflich mit Entschuldigen, es doch ja nicht übel zu nehmen. Andres verstand's auch gleich und hätte am

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J.liebsten frischweg in den Sack gelangt, oder wenigstens daheim in's Schublädlein, und bezahlt. Wie viel es denn ausmache? fragte er auch sofort. Der Krämer sah nach,rechnete nach: Jetzt ist Johanne, seit letztem Martini werden's 28 Wochen fein, es macht gerade 79 Franken und 35 Rappen. Andres aber erschrak da nicht wenig: „so viel!“ fragte er, „hätt's nicht geglaubt!“ Der Krämer aber hatte es aufgeschrieben, hielt das Buch dem Andres vor: da könn' er's selber nachrechnen und wenn er's daheim aufgeschrieben habe, werde es ihm wol gleich herauskommen! Ein Unterschied war nun freilich nicht zu befürchten,deßungeachtet fand der Schneider es aber doch viel und es war auch viel für ihn und weit mehr als er seit Langem in seinem Schublädlein und Hosensacke zusammen gehabt hatte.Er wolle dran denken! tröstete er endlich den Krämer, jetzt sei er gerade ein wenig entblößt! Dieser war nicht hart: er pressire nicht, aber es wäre ihm lieb das Geld zu bekommen.Auf den Schreck und zur Stärkung nach dem glücklich abgeschlagnen Sturme, nahm Andres natürlich noch einen guten Schluck auf alte Rechnung, gedachte er doch damit auch dem Krämer wieder einen guten Mund zu machen. Andres nahm sich ernstlich vor zu zahlen, er war auch vorsichtiger in seinen Ausgaben, ließ eine Weile weniger als sonst aufschreiben.Aber 97 Franken hat ein Schneiderlein, bei dem es anfängt mit dem Verdienst abzuehmen und das daneben nur ein halber und zwar nur ein halber kleiner Bauer ist,nicht sobald beisammen, besonders da es mit dem besten Willen zwischenein doch immer neue Ausgaben absetzte, die unmöglich zu vermeiden waren. Und es wollte scheinen, nie [93] mehr als gerade in dieser mißlichen Zeit; wie verhert kam Allerlei zusammen und flog das Geld wieder fort, wenn das kleinste Häuflein bei einander lag.

So ging's wieder ein Weile fort, zu der alten Schuld war ein gut Stück neue hinzugekommen, Andres dachte nur noch halb daran, ungefähr so wie die meisten Menschen an den Tod. Dafür aber hatte der Krämer ein treueres Gedächtniß. Eines Samstags, da der Schneider wieder als Kunde sich einstellte, hieß es: „es wär' mir lieb du würdest das Alte erst richtig machen, ehe ich dir Neues aufschreibe,einmal muß es doch sein.“ Andres erschrak diesmal nur halb.„Das sei schon recht,“ meinte er, , aber daß es gerade heute sein solle, werde nirgend stehen.“ Meister Stoll war indeß diesmal zäher und auch ein wenig deutlicher: er müsse zu seiner Sache sehen und Alles in der Welt habe seine Grenze.

Und wenn er ihn jetzt auf den Kopf stelle oder zwischen eine Mostpresse lege, so werde er das Geld nicht herausbringen von ihm! erwiderte der Schneider, halb im Scherze, halb im Aerger; noch nie hab' er ein so schlechtes Jahr gehabt,es sei als wenn die Bauern Tag und Nacht ihre Hosen im Troge liegen oder hinterm Ofen hangen ließen und im Hemde ackerten und mähten, von den Kutten, die alle das ewige Leben hätten, gar nicht zu reden. Zudem sei der Heuet wol naß gewesen, er hoffe mit der Frucht werde er gefälliger sein,Etwas könne er da verkaufen, aber der Preis sei noch nicht gemacht!Damit war der Krämer aber nicht einverstanden: länger zu warten, wäre ihm zuwider (sagte er), wenn man ernstlich wolle, werde auch sonst zu helfen sein!

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Das wär' ihm zuerst lieb, entgegnete Andres, wenn ein Hexenmeister käme und Geld machte, wo keins sei!

Meister Stoll schwieg eine Weile und ließ den Schuldner zappeln in Unruhe und Hoffnung, wobei er ihn von untenauf mit vertracktem Blicke beobachtete. In aller Kaltblütigkeit und als wär's der beste und vernünftigste Rath, fuhr er dann fort: „du hast da hinterm Haus, ich hab's letzthin gesehen, noch einen schönen Haufen Gabenholz (Bürgerholz), ich könnt'etwas davon brauchen und nähme dir zwei Kläfterlein ab,das minderte deine Schuld fast um die Hälfte, für das Andre fände sich dann vielleicht auch Rath.“

Andres machte ein langes Gesicht: das Holz brauchte er,er hatte drauf gezählt und dann wenn er auch gewollt und sich getröstet hätte: im Nothfall könnten seine Buben in den Wald gehen und dürres Reis zusammenlesen, so fürchtet er sich vor der Lisebeth, was die sagen und was er ihr sagen würde, wenn so mit einmal zwei Klafter fort und zum Krämer hinüber wanderten? denn sie wußte von der Schuld nichts.Das werde wol nicht gehen, antwortete er darum kleinlaut.

„He nun, Geld ist mir noch lieber“, entgegnete ruhig Meister Stoll, „ich habe dir zu Gefallen den Vorschlag gemacht, denn in's Reine kommen muß nun endlich einmal unsere Sache; bis wann willst du zahlen?“

Das war nun freilich noch schlimmer und wie der Schneider sich auch winden und wenden mochte, einen weitern Aufschub mochte er nicht mehr erlangen. So mußte er halt in den sauern Apfel beißen und zusehen, unter welchem Vorwande er die Lisebeth geschweige, oder welchen günstigen Moment er benutzen könne, das Holz wegzuschaffen und dann []q*28 seis geschehen, wenn's auch einen Tanz absetzen sollte hintendrein. Er willigte darum ein, „wenn es sein müsse, habe er nichts dawider!“ Der Krämer indeß war auch jetzt nur halb zufrieden gestellt: „weil wir einmal dran sind,“ sagte er, „so wollen wir mit dem Reste auch gleich fertig machen;es geht in einem zu und ist dir und mir wohler. Es werden noch etliche fünfzig Franken bleiben; weißt du was? ich gante die nächste Woche, dann kannst du kommen und einschreiben lassen!“Er meine, man könnte wol warten mit dem Andern, erwiederte auf diesen neuen Vorschlag Andres, zudem scheine ihm das Holz ziemlich niedrig angesetzt.

„Gib mir Geld,“ wiederholte der Krämer, , ich kehre nicht die Hand um deßwegen, im Gegentheil! mit Holz kann ich weder Kaffee noch Zucker einkaufen, sondern es liegt mir lange todt da und trägt mir im Geschäfte nichts ein.Was aber das Warten mit dem Uebrigen betrifft, so ist's damit so: warten werd' ich in jedem Fall, aber ich habe gern meine Sicherheit dabei, das kann mir Niemand übelnehmen, das hat jeder rechte Geschäftsmann einmal so.“

Bei dieser Unterredung stand auch des Krämers Frau und die war im Geschäfte eingeweiht so gut als Eine, und manchmal, wo der Mann keinen Rath wußte, da half sie aus und was er nicht aufhob, weil er's entweder übersah oder nicht für schicklich hielt in seiner Stellung als Gemeinderath zum Beispiel, das ließ sie dafür nicht liegen. Die Krämerin nun unterbrach auch hier die Verhandlung der Männer, indem sie an Andres sich wandte und sagte: „Oder wißt Ihr was,Meister, hat Eure Frau keine Reiste oder Anken, Eier und

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Schnitze? redet mit ihr deßwegen; auch soll sie im Mästen gefällig sein, heißt's im ganzen Dorfe, ein paar Hämmlein oder eine halbe Seite Speck wären mir auch nicht zuwider und eure Sache würde dann um so schneller ausgeglichen!“Durch solche Hausmittelchen hatte die Krämerin allerdings schon manche größere oder kleinere Schuld getilgt, und sösten die Weiber vielleicht auch nur wenig mehr als die Hälfte von dem was ihre Waare auf dem Markte galt, so war's doch in manchen Fällen eine gar kommode Zahlungsweise,besonders für Solche, die hinterm Rücken des Mannes abschaffen mußten. So unterm Schurz eine Ankenballe nach dem Kramladen zu schaffen, geschah nicht minder schwer und ebenso unbeschrieen als ein Schöpplein Schnaps mit der gleichen Gelegenheit von dort zurück zu tragen, abgesehen vom Reize des Geheimen und Verbotenen. Ueber Eier und Butter und Reiste aber hatte die Frau zu befehlen, ohne Jemand Rechenschaft zu geben und so gut die Eine die kleinen Einnahmen davon in einem alten Fürfuß unterm Strohsacke verwahrt,um daraus gelegentlich dies und das in die Haushaltung zu kaufen, was unumgänglich nöthig ist, von dem der Mann aber die Vernunft nicht hat, es einzusehen, ebensogut kann die Andre diese kleine Kasse zu Privatliebhabereien verwenden und mit der Haushaltung es weniger genau nehmen, der Mann merkt es ja nicht einmal recht und sonst geht's Niemand Etwas an. So ist dieses Eiergeld eine wohlthätige Macht in der Hand einer guten und klugen Bäuerin, eine gefährliche Waffe aber in der Faust einer schlechten Hausfrau.Auf diesem von der Krämerin angegebenen Wege hätte sich also wol Etwas machen lassen, wenn die Lisebeth schuldig [97] gewesen wäre, so aber diente das Auskunftsmittel nur dazu,dem Andres Füße zu machen, d. h. ihn zu geschmeidigen, daß er an der Gant anbeiße.Andres, der bisher nicht gar viel Worte gemacht, begann hierauf auch gleich mit Händen und Füßen sich zu wehren:das sei nichts; ja, da käm' er schön an, die Frau kratzte ihm die Augen aus! sie sei eine gar sonderbare, was die einmal im Kopfe habe, das bringe man ihr mit dem stärksten Zug Ochsen nicht daraus! Er könnte ihr da lange zureden und erpliciren, was das nütze, wenn man Spunden in den Ohren habe?„Dann befiehl!“ rieth der Krämer, , du wirst doch,beim Donner, Herr in deinem Hause sein!“ Ob Meister Stoll selber das immer war, ist ein andre Frage; der Blick,den ihm bei diesen Worten seine Frau zuwarf, ließ es auch kaum vermuthen, wenigstens lag nicht viel Unterthänigkeit darin. Und wer weiß, ob sie nicht noch deutlicher Einsprache erhoben hätte, wenn das Geschäftsinteresse nicht Allem doch vorgegangen wäre, und dies eine Zersplitterung der Kräfte nicht widerrathen!Das sei wol wahr und er hab's schon mehr als einmal gezeigt, wer der Meister sei! entgegnete Andres und strich seine Tapferkeit heraus, und wie er keiner von Denen sei,welche sich von der Frau den Daumen auf's Auge halten lassen. Indeß, schloß er, zanken sei ihm zuwider und das Geheul noch mehr, wenn er das vermeiden könne, so thue er's und so wolle er in Gottsnamen lieber bei der Gant einschreiben, am Ende komm' es auf's Gleiche heraus.

Meyer-Merian, Mareili.

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So war denn die Sache verabredet und der Krämer setzte dem Andres noch lang und breit aus einander; wie das auch für ihn am allerbesten sei und er es gar gut mit ihm meine,und wäre der Andres nicht eben der Andres, sondern ein Anderer, ihm der lange warten könnte, bis er ihm diese Gefälligkeit erwiese und so an die Hand ginge! Der Schneider aber, der vorläufig wieder etwas Luft hatte, war dem Krämer wenigstens für diese erkenntlich und glaubte es am Ende selber halb, sein Gläubiger meine es apart gut mit ihm. In dieser gegenseitigen freundschaftlichen Stimmung trennte man sich und erst als er zu Hause der Lisebeth unter die Augen trat und ihr nicht gleich recht in's Gesicht zu schauen vermochte, merkte Andres, daß eigentlich in der abgemachten Sache doch noch ein Haar liege und zwar ein ziemlich langes und dickes. Darum pfiff und handtirte er lebhaft herum und die gute Frau war für gewöhnlich nicht scharfsichtig und nicht mißtrauisch genug, um hinter der Schneidercourage ihres Mannes eine verdrehte Hasenfüßerei zu vermuthen, geschweige zu entdecken.

IX.Am Dorfhrunnen.

Für die Bauernweiber ist der Dorfbrunnen so ungefähr was für die Stadtleute das Casino und für die Männer am Abend das Wirthshaus. Als gute Hausfrauen, was alle

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Weiber einmal sein wollen, und auch hier die letzten zuerst,ist's nicht schicklich müßig zu gehen oder zu stehen an einem Werktage. Und doch haben sie sich so viel und Wichtiges zu sagen, weit mehr oft als die Männer. Dazu gibt es kein gelegneres Plätzlein, an dem man allein unvertrieben ist, als das hinterm Brunnenstocke, denn warten muß man da in aller Geduld bis der Züber gefüllt ist, das ist eine Naturuothwendigkeit, welche sogar die Männer einsehen müssen. Man muß aber auch noch warten, wenn schon Andre da sind, und trotzdem, daß die Dorfbrunnen ihr Wasser meist reichlich schießen lassen und nicht so neidisch jedes Tröpflein vorzählen, wie die Stadtbrunnen, so dauert dieß Warten gleichwol oft keine Minute kürzer. Das scheint zwar sonderbar, aber dran zu zweifeln ist nicht, und besonders auffallend ist die Thatsache des Abends, wenn die Zerstreuungen des Tages vorüber und Sammlung eingetreten, ob auch nicht in den Herzen, doch auf denselben, nämlich Sammlung von allerlei Neuigkeiten, Erlebnissen und Wahrnehmungen, die nothwendig eine Mittheilung verlangen. Es sammelt sich einen einzigen Tag über oft unglaublich viel derlei auf einem rechtschaffnen Weiberherzen an, so viel, daß auch nur die flinkste Weiberzunge wieder im Stande ist, es nachher wegzuschaufeln. Von allen Enden des Dorfes wird da zugetragen an den Brunnen, und jedes Geheimniß zuversichtlich unter den Schutz seines Plätscherns gestellt. Daß besonders auch über die Männer, eigne und fremde, Gericht gesprochen wird, versteht sich von selber ist auch nichts als billig, da den Weibern das Gemeindehaus verschlossen ist. Ebenso natürlich ist's auch, daß dabei Standrecht geübt wird, dermalen es um den Brunnen weder Stühle

7*[100] noch Bänke zum Sitzen gibt. Wie Brunnenkuren überhaupt beliebt und wegen ihrer Wirksamkeit berühmt sind, so diese einfachen Dorfbrunnen nicht minder, auch wenn Chemiker keine Spur von Sauer- oder Bitterwasser darin nachweisen könnten. Es läßt sich ja auch bei manchem weltberühmten Gesundbrunnen ebenfalls blutwenig Besondres herausanalysiren und spintisiren. Was aber die Kraft der gewöhnlichen Dorfbrunnen betrifft, so ist es bekannt, daß Weiber den vollen Züber, den sie auf dem Kopf tragen, fast gar nicht spüren und es ihnen nicht anders um's Herz ist, als wäre das ihnen um viele Züber voll leichter geworden am Brunnen.

Ganz dieselbe Wirksamkeit hatte der Dorfbrunnen in Kestenhofen. Die letzten Kühe waren schon eine Weile von der Tränke heimgetrieben, Frauen und Mägde, die noch vor der Nacht Wasser geholt, hatten sich ebenfalls so ziemlich verlaufen und die Neuigkeiten und Wichtigkeiten des weichenden Tages waren im Allgemeinen untergebracht. Es dunkelte bereits und gleichwol ward es nicht stille, auch abgesehen von dem eintönigen Plätschern des Wasserstrahles, der ununterbrochen von der Röhre schoß. Halb verstohlen kamen noch ein paar Weiber da aus einem Winkel hervor, dort um eine Ecke herum und huschten den Häusern nach an den Brunnen.Natürlich hatte Jede ihren Züber unterm Arm. Es waren Gäderliesi, Mauseranni und Dursenbäbi, erstre eine Wittwe,die zwei andern verheirathete Frauen. So viel in der Dunkelheit zu erkennen war, stellte Dursenbäbi noch am meisten vor, nicht nur durch eine starke und stattliche Postur, sondern auch in den bessern Kleidern, die sie trug, und die ihr das Ansehen einer waährschaften Bäuerin gaben. Ihre zwei Freun[101] dinnen sahen geringer aus: um die hagern und etwas haltlosen unansehnlichen Gestalten flatterte und schlampte es, hier ein schief geknüpftes schmuziges Fürtuch, dort die Fetzen eines Halstuchs; auch die Tücher, die sie um den Kopf gebunden,sahen dürftig und lumpig aus. Die Gesichter waren leider nicht zu gewahren, die hätten noch mehr von einander abgestochen, denn während Dursenbäbi ein derbes hochrothes Aussehen hatte, das nur ein wenig zu aufgelaufen aussah und ein Paar große wässerige Augen, war bei Gäderliese alle Röthe in den spitzen Nasenzipfel hinausgeflüchtet und schien da erst noch zu frieren; sonst zeigte das magere Gesicht, die flachen Wangen, Alles, das gleich gelbliche Aussehen, wenn man den Schmuz darauf in Abrechnung brachte. Ein Paar kohlschwarze Augenbraunen und ein ungekämmter Büschel Haare,die von der Seite sich unter dem Tuche hervorwagten, ließen das Antlitz jedenfalls noch gelber und hagrer erscheinen, als es wirklich war. Das Mauseranni endlich war wieder eine ganz aparte Schönheit, nicht roth und nicht gelb, nicht spitz und nicht derb; es war überhaupt schwer zu sagen was für eine. Mischt ein geschickter Maler Gelb und Weiß und Schwarz, so mag er vielleicht endlich das schmuzige Bleigrau hervorbringen, welches das dicke, überall aufgedunsene Angesicht gleichmäßig überzog und ihm ein wassersüchtiges Aussehen gab, bis auf die bläulichen Lippen und den violetten Ring um das trübe glanzlose Auge. Wer Mauseranni ansah,der mußte, er mochte wollen oder nicht, sogleich an die Kartoffelkrankheit denken, denn nicht anders wie so eine geschwellte und halbgeschälte verdorbene Kartoffel sah sein Kopf aus,der Farbe und den Zügen nach.

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Dursebäbi hatte ihren Züber zuerst unter die Röhre geschoben, zog ihn aber wieder zurück als die beiden Andern auch kamen. Daran war indeß die Höflichkeit nicht allein Schuld: sie pressire nicht so! erklärte sie, im Gegentheil, sie müsse doch noch geschwinde zum Krämer hinüber.Und dabei zog sie eine Flasche aus dem Jüppensack hervor mit einem Zapfen, der an einem Schnürlein befestigt war.Am Geruch merkte man gleich, was für ein Geist da einge DDDDNase, Wangen und Stirn sitzen geblieben, die Augen ihr unter Wasser gesetzt und aus ihren Höhlen hinausgedrückt. „Mein Alter ist der geizigste und neidischste Ketzer im ganzen Lande,paßt mir auf jeden Schritt und Tritt und wo er meint, es sei was, brüllt er wie ein Leu; es ist nicht zu leben mit ihm,in der Türkei haben sie's nicht schlimmer. Wenn der's jetzt wüßte wo ich hingehe, er schlüge mir Arm und Bein ab, der Donner!, und hockt doch auch im Wirthshause. Hütet mir den Züber derweil, ich komm' bald wieder!“

Damit wandte Bäbi sich zum Gehen, kehrte dann aber wieder um und fragte: „Ja so! kommt keine von euch mit?Du Liese?“ Aber Liese schüttelte den Kopf und bei Mauseranni fragte Bäbi nicht besonders an, sie wußte, daß die unaufgefordert käme, wenn es nicht, wie häufig, an den Finanzen fehlte.Die zwei Zurückgebliebenen schwiegen erst eine Weile, als hätten sie mit ihren Gedanken zu schaffen, endlich begann Mauseranni: „Warum gehst du nicht mehr hin? hast du einen Aberwillen bekommen oder bist gar geistlich geworden? der Pfarrer ging letzthin aus deinem Hause, wie ich sah!“

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Gäderliese aber lachte, was ihr sonst selten passirte. ,Das nicht,“ erwiederte sie, „aber ich will kein Narr sein und der Katz das Schmalz abkaufen.“

Wie das gemeint sei? fragte Mauseranni neugierig und es kam fast etwas wie Leben in das erloschne trübe Auge,als die Freundin von einem Recepte sprach, womit sie den besten Schnaps um die Hälfte wohlfeiler selber machen könne,als ihn der Krämer verkaufe. „Heutzutage, wo Alles so theuer ist, muß Jedes auf seine Sache sehen,“ erzählte Gäderliese, „besonders da ich ein Kostkind habe, das ich zu wohlfeil angenommen, so daß ich nicht bestehen könnte.Nun hab ich ausgerechnet, daß wenn ich Morgens einen Brenz nehme, das am wohlfeilsten ist, auch brauch' ich kein Feuer zu machen wie zum Kaffee, was wieder Zeit und Holz spart und Mühe dazu, und Brenz thut nicht nur dem Magen wohl, er ist auch besonders gegen den Hunger gut. Ich hatte aber sonst an einem halben Kaffeeschüsselein und das Kind an einem Plättlein voll genug und da war es wol zu machen. Jetzt aber will es schon eine Weile damit nicht mehr langen, wahrscheinlich weil der Brenz schwächer gemacht wird,wie ja jetzt Alles schlechter und weniger ist, das neue Geld sogar. Vielleicht auch ist das Herz stärker geworden, denn für dieses ist der Brenz besonders wirksam; jedenfalls wird etwas Schuld dran sein, daß ich mehr brauche und kaufen muß als sonst.“Mauseranni stimmte diesem Allen vollkommen bei, die gleiche Wahrnehmung, daß der Brenz lange nicht mehr das sei was nur vor fünf Jahren, hatte sie selber auch schon mehr als einmal gemacht und schimpfte bei der Gelegenheit auf die

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Pfuscher von Brenner und die Schelme von Wirthen und Krämern, welche das schwache Gesöff noch mehr verwässerten und doch stets gleich theuer verkauften, ja noch aufbegehrten,wenn man einmal ein Wort sage. „Darum eben helf' ich mir selber,“ fiel Gäderliesi dazwischen, , und da hab' ich's in der Hand, je nachdem es mir um's Herz herum krabbelt oder nicht, den Schnaps stärker oder schwächer zu machen,auch ihm den oder selben Gust zu geben, was besonders heilsam ist.“

Mehr sagte Gäderliesi nicht, aber bei Mauseranni hatte es schon gezündet. Sie bot alle ihre Liebenswürdigkeit auf,in ihre Aufgedunsenheit legte sich da und dort- wenn auch überzwerch, eine Freundlichkeitsfalte, im Hirn zappelten, unter dem ewigen Schnapsdunst hervor, ein paar verlegene Schmeicheleien, abgegriffene und halbrostige Kriegslisten und Pfiffigkeiten, eine gewisse knarrende Geschmeidigkeit wurde in Bewegung gesetzt, Alles das um von der glücklichern Freundin das Geheimniß zu erfahren, wie die auch so guten und so wohlfeilen Schnaps zu bereiten im Stande sei.

Gäderliesi, die ihre ganze Wichtigkeit fühlte, rückte nur sehr allmälig heraus und schien ihre Freude dran zu haben,Mauseranni das letzte Tröpflein Wasser im Munde zusammen zu ziehen. Es kam nach und nach zum Vorschein, daß sie ein sonderbar gutes Recept erwischt habe von der alten Else, die einst bei einem Apotheker in der Stadt als Magd gedient und nun seit verwichenem Herbste im Siechenhaus untergebracht sei, da es ihr in letzter Zeit gar schlimm ergangen. Durch dieß Recept vermöge sie aus einem Schoppen, Geist“ leicht drei Schoppen Schnaps, vom bessern obendrein, zu machen. Es brauche nur [105] ein paar Tropfen und ein Pulverlein, davon man in der Apotheke für anderthalb Batzen so viel bekomme um sechs Maaß anzusetzen. Die Halbmaaß Geist koste ein Fränklein und das müsse man für die Maaß von geringem Schnaps zahlen, da mache sie sich ihn lieber daheim selber, besser und wohlfeiler und sei kein solcher Narr, dem Krämer den Profit in den Sack zu jagen.

Anni kehrte und wandte sich wie ein Engerling, den man ausgegraben und an die Sonne gelegt; auf allen möglichen Wegen suchte sie zu dem Recept zu gelangen. Sie schilderte, wie kommod so ein Recept auch ihr wäre, denn mit dem Krämer könne man doch nicht mehr auskommen. Zwar er selber wäre nicht der Unvernünftigste, aber seine Frau, die sei ein Drache, der könne man nie genug bringen, Anken habe ihr die schon abgedrückt, man könnte für drei Kirchgemeinden damit kücheln. Zudem sei sie noch gar schalu fügte Mauseranni fast mit einiger Verschämtheit hinzu, wo der Krämer mit einem andern Weibsbilde nur ein Wort rede,gleich fahre sein Ehteufel dazwischen und werde einem aufsässig, und das sei doch nicht nöthig, sie (Anni) sei nicht dafür bekannt. Darum habe sie sich heilig vorgenommen, keinen Fuß mehr in den Laden zu setzen und sich zu helfen wie sie's vermöge, sie begehre nicht noch in's Gerede zu kommen. Es seien bald vierzehn Tage, daß sie den Entschluß gefaßt und im Wirthshause geholt was sie gebraucht, aber dort sei's für Weibervolk auch nicht geschickt, zudem der Schoppen um zwei Rappen theurer. Darum wäre es ihr schrecklich lieb, wenn sie von dem Schelmenvolke nicht mehr abhängen müßte und sich selber helfen könnte, ihrer Lebtage wollte sie Dem dankbar [106] sein, der ihr hiezu verhülfe. Denn Brenz sei einmal nicht zu entbehren, manchmal wisse man nicht was haben, und so ein Schnaps sei immer gekocht! So sprach Anni, indeß jemand Andrer hãtte vielleicht anders gesprochen und doch nicht Unrecht gehabt. Denn Mauseranni mied nicht sowol wegen der Eifersucht von des Krämers Frau dessen Laden, sondern weil sie dort viel auf der Kreide hatte und man ihr nicht mehr auf bloße Treu und Glauben borgen wollte. Darüber war sie erbost und zugleich um so mehr auf das wohlfeile Recept erpicht.Gäderliese hatte warmen Antheil an der Erzählung ihrer Freundin genommen, und an dem abscheulichen Betragen gegen sie, wobei noch Einiges extra für den Krämer und seine Frau abfiel. Dagegen schien sie's bei diesem Unwillen und dem Bedauern bewenden lassen zu wollen, denn sie betheuerte nebenbei, der alten Else heilig in die Hand versprochen zu haben,keiner Sterbensseele das Recept mitzutheilen. Anni war indeß nicht so leicht abzuschrecken und es gab nun einen förmlichen Zaärtlichkeitssturm, der endlich zum Siege führte. Die Freundschaft mochte wol viel dabei ausrichten, aber schwerlich Alles,wie weichherzig auch Gäderliese, wie liebenswürdig Mauseranni sein mochten. Was letztre sonst noch einzusetzen hatte und wirklich einsetzte, ist nicht bekannt geworden, es wurde wol als geheimer Artikel in dem Vertrage behandelt, die Hauptsache aber war die, daß sie das Recept versprochen erhielt, unter dem heiligen Siegel der Geheimhaltung natürlich, denn keinem Menschen sonst hätte Liese es gegönnt, auch Dursenbäbi nicht, die reich sei und den Schnaps kaufen könne, wo sie wolle. Erst in der Folge zeigte sich's, daß das halbe Dorf im

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Besitze des Geheimnisses war, mit dem die Eigenthümerin einen förmlichen Handel trieb.

Dursenbäbi kam zurück, unterm Fürtuch die gefüllte Falsche: es war beim Krämer hinten hinaus in der Küche Licht gewesen, sie hatte der Krämerin am Fenster gepoppert und die das Zeichen gleich verstanden, denn sofort war sie unter die Thür getreten und hatte Bäbi heißen in die Stube kommen: es sei Niemand da als des Schmieds Cäthry. Bäbi aber hatte sehr nöthlich gethan: sie dürfe sich nicht aufhalten,der Mann warte auf's Essen, sie habe nur gesehen, daß sie kein Tröpflein mehr im Hause habe und man konne nicht wissen, was in der Nacht passire, darum sei sie gesprungen, so,wie sie gerade gegangen und gestanden. Vor die Thür hinaus,abseit vom Lichtschein aus dem Küchenfenster, hatte dann auch die Krämerin das begehrte Trost- und Hilfsmittel gebracht und Bäbi dasselbe richtig in Empfang genommen.

Die Züber der drei Freundinnen waren indeß gefüllt und über den letzten, der noch unter der Röhre stand, floß das Wasser, das nicht mehr drin Platz hatte, schon eine Weile überall herunter. Erst als dicht an ihren Köpfen eine Nachtschwalbe mit weichem geisterartigem Fluge vorbeiflog, fuhren die Weiber erschrocken aus einander und jede griff nach ihrem Züber und kehrte nach ziemlich kurzem Abschiede eilig in ihre Wohnung zurück.

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B..Die Gant und nachher eine Unhanwendung.Der Krämer Stoll gantete dann und wann zwei und mehr Male im Jahr. Der für die nächste Steigerung anberaumte Tag, an dem Andres seine Schuld einzuschreiben hatte, erschien, Meister Stoll hatte Gantbewilligung genommen für, Hausrath und Fahrniß“, wie üblich. Es ging in seiner Wohnung lebhaft zu, wie an einem lustigen Feiertage,obwol es mitten in der Woche war. Was zu verganten war stand hinter dem Hause unterm Dach, unter den Bäumen und an den Zäunen. Es schien zwar nicht so gar viel zu sein,alte Kisten und Fässer, etwas Feldgeräthe, ein paar Säcke Kartoffel, ein magres Kühlein und eine alte Ziege, das waren so ziemlich die Haupt- und Prachtstücke; ein Theil sah fast aus,als wär's an Zahlung oder in Versatz an irgend eine Schnapsschuld gegeben worden. Es standen einige Tische draußen, ein Gemeinderath, der an der Fahrniß herumgantete, führte dran das große Wort; in der Stube drinnen waren gleichfalls ein Tisch und einige Stühle aufgestellt, da dran saß dann ein Schreiber und schrieb ein über Hals und Kopf was versteigert wurde, d. h. was man ihm angab. Auf den Tischen war aber mehr Platz als nur für Tinte, Federn und den Gantrodel, daher standen auch hier und dort noch Maaßflaschen voll Schnaps und Gläser dabei: Jeder konnte zugreifen und sich bedienen wo er wollte und so viel er mochte,kein Wirth brachte erst auf Bestellung, das wahrhaft goldne Zeitalter schien gekommen zu sein, wo Alles nichts kostet, alle

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Menschen Brüder sind und höchstens der mit scheelen Augen angesehen wird, der nicht herzhaft zulangt. Es waren auch allerhand Leute da, die sich prächtig in solche goldne Zeit geschickt hätten, jetzt schon, ihrem Jahrhunderte lange voran,die schenkten ein ohne Geheiß, ohne zu fragen, bald an diesem Tische, bald an jenem, der Allseitigkeit halber, oder um in den Flaschen das Gleichgewicht herzustellen. Es waren Manche darunter, die sahen freilich nicht aus, als ob sie viel zu kaufen hätten, und gar nicht nur, weil sie etwa Alles schon hatten.Aber das machte nichts, heute nahm man's nicht so genau,lebte und ließ leben, rechnete eins in's andre, fragte Keinen,was er wolle? aller Gewissenszwang war aufgehoben. Während so Einige dasaßen, mehr der Neugier und der Gelegenheit halber, sich gegenseitig einschenkten und der Geselligkeit pflogen, dabei um Alles sich mehr kümmerten als um den Gerümpel und die Gant, sah man an einem entgegengesetzten Tischende etliche trockne ruhige Gesichter, auf denen es mit tiefen Zeichen geschrieben stand, daß sie gelegentlich einen Schick machen würden. Sie erhoben sich wol auch einmal schwerfällig und gingen, mit der Pfeife im Maule, schweigend um die Fahrhabe herum, dahin, dorthin, griffen dran und fühlten zu, bei Lebendem und Todtem. Nur wenige schienen eigentlich des Kaufens wegen hier zu sein. Noch Weitere waren da, die kümmerten sich um die Waaren blutwenig und doch waren sie Käufer, gaben an und ließen einschreiben beim Schreiber, daß dem die Finger surrten. Es war als ob diese Alles schon wüßten oder auf Treue und Glauben kauften und nicht auf's Geld zu sehen hätten. Bei dem Einen von diesen sah man irgendwo abseit den Krämer stehen, bei dem Andern [110] die Krämerin und heimlich und vertraulich mit ihm sprechen,als gält's eine Verabredung. Es waren dieß gute Kunden,welche alte Schulden, verharzte Bresten, als nagelneue Gantschulden mit gehöriger Bürgschaft von ein paar andern armen Teufeln versehen, beim Schreiber drinnen einschreiben ließen,„der Ordnung und der Sicherheit halber“, wie der Krämer es erklärte, und mit Recht, denn Wirthshausschulden waren von Gesetz und Versassung nicht so sicher vergarantirt als Gantschulden.In den niedern Räumen und Gängen des Hauses lag Tabak- und Schnapsdunst, und wogte langsam hin und her wie eine Wolke. Ein solcher durchzog aber ebenso auch die Köpfe der meisten Anwesenden, umwirbelte die Klarheit des Auges und die ruhige Ueberlegung mehr als Eines, der so dasaß, dann und wann seinen Schluck nahm, herzhaft drauf lostabakte und am Anfange nicht von ferne an's Kaufen gedacht hatte, sondern aus bloßem G'wunder gekommen war.Nach und nach, halb aus langer Zeit, kam ihn doch die Lust an, er wolle es einmal probiren! und bot auf irgend ein Stück, das gerade aufgerufen ward und das er so halb und halb brauchen konnte. Da saß aber hinter ihm ein Zweiter,der heimlich auch ein Auge drauf geworfen und weil Jener bot, nun um so mehr meinte: „aha, das muß nicht so übel sein, der Jockt weiß auch was er macht, der will's, ich überbiet' ihnm!“Er bedachte nicht, daß der Jocki gleichfalls nicht so ganz klar sah, es auch nur probiren wollte und nun erst recht aufmerksam wurde, aber durch den Schnapsnebel Alles vergrößert und verschönert ansah. So überbot Einer den An[111] dern, beide geriethen in Hitze, nahmen zwischein noch einen Schluck, dampften immer strenger Wolken um Wolken, nicht nur so feine Ringlein mehr, sondern dicke Qualmmassen, als wären ihre Pfeifenröhrlein zu Dampfkaminen geworden.Wenn's der Jocki vermöge, bei Gott! so vermöge er's auch!fluchte heimlich der Peter, der Jocki aber meinte nicht weniger lang den Athem zu halten als der Peter, und so trieben sie einander höher und höher bis der Eine endlich nachgab und dachte: „willst du ein Narr sein, he nun, so sei's meinethalben!“ Und der Andre konnte dann auch rufen wie selber Jude: „Auwai! ich hab's g'wonne!“ wenn er einen alten Kasten oder einen schlechten Kommet fast so theuer als einen nagelneuen ersteigert hatte. Nicht vergebens eröffnete früher einmal bei so einer Gant der Krämer einem guten Freunde in schwacher Stunde: kein Brenz zahle sich so gut, wie der an einer Gant geschenkte!

Während so der Gemeinderath draußen aus Leibeskräften aufrief und drauf losgantete und die Bauern nach und nach warm wurden wie andre Liebhaber auch oder ihre alten Sünden in das neue Gantröcklein verkleideten, sang Der in der Stube drin die zweite Stimme. Dießmal war's nicht der Gerichtsschreiber selber, sondern der hatte seinen Schreibergesellen geschickt, die Komödie mochte ihm auch gar zu wenig kurzweilig vorkommen für seine eigne Person und die Gebühr blieb sich ja gleich, so oder so. Das Schreiberlein faß dort am Tische so breit als es mit seinen spitzen Ellbbgen und schmalen Achseln das vermochte, und daß es ein ernsthaftes Gesicht machte zwischen seinen Vatermördern und ihm nichts auf der ganzen Welt so wichtig vorkam den Augenblick als [112] just seine Stellung, das verstand sich von selbst und dafür hatte es auch eigens noch eine Brille auf. Zudem drehte die linke Hand, wie ein Seilerbub das Rad, so die sieben Häärsammen, dem der Geselle gern Schnauz sagte. Die Rechte dagegen, die schwerlich wußte was die Linke that, schrieb mit ihren beklexten langen Fingern auf ein großes Blatt Papier.Ein Schoppen Wein, vom guten, welcher immer wieder nachwuchs, stand vor dem Schreiber, der dann und wann einen Schluck zum Anfeuchten brauchte bei seiner trocknen Arbeit.Während man von hinterm Hause her durch den Hausgang das Aufrufen des Gemeinderaths zeitweise hörte und es tönte:zum ersten zum zweiten und zum dritten Mal, die Leute im Gange draußen weder leise sprachen noch leise mit ihren genagelten Schuhen auftraten, Lachen und Fluchen sich vermengte, während allem Dem saß der Schreiber in seiner unveräußerlichen Menschenwürde mitten in dem Lärm gleich einem Halbgotte und schrieb unabänderlich, wenn nicht in die ehernen Tafeln der Geschichte, so doch in den Sudelbogen des Gantrodels, was ihm Einer nach dem Andern als ersteigert angab, nebst den Namen des Sepp und des Friedli, als der erforderlichen zwei annehmbaren Bürgen. Ein Kind hätte es auf den ersten Blick erkannt, daß in dem Verzeichniß des Schreibers drinnen wenigstens dreimal mehr Gegenstände eingetragen waren, als draußen hinterm Hause zu verkaufen standen, aber den Schreiber drinnen ging nicht an was man hinter dem Hause trieb und der Gemeinderath draußen kümmerte sich nicht um die Schreiberei drinnen, so gab es denn auch weder Reibungen noch Widersprüche. Wie in einem

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Taubenschlag ging's ein und aus, in ungehindertem Verkehr vom Gemeinderathe zum Schreiber, höchstens die Schnapsflaschen zwischen Beiden machten dann und wann einen augenblicklichen Aufenthalt. Ein altes Männlein, das im Lande herum mit Besen handelte und die Gelegenheit auch benützt hatte, sagte beim Weggehen, nachdem es dem Treiben eine Weile stille zugesehen, halblaut zu einem Andern: es hätte es nicht geglaubt, daß seine Augen so sehr abgenömmen in der letzten Zeit, aber es könnte es verschwören, daß es nicht mehr die Hälfte von dem Hausrath und Fahrniß draußen zu sehen vermöge, die von den Käufern angegeben werden!Die Umstehenden lachten zu der Rede und riethen dem Besenhändler, beim Krämer Etwas für die Augen zu kaufen. Der aber erwiderte: „Nichts ist gut für die Augen!“ und drückte sich sachte durch die Menge hin, ehe ihn der Krämer etwa umsonst kurire.

Wie mancher Andre, war auch Andres beim Schreiber erschienen und hatte, der Himmel weiß was Alles, angegeben,das er ersteigert: eine Geis, eine Krippe, Kartoffeln, kurzum so viel als der Werth seiner Schuld an den Krämer betrug und zur Vorsicht noch etwas drüber hinaus. Mit dem Heimtragen oder Heimführent seiner Schätze hatte er indeß keine gar große Mühe. Und ebenso bot hintendrein die Privatabrechnung mit dem Krämer Stoll keine erheblichen Schwierigkeiten. Im hintern Stüblein, wo alle besondern Verhandlungen stattfanden,nahm derselbe ein Reißblei und ein Stück Papier: „Fünfzig Franken bist du mir schuldig gewesen!“ sagte er zu Andres,, hier stehen sie, zeig' nun was du an der Gant hast einschreiben lassen?“

Mehber-Merian. Mareili.

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Und nachdem sie in der Liste herumgesucht, fuhr der Krämer fort: „Eine Geis macht 12 Fr., eine Krippe 8 Fr.sind zusammen 20 Fr., dazu vier Säcke Kartoffeln zu 6 Fr.und ein Stößwägelein zu 25 Fr., geben accurat Summa Summarum 69 Fr. Für Unkosten und Gebühren gehen noch 4 Fr. ab, ich will's billig machen, bleiben somit 15 Fr. baar, die du hier herauskriegst!“ und damit legte Meister Stoll in schönem schweren Silbergeld dem Andres den Ueberschuß auf den Tisch, die dieser einstrich, als ob's purer Gewinn wäre und die Rechnung von 50 Franken, die er erst ein wenig hoch finden wollte, vollständig darüber vergaß.

XI.Im Rößlein oder aus dem Regen in die Tranfe.Ungeachtet der Krämer guten Zuspruch hatte bei seiner Wirthschaft und sein Schäflein schor, mochte auch der Rößleinwirth neben ihm noch gleichwohl bestehen. Zwar wenn man ihn hörte, wirthete er nur für die Ehre und um den Krämer,der Alles fressen wolle, nicht ganz Kestenhofen allein aussaugen zu lassen. Gewaltig schalt und fluchte er über diese Concurrenz. Eigentlich sei das auch nicht recht und wenn Einer Krämer sei, so sei er nicht Wirth, möge er zehnmal ein Patent lösen und sich auf die Gewerbefreiheit berufen, die in der Verfassung stehe. So sei das nicht gemeint gewesen, als man die Verfassung gemacht, er müsse das am besten wissen,habe er doch auch dabei geholfen. Hintendrein könne mam's [115] gut anders auslegen und drehen und klauben an den Worten.So habe er's wenigstens nie verstanden und wie es einer vernünftigen Verfafsung einfallen sollte zu erlauben, daß ein Bürger dem andern Alles wegschnappe? Er sei auch für die Freiheit und er frage dem Teufel nichts nach, dafür kenne ihn Land auf Land ab wol Jeder, aber das sei keine Freiheit mehr, sondern unersättliche Hungerleiderei! Und der Rößleinwirth schloß dann gewöhnlich diese seine unzufriednen Aeußerungen mit der Drohung: wenn das so fortgehe, werde er eine Revision der Verfassung durchsetzen oder sie ganz über den Haufen werfen; sie werde nicht auf festern Füßen stehen als andre, denen man es auch so gemacht! Damit beruhigte und begnügte er sich einstweilen, bis ihn der Brotneid von neuem stachelte.

Was hätte der Wirth erst gesagt, wenn er in einem Landstädtchen gewohnt hätte, worin außer seinem, noch neunundvierzig andre Wirthsschilder gehangen, oder in einem Dorfe mit neunzehn Wirthschaften, in einem andern endlich, wo man auf hundert Seelen einen Wirth zählte? Einen Schlagfluß hätte er zwar schwerlich gekriegt, dagegen wäre gesorgt gewesen, aber ob er aus seiner Drohung, die selbstgemachte Verfassung zu stürzen, nicht doch Ernst gemacht hätte, das ist eine andre Frage. So aber blieb's bei bloßen Worten und beim Alten, um so mehr, da die bestehende Verfassung auf der andren Seite wieder gar Manches hatte, das ihm dienlich war und an dem zu rütteln, wie er meinte, Nichts abtragen würde.

Zudem waren des Rößleinwirths Gäste nicht die unvernünftigsten. Schenkte auch der Krämer jetzt offen Wein und

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Schnaps aus, und tranken Jene manches Glas und manchen Schoppen dort, so waren sie doch billig genug, den Rößleinwirth das so wenig als möglich entgelten zu lassen, sondern dankbar im Andenken zu behalten, daß dieser eben doch lange allein ihren Durst gestillt, bevor es einem Krämer eingefallen, auch ein Schild über die Hausthüre zu hängen. Sie tranken darum lieber einen Schoppen mehr und ein Glas zwischenein, als daß sie die Eifersucht der Beiden irgendwie genährt hätten.Unter die. Rücksichtsvollsten gehörte natürlich auch der Schneidermeister Andres, obwol bei ihm noch ein fernerer Grund hinzutrat. Denn neben den humanen Grundsätzen,daß Jeder wolle gelebt haben und die Menschen da seien einander zu helfen! hatte das Rößlein doch auch an sich seine besondern Vorzüge. Es war ein Wirthshaus von oben bis unten und nicht Andres; es war da Nichts noch nebenbei, die Leute, welche hinkamen, kamen allein der Erholung und der Unterhaltung wegen, und dies gab der Gesellschaft, die sich darin zusammenfand, einen besondern Charakter. Im Wirthshause hörte man andre Discurse, man saß anders, jedenfalls auch fester und länger. Was beim Krämer Viele anzog, die Gelegenheit, was man sonst etwa noch brauchte, zu kanfen,das würdigte Andres wol in vollem Maaße, aber zu Zeiten stieß es ihn doch wieder ab. Alle Weiber kamen dahin, von seinem nicht zu reden, ein Ab- und Zugehen war's, wie in einem Taubenschlage und kein gemüthliches ruhiges Beisammensein von Gleichgesinnten möglich. Der Kramladen nebenzu schien ihn immer an die Arbeit zu mahnen und es gab doch Zeiten, wo er von der Arbeit Nichts wissen, wo er ausruhen.[117] sich erholen wollte. Es däuchte ihn mehr als einmal, hier hänge ihm eine halbe Elle Futtertuch in's Glas herein, dort sei ihm ein Stränglein Faden in den Hals geschlüpft mit einem Schlucke und schnüre ihn, abgesehen von den Knöpfen und Häftlein, die ihm schon im Magen lagen, den Nadeln, auf denen er saß, wenn die Thüre sich öffnete und ein Weiberkopf sich hereinstreckte und nach dem Krämer oder der Krämerin,vielleicht auch im Vorbeigehen nach dem Manne suchte.Hiezu kamen noch besondre Klugheitsrücksichten. Neben dem allgemeinen menschlichen Wohlwollen seines erkenntlichen Herzens erwog Andres ferner, daß der Röößleinwirth sein Kunde war, dem er mehr als einmal im Jahre die Kutte über den Rücken auslassen oder einen Zwickel hinten in die Hosen setzen mußte, von einem neuen Gewande alle paar Jahre nicht zu reden. Wurde dem Schneider seine Arbeit zwar nicht baar bezahlt, sondern in Abrechnung gebracht an Brot und Wein und Schnaps, so schlug Andres diese Naturallieferungen nichts weniger als niedrig an, ja er wußte sich so gut in diesen Tauschhandel zu finden, daß er mit seiner Gegenleistung weit mehr im Rückstande war als im Vorsprung.Denn seit ihn der Krämer das Aufschreiben gelehrt, leuchteten ihm dessen Vorzüge so gut ein, daß er es überall, wo es nur anging, somit auch beim Rößleinwirth, in Anwendung setzte.Auf diese Weise, daß er mit Beiden, dem Krämer und Wirthe,in Abrechnung stand, vertheile sich auch die Rechnung mehr,meinte Andres, und wenn sie sich gegenseitig freilich deßwegen noch nicht aufhebe, so sei doch ein gewisses Gleichgewicht da,welches ihn vor einem gefährlichen Uebergewichte bewahre!Es zeigte sich hierin, wie viel Anlage zu einem Staatsökono[118] men und Finanzkünstler, beim Lichte betrachtet, in Andres stak und daß er eigentlich vielmehr zum Flicken des Vollkswohls und zum Schneidern von Staatsformen und Verfassungen berufen war, als die Rücken der Kestenhofer mit Halblein zu überziehen und der lieben Dorfjugend in ihre ersten Höslein zu verhelfen. Es ist indeß auch schon das Umgekehrte der Fall gewesen, dermalen es in der Welt manchmal gar sonderbar zugeht; damit mochte Andres sich trösten.

Indeß Trost bedurfte der Meister die ersten Tage nach der Gant nicht einmal, er hatte vom Krämer baar Geld herausbekommen, fünfzehn Franken, trug die im Sacke herum,wie hätte er bei diesem ungewöhnlichen Ereignisse mit seinem leichten Blute nicht hellauf sein sollen! Und das war er und weil er's mit aller Welt wohl meinte, wenn's ihm gut ging und das Herz ihm weit und immer weiter ward, so dachte er auch gleich an den Rößleinwirth und wie er dem ebenfalls etwas wolle zukommen lassen: der hab' ihn auch nicht abgewiesen,wenn er mehr Durst als Geld zu ihm gebracht habe in magrer Zeit! So schritt er pfeifend, und wie ein Herr, in's Rößlein und daß der Wirth nur gleich wisse, wie er dran sei und ihm kein saures Gesicht zu machen brauche, klimperte er unter der Thüre schon mit seinen drei Fünflivern. Er wollte eigentlich nur einen Schoppen trinken, denn trotz seiner Freude erinnerte er sich an dies und das, was er nothwendig noch zu kaufen hatte und auch seine Lisebeth, wie wenig sie's um ihn sonst verdiente, sollte von dem Gelde etwas genießen, so weitherzig war Andres geworden! Als indeß der Schoppen kam und getrunken war, kam's dem guten Meister vor, noch nie hab' ihm der Wein so saner geschmeckt, abgesehen davon,[119] daß das Gewächs von einem doch auch gar zu schwachen Jahrgange sei. Es habe sich schon Mancher mit solchem Getränke den Magen erkältet und dies möchte er jetzt in seiner guten Stimmung zuletzt. Ueberdies saßen am Ende des Tisches zwei Fuhrleute bei einem Brenz, der roch dem Schneider in die Nase und gab ihm gleich den Gedanken, ein Schnäpslein auf den kalten Rachenputzer könnte Nichts schaden, im Gegentheil. So befahl er denn gleichfalls ein Gläslein. Der Wirth ging und kam und stellte einen halben Schoppen vor ihn,nebst dem üblichen Wohlbekomm's. „Habe nur ein Gläslein bestellt!“ rief Andres dem Wirthe zu. „He, es wird eins sein!“ entgegnete dieser „du wirst wol Meister drüber werden!“ Der Gast hatte zwar allerlei Einwendungen zu machen, indeß geschehen war geschehen und im Stillen mußte er selber gestehen: wenn nur nie ein größer Unglück in der Welt passirte! Es kamen während dem Diskurse auch einige Bekannte, die Andres lange nicht gesehen, der Friedli und der Seppetoni, wo dann in der Freude des Wiederbegegnens von dem halben Schöpplein jedenfalls nicht mehr die Rede sein konnte. Ungeheißen stellte der Wirth da noch zwei Gläslein hin, zum ,Bescheid thun“ und daß der Schneider in seiner Herzensstimmung den Wink merkte und seinen guten Bekannten einschenkte, verstand fich von selber. Das half denn dem halben Schöpplein schnell ab, so schnell, daß in dem leeren Fläschlein vergebens nach einem letzten Tröpflein gesucht wurde, als nun auch noch der Munimattmilchmann in die Stube trat, der aus der Stadt mit seinem Milchkarren kam und dem Schneidermeister ein Päcklein Zeug mitbrachte,das dieser ihm in Auftrag gegeben. Da der Milchmann

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Nichts für seine Mühe begehrte, sie als eine bloße Gefälligkeit ansah, so konnte Andres unmöglich Etwas dagegen einwenden,daß der Wirth das leere Fläschlein wegnahm und dabei fragte,ob er nicht lieber gleich ein Schöpplein bringen solle? Es kam das Schöpplein und schwand und die Gesellschaft, die sich so unvermuthet zusammengefunden, wurde immer lebendiger und aufgeräumter, kam darum, ohne es zu merken,immer besser in Zug, so daß nicht nur Schöpplein um Schöpplein ab und zu spazierten, sondern am Ende auch, Keiner sah recht wie? Halbmaaßbouteillen auf dem Tische standen. Der Wirth setzte sich hinzu und hielt mit, dabei munterte er fleißig zum Bescheidthun auf. Daß in lustiger Companei die Zeit schnell und unvermerkt hinschwindet, ist eine alte bekannte Erfahrung, die Gäste im Rößlein wußten daher auch durchaus nicht, wie lange sie da zusammen saßen,besonders da sie nachher noch Karten spielten. Jedenfalls war's tief in der Nacht, als sie endlich aufbrachen, mit schweren Köpfen und Füßen, die nicht zu einander paßten, indem der linke kürzer als der rechte, der eine leicht wie eine Feder,der andre schwer wie Blei zu sein schien. Demnach war natürlich auch der Gang ein sehr ungleicher und es war jedenfalls ein Vortheil für die Heimkehrenden, daß ihnen im Dunkel der Nacht der matte Schimmer des Dorfbachs auf der einen Seite den Weg wies, auf der andern aber hohe und weiche Misthaufen Beulen und blaue Flecken so viel möglich ersparten.Wie Andres zu Hause von seiner Lisebeth empfangen worden, ob er ihren Unwillen mit der Aussicht auf sein Geld und ihren Antheil daran etwas zu beschwichtigen vermocht,[121] oder ob er vielleicht gleichgiltig und theilnahmlos, wie ein andrer Sack, nur in's Bett geplumpt und selbst des Rippenstoßes nicht geachtet, dafür am Morgen beim Erwachen das Wetter über sich ergehen lassen, von all dem ist niemals was laut gewotden, Er hat kein Wörtlein je davon gesagt und Lisebeth ihrerseits schwieg gegen Andre in ihrer Verschlossenheit jedenfalls. Indeß erst spät am Morgen schlich der Schneider die Dorfgasse hinauf mit langsamen Schritten und langem langem Gesichte. Etwas war jedenfalls daheim vorgegangen, er sah weder rechts noch links, sondern gerade vor sich nieder und seine drei Fünfliver machten nicht das geringste Geräusch in seinem Hosensacke, sondern schienen auch ganz melancholisch geworden zu sein wie ihr zeitweiliger Herr.Selbst der Schimmel, der doch so munter und keck wie immer aus der Mauer des Wirthshauses heraussprang, schien heute eine lahme kohlschwarze Mähre zu sein, so gar nicht stach er dem Andres in die Augen, und das war viel, Nachdurst bleibt ja fonst oft zurück nach einem lustigen Abende.

Allein der Schneider-Andres mochte nun den Schimmel ansehen oder nicht, und daheim zum Frühstück aufgetischt bekommen haben, was es immer sein mochte, so leicht sollte er an dem Wirthshause einmal doch nicht vorbeikommen.„Machst Kalender!“ fuhr den Tiefsinnigen aus einem der unten geöffneten Fenster eine grobe tiefe Stimme an und lachte, als das Männlein, fast erschrocken ob der Begrüßung,aufsah. Es war der Wirth, der mit seinem dicken rothen Kopfe unterm Fenster eine Pfeife rauchte. Andres wollte mit erzwungnem Gruße vorbei, der Andre aber hieß ihn in's Zimmer treten, er habe gestern die Tabakspfeife liegen lassen,[129] zudem wär's ihm lieb, wenn er abrechnen wollte, gestern sei's nicht wol möglich gewesen. Der Schneider wollte vertrösten,morgen oder wenn er zurückkomme, jetzt sei er pressirt, er müsse in's „Bödeli“ hinauf, es habe dort einen Schlipf gegeben bei dem letzten großen Regen. Der Rößleinwirth aber,der die drei Fünfliver im Sacke des Andres entweder roch oder ihren Klang noch von gestern im Ohre hatte, ließ nicht sogleich ab: Sie seien gleich fertig, er woll' ihn nicht lange aufhalten, aber es sei gestern auch etwas Glaswerk zerbrochen worden, er hab's expres noch stehen lassen, nachher geb's dann oft Verdruß! Da er dabei eine Stimme hatte, wenigstens wie ein Bär, und gerade einige Bekannte die Gasse herauf kamen, so blieb dem Andres Nichts übrig als in die Stube hinein zu treten und die Sache dort mehr im Stillen abzumachen. Es kam eine Schiefertafel zum Vorschein, auf der von oben bis unten eine Menge Striche und Kreuze mit Kreide geschrieben standen. Das sei die gestrige Rechnung,hieß es, er solle nachsehen! Andres sah wol auf die schwarze Tafel, aber sie kam ihm nicht anders vor, als wie ein Kirchhof mit den Kreuzen allen. Auf die Explikation des Wirthes achtete er nicht sonderlich, sondern bedachte nur, wie er eigentlich verdammt generos gewesen sei mit dem Freihalten und ohne daß er just gewollt habe. Daneben hielt er gleichsam nur den Buckel hin und ließ darauf abrechnen wie ein Andrer regnen. Er vermochte ja doch nicht weder Ja noch Nein dazu zu sagen, denn er hatte gestern nicht einmal die Flaschen alle bestellt, geschweige nachgezählt. So sagte er denn am Ende blos: das dünke ihn wol viel und er habe nicht allein getrunken! Der Rößleinwirth aber begehrte da nicht übel auf:

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Wenn Einer groß mache und den Andern zum Bescheidthun einschenke, sollte er hintendrein nicht reuig werden, sonst laß'er's ein andermal lieber bleiben. Es habe Niemand anders befohlen als der Andres, ihm habe man's abgenommen und gedankt. Wenn aber Jemand etwa meine, es sei mit dem Aufschreiben nicht in der Ordnung gegangen, so solle man ihm das beweisen, er habe seinen Kopf immer bei einander gehabt, und gewußt was er gemacht; das sei nicht seine Manier, so soll ihm Niemand kommen, es gebe noch Gerichte und Gerechtigkeit im Lande!

Der Schneider-Andres sah gar wohl, daß er Nichts ausrichten konnte, sondern verrathen und verkauft war; zudem scheute er den Lärm und das Brüllen des Wirthes bei den offnen Fenstern und war darum froh, als nur dieser wieder schwieg und setzte seinen Widerstand nicht länger fort. Es kam demnach zum Abschluß der Rechnung und als diese schwarze Wolke sich entlerrt, wurde es dem armen Andres gar hell und klar,nämlich daß ihm von seinem Gelde kein Pfennig mehr im Sacke verblieb, im Gegentheil. Exact vierzehn Fränklein betrage die Rechnung, vernahm er, dazu kämen noch zwei für zerbrochnes Glaswerk, mache zusammin sechszehn Franken; ob er lieber gleich baar zahlen wolle oder eine Handschrift gebe? Dem Schneider war Eins so zuwider wie das Andre. Handschriftliches hatte er von der Gant her schon genug, denn dies fing ihn nun auch an zu drücken, bei seiner trüben Stimmung,zudem fürchtete er, die Frau möchte ihm gar noch dahinter kommen und das schien er besonders heute vermeiden zu wollen.So griff er denn schweren Herzens in den rechten Hosensack und langte die drei schönen feisten Fünflivers hervor: er wolle [124] in Gottsnamen lieber gleich zahlen, wenn's doch sein müsse,es sei dann abgethan! Matten Blickes sahen auch ihn die drei Thaler von dem klebrigen Wirthstische her an, als wollten sie auf immer Abschied von ihm nehmen. Da aber noch ein Franken fehlte, so gab ihm der Wirth eine Weste mit: er könn' ihm dafür einen neuen Rücken hineinsetzen!Andres langte nach seiner Pfeife, die er liegen gelassen und der Rößleinwirth, in der Freude über das eingegangne Geld,bot ihm von seinem Tabak an zum Stopfen. Der Schneidermeister dankte und stopfte, er brannte die Pfeife noch an und drückte sich nun kleinmüthig fort nach dem, Bödeli“. Unterwegs dachte er noch dem theuern Vergnügen und der gesalznen Ehre nach, indem er in tiefen Zügen den Rauch von sich DD lustig in die blaue Luft hinauf, dem Andres aber kam es vor, er habe schon lange keinen so starken Tabak geraucht wie diesen.

XII.Wie's noch weiter in Kestenhofen ging und was der Gemeinderath dazn gesagt.Der Schneider-Andres war keineswegs der Einzige in Kestenhofen, dem der Branntwein so mitspielte und dieser hatte außer ihm, Gäderliesi, Mauseranni und Dursenbäbi noch gar viel eifrige Anhänger, heimliche und offne, Manns[125] leute und Weibervolk. Er vergaß auch keinen seiner Getreuen zu bedenken, ob er vielleicht anfangs zögerte, das gewahrte man an Einzelnen, wie selbst an dem Charakter des ganzen Dorfes, der in der Folge davon berührt wurde.

Hatten die Kestenhofer sich wol gewaltig aufgehalten über die Verworfenheit und das Elend des verlumpten Toni von Nesselstorf und waren um ihn herumgestanden, nicht anders wie um fremde wilde Thiere, die Hauptsache hätten sie bei sich selber fast ebenso gut sehen können, wenn auch nicht so auf ein Häuflein gewischt und mit Landjägerbegleitung, sondern mehr vertheilt, da in einem Hüttlein, dort in einem Gaden,einem Stalle. Sie sahen das Unkraut täglich aufschießen,wachsen, aber gerade weil sie immer es sahen, beachteten sie es wenig, stutzten höchstens, wenn durch das tägliche unmerkliche Wachsen zuletzt ein stachlichter, unfruchtbarer Dornstrauch dastand, der allen guten Saamen erstickte. Sie meinten. vielleicht auch, weil es bei ihnen vorkomme, sie Kestenhofer seien,sehe es doch nicht gar so häßlich und arg aus, sahen die rothen Nasen für Zeichen vollblütiger Gesundheit an, die fahlen eingefallnen Gesichter dagegen, wenn nicht für interessant, weil das auf dem Lande nicht gilt, doch für ein Zeichen,wie schlimm es den armen Leuten ergehe, wie nöthlich sie hindurch müßten, wo sich denn nicht so zu wundern sei, wenn sie dann und wann im Schnapsgläschen ihr Elend zu vergessen suchten. Aber wenn man auch zehnmal zu der Kohle Kreide sagt und es sogar im Amtsblatt drucken ließe, sie färbt deßwegen nicht weniger schwarz Alles was mit ihr in Berührung kommt, und so schlugen denn, trotz allen Entschuldigungen und Beschönigungen, die Wirkungen des Schnapstrinkens da [126] und dort in den Verhältnissen von Kestenhofen durch, wie ein Unschlittfleck durch Löschpapier. Man sieht da oft nur einen Fettflecken, weiß aber vielleicht nicht, daß er von Unschlitt herrührt. Möglicherweise ging's Manchem auch so, der die Verwilderung und Verarmung entdeckte, an Orten, wo er sie vorher nicht gesehen in Kestenhofen nämlich. Der von Dingen hörte, die bisher nie oder nur zur seltensten Ausnahme erhört worden, der Reden, Aeußerungen gang und gäbe werden sah, vor denen sich die Alten besegnet hätten.Treu und Glauben, vor Allem aber Einfachheit und Ehrbarkeit nahmen ab, und wurden als Dummheit verlacht, Betrug als Pfiffigkeit hochgepriesen, Begehrlichkeit, Genußsucht verdrängte die frühere Genügsamkeit, Unzufriedenheit zog hinterdrein, es war in Manchem, als ob Gott und die Obrigkeit die Kestenhofer im Stiche gelassen, oder diese jene. Falliten waren im Dorfe früher oft mehrere Jahre lang keine vorgekommen, jetzt gab's jährlich zu Dutzenden; es war keine Schande mehr, für die Betroffenen nicht, für ihre Verwandten, die vielleicht noch vermöglich, gar nicht. Früher hatte die Freundschaft (Verwandtschaft) geholfen, war eingetreten, wo's bei einem Schwiegersohn, Bruder oder Vetter schief gehen wollte und der Bedrohte war aufrecht geblieben. Wo nicht von felber Theilnahme und Familienehrgefühl dazu getrieben, war der Pfarrer zu den Leuten gegangen, hatte mit ihnen geredet und die Zähesten hatten da Vernunft angenommen, wenn nicht um der Liebe, doch um der Mißachtung willen des ganzen Dorfes. Jetzt war's, als gingen die nächsten Verwandten einander Nichts mehr an, der Vater nicht einmal den Sohn.Jetzt geldstagte man eben so lkeichtfertig als man gewirth[127] schaftet, verließ sich auf die Steuern, welche bei den Vermöglichen für die Armen verfassungsgemäß erhoben wurden, halste der Gemeinde den Haufen Kinder auf, die gehalten war, für sie zu sorgen: auf Alles dies hatte man Anspruch von Rechts-wegen, es war Pflicht der Gemeinde, man bedankte sich nicht einmal dafür, sondern forderte es vielmehr noch trotzig. Daneben blieb einem das Wirthshaus ja frei, man machte sogar an der Fastnacht mit, konnte man doch noch das letzte Stück Bettwerk verkaufen, weil der Fastnachtsjux leider nicht durch die Verfassung vergarantirt war und man im Wirthshause baar zahlen mußte. Ob an dieser Veränderung allein der Branntwein schuld gewesen, ist nicht ausgemacht, es ist sogar nicht einmal ganz wahrscheinlich. Verständige und ruhige Leute, die näher drein sahen, führten noch Allerlei, Dies und Jenes, als Ursache der Verschlechterung an und wichen auch in ihren Angaben ab, da und dort. Darin aber waren sie doch alle einig, daß das Trinken, und ganz' besonders das Schnapstrinken, eine Hauptquelle sei und bleibe und es nahm kein Ende, wenn sie die Personen und Familien anfingen beim Namen aufzuführen, mit denen sie diese Behauptung erwiesen und erhärteten. Sie langten auch die Verbrauchs- und Steuertabellen für geistige Getränke hervor, zeigten auf die Zahlen,welche von vereideten und obrigkeitlichen Angestellten aufgenommen und mit den entsprechenden Summen Geldes bei Amt eingeliefert worden.

Wenn man Morgens um 10 Uhr im Wirthshause die jungen Bursche hinter Schoppengläsern antrifft, aus denen sie Schnaps trinken, so wird man sich hernach unwillkürlich weniger wundern, wenn man vernimmt, daß das Dorf, trotz [128] des schönsten Bannes, stark verschuldet ist. Oder wo in einem kleinen Neste das Jahr hindurch 8 Saum Wein und 12 Saum Brenz verwirthet werden, daneben kein Gemeinderath gewählt werden kann, weil alle Bürger bis auf einen schon bestraft worden, wegen Diebstahl und Holzfrevel, wird man ohne zu großes Mißtrauen doch an einen Zusammenhang denken, auch wenn man von einzelnen Fällen Nichts weiß. Dasselbe wird geschehen, wenn man beobachtet, daß in einem Jahr zu 13 Wirthshäusern sechs neue noch hinzugekommen, und daneben die Vergeldstagungen an der Tagesordnung stehen:die größre Nachfrage ist da schwerlich vom größern Wohlstande herzuleiten. Wenn von steigender Verarmung, von Anwachsen der Armenlasten die Rede ist und geklagt wird darüber im ganzen Land und hintendrein steht im Verwaltungsbericht der Regierung schwarz auf weiß, daß die Einfuhr nur von fremdem Branntwein von 800 Saum auf 1000 gewachsen sei, zieht ferner aus früheren Jahresberichten das Ergebniß, daß die Einfuhrsteuer für derlei Getränke in drei Jahren über das Doppelte gestiegen, und erkundigt sich zum Ueberfluß nach dem Treiben in den Schenken, nach dem Wandel der Verarmten, so wird Keiner, der offne Augen hat, den Branntwein von der Schuld der Volksverderbniß freisprechen wollen, noch einen Staat beglückwünschen um einen solchen Zuwachs seiner Finanzen. Und bei Einzelnen, wenn sie als Schnapstrinker bekannt sind und alle Welt sieht sie verwildern und dann verfallen an Leib und Seele, da fragt es sich nicht, ob nicht auch Etliche zu finden wären, die gleichem zügellosen Wesen sich hingeben und doch keine Brauntweinzapfen sind? Ist der böse Geist einmal losgebunden, der in [22]2 der Brenzflasche versiegelt war, und richtet er sein Reich auf in einem Lande, so spüren auch Andre sein Regiment, als nur die Anhänger und Unterthanen. Er sendet seine Marschälle und Generale, die Geister der Frechheit, der Unsauberkeit, der Gottlosigkeit, die Herzöge des Stolzes, des Neides und der Empörung aus auf Eroberung, sein Reich zu befestigen und diese streifen auf ihren Raubzügen überall hin, wo nicht in einer festen Burg eine entschlossene Besatzung die Grenze behütet. Die Schwachen, Ungerüsteten und Zerstreuten aber leiden von den Streifereien, ihr theilweiser Widerstand ist fruchtlos und in ihrer unbewaffneten Neutralität werden sie unversehens überfluthet, sinken aus Freien zu Vasallen, gezwungenen Verbündeten herab, die dem Zuge folgen müssen und das Reich des Tyrannen dehnt sich aus immer weiter.

Aber wie? ist der Branntwein denn an sich etwas so Böses, ein Laster, eine Sünde, welche das Innre eines Menschen, seine Seele, angreift und ansteckt? Es besteht ja all jene Frechheit und Zügellosigkeit und Lüderlichkeit jedenfalls schon lange vor dem Brauntwein und weit weg von ihm, wie will man ihm denn Schuld geben an so viel Elend und Verderben im Volke?Man sieht oft an feuchten dunkeln Wänden Pilze, Schimmel wachsen, im stehenden Wasser grünen Schlamm entstehen,oder kleine schlängelnde Thierchen, Insekten schwimmen und wundert sich, wo die wol hergekommen, ob sie da dran und da drin von selber entstanden? Aber in der Luft und im Wasser, überall wehen und schweben unsichtbare Sämlein

Meyer-Merian, Mareili.[130] und Eilein herum, die setzen sich an da und dort. Allein unter Tausenden fällt vielleicht kaum eins auf eine Stelle, wo es haften bleibt und ansetzen mag und die für seine Entwickelung, sein Wachsthum und Gedeihen geeignet ist: in eine stillstehende sumpfige Lache, an eine feuchte dunkle Wand.

So weht auch der Same des Unkrauts, welches das gute Korn im Herzen erstickt, das Ei des Wurmes, der am Glüůcke der Menschen nagt, fast unsichtbar millionenfältig überall in der Luft umher, in diesem Worte, jenem Gedanken, selben Gelüsten und Wünschen. An einem offnen redlichen Sinne,in einem gottesfürchtigen reinen Herzen mögen sie nicht haften und fallen unschädlich ab. Aber da und dort gerathen sie in eine Falte, eine Ritze und bleiben liegen. Sie mögen zwar noch nicht gedeihen, aufgehen, sondern, bleiben verschlossen in ihrer harten Schale, um am Ende zu vertrocknen und im Keime wieder zu ersterben. Da kommt aber eine böse unsichtbare Hand und träuft auf den schlummernden Samen Branntwein, erst nur tropfenweise. Das Körnlein schwillt, die Schaale des Eies wird durchsichtig, mehr und immer mehr.Bald reißt die Hülle, scheu guckt ein Blättlein, ein Köpflein hervor, als traute es noch nicht, sei noch nicht erstarkt genug,dem Einflusse von Licht und Luft zu widerstehen. Aber die gespenstige Hand gießt immer herzhafter und reichlicher Branntwein zu, immer gieriger wird er eingesogen und das Kraut treibt Wurzeln und Blätter, das Thier bewegt sich behaglich,streckt sich und wächst größer und größer. Niemand kann sagen,der Branntwein sei das Unkraut, der Wurm; indeß der Branntwein hat doch beide aus ihrem verschlossenen Keime in's Leben gerufen und groß gezogen.

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Aber sah denn dies in Kestenhofen Niemand ein? gab es keine wohldenkenden Männer, die ein Herz hatten für das Volk und seine Noth und Einfluß genug zum guten Willen,um ein Wort drein zu reden und dem Uebel Einhalt zu thun?Ueberhaupt, war denn keine Obrigkeit, kein Gemeinderath da,der einzuschreiten nicht blos die Macht, nein, sogar die Pflicht hatte?Freilich hatten die Kestenhofer einen Gemeinderath und in dem saßen einflußreiche Männer, darunter Volksfreunde,sogar von den eifrigsten, denen Einer hätte kommen sollen und vorhalten, sie meinten es nicht gut, nicht besser als alle Uebrigen mit dem Volke! Aber mit der Freundschaft ist's eine Sache wie mit mancher andern: wie's eine Affenliebe gibt,DDdem Volke z. B. in's Maul streicht, was ihm gerade schmeckt,wenn's ihm hintendrein zehnmal Brauchgrimmen machen mag,die Gedärme zusammen zieht in einen Knäuel oder sie aufbläht zum Zerspringen. Der Krämer Stoll unter Andern saß im Gemeinderath und der Schwäher des Rößleinwirths auch,dieser war sogar noch Präsident. Kam vor Die eine Klage über diesen, jenen Unfug, oder daß eine Bürger anfange sich dem Trunke zu ergeben, Haus und Feld vernachläfsige, Frau und Kind darben lasse, herumziehe statt zu arbeiten, und halbe Nächte bei Schnaps und Kartenspiel verbringe, da fanden sie das vielleicht auch bedauerlich, (jenachdem Jemand klagte), aber sie zuckten die Achseln und wiesen auf die Verfassung: es seien aufrechtstehende Bürger und denen sei ihre Freiheit garantirt; man dürse ihnen nicht zu nahe treten,könne ihnen keinen Zwang anthun, sie nicht bevogten; ohne

9 *[13] einen Spruch des competenten Oerichtes sei kein Recht dazu vorhanden. Wies man auf die Verarmung und Verlotterung überhaupt, so gaben diese Gemeinderäthe den schlechten Zeiten,der allgemeinen Verdienstlosigkeit, den niedern oder hohen Preisen, jenachdem es sich schickte, die Schuld und nicht der Genußsucht und dem Leichtsinne der Menschen. Zog man Vergleichungen, wie es im Dorfe vor zwanzig Jahren noch gewesen und wie's jetzt aussehe, dann trösteten sie: so schlimm werd's wol nicht sein, es sei von jeher geklagt worden, so lange die Welt stehe, in Dem möge es geübelt haben, in Anderm dafür gebessert, man sei fortgeschritten und nirgend in der Welt, nicht nur in Kestenhofen nicht, sei's vollkommen.Aergerten Steuergenössige durch ihren lüderlichen Wandel,durch Wüstthun im Rausche am heiligen Sonntage die Ehrbaren, da entschuldigten die Gemeinderäthe, denen man die Trunkenbolde vielleicht mit Fingern wies: den armen Teufeln sei auch einmal ein Vergnügen zu gönnen, sie hätten es mager genug die ganze Woche hindurch; es seien einmal nicht alle Menschen gleich und nicht jeder geistlich! Wenn Samstag Nachts die jungen Bursche im Wirthshause getrunken und gelärmt, übten sie dann beim Heimgehen noch überall ihre Nachtbubenstreiche aus, nicht blos muthwillige, sondern auch boshafte, brachen in Häuser ein und erschreckten die Leute, warfen Alles durch einander, rissen das Heu von den Wagen herunter und stürzten diese dann um, warfen mißlieben Personen die Fenster ein, brüllten als wenn sie alle am Messer steckten, und eilten die Weiber erschrocken an die Fenster, so streckten sie ihnen eine scheußliche Puppe an langer Stange vor die Nasen hin.Eilten die Männer muthig hinaus, dem Unfug zu wehren in [123] ihrem Hause, hinten im Hof, in der Scheune, da stürzten sie über gespannte Schnüre oder im Weg gelegte Bengel, und ehe sie sich fluchend wieder aufgerafft, waren die Nachtschwärmer schon lange lachend und heulend wie das wilde Heer entflohen,zerstoben nach allen Winden. Sonntags, wenn dann die Leute zur Kirche gingen, lag auf manchem Gesichte noch der Verdruß und das Aegerniß der verwichenen Nacht, aus andern Gesichtern freilich lachte auch heimliche Schadenfreude, wol gar ein freches herausforderndes Lachen, und an den Blicken,dem Zunicken konnte man gar wol die Genossenschaft bei dem nächtlichen Unfug entdecken.

Aber was half es? Führte man beim Präsidenten ernstlich Klage, machte Schaden namhaft und bezeichnete Den und Jenen als Urheber davon und drang auf Strafe, so machte der Präsident den Fürsprech der Nachtbuben: es seien lustige Bursche, man sei auch einmal jung gewesen! und redete ihnen das Beste. Wo's aber ernster gemeint war und er den Unwillen nicht abzulenken vermochte über die zügellose Frechheit,welche ein ganzes Dorf tyrannisirte, oder wo sich's um Schadenersatz, Schmerzengeld und dergleichen handelte, da stellte fich der Präsident als Vermittler hin zwischen den Lärmmachern und den Beschädigten, und suchte durch Zureden und Schönreden und mit dem Einfluß seiner Stellung den Schuldigen durch einen günstigen Vergleich (wobei er markten konnte wie ein Jude) aus der Klemme zu helfen.

Von einer Seite war dies Nichts als billig: die Buben hatten ja die Räusche zu ihrem Unfug bei des Präsidenten Schwiegersohn geholt und bezahlt, was sollte der Schwäher,der ja auch sein Geld in der Wirthschaft stecken hatte, sich [134] derselben hinterher nicht noch annehmen? Es war diese Seite leider nur nicht die des Gemeindepräsidenten!

Damit blieb's nicht blos beim Alten, die Lärmmacher und Lumpe sahen, daß sie so viel als leer ausgingen, Nichts zu gefährden hatten und wurden darum im Gegentheil noch übermüthiger, scheuten sich noch weniger und zogen Andre nach. Steuergenössige, die bei aller Tagedieberei die Unterstützung gleich fort erhielten, wurden eben so wenig gebessert oder nur abgeschreckt, ja sie fingen an zu pochen auf ihre Rechte, fleißige Arme, die sich's sauer werden ließen, auszuhöhnen und Mahnungen oder Zurechtweisungen zu trotzen.

Es saßen wol auch einige Maänner im Gemeinderath, die nicht so sprachen und nicht so dachten wie ihre volksfreundlichen Kollegen, die sich vielmehr ärgerten über den wachsenden Unfug, denen die Verarmung und die Verwilderung nahe ging. Es waren brave, rechtschaffene Männer, unbescholten und wohlmeinend, aber sie waren still und friedliebend, haßten Streit über Alles und schluckten dem Frieden zu Lieb Vieles,auch mit Würgen, hinunter. In ihrer Aengstlichkeit doch einmal, wie man sagt, das Thier aufjagen zu müssen, hätten sie am liebsten dem Vogel Strauß es nachgemacht und den Kopf im Sande versteckt, um Nichts zu sehen noch zu hören.Als schlichte Leute fühlten sie auch die Ueberlegenheit ihrer gewandtern Genossen, noch mehr aber fürchteten fie die Rache Derer, gegen deren Ueberschreitungen sie auf Bestrafung und auf ernste Behandlung hätten dringen müssen. Um des öffentlichen Wohls willen aber an Leib oder Gut geschädigt zu werden ist nicht Jedermanns Sache, sie war es auch nicht dieser Gemeinderäthe, denn in dem Punkte sind die Bewohner des [135] offnen Landes noch ängstlicher als die der Städte, weil sie auch mehr bloßgestellt sind. Dem Urheber eines halb durchgesagten Fruchtbaumes, einer zerstörten Brunnenleitung, eines über Nacht verwüsteten Gartens und dergleichen ist oft schwer auf die Spur zu kommen.

Konnte es einmal Einer gleichwol nicht länger verhalten und sprach er von der wachsenden Last der Armenbehörden und wie man da einschreiten müsse, damit nicht am Ende sie alle verlumpten, dann rückten ihm der Krämer und des Rößleinwirths Schwäher mit der Verfassung, dem Staat auf den Leib und schüchterten den Verwegenen ein, der vor beidem einen heiligen Respekt hatte, namentlich da er nicht recht wußte,was damit anfangen und wo die Grenzen eigentlich seien zwischen Staat und Gemeinde, zwischen Verfassung und der Befugniß eines Gemeinderathes? Früher hatte man sich um die nicht bekümmert, sondern gehandelt nach Dem, was man für Recht hielt und wie es der Brauch war; das wußte Jeder ohne langes Nachschlagen und Studiren in den Paragraphen einer Verfassung. Indeß der Kestenhofer Gemeinderath war schon einmal gerüffelt worden, weil er einen Halunken zum Dorfe hinausgejagt, dem die Verfassung als Staatsbürger den Aufenthalt darin garantirte. Das machte die guten Männer irre, sie wußten nicht mehr recht was gelte, wer oben sei und wer unten, die Halunken oder der Gemeinderath,oder der Staat. Sie lasen nun die Verfassung, zwei Mal für ein Mal, und es stand wirklich Nichts drin, daß das Verlumpen und Verlottern verboten sei. Also sei's erlaubt! benichts an, oder wie sie es nannten: der Gemeinderath sei [136] nicht competent! Und da ließen auch die Rechtschaffnen lieber die Hände davon, als daß sie sich die Finger verbrannten,vom Staat einen Rüffel erhielten und man ihnen für ihren guten Willen des Teufels Danke gebe. Sie hatten ein Mal Etwas gesagt, ein zweites Mal thaten sie es nicht leicht wieder und in Kestenhofen ging's' fort wie bisher und der Krämer und der Schwäher des Rößleinwirths waren im Gemeinderath als Volksfreunde obenauf, im Privatleben aber brachten sie daneben ihre Schäflein in's Trockne.

XIII.Der Pfarrer und der Herr Lehrer.Aber wenn denn der Gemeinderath in Kestenhofen nicht einschreiten wollte gegen die um sich greifende Verschlechterung,aus Feigheit und Lauheit, waren da nicht noch der Pfarrer und der Schulmeister, denen das Wohl der Jugend besonders anvertraut war und die, weniger von Menschenfurcht gebunden, auf's Bessere allmälig doch hätten hinwirken können mit Ermahnung, Belehrung, auf gütlichem Wege, wobei sie nicht gegen die Verfassung verstießen?

Freilich war in Kestenhofen ein Pfarrer, sogar ein sehr eifriger und studirter, und wenn auch kein Schulmeister, doch ein ganz neumodischer Herr Lehrer, welche Beide von ihrem Berufe und ihren Pflichten auf's Tiefste durchdrungen waren. Sie stimmten auch darin völlig überein, daß das um sich greifende

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Branntweintrinken der Leute Verderben sei, wie daß diese Gefahr müsse aufgedeckt, davor gewarnt werden aus Leibeskräften. So eins sie aber hierin waren, ein Schritt weiter und der Eine zog rechts, der Andre links, daß der Karren,den sie aus dem Sumpfe bringen wollten, nothwendig stecken blieb.Der Pfarrer stand erst kürzere Zeit in seinem Amte und war einem Vorgänger gefolgt, der fast sein ganzes Leben unter den Bauern zugebracht und bei ihnen auch noch lange,selbst nach seinem Tode, in gutem Ansehen sich erhielt, so daß, wenn sie von „ihrem“ Pfarrer sprachen, sie den verstorbenen meinten und nicht den neuen, welchen sie in Wirklichkeit besaßen. Der alte war felber ein halber, ja sogar ein ganzer Bauer gewesen. Von jeher auf dem Lande, weil da sein Vater schon als Pfarrer gewirkt, und aufgewachsen mit der Dorfjugend, kannte er nicht nur die Art und Weise der Bauern, ihre Sitten und Gebräuche, und fand sich in ihre Anschauungen und Gedanken, sondern er stellte sich auch praktisch mitten unter seine ländliche Umgebung hinein. Er besaß Feld und Acker und verstand sich auf deren Bewirthung wie nur der beste Bauer: sein Gras war berühmt, keine Gerste, kein Roggen stand so dicht wie die auf seinen Aeckern.Ebenso wenn die Stadtmetzger schweres Vieh wollten, ein wohlgemãstetes Kalb oder ein feistes Schwein, fragten sie erst im Pfarrhofe an, ob Etwas da sei und zahlten gerne einen höhern Preis für die Waare als auf jedem andern Hofe. Dabei wußte der Alte den Leuten zu helfen und zu rathen; selten ging ein Bauer unbelehrt oder nicht erleichtert aus dem Pfarrhause, und dies Zutrauen und der Respelt zugleich, welche [29]14 er sich hierdurch gewann, trugen auch gewaltig zu seinem Ansehen in der Gemeinde bei; man merkte beide nicht blos in den Reden der Landleute über, ihren Pfarrer, sondern schon in der einfachen Begegnung und Begrüßung, so daß fremde Geistliche ihren Amtsbruder eben so sehr um seinen Einfluß bei der Gemeinde, als die Bauern andrer Gemeinden die Kestenhofer wieder um ihren Pfarrer beneideten.

Indeß war auch die alte Frau Pfarrerin nicht zu vergessen, die trug nicht wenig bei zu dem Ansehn und der Liebe,deren ihr Eheherr bei seinen Pfarrkindern genoß. Sie war in Allem beschlagen gewesen, was nur immer vorkommen mochte. Bei Kindbetten und Krankheiten wußte sie nicht nur Rath, sondern stand auch da mit Hilfe, einem Schüsselein Schleim, einer kräftigen Brühe, einem wirksamen Thee. Es sei ein Doctor an ihr verloren gegangen! rühmten die Einen;das sei die „gemeinste Frau“ auf Gottes Erdboden! lobten sie die Andern und Thränen traten ihnen in die Augen, wenn sie an die und selbe Noth gedachten, darin ihnen die erfahrene Frau als ein rettender Engel erschienen. Darum wären auch Männer und Weiber durch's Feuer gelaufen für sie und da DD verehrenden Gefühle auf den Pfarrherrn selber über, besonders da auch die Frau diesem immer mit der größten Achtung begegnete, ihm als Geistlichen und Meister überall sich unterordnete und ihren Respekt gerne auch vor Andern darlegte.

Was seine Wirksamkeit als Geistlicher betraf, so wäre an dem alten Herrn vielleicht Manches auszusetzen gewesen,obschon er sich keinerlei Pflichtversaäumniß zu Schulden kommen ließ. Er predigte, taufte, eopulirte und hielt Leichenpredigten,[]1J386 wenn die Zeit und Gelegenheit dazu war, wie immer herkömmlich gewesen. Es war ihm Ernst damit und es gab hie und da auch einen Anlaß, wobei er in Eifer gerieth.Sonst aber hatte Alles seinen geweissten Weg, er sah seine Gemeinde wol als eine christliche an, aber als eine bäurischchristliche, stellte weder auf besondre Erschütterungen noch Erhebungen ab und überließ Gott und der Zeit Vieles, indem er die Schwerfälligkeit und Zähigkeit der Landleute gar wohl kannte. Dagegen hielt er auf Respekt vor Gott und seinem Wort und sah auch mit einiger Strenge auf äußere Ordnung und Zucht in der Kirche oder was diese berührte. Wer da rütteln und sich Freiheiten nehmen wollte, den wies der Pfarrer nicht übel in die herkömmlichen Schranken und er war gewiß, daß der nüchterne beharrliche Sinn seiner Pfarrkinder ihm Recht gab. So mußte sich mehr als Einer, der gerne über die Stränge geschlagen hätte, wenigstens stille halten und der Gewalt des öffentlichen Willens fügen, die so zu sagen dem Pfarrer in seine Hand gelegt schien. Es war überhaupt schwer zu sagen, wie viel der Alte durch seine weltliche, wie viel durch seine geistliche Seite auf die Gemeinde wirkte, und ihm am allerletzten wäre eingefallen, dies nur untersuchen zu wollen. Er hatte Einfluß und einen guten,dies genügte ihm und er genoß ihn bis an sein selig Ende:wie um das Grab eines Vaters stand da das ganze Dorf,Mäanner und Weiber, Kinder und Alte um seinen Sarg;mehr hätte der Verstorbene nie verlangt.

Ein jeder Nachfolger würde es in der Gemeinde schwer gehabt haben, denn verklärt noch hob sich bei allen Anlässen die Gestalt des Vorgängers aus der Erinnerung der Land[140] leute und trat dem Spätern als überlegener Nebenbuhler entgegen. Der neue Pfarrer, wie dieser im Gegensatz zu, ihrem“Pfarrer hieß, stand diesem am geistlicher Bildung überlegen,er hatte nicht nur gründliche Studien gemacht, sondern lebte überhaupt mehr in seiner Wissenschaft. Freilich war er ein um so schlechterer Landwirth und mit den ländlichen Verhältnissen und Charakteren wenig vertraut. Von Feldwirthschaft und vom Vieh verstand er so viel wie Nichts und wenn ihm das die Bauern auch verziehen hätten, weil sie wol einsahen, so unumgänglich zur Geistlichkeit gehöre das nicht, so gab er sich doch gar arge Blößen, gerade weil er darin seinen Pfarrkindern sich anbequemen wollte und sich bemühte, von solchen Dingen in ihrer Weise zu reden. Es lief gleich im ganzen Dorfe herum, daß der neue Pfarrer einen Gerstenacker Kornfeld genannt und ein Kalb mit einem Kalbele verwechselt. Es wurde darüber gespottet und begreiflich sein Vorgänger gegen ihn gehalten. Wenn da auch Besonnenere bemerkten, „er sei halt ein gar Studirter“, so war dies nur ein sehr zweifelhaftes Lob, klang höchstens wie die Entschuldigung einer Schwäche, eines Mangels. Und die neue Frau Pfarrerin machte den Fehler in ihrer Weise ebenso wenig gut:sie war immer in der Stadt gewesen, kannte das Landleben nur aus Büchern, war ein zartes Fraulein mit etwas subtilen Nerven und konnte sich in die derbe grobfühlige Ausdrucks-weise der Bauersleute nicht finden, beim besten Willen nicht,den sie in der That besaß. Wenn sie sich auch überwand und in die oft ärmlichen, nicht immer reinlichen Wohnungen des Dorfes trat, so mußte es doch Jedem gleich auffallen und den Bewohnern, trotz ihrer dicken Nerven, zuerst, daß sie sich [141] nicht wohl dabei fühlte sondern fremd und das hielt die Leute,wenigstens die bessern gerade, meist ab, zu einer Hilfeleistung sie in Anspruch zu nehmen. Brachte sie daher einer Kindbetterin auch eine Suppe, so war die nicht kräftig oder versalzen, ihr Thee nicht wirksam und in hundert Fällen, sagten die Leute, wisse sie nicht mehr Rath als ein zwölfjähriges Mädchen. Allerdings griff sie in ihrer Zartheit und Unsicherheit Nichts so fest und bestimmt an wie die erfahrene und viel erprobte handliche, alte Frau Pfarrerin“ es gethan.„Sie sei halt eine Junge aus der Stadt und zu vornehm für gemeine Leute,“ lautete das Urtheil über sie und ihre Scheu wurde ihr ungerechterweise vielfach als Stolz ausgelegt. Einmal aber in diesem Rufe, fiel es der guten Frau schwer, die Zurückhaltung und das Mißtrauen zu überwinden durch ihren wirklich guten Willen und die Treue, die denn doch im Einzelnen da und dort sich bemerklich machten.Als Geistlicher betrachtet, war der neue Pfarrer von der Heiligung durch's Evangelium, wenn nicht mehr als sein Vorgänger, so doch feuriger durchdrungen. Das Verderben der Menschen fiel ihm brennender auf die Seele und sein Amt, das Heil der Gnade zu verkünden und zur Buße zu rufen, war ihm innigste Gewissenssache, an die er Alles hingab. Seine Gemeinde liebte er gewiß, sie lag ihm am Herzen und nicht blos an der Schattenseite desselben. Er konnte auch freundlich sein, aber seine Freundlichkeit war mehr eine geistliche als eine natürliche, die die Gemüther, das Vertrauen gewonnen hätte, an sich schon und ohne daß man den Prediger merkte hinter ihr. Wenn der neue Pfarrer mit den Leute zu sprechen anfing, auch wenn's weltliche Worte waren, es klang doch [142] immer gleich wie ein Gebet oder eine Predigt, und da war von einem ungezwungnen Eingehen, einer offnen Mittheilung der „ung'studirten? Bauern keine Rede mehr. Umgekehrt hatte, der Alte“, auch wo es Geistliches betraf, meist ganz weltlich und wie mit Zufälligem angefangen, und so selbst eine Weile fortgefahren bis er der Leute sicher war und dann unvermerkt eine Belehrung, eine Ermahnung oder einen Trost dran geknüpft. Ebenso hatte dieser in Nichts sehr pressirt:das tauge bei Bauern überhaupt wenig! war seine Meinung gewesen. Er steckte da und dort sein Körnlein und überließ Gott, mit Regen und Sonnenschein es zum Wachsthum zu bringen. Wol sah er auch zwischenein nach, zog da und dort ein Stäudlein Unkraut aus, das daneben wurzelte, aber wartete gewöhnlich bis nach einem Regen, der den Boden zuvor weich gemacht. Der neue Pfarrer hingegen war ein gar eifriger, der mit vollen Händen den guten Samen auswarf und auch gleich eine reiche Ernte sehen wollte. Wuchs mit der Saat zugleich Unkraut auf, dann säumte er nicht gerne lange, griff nach Hacke und Karst und fuhr drauf los, sonder Menschenfurcht freilich, indeß gar häufig zum Schaden des guten Samens, der in der gleichen Scholle seine Würzelchen zu verbreiten angefangen.

All diese Abweichungen, wie diese Eigenschaften, änderten die bisherige Stellung des Geistlichen in Kestenhofen bald genug. Der durchgehende Respekt in der Gemeinde und die allgemeine Anhänglichkeit begann sich zu spalten: bei Etlichen wuchsen sie, bei den Meisten aber gab's sonst eine Veränderung. Um ihrer vorwiegenden Frömmigkeit oder Geistlichkeit willen hatte der alte Pfarrer keine seiner Pfarrkinder [143] besonders bevorzugt oder mehr an sich gezogen, er hatte alle gleich behandelt, war höchstens genauer gewesen gegen Derartige. Diese nun, die theils ein größeres religiöses Bedürfniß wirklich hatten, vielleicht aber auch nur sich besser dünkten als die Uebrigen, fühlten sich von dem neuen Pfarrer angezogen und schlossen sich an ihn, was derselbe geschehen ließ. Er war zwar weit entfernt, Heuchler bilden zu wollen,oder Zwiespalt zu pflanzen in der Gemeinde, aber er that es doch wider Willen, indem er Solche bevorzugte, als Anhänger bei, in seinem großen Eifer für die Religion, gelegentlich auch die Menschenkenntniß hintenansetzte. Vor lauter Bemühung,in seinem Kirchspiel den Kern einer besondern christlichen Gemeinde zu gründen, ahnte er nicht einmal Etwas von dem Allen, was er pflanzte.

Da die Bauern einander viel besser kannten und auch beurtheilten, so schüttelten über den neuen Zudrang und Anhang selbst besonnene und rechtschaffne Männer den Kopf und zogen sich selber nur um so mehr zurück, bei aller Gerechtigkeit und allem Respekt, den sie im Uebrigen dem neuen Pfarrer widerfahren ließen. Ihr Zutrauen und ihre Zuneigung wurden dadurch nicht genährt, besonders da der Geistliche, durch wohldienerische Zuflüsterungen und übertreibende Hinterbringungen übel berathen, gegen die Lauen und Gleichgiltigen, die Selbstgerechten und Stolzen scharf predigte und dabei eben auf jene Ruhigern, schwerer Beweglichen ziemlich deutlich hinwies. Daß überhaupt die Strafpredigten bald vorwalteten, gab sich bei diesem Verhältnisse fast von selber und auch die Bauern gewöhnten sich am Ende daran und [144] erklärten sich's damit, daß das eben so die Art des neuen Pfarrers sein werde: Jeder habe seine besondre Manier,und wie ihr alter Pfarrer werde halt schwer ein Zweiter gleich wieder zu finden sein!

So geduldig und ruhig verhielt sich indeß nicht ein Jeder,der sich nicht zu den besondern Anhängern des neuen Pfarrers zählte. Keine geringe Zahl, und sie mehrte sich mit der Zeit fast zusehends, bezeugte immer unverholner ihre Unzufriedenheit. Wer früher schweigen gemußt, gern oder ungern,der that jetzt das Maul auf, und wie! Es war als wollte sich jeder böse Bube für die bisherige Stille schadlos halten und womöglich das Versäumte noch nachholen. Diesen stimmte man nun freilich nicht bei, schüttelte im Gegentheil die Köpfe über ihre frechen Reden; aber die Macht der öffentlichen Meinung, die sie vordem im Zaume gehalten, war einmal gebrochen und die Unverschämtern achteten nicht auf die stille Mißbilligung, sondern fuhren fort und immer ärger. Sie zogen zuerst allerdings nur über den, Pfaffen“ los und über die Scheinheiligen. Als sie indeß hier nicht sogleich auf entschiedenen Widerstand stießen, wagten sie sich auch hinter das Amt des Pfarrers und am Ende ging's über die Religion im Allgemeinen her, die fie zwar nicht Religion nannten, sondern vielmehr Heuchelei, Pfaffentrug und Aberglauben.

So gewöhnten sich die Kestenhofer allmälig Vieles zu hören und hinzunehmen, was sie früher nicht geduldet hätten und bei zu Manchem nur blieb selbst dies und das davon unvermuthet hängen. Diese, Ansichten“ gefielen besonders den Jungen, die mit dem Nachplappern von derlei Geschwätze zu zeigen vermeinten, was für Kerle sie seien, jedenfalls weit

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über die alten, Trümpi“ und , Krätti“ hinaus an Courage wie an Gescheidtheit; scheerten sie sich doch weder um Gott noch den Teufel mehr etwas. Daß die, welche gerne im Trüben fischten, oder etwas zu decken und verstecken hatten, eine anrüchige Liebhaberei, oder einen bösen Schaden, mit vollen Backen ebenfalls in dieß Horn bliesen, versteht sich wol von selber und je lauter die saubre Kameradschaft that und sich regte, um so höher wuchs ihr der Kamm, um so mehr der Schwachen oder Leichtsinnigen zog sie zu sich herüber, wo's so lustig und ungenirt zuging und man nicht nach alten Vorurtheilen beurtheilt wurde, sondern ganz freisinnig.So entsprach denn den zügellosen Reden immer ungescheuter auch das Thun und Treiben, und weil sich nirgend besser räsoniren und aufbegehren läßt als hinterm Wirthstische und gar Viele nie couragirter und witziger sind, als mit einer Bouteille im Leibe, so kam in der Folge das Trinken jedenfalls nicht in Abgang, am letzten das wohlfeile und doch so wirksame Schnapstrinken. Hatte dieses zwar früher auch schon stattgefunden, so war es doch mehr einzeln, im Verborgnen, und im Ganzen mäßiger, geschehen, aus kleinen Gläschen höchstens und nur so nebenzu. Jetzt schienen Viele eine Ehre drein zu legen, Schoppengläser wurden mit Brenz gefüllt und Morgen und Mittag, Abend und Nacht waren dazu die geeignete Zeit.Hiegegen nun und wider die Folgen davon eiferte der neue Seelsorger ebenfalls ganz besonders und mit allem Rechte, aber gerade je größres Recht er dazu hatte, um so ubler nahmen's ihm die, welche sich dadurch getroffen fanden.

Meyer-Merian, Mareili. 4n

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Es war eines Sonntags, der Pfarrer predigte von der Sünde und Verderbtheit des menschlichen Herzens und führte dabei an, wie der Teufel den Schnaps erfunden, um die mahnende Stimme Gottes und des Gewissens zu berauschen und einzuschläfern, dafür den Hochmuth, die Lästerung, die Fleischeslust zu erwecken und damit Leib und Seele zu fangen und zu verderben für Zeit und Ewigkeit. Der Erzlügner übe da seine alte List, die er schon bei Adam und Eva angewendet, als er sie durch Sinnenkitzel zum Widerstreben gegen Gottes Gebot verleitet und um das Paradies gebracht. Was die Schlange damals als Erkenntniß vorgespiegelt, heiße sie jetzt Aufklärung und wie der Teufel derselbe, der er vor viel tausend Jahren gewesen, so seien auch die Menschen noch nicht andre geworden, trotz allem gerühmten Fortschritte! In der weitern Ausführung hievon durch Beispiele ward der Geistliche nun stets anzüglicher, wie die Zuhörer meinten, die anfingen, ihre Ohren zu stellen und sich zuzuwinken mit bedeutsamen Blicken. Sie blickten sogar auf Diese und Jene,wenn wieder etwas kam, davon sie meinten, es sei auf jemand besonders gemünzt. Und als nun nachher gar die Kirche zu Ende war und die Leute den Heimweg antraten, da ging es erst recht an ein Auslegen und Errathen und Namen-Nennen:wie Der sein Theil habe nehmen können und Jener eine Prise bekommen! Da und dort standen ein paar Weiber auf dem RDDDDDDD0D wartete auf Bekannte, theilte ihnen Gedanken und Vermuthungen mit, wen Alles der Pfarrer angezogen und wie scharf er's ihnen gesagt; es sei nur schade, daß die Schuldigsten nicht in der Predigt gewesen! Einige lächelten in ihrer Gerechtigkeit,

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Andre sahen ernst drein, Dritten guckten Verdruß und Zorn aus dem Gesichte. Während Etliche Beifall zollten, schüttelten wieder Manche die Köpfe: mit Holzschlägeln auf die Leute zu deuten bessre nichts, mache nur unnöthig bös Blut! Man stritt: genannt sei Niemand worden und wenn es nicht wirklich so wäre, dann würde man ja nicht wissen, auf wen es gehe; was aber im ganzen Dorfe bekannt sei, werde der Pfarrer wol auch auf der Kanzel anziehen dürfen; jemehr sich die Schuldigen getroffen fühlten, um so weniger würden sie in Zukunft Aergerniß geben!Bei einer größern Gruppe ging's auch so mit Reden hin und her, die Stimmung aber neigte sich eher zu Gunsten des Pfarrers, da kam der Schullehrer gerade des Weges daher und gesellte sich zu den Männern, meist ältern. Einige der Minderheit nun, jüngere, zogen sofort den Neuangekommenen in's Gespräch, indem sie ihn zu einer Art Schiedsrichter in ihrem Streite machten und seine Meinung über die Predigt zu wissen begehrten.Der Lehrer hatte schon während des Gottesdienstes in der Kirche zuweilen den Kopf geschüttelt, daß ihm beinahe die Brille von der Nase gefallen war. Auch jetzt, dazu noch um seine Meinung gefragt, wollte er nicht die Gelegenheit versäumen, das Volk über Vorurtheile aufzuklären, was er als seine besondre Aufgabe ansah. Das sei eine ganz mittelalterliche Kapuzinerpredigt gewesen! behauptete er, und dem Zeitgeiste durchaus nicht angemessen. Das Branntweintrinken sei freilich sehr nachtheilig und verwerflich, da könne keine Frage sein, und wer es mit dem Volke gut meine, müsse da19*[4145]8 gegen ankämpfen, aber nicht, indem man die Menge noch mehr verdumme, sondern sie aufkläre. Die Welt sei mündig, man dürfe sie deßhalb nicht wie ein Kind behandeln und mit der Hölle und dem Teufel abschrecken wollen von Dem, was ihr schädlich. Die Erzählung von Adam und Eva, der Schlange und dem Paradies, das sei Alles mythisch zu verstehen und möge einmal gut gewesen sein, als die Menschen die wahre Einsicht noch nicht gehabt, es mit der Aufklärung noch nicht so weit gewesen sei wie heutzutage. Mit dem Schnapse aber habe der Teufel nichts zu thun, es gebe ja gar keinen; das Gefährliche am Brenz sei blos sein Alkoholgehalt, denn erstens versetze dieser, im Uebermaaß genossen, in einen Zustand, der mit der angebornen Menschenwürde sich nicht vereinigen lasse;D wirkung des Alkohols auf das Nervensystem überhaupt untauglich zur Behauptung seiner ursprünglichen Freiheit und gebe sich somit immer mehr dem schädlichen Genusse hin. Dadurch werde drittens die ganze Organisation untergraben und die Funktionen des Nervensystems, der Muskeln, der Verdauung,der Blutbereitung und der geistigen Eigenschaften immer mehr gestört!

Der Lehrer hatte sehr wahrscheinlich noch Verschiedenes in Petto, womit er die Schädlichkeit des Brenztrinkens gründlich darzuthun gedachte, ohne zu so veralteten Mitteln wie der Pfarrer greifen zu müssen. Es war indeß nicht nöthig, die ganze Aufklärung auszupacken, die Zuhörer waren durch den ersten Theil derselben schon hinlänglich überzeugt, wenigstens hatte die Gruppe der Bauern sich gelichtet, hier standen etliche bereits in einem andern Gespräche unter sich begriffen, redeten

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4 vom Wetter, vom lieben Vieh, vom heurigen Weine, dort gingen andre ihren Weg einstweilen sachte fort, dritte sperrten den Mund auf, weit, weit, und warum anders, als aus lauter Respekt vor der Weisheit des Lehrers!Und ein Erfolg war in der That auch erreicht worden:die abweichende Ansicht hatte den Eindruck, den des Pfarrers Predigt begonnen auszuüben, wieder verwischt, indem den Leuten dadurch die Gefahr des Branntweins wenigstens ebenso mythisch wurde wie Adam und Eva und Apfel und Schlange dem Herrn Lehrer waren.Es war dieß, keineswegs zum Vortheil der Gemeinde,weder das erste noch das letzte Mal, daß Pfarrer und Lehrer nicht mit einander übereinstimmten.Der Lehrer war von der hohen Bedeutung seines Berufes so übermäßig erfüllt, daß gar nichts Andres mehr daneben nur ein Plätzlein gefunden hätte. Voll Zuversicht und Eifers war er aus dem Seminar getreten, mit einer Reihe von Heften ausgestattet, darin er Schwarz auf Weiß Alles aufgezeichnet trug, was nur der Welt zu wissen noth that, sowol was ihr eignes Heil betraf, als namentlich ihre Stellung zur Schule. Uneigennützig suchte auch der junge Mann daraus Cultur zu spenden, aber statt daß das Volk nun ihn auf den Händen trug, ihm überall einen ersten Platz anwies,blieb es stumpf und theilnahmlos und vergalt die Bemühungen alle mit einem Gehalte, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben aus Hunger. Und da meinten noch Manche, besonders ältre Bauern, dieß Geld sei halb weggeworfen, deuteten verbliͤmt an: man könnte ja den Lehrer auf den Umgang []j schicken, herumessen lassen in der Gemeinde, wie den Scheermäusler, und zum Schulmeister sei immer noch gut genug, wer zu einem Bauern verdorben.Solche finstre Vorurtheile und mittelalterliche Barbarei,so wie hundert zähe Bräuche, nährte aber niemand Anders,das war die tiefe Ueberzeugung des Lehrers, als die Geistlichkeit, die in ihrem Interesse das Volk in der Verdummung hielte und sich vor der Aufklärung der Schule fürchtete. Die Schwarzröcke wüßten halt wol, daß ihr letztes Stündlein bereits geschlagen und die reichen Pfründen und feisten Metzgeten für sie ihrer Endschaft zugingen, denn heutzutage brauche man eigentlich gar keine Pfarrer mehr, nur Lehrer; wenn sich's, um das Volksvorurtheil zu schonen, im Augenblicke auch nicht durchführen lasse. Immerhin aber sollten sich jene nicht zu mausig machen, denn sie gehörten jedenfalls dem alten Regimente an und seien nur zufällig vergessen worden, als man dieses abgeschafft. Und trotzdem dieß sonnenklar sei, lüpfe der hochmüthigste Bauer mit allem Respekt seinen Deckel, mitten im z'Ackerfahren sogar, wenn er den Pfaffen von weitem sehe, während man gegen ihn, den Lehrer und Bildner der künftigen Generation, kaum nothdürftig nicke und das meist nur, wenn er zuerst grüße. An diesem Ueberreste von Vorurtheilen aber könne man am besten sehen, wie es in der Welt früher müsse zugegangen sein, bevor man das Schulwesen reorganisirt und als die Pfarrer noch die Finger drin gehabt!So dachte der Lehrer bei sich und so äußerte er sich auch, nicht überall offen, doch anspielungsweise und bei [151] guter Gelegenheit. Es war auch begreiflich, daß ihn solche Verkennung und solch geringer Dank mißvergnügt stimmten,daß er sich in seinen engen Schranken unbehaglich fühlte und darum viel mit Gedanken zur Welltverbesserung trug, einer systematischen natürlich! Da er keinen Menschen fand, der mit ihm auf gleicher Bildungsstufe stand und gegen den er sich geistig austauschen konnte, so machte er auch immer ein gar furchtbar strenges und wichtiges Gesicht, so daß die Bauernweiber schnell ihre Milchbecken zudeckten, wenn er vorbeiging.

Der Schullehrer war überdieß ein viel zu unabhängiger Charalter, als daß er seine Gesinnung, oder wenigstens Stimmung, nicht hie und da auch unmittelbar seinem Pfarrer selber zu verstehen gegeben hätte, bei ihren gegenseitigen amtlichen Berührungen. In Mehrerem, was den Kirchendienst betraf, war der Lehrer dem Pfarrer gewissermaßen untergeordnet, und da er das Amt einmal übernommen, mußte er auch hierein sich fügen, wohl oder übel. Daneben ertheilte aber der Geistliche auch in der Schule Religionsunterricht, wobei er mehr als Kollege des Schullehrers dastand und hier war es denn, wo er dessen Ebenbürtigkeit und Unabhängigkeit bei mehr als einem Anlasse zu schmecken bekam. Indeß sogar bei jener untergeordnetern kirchendienstlichen Stellung hätte der gewiegteste Ingenieur mit seinem spitzesten Zirkel die Grenze nicht haarschärfer ausfindig machen können, wo die buchstäbliche Amtsverpflichtung aufhöre, als dieß der Lehrer verstand und es war jedesmal ein wahres Herrenfressen für ihn, dem Pfarrer unter die Nase zu reiben, daß er mit dieser oder jener, vielleicht sehr

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3.unschuldigen Zumuthung, seine Competenz überschreite und darum nicht auf willfährigen Gehorsam zu zählen habe; im Gegentheil!

Der Geistliche war zwar persönlichen Reibungen viel zu wenig geneigt, er fühlte sich in der That auch durch eine geistige Ueberlegenheit davon zurückgehalten, als daß er seinerseits gesucht hätte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten oder den Lehrer, wo er es in der Hand hatte, in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. Indeß hinderte dieß doch nicht,daß sein Urtheil über denselben kein günstiges war und um so ungünstiger, da ihm von dienstbaren Geistern auch dessen sonstige Ansichten zugetragen wurden. Er fand den jungen Mann aufgeblasen, dünkelhaft und über den Schulmeisterhochmuth entfiel ihm wol da und dort ein unvorsichtiges Wort.Ueber die verkehrte Aufklärung der Zeit, über den Unglauben und die falsche Weisheit des Tages, predigte er sogar, sprach von Irrlehren, die der Satan aussäe und mit Branntwein fleißig begieße, daß sie gediehen. Der Lehrer bezog Dergleichen immer auf sich und da er ein Unrecht darin fühlte, indem er ja dem Schnapse nicht minder Feind war als der Pfarrer selber, so erbitterte ihn dieß und er suchte den Einfluß des Geistlichen noch tiefer zu untergraben. Die gleichen dienstfertigen Seelen, die dem Pfarrer des Lehrers Aeußerungen zugetragen, sorgten auch dafür, daß der Lehrer wieder die Meinung des Pfarrers über ihn erfuhr, und zwar gehörig gesalzen und verschnörkelt dazu. War nun im Umgange der Geistliche freundlich gegen den Schullehrer, so nahm dieser dieß als Verstellung und Falschheit hin, indem er nicht anders meinte, als jener müsse den gleichen Groll [193] gegen ihn hegen, den er selber wider den Pfaffen hegte.Ließ dagegen der Pfarrer, was ihm wol ohne besondres Arg begegnen konnte, eine gewisse Ueberlegenheit durchblicken,ja dann las der Lehrer mit und ohne Brille die Bestärkung des Aergsten darin, nicht allein Dessen, was man ihm vom Pfarrer zugetragen, sondern selbst was nur er von ihm zu denken vermochte.

Das Verhältniß der Beiden war so im Ganzen ein schlimmes und für jeden ärgerliches, sie verbitterten einander das Leben und der Lehrer zu allermeist, trotz seiner innerlichen grundsätzlichen Verachtung und seinem Selbstbewußtsein. Noch übler aber war, daß auch die Gemeinde darunter litt, indem Einer so ziemlich den Einfluß und Segen des Andern unterwühlte, jeder ausriß, was der Andre pflanzte, weil es dieser nicht an sein Stöcklein binden wollte, sondern an's eigne.Wie aufrichtig Beide das gleiche Ziel anstrebten, Schulmeister und Pfarrer und Pfarrer und Schulmeister legten einander so viele und so große Bengel in den Weg, daß es am Stolpern keinem fehlte und sie vor lauter Wegräumen nicht vorwärts kamen. Statt daß sie vereint die ganze Gemeinde förderten auf dem guten Wege, rissen sie dieselbe aus einander, der Pfarrer die ältern Leute und die Weiber besonders rechts hin, der Schullehrer zumeist die Jungen links ab,und vergeudeten Beide oft, mehr zum Schaden als Nutzen,Kraft und Eifer. Denn blieb dem Pfarrer bei Einzelnen,in dem und selbem Hause, seine Wirksamkeit und sein segensreicher Einfluß, da er ein gewissenhafter Seelsorger war, so hatte das Gewicht seines Wortes und seiner Person für das Ganze und Allgemeine doch bedeutend sich gemindert, und am [134] nachtheiligsten fĩür das Gesammtwohl, namentlich beim Gemeinderath. Mit diesem, wenn er gegen Mißbräuche sich lau,und laässig gezeigt, hatte der alte Pfarrer zwar auch mehr als einen harten Strauß gehabt, doch war er fast jedes Mal siegreich darausgegangen, hatte nie ein Blatt vor den Mund genommen, sondern den Herren Gemeinderäthen selbst derbe Wahrheit unverblümt in's Gesicht gesagt. Er wußte nicht nur, mit wem er zu thun hatte, sondern auch, wer hinter ihm stand, nämlich die ganze Gemeinde, wenigstens der Theil derselben, der noch den Ausschlag gab und dieß verlieh ihm,neben dem Bewußtsein seiner guten Sache, jene Kraft und Unerschrockenheit, die schon zum Voraus des Erfolges gewiß ist. In dieser Stellung war der neue Pfarrer nicht. Er hatte wol seine gute Sache und sein gutes Gewissen, daneben auch heiligen Eifer, aber er stand allein da und vor der Strafe und dem Zorne Gottes fürchteten sich die meisten Gemeinderäthe vor der Hand weniger, als vor dem und jenem handgreiflichen Schaden, der ihnen durch Unzufriedenheit unter der Bürgerschaft erwachsen konnte. Sie zuckten darum, wenn der Pfarrer einmal besonders eifrig ansetzte,im günstigsten Falle die Achseln und sprachen ihr Bedauern aus: ja, er hätte wol Recht, aber es werde schwer zu helfen sein, indeß man müsse lugen! und dabei blieb es. Ließ der Geistliche nicht ab, sondern kam wieder und wieder, so hieß es bald: man könne nicht Alles erzwingen! oder, es dünke sie, der Herr Pfarrer käme wol viel!Am Ende ließen sie ihn schwatzen, hatten Andres gerade zu thun, ertheilten im heimlichen Aerger wol dem Pfarrer selber einen Verweis: er sei da, den Leuten zuzureden, der

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Gemeinderath könne nicht Alles machen! oder auch: dafür habe er keine Verantwortung, er brauche sich also nicht drein zu mischen!Kurz der Gemeinderath verstand es, dem Pfarrer, trotz seinem Eifer, das öftre Wiederkommen zu verleiden, was allerdings auch dazu beitrug, dessen Thätigkeit und Wirksamkeit aus dem Oeffentlichen noch mehr in die einzelnen Häuser, in denen er ganz oder wenigstens halb willkommen war, überzutragen und die Verbreitung des Reiches Gottes von diesen aus in der Gemeinde zu fördern, so weit es ihm möglich war.Freilich fand er daneben gar manche Thüre verschlossen, in mancher Stube, in die er trat, saß nur die alte Großmutter am Spinnrade und hörte ihm zu, während die Jungen nach dem Stall und Garten und Feld vor ihm entwichen waren;von noch weitrer Entfremdung nicht zu reden.

Pfarrer und Schullehrer hätten sich ein Beispiel nehmen können am Wirth und Krämer, die ebenso für den Branntwein eingenommen waren, wie sie dagegen. Die Zwei waren zwar einander spinnefeind, denn jeder sah den andern als seinen Brotdieb an. Dem gemäß schimpften sie auch über einander und wenn sie sich ein Wässerlein abgraben oder sonst einen Streich spielen konnten, so unterließ es gewiß keiner,ob's ihn selbst viel Geld gekostet hätte. Handelte sich's hingegen einmal um eine strengre Verordnung, eine Beschränkung im Wirthschaftswesen, galt es die Einfuhr geistiger Getränke zu erschweren, dem Schnapsmißbrauch durch Steuern,Verbote und Dergleichen Einhalt zu thun, dem Wirthshaustreiben und Wirthshaushocken in alle Nacht hinein entgegen[156] zutreten, ja da waren Wirth und Krämer ein Herz und eine Seele. Brüder konnten nicht einträchtiger sein, aller Groll schien in pure Liebe verwandelt, sie steckten Tag und Nacht die Köpfe zusammen, waibelten gemeinsam von beiden Seiten des Dorfes her in der Gemeinde herum für Stimmen, für eine Petition, beschworen Volksgefahr herauf, stellten sich wie Castor und Pollux vor die gefährdete Freiheit, die bedrohte Verfassung, die garantirten Volksrechte, bis der alte Zustand,die alte Willkür und das bisherige Unwesen wieder gerettet waren. Wenn man dann von Neuem ungestört im Trüben fischen konnte, trat Jeder in seine eigne Festung zurück und die alte gegenseitige Feindschaft brannte wieder, vom Neide angefacht, wie nur je.

Hätten umgekehrt für das Gute, das sie doch wollten,Pfarrer und Lehrer so zusammen gehalten, kleinliche Reibungen vermieden, über Andres, das nicht die Sache betraf, weggesehen; wie man sagt, über der Brühe nicht den Braten vergessen und verbrennen lassen, es würde in Kestenhofen sicherlich Vieles anders ausgesehen haben als jetzt, wo eigentlich nur Krämer und Wirth nach Belieben, oder im Namen eines theils schwachen, theils einverstandnen Gemeinderathes das Regiment führten und den Ton angaben.

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XIV Der Sonntag.

Es hatte schon verläutet in der Kirche zu Kestenhofen,aber heute sah's im Hause Gottes noch bedenklich leer aus,vorab in den Reihen der Mannerstühle. Der Gesang war auch dünn, die tiefern Stimmen fehlten, nur die schmetternden,zitterigen Stimmen von ein paar alten Mannen tönten aus dem Chor der Frauen und Mädchen hervor. Es war ein prächtiger Sonntagsmorgen, den hatten Viele benützt, um das Heu draußen zu kehren und es womöglich trocken einzubringen, heute noch, obschon das Wetter beständig und das Wetterglas fortwährend im Steigen war. Habe man es, so habe man es! sagten aber die Bauern. Es war zwar früher auch vorgekommen, daß man am Sonntag geheut oder Garben eingeführt, doch stets nur wenn draußen Heu und Korn schon gelegen und das Wetter im Aendern begriffen; zudem hatte man in diesen Nothfällen immer erst nach der Predigt angefangen und zuerst Gott gegeben was Gottes war. Jetzt ging man über diese Beschränkungen großartig weg: Es sei am Ende ein Tage wie der andre! für beregnetes Heu, das am Werktag geschnitten worden, zahle kein Mensch so viel als für unberegnetes, das des Sonntags eingebracht worden und auch das liebe Vieh fresse es nicht gleich gern. Der Winter sei lang und mancher Regensonntag im Jahr, da könne man nachholen, was man das eine Mal in der Kirche versäumt;zudem sei Heuen nichts Böses und man könne, wenn man wolle, auch an Gott denken dabei und noch besser für das []schöne Heu danken, als wenn man fürchten müsse, es falle Regen und verderbe es! So hatte auch der Lehrer gesprochen und die Leute darüber aufgeklärt, daß Gott ein Tag genau so viel gelte wie der andre und der Sonntag nur für den Menschen zur Erleichterung sei, um auszuruhen von der Anstrengung; das könn' er aber auch an einem andern Tage.Erinnerte dagegen ein altes Mütterlein an das vierte Gebot und daß es bei Regen oder Sonnenschein doch immer auf des Herrn Segen ankomme, der bei der Sache sei, so ward es ausgelacht, laut oder stille, als ein altmodisch Weiblein, das es nicht besser verstünde.

Es gab indeß in Kestenhofen noch Leute, die ganz damit einverstanden waren, daß man am Sonntage nicht arbeite,sondern ihn als Ruhetag betrachte und die doch gleichwol nicht in der Kirche waren. In der hintern Stube im Rößlein saß eine solche Gesellschaft beisammen, hinter Schnapsgläsern die meisten davon. Die Männer saßen da in ihrer vollen Würde, kein Mensch und kein Teufel hatte ihnen etwas zu befehlen, dafür zogen sie die ganze Welt, Könige und Kaiser,um wie viel mehr die eigne Obrigkeit, vor ihren Wirthstisch,sprachen ihr Urtheil über sie mit wichtigen Gesichtern, indem dampften, und zur Bestätigung und Betheuerung, neben den landesüblichen Flüchen und Schwüren, auch mit der Faust auf den Tisch schlugen. Gottesdienst, Ordnung, Gesetz,Sitte, Alles das war nur für Tölpel und dumme Kerle oder alte Weiber da, sie waren viel zu gescheidt, viel zu erfahren und unabhängig, um sich an Dergleichen lange zu kehren und sich dadurch abhalten zu lassen von dem, was []150)]sie gut dünkte, wie Spatzen von einem Kirschbaum durch eine Vogelscheuche.Wo Donners denn auch der Schneider-Andres heute bleibe? fragte der eine, Xaveri; er hab' ihn doch ausdrücklich hieher bestellt, ihm die Sonntagskutte mitzugeben,es sei ihm am Auffahrtstage ein Aermel halb abgerissen worden und über acht Tage müss' er in die Kirche, er lasse taufen!Die Männer lachten über den Hasenfuß von Andres, der immer irgend einen Grund haben wolle, um in's Wirthshaus zu gehen, wie sehr es ihn auch sonst gelüste. Der Rößleinwirth war der Ansicht, daß ihm wol die Frau werde dazwischen gekommen sein und ihn in die Kirche getrieben haben;die drücke ihm den Daumen nicht wenig auf's Auge und sei ein Drache, wie man nicht bald einen zweiten finde! Die Gesellschaft machte sich über den Andres und seine Schneidercourage lustig und der Xaveri, der am nächsten Sonntag wieder wollte taufen lassen, erzählte, wie er seiner Frau ähnliche Mucken ausgetrieben und sie so radikal kurirt habe, daß sie sich's nimmer beifallen lasse, in seine Angelegenheiten sich zu mischen. Der und Jener noch gab eine ähnliche Geschichte zum Besten und daß ihnen ihre Lügen und frechen Reden nicht im Halse stecken blieben, feuchteten sie den fleißig mit Brenz an und tranken darin am Ende die Gesundheit aller Ehemänner, die ihren Weibern zeigten, wer der Meister im Hause sei.Während die Gläser noch klangen, ging die Thüre auf und die Gäste blickten halb erschrocken nach derselben hin,denn sie meinten, daß es der Landjäger sei, der ihnen auf die []57]

Spur gekommen. Aber es war der Schreiberjörgli, so ziemlich das Gegentheil von dem, was ein Landjäger vorstellt,nämlich die rechte, aber schmuzige Hand eines sogenannten Geschäftsmannes in der Stadt und auch selber wieder eine Art Geschäftsmann nebenbei und auf eigne Rechnung. Er kam öfters auf's Land, war überall bekannt wie der böse Pfennig, wer was Unlautres hatte, der berieth und brauchte ihn, aber auch Andre meinten: ein Spitzbub verstehe sich am besten auf Geschäfte, werde gegen sie jedenfalls ausnahmsweise redlich sein! und nahmen ihn. Trotzdem war der Jorgli beständig in Noth und hatte immer Durst, denn wie es Schuhe gibt, die nicht wasserdicht, so gibt es Säckel, die nicht gelddicht sind, nur läuft's bei diesen umgeklehrt nicht hinein, sondern hinaus. Er war mit einem Schweinmetzger hieher gefahren aus der Stadt diesen Morgen früh, fühlte sich ganz zerrüttelt und behauptete, sein leerer Magen schlampe und plampe ihm wie ein losgebundnes Schurzfell im Leibe herum, von einer Wand zur andern. Er befahl darum gleich einen halben Schoppen Schnaps zum Stärken und setzte sich zu den Anwesenden, von denen er die meisten wol kannte.Er begrüßte sie auch als gute Freunde, wenngleich mit einiger Ueberlegenheit und erkundigte sich nach Dem und Jenem,Menschen und Dingen, denn er suchte immer auf dem Neuesten zu sein und wußte von Allem gelegentlich Nutzen zu ziehen.Wo denn aber der Zittlerhans stecke? fragte er, nachdem er sich am Tische umgesehen. Der werde wol weit sein jetzt, erhielt er zur Antwort. „Wie so?“ Da vernahm der Schreiberjörgli, daß der Zittlerhans auf und davon gegangen, über den großen Bach hinüber, und Frau und sechs

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Kinder der Gemeinde am Hals gelassen, die ihm den Vater schon verkostgelden müsse. Er hab's nicht wol mehr anders machen können! meinte ein Zweiter, es sei ihm zu viel geworden, alle Jahr ein Kind und kein Verdienst mehr, seit er seinen letzten Acker verkauft. Halt ein wenig leicht sei er immer gewesen, entgegnete wieder der Erste; aber die Meisten nahmen gegen diesen Partei und redeten dem Zittlerhans das Wort. Es könnten nicht alle Leute Pfarrer oder Kopfhänger sein, man müsse leben und leben lassen! sagte der Wirth und auch der Schreiberjörgli meinte: er hab' ihn manches Mal bedauert; er sei viel zu gemüthlich gewesen, um sich so mit seinem Haus- und Ehkreuz zu schleppen, das ihm allen Muth genommen; vorwärts zu kommen sei ihm unmöglich geworden. Für solche Leute sei Amerika wie gemacht, sie könnten dort drüben von Neuem wieder anfangen und wie sie wollten, die Erfahrung hätten sie. Er werde doch manchmal an ihre Gesellschaft zurückdenken, fiel da der Xaveri ein,gesoffen habe er wie ein Loch, das sei wahr gewesen, und es habe ihm Alles nichts gethan, er sei nur immer fideler geworden.„Hätt's der Thürlipeter, der doch sonst immer zu ihm hielt in Allem, nur auch so gemacht!“ sprach Xaveri's Nebenmann.Was es denn mit dem gegeben? fragte Schreiberjörg;er hab' ihm erst kürzlich eine Fertigung gemacht.Der sei gar ung'fällig gewesen, hieß es. Die Ung'fälligkeit aber hatte darin bestanden, daß der Thürlipeter Waisengut veruntreut und die Rechnungen gefälscht. Es wurde nun

Mever-Merian. Maxeili.

94 [58]*von Einigen behauptet, von Betrügenwollen sei eigentlich keine Rede, der ung'fällige Thürlipeter hätte gewiß jeden Rappen wieder ersetzt, wenn man ihm nur Zeit gelassen und nicht so unvermuthet mit der Abrechnung in's Haus gefallen wäre,das aber hab' ihn übernommen. Und der Schreiber bestätigte,ja, er sei sonst der beste Kerl von der Welt gewesen und treu wie Gold gegen seine Freunde, keinem Kinde hätte er etwas abschlagen können, zweimal habe der Peter für ihn vor Gericht Zeugniß abgelegt, aus Gefälligleit, auf sein bloßes Wort hin;es sei natürlich so gewesen und nur der Form wegen habe es Zeugen gebraucht. Nichts sei vollklommen in der Welt und jeder Mensch habe seine Fehler! meinte der Wirth und darin kamen am Ende Alle überein. Zugleich sprachen sie die Hoffnung aus, das Gericht werde ein Einsehen thun, mit diesem und jenem Richter könne man noch sprechen, gehe dann schließlich von der Strafzeit ein Drittel, wie üblich, durch Begnadigung ab, so werde es so gar schlimm nicht ausfallen.Wahrend dieser menschenfreundlichen Gespräche und den Schoppen und halben Schoppen, die sie im Gange erhielten,wie der Mühlbach das Rad, war die Kirche zu Ende gegangen und die Leute kehrten allmälig wieder in ihre Häuser zurück. Etliche derselben, die nun ihre Schuldigkeit gethan,kamen auch in's Rößlein, und als sie in die Wirthsstube traten und da schon Alles in vollem Gange fanden,frugen sie halb lachend, halb vorwurfsvoll: , So! so! sitzt ihr hier?“„Es ist da kühler als in der Kirche,“ antwortete Xaveri, , und es kann doch ein Jeder schwatzen und nicht [63] nur Einer, der einem obendrein nur wüst sagt!“ Ein helles Gelächter folgte hierauf und auch Die stimmten wenigstens halb mit ein, die eben erst angelangt. Es war übrigens auffallend, daß diese heute Wein bestellten und keinen Schnaps,wie sonst üblich, überhaupt ein wenig kleinlaut schienen. Das Gespräche wollte nicht so recht wieder in Fluß kommen, die Stimmen der alten und der neuen Gäste nicht gut zusammen klingen, als wären die einen zu hoch, die andern zu tief gestimmt. Es war darum gut, daß die Thüre wieder aufging und der Schneider-Andres als eine Art Sündenbock hereintrat,mit einem Gesichte, darin ein bischen Courage auf großmächtiger Verlegenheit saß, nicht anders wie ein Affe auf einem Kameel so possirlich, daß es Jeden ob dem verzwackten Aussehen lächern mußte.

„Du bist mir ein Mann von Wort!“ rief ihm der Xaveri entgegen.„Bin ich denn nicht da? zeig', wo hast du deine Kutte,“ antwortete Andres und als wollte er ablenken, untersuchte er den Schaden an dem dargereichten Kleide.„Ja, ja, du bist da, aber hast mich eine geschlagne Stunde warten lassen!“ fuhr Xaveri fort.

Andres wollte nur die bestellte Arbeit nehmen und gleich wieder fortgehen; am liebsten wäre er gar nicht in's Wirthshaus gegangen heute, aber er hatte dem Laveri dort das Stelldichein gegeben, es betraf das Geschäft und es ging in diesem so nicht zu glänzend, um noch eine Bestellung zu verabsäumen und vielleicht gar einen Kunden zu verlieren. Indeß hatte er sich in der Kirche während der Predigt heilig vorge

14*[164] nommen, keinen Tropfen zu trinken. So leicht ging dieß jedoch nicht, denn seine guten Freunde, die schon lange dasaßen,forderten ihn auf, Bescheid zu thun und einer hielt ihm das Glas hin. Der Schnapsduft stieg dem Andres verführerisch in die Nase, er nahm mit derselben einen langen Zug, während ihm sein Gelübde wieder in den Sinn kam und ihm den Kopf schüttelte, denn den Mund aufthun so in der Nähe des Brenzes und sagen, nein, er wolle nicht! Das wäre doch zu viel gewesen für einen Schneider-Andres.

„Hast du die Predigt noch im Leibe und versperrt dir die den Platz?“ spottete Einer. „Laßt ihn!“ wehrte ein Andrer, „die Frau hat's ihm verboten, wir wollen ihn nicht ungehorsam machen, sonst wenn er ihr daheim in's Gesicht hauchen muß und sie riecht Unrath, gibt's ihm dann noch eine Predigt, und zwei Predigten auf einen Sitz wären doch fast zu viel für ihn!“Diese Worte und das Gelächter drauf und die spöttischen Blicke alle, die auf ihn fielen, bissen Andres: so sei's just nicht! behauptete er, es habe ihm Niemand zu befehlen,bisher sei er noch immer der Herr und Meister im Hause gewesen.„Ja, wenn die Lisbeth nicht daheim war!“ fuhr ihm Einer hetzend dazwischen. Der Wirth mischte sich auch drein und erzählte von Einem, dem seine Frau des Nachts immer die Hosen genommen, den Sack umgestülpt und das Geld drin nachgezählt, wie viel fehle und wie manchen Schoppen er den Tag über getrunken. Obwol dieß nicht von Andres gesagt war, so schien es diesem doch, die Augen der Gäste []18**a.sähen ihn darauf an und das jagte ihm so rasch und heftig das Blut in den Kopf, daß es sein Gelübde, heute nichts zu trinken, weit, weit hinwegspülte. Er wollte seine Ehre retten und aller Welt zeigen, daß er ein unabhängiger Mann sei und sich vor dem Nachzählen nicht zu fürchten habe. „He nun, so bring mir denn einen halben Schoppen!“ rief er dem Wirthe zu und ehe er zur Besinnung kam, stand der halbe Schoppen da und war ein herzhafter Schluck den Hals hinunter. Man stieß zusammen an und da Andres nichts gerne nur halb machte, so folgte dem halben Schöpplein bald die andre Hälfte nach. Während dem Trinken fagte nun der Xaveri zu dem Schneider: „Du hast scheint's heute wieder einmal einen Anlauf genommen, und bei Gott! du bist schon halb belehrt gewesen! Die Andern sind auch wie verscheuchte Hühner und saufen am hellen Morgen sauren Wein, was hat denn der Pfaffe heute mit euch gehabt?“

„Was wird's gewesen sein?“ fiel ein junger Bursche dazwischen, „er wird wieder einmal eine Schnapspredigt gehalten und ihnen einen Bittern eingeschenkt haben!“ und lachte selber zu seinem Witze. Andres, der sich inzwischen gehörig gestärkt, antwortete, er hätte wenigstens genug für ein paar Sonntage jetzt, und ein andrer der Kirchgänger, der bisher Wein getrunken, rief nun auch nach einem Gläslein Brenz: der Pfarrer habe heute so viel vom Schnaps gesprochen, daß er nur vom Zuhören einen ganz trocknen Hals bekommen.„Aber was geht ihr Narren denn zu dem Pfaffen hin und laßt euch ausschelten von ihm?“ fragte der Schreiberjörg; „in der Stadt gehn nur noch Pietisten und Duck[186] mäuser und Aristokraten in die Kirche, aber einem rechten Kerl fällt's gar nicht mehr ein, den Unsinn anzuhören!“Diese Rede lag doch nicht Allen recht, einige der Gäste stutzten und meinten: es komme drauf an, wie's der Brauch sei; auf dem Lande gehe man noch in die Kirche. Und Andre:sie gingen schon auch, aber das ewige Schimpfen und Verdammen sei ihnen verleidet, der Pfarrer sei da, um Liebe und Versöhnung zu predigen und die Leute zu trösten, nicht ihnen die Hölle heiß zu machen und Zwiespalt zu stiften, wie es geschehe! Diesen stimmte auch der Wirth bei: ihrem (Pfarrer)wenigstens sei es nicht wohl, wenn er nicht schimpfen und Alles gegen einander hetzen könne und dazu sei ihm Alles gut.Jetzt, wo es nichts Andres gebe, müsse der Branntwein herhalten, der müsse an allem Unglück und allem Bösen in der Welt schuld sein und ihre Väter und Großväter hätten doch auch getrunken, auf welche die Geistlichen sich sonst immer beriefen. „Das sind Dummheiten, Lügen (fiel Schreiberjörg ein), um das Volk drunten zu halten; ein berühmter Naturforscher hat mir's explicirt, wie es sich mit dem Schnapse verhalte. Was wirksam darin, das ist der Weingeist, der eben so gut auch im Weine vorhanden ist, den die Herren, welche so eifrig gegen den Brenz reden, selber und reichlich sich zu Gemüthe führen. Es wird also nichts so besonders Schädliches sein um den Brenz; nur ist er wohlfeiler als der Wein,namentlich als der gute, und die Pfaffen und Aristokraten gönnen dem Volke die Freude nicht, das ist die ganze Schãdlichkeit, weil es daun aufgeweckt wird und sich nicht mehr wie ein dummes Schaf leiten und scheeren läßt. Und die sogenannten gemeinnützigen Vereine, an denen man heute den

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Narren gefressen, und die Mäßigkeitsvereine und das Zeug,die laufen alle darauf hinaus und sind nur verkappte Werkzeuge der Pfaffen!“Der Wirth war hiemit einverstanden und nahm sich als Volksfreund besonders des gemeinen Mannes an: „So reiche Herren, die nur befehlen können, Tischlein deck dich! und Gold mit Löffeln fressen,“ sagte er, „und die schwarzen Kutten auf ihren feisten Pfründen, die das Volk bezahlt,haben lange gut predigen und einem armen Teufel, der Jahr aus Jahr ein sich schinden und zerarbeiten muß, sein Gläslein Brenz zu verbieten und das Bischen Freude zu verketzern!Hätte der gemeine Mann daheim Lehnstühle und Kanapee und unterm Hause einen Keller voll der besten Jahrgänge, er würde sich auch damit begnügen, so gut als die weltlichen und geistlichen Herren, auch wenn man ihm nicht noch aparte geschenkte Metzgeten in's Haus brächte; so aber muß er seine Erholung und Zerstreuung anderswo suchen und dafür sind eben die Wirthshäuser da, über welche die Volksfeinde so losziehen, aus purer Mißgunst gegen das Volk! Allein wir haben Gewerbefreiheit und es ist nicht mehr die Zeit der Vögte, die Leute sind keine Kinder mehr, jeder weiß selber am besten, was ihm gut ist und was nicht!“ Andres nickte ihm zu.Es habe ihn auch schon gewundert, sagte Xaveri, warum denn der Pfarrer bleibe, wenn's ihm nicht gefalle und hier so schlecht sei? es heiße ihn doch niemand, und gebe noch genug Andre, die die Finger darnach leckten, Pfarrer in dem sündhaftigen Kestenhofen zu sein!

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„Uebrigens ist man nicht mit ihm verheirathet,“ sprach der Wirth dazwischen, „und man könnte ihm zeigen,wer der Meister ist im Lande bei Gelegenheit, es wäͤre nicht das erste Mal.“

Der Wirth und der Laveri und der Schreiberjörg führten das Gespräch noch lange in dieser Tonart fort, nur immer schärfer, daß dem Pfarrer und der Regierung und den sogenannten wohlthätigen Leuten die Ohren läuten mußten. Dabei rissen sie die Halblauten, wie einen Schneider-Andres,mit sich in das Feuer, die Halbstillen aber wagten vollends nicht mehr den Mund aufzuthun.

So ging's am Sonntag-Morgen im Rößlein zu Kestenhofen. Gegen Mittag wurde es darin wol wieder ziemlich leer, doch nur um nachher noch voller zu werden, denn Nachmittags da strömte es von allen Seiten herbei, da ward kein Hehl mehr daraus gemacht, es schien im Gegentheil, die Leute hätten es für eine Schande angesehen, wenn sie nicht in's Wirthshaus gegangen wären. Ja, allmälig ward es nicht anders als das Rößlein wachse und wachse, in alle Gassen und in die Baumgärten, ja über das Dorf selber hinaus,dem lauten Leben und Treiben nach zu schließen, das sich allenthalben erhob, als wäre ganz Kestenhofen ein Wirthshaus und die Gassen und Gäßchen, die Plätze hinter und vor den Häusern nur die Gänge, Lauben und Vorräume dazu.

Durch das schöne Wetter waren auch viele Gäste aus der Stadt herausgelockt worden, die, der schönen Umgebung und dem guten Rufe des Rößleins zu gefallen, gerne den kleinen Abstecher von der Eisenbahnstelle bis nach dem Dorfe gewagt.Im Bahnhofsaale der Stadt war ein Gedränge zum Er[169] sticken gewesen, man hatte sich in die Wagen gestürzt, war,ohne ein Bein recht zu rühren, das Land hinauf geschnurrt mit dem schweren Stadtblut in den Lungen und dem vollen Magen noch vom Mittagessen her, welchen nun die steifen Beine nicht mehr gerne tragen mochten nach der Fluh hinan ob Kestenhofen, oder nur auf das, Waidlein,“ sondern gar froh waren, wenn sie ihn von der Station durch das Wäldchen die paar tausend Schritte bis nach dem Dorfe gefergt und da absetzen konnten auf dem Rücken des, Rößleins“.Denn einen lustigen Tag wollte man heute haben, genießen,trotz dem noch gefüllten Bauche, und so blieb man eben lieber im Dorfe, setzte sich im Rößlein hinter den Tisch, auszuruhen vom Eisenbahnfahren und das Mittagessen anzufeuchten mit einem Schlucke reellen Weines, damit es besser rutsche, sich zusammenlasse; es hatte dann daneben noch ein geräuchertes Zünglein, oder ein Fischlein Platz. Und es waren nicht nur feiste Bürger, vermögliche Leute, denen es nicht drauf ankam,welche so dachten und handelten: Mancher, der seinen Batzen sauer verdiente, vielleicht gar Solche mit starker Familie, bei denen es knapp zuging, saßen hinter Flaschen und Tellern,die sie noch wechseln ließen. Sie waren alle mit der Eisenbahn hergekommen, es war ja billig, man kam so schnell weit und ersparte an den Schuhen die Kosten. Wenn man aber wie Herrschaften fuhr, wollte man auch wie Herrschaften leben, da that's das Schöpplein und das batzige Stücklein Käse von ehedem nicht mehr, man hatte auch viel zu viel übrige Zeit im Wirthshause zu versitzen, um nicht ein Beinlein zum Nagen oder etwas mit Gräten zu bestellen und zum ersten Schöpplein ein zweites, drittes und viertes noch zu befehlen;[170] fuhr ja der letzte Zug erst später wieder zurück und in einem halben Stündlein war man an der Haltstelle.

In den obern Zimmern des Rößleins, auf dem Altane hinten nach dem Misthaufen hinaus und rund um das Wirthshaus herum im Freien, wimmelte es von Stadtleuten, die saßen, tranken, disputirten und mit Messer und Gabel klapperten, zwischenein an halbleere Flaschen und Gläser schlugen. Das Rufen und Sprechen und Lachen, das Tellerklappern und Gläserklingen, und was für Töne sonst noch dazu kamen, das Alles zusammen war von weitem anzuhören wie das Summen eines stoßenden Bienenschwarmes. In der Nähe klang's freilich massiver, besonders wenn etwa noch ein getretner Hund seinen Beitrag lieferte. Und wer da und dort noch auf die Reden gemerkt hätte, dem würde es vielleicht noch massiver vorgekommen sein, trotz den Seidenhüten, den goldnen Ketten und Stegreifhosen. Einzelnes zu hören war aber schwer, blos aus den Blicken und Geberden, die oft sehr unzweideutig waren, auch wenn sie zweideutig gewesen wäͤren,ließ sich Dieß und Das errathen. Es fehlte an Platz, wenigstens an Stühlen und Bäͤnken, enge großgeecksteinte Höslein,aus denen glanzlederne Schuhe guckten, saßen gern oder ungern auf unsaubern Stoßkarren, die man herbeigeschleppt und babvylonische Weiberröcke bauschten sich verkleinernd über umgestürzte Wasserfässer. Dazwischen schossen Aufwärter und Mägde durch das Gedränge, wie eine Blutsreinigung durch Eingeweide, die darin auch überall sucht und angreift. Von allen Seiten und Tischen wurde ihnen gerufen, erhielten sie Bestellungen, bitt- oder scheltweise, geduldige und ungeduldige Mahnungen, je nach dem Temperament und der Dauer des

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Wartens. Ueberall versprachen diese dienstbaren Geister und vergaßen es wieder, sagten Jedem, gleich!“, waren in fürchterlichem Eifer, schwitzten faustdicke Tropfen, stießen und begossen die Gäste erbarmungslos, so gut und viel wie nur je an einer Kirchweih der Fall gewesen.

In der ordinären Wirthsstube unten, drin das Landvolk saß, ging's jedenfalls nicht lauter, indeß auch nicht gar viel stiller zu. Derbe Fäuste schlugen auf den Tisch, die Stimmen klangen rauher und wurde nur von Wenigen Schnaps und sonst geringrer Wein getrunken, so war doch mancher Schoppen über den Durst hinaus, und Viele behaupten, an sauerm Wein trinke man sich einen bösern Rausch als an gutem. Pochen und Brüullen, selbst Händel fehlten auch hier nicht und wer gerade in der rechten Mitte gestanden wäre, dem möchte es schwer gefallen sein zu entscheiden, wer am ärgsten und wüstesten that, Herren oder Bauersleute. Wenn man nur so in die Stube hineinsah, dann mußte es einem überhaupt vorkommen, die Landleute hätten da und dort ein Stück von den Stadtleuten entlehnt, wüßten aber noch nicht recht es zu brauchen. Elbe wollne Kutten bemerkte man fast keine mehr,sogar von den neuern grünen waren nicht so gar viele zu entdecken, noch seltner waren die hohen steifen Hemdkrägen und tief und glatt über die Stirn herabgekämmte Haare; nur bei ein paar alten Mannen, die zu den Stillen gehörten, kam derlei noch vor. Schwere silberne Uhrketten, mit einem alten Fünfbätzner dran und das große silberne Herz mit der Kuh auf der Nadel, welche das Hemde mit dem schwarzen Halstuche zusammenhielt, suchte man ebenfalls lange vergebens,man traf häufiger auf gefältelte Vorhemdchen mit katzengoldnen

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Knöpfchen drin, auf Uhrkettchen, die Gold bedeuteten, aber Grünspan zogen. Die meisten der jungen Bursche trugen neumodische Tuchröcke, für einen Bauern zu fein, für Herren aber zu abgenutzt und zu schlecht angepaßt obendrein, hier zu knapp, dort zu puffig und einen viereckigen struppigen Kopf darüber mit groben Zügen, im breiten Manle eine halbzerkaute dünne Cigarre. Hiezu paßten prächtig baumwollne Hosen mit grellen Farben, vertrackten Mustern, an deren Mündungen ein Paar schwere breite Füße in ledernen Rheinwaidlingen vor Anker lagen. Mehr als einer der Gäste dieser untern Stube sah nicht anders aus, als wollte ihm ein halber Herr aus einem halben Bauern kriechen und kriege die Schale nicht los, weil er noch nicht ganz reif war.

Niemand indeß war zufriedner als der Rößleinwirth und eine eigne Beweglichkeit hatte den schweren Mann übernommen. Sein dickes Gesicht glänzte wie der Vollmond glänzen würde, wenn man ihn noch extra mit Speck einriebe; die Freude über den prächtigen Sonntag wackelte leibhaftig auf seinem Doppelkinn und den kugelrunden Backen; durch die halbschuhdicke Speckschicht hindurch sah man deutlich, wie sein Herz in der Brust heute getheilt war zwischen den Stadtleuten draußen und der Bauernstube drinnen, trotz seiner Freisinnigkeit und seinem Patriotismus. Es fiel ihm nicht im mindesten schwer, auf die aristokratischen Fünfliverthaler die volksthümlichen Batzen und Zweibatzenstücke, die er von seinen Landsleuten eingesteckt, wieder herauszugeben. Selbst eigne Fehler und Irrthümer gestand er heute lächelnd ein in seiner Liebenswürdigkeit und bekannte, daß er sich lange nicht genug vorgesehen. Nicht nur die Forellen waren ihm ausgegangen, sondern [173] selbst mit Flaschen und Gläsern kam er zeitweise in Verlegenheit, obschon erstre in Bataillonen, letztre regimentweise in Reih und Glied auf den Schenktischen und Schäften des Glaskastens gestanden und schon wiederholt in's Gefecht waren geführt worden.

Je mehr es gegen Abend ging, um so lärmiger wurde es,und nicht blos auf der Kegelbahn hinten, wo die Bauernbursche warfen und tranken. Mehr als Einer, der noch ziemlich fest gesessen, wankte, wenn er aufstand, die Stimmen wurden rauher und lauter, die Gesänge brüllender und mit dem Texte nahm man's auch nicht mehr so genau. Während hier eine besondre Zärtlichkeit sich entwickelte, wollten dort junge Bursche einander beweisen, was für famose Kerle sie feien,Herkulese zum mindesten und dieß geschah nicht blos in Worten,sondern auch thatsächlich. Ueberhaupt wurde heftig mit Händen und Ellbogen geredet, die bei aller Schwere doch noch leichter schienen als die Zungen. Allein dabei stießen die guten Freunde nicht nur sich selber oft unsanft, sie belästigten eben so sehr, und noch mehr, auch die Sitzenden, warfen Geschirr um, daß es von zerbrochnen Gläsern klirrte, Streit sich erhob, Geschrei und Fluchen. Flattrige weite Aermel und wahre Zeugläden von Weiberröcken rauschten darob scheu und erschrocken auf, Stimmen kreischten wie von Hühnern, die der Marder überfallen. Heldenhafte Begleiter zeigten ihre Courage durch Fluchen und Schimpfen, Alles, bis an einem andern Punkte ein neuer, womöglich noch größrer Lärm entstand. Indeß die gesteigerte Unruhe hatte auch zur Folge,daß aus der bewegten Masse einzelne Gruppen sich lösten, die es nicht mehr ruhig sitzen ließ, und diese lärmend durch das

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Dorf zogen, schwankend Arm in Arm brüllten oder mit den Mädchen anbanden, die beisammen standen da und dort, auf Plätzen und vor den Häusern und dazu lachten, selbst zu faustdicken Zweideutigkeiten, womöglich auch keck drauf antworteten. Daß auch hier die Hände dann und wann die Zunge ersetzten, das bezeugte mehr als ein lustiges Geschrei und manche Gegenwehr, bei der die Angegriffnen den Mund fast nicht zubrachten vor Vergnügen und man's den Dirnen ansah, wie schwer sie die Flucht ankam und wie leicht sie's den Verfolgern machten. So war's am Sonntag Nachmittag in Kestenhofen.

XV.Der Besuch daheim.Am selben Sonntage war Mareili Morgens früh schon auf den Beinen; aber man hätte es weder im Hofe noch in der Küche, weder im Stalle noch im Krautgarten gefunden,wo es doch sonst gewöhnlich anzutreffen war. Es stand in seinem Kämmerlein, halb angezogen mit dem Besten was es besaß, vor dem geöffneten Kasten, der seinen Reichthum verschloß. Mit eignen Augen sah es sein gutes neues Hemde,die weißen Strümpfe, den Sonntagsrock an, die es für seine Arbeit von der Meistersfrau geschenkt bekommen zu Meß oder Nenjahr. Andre Augen hätten zwar an dem einfachen,mehr groben und soliden, als schmuckoollen Sonntagsstaate []1*nichts Besonderes entdeckt, dem Mädchen indeß schien jeder Faden daran eine Bedeutung zu haben und zwar eine wichtige,es bildete sich etwas darauf ein. Dieser Stolz ist nicht zu verwechseln mit der Eitelkeit, die Flitterzeug und hoffärtigen Putz um sich hängt, gerade um das Nichts, die Erbärmlichkeit und Armuth zu verdecken und zu verstecken. Jener Stolz hing bei Mareili vielmehr mit dem Gefühle zusammen, daß es etwas geworden war, etwas leistete auf der Welt und auch seine Erscheinung sollte davon Zeugniß geben, das Aeußre mit dem Innern in Uebereinstimmung stehen. Es dämmert durch solchen Stolz das stärkende Bewußtsein, daß die Niedrigen auch als Magd, als Knecht etwas Rechtes sind, etwas Nothwendiges, daß ihr Schweiß und ihre Schwielen ein Haus mit seiner ganzen Bedeutung, seinem Segen, halten, bauen helfen, daß sie mit in den Plan desselben gehören, wenn sie gleich nicht der Eckstein sind. Darum tritt ein rechter Knecht,eine brave Magd mit ganz anderm Selbstgefühl auf, wenn auch mit weniger Anmaßung, in ihrem wahrhaften, einfachen Sonntagsstaate, dem groben weißen Hemde, den starken Lederschuhen, dem leinenen und halbleinenen Kleide, als so ein Dirnchen, das in keinem Dienste je erwarmt, das wol einen Liebsten hat und ein gesticktes Chemisettchen, ein flattrig Baumwollenröcklein mit ein paar himmelschreienden Bändern,sonst aber nichts Saubres noch Ganzes. Mareili aber hatte die Erlaubniß erhalten, diesen Sonntag zu einem Besuche bei seinen Eltern in Lümpischwyl zu verwenden. Vrene könne es heute allein machen, fand die Bäuerin, und wenn es bis Abends fortbleiben möge, habe sie nichts dagegen, den Kaffee wolle sie ihm an die Wärme stellen! In Mareili's

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Dank für diese Erlaubniß lag indeß fast mehr Trutz als heitre Freudigkeit, denn noch immer nicht war es in seinem Herzen versöhnt mit dem Letthofe, noch immer wurmte es der Gedanke heimlich, daß es gezwungen hieher gebracht worden und hier verweile, getrennt von den Seinen, denen es von Gottesund Rechtswegen doch zugehöre. War es auch fleißig und ordentlich geworden, zutraulich war es darum noch nicht und wie oft ihm das Herz aufgehen wollte, wenn die Freundlichkeit der Bäuerin so sonnenwarm drauf schien, immer wieder kam die finstre Wolke des heimlichen Aergers über den Zwang,den es erfahren, die Gewalt, die es festhielt und überschattete D scheinen, der es sich innerlich wenigstens um so hartnäckiger widersetzte, je fügsamer es äußerlich sich zu betragen gelernt hatte. Es nahm darum auch jetzt die Erlaubniß eines Besuches nur als geringe Abschlagszahlung an für eine lange Schuld. Es sei Zeit, daß man es endlich einmal heim lasse und ein Tag sei nicht zu viel! so rechtete Mareili innerlich, es erspare der Bäuerin eine Magd; arbeite man Jahr aus Jahr ein, so verdiene man auch etwas, abgesehen oon Dem, was sonst noch gut zu machen wäre!

Auch die Schnitze, das Brot und den Kase, welche die Meisterin ihm in ein Säcklein packte und mitgab, theils zur eignen Zehrung den Tag über, theils um den Seinen etwas zu kramen beim Besuche, sah es mit gleichen Augen an und nahm sie mit gleichem Sinne, das heißt ohne Dank und Liebe,nicht als Geschenk, sondern als Schuldigkeit, wenigstens halbe.

Mit so widerstreitenden Gefühlen, dem Selbstgefühl nämlich, etwas geworden zu sein und dem Trotz und Unmuth [177] gegen die Gewalt, welche dazu erforderlich gewesen, schritt Mareili nun Morgens früh schon über den Hof in den quiekenden neuen Schuhen, mit dem mächtigen Regenschirm und dem dicken wollnen Halstuche, ungeachtet des bestãändigen Heuwetters und der Sonnenhitze. Denn wie solide Bürger,wenn sie an Ehr- und Freudetagen die Nachbarn und Freunde zu Gaste einluden, ihre Schränke aufschlossen und das schwere Silbergeschirr daraus langten und aufstellten zum Zeichen ihres mit Gott und Ehren erworbnen Wohlstandes, so wollte heute auch Mareili auftreten mit dem Abzeichen Dessen, was es verdient, mit Dem, was seine Schätze waren und sie daheim zeigen, wo es barfuß, in Fetzen und ungekämmt, einst als das Geringste der Bettelfamilie gegolten. Der Rinki fiel ihm dießmal nicht in die Beine, packte es nicht am Rocke fest. Er hatte jetzt gegen seine Entfernung nichts einzuwenden, ruhig blieb er in der Sonne liegen und sah, ohne den

Kopf zu bewegen, dem Mädchen mit einem Auge nach, damit es nicht etwa meine, er bemerke es nicht. Und auch die alte

Vren hãätte selbst mit etwas viel Zarterem als einem Strohwische heute an Mareili's frischem Gesichte kein Flecklein wegzuwaschen gefunden.

Es leichterte dem Mädchen und wallte in seinem Herzen freudig auf, als es nach einer Weile sich umkehrte und den Letthof schon in ziemlicher Entfernung hinter sich sah. Ein halbvergessenes Gefühl der frühern Ungebundenheit und Freiheit überkam es, eine heimliche Lust, seinem Gefängniß entsprungen zu sein, ja, ein leiser Kitzel, die gute Gelegenheit zu benützen und nimmer wiederzukehren, wandelten es wenigstens auf Augenblicke und dunkel an. Aber die freie, offne

Meyer-Merian, Mareili.

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Welt lag auch so heiter lockend vor ihm: die Vögel schienen ihm zuzujubeln und Glück zu wünschen, die Grillen zu musiciren auf dem Spaziergange, Sommervögel und Mücklein ihm den Weg zeigen, es locken zu wollen in die blumigen Felder oder auf die hellgrünen Matten, wie die, theils schon abgemäht, mit ihren kurzgeschornen Rasen hie und da am Wege sich hinstreckten. Ein lustiger frischer Morgenwind wehte von der Höhe herab und milderte den heißen Sonnenschein, überall schien's zu leben, zu schwellen, sich zu regen,im Gesteine gar, daß auch in Mareili's junges Herz eine lange nicht mehr so gefühlte Freudigkeit einzog und das rascher und wärmer schlagen machte. Der Drang der erregten Empfindungen flutete aber nach Lümpischwyl hinüber zu den Seinen, den leichten Füßen voran, mit denen es rüstig den Weg über die Höhe hin verfolgte. Es labte sich unterwegs an der Freude des Wiedersehens und besonders auf das junge Brüderlein freute es sich und hatte ihm auch einen Weck gekauft, extra. Aber auch an Vater und Mutter hatte es noch nie so gehangen wie jetzt, wie malte es sich das Wiedersehen aus und das frohe Erstaunen, das herzliche Entzücken der armen Leute, wenn sie nun ihr Mädchen in solchem Staate,DV0 es nichts angerührt, auspacken und die Schätze drin schenken konnte! Lange hatte es Niemand von daheim gesehen und nichts von ihnen gehört. Einmal nur hatte die Mutter Mareili auf dem Hofe besucht und bei ihm gebettelt, der Bauer aber darauf verboten, daß sie oder ein Andres der Familie wiederkomme: er begehre nicht, daß wieder verderbt werde, was man mit Müh und Noth gut gemacht! Wo aber [74] der Letthofbauer Jemanden nicht auf dem Hofe wollte, da war's als hätte das der Rinki sofort verstanden und kein Zugang wax so heimlich, kein Winkelchen in der Umgebung so verborgen, das wachbare Thier witterte alles Verdãchtige sogleich heraus und vereitelte jedes Heranschleichen hinter des Meisters Rücken. Mareili hatte das Verbot zwar hart und ungerecht gefunden, sein Respelt vor dem Alten hatte sich indeß schon so fest angesetzt, daß es nicht widerstrebte. Um so größer aber war nun die Freude, daß es selber heute einen Besuch daheim abstatten konnte.

Mit solchen Gedanken und in dieser Stimmung langte Mareili in Lümpischwyl an und suchte die Wohnung der Eltern auf. Der Empfang indeß und schon der Eintritt trugen wenig dazu bei, diese innere freudige Bewegung zu vermehren. Noch nie waren ihm Unordnung, Unreinlichkeit und Elend so aufgefallen wie heute, aus jedem Winkel, von den Wänden, dem Boden, jedem Geräthe und jedem Kleidungsstücke schienen sie ihm entgegen zu starren. Früher war es wenig anders und kaum besser gewesen, aber es war ihm nicht aufgefallen, heute lehnte sich etwas in ihm dagegen auf.Die Mutter und der älteste Bruder waren allein zu Hause,mit Ueberraschung wol sahen sie Mareili eintreten, aber nicht mit freudiger. „Sieht man dich auch wieder?“ fragte inr Tone des Vorwurfs die Mutter, ,ich habe geglaubt, du seist gestorben oder hundert Stunden weit gegangen!“ Kalt und mißtrauisch glotzte es der Bube an und seine frechen Augen blieben auf dem gefüllten Säcklein kleben, welches das Mädchen auf die Bank abgestellt. Mareili's Herz war indeß zu voll und warm, um durch diesen Empfang zurückgeschreckt

12*[1480] zu werden, es überwand das unangenehme Gefühl, das es wie ein leichter Schauer überlief, bot Mutter und Bruder freundlich die Hand, welche diese frostig und schlaff annahmen. Als es nach dem kleinen Brüderchen und dem Vater fragte, schien die Frau etwas verlegen zu werden, doch faßte sie sich und sagte, das Büblein habe ausgehen müssen, einen Auftrag auszurichten in der Nachbarschaft, der Vater aber sei schon seit einem Monat im Spital, sie hätten ihn nicht mehr können daheim behalten, er sei gar zu unreinlich geworden.Am hellen Tage habe er dabei oft Narrheiten geschwatzt und getrieben, was zwar noch zu ertragen gewesen sei, bis er dann auch zwischenein zu toben angefangen und Alles zerschlagen;da habe ihn die Gemeinde versorgen müssen!

Mareili erschrak, das Gespräch wollte nicht recht in Gang kommen, etwas Fremdes schien sich zwischen Mutter und Tochter zu legen, wie schon äußerlich die saubre, wohlgekleidete Gestalt des Mädchens gegen den Schmuz und die Nachlässigkeit der Bettelfrau auffallend abstach. Während der gezwungnen Unterhaltung bemerkte Mareili, wie der Bruder sich an den Sack gemacht und heimlich die Nath dran aufgetrennt und mit der Hand in die Oeffnung hineingelangt. Es brachte es nicht über's Herz, zu verstehen zu geben, daß es den Diebstahl bemerkte, doch nahm es den Sack, öffnete ihn und leerte den Inhalt als Kram vor der Mutter aus. Ein Schein von Freude oder Rührung schien über deren Gesicht hinzugleiten beim Anblick der Schätze: „Ich hätte nicht geglaubt, daß du noch an uns dächtest!“ rief sie, , sondern gemeint, du würdest dich unser schämen!“ Mareili verwahrte sich hiegegen und die Thränen traten ihm in die Augen. Des []t1

Toni Frau, die mehrmals an's Fenster getreten und durch die wenigen trüben Scheiben, welche neben den mit Lumpen zugestopften noch vorhanden waren, auf die Matten hinter dem Hause ausgeschaut, verließ nun auf einmal hastig die Kammer. Das Mädchen sah ihr nach und bemerkte, wie sie einem kleinen halbnackten Büblein entgegeneilte und es hinter einen Schopf winkte, indem sie den Kleinen, der sprechen wollte, zu schweigen bedeutete. Es sah ferner, wie in dem vermeintlichen Verstecke das Kind ein paar Eier aus seinen Lumpen hervorzog und der Alten einhändigte, die diese hastig zu verbergen suchte, dabei aber dem Büblein Vorwürfe zu machen schien, wahrscheinlich weil er nur so wenige gebracht. Mareili fuhr ein Stich durch's Herz, das Büblein war sein geliebtes Brüderlein und es verstand es von Alters her nur zu gut, um nicht zu wissen, woher der Kleine die Eier habe. Unbedenklich war es selber einst in die Ställe und Hühnerhöfe der Nachbarn gekrochen, Eier auszunehmen, jetzt,da es das Brüderchen desselben Weges kommen sah, erschrak es in seinem Innern und als nachher die Mutter mit ein zuhalten, war es diesem unmöglich, von dem Gestohlenen etwas zu genießen, es zog ihm den Hals zusammen, als würgte es einen Kannenbirnenschnitz hinunter. Als es mit dem Kleinen einen Augenblick allein war, sagte es zu ihm:„Hör' Jakobli, stiehl nichts mehr, ich bring dir dann das nächste Mal einen Lebkuchen mit.“ Jakobli machte ein betrübtes Gesicht und sprach: „Ja, aber die Mutter heißt es mich und ich kriege Schläge, wenn ich nichts heimbringe.“ Das Mädchen verstummte hierauf. Auch Schnaps wurde Mareili [122] angeboten und als es ihn ausschlug, sagte die Mutter: „Du bist verschleckt geworden, wie's scheint; ist er auch nicht vom feinsten, so ist er doch kräftig genug.“ Damit schüttete sie sich eine halbzerbrochne Tasse voll, rief auch den kleinern Knaben herbei und gab ihm von dem Branntwein zu trinken und als das Kind das Gesicht verzog, ihm die Augen überliefen und es sich schüttelte, schalt sie es aus, „es solle doch nicht so einfältig thun!“ Der ältre Bube machte schon weniger Umstände, er setzte den Krug selber an den Mund und trank in Zügen, als ob Brunnenwasser drin wäre. Dabei begann der Bursche lästerliche und unfläthige Reden zu führen mit einer Frechheit und Schamlosigkeit vor Mutter und Schwester, daß letztre es ihm wehren mußte. Der Junge aber ließ sich nichts sagen, er lachte über Mareili's Vorstellungen und fragte höhnisch, ob es eine Stündlerin geworden sei? sonst brauche es nicht halb so zimperlich zu thun, er habe die Redensart von ihm gelernt, als es noch nicht so vornehm gewesen wie jetzt. Auch die Mutter nahm des Sohnes Partei an, als das Mädchen seinen Eifer und Unwillen etwas lauter werden ließ, doch war andrerseits wieder eine gewisse Scheu bei ihr nicht zu verkennen, mit der sie vor den Augen der eignen Tochter Dieß und Das zu verdecken suchte. So zog sie auch Nachmittags das kleine Büblein auf die Seite und Mareili DD anziehen und wol aufpassen, komme er Abends heim und es falle nicht gut aus, so kriege er Schläge, sei er aber recht brav, so kaufe sie ihm Gerstenzucker. Draußen in einem Winkel zog nun der Kleine seine Höslein ab und schloff in ein Paar ganz durchlöcherte und zerfetzte hinein, die zu seinem [182] armseligen und unreinlichen Hemdlein freilich nicht so übel paßten. Mareili fragte, wohin das Brüderchen gehe? Die Mutter schien die Frage zu überhören, der andre Bube aber lachte frech heraus: der Jakobli gehe auf die Arbeit! wenn Mareili nach Hause gehe, werde es ihn schon antreffen und könne ihm dann auch zu verdienen geben, eine so vornehme Jungfer wie es eine sei; es solle nur auf den Kreuzweg vor Kestenhofen recht Acht geben! Damit war das Betteln gemeint. Seitdem Mareili gelernt arbeiten und sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen, kam ihm aber Betteln als eine Schande vor: es schämte sich für das Brüderchen,für die Mutter und sich selber, daß Eins von ihnen auf den Bettel gehen sollte. Früher war's nicht so empfindlich gewesen, niemand besser als gerade es selber hatte alle Listen und Kniffe gewußt und angewandt, um durch einen recht armseligen Aufzug, recht wehmüthige Bitten und Lügen den Leuten das Geld aus dem Sacke zu locken. Heute nun wehrte es davon ab, es wußte selbst nicht warum, aber es widerstritt nun seinem innersten Gefühle, das durch die Uebung der Arbeit wie von selber umgewandelt worden war.

Die Mutter indeß ward fast böse: „Wir sind nicht zu stolz geworden zum Heischen,“ sagte sie, , und anders können wir's nicht machen. Es gehen heute viele Stadtleute nach Kestenhofen, es wäre thöricht, die gute Gelegenheit nicht zu benützen. Wohnten wir auf dem Letthofe, ich schickte den Jakobli auch nicht; du hast gut predigen!“

Und so ging, allen Abmahnungen und Vorstellungen zum Trutz, der kleine Jakobli auf die Straße von Kestenhofen und in seinem zerfetzten Bettelstaat, mit den nackten braunen Füß[184] lein, den großen blauen Augen und gekräuselten Haaren sah er wie ein gebornes Bettelbüblein aus, dem Jeder ebensowol aus Mitleid als aus Wohlgefallen gewiß gerne eine Gabe reichte. Der ältre Bruder begleitete ihn, er sagte, er versäume hier doch nichts, gelüste ihn noch mehr predigen zu hören, so sei in Kestenhofen so gut Gelegenheit wie daheim.

Mareili blieb bei der Mutter allein zurück und in seinem Herzen wogte ein Gemisch von Wehmuth, Schmerz, Mitleid,Abscheu und Ekel. Es versuchte es nochmals, sie vom Betteln abzuhalten und jedenfalls doch den Jakobli nicht mehr auf's Stehlen auszuschicken. Dabei zog es sein kleines Geldsäcklein hervor und leerte dessen magern Inhalt der Mutter in die Hand: es wolle ihr ja gerne jeden Rappen geben, den es verdiene! versprach es, aber nur solle sie ihm das Brüderlein nicht zu Grunde richten. Die innere Bewegung,mit der das Mädchen sprach, und das geschenkte Geld rührten die Mutter und sie dankte ihm. Ihr Elend und ihre Verworfenheit schien sie zu übernehmen, die Mutterliebe in reinerer Gestalt sich aus dem verkümmerten und verwilderten Herzen DD„Du bist doch ein Gutes! es ist ein Glück, daß du nicht mehr bei uns bist, wenn ich dich schon brauchen könnte! Ich hab's gar böse, bin schwach und kann nichts arbeiten, der ältre Bube will auch nicht, er nimmt noch das Wenige, was uns die Gemeinde und gute Leute um Gotteswillen geben und findet er nichts oder sag' ich ein Wort dagegen, so schilt er und lästert, ach, er schlägt mich sogar auch!“

Das arme Weib brach in ein Heulen aus und erschüttert saß Mareili an ihrer Seite. Es empfand es nur zu wohl,[]daß da nicht mehr zu helfen sei, die Mutter selbst war zu abgestumpft, nach dem heftigen Ausbruche sank sie bald wieder in eine Art Gleichgiltigkeit zurück, die Aufregung brachte sie zu keinem Entschlusse, denn alle Kraft war im Elende des Schnapstrinkens untergegangen, auf ihrem Auge, ihrem Willen lag es wie ein drückender giftiger Nebel und in dem Sumpfe,darin sie stand, sanken die Füße nur stets tiefer und tiefer.

XVI.Mareili's Rückkehr. Eine andre Sonntagsfeier.Wie derselbe Leib oft zur gleichen Zeit kann frieren und heiß haben, wie Lachen und Weinen zusammen aus einem Auge brechen können, so mag auch etwas das Herz blutig drücken, wonach es doch innerlich sich sehnt. So erging es Mareili, als es gegen Abend mit beklemmtem schwerem Gemüthe von der Mutter wieder Abschied nahm, nach dem Letthof zurückzukehren und dem Elende, darin es den Tag über gesessen, den Rücken wandte: es war ihm auch leicht und schwer mit einander.

In trüben und tiefen Gedanken verfolgte es seinen Weg nach Kestenhofen. Lärmen und wildes Jubiliren schreckten es aus seinem Sinnen: unversehens stand es mitten im Dorfe.Wie ein greller, wüster Mißton kam ihm die ausgelassene Lustbarkeit rings vor und wollte nicht zu seiner Stimmung passen. Eine Reihe roher Bursche wankte die Dorfgasse her

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Aunter Arm in Arm, ein Theil brüllte verstümmelte Liederweisen, ein andrer lallte trunken mit heiserer Stimme, Betheuerungen und Flüche reichlich untermischend. Wo Mädchen standen oder ihnen begegneten, wurden die mit plumpen schmuzigen Zweideutigkeiten angeredet und zum Mitgehen aufgefordert. Mareili, das die trunkne Schaar sich nahen sah,drückte sich erschrocken an die Häuser hin, um unbemerkt vorbeizukommen. Einer aus dem Schwarme aber hatte es schon bemerkt, es war Mareili's Bruder, der schwankte auf das Mädchen zu und forderte lallend Geld von ihm zu einem Schoppen. Vergebens versicherte es, keinen Kreuzer mehr zu haben, der lüderliche Bube wollte es nicht glauben und fing an seine Schwester zu schelten. Aengstlich suchte diese loszukommen, ihre Verlegenheit ergötzte den Schlingel von Bruder,er glaubte dadurch dennoch Geld von ihr zu erpressen und vermehrte seine zudringliche Frechheit. Seine Kameraden lachten zu dem Auftritte und machten sich in ihrer Weise ebenfalls an das Mädchen. Einer bot ihm an, eine Halbe zu zahlen, wenn es mit ihm komme, ein Andrer umschlang es mit dem Arm, ein Dritter zog's am Rock und immer unverschämter, da der eigne Bruder nur dazu lachte. Mareili wehrte sich in der Verzweiflung gegen die Trunknen so gut es vermochte, aber es hatte die Uebermacht gegen sich. Mit Mühe gelang es ihm, für einen Augenblick Luft zu kriegen und wenigstens ein paar Häuser weiter zu entwischen. In wildem Hallo aber waren die durch den Widerstand Gereizten hinter ihm her und die Verlegenheit schien größer zu werden als zuvor. Voll Seelenangst blickte das Mädchen nach Hilfe aus, da ging eine benachbarte Thüre auf und ein junger

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Bursche trat auf die Straße, der Mareili hereinzog und muthig die Nachdringenden zurückstieß und des Mädchens Bruder, der das Recht zu haben glaubte, in das fremde Haus seiner Schwester nachzueilen, aus dem Hausgange auf die Gasse hinauswarf, daß der fluchend in den Staub kollerte.Den günstigen Eindruck benützend, warf der Muthige die Thüre zu und schob inwendig den Riegel.

Als Mareili nach dem ersten Schrecken sich umsah, kamen ihm das Haus und hinten dran der Baumgarten halb bekannt vor, und wie es dem jungen Burschen, fast noch einem Knaben, in's Gesicht blickte, schien es den auch schon einmal im Leben gesehen zu haben, ohne indeß gleich zu wissen, wo und wann? Die Aufregung war indeß noch zu groß, um den dunkeln Erinnerungen weiter nachzuhängen. Aber auch die Pflicht des Dankes für die Befreiung wachte in ihm auf.Es erzählte noch mit fliegendem Athem, wie es von den Burschen verfolgt worden und keinen Ausweg mehr gewußt;daß aber der eigne Bruder unter den Verfolgern gewesen,das verschwieg es, weil es sich vor dem fremden Jüngling dessen geschämt hätte. Dieser schien auch in einiger Verlegenheit zu sein, jetzt da er allein mit seinem Schützlinge zusammen war. „Wo hast du hin wollen?“ fragte er, nur um etwas zu sagen und den Dank abzuwehren. „Nach dem Letthofe,“ antwortete Mareili. „Nach dem Letthofe?“ wiederholte der Andre und sah das Mädchen an. „Ja!“bestätigte dieses und blickte gleichfalls auf den Begleiter hin,zugleich aber streifte auch sein Auge auf den Lattenhag und den Lederäpfelbaum, der dahinter in der Matte stand. Als würde von beiden Gesichtern eine Scheidewand weggezogen [188] und sie erkennten nun in einander alte Bekannte, so zuckte es plötzlich durch ihre Mienen und wurde in ihrem Herzen die Erinnerung wach. Mareili erkannte in dem Jünglinge seinen ehemaligen kleinen Wohlthäter, welcher ihm den angebissenen Apfel gereicht, da es von den Landjägern durch Kestenhofen geführt worden und in dem Dorfe Halt gemacht wurde, während welchem es um die Häuser geschlichen, etwas zu ermausen. Und der Knabe erkannte in dem frischen und saubern Mädchen, dem er ritterlichen Beistand geleistet, den Wildfang wieder, den er an gleicher Stelle aus der Schweinstränke gesehen hatte Erdäpfel herausfischen. Die schwarzen Augen und Haare waren ihm zwar gleich bekannt vorgekommen, aber nicht allein war das Gesicht heute gewaschen,fehlten die Fetzen von Kleidern, das Määdchen hatte sich auch gestreckt, war kräftiger geworden und sah nicht mehr,wie damals, einer struppigen Wildkatze gleich. Es entstand eine lange Pause. Man hätte es Beiden ansehen können,daß sie beschäftigt waren, die Bilder der Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen und während einerseits eine auf die frühere Bekanntschaft gegründete Vertraulichleit auftauchen wollte, erhob neben dieser zugleich die Verlegenheit ihr Haupt, daß sie sich jetzt so anders wiederfanden und ein neuer Zufall sie wiederholt zusammenführte und noch näher als das erste Mal. Hansli, des Schneider-Andres Sohn, erzählte, daß der Letthofbauer eigentlich sein Pathe,er aber schon lange nicht mehr auf dem Hofe gewesen; der Bauer sei ein stolzer und harter Mann, habe ihm sein Vater gesagt, der sich ihrer Verwandtschaft schäme, darum dürfe keins von den Kindern dorthin gehen.

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Wer noch vor vierundzwanzig Stunden Mareili gesagt hätte, es werde den Letthofbauern in Schutz nehmen, den würde es mit großen Augen angesehen haben. Indeß jetzt that es das doch von freien Stücken und vertheidigte ihn gegen die Anschuldigung seines Begleiters: Er sei wol genau und was er sage, das müsse geschehen, da gelte kein Markten,indeß ungerecht sei er nicht und er halte seine Leute bei aller Genauigkeit gut!

Unter diesem Gespräche waren Mareili und Hansli bis an den Fußweg gekommen, der von den Matten nach dem Letthofsträßchen hinführte und es war nun keine Gefahr mehr auf dem stillen abgelegnen Thalwege. Die Beiden trennten sich und das Mädchen bot seinem Beschützer zum Abschiede nochmals dankbar die Hand, worauf es gegen das Wäldchen einbog. Hansli wußte nicht wie es kam, aber er blieb noch eine Weile stehen und sah dem Mareili nach, wie es leichten Fußes dahin wanderte. Ob es blos die Sorge vor einem neuen Angriffe auf seinen Schützling war, was ihn noch festhielt? Da bog das Mädchen um die ersten Büsche, nur das weiße Tuch um den Kopf war aus dem dunkeln Grün noch sichtbar, auch über dieses schlugen bald die Aeste der Tannen zusammen und langsam kehrte nun der Knabe dem väterlichen Hause zu und setzte sich dann dort auf das Bänklein, welches dem Lederäpfelbaume gerade gegenüber stand. Er schaute auf die Früchte dieses, wie sie zu wachsen begannen und das Abendroth durch die Zweige brach und die Aepfel vorzeitig röthete, während daneben an seinem innern Auge nochmals die erste Begegnung mit dem Kinde des Landstreichers vorüberzog.

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Mareili aber wandelte hastig den einsamen Waldweg.Die Dunkelheit der Tannen that seinem erregten Innern wohl, wie ein Balsam legte sich der grüne Schatten über dasselbe und die abendliche Kühlung erfrischte die heißen Wangen. Als es durch die Schlucht aus dem Gehölze trat, lag der Lärm und das Geräusch des Dorfes und der Landstraße weit hinter ihm. Es sah vor sich das wohlbekannte Thal wieder,rein und still ging die Sonne am Himmel nieder, vorn warfen die Berge schon ihre blauen Schatten in dasselbe, im Hintergrunde aber strahlten noch goldgrün die frischgemähten Matten,in Haufen zusammengerecht standen darauf die zahlreichen duftigen Heuhaufen und schienen auch Sonntag zu feiern und bei dem reinen Himmel unbesorgt auf den kommenden Werktag zu warten. Mit ihnen begingen Feld und Wald den heiligen Sabbath; so feierlich und anders als in der Welt draußen erschien Alles in dem abgelegnen Thalgrunde. Mitten in den kurzgeschornen Wiesen aber lag der Letthof: das breite Dach,das blinkende Giebelfenster, dahinter Mareili's Kämmerlein war, eins um's andre tauchte vor den Blicken des Mädchens auf, bis der ganze Hof dastand mit den bekannten Fenstern,Thüren und Stätten, die alle so schutzreich, so sicher und traulich, so bekannt und freundlich Mareili entgegensahen.Dort war es geborgen, keine freche Hand, kein rohes und unzüchtiges Wort erreichte es dort. Alles was es Gutes genossen in dem gesegneten Hause, trat ihm nun daraus entgegen, winkte ihm herein, ja, zum ersten Male empfand es jetzt, da sei gut wohnen. Es mußte unwillkürlich langsamer gehen, die Hast legte sich in ihm, Sammlung kam in sein Herz und Sonntagsruhe und Sonntagsfriede breiteten [191] sich aus über seine Seele. Wie ganz anders, als es am Morgen von dem Hofe weggegangen, nahte es jetzt am Abend sich demselben wieder.

So ein rechter Bauernhof hat aber am Sonntage ein ganz verschiedenes Aussehen als am Werktage: Menschen und Vieh und auch das Unbelebte. Reinlich erscheint Alles, selbst das Unreine, aufgeräumt ein Jedes, bei aller Mannigfaltigkeit, das alltäglichste Geräthe, die Leiter über der Stallthüre,der Pflug, der in der Scholle gewühlt, der schwere plumpe Wagen, der gemeinste Karren, sie müssen am Sonntage dazu dienen, das liebliche Bild der Ruhe zu schmücken, da ist kein Jagen und Stürmen, keine Geschäftigkeit, kein müder Lärm,kein Hasten nach Vergnügen und Zerstreuung wie in der Stadt drin; denn nach der Anstrengung der sechs Arbeitstage ist die Ruhe eine Wohlthat. Der Letthofbauer war am Nachmittag mit seiner Frau den entlegenen Feldern zugewandelt und hatte sich von ihrem Stande überzeugt, hier nach wiederholten Fehljahren an den blühenden Kartoffeln sich erfreut,an den Bäumen dort den reichen Herbstsegen schon im voraus dankbar ermessen, die Freude der Bäuerin an ihrem Hanfe getheilt, hin und wieder einen neuen Plan entworfen und dieß und jenes, was Haus- und Feldwirthschaft betraf, vertraulich mit der treuen Lebensgefährtin besprochen. Zurückgelehrt von dem wichtigen, ja fast feierlichen Sonntagsgange,saß er jetzt auf der Bank neben der Hausthüre und rauchte in gemessenen Zügen seine Pfeife, das Gesehene und Besprochene nochmals sich wiederholend und zu festem Entschlusse erdauernd. Wie ein Fürst in feinem Reiche, thronte er da so groß und sicher, ja majestätisch, im Gefühle seines von

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Gott gesegneten Regimentes. Vor ihm saß der treue Rinki und legte ihm den schweren Kopf zutraulich auf die Kniee,den Herrn mit den ehrlichen Augen unverwandt anschauend.Das Bänklein beim Stalle nahmen die Knechte ein, die Genossen der Ruhe wie der Arbeit. Diese und jene Begebenheit aus der Welt draußen, Erlebnisse aus dem eignen einfachen Leben, Vorkommenheiten der verflossenen Woche, bildeten den Inhalt ihrer heitern aber schmucklosen Unterhaltung. Aus dem Stalle drang das Wiehern der Rosse, die, gekräftigt durch die Sonntagsruhe, schon ihren Muth äußerten zu der Arbeit des kommenden Tages. Vor der Küche, unter dem breiten Dache, saß ein altes Männlein in ärmlicher Kleidung, der wol mit Schaftheu, Zündhölzchen, Schleifsteinen oder dergleichen hausiren ging und in die Sonntagsfeier des Hofes mit war aufgenommen worden, denn eben trat jetzt die Magd mit einer Schüssel und einem mächtigen Stücke Schwarzbrot heraus und stellte das Labsal vor ihn hin: das „Gott vergelt's“des Armen gehört mit in den Segen des Sonntags auf einem abgelegnen Hofe.

Noch nie war dieß Alles Mareili so aufgefallen wie heute,ob es doch schon manchen solchen Sonntag auf dem Letthofe erlebt. Mit eignem Respekte ging es an dem Alten vorüber und bot ihm den Abendgruß. Im Hause drin trat ihm die Bäuerin mit ihrem alten Wohlwollen freundlich entgegen und holte ihm dann selber den Kaffee herein, welchen sie ihm vorsorglich an der Wärme aufbehalten. Zum ersten Male dankte Mareili so recht freundlich und ohne Hintergedanken. Das Herz ging ihm auf, als es' an dem mächtigen eichnen Tische hinter der dampfenden dreibeinigen Kaffeekanne []

722 saß, in der ehrwürdigen braungetäfelten Stube und der alten Wãlderuhr ihr gemessenes Tiktak wieder hörte. Es mußte die behagliche Gestalt, das treuherzige, gütige Gesicht der Bäuerin wiederholt ansehen, es wußte nicht warum; aber noch nie war sie ihm so wohlwollend, so mütterlich erschienen wie heute. Mareili bedachte freilich nicht, daß es sie auch noch nie so angesehen hatte wie diesen Abend, so ganz ohne innerlichen Unmuth, ohne Mißtrauen, sondern mit einem offnen,liebebedürftigen Herzen und mit Augen, die eine Mutter suchen.Jetzt erst war das Mädchen auf dem Letthofe völlig eingebürgert und daheim und jede Scheidewand gefallen, jetzt erst sehnte es sich nirgend sonst mehr hin, sondern fühlte sich hier wohl aufgehoben. Diese Umwandlung hatte der heutige Tag wahrhafter Sonntag. Der Abendsegen, zu dem die Bewohner des Letthofs noch zusammenkamen, befestigte und weihte sie; stille und versöhnten Herzens, angeweht vom Geiste des Friedens und der Liebe, suchte das Mädchen sein Kämmerlein auf, ein neuer und besserer Mensch als am Morgen, da es dasselbe verlassen.

XVII.Gib dem Tenfel den kleinen Finger, so nimmt er die ganze Hand, oder Fortsekung des ersten Capitels.Mit dem Schneider-Andres in Kestenhofen war's inzwischen nicht zum Besten gegangen und wie er's anstellte, er MeyerMerian, Mareili.

13 [194] wollte einmal nicht mehr recht auf einen grünen Zweig kommen. Das fühlte er selber auch gar wohl. Er sei ein geborner Unglücksvogel, klagte er oft, und, ungefällig“über die Maßen! Früher, da sei's nicht so gewesen, da sei ihm im Gegentheil Alles geschliffen aus der Hand gegangen,er habe kaum gewußt wie? Er habe da freilich noch als Junggeselle gelebt; indeß auch am Anfange der Ehe habe er's noch aushalten mögen, etwas Geduld müsse man da schon haben, aber er habe die, Gottlob! stets gehabt. Seit einer Reihe von Jahren nun sei er wie verhert, Nichts wolle ihm recht gerathen, Alles sei ihm zuwider. Freilich, fügte er bei, könne er dieß fremden Leuten nicht so übel nehmen,wenn die eigne Frau daheim das Beispiel gebe. Das bringe ihn um Muth und Lust, es würde Jedem so gehen, und er glaube, daß er tiefsinnig würde, wenn er nicht dann und wann seine Zerstreuung suchte und sich die Grillen vertriebe im Rößlein oder beim Krämer!So klagte und entschuldigte sich der Andres bei sich selbst und vor den Leuten, wenn er nüchtern war und in Versuchung stand, ein Gläschen auf den Zahn zu nehmen. Er war dann auch bald entschieden und schwankte höchstens noch zwischen dem Oben und Unten im Dorfe, wo er seinen Kummer und seine Noth wegspülen wollte, bei dem Krämer nämlich oder im Rößlein. Nicht selten entschied er wie ein zweiter König Salomon, indem er desselben Tages zu allen Beiden ging, konnte es so doch Keiner zürnen, da ihm Jeder von ihnen gleicherweise die Zeche stehen ließ. Auf die Weise bewegte sich denn Andres zwischen den zwei Wirthschaften fast so regelmäßig wie der Perpendikel zwischen den Wänden [10] eines Uhrgehäuses und wegen Mangels am Einblen wenigstens blieb er nicht stille stehen.

Allerdings hatte der arme Andres Ursache zu Mißververgnügen und Klagen und ohne Zweifel war seine gute Zeit vorüber. Ob er's aber nicht eher durch Sammlung als durch Zerstreuung, nicht durch fleißigere Einkehr im eignen Hause,statt beim Rößlein, besser gemacht hätte, das ist eine andre Frage. Es ist wahr: die Frau versüßte ihm mit ihrem unfreundlichen, herben Wesen jetzt den Aufenthalt daheim nicht sonderlich und sprach sie gelegentlich zu ihm, so klang das nicht gar zu ermuthigend; allein so lange er auf der Arbeit saß, hatte er im Grunde doch wenig zu leiden, der große eichne Tisch schützte ihn wie eine Festung und die Lisbeth selber versah ihn dahinter ohne Murren je zur rechten Zeit am Morgen mit dem Kaffee, Mittags mit festerm Proviante,weder verbrannt noch halb roh, sondern Alles nach Landesbrauch wohl zubereitet. Nur die häufigen Ausfälle aus der Festung sah sie mit scheelem Auge an und versäumte nicht,wenn er, wie gewöhnlich, mit einer Schlappe zurückkehrte,seine Lage noch unerträglicher zu machen, statt wenigstens doch Mitleid mit ihm zu haben. Er gewöhnte sich in der Folge allmälig an das Streiten mit seiner Lisbeth und auch sie hatte so halb und halb sich in das Unabänderliche ergeben, was wenigstens des Andres Person betraf, aber ein saures Gesicht machte sie doch, selbst im günstigsten Falle, während des Schneiders Natur ein saures Gesicht gerade am wenigsten in dem Zustande vertrug, in welchem er war, nachdem er sich „zerstreut“ hatte. Er sah da oft merkwürdig fein, entdeckte 13*[179]194

Runzeln zum Beispiel auf der Stirne seiner Frau, wenn die ihm gerade den Rücken zukehrte.

Bloße Einbildung oder Mißgunst war es indeß bei Frau Lisbeth auch nicht, wenn sie die Zerstreuungen ihres Mannes so schief ansah. Mit geschärftem Blicke allerdings, und nicht durch eine rosenfarbne Brille, nahm sie dieselben wahr, aber eben so wenig bediente sie sich eines wellenförmigen Glases,welches Alles, auch das Regelmäßige, verzerrt und entstellt wiedergibt. Die Veränderungen, welche durch des Andres schwache Seite herbeigeführt worden, waren in gar Manchem zu bemerken, was einer Hausfrau, und ihr zuerst, nahe genug ging. Wer hörte die Vorwürfe besser und hatte es vor Allem zu büßen, wenn der Meister Etwas, das man ihm bestellt oder aufgetragen, vergaß? Versprochnes nicht hielt? Der Andres schlug's in den Wind, disputirte es weg oder vertrank seinen Aerger über die Vorwürfe und deren Folge, das Verlieren einer Kundsame; Lisbeth mußte mit nüchternem Sinne Alles ausessen, wie sehr es sie würgte. Die Arbeit wurde nicht nur liegen gelassen, aufgeschoben und kam eine Ewigkeit lang zu keinem Ende, sie fiel nach und nach auch schlecht aus,es gab verpfuschtes Zeug, dem mit allen Ausflüchten und allem Aufbegehren einmal doch nicht mehr zu helfen war. „Im Vergeß“ machte der Andres aus dem Guttuch des Weibels eine Kutte für den Lehrer und aus dem Halblein dieses dem Weibel ein Paar Hosen. Er schwor zwar Stein und Bein,sie hätten es so bestellt, aber der Weibel und der Lehrer läugneten es und sogar die Lisebeth nahm die Partei derselben,was den Andres am meisten ärgerte und ihm ein neuer Beweis war, wie schlecht die eigne Frau es mit ihm meine [197] und nur immer mit den Fremden gegen ihn halte. Wenn dann über Solches das Wetter sich entlud, war der Meister im Rößlein oder beim Krämer am Schermen und die Lisbeth konnte herhalten und noch eigne Vorwürfe zu denen des Mannes einstecken, daß sie ihn nicht besser in Ordnung halte und ihm zurede. Ein paar Mal ging dergleichen so hin, allmälig aber verleidete es den Kunden und den bessern, die ordentlich zahlten, zuerst, sie sahen sich anderswo um und kamen nicht mehr, nur die lässigen und unsichern Zahler,die aufschreiben ließen in den alten Kaiser hinein, blieben noch ihrem Gesinnungsgenossen und Saufbruder getreu. Damit nahmen die Einnahmen bedenklich ab, Andres bekam unfreiwillig mehr freie Zeit als er brauchte, seine paar Aecker zu besorgen, und dadurch wieder neuen Anlaß, im Wirthshause sich zu erholen und wegen seines Mißgeschickes Zerstreuung zu suchen. Daß es in Manchem dabei knapper herging, wie sehr auch Lisebeth sich Mühe gab, Alles zusammen zu halten, versteht sich, es war aber für ihren Mann nur ein fernrer Grund das Haus zu meiden und, was ihm mangelte,an anderm Orte zu suchen, der Blödigkeit z. B., welche bloßes Kraut und Erdäpfel ihm verursachten, durch ein Gläslein Schnaps abzuhelfen.

In einer Haushaltung gibt's immer nachzubessern und zu ersetzen und wo das unterbleibt, wird der Schaden bald handgreiflich und unheilbarer. Reich waren Andres und Lisebeth' nie gewesen und durch besondre Bequemlichkeiten waren sie keineswegs verwöhnt, hingegen waren doch Haus und Feld stets in ordentlichem Stande erhalten worden, durch den Verdienst des Mannes und den Fleiß und die Häuslich[]r5 keit der Frau. Jetzt war das nicht mehr so: das Geschirr litt nach wie vor durch den Gebrauch Schaden, dieß und jenes Stück kam in Abgang, aber es fehlte an dem nöthigen Gelde, um es wiederherzustellen oder zu ergänzen, man mußte sich mit dem Halbbrauchbaren behelfen, Andres entbehren. Eine zerbrochne Scheibe wurde selbst im Winter viele Wochen lang nicht durch eine ganze ersetzt, Lumpen, die man in die Oeffnung stopfte, ein Papier, das man drüber klebte, mußten genügen. Fiel der Waschzüber zusammen, so blieb der guten Lisbeth, wenn sie dem Hansli ein saubres Hemde anziehen wollte, Nichts übrig, als im Wasserzüber der Küche eins zu waschen. Ebenso ließ man den Ofen rauchen und verbrennen, weil man den Hafner nicht zahlen konnte, ihn neu auszustreichen. Mit dem Feldgeräthe ging es ebenso und bei dessen Abnutzung wurde schlechter, und mühseliger obendrein, gearbeitte.

Aus diesen Verlegenheiten und hundert andern zog sich Andres immer so gut er konnte und auf seine Weise. Wie der Vogel Strauß vor Gefahren den Schnabel in den Sand steckt, so der Andres den seinen in den Brenz, nur um nicht zu sehen, was um ihn vorging. Beim Strauße lacht Jeder über diese Dummheit, denn es ergeht ihm deßhalb um Nichts besser; dem Andres aber machen es gar Viele nach, die gar gewaltig viel Grütze im Kopfe haben wollen. Er selbst hatte diese Ueberzeugung. Aber auch ihm erblühten dabei keine Rosen; ein Blick auf ihn verrieth das. Von dem' frühern gewichsten, frischen und muntern Wesen war wenig mehr bei ihm zu finden. Freilich waren inzwischen so ein sechs Jährchen drüber gegangen, aber es waren nicht diese sechs []98*

Jahre, die sein Gesicht so aufgedunsen und welk gemacht,seine Züge erschlafft, den Augen den matten, glotzigen Blick macht in den Kleidern, als wären ihm diese geschenkt worden,obschon er doch sie selber nach dem Leibe sich angemessen und zugeschnitten. Singen und Pfeifen waren bei ihm ganz aus der Mode gekommen, ein halber oder ganzer Fluch, ein Schimpfwort, drückte allein seine innre Stimmung aus. Er war nicht mehr mit der hellen Sonne auf seiner Arbeit,weder am Schneidertisch noch draußen im Felde; spät und verdrossen kroch er aus dem Bette, schlurfte unausgeschlafen durch die Stube oder in's Freie, am Morgen schon müde,und sah die Arbeit mit vergiftetem Blicke an. Wie diese dabei vom Fleck ging, läßt sich leicht errathen, ebenso, wie sie ausfiel,besonders wenn noch ein Dusel von gestern über seinem Hirne lagerte. Der Witz von ehedem, der ihn Alles leicht nehmen ließ und womit er auch Unangenehmes sich genießbar gemacht,womit er sich Kunden angezogen und Freunde geworben, der war jetzt vertrocknet. Blos durch Branntwein wurde er zeitweise wieder aufgeweicht, aber dann war er nicht mehr der harmlose von früher, sondern ein erzwungner, roch auch stark nach Fusel und hatte einen Beigeschmack von Frechheit und Unsauberkeit. Hatte hingegen Andres nicht getrunken,so war er mürrisch und gleichgiltig und es bedurfte bald eines kräftigen Puffes, um ihn so oder so aufzurütteln.

Lisebeth, die diese Veränderungen alle nach und nach kommen sah und dann ihren raschern Fortgang beobachtete,griff es tief in's Herz, sowol um des Andres selbst willen,als wegen der Haushaltung, die darunter zu leiden begann.

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Voll Eifer und Angst suchte sie dem Uebel entgegenzutreten,nur kam leider bei der Art und Weise, in der sie's that, nicht viel Gutes heraus. In ihrer Herzensnoth fuhr sie meist nur heftig drein, ohne Ueberlegung und Rücksicht, nach dem Ausbruche dann war sie wieder eine Zeit lang stille und litt schweigend, bis das Maaß allmälig sich füllte und füllte und überlief in einem neuen Ausbruche, der den Andres wol aufbrachte und fortscheuchte, aber, statt ihn zu bessern ihn verhärtete.Eine ruhige, freundlichernste, unausgesetzt fortwirkende Art hätte wol ein bessres Ergebniß gehabt, als so eine Reihe abgerissener Stürme und Auftritte, darin eine Leidenschaft die andre entflammte. Lisebeth selber mochte wol auch Etwas der Art fühlen, aber sie war von Natur viel zu sehr in sich verschlossen und im gewöhnlichen ruhigen Lebensverkehr dem Andres auch zu wenig gewachsen, bei ihrer Schwerfälligkeit in der Mittheilung. Sie konnte ihm nur mit Kraft entgegentreten, wenn ihr ganzes innres Wesen aufgestachelt wurde,gleichsam das Herz im Leibe ihr sich umkehrte; da wäre sie aber auch eben so wol ohne sich lange zu bestinnen einer ganzen Armee entgegentreten. Daß sie nun so wenig ausrichtete, an den Andres so gar nicht herankam, das vermehrte für gewöhnlich ihren Muth und ihre Beharrlichkeit nicht, es stimmte DDDDD den Verfalle nur immer tiefer. Diese regelmäßige Erfolglosigkeit, ja häufig genug die Verschlimmerung sogar, welche sie bei der besten Absicht doch bewirkte, indem Andres in den gemachten Verdruß noch mehr hineintrank, stumpften im Gegentheil Lisebeth allmälig in soweit ab, daß sie in dumpfer Ergebung ihren Mann immer mehr gewähren ließ und nur [201] bemüht war den Schaden, so gut ihr möglich, zu beschränken oder wieder gut zu machen. Hiefür waren es besonders zwei Wege, die sie am häufigsten einschlug: Der eine war, daß sie selber um so mehr arbeitete und zu Allem sah in Haus und Feld, was der Mann vernachlässigte. Von früh bis spät,und selbst oft in alle Nacht hinein, war die gute Frau auf den Füßen, kochte, wusch, jätete und hackte, flickte, spann, war im Stall und im Keller, in der Küche und im Krautgarten,am Brunnen und in der Stube, daß man oft hätte schwören mögen, sie könne an zwei Orten zu gleicher Zeit sein und habe jedenfalls vier statt nur zwei Hände, wie andre Leute.Dabei sparte sie, wo sie konnte, eh sie nur einen Batzen ausgab. Für ein Kleidungsstück, das sie nothwendig brauchte,weil das alte schon zehnmal geflickt worden und das elfte Mal die Stiche nicht mehr gehalten hätte, besann sich Frau Lisebeth gewiß ein paar Wochen lang und rechnete und überlegte, wie es am billigsten zu bekommen und zu machen sei.Sie war von jenem Ehrgefühle erfüllt, das Alles ertragen,Alles entbehren kann, das aber der Welt gegenüber immer aufrecht steht und das Haus, in dem es wohnt, auch aufrecht erhält, es vertheidigt gegen die Stürme des Mangels und der Noth, die es umwerfen wollen, gegen die Wellen des eignen Kummers sogar, die heimlich und unter der Erde das Fundament unausgesetzt zu unterwühlen suchen. Lisebeth hatte den innern Glauben, daß eine gute Frau auch allein und verlassen ein Haus zu erhalten und zu retten vermöge und zuerst mußten jedenfalls alle ihre Kräfte zusammenbrechen,bevor sie den Kampf aufgegeben und sich von dem Wirbel des Verderbens hätte mit hinreißen lassen.

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Worauf ihr zweites Augenmerk gerichtet war und was ihr nicht minder angelegentlich am Herzen lag, das war der Schutz ihres Kindes vor der Ansteckung durch den Vater.Es gab da für die Mutter und Frau oft gräßliche Kämpfe,bei denen die alte Heftigkeit Lisebeths am leichtesten wieder hervorbrach und nun so gewaltsamer, je länger das Gefühl,das Kind gegen den eignen Vater zu vertheidigen und nur zu häufig auch dabei ihm die natürliche Achtung und Liebe zu verkümmern, einen Ausbruch zurückhielt. Es brauchte des ganzen Entsetzens der armen Frau vor den Folgen des bösen Beispiels und der Verlockung und Angewöhnung, um die angeborne Scheun so weit zu überwinden, daß sie mit harter Hand die heiligen Gefühle des Kinderherzens berührte, und auch dem Reste von Liebe und reinrer Empfindung in der Brust des Vaters in deren nachtheiliger Verkehrtheit feindlich und störend entgegentrat.

Der Hansli war in einer sonderbaren Lage und wußte eigentlich nie recht, wie er dran war zwischen Vater und Mutter. Was diese wie Gift fürchtete, wie ein Verbrechen verabscheute und mit Heftigkeit anfeindete, den Branntwein,an dem sah er den Vater, als an seinem Liebsten und Besten,hangen, es mit Wohlbehagen einschlürfen, wohlleben dran,an dem vermeinten Gifte, von dem man, nach der Mutter Ausdrücken, meinen sollte, es zerreiße auf der Stelle alle Eingeweide, zersprenge den Kopf und fresse faustgroße Löcher durch den Leib wie Scheidewasser. War der Vater mürrisch, kleinlaut gewesen zuvor, so thaute er beim Schnapsglase auf, wurde munter und gesprächig. Es saßen auch noch andre Leute, bekannte Männer aus dem Dorfe, bei [70]43 ihm und tranken gleichfalls Schnaps und anch sie verzogen nicht die Gesichter dabei, wie vor etwas Schädlichem und Schlechtem, ließen sich's im Gegentheil stundenlang schmecken,und diese Männer waren doch auch nicht auf den Kopf gefallen, waren vielleicht selbst angesehen und von Einfluß in der Gemeinde. Zudem geschah das Trinken ja ganz offen, im Wirthshause, wo der Landjäger und der Präsident hinkamen und wol auch selber ihr Gläslein in aller Gemüthsruhe tranken,was doch nimmer hätte sein dürfen, wenn es was Unerlaubtes gewesen wäre. Dieß sah, hörte der Hansli mit eignen Augen und Ohren, denn sein Vater, der mit der Mutter hierüber ganz entgegengesetzter Meinung war, nahm den Buben auf seinen Gängen da und dorthin oft mit sich und bei den Gängen da und dorthin führte der Weg häufig in's Rößlein oder sonst in ein Wirthshaus. Der Alte hing an dem Kleinen wie dieser an ihm, denn des Vaters leichte Gemüthsart, seine Gespräche und Späße, das freie Leben, dessen man bei solchen Ausflügen genoß, das Neue, die Leute, die man sah, Alles dieß zog den Hansli an. Er war darum gleich bereit und in der Nähe, wenn er merkte, der Alte wolle ausgehen, und diesen trieb, neben der Zuneigung zu dem Bürschlein, auch so eine Art von häuslichem Gewissen, den Kleinen mitzunehmen,um bei seinem Herumfahren nicht gar wie ein haus- und familienloser Tagedieb aufzuziehen, sondern sein Kind bei sich zu haben und dem auch Etwas zu gönnen. Daneben liebte aber Hansli die Mutter doch sehr und ihr Kummer und ihre Verlassenheit gingen ihm manchmal recht nahe, so daß er auch freiwillig zu Hause blieb und ihr bei einer Arbeit zu helfen suchte, denn eine leise innre Stimme flüsterte ihm [204] heimlich zu, das Recht sei mehr auf der Mutter Seite und mit dem Vater sei nicht Alles in der Ordnung, war er doch oft schon Zeuge gewesen von Manchem, was den Respekt der Kinder vor den Eltern nicht vermehren konnte und durch welches ihm die Wahrheit von der Mutter Befürchtungen hindurchschimmerte.

So schwankte der Hansli lange Zeit zwischen Vater und Mutter und neigte sich bald zu dieser, bald zu jenem hin,wobei aber unvermerkt die praktische Einführungsmethode des Vaters das Uebergewicht gewann. Denn das Abschreckende und Abstoßende des Lasters verbarg sich hinter so viel Anziehendes und Verlockendes für den mehr und mehr heranwachsenden Knaben, daß dessen unerfahrenes und geblendetes Auge es oft gar nicht mehr gewahrte. Erst hatte der Alte den Buben nur so zur Begleitung mitgenommen und ihn trocken neben sich auf der Wirthsbank sitzen lassen, ihm etwa ein Stück Weißbrot oder einen Weck zur Unterhaltung gegeben, während er selber seinen Brenz zu Gemüthe geführt.Er hatte wol einmal auch zu dem Bürschlein halb im Ernst,halb im Scherze gesagt: „willst du?“ und ihm das Schnapsglas hingehalten; der Hansli aber, aus natürlichem Widerwillen und im Angedenken an die Mutter, ablehnend den Kopf dazu geschüttelt. Als es einmal im Winter recht kalt war und Andres und sein Büblein auch in die Wirthsstube flüchteten, fror dasselbe neben dem Vater und verkroch sich mit den Armen bis an die Ellbogen in den Hosensäcken. Dabei sah es blau aus und schlotterte, denn es war seit dem Frühstück schon lange her und auf der Höhe von Lümpischwyl,über die sie hergekommen, hatte ihm der scharfe Wind gar [205] unbarmherzig in's Gesicht und an die Finger, selbst durch die gute Winterjacke hindurch, bis in's Herz hinein, geblasen. Es waren noch mehr Leute im Wirthshause, die sich ebenfalls erwärmten an einem Brenz, dieselben Gäste, die hier auch gegen die Sommerhitze Schirm und Kühlung zu suchen pflegten und für ihren Durst das kalte Wasser nicht vertrugen, weßhalb sie gebranntes tranken. Diese alle bedauerten das schlotternde Kind und der Vater, der an seinem zweiten Gläslein bereits aufzuthauen begann, nicht minder. Er schob darum dem Hansli sein halbvolles Glas hin und sagte: „Trinke, so kriegsft du warm!“ und als der Hansli zögerte, wie gern er sonst auch warm gehabt hätte, so redeten ihm die andern Gäste gleichfalls zu und wunderten sich, daß er nicht sogleich mit beiden Händen zugriff. Dabei gaben sie ihm das Beispiel,indem sie ihre Gläser ansetzten, einen herzhaften Schluck nahmen und nachher in allerlei Tönen, tiefen und hohen, ihr Wohlbehagen und die vortreffliche Wirkung ausdrückten, daß der frierende Bube seinerseits sich gleichfalls nicht länger besann, warm zu kriegen, sondern ansetzte und einen herzhaften Schluck nahm. Was nun aber der Hansli für ein Gesicht dazu machte, das gab einen Hauptspaß ab für die ganze Gesellschaft: der Schnaps brannte und stach ihn im Munde,auf der Zunge und am Gaumen, daß er nicht wußte, welchen Weg er ihn schicken sollte, ob wieder ausspeien, wie er am liebsten gethan hätte, oder herzhaft das Feuer hinunterschlucken, wozu Scham und Eitelkeit riethen? Er that letztres,ob ihm gleich vor Schmerz die Thränen in die Augen traten,denn es schien ihm nicht anders, als es riesele pures Scheidewasser den Hals hinunter und verbrenne ihm diesen und die

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Eingeweide dazu. Dabei schüttelte es ihn unwillkürlich und sein Gesicht ward blutroth vor der Heftigkeit der Erregung,in die das Getränke ihn an Leib und Seele versetzte. Er hatte nun allerdings nicht mehr kalt, aber als allmälig der Brand inwendig nachließ und er es überstanden, konnte er gleichwol auch nicht entdecken, was bei dem Brenztrinken für ein besondres Wohlbehagen sein könne. Hinterher ärgerte ihn dann das Gelächter und der Spott der Erwachsenen erst noch und brannte ihn fast empfindlicher als der Schnaps selber, denn Redensarten wie: die Mutter solle ihm künftig lieber noch den Lutscher mitgeben! thaten seinem Knabenstolze gar wehe.

Diese Schlappe ging ihm auch lange nach und die kindische Sucht, es den Großen gleich und nachzuthun, ließ ihm bei den stets wiederkehrenden Gelegenheiten keine Ruhe, bis er mit Vorsicht einen zweiten Versuch wagte, der schon besser ausfiel. Er nahm nur einen kleinen Schluck, behielt den nicht lange im Munde, sondern drückte ihn gleich herzhaft und mit einmal hinunter: kaum ein Tröpflein Wasser stieg ihm dießmal in die Augen! Das Eis war nun gebrochen, ob Hansli gleich an dem Getränke durchaus kein Vergnügen fand, sondern ihn dasselbe jedes Mal einen Anlauf und eine Ueberwindung kostete. Aber er sah sich damit den Erwachsenen gleichgestellt und ihrer ebenbürtig und fühlte sich in ihrer Gesell DDDVon seinen Fortschritten sagte er freilich der Mutter so wenig als das der Andres that, aber noch eins so gern begleitete er jetzt den Vater auf seinen Gängen, ging es doch in den Wirthsstuben viel lustiger zu als daheim. Hinter den Brenzgläsern [207] wurde hin und her gesprochen, erzählt, disputirt, es gab Späße und Neuigkeiten, man saß so bequem, im Sommer hatte man gut kühl, im Winter hübsch warm, Schwielen kriegte man an den Händen so wenig als einen krummen Rücken, man wurde bedient, freundlich behandelt, es war ein wahrhaftes Herrenleben, dem Hansli fehlte Nichts als die Tabakspfeife: in ein, zwei Jahren werde die aber auch kommen! tröstete er sich einstweilen. Wie ganz anders war's hier als daheim, wo der Bursche arbeiten mußte, die Mutter immer Etwas für ihn hatte, Jäten oder Hacken, Bohnen brechen oder Wasser holen und im Hause, ja selbst in der Küche, ihr an die Hand gehen. Und wie genau war sie nicht obendrein die Mutter, wie sah sie nicht auf's Kleinste, daß Nichts zu Schanden ging, sparte an Allem, war hinter dem Hansli her, sobald er in's Haus trat, daß er seine Jacke auszog, Sommers jedenfalls auch die Schuhe. Sie hielt zwar darauf, daß der Knabe beim Ausgehen und vor allem Sonntags, gute und reinliche Kleider trug und hätte jedenfalls erst bei sich selber abgebrochen, bevor sie's bei ihm daran fehlen ließ. Aber wenn er daheim arbeitete, dann mußte er gleichwol in ein Paar Höslein schliefen, von denen schwer zu sagen war, welches ihre ursprüngliche Farbe gewesen sei, so verwaschen und so geflickt mit hundert Lappen sahen sie aus.

Dieß Alles gefiel dem Hansli lange nicht so wohl wie das Spazieren und Wirthshausgehen mit dem Vater und nur der entschiedene Wille und die Unabhängigkeit der Frau Lisbeth vermochten, neben ihrem eignen guten Beispiele, ihn noch so leidlich nebenzu im Geleise zu halten: „So lange bis er einmal unterwiesen sei!“ tröstete sich der Junge.

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In dieser Weise zog die Mutter rechts an dem Hansli,der Vater links; je mehr der Knabe aber wuchs und erstarkte,um so mehr begann er seine Kraft mit der des Vaters zu vereinigen. Deutlicher von Tag zu Tag bemerkte dieß die arme Frau und bebte vor dem Augenblicke, wann ihre leitende Hand den Kürzern ziehen und sie verzweiflungsvoll der Uebermacht erliegen würde.

XVIII.Dem Hansli wird übel und dem Gemeindepräsidenten ist nicht wohl; Leiden besserl's nachher, aber ungleich.Es schüttelte den Hansli schon lange nicht mehr, wenn er mit dem Vater einen Schluck Brenz zu sich nahm, auch D Ueberwindung dazu; im Gegentheil: er fing an, der Sache Herr zu werden und eher einen Gefallen daran zu finden,wie Buben am Rauchen, wenn sie die ersten paar Pfeifen glücklich überstanden. In Frau Lisbeth, die in ihrem mütterlichen Herzen halb ahnte, was hinter ihrem Rücken vorging,sammelte sich ein heftiger Ausbruch und bei ihrer schweren Art war es nur der Mangel eines bestimmten greifbaren Anlasses, was denselben noch zurückhielt. In der Furcht vor einem solchen, und doch zugleich in dem ängstlichen Suchen nach ihm, umkreiste sie ihren Hansli wie eine Gluckhenne ihr Küchlein, wenn sie den Habicht in der Nähe weiß. Es ist [2090] freilich schlimm hüten, wenn das Küchlein und der Raubvogel zusammen einverstanden sind und sich verbinden, die Gluckhenne zu hintergehen. Das Ende vom Liede ist aber doch immer, daß der Habicht auf sein thörichtes Opfer stößt und da fehlt's weder an kläglichem Piepen noch an herumstöbernden Federn. Mit Hansli ging's nicht anders.

Es war an einem Vormittag im Sommer, Frau Lisebeth hatte sich auf ein entlegnes Stücklein Land begeben, dort Bohnen zu brechen, die bei der Hitze zu dörren anfingen.Andres bedeutete daheim auf seiner Profession zu sitzen, doch mußten ihm bald die Fliegen in der Stube zu lästig gefallen sein, wenigstens flüchtete er vor ihnen in's Wirthshaus und Hansli, dem der Vater zu mangeln schien, ließ die Hacke, mit der er gejätet, ebenfalls stehen und ging ein wenig in der Nachbarschaft herum, der Unterhaltung und des Ausruhens halber. Ob's Zufall war oder seine feine Nase, oder gar beide, welche ihn hinter's Haus des Küfertoni's führten! er traf dort die Knechte beim Kirschenbrennen an und sah mit Neugier zu, wie aus dem erhitzten Kessel der Geist durch die Röhre stieg und nach seiner Abkühlung in wasserklaren Tropfen als Kirschwasser hervorrieselte und sich ansammelte. Daß aus den schwarzrothen fleischigen Kirschen so helle Flüssigkeit gewonnen wurde, verwunderte den Jungen nicht weniger, als daß die süße Frucht einen so starken Geist enthielt, wie man den gar nicht vermuthete, auch wenn man einen ganzen Kratten voll von dem Obste äße. Die Knechte kosteten dann und wann von dem Ablauf, um seine Stärke zu bemessen, und fragten den Hansli, halb im Scherze, ob er vielleicht auch Liebhaber sei? Dieser, nicht faul, ergriff das dargebotne

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Gläslein und leerte es zum Erstaunen der Umstehenden kurzweg den Hals hinunter. „Oho! du kannst's ja trotz einem Großen!“ rief Einer, und der Andre / fügte lachend bei:„Aus dir kann noch was werden, wenn du so fortfährst!“Hansli fühlte sich geschmeichelt und wollte zeigen, was er jetzt schon für Einer sei und vermöge, man brauche nicht mehr erst lange zu warten. Hastig ergriff er ein zweites Glas,es gleichfalls in einem Zuge nachzustürzen. Einer der Knechte wollte ihn abhalten und wehrte, die andern aber hatten ihren Spaß daran, während dem Streite darüber hatte der Bube das Kirschwasser bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken,denn er nahm's auf seine Ehre, daß man ihm so wenig zutraute. Die Aufregung, die Hitze, die draußen war und der Dunst um den Brennkessel und die gährenden Kirschstanden her verfehlten indeß nicht, die Wirkung des Getrunknen zu beschleunigen und zu verstärken. Nach kurzer Zeit ward dem Bürschlein duslig, es schwindelte und verfärbte sich, vermochte nicht mehr fest und frei zu stehen, sondern mußte sich an die Wand lehnen, bald sogar auf eine Bank niedersetzen.Aber von Minute zu Minute steigerten sich Rausch und Uebelleit, die Knechte wurden allmälig unruhig, fürchteten, der Meister möchte kommen und den Hansli in diesem Zustande finden. Der, welcher abgewehrt, klagte die andern an, er wollte nichts damit zu thun gehabt haben und diesen war noch weniger wohl bei der Sache, trotzdem sie von keiner Schuld wissen wollten. Sie wurden räthig, den Burschen fortzuschaffen, man konnte mit ihm so ziemlich unbemerkt hinter den Häusern weg, über die Matten zwischen den Bäumen durch, nach seiner väterlichen Wohnung gelangen. Da er,[211] bei einem Versuche ihn fortzuführen, machtlos zusammenbrach,so packten ihn die zwei Schuldigsten frischweg bei Armen und Fußen, trugen ihn hinter des Andres Haus und legten ihn dort unter einem Baume im Schatten nieder, weil sie sich doch scheuten, den Eltern ihr Kind in solchem Zustande geradezu in's Haus hineinzubringen. Im kühlen Grase werde er am ehsten sich erholen und den Rausch ausschlafen! trösteten sie sich, er sei dort jedenfalls nicht aus der Welt, im schlimmsten Falle werde ihn schon jemand finden und je später desto besser für ihn und sie! Damit drückten sie sich und machten sich unbemerkt wieder an ihre Geschäfte hinterm Brennkessel; wie ein Stück Holz aber lag der Knabe bewußtlos im Grase ausgestreckt.

Frau Lisebeth verspätete sich bei ihrer Arbeit, Mittag hatte schon verläutet, in eiligen Schritten, mit erhitztem Gefichte, den schweren Bohnenkratten in der Hand, nahte sie vom Felde her ihrer Wohnung. Der nächste Weg führte sie über die Matte und durch den Baumgarten. In ihrem Eifer wegen der Verspätung beachtete sie nicht, daß Etwas im Grase lag, sie schaute nur nach der Hinterthüre, ob dort nicht der Andres oder der Hansli in ungeduldiger Erwartung ständen.Plötzlich fand fie sich vor einem menschlichen Körper; ein Blick zeigte ihr, daß dieser nicht aus Behagen da so ausgestreckt lag, ein zweiter erfüllte sie mit Entsetzen, daß ihr der Bohnenkratten entfiel, denn trotz der Entstellung erkannte sie ihren Hansli: bleich, ja erdfahl, lag er da, wie todt, keines Sinnes und keines Gliedes mächtig, stumpf und glotzig war der Ausdruck seines Gesichtes; dabei röchelte er tief, um ihn her und auf den Kleidern hafteten die ekelhaften Spuren seiner Trun22*[252] kenheit und schreckten, nebst dem Geruche, die entsetzte Mutter zurück, die sich voll Angst auf ihn stürzen wollte, indem sie ihn erst für irgendwie verunglückt ansah. Das war ihr einzig Kind! Ein schreckliches Licht ging ihr auf, ihre Pein würde kaum größer gewesen sein, jedenfalls hätte es ihr nicht so das Herz zerquetscht, wenn Hansli, von einem Baume heruntergestürzt, sterbend vor ihr gelegen wäre, denn jetzt kam's der Armen vor, als seien Leib und Seele mit einander verloren. Nur ein heftiger Schrei war ihr entfahren, aber einer, der die Nachbarschaft durchdrang, der auch den Andres in der Stube aufgerüttelt, darin er in einer Ecke gesessen,des Mittagessens harrend und inzwischen an seinem halben Dujel eingenickt, den er sich heimgeholt. Erschrocken, was es wol gegeben, in seinen Gedanken noch unklar und verschwommen, trat der Schneider vor's Haus, sah da die Lisebeth stehen, wie eine Säule so starr, und vor ihr den Hansli am Boden. Der Schreck brachte ihn bald zur völligen Besinnung,er fragte, ohne Antwort zu erhalten, sah nach und merlte nun,was es gegeben. In seinem bösen Gewissen ward ihm himmelangst, besonders da die Lisebeth so nahe stand, es kam ihm im ersten Augenblicke vor, der Hansli sei mit ihm gewesen und im Wirthshause trunken geworden und sein Aussehen war das eines armen Sünders vor dem Richter. Hilf- und rathlos stand er da, stotterte, bis er sich allmälig ein wenig sammelte und besann.

Eine Nachbarin war auf den durchdringenden Schrei ebenfalls herbeigeeilt, sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, als sie sah, was es gab: nein, was das für ein Unglück sei, ein Kind in dem Zustande sehen zu müssen; sie [273] hielte es nicht aus! Aber sie habe es immer gedacht und hätte maunchmal gerne die Frau Lisebeth gewarnt, wenn sie nicht gefürchtet hätte, es würde übel aufgenommen: sie sollte doch den Hansli nicht so viel in's Wirthshaus gehen lassen,im ganzen Dorfe habe man sich darüber aufgehalten, und dann habe er getrunken wie ein Großer, trotzdem er noch nicht in Unterweisung gegangen. Da habe man's nun! Wenn sie doch nur gewarnt hätte, sie möchte sich jetzt die Finger abbeißen, daß sie's nicht gethan, ob es gleich ihre Pflicht nicht gewesen sei und man ihr vielleicht vorgeworfen hätte, das gehe sie nichts an.So lamentirte die Nachbarin in einem Zuge mit vielen Unterbrechungen von Weh und Ach und Oh. Andres war auf Kohlen, alle Augenblicke fürchtete er, das Wetter werde nun über ihn losbrechen und aus purer Seelenangst davor begann er schon im Voraus dagegen sich zu wehren oder womöglich es abzuleiten:Es werde nicht so gefährlich sein! er sei froh, daß der Bube nicht mit ihm gewesen, sonst müßte er schuld dran sein! es sei gut, daß Hansli noch hieher gekommen! was man auch mit ihm machen könne? ob man ihm nicht Etwas geben sollte? Dieß waren die Redensarten, der Trost und die Hilfe, mit denen Andres um den Sohn herumtrippelte und seiner Frau an die Hand ging. Lisebeth achtete nicht darauf,ja sie schien nicht einmal zu bemerken, daß ihr Mann neben ihr stand, wenigstens wendete sie keinen Blick, kein Wort an ihn, starrte nur auf ihr elendes Kind hin. Ekel und Mutterliebe käͤmpften in ihr mächtig mit einander, bald sah sie den

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Daliegenden sorgvoll und ängstlich an, bald wandte sie sich,wie von Abscheu erfüllt und mit wilden Blicken von ihm ab,keine Thräne kam in ihre Augen, keine Klage, kein Seufzer über ihre Lippen. Da mit einmal schien ein Gedanke in ihr zu erwachen, plötzlich raffte sie sich auf und grimmig, wie eine gereizte Löwin, sah sie den Andres an, dann ergriff sie den Hansli, hob ihn leicht wie ein kleines Kind vom Grase auf und trug allein ihn in's Haus hinein, auf sein Bette, wo sie ihn entkleidete, reinigte und zurecht legte. Andres hatte erst helfen wollen, aber als flüchtete sie eine Beute vor ihm,war Lisebeth an der Nachbarin und an ihm weggeschossen und kleinmüthig tappte er erst eine Weile hinter ihr drein,ebenfalls in's Haus, seine Angst und Verdutztheit in allerlei Murren und Belfern einkleidend. Nicht lange nachher sah er die Frau hastig das Haus wieder verlassen, offnen Mundes und in den Haaren kratzend blickte er ihr nach, denn er konnte sich nicht denken, was das zu bedeuten habe. Indeß hatte ihn der Auftritt so angegriffen, mit dem Mittagessen schien sich's ebenfalls noch zu verzögern, daß er nothwendig einer Herzstärkung bedurfte. In der Verlegenheit, was noch kommen werde und um die Abwesenheit der Lisebeth so gut als möglich zu benutzen, ergriff Andres den Ausweg, daß er hinter das Känsterlein ging und aus der Brenzflasche einen herzhaften Schluck einstweilen zu sich nahm, denn in dieser allein lagen ja noch seine Fassung und sein Halt.

Lisebeth aber, bei der es sich um die Rettung ihres Hansli handelte, an dessen Verderben sie nun gar noch Schuld tragen sollte, trotz ihres fortwäͤhrenden Kampfes dagegen, war zum Gemeindspräsidenten geeilt. Sie fühlte die Nutzlosigkeit ihrer [215] bisherigen Anstrengungen und ihres Unvermögens für die Zukunft in erdrückender Schwere, deßhalb wollte sie jetzt, zum Aeußersten gebracht, Hilfe suchen, wo sie die immer nur finden konnte und um jeden Preis. Dieser Gedanke, „nur Hilfe!Hilfe!“ beherrschte ihr ganzes Wesen, er überwand bei ihrer innerlich heftigen Natur die angeborne Verschlossenheit, daß sie nichts Andres mehr sah, hörte, achtete, noch überlegte.Sie hatte ihr einziges Kind hart am Abgrund liegend erblickt,zum Theil schon darüber hinaushängend, da war ihr Andres entgegengetreten, hatte sich gleichsam selber als Urheber der ganzen großen Gefahr dargestellt. Daß er in dem einzelnen Falle eigentlich unschuldig gewesen, war bei der entsetzten Mutter gar nicht in Betracht gekommen, denn die frühern Anlässe und Streitigkeiten loderten mit einmal jetzt alle wieder vor ihren Augen in einer Flamme auf und die unklugen Worte der Nachbarin hatten den Stachel nur tiefer in's Herz gedrückt. Da war der Mutter in ihrer Rettungslosigkeit als letzte Hoffnung der obrigkeitliche Schutz beigefallen, welcher mit stärkerem Arm, als der ihre war, den Vater abhielt von der Verführung seines Sohnes, indem er dessen Gewalt über diesen beschränkte. Lisebeth wollte vom Präsidenten ein Verbot erwirken, welches, wenn es nicht dem Andres selber den Wirthshausbesuch untersagte, so doch ihn hinderte, den Hansli mit dahin zu nehmen. Gelang ihr dieß, wurde das Kind dem gefährlichen Einfluß und schlechten Beispiele entzogen,dann leuchtete der armen Mutter noch ein Stern für die Rettung ihres Kindes, dann auch wollte sie gerne und ohne Murren an der Schande mittragen helfen, welche durch eine solche Maßregel auf's gesammte Haus fiel.

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Der Gemeindspräsident hatte eben zu Mittag gegessen und saß allein noch am Tische mit den Fliegen, die sich an den Brosamen erlustirten, während er behaglich den Rest der Flasche leerte, in den Zähnen stocherte und von Zeit zu Zeit eine Prise nahm aus der Dose, die neben ihm lag. Er stellte Etwas vor, der Gemeindspräsident, in seiner breiten Postur, mit dem doppelten Kinn in dem roth angeflognen Gesichte und dem Gefühle seiner Wichtigkeit. Aus seiner bequemen Ruhe störte ihn da der rasche Eintritt Lisebeths, des Schneider-Andres Frau, plötzlich auf, durch das Unerwartete des Besuches sowol, als durch die Heftigkeit ihres Eintretens und den Ausdruck ihrer Mienen. Ohne lange Einleitung leerte die Frau ihr Herz und das gründlich; erst mehr in heftigen, abgebrochnen Sätzen, bis sie allgemach in einen Zug oder vielmehr Strom kam, nachdem der erste brausende Schwall, der hinter der Schleuse sich aufgestaut, abgelaufen.

Der Gemeindspräsident war erst überrumpelt, verblüfft,erkannte die wortkarge verschlossene Lisebeth nicht wieder.Ihrer Heftigkeit gegenüber fehlte es ihm aus seiner Mittags-behaglichkeit heraus an den Worten, die Kraft des mütterlichen Schmerzes hielt ihm die Rede nieder und die Wahrheit,mit solcher Bewegung ihm plötzlich entgegengeschleudert, verwirrte seine sonstige Besonnenheit. Mit Mühe suchte er nach einigen Einreden, dabei allmälig die Sammlung zu gewinnen.Er fragte nochmals, was es denn gegeben? suchte zu beschönigen, auszureden, sprach von näherer Untersuchung, von Vorstellungen und gütlichem Zuspruche: der Andres werde wol wissen, was er mache, er sei nicht auf den Kopf gefallen und auch nie der Uebelste gewesen! Er meinte, Lisebeth sehe [217] wol gar zu schwarz, übrigens sei's nur ein Mal, daß es Etwas gegeben mit dem Hansli, davon könne man nicht gleich so ein Aufhebens machen, es schade nur, komme unter die Leute, am wenigsten aber sei das eine Sache, um da sofort einzuschreiten. Es wäre im Gegentheil eine ungesetzliche Verletzung der Autorität des Vaters, ihm in die Zucht des Kindes eingreifen zu wollen.

Aber eben an der Zucht fehle es ja! unterbrach Lisebeth den Präsidenten, der nun wieder im Sattel saß.

„Das verstehst du nicht!“ belehrte er sie; „der Staat ist nicht befugt, bei jedem häuslichen Zwiste sich einzumischen,das geht gegen die verfassungsmäßig garantirte bürgerliche Freiheit!“

Lisebeth, die auf Einreden sich nicht versstand, nur auf ihrer geraden Linie blieb und am allerwenigsten den Windungen und Wendungen eines Gemeindepräsidenten, der nicht will, gewachsen war, fühlte, beim Unterhandeln komme sie zu kurz und werde immer weiter von ihrem Ziele zurückgedrängt.Sie raffte sich darum nochmals auf und faßte ihre Streitkräfte kurz zusammen, indem sie wiederholte, wie ihr Mann in den Krallen von Wirth und Krämer sei, die ihn aussögen,ohne daß er von selber sich losmachen könne, im Gegentheil,den Hansli noch nachzöge. „Eine Sünde ist's wie die's treiben!“ schloß die bewegte Frau, „sie betrügen ihn um Alles und bringen uns noch an den Bettelstab; Diebe und Schelme sind nicht ärger!“

„Nimm dich in Acht!“ fiel der Präsident ein, „sag das nirgends sonst, ich will's nicht gehört haben, es sind unbescholtene Männer und wenn du den Dieb und

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Schelm beweisen solltest, könnte es dir bös gehen. Sie gehen zu Niemand, man kommt zu ihnen und besitzen das Recht zu wirthen, denn sie haben vom Staate ein Patent gelöst und zahlen dazu ihre Abgaben.“

„Sündengeld!“ fuhr Lisebeth dazwischen, „das dem Lande keinen Segen bringen kann!“

Dies ärgerte den Gemeindsvorsteher: „du bist ein einfältiges Weibsbild, mit dir ist nicht zu reden; willst du, daß der Andres neben dir daheim auf dem Ofenbänklein beim Spinnrade sitze oder alte Predigten lese, he nun, so mach's,wenn du kannst, der Staat aber ist nicht dazu da, eben so wenig, um dir deinen Buben zu hüten!“

Mit diesen Worten wollte er aufstehen und fortgehen,Lisebeth aber vertrat ihm den Weg. Die gute Frau wußte sonst blutwenig von Regierung, Verfassung und Gesetz; sie hatte bisher immer gemeint, diese gingen die ordentlichen und ruhigen Leute eigentlich gar nichts an. Von Obrigkeit im Allgemeinen machte sie sich wol einen Begriff; die Obrigkeit,meinte sie nach ihrer Einfalt, sei da, um zu sorgen, daß Alles ordentlich im Geleise gehe und nichts Unrechtes geschehe. Nun war aber doch einmal der Andres außer dem Geleise und daß er den Hansli noch mitzog, war gewiß schlecht und schädlich genug, um die Obrigkeit zu vermögen, ihre Gewalt geltend zu machen und den Unmündigen zu schützen. Sie fragte darum, indem sie dem Gemeindspräsidenten hart unter die Augen trat: „Sag mir, Präsident, wozu ist denn eine Obrigkeit da, wenn das sie nichts angeht? Sie mischt sich doch in jede Lauserei! es werden Bücher geführt über jede Maaß, die in's Land kommt, aber was mit dem Getränke geschieht, ob

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Weib und Kinder damit zu Grunde gerichtet werden, das ist,scheint's, der Obrigkeit dann gleich. Wenn Eltern die Kinder nicht in die Schule schicken, so werden sie gestraft, es soll gegen das Gesetz sein; der Vater darf aber seinen Buben an Leib und Seele verderben, das geht die Obrigkeit nichts an, es ist nicht ungesetzlich. Glaubst du, daß eine solche Obrigkeit von Gott eingesetzt sei?“

Der Präsident hatte indeß genug, er ließ sich nicht weiter ein, sondern sagte nur aufgebracht: „Du hast ein böses Maul!es nimmt mich nicht Wunder, wenn dein Mann aus dem Hause läuft und ein Glas über den Durst trinkt, du bringst ihn dazu, klage nur nicht! Mich aber laß jetzt in Ruhe mit deiner Phantasterei; du weißt es jetzt, es wird nichts draus,Punktum!“

Und mit dem Punktum schoß der Präsident, hochroth im ganzen Gesicht, an Lisebeth vorüber und ließ sie stehen und mit diesem Trost und dieser Hilfe ging die arme Frau wieder heim. Sie wußte nicht, wie sie über die Gasse kam, sah keinen Menschen und spürte den Boden unter den Füßen nicht. Sie hatte nur das Gefühl, hinausgestoßen zu sein in stockfinstre Nacht, ohne Weg und Steg, umgeben überall von Abgründen, verlassen von aller Hilfe bei Gott und Menschen. Der Muth und die Kraft der Erregung waren völlig zusammengebrochen, Zagheit und Aengstlichkeit überkamen sie plötzlich mit aller Macht, bleischwer lag's ihr in den Gliedern, das Herz war wie in einen Schraubstock gepreßt, es schwindelte ihr, daß sie nichts denken, nichts fassen konnte. Einzig die Vorwürfe und Anklagen, die sie gehört, daß sie schuld sei an Allem, stachen aus dem wüsten Durcheinander hervor,[220] in das ihre Seele versunken war; wie giftige Pfeile zielten sie auf ihr Herz, lasteten wie Keulenschläge auf dem dumpfen Gehirn und lähmten ihr die letzte Willenskraft, sich oben zu halten in der wilden Flut, die von allen Seiten auf sie eindrang.Als Hansli in der Kammer auf seinem Bette erwachte,war er ganz allein; es schien ihm, ein eiserner Reif sei um den Kopf geschmiedet. Allmälig besann er sich auf das,was mit ihm vorgegangen: wie ein Traum kam es ihm vor,daß die Mutter bei ihm gewesen, sein böses Gewissen schlug ihn mächtig, abgeschlagen, gebrochen war er in allen Gliedern, am Muthe zumeist. In Bangen und voll Scham, noch mit der dumpfen Erinnerung kämpfend, lag er da, wollte aufstehen und konnte nicht, liegen zu bleiben fürchtete er sich,jeden Augenblick konnte die Thüre aufgehen, die Mutter hereintreten und Alles in der Welt getraute er sich eher zu ertragen als deren Anblick. Da mit einmal kam heulend und mit gräßlicher Verzerrung im erdfahlen Antlitze der Andres in die Stube gestürzt, daß der Sohn den Vater kaum mehr erkannte: die Mutter habe sich auf dem Dachboden erhängt! stieß er mit tonloser Stimme und am ganzen Leibe wie ein Espenlaub bebend, hastig heraus.

In einem Satze war Hansli aus dem Bette, und vollständig nüchtern geworden, sprang er mit einem zweiten die Treppe hinauf, wo der schrecklichste Anblick ihn erwartete.Er wußte nicht, was er that, er überlegte nicht, er stürzte nur verzweiflungsvoll auf die unglückliche Mutter hin, deren Füße nicht weiter vom Boden entfernt waren, als die Höhe eines niedern Schemels betrug, welcher umgestürzt in der Nähe [201] lag und den Andresli durch sein Poltern auch heraufgelockt hatte. Der Schneider kam, so schnell ihm die schlotternden Kniee es erlaubten, nachgekrochen und wenn er auch im ersten Schrecken die Frau ohne Hilfe hängen gelassen, so war er jetzt um so eifriger bemüht, das Halstuch, an dem Lisebeth sich aufgeknüpft und das Hansli bereits von dem Nagel losgerissen,vom Nacken der Bewußtlosen zu schlingen. Sie trugen diese hinunter in ihr Bett und während Andres eilig zum Barbier lief, warf sich Hansli, von tiefem Schmerz und den bittersten Vorwürfen ergriffen, über den starren Leib, rief in einem Gemisch von Seelenangst und Heftigkeit den Mutter-Namen,als könne er sie noch zurückrufen zum Leben. Unter Thränen der Reue gelobte er, ihr nie mehr ein Leid anzuthun,bei ihr bleiben und den unheilvollen Brenz ewig meiden zu wollen, nur solle sie die Augen wieder aufschlagen, ihn ansehen und ihm zur Verzeihung die Hand geben! Lange blieb Hansli in diesem Seelenkampfe mit der Erwürgten allein in der einsamen dunkeln Kammer, er hörte keinen andern Laut als den seiner eignen Stimme, hundertmal warf er sich über das Bette, hundertmal wieder raffte er sich auf, sah der Mutter in's Gesicht, indem die Angst seine Schen überwand;aber unbewegt starrten ihn die Züge fortwährend an, todt blieb das Auge, schlaff und welk die herabhängende Hand und gab den Druck der seinen nicht wieder. Da tönten durch diese fürchterliche Einsamkeit von unten Schritte, Hansli horchte scharf, es waren Zwei, sie kamen die Treppe herauf,es war wirklich der Barbier in Begleitung des Andres. Der Chirurg schalt gleich über die verdumpfte Luft in der Kammer drin, in die erst kurz noch die heiße Mittagssonne geschienen;[2239] q 42 er riß das Fenster auf: ein Gesunder könne da drin ersticken!ob sie denn keine Vernunft hätten! Hansli war es wol bange gewesen, banger, als der Barbier es meinen konnte, aber seiner Bangigkeit hätte das Oeffnen aller Fenster nichts geholfen.Sie nahm erst ein klein wenig ab, als der Sachkundige der Mutter an den Puls fühlte, dann an's Herz und erklärte:es sei noch Leben da! und unter Schimpfen und Schelten über die Unvernunft, der Frau die engschließenden Kleider aufknüpfte und auflöste. Er spritzte ihr frisches Wasser in's Gesicht und schlug ihr dann zu Ader. Nur ein paar Tropfen schwarzes dickes Blut rollten erst den braunen Arm herunter,es quoll bald lebhafter nach, endlich sprang ein dunkler Strahl im Bogen aus der Wunde und unwillkürlich athmeten Alle auf, noch ehe der Barbier erklärte, nun sei's gewonnen. Aber als würde ein Berg ihm vom Herzen gewälzt, ja als wäre ihm selber auf dem Richtplatze schon das Leben abgesprochen gewesen und auf einmal rufe ein heransprengender Courier „Gnade!“ so war es Hansli zu Muthe, als sichtbar der erste Athemzug sich langsam und tief aus der Brust der Mutter rang, als der starre Todesausdruck in ihrem Gesichte sich in die friedliche sanfte Ruhe des Schlafes umwandelte, ihr Augenlid sich zu bewegen begann, der erste Blick darunter DDDV schämung und Reue ergriffen ihn gemeinsam und übergossen sein Antlitz mit glühendem Roth; aber die Freude über die wiedergeschenkte Mutter blieb Meister und warf ihn an dem Bette nieder. Ungestüm die Hand der Daliegenden ergreifend,ließ er aller Zärtlichkeit eines jugendlichen Gemüthes die Zügel schießen und nur halb vermochte die verdrießliche Kunst des

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Chirurgen den Ausbruch zu bändigen, den er für den Erfolg nachtheilig und hinderlich erlläͤrte. Andres war bisher ziemlich rathlos an dem Bette gestanden, sich selbst immer tröstend:die Lisebeth werde wol wieder zu sich kommen, es sei nur eine Ohnmacht, sie habe kaum eine Minute gehangen, denn sogleich sei er auf den Lürm des umgestürzten Schemels hinaufgegangen und sie sei immer eine Zähe gewesen. Jetzt fing er an herumzutrippeln, seine Angst ließ nach und ein Stück ehemaligen Uebermuthes kehrte wieder: er habe es ja gleich gesagt! die Weiber seien wie Katzen, es thu ihnen Alles nichts,aber daß sie andre Leute so erschreckten, das sei doch nicht recht!

Lisebeth erwachte wieder zum Leben, doch waren die Aufregungen der letzten Stunden so heftig gewesen, der Aderlaß hatte sie obendrein noch so erschöpft, daß sie bald in einen zwar gesunden, aber langen und tiefen Schlaf fiel, während dessen Hansli nicht von ihrem Bette wich, indem er immer halb fürchtete, die Mutter möchte ihm doch noch sterben und er darum auf jeden Odemzug achtete und gleich ängstlich ward, wenn die Züge zufällig etwa einmal schwächer wurden oder einer aussetzte.

XIX.Ein Pfarrer macht Etwas gut, das er nachher mit der besten Absicht wieder verdirbt.

Wie ein Lauffeuer und mit allen möglichen Ausschmükkungen ging die Kunde von dem schauerlichen Vorfalle im [224] ganzen Dorfe herum und je nach ihrer Stellung zum Branntwein maßen die Einen dem Andres alle Schuld davon bei, während die Andern umgekehrt gerade diesen und seine Liebhaberei zum Schnapse damit entschuldigten: man könne da sehen,wie ihn die Frau mit ihrer Schwermuth und Heftigkeit in's Wirthshaus getrieben! Als der Pfarrer davon hörte, säumte er nicht, die Lisebeth zu besuchen, so wenig er sonst in dem Hause ein- und ausgegangen. Er erfuhr bald den wahren Zusammenhang und die Ursache und den Jammer; die Verzweiflung, welche die Frau zu dem Schritte getrieben, erweckte bei ihm die aufrichtigste Theilnahme. Von seinem Herzen geleitet, suchte er sie darum auch zu trösten und aufzurichten,besonders da er sie über ihre That sehr reuig und niedergeschlagen fand. Er hielt ihr wol die große Sünde vor,die zu vollenden sie so nahe gewesen. Dann aber sprach er von Gottes unendlicher Barmherzigkeit und knüpfte an Lisebeths Reue an, welche der rechte Weg zu jener sei. Er hielt der Muthlosen das verlorne Schaf, den wiedergefundnen Groschen vor Augen und wie Gott in seiner Langmuth nicht Freude habe am Tode des Sünders, sondern, daß er sich bekehre, fachte ihr Vertrauen an als einen glimmenden Docht,ihre Gebrochenheit richtete er auf als ein zerknicktes Rohr im Auftrage und im Namen des Heilandes aller Menschen. Indem er ihren Kleinglauben strafte, tröstete er sie mit der Hilfe des himmlischen Vaters, die noch stark sei, wo der Menschen Hilfe schon lange ausgegangen, der auch den rechten Augenblick nie versäume, dessen Wege aber nicht unsere Wege seien. Zum Schlusse betete er recht herzlich und inbrünstig mit der armen Frau. Schon die warme und aufrichtige Theilnahme that [22] dieser, die sich von Gott und Menschen verstoßen wähnte, im Innersten wohl und erwärmte ihr erkaltetes Herz zu neuem Hoffen und Vertrauen, das sich nun auf Gott richtete, auf welchen der Geistliche hingewiesen, als dem einzigen wahrhaften Retter in aller Noth. Wenn Lisebeth auch stille und traurig blieb, noch lange nachher, und die Leute und deren Umgang vermied, so hatte sie doch einen Halt gefunden, der sie vor dem Versinken in dumpfe Verzweiflung bewahrte, der ihr ein Stab war, mit welchem sie die auferlegte Bürde ohne zu erliegen weiter tragen konnte.

Auch mit Andres und dem Hanusli hatte der Pfarrer bei diesem Anlasse gesprochen; mit jedem in's Besondre, aber voll tiefen Ernstes. Er bedeutete sie, und schärfer als er es bei Lisebeth gethan, wie viel Schuld an dem Verbrechen der Mutter auf sie falle, was sie jetzt auf dem Gewissen hätten,wenn diese im Selbstmord dahingegangen wäre und, vor Gottes Richterstuhl verklagt, zugleich als Klägerin wider Gatten und Kind aufträte. Zugleich stellte er ihnen vor, was Alles sie gut zu machen hätten und wie ihnen dies allein möglich sei.

Bei Andres zogen diese Zusprüche und Ermahnungen nicht recht, er suchte sich zu rechtfertigen und verfiel in ein Lamentiren und Räsoniren hinein, das keine Frucht brachte.Nein, was doch auch ihn noch treffen müsse! klagte er, ohn Unterlaß reite das Unglück auf ihm herum! Dann wieder meinte er: die Lisebeth habe nicht gewußt was sie thue, sie sei außer sich gewesen, er kenne sie wohl! Der liebe Gott würde auch nicht zu strenge mit ihr verfahren sein. Uebrigens sei er nicht dran schuld gewesen diesmal, man könne aber daraus sehen, was ihm die Frau zu schaffen gebe, es habe ihm's

Meyer-Merian, Mareili.

18 [226] bisher kein Mensch geglaubt; bei allem Schreck, den er ausgestanden, sei es gut, daß das einmal an den Tag gekommen.Nicht! sie hätte ihm sehr leid gethan, denn für's Hauswesen sei sie besonders gut und arbeite wie Wenige, wenn sie nur heitrer und nicht gleich so heftig wäre, das aber habe sie von ihrem Vater geerbt!

So schwatzte der Andres durch einander und wehrte Alles,was ihn anging, von sich ab. Mit Betrübniß erkannte der Geistliche, zu welch löcherigem Brunnen er schon herabgesunken war. Um so angelegentlicher sprach er dem noch unverdorbneren und empfänglicheren Hansli in's Gewissen, ließ ihn aus dem großen Unrechte der Mutter die Größe ihrer Liebe zu ihm erkennen. Diese solle er ihr nun mit seiner Besserung vergelten und so das Unglück zum Segen für ihn und die Mutter wenden. Und dabei stellte er ihm abschreckend die Folgen vor, wenn er auf dem bisherigen Wege fortwandle und wie es nicht anders möglich, als daß er immer tiefer und unrettbarer in das Verderben des Brenztrinkens hineingerathe. Er wies ihn an die Mutter, der möge er eine Stütze sein und er werde es vermögen, noch sei's Zeit, wenn er ernstlich wolle und zu Gott um Kraft bete gegen die Versuchung,täglich und ohn Unterlaß. Wie Gott sich seiner Jugend erbarmt und den ernsten Ruf zur Umkehr an ihn ergehen lassen,so werde er ihn auch unterstützen, wenn er der Warnung redlich nachzukommen suche!

Hansli rechtfertigte sich nicht, er nahm sich die Ermahnung zu Herzen. Schon durch das schreckliche Ereigniß war er hinlänglich erschüttert worden; in den einsamen Augenblicken, die er am Bette der erstarrten Mutter zugebracht,[227] hatte er aus innerster Seele Besserung und Umkehr gelobt,wenn die Mutter nur wieder zu sich komme. Wenn damals auch kein Ohr sein Versprechen vernommen, es war zu feierlich, die Lage zu ernst gewesen, um es jetzt nicht gleichwol getreulich zu erfüllen; hatte er es doch sich selber fast ebenso heilig angelobt, als der Todtgeglaubten. Hansli liebte die Mutter aufrichtig, er war plötzlich und gewaltsam aus seiner Verblendung und seinem Leichtsinne aufgerüttelt worden, an sich selbst hatte er ja auch die unheilvollen Folgen des Trinkens schwer erfahren, es schien ihm nicht mehr Uebertreibung,was die Mutter geeifert gegen den Branntwein. Das Gebaren des Vaters in seiner Halt- und Hilflosigkeit hatte ihn nicht minder hingewiesen auf die vernichtende Wirkung des Trinklasters und wie auch Unschuldige in Unglück und Schande,selbst zu Verderben und Sünde dadurch könnten gebracht werden, das hatte er ja eben an der eignen Mutter schrecklich genug erlebt. Mit einem Worte, die Augen waren Hansli jetzt geöffnet. Und dies Alles machten ihm die Vorstellungen des Pfarrers noch klarer, eindringlicher und befestigten ihn in seinen Vorsätzen. Er war überhaupt nicht leichtsinniger Natur,empfing er einmal einen tiefen Eindruck, so verwischte der nicht sobald wieder; was er erfaßt, das hielt er fest, hierin schlug er mehr der Mutter nach als dem Vater. Er war, wie diese,eher stiller Art und machte nicht leicht viele Worte; so ließ er sich auch jetzt gegen Lisebeth nicht besonders aus, weder in Darlegung seiner Reue, noch seiner Umkehr und Besserung.Daher war keine sehr große Veränderung an ihm bemerkbar,um so weniger, da in erster Zeit Andres gleichfalls sich etwas in Acht nahm und die Gelegenheiten des Wirthshausgehens [218] vermied, somit auch den Hansli nicht mit sich zu ziehen suchte.Nur eine größre Aufmerksamkeit gegen die Mutter konnte ein schärfrer Beobachter herausfinden, eine regere Bereitwilligkeit,ihr an die Hand zu gehen, Dieß und Jenes ihr abzunehmen,für sie zu vollführen, ungeheißen und oft selbst ohne daß Lisebeth es gleich inne ward, denn Hansli macht kein Aufhebens davon.

Solchen guten Weg betrat Hansli und es ward dafür gesorgt, daß er ihn nicht sobald wieder verlassen sollte.

Alles schien wieder nach und nach in ein leidliches Geleise kommen zu wollen, wenn auch Andres im Ganzen so ziemlich der Alte blieb, denn je mehr ihm der erste Schreck aus den Gliedern wich, um so fleißiger suchte er auch wieder die frühre Lebensweise anzunehmen, und er wurde zu ihr von seiner Leidenschaft, wie die Mücke von der Flamme, in immer engere Kreise hereingezogen. Lisebeth ging wieder den gewohnten Geschäften nach in Haus und Feld mit dem alten Fleiße, der frühern Sorge, nur noch stiller und nachdenklicher. Der Geistliche besuchte sie von Zeit zu Zeit, denn sie hatte seine Theilnahme erregt, wie auch sein Wohlwollen ihr eine Freude und Stärkung war. Er hatte das Bewußtsein, nach Kräften zu dem guten Ausgange gewirkt zu haben und mit Recht gab ihm dieß eine Befriedigung. Leider begnügte er sich nicht mit diesem Erfolge, sondern er wollte in seinem erweckten Eifer noch mehr erreichen, einen noch größern, auffälligern Sieg erringen, der auch auf andre Gemeindegenossen seine Wirkung ausdehne durch Vorbild und Mahnung zugleich. Die Rettung Lisebeths schien ihm nur unvollständig zu sein, er wollte sie ganz für den Himmel gewinnen, indem er sie der Welt []*22 noch völliger entzog und zu der Zahl Derer versammelte, die er im weitern Kreise der Gemeinde als die, Seinen“ sich auserwählt. Seinen Ruf und den der göttlichen Gnade sah er hiebei als denselben an; war er sich doch bewußt, nur für das Himmelreich zu arbeiten. Die Empfänglichkeit und Zugänglichkeit, welche er bei der gebeugten Frau gefunden, schienen ihm das Gelingen zu verbürgen. Ein regeres und höheres Glaubensleben in ihr zu entfalten, knüpfte er erst an das Vorhandne an, indem er Lisebeth fragte, ob sie auch regelmäßig bete und unentwegt zu Gott halte, an den sie in ihrer Noth sich mit Erfolg gewendet? Harmlos und in aller Einfalt theilte ihm die Frau mit, daß sie jede Nacht, seit Kindheit an, im Bette vor dem Einschlafen ihr Gebet verrichte, wie das der Brauch sei.

Der Pfarrer machte sie aufmerksam, daß mit der Gewohnheit nur zu leicht auch die Lauheit sich einstelle, daß es auf die Brünstigkeit des Gebetes, die Demüthigung und Hingebung ankomme, wenn Gott sein Wohlgefallen daran haben DDzu beten, als eine äußre Dargebung dieser Demüthigung vor dem Herrn. Dabei deutete er an, wie Gott sie habe fallen lassen, um sie aus ihrer Sicherheit zu wecken und ihm mit ganzem Herzen zuzuwenden. Der Herr habe sie lieb, deßhalb habe er sie nur gewarnt und nicht weggenommen in ihren Sünden,nun solle sie aber auf den Ruf merken und die Gnadenfrist wohl benützen, damit diese nicht unwiederbringlich verloren gehe, sondern sie ihrer Seele Heil erringe und zugleich auch den Hansli errette vom Rande des Verderbens, dem er entgegengehe!

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Schon jene Nachbarin und dann der Gemeindepräsident hatten Lisebeth Schuld gegeben an ihrem Kreuz und Unglück,nun that das auch noch der Pfarrer! Das fiel der armen Frau schwer auf die Seele und gab ihr zu denken. Es müsse doch Etwas an dem Vorwürfe sein, meinte sie; daß sie nicht fromm genug sei, darauf werde es wol herauskommen! Sie dachte aber das nur im Stillen, gab dem Geistlichen keine Antwort auf seine Rede und verrieth auch keinen Eindruck,weil Alles langsam bei ihr wirkte und nicht sobald zu Tage trat. Der Pfarrer, in seinem Eifer und seiner Ungeduld vorwärts zu kommen, beachtete die natürliche Schwerfälligkeit Lisebeths so wenig als die ländliche Unbeholfenheit in geistlichen Dingen überhaupt, er meinte nur Gleichgiltigkeit,Stumpfheit zu erblicken und ward deßhalb noch schärfer und eindringlicher, bevor er sie dießmal wieder verließ.

Als Lisebeth allein war und nachher oft in einsamen Stunden, des Nachts oder an Sonntagen, grübelte sie über die Worte des Pfarrers nach und suchte sich dieselben in ihrer Weise zurecht zu legen. Sie meinte wirklich, weil sie nicht fromm genug wäre, deßwegen sei es mit ihrem Hansli so gegangen und werde es auch so lange nicht besser werden;denn nur an ihr Kind dachte sie bei Allem. Sie wollte deßhalb nun frommer werden, um vom lieben Gott es zu erlangen, daß er sie nicht mit dem Verderben ihres Sohnes strafe,sondern ihr ihn rette, was ja sonst Niemand wolle oder vermöge. Und um so ängstlicher sah sie darum auf den Pfarrer,daß der ihr den rechten Weg weise zu solch heilsamer Frömmigkeit. Diese mütterliche Sorge legte indeß der Geistliche als ein Seelenbedürfniß der angefochtnen Frau überhaupt [231] aus und bestrebte sich, ihr behilflich zu sein und sie tiefer in die Geheimnisse des geistigen Lebens einzuführen. Ein solches Bedürfniß fehlte indeß Lisebeths ziemlich nüchternem und schlichtem Herzen fast gänzlich, jedenfalls war dieses allem Mystischen innerlich fremd. Sie verstand darum auch den Pfarrer nicht, seine Ausdrücke blieben ihr unklar, an einzelne Worte klammerte sie sich wol an, aber die machten sie nur ängstlich,und was sie so gewaltsam sich aneignete, dem fehlte alle tiefre Begründung, es gewährte ihr weder Befriedigung noch Ruhe und ihr Streben blieb unerreicht. In dieser unerquicklichen Lage meinte sie immer, das Rechte fehle ihr noch, oder sie treffe es mit der Frömmigkeit uoch nicht. Erschüttert, wie sie durch den Vorfall ohnehin war, nahm sie Alles schwerer,Bangigkeit, Zweifel und Kleinmuth über ihre Unfrömmigkeit und die Angst im Hintergrunde, den Hansli so dennoch am Ende zu verlieren, suchten die gute Frau schwer heim. Sie verhehlte auch ihre Bedrängniß dem Geistlichen keineswegs und er, in tiefer Mißkennung, schürte das Uebel vielleicht nur mehr, indem er sie zum Ausharren in der Prüfung, zum Durchdringen anstachelte: so gerade müsse es kommen, das Herz müsse zermalmt werden in seiner Fleischlichkeit; was sie befallen, sei die göttliche Traurigkeit und diese der Anfang der Gnade! Aber es war nicht die fruchtbringende göttliche Traurigkeit, sondern lähmende Muthlosigkeit, welche Lisebeth ergriffen und diese verrieth sich in ihrer wahren Natur auch bald und deutlich genug.

Vergebens quälte sich die arme Frau mit häufigen Gebeten und hastete in hundert Peinlichkeiten ohne Segen und Befriedigung nach einer Frömmigkeit, welche ihr die Gewiß[232] heit von ihres Kindes Rettung gewähren sollte. Je länger diese ausblieb, um so banger zitterte sie, um so heftiger warf sich ihr ganzes Wesen auf den einen Punkt und bei dem Mangel des geistigen Verständnisses waren die Ermahnungen und Tröstungen des Geistlichen, seine offenbarten göttlichen Geheimnisse alle, denen sie nicht zu folgen vermochte, eben nichts Andres als Oel in das Feuer, welches ihre gesunde Kraft allmälig verzehrte. Denn wenn sie zuweilen auch den weiten Abstand ihrer Auffassung göttlicher Dinge von den Mittheilungen des Pfarrers ahnte, wenn das innre Mißverständniß einmal recht handgreiflich wurde, dann war dieß für die Geängstigte Nichts als ein neuer Grund, am Gelingen ihrer Bekehrung und somit an deren Erfolge zu verzweifeln.

In solcher Muthlosigkeit, solchem Zusammensinken wurde aber Lisebeth auch gegen alles Andre gleichgiltig. Die Arbeit fiel ihr zur Last und gewährte ihr keine Befriedigung mehr,im Hause zeigte sie sich lässig: es ging in dem einzigen Kinde doch dem Verfalle entgegen! Alles ward ihr zu viel, kein stolzes Gefühl, das Feld der Hausfrau, die Ehre des Hauses bis zum Aeußersten aufrecht zu erhalten, spornte sie mehr an:sie selbst ja hatte schon Schande darauf gehäuft! So ließ sie überall die Hände sinken, blos die Gewohnheit führte sie lästigen und verdrossenen Schrittes noch die alten Wege, sie lief noch fort wie ein in Bewegung gesetztes Rad, ohne neuen,ohne eignen Antrieb.

Da Andres in Haus und Feld schon lange nicht mehr viel zählte und ihm in mancher Beziehung eine weniger geordnete und genaue Hausführung eher erwünscht als verdrießlich war, so hätten sich bald da und dort die bedenklichsten

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Folgen fühlbar gemacht, wenn nicht von andersher Hilfe zur rechten Zeit sich eingestellt hätte, ganz unvermuthet und unvermerkt. Diese Hilfe kam von Niemand sonst als von Hansli,dem es mit seiner Besserung Ernst war und welche nicht nur in guten Vorsätzen und schönen Versprechungen bestand, sondern Hände und Füße kriegte, die keck zugriffen und sich sputeten. Da er sich das Wirthshaussitzen und Herumziehen aus dem Kopfe geschlagen, blieb ihm viele Zeit übrig und weil er die zu Hause zubrachte und seine Theilnahme und Aufmerksamkeit der Mutter mehr denn je zugewendet war, so gab es sich auch fast von selbst, daß er dieser überall an die Hand ging, von Allem, was in Haus und Feld zu besorgen war,Kenntniß erhielt, immer mehr in Einzelnem selbstständig angriff und Eroberungen machte, indem er dieß und jenes Geschäft ausschließlich als das seine sich aneignete. Die Mutter,die sich fortwährend um ihn bekümmerte, merkte das nicht;weniger weil es allmälig und ohne Schein sich machte, als weil sich ihre Aufmerksamkeit von der Thätigkeit in Haus und Feld überhaupt mehr und mehr abzog, sie in ihrer Gleichgiltigkeit es nicht weiter beachtete, wenn Etwas, das sie thun wollte, bereits gethan war, da sie mit Kopf und Herz an einem ganz andern Orte sich befand. Dem Hansli war auch Angst gewesen, als ihm die Augen so plötzlich aufgerissen worden; aber die Angst hatte bei ihm ganz anders gewirkt als bei der Mutter, ihn trieb sie an, kräftigte seinen Willen und entmuthigte ihn nicht. Bei Allem, was er that, hatte er das Gefühl, einen Theil seiner Schuld gegen die Mutter abzutragen und das machte ihm das Herz leicht bei der Arbeit,daß die ihm immer besser aus den Händen ging und er den

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Segen der Arbeit stets reichlicher erntete. Je mehr seine Thätigkeit, und damit auch die Selbstständigkeit, zunahm, um so deutlicher wurde seine Einsicht in die Verhältnisse des Hauses. Daß ihm dabei die Stellung des Vater in ihrer ganzen Schwäche, ja Nichtigkeit, vor Augen trat, war beDDwenn es noch nöthig gewesen wäre, hätte ihn mehr auf dem guten Wege, den er nun wandelte, festgehalten, als diese Wahrnehmung der jämmerlichen Folgen, welche der Trinkfucht und dem Wirthshausleben auf der Ferse nachgingen und die auch ihn schon zu bedrohen angefangen. Diese Erkenntniß der Gefahr, der er entronnen, und in der er den Vater, das von Gott gesetzte Haupt des Hauses, allmälig untersinken sah, trieb aber den Jüngling zugleich an, die Lücke auszufüllen, der Mutter die Stütze zu sein, die der Vater leider nicht war und nicht mehr sein konnte. Bei diesem Selbstgefühl und der Liebe zur Mutter machte es sich wie von selbst, daß der Hansli bald die Seele vom Hause war und die arme Lisebeth in ihrer zunehmenden Muth- und Theilnahmlosigkeit eigentlich nur noch durch ihn mitgezogen wurde, ohne es recht zu wissen.

Es war eine Freude, den rührigen und arbeitsamen Burschen zu sehen und Jedem, der nicht blind war, mußte der Unterschied des Hansli von früher und des Hansli von jetzt in die Augen springen. Leider aber war die Mutter blind vor lauter Besorgniß, indem sie an der Gottgefälligkeit ihrer Frömmigkeit verzweifelte und darum immerfort an der Angst um ihren Hansli kaute. Selbst das Gute, das sie, fast wider Willen, sehen mußte, diente ihrem Kummer zur Nahrung:[2755] wuchs ihr, wenn's möglich war, noch tiefer in's Herz hinein,aber und nun erhob sich das ganze Heer der selbstquälerischen Zweifel, der kleinmüthigen Befürchtungen und schwarzen Möglichkeiten, die jemals in Lisebeths Seele die Zukunft des Knaben umschwärmt, und es schmerzte die arme Frau jetzt nur um so tiefer, daß der Hansli durch ihre Unfrömmigkeit dennoch sollte verloren gehen.

Wie emsig der Pfarrer auch bemüht war, der geängsteten Frau Lisebeth zum Frieden und zum Troste zu verhelfen, da ihm ihr, immer mehr dem Trübsinn sich nähernder Zustand selber nahe ging und Besorgniß einflößte, so gelang das ihm doch nicht, weil er nicht erkannte, wo der Dorn eigentlich stak, daher alle Versuche, denselben aus dem Fleische zu ziehen,ihn nur tiefer hineindrückten. Zum Heil für Lisebeth fand sich eine andre Hand, die dieß besser verstand, obschon sie nirgend dazu besonders war eingeschult worden, sondern nur unter der Leitung eines klaren einfältigen Auges, eines theilnehmenden wie erfahrnen Herzens, sich ihre Uebung erworben hatte. Es war die Hand der Letthofbäuerin.

XX.Eine Banernfrau legt Hand an und verstehl's krotz einem Pfarrer.

Der beidseitige Verkehr der Familien des Letthofbauern und des Andres war ungeachtet der Vetter- und Gevatterschaft [232]*J immer nur ein sehr geringer gewesen. Wie der Bauer die Heirath mit dem Schneider-Andres nicht gern gesehen, so hatte andrerseits dieser den Bauern eher gemieden als aufgesucht: er nannte ihn stolz und hochmüthig, und des Vetters strenger Ordnungssinn, sein Festhalten an dem, was er für Recht hielt, seine Zähigkeit im Herkömmlichen und in alter Sitte, dieß Alles waren Eigenschaften, welche dem beweglichen Schneiderblute wenig zusagten. Bei zunehmender Trinksucht erweiterte dann das bbse Gewissen diese Kluft natürlich noch mehr, denn der Bauer hielt nicht zurück, und was er zu dem bald täglichen Wirthshauslaufen sagen würde, er, der bei allem Wohlstande doch nur am Sonntage Wein auf dem Tische sah, das konnte sich der Andres ohne langes Besinnen vorstellen. Lisebeth, die über ihren Mann, den sie gegen des Letthofbauern Willen, genommen, diesem nicht gerne klagen und von ihm ebenso ungern Vorwürfe, die sie nicht abweisen konnte, hinnehmen mochte, kam nur sehr selten auf den Hof,wenn sie selber auch gerne dann und wann zu der Base, die sie von jeher geliebt, hingegangen wäre.

Nach herkömmlicher Sitte nahm man auf dem Letthofe alljährlich ein oder auch zwei Mal Schneider und Schuhmacher in's Haus, acht, vierzehn Tage lang und dann wurde zugeschnitten, genäht und geflickt, gebügelt und genagelt, daß es eine Freude war. Dem verborgensten Lohe wurde zu Leibe gegangen, was blöde war, vorsorglich mit einem neuen Lappen übernäht, das nöthige Neue zusammengeschneidert und geschustert, damit es wenigstens ein künftiges halbes Jahr halte,denn in der Zwischenzeit, bis die Handwerker wieder auf die Stör kamen, behalf man sich, so gut es gehen wollte, an

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Stelle eines Fleckes oft mit bloßer Geduld. Da nun Andres nur zu Hause arbeitete, so stand er auch in keinem großen Geschäftsverkehr mit dem Letthofbauern, nur dann und wann erhielt er, der Verwandtschaft wegen, ein Stück Neues zu machen, wozu man ihm einen alten Rock, getragne Westen oder Hosen, als Muster schickte; fragte doch der Alte viel zu wenig nach den Launen der Mode, um da jedesmal sich das Maaß besonders nehmen zu lassen. Es war indeß schon eine Weile Nichts mehr bestellt worden, theils weil der Letthofbauer mit zunehmendem Alter weniger Kleider brauchte, theils wegen der nachlässigen Arbeit des Schneider-Andres und seiner Unzuverlässigkeit. Denn nach allem langen Warten und zehnmaligen Fragen und Treiben hatte er das letzte Mal die bestellte Kutte so neumodisch zugeschnitten, daß der Alte sich geschämt hätte, diese Affenjacke, wie er sie nannte, nur anzuziehen. Indem er sie in die hinterste Ecke des Schrankes hing, brummte er: wenn Andres ein so großer Herr sei, daß ihm nichts mehr an seiner Kundsame liege, he nun, so gebe es Andre, die gerne die Sachen machten, wie man sie begehre und gewohnt sei! Damit hatte es für eine Weile mit den Bestellungen beim Herrn Vetter ein Ende genommen.

Die Letthofbäuerin hatte von dem schrecklichen Vorfalle mit der Lisebeth wol vernommen, zugleich aber auch, daß es noch glücklich gegangen und der Pfarrer die Frau wieder auf den rechten Weg gebracht. Wie gerne sie ihre Theilnahme bezeugt und womöglich in etwas Hilfe geleistet hätte, so fühlte fie doch gar wohl, ihr seltner Besuch würde bei dem Anlasse die Base nur in Verlegenheit setzen und es sei am besten, von der ganzen Sache so wenig Aufhebens als möglich zu machen.[258]2

Als sie aber später von dem Trübsinne erfuhr, in den die arme Frau mehr und mehr versinke, und wie sie Alles so schwer nehme, da faßte sie doch den Entschluß, nach Kestenhofen zu gehen und nachzusehen, ob nicht freundlicher Rath und werkthätiger Beistand Etwas auszurichten und zu bessern vermöchten? Denn wo die wackre Frau Ann Noth wußte,da trieb es sie an, die zu lindern, und daß dieß ihr so oft schon gelungen, spornte sie jetzt, wo es sich um die ohnehin von den Menschen zurückgezogne Base handelte, nur noch mehr dazu an. Aber bloß so hingehen und in's Haus fallen nach der langen Entfernung, das ging nicht an, auf dem Wege war scheuer Schwermuth nicht beizukommen. Mit einmal fand daher die kluge Frau die Sonntagsweste ihres Alten entsetzlich abgetragen: er dürfe sich darin ja nicht mehr in der Kirche sehen lassen, an einer Stelle wäre das Tuch blöde, an einer andern die Farbe verschossen, für gewöhnlich gehe sie noch, die Alltagsweste könnte er dann dem Melker geben, dem die Mäuse ein großes Stück aus der seinigen gefressen. Und der Schluß dieses Westenwechsels war die unerläßliche Anschaffung einer neuen Weste für die Sonntage. Dem Bauern leuchtete zwar die Dringlichkeit nicht so ein, ein Halbjahr gehe sie schon noch, dann könne man sehn; der Melker indeß möge ein Stück Tuch auf sein Mausloch setzen lassen! Wo behält indeß eine kluge und brave Frau in derlei Hausstreitigkeiten nicht Recht? Frau Ann überwand sogar noch den Widerwillen gegen den Schneider-Andres, von dessen Lumpenarbeit der Letthofbauer, im Angedenken an die Vogelscheuche im Schrankecken, erst Nichts wissen wollte. In Betracht der bösen Lage und des vielen Kreuzes wurde dem lüderlichen

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Vetter für einmal die Sonntagsweste noch in Gnaden zugewendet, wobei die Bäuerin sich ausdrücklich verbindlich machte,selber hinzugehen und ihm ja Alles gehörig einzuschärfen;machte es sich doch in einem Gange, da sie zum Müller mußte,wegen Korn, das er ihnen malen sollte.

So kam die Letthofbäuerin nach Kestenhofen und in's Haus des Schneider-Andres, wo die Lisebeth sie wortkarg und mißtrauisch genug empfing in ihrer trüben Niedergeschlagenheit. Aber wer wollte einer Letthofbäuerin, mit ihrem handgreiflichen Wohlwollen und der heitern Gutmüthigkeit,die wie Sonnenschein von ihrem runden Gesichte strahlte, auf die Lange widerstehen? Wer ihrer theilnehmenden Frage, die allein schon wie ein halber Trost klang, das Herz nicht aufthun? Wenigstens Niemand, dem dieß ohnehin zum Zerspringen voll war. Wo aber nur ein ganz kleines Spältlein DDD ihre Milde und Klugheit gewiß hinein und erweiterte allmälig die Oeffnung, goß den Balsam ihres Trostes immer reicher,lindernder über die heiße Stelle, bis der Brand und die schmerzhafte Reizbarkeit nachließen, der ganze Schaden zu Tage kam und sich von der geschickten sanften Hand ohne Zucken reinigen, verbinden, heilen ließ. Das Vertrauen mußte auch bei Lisebeths verschlossener Seele allmälig hervorkommen aus seinem hintersten Winkel, denn die Bäuerin schien eben so viel selber mitzutheilen, zu bekennen, als zu erforschen. Herz und Hand waren gleich offen, sie erkannte mit der Schlangenklugheit und Taubeneinfalt ihres Wesens,wo es besonders fehle, welches der Sitz des Uebels sei, und in dem geheimen Schätzkästlein ihrer Erfahrung wußte sie von []24.9 den hunderterlei Hilfsmitteln drin auch dießmal das passendste und heilsamste zu wählen. Diese sichre Zuversicht der Meisterschaft mußte denn auch Eindruck machen auf ein so verzagtes,rathloses Herz, und wenn Etwas, so war sie im Stande, das erstorbne Vertrauen auf Hilfe wieder zu beleben.

Mit einem Besuche machte sich dieß Alles freilich nicht,aber der erste Besuch brach doch das Eis und gab Anlaß zu einem zweiten und dritten. Die Bäuerin frug erst dem Andres nach, der ihrem Alten eine Sonntagsweste machen sollte und dabei zog sie eine alte als Muster aus ihrem Säcklein und hatte ein Weites und Breites zu erpliciren, zu warnen und einzuschärfen, daß es einem ängstlichern Gemüthe als dem des Schneider-Andres ganz bange darob geworden wäre: er sei gar ein Eigner, der Letthofbauer, wenn er nur einen Knopf weniger hätte als er gewohnt sei, er wäre im Stande und rührte die Weste mit keinem Finger an! entschuldigte die wackre Frau ihre Weitläufigkeit. Vergebens suchte sie indeß Lisebeth durch Nebenbemerkungen und Zwischenfragen in's Gespräch zu ziehen. Sie wagte sich deßhalb nachher mehr auf das eigentliche Gebiet dieser, ließ sich in der Wirthschaft Allerlei von ihr zeigen, fragte nach ihren Erdäpfeln, wie sie geblüht, ob viel angesetzt, die Knollen groß geworden und ob sie beim Schwellen wohl aufsprängen? sie könne nichts Besondres rühmen dieß Jahr, das Kraut der Stauden sei ihr zum großen Theil wieder schwarz geworden. Lisebeth gab Bescheid, aber kurzen, indeß die Bäuerin schien sich nicht daran zu stoßen, sondern vermehrte nur ihre Aufmerksamkeit.Hinter dem Hause lag Flachs, bereit zum Sortiren: Frau Ann musterte ihn mit Kennerblicken, lobte die gleichmäßige [241] schöne Lange und Stärke: sie habe bisher geglaubt, im Flachsbau Niemand aus dem Wege gehen zu müssen, aber das sei keine Frage, sie tauschte ihre Stengel an die der Base.Wenn aber irgendwo noch einer Frau der Mund aufgeht, so ist es beim Flachse, der Flachs hält ihre Theilnahme noch an die Erde gefesselt, wenn sonst alle Stricke schon gerissen sind.So ließ sich denn auch Lisebeth zu wenigstens dreimal so viel Worten verleiten, als jeder andre Anlaß ihr hätte ablocken können, besonders da das Lob von einer Letthofbäuerin kam,die im ganzen Lande als erste Kennerin berühmt war. Auf dem Pflanzplatz, den die Weiber besuchten, lag ein Gelände brach, es war erst umgespatet und die Bäuerin fragte, was da drein kommen solle? „Winterkohl,“ antwortete Frau Lisebeth, aber sie habe nicht genug Samen mehr, sonst hätte sie schon gesäet, die Raupen hätten ihr gar viel geschadet.Dienstfertig bot Frau Ann von dem ihrigen an, sie brauche nicht allen, und der Kohl sei ein sonderbarlich vornehmer, er DD zwei Jahren von einem Zürcher Gärtner bekommen und jetzt begehre sie gar keinen andern mehr. Lisebeth mußte für das Anerbieten danken, aber es wäre unverschämt es anzunehmen!was jedoch Frau Ann nicht gelten ließ; sie solle schweigen davon, es sei nicht der Rede werth. Als sie indeß von den Frühlingsgemüsen erzählte, die sie noch zu säen habe in die abgeleerten Beete, und da auch von Kopfsalat sprach, ging der schweigsamen Base der Mund doch schon von selber auf:sie hatte eine ganz vorzügliche Sorte, früher als jede andre,die Blätter satt wie Kabisköpfe, die Storzen wie Mark so zart! und sie ruhte nun ihrerseits nicht, bis die LetthofMeyher-Merian, Mareili.

16 []7*J

17 bäuerin dankbar in einem Papier, nur zur Probe, von dem Samen mitnahm.

So hatte beim Abschiede, nach dem ersten Besuche, Frau Ann schon eine Menge Fäden in ihrer Hand, womit fie die Lisebeth festhielt, ohne daß diese es merkte und jedenfalls war auch ein baldiges Wiedersehen sattsam eingeleitet und vorbereitet. Denn neben aller freundlichen Aufmerksamkeit für Flachs und Kohl und Erdäpfel hatte die erfahrne Bäuerin tief genug in die Noth des Hauses und die Verdüsterung der armen Base hineingesehen.

Beim nächsten Besuche flog, mit dem Erblicken der Letthofbäuerin, schon ein Schimmer von Aufmerksamkeit, von Theil-nahme, man konnte noch nicht sagen von Freude, über das Gesicht Lisebeths und ließ erkennen, daß sie nicht unwillkommen sei. Des Andres Frau war auch weniger wortkarg, im Vergleich zum ersten Male: sie fing hin und wieder selber mit Etwas an und wenn sie zwar ihre geheimen Leidensschätze noch nicht auspackte, verschloß sie dieselben doch weniger ängstlich hinter den sieben Riegeln ihres Mißtrauens. Ja die Bäuerin konnte sogar einen Blick auf Dieß und Das in dem halboffnen Schmerzenskästlein werfen, ohne daß Lisebeth ihr gleich den Deckel vor der Nase zugeschlagen hätte.

Da begann Frau Ann den Hansli zu rühmen: was der wachse und stark werde, sie habe ihn kaum erkannt! Und daneben sei er fleißig wie wenige Bursche in seinem Alter; sie sehe ihn immer bei der Arbeit und es scheine, er verstehe sich auf Alles. Das letzte Mal habe er (Jauche) ausgeführt, jetzt hacke er Erdäpfel und sie wolle wetten, die Baumlöcher zum Versetzen habe er auch gegraben: mancher Große verstehe es [243] nicht besser, die Mutter habe gewiß viel Freude an ihm!Daneben erzählte die gesprächige Frau weiter, daß der Hansli auch gar ein braver und sittsamer sei, nicht frech und ausgelassen, wie so viele andre Knaben, die nur Freude am Wüstthun hätten. Ihr Mareili sei kürzlich eines Sonntags zu Besuch in Lümpischwyl bei den Eltern gewesen und Abends durch Kestenhofen gekommen, wo sich dann gleich ein paar halbtrunkne Bursche an es gemacht und es verfolgt; der Hansli aber, der das gesehen, habe das Mädchen da gleich in Schutz genommen und der Rohheit seiner Verfolger herzhaft gewehrt.Mareili hab' es nicht genug rühmen können. Mancher Andre hätte seine Freude dran gehabt oder gar noch mitgeholfen!Frau Lisebeth hatte bisher schweigend zugehört und die Letthofbäuerin tapfer fortgefahren mit ihrem Lobe des Hansli,als erzählte sie etwas, das sich ganz von selbst verstünde und was Niemand besser erkennen werde als die leibliche Mutter.Nun aber konnte Lisebeth nicht länger widerstehen, es brach die äußre Eiskruste, von dem innern Feuer durchschmolzen.In einem heftigen Strome von Wehklagen und Seufzen entleerte sich ihr beschwertes Gemüth all des Kummers, der so lange fort und fort auf ihm sich angehäuft. Sie schüttete ihren alten Jammer aus: wie der Hanusli ihr Liebstes auf der Welt und sie darum die unglücklichste Frau sei, denn er gehe ihr verloren, das wisse sie, um ihrer Sündhaftigkeit willen! Sie hätte ihn retten können, wenn sie frömmer wäre,aber sie vermöge das in Gottsnamen nicht, sie habe sich schon alle Mühe gegeben, sie sei eine gar einfältige Frau! Und nun wãrmte sie alle ihre Befürchtungen wieder auf: wie der Hansli mit dem Andres in die Wirthshäuser gegangen, wie er ange143*[244] fangen mit dem Schnapstrinken und in welchem Zustande er einmal auf der Matte gelegen, mehr todt als lebendig, und sei noch so jung. Wie es aber da mit der Zeit gehe, immer weiter und weiter, davon habe sie leider an ihrem eignen Manne das Beispiel. Weder gute noch böse Worte, und keine Gewalt der Erde, bringe ihn mehr von der Gewohnheit zurück; es sei ein Elend, zu sehen, wie alle Kräfte und guten Eigenschaften in dem Branntwein zu Grunde gingen und der Andres habe doch erst in seinen spätern Jahren angefangen!Daneben sei ihr Hansli der beste und treuherzigste Bursche auf Gottes Erdboden und habe sie auch herzlich lieb, das wisse sie, es zerreiße ihr das Herz, sie wisse manchmal nicht,wo ihr der Kopfe stehe, wenn es sie so recht ankomme. Gott möge ihr die Sünde verzeihen, allein manchmal sei ihr gewesen,wenn doch der liebe Gott ihren Buben nur vorher an einer Krankheit sterben ließe, als daß sie ihn müßte verloren wissen an Leib und Seele; diese Strafe wäre groß genug, dünke sie.Aber dann zittre sie wieder, wenn ihm nur das Mindeste fehle, er einmal weniger zu Mittag esse, oder ein ernsthafteres Gesicht mache als gewöhnlich: es sei ihr zuweilen, sie könne es keinem Menschen sagen wie!Die Letthofbäuerin ließ ausströmen was ausströmen wollte aus dem geängsteten Mutterherzen, und erst als die Worte zu versiegen begannen und ein Strom von Thränen lindernd nachflutete, begann sie Hand an's Werk ihrer Heilung zu legen.„Ja, aber ich sehe doch den Hansli stets an einer Arbeit und mit allem Eifer!“ begann sie, „ein leichtsinniger [249] und luftiger Bursche schafft weder so fleißig, noch macht er Alles so genau!“

Das sei wol wahr! entgegnete Frau Lisebeth, der Hansli sei fleißig von Morgen früh bis in die Nacht seit damals!„He nun, so wird's auch nicht so schlimm sein.“

Darauf komme es nicht an, meinte die Mutter, es gehe doch wie sie gesagt habe; ihretwegen.

„Deinetwegen?“

Lisebeth stutzte einen Augenblick, doch fuhr sie gleich fort:ja, weil sie nicht die rechte Frömmigkeit habe, und darum auch keine Gnade bei Gott, so werde sie am Hansli, als ihrem Liebsten, gestraft.

„Aber wer sagt dir auch das?“ fragte die Letthofbäuerin,halb erstaunt, halb erschrocken.

Die Andre aber antwortete kleinlaut: der Pfarrer habe es ihr gesagt.

„Der Pfarrer? höre, dann hast du ihn gewiß nicht verstanden; so kann er's nicht gemeint haben! Ich bin zwar nur eine einfältige Frau und weiß von geistlichen Dingen nicht mehr als unsereiner braucht; aber auf den lieben Herrgott und was sein heiliges Wort uns sagt, verstehe ich mich doch etwas, ich habe Manches erfahren, bis ich so alt geworden bin. Arme sündige Menschen sind wir Alle und mangeln des Ruhmes vor Gott! Das ist wol wahr, aber dafür haben wir einen Heiland und sein heiliges Evangelium.Und daß der gnädige Gott nicht härter mit dir verfahren wird als mit den Andern, das kannst du ja gerade an deinem Hansli ersehen, den er wieder vom Irrwege auf den guten

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Weg geführt hat. Thu doch nur deine Augen auf: du hast Angst er verderbe, und während du jammerst um ihn und dich mit Vorwürfen quälst, ist er schon gerettet; sieh ihn nur an!Du fürchtest, er möchte verkommen im Wirthshause, und er ist den ganzen lieben Tag um dich und arbeitet ohne sich nur die nöthige Ruhe recht zu günnen; was du doch für eine sonderbare Frau bist und wie ungerecht, aus lauter Liebe und Besorgniß!“Diese ruhigen, tröstlichen Worte, die Sicherheit und Würde, welche das ganze Wesen der Bäuerin ausdrückte,und dabei die schlagende Kraft ihrer Gründe machten auf Lisebeth einen großen Eindruck, aber sie hatte noch nicht den Muth, herzhaft zu glauben, was so lange ihres Herzeus innigster Wunsch war, sie hätte es in ihrer schweren Art nicht einmal sogleich frischweg geglaubt, wenn es ihr ein Engel vom Himmel verkündet hätte.Das sei schon wahr, entgegnete sie in ihrer bangenden Ungewißheit, aber der Hansli befinde sich nicht wohl dabei, so werde es nicht bleiben, es treibe ihn doch immer wieder zu dem frühern Leben hin, sie sehe es ihm gar gut an:er sinne oft und werde stille und niedergeschlagen.

„Wie du's doch meisterlich verstehst dich zu quälen und das Weiße schwarz zu sehen!“ entgegnete hierauf mit Lächeln die Bäuerin; „freilich macht der gute Hausli dann und wann ein recht nachdenkliches Gesicht, daß es einen Stein erbarmen möchte; aber es ist nicht die Sehnsucht nach dem Schnaps oder dem Wirthshause, glaube mir's: es fehlt ihm nichts, als daß er dich immer so trübselig sieht; das [247] fällt ihm auf's Gewissen, denn er gibt sich die Schuld davon!So macht ihr's Eins dem Andern schwer!“

Hiegegen konnte Lisebeth nicht mehr viel sagen, es war zu handgreiflich. Durch die Augen der Letthofbäuerin gesehen,kam ihr Hansli wie ein andrer Mensch vor, ihre Besorgniß schien ihr selber übertrieben, sie athmete unwillkürlich leichter auf. Aber sie traute freilich auch jetzt ihrem Glücke und dessen Bestand noch nicht so recht fest und ganz, fiel zeitweise in die alte Verzagtheit zurück, indeß auf immer kürzre Zeit und die hellen Augenblicke dehnten sich allmälig zu ganzen Stunden und Tagen aus. Die Grübeleien nahmen ab und mit dem unbefangneren Sinne kehrte auch der richtige Blick wieder,der nun gar Vieles zum Bessern dentete, was er früher für Kreuz und Elend angesehen. Daß Lisebeth dabei in Haus und Feld herzhaft wieder Hand anlegte und damit auch Kopf und Herz ihnen wieder zuwandte, diese äußre Thätigkeit trug ebenfalls gar wesentlich zur Besserung und endlichen Wiederherstellung bei. Daran hatte Niemand eine größre Freude als der Hansli und deßhalb fiel er, nicht nur nicht in seinen alten Fehler zurück, sondern nahm sich nun, heitern Gesichtes und guten Muthes, Hand in Hand mit der Mutter der kleinen Wirthschaft stets eifriger an und trat in seinen jungen Jahren schon in die Stelle eines Hausvaters und Meisters, welche ihm der verkommende Andres leider immer völliger einräumte.

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XXI.Ein Halnnke wird fortgejagt, der Gemeindepräsident räumt selber das Feld, und der Lelthofbaner ist doch kein harter Mann.Mit Mareili war auf dem Letthofe so ziemlich Alles zufrieden, denn es war nicht mehr das knarrende Rad am Wagen; nur die alte Vren schien manchmal fast verdrießlich und konnte sich's nicht zurecht legen, daß sie ihren bewährten Strohrübel bei dem Mädchen nimmer anzuwenden brauchte.Daneben war sie freilich auch erstaunt und rühmte es selbst ungefragt, was für einen schnellen und glücklichen Erfolg ihre Erziehungsweise gehabt; denn sich schrieb sie alles Gute an Mareili zu, hatte doch Niemand als sie das Mädchen vaterDD genössische Trillmeister, jetzt Instruktor genannt. Die Andern alle, meinte Vren, hätten nur so gevätterlet und die Bäuerin zuerst brächte ja kein unebnes Wort zwischen den Zähnen hervor! Gleichviel wer dazu geholfen: Mareili war brav,fleißig und freundlich und alles Das aus einem dankbaren Herzen.

Es hatte eben die Hühner und Gänse gefüttert und ging mit der leeren Futterschüssel über den Hof zurück, als hinter der Hecke bei der Scheune ein scharfer Pfiff hervordrang, ein,zwei Mal. Das Mädchen erschrak halb, blieb stehen und sah sich nach der Gegend um. Da streckte sich ein struppiger Kopf mit ein Paar frechen Augen aus dem Hollunderbusche, rief halblaut bst! bst! und dazu Mareilis Namen. Dieses ver[249] färbte sich unwillkürlich, als es in dem verwilderten Gesichte seinen ältern Bruder erkannte, der ihm winkte, sich ihm zu nähern und als es zögernd gehorchte und zu ihm trat, zu fluchen begann, daß er schon über eine Stunde hier vergebens laure und einen Buckel voll Prügel wage: „der verfluchte Bauernhund dort (er meinte Rinki) habe ihn nicht hinein gelassen, sondern bei jedem Versuch der Annäherung ihm die Zähne gewiesen; aber er wolle es dem Ketzer schon noch eintränken!“ drohte der rohe Bursche. „Du denkst, scheint's,nicht mehr an uns!“ wandte er sich an die Schwester, „darum komm' ich, der Mamsell Gedanken zu machen.“ Und als wäre das nichts Anderes und verstände sich von selbst,verlangte er von Mareili Geld; er habe Höllendurst und keinen Kreuzer im Sacke! Dieses war in großer Verlegenheit und der Abscheu und das Erbarmen, welche es empfand,dienten nicht dazu dieselbe zu vermindern. Es war der Bruder,der in elendem Aufzuge vor ihm stand und es anbettelte, während es in Genüge und Wohlbefinden lebte. Andrerseits aber sollte es sein weniges Geld, das es zusammengespart, dazu hergeben, die Lüderlichkeit des Burschen zu unterhalten, seiner Tagedieberei Vorschub zu leisten, während Mareili für sich schon hundert Pläne entworfen, zu welchen es die paar Batzen verwenden wollte. Dazu der innerliche Widerwille gegen die Rohheit, die Scham, diesen verworfnen Menschen zum Bruder zu haben und daneben die Erinnerungen des eignen frühern Zustandes, Hand in Hand mit einem gewissen Stolze, die Seinen auch im großen Elende nicht zu verläugnen und nicht zu verlassen, diese Empfindungen alle bestürmten Mareili fast zur gleichen Zeit und beraubten es eines klaren Urtheils.

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Es langte sein Geldbeutelein hervor und stürzte es dem Bruder in die Hand und die mißvergnügte, ja verächtliche Miene des Schlingels bezeugte deutlich genug, wie wenig in dem Säcklein gewesen. Ohne Dank schob er die Münze in seine Tasche. Hintendrein forderte er nun aber auch für die Mutter, welche ihn eigentlich hergeschickt und die in großer Noth sich befinde, nicht wisse, wovon sie morgen leben wolle.

„Ich habe dir schon Alles gegeben, was ich besitze!“ Dsonst nichts mehr habe!“

Der Bursche aber lachte frech: „Warum nicht gar! das ist mein Botenlohn, meinst du ich wolle nichts? Aber mach'keine Umstände, schäm' dich, der Mutter nicht auch was zu gönnen, wo du's so gut hast und wie der Vogel im Hanfsamen sitzest.“

Das Mädchen wiederholte die frühre Versicherung, aber sein Bruder unterbrach es ungeduldig: „Mach' das einem Andern weiß! Jahre lang auf dem Letthof sein, dazu Butter und Milch und Eier im Ueberfluß, und frei und offen Alles,und nur ein paar Batzen haben! sieh nur unter deinem Strohsacke oder im Kastenfuße nach, es wird wol irgendwo ein Stümplein sein; wo bist du denn mit deinem Lohne hingekommen? Oder hast einen Schatz und hängst ihn dem an?“ fügte er bei. Mareili entgegnete, daß es keinen Lohn habe, man gebe ihm gutes Essen, die Kleider und was es sonst etwa brauche.

Da wurde der Bube fuchswild: , Was? die Geizteufel geben dir keinen Lohn, und du gehst ihnen für eine Magd;das verfluchte Schelmenbauernpack das! Du bist ein dummes

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Vieh, daß du das so gehen läßt! Nein, wer würde sich auch diese Unvernunft träumen lassen! Heut' Abend noch gehst du und sprichst mit dem alten Hund und fragst nach deinem Lohn: er solle dich für die letzte Zeit einstweilen auszahlen und dann schraub' ihn und fordre mehr als er geben will,begehr' auf und droh' mit Fortlaufen, er gibt dir's schon,denn er kann dich brauchen. Nein auch! ohne Lohn Jahre lang Tag und Nacht zu arbeiten wie ein Esel! Das wär'etwas für mich, dem wollt' ich's zeigen!“

Das Mädchen aber nahm den Letthofbauern in Schutz:man halte es wie ein Kind hier, ihm mangle nichts, dann hätten sie lange nur Unkosten mit ihm gehabt, es habe ihnen Anfangs nur geschadet und Verdruß gemacht, es sei nichts als billig, daß es jetzt, da es ihnen etwas helfen könne, das auch thue, später würden sie wol von selber an einen Lohn denken, sie seien nicht so, daß sie dem Gesinde nichts gönnten!

Der Bursche konnte sich über die Dummheit und Verstocktheit seiner Schwester nicht genug verwundern und kein Scheltwort ließ er unversucht, sie zu überzeugen, um, wenn denn sie nichts begehre, wenigstens der Mutter zu Lieb, die am Hungertuch nage, etwas zu verlangen. Mareili aber brachte das nicht über's Herz, und erklärte es am Ende auch rund heraus: etwas heischen könne es nicht!

Da machte sich der Taugenichts näher an das Mãdchen heran und indem sein Blick, das Gesicht und seine ganze zusammengedrückte Haltung etwas Katzenartiges annahmen,flüsterte er heimlich und in vertraulichem Tone ihm zu:„Wenn sie dir nichts geben und du nicht heischen magst, so hilf dir selber und mach' dich bezahlt. Eier, Butter, Milch [252] sind dir zugänglich, ebenso ein Stücklein Geräuchertes im Kamin, davon leg, was du kriegst, Abends hier in den Hollunderbusch, Nachts komm' ich dann und hol es für die Mutter und wenn's der Mühe werth ist damit, sollst du dann auch noch einen Theil am Profit haben. Ihr mangelt's auf dem Hofe nicht, merkt es nicht einmal und der Mutter hilft es, sie ist übler dran als je. Jetzt aber hol' sonst etwas, ein Leintuch, ein altes Kupfergeschirr, Schuhe oder ein paar Zinnteller, was es sein mag und was du unterm Schurz verbergen kannst; wir können Alles brauchen!“

Mareili entsetzte sich über die Zumuthung: „Der Sünde solltest du dich fürchten, nur so etwas zu sagen!“ fuhr es im Unwillen heraus, ,arbeite du selber, taglöhne und verdiene etwas, es stände dir besser an!“„Du hast gut predigen,“ entgegnete der Bursche, „ich darf mich nirgend mehr zeigen, die Landjäger sind wie der Teufel hinter mir her, seit ich einem ein Loch in den Kopf geschlagen. Meinetwegen, wenn du deine Mutter willst verrebeln lassen!“ fügte er bei und wandte sich, als wollte er gehen. Dem Mädchen ging ein Stich durch's Herz. Es hieß ihn bleiben und ging hinter dem Hause hin, nach seinem Kämmerlein hinauf. Nach einer Weile kam es wieder mit einem Bündel unterm Arme und, Thränen in den Augen,reichte es diesen dem Taugenichts über den Hag weg: es war eines seiner bessern Hemden und ein warmer Unterrock , den ihm die Bäuerin in letzter Messe aus der Stadt mitgebracht.Wäahrend der Bube mit kaltem habgierigem Blicke die beiden Kleidungsstücke, welche Mareili seinem ärmlichen Vorrathe [37] abgeborgt, zu schätzen schien, fuhr ihm mit einmal ein gewaltiger Hund knurrend gegen die Beine. Erschrocken wollte er umkehren und entfliehen, aber das kräftige Thier hatte bei der ersten Wendung einen Satz gegen seine Brust genommen und warf den Verblüfften über den Haufen. „Rinki! Rinki!“rief Mareili abwehrend, aber Rinki schien dießmal Mareili nicht zu hören, er wich keinen Zoll von dem Daliegenden weg. Da erschrak auch Mareili, denn unversehens stand der Letthofbauer in eigner Person hinter ihm. Der Alte schien von der Unterredung allerhand vernommen zu haben, wenigstens drohte er dem Buben mit einer gehörigen Tracht Prügel,wenn er sich wieder in der Nähe des Hofes blicken lasse.Dieser, als er sich vom ersten Schrecken erholt, versuchte zwar aufzubegehren, aber wie er das Maul aufthat, fuhr der Rinki wieder mit seinen blanken Zähnen gegen ihn, so daß der Tagedieb am Ende froh sein mußte, sich ungeschlagen und ungebissen davon machen zu können. Erst in gehöriger Entfernung brüllte er noch einige Lästerreden zurück, fluchte und schimpfte und drohte mit Anzünden. Der Letthofbauer aber und der Rinki achteten nicht mehr darauf, schweigend kehrten Beide den Rücken und schritten wieder langsam dem Hause zu,Mareili mit seiner Ueberraschung und Verlegenheit allein zurücklassend.

Ein paar Tage nach diesem Auftritte kam der Landjäger auf den Hof, Mareili sah ihn unter der Thüre die Vren nach dem Meister fragen und diese wies ihn in die Stube, er trug ein Bündel unter dem Arme. Nach einer Weile öffnete sich das kleine Fenster und der Letthofbauer rief das Mädchen,das im Hofe wischte, herein. Auf dem Tische drin lag ein

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Hemde und ein Unterrock und aufgefordert vom Bauern,wiederholte der Landjäger nochmals, weßhalb er hergeschickt worden: ein herumziehender Jude, der im Verdacht des Diebstahls stehe, sei festgenommen worden und da habe man bei ihm unter Anderm auch diese Kleider gefunden. Er behaupte zwar, sie von einem Burschen gegen eine Maaß Brenz erD0000auf dem Letthofe geschenkt worden. Die eingenähten Zeichen stimmten auch für den Letthof, wenn sie Mareili gehörten,aber die Polizei vermuthe, das es eher Gestohlenes als GeD und einem Mannsbilde eben so wenig ein Weiberhemde.

Roth vor Scham und Unwillen über den Mißbrauch seiner Gabe, die Mareili sofort erkannt hatte, gab es stotternd Aufschluß: ja, es habe die beiden Stücke weggegeben, sie seien sein gewesen. Der Landjäger war zufrieden und ging wieder,indem er Hemde und Unterrock zusammenpackte. Der Bauer sagte nichts, indeß merkte das Mädchen aus seinem Schweigen mehr, als aus der längsten Rede, fühlte es selber doch nur zu wohl, wie wenig am Platze sein Geschenk gewesen.Die Meisterin aber, als sie am folgenden Samstag die Sonntagskleider aus ihrem Schranke nahm und Mareili zufällig gerade in die Stube trat, zog einen währschaften Rock aus einer Ecke, hielt ihn breit vor sich hin und musterte ihn, wobei sie fand, er werde ihr zu knapp und Pläͤtze zum Einsetzen habe sie keine mehr, ob Mareili ihn wolle? Und Mareili verstand die Bäuerin so gut, als es vorhin den Bauern verstanden, mit Dank nahm es den Rock an, die bessre Hälfte seines Dankes aber behielt es im Herzen zurück.

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Diese Zwischenfälle waren längst vergessen, wenigstens von Seiten des Letthofbauern, als eines schönen Nachmittags der Landjäger wieder erschien und eine Vorladung zur Verantwortung vor dem Gemeindspräsidenten an den Meister überbrachte. Das war ein Schlag aus blauer Luft,auf dem Letthofe etwas Unerhörtes. Alles steckte die Köpfe zusammen, ließ die Arme sinken, der Melker mit der Mistgabel drin und Vrene mit einem Kübel. Eine Unruhe, ein ungewisses Bangen ergriff jedes Herz, selbst der Rinki kroch verdrießlich unterm Ofen hervor, darunter er doch erst noch so unwandelbar wie für Zeit und Ewigkeit gelegen. Eine Vorladung, eine Verantwortung! was hatte der Meister zu verantworten? er, der wie ein König in seinem Reiche, so auf seinem Letthofe lebte, um die Welt außer seiner Reichesgrenze sich nicht kümmerte, und dem innerhalb derselben nichts als Achtung und Gehorsam begegnete! Selbst die schwere Bäuerin kam in einige Beweglichkeit, sie schnaufte stärker, über ihre heitern friedlichen Züge zog es wie ein Schatten hin, ihre Sicherheit fing leise an zu zittern, ungewiß blickte sie nach ihrem Gatten, der, allein von Allen, ruhig und unbewegt dastand, nur noch größer und stärker, seine Stirn noch schroffer,als gewöhnlich, aussah. Blos in dem festen, fast strengen Blick, ganz aus der Tiefe des Auges hervor, schien eine Glut zu strömen, die ihm sonst nicht eigen war und die dichten grauen Braunen warfen einen schärfern Schatten.

Dem Landjäger selber ward in der Luft nicht ganz wohl,ob es ihm auch einen Augenblick geleichtert, als er den Auftrag ausgerichtet hatte, zu dem er einen Anlauf gebraucht.Der Letthofbauer aber sagte ruhig: „Beim Gemeindspräsi[256] denten habe ich nichts zu schaffen, dagegen viel auf meinem Hofe.“Dem Polizeidiener schien diese Erklaääͤrung nicht ganz genügend, er fragte darum halb verlegen: ja, was er aber dem Präsidenten als Antwort bringen solle?

„Was ich gesagt habe!“ entgegnete der Letthofbauer trocken, und ohne weitre Auseinandersetzungen machte sich der Bote nunmehr wieder auf den Rückweg.

Der Letthofbauer und der Gemeinderath von Kestenhofen,oder wenigstens die Tonangeber desselben, standen schon lange nicht zum Besten mit einander. Er war zwar selber längre Zeit auch im Gemeinderath gesessen, damals schon, als jetzige Gemeinderäthe kaum ihre ersten Höslein angehabt. Da er immer gradaus war, kein Blatt vor den Mund nahm und auch derb durchgriff, so hatte er Die, welche gerne im Trüben fischten und Nebenwege schleichen wollten, von je gegen sich gehabt. Dieß hatte ihn nie sehr angefochten, es befestigte ihn nur in seiner Art und Weise. Bewegtere Zeiten hatten nun aber neue Verhältnisse gebracht: es war viel von Verfassung die Rede, neue Wahlen, andre Einrichtungen und Interessen regten die Leute auf, es kam eine Unruhe in die Köpfe, die immer wuchs, auch die Ruhigern ergriff und in Wirbel versetzte. In einer Woche wurde mehr von Gesetz, Verfassung,Freiheit und Recht geschwatzt, als sonst in vielen Jahren und von Solchen vorzüglich, die vollauf vor der eignen Thüre zu kehren gefunden hätten. Schlagwörter, seligmachende und verdammende, surrten in der Luft wie Bremsen und Schnaken im August vor einem Gewitter. Knirpse, die kaum allein die Nase zu schneuzen vermochten, schrieen sich heiser [257] nach unveräußerlichen Volksrechten, Menschen, mit denen es den entschiedensten Krebsgang ging, brüllten entschiedensten Fortschritt; war einem Lump daheim von der Gemeinde das Wirthshaus verboten worden, so appellirte er sicher an den Staat, und Leute auf dem Umgange pochten auf Verfassungsgarantien. Und in all dieß floß Tag und Nächt Wein und Brenz in Strömen, daß es eine gar merkwürdige Gährung gab, der Zapfen aus mehr als einem Spundloch flog so weit weg, daß ihn kein Mensch mehr finden konnte und am wenigsten der Cigenthümer.

Hiezu nun hatte der Letthofbauer erst schwer den Kopf geschüttelt, dann aber sich dagegen gestemmt mit seinen breiten Schultern und war nicht derjenige gewesen, welcher so leicht nachgab. Dadurch war ihm allerlei Verdruß erwachsen: seine Gegner im Gemeinderathe lebten frisch auf, wie die Schnecken in einem Regen, die schwüle Luft, das trübe Wasser, der Staub, der auf allen Wegen und vor Aller Augen wirbelte,war ja ihr Element, sie thaten sich zusammen, sangen:„Brüder im Leben und Sterben vereint!“ zogen Die mit sich,welche den Kopf verloren oder zagten und es lieber mit Denen hielten, die wüst thaten, weil von diesen am meisten zu fürchten war. Ein Höllengetöse erhob sich, das kräftigste Wort des Letthofbauern verhallte drin wie der Ruf des Bootsmannes in wilder Brandung. Drückte der unerschrockne Mann gleichwol noch etwas durch mit der Macht seines alten Ansehns, der Tüchtigkeit seiner Gesinnung, so sorgten die Kollegen wenigstens dafür, daß es, nicht viel schadete“. Das heißt, daß es schlecht ausgeführt wurde, überall Hindernisse,Uebelstände sich erhoben, und dann die Schuld des ungünsti

Mever-Merian, Mareili.

175 [258] gen Ergebnisses auf ihn zurückfiel. So war dem Meister das Dabeisein allmälig verleidet. Das schlechte Verhältniß blieb auch, als die Erregung sich wieder legte, denn er und seine Gegner vergaßen gleich schwer. Zudem war er älter geworden, hätte fast der Großvater sein können von Manchem, der ihm wie einem ABCschützen über's Maul fuhr mit seiner kuhwarmen Weisheit. Der Reibungen satt, zog er sich am Ende auf seinen Letthof zurück, ging fest und stolz seinen Weg und kümmerte sich um das Regiment in den obern Regionen wenig mehr. Es konnte zwar geschehen, daß er an Gemeindeversammlungen erschien und war daraufhin irgend etwas Unlautres eingefädelt worden, sollte etwas Unsaubres schön gewaschen, den Bürgern irgendwie ein X für ein U gemacht werden, so war Zehn an Eins zu wetten, der Letthofbauer deckte das Häfelein auf und ließ, was es enthielt, bis auf den Boden sehen. Er war darum dem Gemeinderathe gar oft unbequem, der sich doppelt in Acht nehmen mußte, was er vorbrachte, wenn der Alte zugegen war, denn alles Verschreien hatte diesen noch nicht um sein Ansehen bei der Gemeinde bringen können, das ihm auch Solche zollen mußten, die sonst nicht zu ihm hielten. Das Haupt seiner Gegner aber war im Stillen der jetzige Gemeindepräsident, der Schwäher des Rößleinwirths, dessen Ränken und Schlichen die gerade, derbe Rechtschaffenheit des Meisters ein Dorn im Auge war. Wie verschlagen und keck der Präsident war und in seinem Selbstgefühle sich nicht leicht Einen über den Kopf wachsen ließ, vor dem Letthofbauer wollte seine Zuversicht nicht so recht Stich halten, er hatte in dessen Gegenwart immer das Gefühl, sich doppelt in Acht nehmen zu müssen, und unwillkürlich leich[259] terte es ihm, wenn der Alte nicht anwesend war oder fortging. Es wurmte ihn auch die geringe Achtung, die dieser vor ihm an den Tag legte, während seiner Allmächtigkeit doch Alles sonst huldigte, ihm schmeichelte oder ihn fürchtete. Er wartete ihm daher schon lange auf einen Dienst, seine Macht ihn fühlen zu lassen und zugleich das Müthlein an ihm zu kühlen.

Die Gelegenheit gab sich plötzlich und von ganz unerwarteter Seite, denn wer ihm dazu half war niemand anders als die Schnapserfamilie des Toni in Lümpischwyl. Der Toni selber war zwar im Spital gestorben und verdorben,seine Frau aber kam eines schönen Morgens heulend und klagend im elendesten Aufzuge nach Kestenhofen und stürmte spornstreichs dem Gemeindepräsidenten in's Haus. Gar unsanft ließ dieser das Weib an, wollte das Bettelmensch zur Thüre hinausjagen, hatte schon ein ganzes Donnerwetter voll Schelt- und Drohwörtern auf der Zunge und wußte nur noch nicht, sollte er dem Bärli pfeifen oder nach dem Dornstock greifen, der in der Ofenecke stand, als mit einmal das ganze Gewitter abgestellt wurde, die Hagelwolken von seinem Gesichte sich verzogen und eine Art von Sonne darin aufging,die aber freilich stark Wasser zog.Toni's Frau schimpfte nämlich über den Letthofbauern nach Noten, erhob förmlich Klage gegen ihn und verlangte das Einschreiten des Gemeindepräsidenten, der zugleich Waisenrichter war, gegen das himmelschreiende Unrecht und die Unterdrückung des Bauern, welche derselbe an ihrer Tochter,dem Mareili, sich zu Schulden kommen lasse. Sie schilderte 17*[260] ihre Lage, wie da der alte Geizkragen ihr das Kind genommen, das ihre einzige Stütze gewesen, und es schon vier Jahre ausnütze, denn es diene ihm wie die beste Magd, ohne daß er ihm nur einen Batzen Lohn gebe. Bei jedem Andern könnte Mareili acht oder noch mehr Neuthaler verdienen und als da endlich ihr Bub auf den Letthof gegangen, deßwegen mit seiner Schwester zu reden, habe der niederträchtige Filz den Hund auf ihn gehetzt, daß der Bursche nur mit knapper Noth noch entrinnen können! Sie wolle doch wissen, ob es keine Gerechtigkeit mehr gebe und die Armen sich müßten das Blut unter den Nägeln hervordrücken lassen!

Hätten diese Anklagen nicht den Letthofbauern betroffen,der Präsident würde die Bettelfrau mit Ruß und Salz heimgewiesen, sie ein freches Lügenmaul geheißen und ihr mit dem Triller gedroht haben. So aber war sein Ohr sehr empfänglich dafür: seine ganze Menschenfreundlichkeit erwachte, die Pflicht, Wittwen und Waisen gegen Unterdrückung zu schützen,trat ihm in den hellsten Farben vor die Seele und seine Gerechtigkeitsliebe war entschlossen, kein Ansehen und keine Person zu schonen; sogar der starke Schnapsduft, der von der Frau während ihres Scheltens und Klagens ausströmte, änderte dießmal seine Gesinnungen nicht. Er verlangte noch einige nähere Angaben, erkundigte sich nach Diesem und Jenem und entließ die Klägerin am Ende mit dem Versprechen, strenge Untersuchung zu führen und ihr zu ihrem Rechte zu verhelfen,wenn es sich wirklich, wie sie sage, verhalte. Dieß beschwor Toni's Frau hoch und heilig und sah im Geiste schon einen ganzen Haufen Fünfliver als rückständigen Lohn vor sich glitzern.

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Der Präsident war freilich nicht so siegesgewiß, er kannte innerlich und wider Willen den Letthofbauer zu gut, als daß er alle die Anklagen für so erwiesen zum Voraus angesehen hätte. Aber etwas war ihm doch sicher: den stolzen Gegner vor seine Gerichtsbarkeit zu ziehen, ihm den Präsidenten zu fühlen zu geben und ihn auf eine Weise zu demüthigen, gegen welche alle Ueberlegenheit zu kurz kam und kein Widerstreben und kein Unwille etwas ausrichtete. Er konnte wenigstens hörige Portion Aerger schlucken zu lassen, während er, in seiner amtlichen Stellung sicher, dabei stehen und sich ruhig daran weiden durfte.

So war denn als erster Schritt die Vorladung durch den Landjäger an den Letthofbauern abgegangen, aber freilich auch bald genug eine Antwort zurückgekommen, welche dem Präsidenten nicht sonderlich schmeckte. Der Trotz des Stolzen gab ihm viel zu schaffen, erst loderte er in seiner verletzten Würde heftig auf, im Zorne rückte er im Namen der Verfassung, der Gesetze, seiner Amtsunverletzbarkeit mit einem ganzen Regimente Landjäger auf den Letthof und nahm den Widerspenstigen mit Gewalt gefangen. Dann wieder mußte ihm der Staat das ganze Bundeskontingent zur Verfügung stellen,es als Exekution auf den Hof zu werfen, um dessen Besitzer während eines Vierteljahres zu Schanden zu fressen, bis er mürbe ward. Er verhängte Strafen über Strafen, pfändete,daß kein Ziegel mehr auf dem Dache blieb, kurz, der ganze Zornvorrath eines Präsidenten entleerte sich in höchster Machtvollkommenheit. Indeß am Ende vom Liede wurden Vernunft und Ueberlegung doch Meister, die Besinnung flüsterte [262] nach einiger Abkühlung dem Präsidenten in's Ohr: der Schuß könnte wol gar hinten hinausgehen, d. h. ihn selber treffen,und je gemäßigter da verfahren werde, um so solider sei der Erfolg; der alte Starrkopf wäre wol gar im Stande und böte Allen Trotz, ließe es drauf ankommen, und da die Todesstrafe gesetzlich für Hochverrath abgeschafft sei, so könnten zuletzt Landjäger und Kontingent und Schuldenbot und Präsident obendrein mit langen Nasenab ziehen, besonders wenn sich herausstelle, daß die Beschuldigungen der Bettelfrau nicht stichhaltig seien. Den Alten ärgern, und das bleibe doch einmal die Hauptsache, könne er hingegen mit Höflichkeit und Nachgeben, mit Gelassenheit und spitzen Fragen fast noch besser und gewisser, als mit heftigem Dreinfahren und hätte bei dieser Mäßigung dann jedenfalls Manchen auf seiner Seite,der sich sonst des angegriffenen und gekränkten Bürgers annehmen würde. So überlegte der Gemeindepräsident, bevor er mit seinem Schreiber und einem zweiten Mitgliede des Gemeinderathes, das jedenfalls nicht dran Schuld war, daß die Frösche keine Schwänze hatten, sich in höchsteigner Person nach dem Letthofe aufmächte, muthig den Löwen in seinem eignen Lager aufzusuchen und vor Verhör zu ziehen. Sein amtliches Auftreten in dieser Genossenschaft und selbdritt werde ihn wol hinlänglich decken! schloß er, obgleich in andrer Beziehung ein heftiger Auftritt ihm nicht so ganz unwillkommen gewesen wäre: er hätte sich allerhand gefallen lassen, wenn es nur dem verhaßten Gegner auch zum Nachtheil ausgeschlagen hätte.

Nicht ohne Verwunderung sah der Letthofbauer das Kleeblatt gegen das Haus heranrücken, er blieb indeß ruhig am

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Fenster sitzen. Sie öffneten die Gatter und der Rinki gab pflichtgemäß ein paar mal Laut, die Fremden anzukündigen.Das mißverstand aber der Schreiber, der in den Landesbräuchen noch nicht recht sattelfest war, meinte, der Hund wolle ihn beißen und schlug mit seinem Stecken gegen ihn.Dieß nun verstand seinerseits wieder der Rinki nicht, nahm's für Ernst und fuhr gegen die Beine des unfreundlichen Gastes,so daß der ein Mordgeschrei erhob. Erst auf dieses erschien der Letthofbauer unter der Thüre, ein Pfiff, und der Rinki war wieder zu seinem alten Gleichmuth zurückgekehrt, an der Feindschaft des Schreibers war ihm persönlich weiter nichts gelegen. Als der Bauer und der Präsident einander gegenuberstanden, gab's erst einige steife und verbindlich anzügliche Redensarten: es war von unverhoffter Ehre, von persönlicher Rücksicht, von Aufschlüssen und Bedauern die Rede.Der Gemeindevorsteher ging wie die Katze um den Brei,immer naher, aber doch nicht bis zum Brei selber, von wegen der Hitze dieses. Denn der Letthofbauer, der inzwischen den Besuch in die Stube treten und da Platz nehmen geheißen, war ziemlich wortkarg, nicht grob, nicht höflich, und machte ein Gesicht, aus dem hell nichts zu lesen war, wie forschend der Präsident auch von unten herauf darnach blickte;aus einem Steinbilde an irgend einem Kirchthurme wäre eben so viel herauszufinden gewesen. Erst als nun auf Mareili selbst die Rede kam, auf die Lage seiner Mutter, seine Dienste und Aufführung und endlich auf seine Stellung zu den Meistersleuten, glitt etwas über die harten, kalten Züge des Alten,das mit Wetterleuchten über einer Fluh viel Aehnlichkeit hatte.Er fragte: wer die Herren geheißen habe, sich darum zu küm[264] mern? ob etwas davon in der Verfassung stehe? denn die werde zu Allem gebraucht, hinten und vorn; oder ob etwa ein neues Gesetz gemacht worden sei? die kämen jetzt hervor wie Schnecken nach einem Regen!Er sei Gemeindepräsident und Waisenrichter, entgegnete gewichtig, und nicht ohne Empfindlichkeit, der Präãsident, und als solcher habe er die Verpflichtung, sich der Wittwen und Waisen anzunehmen und ihren Klagen Rechnung zu tragen, nach Gesetz und Verfassung! Der Staat habe dem Letthofbauern ein Kind anvertraut, und wenn man sich nun im Namen des Staates darnach erkundige, werde es nicht unlieb aufgenommen werden, hoffe er!

Der Meister sagte einstweilen nichts hierauf, er ging nur einen Augenblick hinaus und die Andern sahen ihm verwundert nach: was das zu bedeuten habe? Noch weiter aber sperrten sie die Augen auf, als er nach einer Weile zurückkam und in der Hand einen Haufen Lumpen und Fetzen hielt,denen man erst nach langem Forschen zutrauen mußte, daß sie einmal menschliche Kleider gewesen seien: eine alte zerrissne Mannsjacke und ein farbloser durchlöcherter Unterrock mit natürlichen Fransen unten.Ja, er erinnere sich wol, knüpfte der Letthofbauer das abgebrochne Gespräch wieder an, der Staat hab' ihm ein Kind anvertraut, der Landjäger hab's gebracht und dieß da (er wies auf die Hudeln) sei sein Anzug gewesen.

Von den Dreien sah Einer verdutzter aus als der Andre,der Präsident indeß faßte sich zuerst wieder. Er habe keine Competenz zu neuen Kleidern gehabt, sagte er, deß[165] wegen aber sei's doch seine Pflicht, sich der Unmündigen anzunehmen.„Ihr hättet das thun können, eh' das Mädchen hieher kam, niemand hat es gewehrt; ich denk auch nicht die Verfassung. Noch besser wär's vielleicht, ihr sorgtet dafür, daß es überhaupt weniger solcher Kinder gebe, auch in unfrer Gemeinde, und nehmtet euch nebenzu noch armer Weiber an gegen ihre Brenzzapfen von Männern, damit sie nicht irrsinnig würden!“

Das war starker Tabak für einen Gemeindepräsidenten.Dieser antwortete indeß nur kurz auf die Prise, daß dieß nicht hieher gehöre: er wisse wol, was er als Präsident zu thun habe, es brauch's ihm niemand zu sagen.

So geh's ihm gerade auch! meinte der Letthofbauer.

Der Schreiber, welcher seinen Präsidenten in Verlegenheit sah, wollte ein gutes Werk thun und ihm helfen, nach dem praktischen Sprichwort: brätst du mir die Wurst, so lösch'ich dir den Durst. Er sprach darum etwas von der Pflicht des Bürgers, vom Vaterland, von der Gleichheit jedes Republikaners vor dem Gesetze, von Vorrechtlern und Aristokraten,abgeschafften Privilegien und wahrscheinlich kam auch am Ende, als Drucker, der Wilhelm Tell drauf oder sonst eine Kraftgestalt unsrer Vorfahren. Mit unsäglicher Geringschätzung aber wandte der alte Bauer sich einen Augenblick gegen den Schreiber hin und sagte kaltblütig: „Lern' Er zuerst unser Schweizerdeutsch, eh' Er mich lehren will, was hie zu Land Brauch und Recht ist!“

Der Schreiber war nämlich ein Landesfremder, der sich erst vor einigen Jahren in's Gemeindebürgerrecht eingekauft:[286] er bedeutete ein politischer Flüchtling, indeß wollten Andre das Politische an ihm nicht recht gelten lassen. Item er machte in Allem gehörig mit und zwar in der Weise, daß er den hitzigsten Patrioten immer noch um einen halben Schritt voraus war. Er wußte Alles am besten, besonders war er stark darin zu sagen, wie man etwas, das schlecht ausfiel,hätte machen sollen; dazu verstand er das Schimpfen und das Schmeicheln, jedes am rechten Orte aus dem Ff. Neben der Gemeindeschreiberei betrieb er noch sonst allerlei Schreibereien, Betreibungen und Agenturen von Wanzenmitteln,Geldanlagen und dahin Einschlagendem; wobei er, je nach dem Stand und Gange der Geschäfte, bald ein Herzensbruder,bald der Todfeind des Schreiberjörgli war.

Was der nun auf die Zurechtweisung des Bauern in den Bart brummte, darauf achtete niemand weiter, nicht einmal recht seine beiden Genossen; nur so viel war zu bemerken,daß die erste Hälfte davon nach schlechtem Schweizerdeutsch,die andre nach gutem Schwäbisch klang.

Trotz all diesen Anzüglichkeiten kam's indeß zuletzt denn doch so weit, daß der Letthofbauer, dessen Müthlein sich nun auch ein wenig abgekühlt, auf die Sache näher einging, über welche ihn zu befragen die Gemeinde- und Waisenbehörde am Ende das Recht hatte.

Wie Mareili auf den Letthof gekommen, darüber lag der Aufschluß deutlich genug vor Augen. Was ein so heillos verwildertes Mädchen in seiner Unerfahrenheit, seinem bösen Willen und mit all den Diebseigenschaften das erste Jahr seinen Meistersleuten für Vortheil bringt, war ebenfalls bald zusammengerechnet. Zählt man hingegen dazu, was es ver[267] dirbt, verwahrlost, absichtlich und aus Ungeschick, wie viel Kleider, Schuhe es braucht und wie bodenlos der Appetit ist,so geht auch noch das zweite Jahr in die Rechnung, ohne daß ein großer Rest davon zu vergüten bliebe. Verdient im dritten so ein Mädchen seine Kost und ordentliche Kleider und kann es an diesen, namentlich Hemden, einen so währschaften Vorrath aufweisen, wie bei Mareili der Fall war, so kann man von dem Meister, der es so hält, nachher nicht mehr viel an Baar nachverlangen, überläßt man doch jeden ausgestockten Acker ein paar Jahre zur Benützung ohne Zins. Die Untugenden und schlechten Gewöhnungen eines verwahrlosten Menschen aber sind oft noch mühseliger auszuhacken und auszuroden als die Wurzeln der knorrigsten Buchen und Eichen.Kurz, der Letthofbauer bewies mit seinem Hausbuche, seinen mündlichen Angaben und dem, was der Augenschein zeigte,daß ihm, wenn man abrechnen wollte, viel mehr noch heraus gehörte, als daß er etwäs schuldig wäre. Mit allen Fragen war eben doch nichts dagegen ernstlich einzuwenden und als nun auch Mareili bei Seite genommen und ausgeforscht wurde,wie es gehalten werde? ob es zu klagen habe? da traten dem Mädchen vor Dankbarkeit und Betrüben, daß man meine,es könnte nicht zufrieden sein, die hellen Thränen in die Augen.Diese machten auch einen Posten aus in der Abrechnung des Letthofbauern.

Als die Untersuchungsmänner merkten, daß nichts heraus die Dornen hineinjagen lassen, dachten sie wenigstens einen geordneten Rückzug anzutreten und bereiteten diesen vor, indem sie freundlich und zutraulich wurden, dergleichen thaten, daß [28]98 sie Alles so fänden wie sie zum Voraus vermuthet, daß man aber der Form zu Liebe auch das Ueberflüssige nicht immer unterlassen könne. Der Bauer antwortete auf Solches wenig oder nichts, sondern hielt sich nur an die Rechnungsablage und als diese beendet war, erhob er sich, wo dann die Andern merkten, daß sie auch nicht mehr viel hier zu thun hätten. Sie brachen deßhalb auf; um indeß nicht mit gar zu langen Gesichtern und ganz unverrichteter Sache abzuziehen und Ein- und Ausgang doch einigermaßen zu verbinden,nahm der Präsident seine frühre Rolle wieder auf und gab dem Letthofbauern, halb freundschaftlich, halb amtlich, zu bedenken: ob er für die Zukunft dem Mädchen nicht gleichwol einen kleinen Lohn geben könnte, es scheine doch ein gar brauchbares und er möchte es ihm in seinem Interesse gerathen haben.

Der Meister aber meinte: Rath habe er bis jetzt keinen gehabt und er begehre ihn auch nicht für die Zukunft, er hab'immer gewußt, was zu machen und was zu bedenken sei, darauf sei er auch von selber gekommen!

Der Gemeindepräsident war froh, als er den Letthof in gehöriger Entfernung hinter sich hatte und auch seine Begleiter mochten es nicht zürnen. Seinen zurückgetretenen Verdruß aber bekam des Toni's Frau gehörig auszuessen, als die im großen Eifer nach Kestenhofen rannte, Bericht zu holen und womöglich auch gleich einen rechten Haufen Geld. In der Gemeinde fehlte es indeß nachher an allerlei Redensarten über den Letthofbauern nicht: die Untersuchungsmannen ließen dieß und das fallen, verblümt oder deutlicher: des Alten Mildthätigkeit sei doch gar kommoder Art, so könnten's Andre auch [25]J 9*leicht machen, da habe er eine hauptmännische Magd und zahle die mit Essen und Kleidern, der alte Fuchs! Wer Mareili zu der hauptmännischen Magd gezogen, das sagten sie freilich nicht, sie erinnerten auch niemand im Dorfe an das verlumpte Bettelkind, das damals der Landjäger auf dem Schub durch Kestenhofsen geführt.

XXII.Man kann oft mehr zum Fenster hinauswerfen als zur Thüre hereintragen.Wie unverdrossen von Morgen früh bis in die Nacht hinein Lisebeth und ihr Hansli zusammen arbeiteten, sich einschränkten, so viel es ging, und es zu erzwingen suchten, daß sie oben blieben und sich hielten mit ihrem Gütchen ohne Schulden, der Andres bröckelte ihnen mit seiner Tagedieberei und Lumperei ein Stück Boden nach dem andern unter den Füßen weg. Er selber verdiente so viel wie nichts, denn die Schneiderei hatte ihn schon geraume Zeit aufgegeben und zur Feldarbeit war er zu heruntergekommen, auch wenn er gewollt hätte, obwol er eben so ungern sich bückte als schwitzte, und die Bodenfeuchtigkeit durchaus nicht ertrug. So war er denn für die Arbeit und den Erwerb eine Null. Für das Ausgeben und Brauchen hingegen, nun, da war und blieb er auch eine Null, aber eine, die hinter einer andern Zahl stand, einem Eins, dem Einem und Allem, das immer und

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überall voranging, und die Gestalt einer Brenzflasche hatte.Andres brauchte viel, nicht auf einmal, aber nach und nach,er ließ aufschreiben, nur ein oder ein paar Gläschen jedesmal und vom billigen. Da aber ein Jahr viele hundert Tage hat und jeder Tag wieder manche Stunde, eine Stunde aber lang und ein Schnapsglas im Grunde doch gar bald geleert ist, so DDD des Wirths schwarzer Tafel und was sich, wie böse Säfte, so nach und nach angesammelt und angesetzt, das brach wie ein gezeitigtes Geschwür gelegentlich auf und machte ein Loch, nicht in den Andres, an dem war nichts mehr zu verderben, aber in den mühsamen Erwerb und die knapp zusammengehaltne Haushaltung der Seinen, der Lisebeth und des Hansli, das diese dann weit, weit wieder zurückbrachte, wenn sie vielleicht sich schon darüber gefreut, ein paar Schritte vorwärts gekommen zu sein.

Wohlgemuth hatte Andres für seine Gantschuld beim Krämer den Pflanzplätz im Bödelein versetzt: Das habe keine Gefahr, tröstete er sich, den wolle er bald wieder eingelöst haben, ein gutes Jahr und Alles sei wie vorher; inzwischen mög' er's dem Krämer wol gönnen, dort oben Erdäpfel zu hacken und Zwiebeln zu setzen, es gehöre ihm auch Etwas für seine Gefälligkeit und das Warten! Zudem sei die Abzahlung in Terminen bedungen, es müßte kurios gehen, wenn sich das Geld da nicht auftreiben ließe!

Und die Schuld war auch richtig getilgt worden, nur nicht wie der Andres gemeint, sondern indem der Pflanzplätz an den Krämer eigenthümlich überging, nachdem das erwartete gute Jahr sich nicht hatte einstellen wollen. Der Schneider [271] tröstete sich, daß das Bödelein eigentlich doch wol weit vom Dorfe weg gelegen sei und das Erdreich drin immer große Neigung zu Schlipfen gezeigt habe. Und daß er wenigstens von einer Seite Luft bekommen und den Krämer losgekriegt,war ja auch etwas werth und eine Herzenserleichterung.Leider dauerte nur die Freude darüber nicht sehr lange. Der Rößleinwirth, der den Andres mit eifersüchtigen Augen beobachtete, hörte kaum von der Abtretung, so schoß ihm das Blut in den Kopf und als Andres nicht lange nach dem Handel im Rößlein in seiner ganzen Herzensleichtigleit einen Schoppen trinken wollte, bot ihm der Wirth einen gar gewaltig sauern Trunk dar, der Hals und Magen zu zerreißen drohte. Er kam nämlich mit seiner Forderung, und in der Länge der Zeit hatte die auch mehr zu- als abgenommen.Andres wollte Umstände machen, vertrösten auf Martini oder nachher; der Rößleinwirth aber nahm keine Vernunft an,stichelte vielnehr: wenn Andres Aecker zu vertheilen habe, so könne er auch einen brauchen; er wüßte nicht, warum er sich mit dem Zusehen begnügen sollte, statt wie Andre zu seiner Sache zu kommen! Denn den Pflanzplätz im Bödelein mißgönnte nicht nur der Wirth dem Krämer, er hatte schon lange selber ein Auge drauf gehabt, da er an seine Felder stieß und nun, während er den guten Augenblick noch für nicht nahe genug gehalten, hatte ihm das Stück Land ein Andrer vor der Nase weggeschnappt, dazu sein Nebenbuhler, der Brotdieb von Krämer!

Andres sah, daß im Augenblicke nichts zu machen war,D in die Bezahlung sich verrannte; er versprach darum auch das Geld zu schaffen.

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In vierzehn Tagen spätestens! klemmte ihm sein Peiniger noch ab und in der Hoffnung, bis dort werde sich der Unwille schon legen, während vierzehn Tagen sei viel möglich! verließ Andres das Rößlein, zufrieden, wenigstens für jetzt wieder Luft gekriegt zu haben. Glücklich vergaß er auch seinerseits das Versprechen und ließ sich keine grauen Haare wachsen,das gegebne Wort zu halten: über dergleichen Aengstlichkeiten war er hinaus. Indeß so viel Vorsicht oder Rücksicht hatte er doch, daß er in dieser Zeit das Rößlein mied, dem Wirthe drin ebenfalls Zeit zu lassen, daß dessen Wunde etwas vernarbe. Aber das half nicht viel, dießmal war's Ernst, denn zwei Tage, nachdem die vierzehn Tage abgelaufen waren,klopfte dem Andres, da er eben aus dem Hause ging, Jemand auf die Schulter und wie er sich umdrehte war's niemand Anders als der Weibel: ,Zu dir, Andres, hab' ich grade wollen, inzwischen ich kann dir's hier sagen: der Rößleinwirth läßt dich mahnen, du sollst ihn bezahlen, zum ersten Mal!“

Der Schneider erschrak nicht wenig: es werde doch nicht Ernst sein? fragte er.

„Noch nicht, ich biete dir noch zweimal, dann erst wird dir gegantet!“ tröstete der Schuldenbote und ging wieder weiter, andern Geschäften nach, deren es in Kestenhofen nicht wenige für ihn gab.

Andres war äußerst betroffen und fühlte sich arg in der Klemme, denn er wußte nicht, wo einen Batzen hernehmen und die Schuld war keine kleine; überdieß stand er noch mit zwei Zinsen im Rückstande: das komme jetzt Alles zusammen ihm über den Hals! klagte er, obgleich es niemand zusammenkommen lassen, als er selber. Sein erster Gedanke war, beim

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Krämer einen Schnaps auf den Schrecken zu nehmen, dann komme ihm mit dem Muthe vielleicht auch ein guter Rath.Zum Glück oder Unglück gewahrte er aber die Lisebeth am Fenster, die nach ihm blickte. Er war noch nüchtern und da fürchtete er sich vor der Frau, denn der Schnaps war allein der Riegel, welcher ihm noch das Herz festhielt, daß es nicht in die Hosen fiel. Jetzt hatte er den Muth nicht, zum Krämer zu gehen, er schlich sich kleinlaut und mit langem Gesichte um das Haus herum nach dem Schopfe und nistete etwas in dem Bohnenreisig, das dort in der Ecke stand. Abends fiel seine Niedergeschlagenheit der Lisebeth auf, auch hatte sie den Waibel mit ihm sprechen sehen, und daß eins mit dem andern zusammenhing, flüsterte ihr der Argwohn schon ein. Sie nahm daher den Ehemann, ehe sie zu Bette gingen, noch vor und drang in ihn, ihr zu bekennen, was es gegeben? Dieser wollte erst Ausflüchte machen, aber sein Armsündergesicht und die Muthlosigkeit, mit der er log, bestärkten Lisebeth nur noch mehr, sie setzte um so schärfer an und der Schneider hätte das Herz nicht so bis zum Ueberlaufen voll, und doch noch eine Spur von Courage, haben müssen, um länger zu widerstehen und nicht Alles, wie ein überwiesener Schulbube,dessen Trotz überwunden ist, vom Stumpf zum Stiel zu bekennen.Lisebeth war wol aufgebracht und erschrocken über diese neue Bedrängniß, welche durch ihres Mannes Lüderlichkeit ihnen bereitet wurde; aber neben der Gewohnheit und dem schlechten Zutrauen, welche sie überhaupt in Dergleichen hatte,nahm auch des Andres Hülflosigkeit, die Kläglichkeit, womit er sich an Lisebeth klammerte in seinem Nichts, wie ein Kind

Meyer-Merian, Mareili.[274] vor einem bellenden Hunde an das Fürtuch der Mutter, ihrem Zorne den Stachel. Betrübniß, ein Gefühl von Mitleid,freilich mit Geringschätzung sattsam versetzt, überkamen sie und milderten den Ausbruch ihres Unwillens. Andres war rath- und hülflos wie ein Kind; da der Rößleinwirth Ernst gezeigt, so sah er sich jetzt schon auf der Gasse, und ein Stück alter Liebe zu den Seinen und das tiefe dunkle Gefühl, daß er schuld sei, tauchten in ihm auf, ein Bild seines Lebens und Hauswesens von ehmals stellte sich neben das Heute.Erfüllt von Reue, brach der Unglückliche unter seiner Last nur zusammen, denn zum Aufraffen und Gutmachen, zum Umkehren war die Kraft nicht mehr da, dieß fühlte er mit dem dumpfen Drucke innerster Verzweiflung. Weinend und um Gotteswillen bat er Lisebeth abwechselnd um Hilfe und Verzeihung, er versprach heilig Besserung und zu gleicher Zeit begann er schon wieder seine Schuld zu verkleinern, zu beschönigen, er klagte sich an und rechtfertigte sich im gleichen Athemzuge, so willenlos und verkommen war er schon. Wenn ihm nur dießmal geholfen werde, gelobte er, so woll' er weder das Haus des Krämers noch das des Rößleinwirthes jemals wieder betreten, er sehe es ein, Beide zögen ihm blos die Haut über die Ohren und seien an seinem Unglücke schuld! Unmittelbar nach dieser Verschwörung aber, als Lisebeth nur einen Augenblick den Rücken gewandt, stand derselbe Andres vor dem Wandkästlein und hatte die Brenzflasche an den Zähnen, denn er fühlte sich zu matt und angegriffen, konnte kaum auf den zitternden Beinen mehr stehen, eine Herzstärkung war ihm dringendes Bedürfniß: für solche Zustände sei der Schnaps Arznei und dazu gemacht, man könne das []q.15 nicht zum Brenztrinken rechnen! entschuldigte er sich vor sich selber.

Lisebeth fiel endlich auf den Gedanken, sich an den Letthofbauern in ihrer Noth zu wenden und Andres, der sich an einem Strohhalme gehalten hätte, war mit einverstanden. Es kam zwar die arme Frau sauer an; das Hilfesuchen an sich schon, noch mehr aber bei dem Bauer, dessen Gesinnung sie wohl kannte und vor welchem sie ohnehin von jeher einen scheuen Respekt hatte. Nur daß der Andres alles mögliche Gute versprach und dem Wirthshauslaufen heilig absagte,Krämer und Wirth mit keinem Auge mehr anzufsehen gelobte,konnte sie zu dem Schritte vermögen. Sie setzte ihre Hoffnung dabei auf die Letthofbäuerin, die es so gut mit ihr meinte, die sie schon einmal aufgerichtet in ihrem Elende, die freundlich und hilfreich noch jetzt hie und da sie befuchte und auch jedesmal die Schneidersfrau nach dem Letthofe zum Besuche eingeladen hatte. Diese gedachte sie zunächst in's Vertrauen zu ziehen und sie zur Vermittlerin ihres Anliegens bei dem Pathen zu machen: Frau Ann wisse am besten den Alten zu nehmen!Mit einem Kratten voll Setz Erdäpfeln, nach welchen Frau Ann einmal den Wunsch ausgesprochen, weil sie von einer Sorte waren, die sich gar gut bis in den Sommer hinein hielt, machte sich Lisebeth eines Nachmittags nach dem Letthofe auf. Sie mußte unterwegs ein paar mal abstellen und ausruhen, besonders als sie in der Nähe des Hofes anlangte,denn der Korb hing ihr schwer am Arm und das Herz war ihr noch schwerer, so daß sie mehr als einmal drauf und dran war wieder umzukehren. Wer weiß auch, was sie in ihrer Zag[276] haftigkeit am Ende noch gethan hätte, wenn nicht hart neben ihr am Wege, hinter einer Hecke hervor, eine bekannte Stimme sie beim Namen gerufen und gestellt hätte. Es war niemand anders als die Letthofbäuerin selber, welche den Arbeitsleuten nachgegangen war und nun noch im Heimgehen nach den Rüben sah, die auf dem Acker standen.

„Ei was für ein Wunder bringt dich endlich einmal herüber, denn ich sehe, daß kein Zug Rosse vorgespannt ist, sondern du alleine kommst!“ scherzte die Bäuerin freundlich und bot Lisebeth die Hand. Es sei nicht so gefährlich, meinte Lisebeth, etwas verlegen, man könne nicht immer machen wie man gern wolle; indeß sei's noch die Frage, ob man stets recht komme. Davon wollte die Bäuerin nichts hören und da sie in den Hof gelangt waren, nöthigte sie ihren Gast in die Stube und hieß sie absitzen bis der Kaffee gemacht sei, wozu Mareili in der Küche sogleich den Befehl erhielt. Lisebeth wehrte zwar: deßwegen sei sie nicht gekommen, sie habe erst gegessen, man solle ihretwegen keine Mühe haben, sie sei nicht so unverschämt!

„Warum nicht gar!“ lachte die Bäuerin, „du wirst keinen Kaffee wollen; weißt nicht, daß wenn ein Weibervolk dem andern Kaffee aufstellt, es eben so gut auch für sich sorgt? für mich allein dürft' ich vielleicht keinen machen, kommt aber ein Gast, so versteht sich's von selber, darum mußt du mir jetzt helfen!“

Inzwischen stellte Lisebeth ihren Kratten mit den Kartoffeln auf den Tisch: die Bäuerin solle die einmal probiren,es seien von den späten weißen, wenn sie ihr gefielen, so könne sie ein ander Mal mehr davon haben!

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Frau Ann war sehr überrascht: sie dürfe sie fast nicht annehmen, in Zukunft wolle sie aber jedenfalls Acht geben,was sie sage, sie sehe, es sei nöthig, es werde einem nichts vergessen. Uebrigens danke sie vielmal und sie wünschte nur zu wissen, womit sie einen Gegendienst leisten und ihre Erkenntlichkeit an den Tag legen könnte.

Lisebeth sagte zwar, es sei nicht der Mühe werth davon zu reden, daneben aber entfuhr ihrem tiefsten Herzen ein gar schwerer und langer Seufzer, so daß ihre Freundin stutzte und sie forschend ansah. Sie sagte indeß nichts, sondern wartete,bis der Kaffee auf dem Tische stand. Als die beiden Frauen in traulicher Einsamkeit an dem Tische saßen, vor jeder eine blaugeblümte Tasse, groß und mit bequemen Ohren, wie sich's für ein gründliches und rechtschaffnes Kaffeetrinken gehört, als die messingne dreibeinige Kanne aus ihrem engen Halse Wohlgeruch um Wohlgeruch verdampfte, der vaterländische Milchhafen, als treuer Lebensgefährte, ihr zur Seite stand, seine milde nahrhafte Gabe mit weißem Schaum bedeckt, da war auch der rechte Augenblick, das befangenste und verschlossenste Herze zu oöffnen. Das Verharzteste, was gleichsam mit hundert Häkchen sich inwendig an allen Seiten festhält, es wird von der heißen Fluth losgeweicht, kommt in Fluß; in die verborgensten, dumpfigsten Winkel hinein dringt belebender Balsamduft; was vor Zaghaftigkeit schlotterte, das schwillt allgemach in der erquicklichen Wärme behaglich an,wird mit Kraft durchtränkt; die Last, welche bleiern auf das Herz gedrückt, hebt sich, schwimmt auf dem köstlichen Naß,kommt immer höher mit jeder Tasse, je mehr innen die Flüssigkeit steigt, bis sie den Mund erreicht, nach der Zungenspitze [273] gedrängt wird, wo dann eine geschickte Hand sie leichtlich ganz herauszieht. Das Einschenken und das Bekennen, das Nöthigen und das Anvertrauen, das Abnehmen und das Entgegenkommen, das Danken und das Austauschen, all dieser innige Verkehr von Herz und Kaffee, Milch und Theilnahme,von Zucker und Freundschaft webt und schwebt in beständigem Wechsel, in versöhnender Harmonie durch einander, Eines am Andern sich haltend, aufrichtend, gegenseitig sich belebend.Mag da lange eine läͤstige Fliege, ein Haar in der Tasse Mittheilung auftauchen! selbst Kaffeesatz und bittre Regungen vermögen nicht den Genuß im Großen und Ganzen zu trüben.Solcher Weihe des ächten Kaffeegenusses waren auch die beiden Weiber theilhaft geworden und Lisebeth hatte nicht länger vermocht, ihr Anliegen hinter Schloß und Riegel zu halten,sie hatte den Muth gefunden, es der treuen Vorsorge ihrer Gastfreundin bestens zu empfehlen zur Befürwortung bei dem Letthofbauern. Dabei war sie so in Zug gekommen, daß sie nicht gleich das leise Erschrecken und die Unruhe ihrer Nachbarin bemerkte. Frau Ann hatte sich schon wieder gesammelt,als Lisebeth innehielt und nun forschend nach der willfährigen Antwort ausblickte. Das treuherzige, wohlwollende Gesicht der Letthofbäuerin sah ihr entgegen:

„Gerne wollte ich dir den Gefallen thun, aber schau, es würde dir nicht viel helfen, eher schaden!“ sprach die Bäuerin. „Die Männer sind alle wunderlich und mein Alter,so ein Braver er sonst ist, der ist's nicht weniger. Ich kenn'ihn: wollt' ich ihn fragen in deinem Namen, so würd' er's

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übelnehmen. Er weiß, daß er manchmal ein wenig schroff ist,wie gut er's meint, und er will's nicht sein; darum argwöhnt er gleich, die Leute hielten ihn doch dafür, wenn sie nicht selber mit ihren Anliegen sich an ihn wenden, sondern durch mich es thun. Wer Etwas von ihm wolle, der soll's selber sagen, er wiss es am besten, es brauche keines Fürsprechers, er habe noch Niemandem den Kopf genommen! pflegt er zu sagen und wird dann erst recht ungehalten. Rede du darum selbst mit ihm, ich will nachher schon thun was möglich ist,es geht dann eher an.“

Mit diesen Worten, und allerlei Trost und Ermuthigung,suchte die wackre Frau Lisebeths Scheu zu überwinden und diese sah aus den Gründen nur zu wohl, daß es blos Wohlgemeintheit sei und keineswegs Mangel an Dienstwilligkeit oder Unlust, etwas Unangenehmes zu besorgen, was die Ablehnung verursachte. Sie hatte sich noch nicht recht von dem Eindrucke erholt, hatte den Entschluß, ob sie's wagen wolle,noch nicht gefaßt, sondern kämpfte noch immer mit wenn und aber, mit für und wider, als der Letthofbauer selber leibhaftig in die Stube trat und die Lisebeth grüßte. Wie wenn man diese plötzlich auf unrechten Gedanken ertappt hätte, blickte sie vor sich in ihre Tasse hinein, während Frau Ann forschend nach dem Gesichte ihres Alten schaute, was dort wol für Wetter sei, gutes oder veränderliches? Es mußte nicht so übel aussehen, wenigstens rief sie heiter: „Gut, Vater, daß du endlich kommst, denn der seltne Besuch da gilt eigentlich dir und nicht mir, ich hab' nur so als Lückenbüßer hergehalten,bis du kamst: dein Pathenkind hat eine Herzensangelegenheit,die es nur dir anvertrauen will.“

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Nun hatte Lisebeth keine Wahl mehr, doch merkte sie zugleich auch, daß der Bauer in gute Stimmung versetzt war durch das Zutrauen, welches die kluge Frau, mehr selbstoerläugnend als ehrlich, von sich auf ihn hingerichtet. Nachdem sie die Bedrängniß mitgetheilt, worein sie die Forderung des Wirths setzte und endlich auch ausgepackt, wie sie da ihr Vertrauen auf den Pathen gestellt, der ihnen vielleicht helfen könute, wenn er die Bitte nicht übelnehmen wollte, kam sie auch auf die Reue und die heiligen Versprechungen des Andres zu reden, wobei sie ausführlich verweilte, als wisse sie gar wohl, welches die schwache Seite ihres Anliegens sei und müsse daher gehörig vorbauen.

Der Letthofbauer unterbrach sie nicht und als ihr scheuer Blick seine Miene sich nicht trüben sah, gab ihr dieß noch mehr Muth, Alles bis auf den Grund auszuleeren. Die Bäuerin kannte freilich ihren Alten besser und seine Ruhe und Freundlichkeit vermehrte ihre Hoffnung, dem Schweigen gegenüber, keineswegs. Als Lisebeth endlich schwieg, hob er denn auch an:„Es freut mich, Frauelein, daß du dich einmal offen an mich wendest, was du noch nicht manchmal gethan hast, und ich will dir grade so Bescheid geben, wie du mich gefragt,nimm's dann übel oder nicht. Schau, dir und deinem Buben will ich gerne helfen, denn, wie ich gehört, seid ihr fleißig und haltet Alles wohl zu Rathe, so sauer es euch manchmal fallen mag. Aber ihr mögt nicht recht vorwärts kommen, der Andres ist euer Radschuh, ein Trinker hat keinen Segen und wo Andrer Segen sich ansetzen will, da hindert er's noch.Du weißt es wol, hast es oft erfahren und erfährst es viel[]A

1 leicht noch manchmal. Deinem Manne vertrau' ich keinen Kreuzer an und hätt' ich Geld wie Heu, ich würf' es lieber auf den Mist, als daß ich's ihm gäbe zu neuen Wirthshausschulden. Was er dir vorgesagt von seiner Reue und Besserung, daran glaub' ich nicht, er ist zu tief drin und hat schon die Kraft nicht mehr, wenn er auch wollte einen Augenblick, wieder umzukehren. Ihm ist nicht zu helfen und euch nur, wenn ihr euch vor ihm schützt, daß er euern sauern Schweiß nicht mehr in Brenz umsetzt. Kurz, ihr müßt dem Andres einen Beistand geben lassen, es wird nicht schwer halten; dann könnt ihr zu was kommen, denn auch ich will euch helfen so gut ich's vermag. Ueberleg's!“ schloß der Letthofbauer, nicht ohne einige Weichheit in seiner Stimme, , überleg's, gib mir jetzt keine Antwort, es wird dir wehe thun, ich glaub' es, aber es ist kein andrer Weg sonst offen.Du kannst mir in ein paar Tagen Bericht machen, aber bedenke, daß du dich und deinen Buben zu Grunde richten und dem Andres mit dem besten Willen doch einen schlechten Dienst leisten könntest!“

Des Alten Gesicht und Haltung hatte fast etwas Feierliches, ja Prophetisches angenommen, er wandte sich darauf ruhig um und schritt aus der Thüre. Lisebeth blieb noch DDD00 Letthofbauern auf sie geübt, stille; sie war traurig, denn ihre Hoffnung war niedergeschlagen, doch konnte sie nicht zürnen, das Gewicht der Wahrheit hielt ihren Unwillen zurück.Auch die Letthofbäuerin war stille; beide Weiber fühlten, daß nun nichts zu sagen sei, wenigstens in diesem Augenblicke nichts: aufrichtiges Wohlwollen und herzliche Theilnahme [2992] gaben sich auch ohne Worte bei der Alten zu erkennen. Sie begleitete Lisebeth noch einige hundert Schritte über das Gehöfte hinaus, als diese nunmehr aufbrach und nur beim Abschiede hieß sie die gebeugte Freundin Muth fassen, ihr Mann meine es nicht böse, wenn er auch rund heraus rede, überdieß wolle sie noch mit ihm sprechen, vielleicht daß Etwas zu machen sei.Diese Worte sahen hoffnungsreicher aus als sie klangen,die gute Frau konnte es nicht über's Herz bringen, die Hilfesuchende ohne allen Trostschimmer von sich zu lassen, während sie selber nur zu wenig Vertrauen hegte in das, womit sie Lisebeth aufzurichten gedachte.

Daheim in ihren Wohnungen waren beide Frauen gleich angelegentlich mit Dem beschäftigt, was der Letthofbauer,gleichsam wie ein zweischneidiges Messer, vor sie hingelegt hatte. Vergeblich suchte die Bäuerin mit allen bewährten Mitteln ihn anders, willfähriger zu stimmen und das Gesuch zu unterstützen. Der Alte war dießmal ruhig und selbst mild,um so weniger war er von seinem Entschlusse abzubringen,gab es doch Punkte, an denen er unerschütterlich festhielt, von welchen er rundweg behauptete, wenn die Bäuerin mit kluger,sachter Hand sich ihnen nähern wollte: Weiber verständen nichts davon, auch seine Alte nicht! Ein solcher Punkt war das Geldleihen an einen Schnapsbruder, und vier Rosse hätten ihn nicht davon abgebracht.

Lisebeth aber konnte sich immer weniger entschließen, die Hilfe, wie sie angeboten war, zu ergreifen, je völliger der erste Eindruck, den der Letthofbauer auf sie geübt, daheim wieder []X 2

33 nachließ. Hätte sie ganz genau bei ihrem Herzen nachgefragt,sie würde vielleicht noch jetzt den Vorschlag haben billigen müssen, aber sie hielt sich nur an den allgemeinen Eindruck,den eine Bevogtung ihres Mannes, und auf ihren Antrieb dazu, der Welt gegenüber machen mußte. Daß alle Welt den Andres als einen Tagedieb und Branntweinzapfen kannte,daß ihm, außer Wirth und Krämer, Niemand Etwas anvertraut hätte, er in der rechtlichen Leute Meinung eigentlich schon mundtodt war, das däuchte die gute Lisebeth nichts gegen die Schande, wenn dieß auch das Gericht in aller Form ausspräche, und mit seiner Macht den daraus hervorgehenden Schaden verhütete. So fürchten sich noch Viele den Namen einer Sache zu hören, die thatsächlich schon lange Fuß gefaßt hat und sich breit genug macht: es ist dieß die Scheu, den Teufel zu nennen, wenn man auch hundertmal weiß, daß er anwesend ist.Es sei eine Schande für das ganze Haus, meinte Lisebeth, und beflecke ihren guten Namen; der Hansli würde es noch zu büßen haben, lange nachher, wenn Vater und Mutter schon unterm Boden lägen! Sie sah ihren Sohn gerettet, das war ihr die Hauptsache, nichts sonst vermochte sie zu einem so gewaltsamen Schritte zu bewegen, ihr eignes Kreuz am wenigsten. Sie hätte sich auch nimmer entschließen können, an eine Behörde oder den Präsidenten sich zu wenden;jene Zeit, wo sie es einmal gethan, scheuchte sie wie ein Gepenst vor jedem ähnlichen Vorgehen zurück, denn je s chüchterner und verschlossner sie in gewöhnlichen Tagen war, um so ungeheuerlicher mußten ihr hintendrein jene Ereignisse und Folgen vorkommen.

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So kam denn kein Bericht auf den Letthof, Andres erfuhr von seiner ohnehin wortkargen Frau nur im Allgemeinen, der Pathe wolle nichts von Geldleihen wissen.

XXIII.Dem Andres kommt des Krämers Haus wie eine Mausfalle vor und er lüßt sich auch richtig drin fangen.Während Lisebeth sich, mehr ergeben als zuversichtlich,tröstete: es werde so sein müssen, sie wolle in Gottesnamen geduldig weiter aushalten, es sei bis dahin gegangen, Gott werde auch weiter helfen, nur der gute Hansli könne sie dauern! war es Andres ziemlich jämmerlich zu Muthe, da ihm theils der innre Halt und das gute Gewissen seiner Frau fehlten, theils auch die möglichen Folgen seiner Geldnoth deutlicher vor Augen traten. Hilflos, unruhig, mit der ganzen Verlegenheit in seinem welken Gesichte, trippelte er umher,ärgerte sich über den Gleichmuth seiner Frau, die, wie immer,der Arbeit und den Hausgeschäften nachging. Er wußte keinen Rath und sein Rest von Gewissen ließ ihm, neben der Furcht vor Lisebeths scharfem Auge, eben so wenig zu, an der gewohnten Quelle sich Trost oder vielmehr Betäubung zu schöpfen. Die Frau hatte ihm die Hölle heiß gemacht, er hatte ihr zugeben müssen, Krämer und Wirth seien Spitzbuben an ihm gewesen, er erinnerte sich an seine Ver[285] sprechungen, an seine Betheuerungen der Besserung. Daneben aber half nun dieß Alles nichts: Andres war gleichsam zwischen zwei Sesseln herunter gesessen, Aerger, Reue, Muthund Rathlosigkeit, Gewissenhaftigkeit und verhaltner Durst,dieß Alles arbeitete, gährte in dem schwachen Andres, daß es ein herzbrechender Anblick war, ihn nur über die Straße gehen zu sehen.

Dieß mußte auch dem Krämer Stoll so vorkommen, als der einmal mit der Cigarre im Munde unter seiner Hausthüre stand und der Schneider, wie das leibhafte böse Gewissen,auf der andern Seite den Häusern nachschlich!

„He, Meister!“ rief er diesem zu, , bist du's oder ist's dein Geist?“

Andres that als höre er's nicht, der Krämer aber setzte nicht so bald ab; mit einer Stimme, die einen Scheintodten erweckt hätte, rief er ihn nochmals beim Namen und als der Schneider nun ehrenhalber den Kopf mürrisch gegen ihn wandte, fragte er: „Machst Kalender? du siehst ja aus wie der Schatten an der Wand; komm' einmal her! ich dachte mir's doch, du müssest krank sein, daß man dich so lange nicht mehr sah!“

Andres brummte Etwas vor sich hin mit bitterbösem Gesichte: er habe jetzt nicht Zeit! oder: es habe sich Niemand um ihn zu kümmern! war nicht so genau zu unterscheiden.

Damit kam er aber nicht los, der Krämer stellte ihn förmlich. Auch als der Meister noch polteriger ward, anfing auszupacken, aufbegehrte, er lasse sich mit guten Worten nicht mehr fangen, er sei lange genug der Narr gewesen, man könne jetzt einen andern suchen seinethalben, der sich die Haut [] 5 20

über die Ohren ziehen lasse, er sei im Unglück genug! auch da verlor der Krämer seinen Gleichmuth nicht, er schien es nicht einmal zu hören, lachte nur: „Sag', was Teufels hast du gefressen? was fehlt dir?“

„Geld fehlt!“ schnauzte Andres fast überlaut ihn an.

Da mußte der Krämer lachen, daß ihm der Bauch wackelte,trotz allem Aerger des aufgebrachten Schneiders: „Nun, ich habe wirklich geglaubt, du habest aus Versehen einen Schoppen Bitriolöl getrunken, statt eines Schnapses!“ scherzte er, „aber Geld? das wird doch wol aufzutreiben sein;vielleicht könnte ich dir welches verschaffen, wenn du mich nicht fressen willst. Komm herein, daß wir vernünftig darüber mit einander reden, auf die Gasse hinaus kann ich dir's doch nicht bringen!“ Meister Stoll ging voran in die Stube, Andres war in großer Verlegenheit, er wußte nicht was machen, des Krämers Haus kam ihm den Augenblick wie eine große Mausfalle vor, aber anderseits war ihm die Katze auf den Fersen,lief ihm sogar schon den Buckel hinauf. Instinktmäßig zog er die entferntere Gefahr der nähern vor, da er sonst kein Loch wußte zu entfliehen und schlüpfte, nachdem er noch hastig die Gasse hinauf und hinunter geblickt, in den Kramladen über die altbekannten Thürstufen hinein.

Drinnen gab's denn eine lange und breite Erplikation.Andres erzählte seine Noth, wie's ihm der Rößleinwirth gemacht und was der Letthofbauer für Einer gegen ihn gewesen,trotzdem er doch der Pathe der Lisebeth sei!

„Es geschieht dir Recht!“ sagte hierauf der Krämer,„warum hast du dich nicht gleich an mich gewendet, sondern lieber an einen hochmüthigen und geizigen Bauern? du weißt [25]4 doch, daß ich es gut mit dem Volke meine und mich auch dir immer als Freund gezeigt habe; oder meinst du, ich sei Einer von Denen, welche in der Noth ihre Bekannten nicht mehr kennen, so ein Filz, dem das Herz im Beutel sitzt? ich hoff' es nicht!“Das Ende vom Liede war, daß Andres das nöthige Geld erhielt, um dem Wirth seine alten und neuen Schulden abzuzahlen und auch das Uebrige, was an rückständigen Zinsen noch zu tilgen war, in's Reine zu bringen. Der menschenfreundliche Krämer lieh ihm das Geld, wie unter Brüdern üblich, zu vier Procent, zahlte aber statt je 100 Franken nur 80; das sei so bräuchlich bei Baardarleihen! machte er dem Andres begreiflich, als der beim Nachzählen nicht auf die festgesetzte Summe zu kommen vermochte. Der Schneider stutzte wol über diesen Brauch, daß 80 Franken hundert vorstellen sollten, aber einmal kannte er das Uebliche in kaufmännischen Geschäften nicht so genau, und zweitens hatte er keine andre Wahl und war froh, nur wieder aus der Klemme zu kommen,ob er nun etwas mehr Haare lasse oder weniger, so genau dürfe er's jetzt nicht nehmen.Als das Geld in schweren Fünffrankenthalern auf dem Tische lag und Andres es in den Zwilchsack strich, den ihm der Krämer lieh, und das Ohr an dem hellen Klange weidete,sagte sein Gläubiger so leicht hin und als verstände sich das ebenfalls ganz von selber: „Ich stelle dann ein paar Zeilen auf, die du mir unterschreibst; zeig, was kannst du gleich dagegen einsetzen? deine Wässermatte, denk ich, die an die meine stößt!“

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3*

Andres hatte nicht an's Einsetzen gedacht, er begann von Neuem mißtrauisch zu werden, aber bei näherer Erwägung fand er's doch begreiflich; der Krämer versicherte ihm ja auch,er verlange nur der Form wegen diese Sicherheit, zudem sei jeder Mensch übernächtig! Was anders auch als einzuwilligen blieb übrig? Der Krämer versprach die Schrift baldmglichst in Ordnung zu bringen, übermorgen schon könne Andres sie unterzeichnen und dann zugleich auch den Beutel mit dem Gelde mitnehmen, er woll' ihm denselben derweilen im Ladenstübchen aufheben!

So war denn die Sache glücklich abgemacht und Andres trug wirklich zwei Tage nachher das Geld nach Hause, nachdem er noch die Fertigungsgebühr für die Verschreibung entrichtet.Vorher aber, nachdem sie Handels einig geworden, nahm er einen Schoppen Kartoffelschnaps: er habe denselben wohl verdient, meinte er, und auch dem Krämer, der ihm aus der Noth geholfen, sei er die Rücksicht schuldig. Nach so langer Entbehrung schmeckte ihm die Herzstärkung nun doppelt gut und versöhnt und in tiefem Frieden schied er erst ziemlich spät von seinem Freunde und Wohlthäter, der ihn schließlich einlud,sich bald wieder sehen zu lassen.

Auch daheim schwoll dem Andres wieder der alte Kamm,hatte er doch Luft gekriegt ohne die Lisebeth und ohne ihren Letthofbauern: es sei gut, ließ er fallen, daß es noch andre Leute gäbe, die es wohl mit einem meinten; in der Noth merke man am besten den Unterschied zwischen einem Freunde und einem filzigen Bauernaristokraten! Aus Erkenntlichkeit wiederholten sich rasch die frühern Besuche bei dem Retter aus der Noth und es sah fast aus, als wolle Andres dem

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Krämer für die frühre schlechte Meinung und daß er ihn eine Weile hintangesetzt, jetzt nachträglich Ehrenerklärung und Schadenersatz geben, so häufig ging er zu ihm hin. Meister Stoll seinerseits sorgte getreulich dafür, daß die versetzte Wässermatte nicht sobald wieder eingelöst wurde, wie Andres bei der Verpfändung sich vorgenommen, als er sich an der Verschreibung gestoßen. Es verging auch kaum mehr als ein Jahr, so gab es ihretwegen ein neues Verkommniß. So,wie der Schneider die Matte jetzt besaß, trug sie ihm nichts ein, höchstens machte sie ihm noch Unkosten, denn der Krämer benützte sie, er graste, heuete und embdete über Hals und Kopf darauf, an Zinses Statt für sein Darleihen. Am Ende fehlte es hier und dort an den Schutzbrettern, den Wassergräben, die Andres so wenig für den Krämer herstellen wollte,als dieser für den Andres. So ward denn nach einigem Hinund Herreden ein billiges Abfinden getroffen:

Andres vertauschte die, seinem Freunde, dem Krämer, so bequem gelegne, Wässermatte an ein Stück Land desselben,das vom Dorfe etwas nebenaus und dem Berge zu lag. Die beiden Grundstücke waren ungefähr gleich groß, nur war von dem ertauschten schwer zu sagen, sollte es eine ausgebeutete und verebnete Kiesgrube vorstellen, oder einen aufgegebnen Bauplatz, eine verbrannte Aegerte, ausgenutzte magre Allmend,oder sonst Etwas? Fruchtbarkeit konnte man ihm zwar nicht absprechen, denn Disteln und Gedörne und Wolfsmilch wuchsen nirgend so schön wie auf ihm und, der Wahrheit zur Steuer,auch Augentrost kam drauf vor. Freilich, hätte Andres noch was gedeihen sollen, so würde man vorher erst drei Jahre hintereinander den Mist von zwei Dorfschaften wenigstens

MeverMerian. Mareili. R

15 [2790] haben drauf hinführen müssen, nachdem man die Steine davon weggelesen, und wenn dann noch Boden dagewesen wäre.

Der Platz hieß auch nur das, Distelwaidlein“, indeß durchaus nicht des einheimischen Unkrautes wegen, sondern, wie der Krämer ausdrücklich behauptete, weil es nirgend sonst so viele Distelfinken gebe und diese immer gar wundersam pfiffen,den Gimpeln vermuthlich!

Dieß neue Land war überdieß nur etwa fünf Minuten weiter von des Andres Heimwesen entfernt, als die frühre Wässermatte, zudem am Wege in's Gehölze gelegen, wohin man des Reisiglesens und Laubrechens halber ohnehin ja öfters ging. So wurde denn durch diesen Austausch Andres seiner schwebenden Schuld frei und ledig, indeß auch seiner schönen Matte, des besten Stückes Land, das er besessen. Lisebeth,als sie davon hörte, machte freilich ein gewaltig saures Gesicht dazu, aber das hatte nicht so viel mehr auf sich: fie wußte ja doch keinen bessern Rath noch Hilfe; was hatte sie sich denn drein zu mischen! Die arme Frau mußte unwillkürlich an die Prophezeihung des Letthofbauern denken. Darum auch sagte sie nicht einmal so viel dagegen, war „vernünftiger“, wie Andres meinte, als er erwartet hatte. Sie trug den neuen Schlag als ein willig übernommenes Kreuz in Geduld und Ergebung und ließ ihren Mann die eingetauschte Aegerte so himmelblau und so rosenfarben ausmalen, in deren ganzen Länge und Breite, als ihm beliebte. Dieß that indeß der Andres nur der Lisebeth, und im Anfange sich selber,gegenüber. Denn, wie's ohnehin in der Welt geht, später und bei ruhigem Blute wollte ihm selbst dann und wann oorkommen, die Wässermatte habe doch auch ihre entschiednen

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Vorzüge gehabt. Er gestand sich sogar: diese hätten noch die Tugenden des Distelwaidleins weit überstiegen, und in schwachen Momenten: es wäre vielleicht besser gewesen, er hätte nicht getauscht, denn, beim Lichte betrachtet, habe er eine Dummheit begangen und sei übertölpelt worden! In den fatalen Augenblicken, darin ihm Dergleichen aufstieß und ihn ärgerlich machte, daß er den Handel unterschrieben, nahm er als Wurmmittel einen gehörigen Schnaps, der half es wieder verwinden. Und so ein Schnaps zeigte sich auch probat gegen alles zu weitläufige Grübeln, wenn ihm der Krämer gelegentlich verdächtig vorkommen wollte mit seiner Freundschaft und Wohlmeinenheit. Auf einen leichten Dusel setzte sich dann zgewöhnlich die Galle wieder und es blieb beim Alten, am wenigsten kam es zu einem Bruche, dazu war die Gewohnheit schon viel zu stark geworden und die noch vorräthige Willenskraft zu unzureichend.

Es folgte überhaupt kein neuer Anlauf mehr, dem Netze DO sein Pulver verschossen zu haben, er legte sich auf ein ewiges Capituliren, wobei er jedesmal ein paar Fuß breit verlor, V dem er stand. Lisebeth mochte da lange ihm zureden und Himmel und Hölle vorstellen, oder drohend in den Weg treten:der Brenz war stärker als sie, und die Zungen der Saufbrüder überzeugender als die ihre. Und gerade wenn Andres das schlechteste Gewissen hatte, wenn er sich hätte schämen sollen wie ein Pudel: im Rausche und nach dem Rausche, dann begehrte er am ärgsten auf und hatte am meisten Muth, das abzudrücken, womit ihn die guten Freunde hinterm Brenz19*[292] glase geladen. Da wollte er denn den Meister im Hause vorstellen, wollte befehlen und ward fuchswild, wenn das nicht anerkannt wurde oder die Lisebeth gelegentlich sogar den Spieß umkehrte, ihm den eingegangnen Erlös von etwas Verkauftem nicht geben wollte, einmal vielleicht die Schuhe verstellte und den Halbtrunknen darnach überall vergeblich D nicht bevogtet! begehrte Andres auf, es müsse eine andre Ordnung geben, er wolle ihnen einmal zeigen, wer der Herr sei! Man ließ ihn austoben, achtete derlei Reden nicht einmal mehr, geschweige daß man sie fürchtete, denn mit dem Schnapsdunst war auch alle Courage verflogen: Andres war eben doch bevogtet, und zwar von einem Vogte, der tyrannischer war, als je der gewaltthätigste Landvogt. Dieser Vogt saugte den armen Schneider bis auf's Blut aus, nahm ihm jeden Kreuzer, den er in den Sack kriegte, verbot ihm, sich das tägliche Brot zu verdienen, jagte ihn von Haus und Hof und trieb ihn elend im Lande herum. Noch mehr: er brachte ihn in seiner Tyrannei sogar um die Kräfte des Leibes und des Geistes, schindete ihn ärger als je der geplagteste Frohnknecht geschunden worden und ächtete ihn, daß Jedermann mit Abscheu und Verachtung auf ihn wies, wo er an einem Fenster vorbei schwankte. Andres gerieth in einen Zustand, in dem er nicht gar viel Uebles mehr anzustellen vermochte, vor Unfähigkeit nicht; auf Borg gab ihm Niemand mehr, mit einer namhaften Forderung gegen ihn zu kommen, hätte sich selbst ein Krämer nicht getraut und ein Rößleinwirth geschämt,denn wenn auch der Gemeinderath nicht gesetzlich und verfassungsgemäß den Trunkenbold unter Vormundschaft gesetzt,

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*57 74 so hatte dieß um so nachdrücklicher die öffentliche Meinung gethan. Wer hätte dieser gegenüber mit einem Pfändungsbegehren wegen Trinkschulden auftreten und der Lisebeth und dem Hansli, die sich halb todt arbeiteten, offen den Schweiß ihres Fleißes wegnehmen wollen? Andres war moralisch todt, Frau und Sohn waren die Erben des kleinen Heimwesens, das nur durch ihre Anstrengungen erhalten wurde; wer durfte wagen, die Hand an ihr Erbe zu legen?

Ob darum Andres zu Hause war oder im Lande herumlief, es war ziemlich gleich, es ging in Feld und Haus Alles im Gleichen fort, höchstens war mehr Friede, Ruhe und So kümmerte sich denn Niemand um den armen Tropf, der das fünfte Rad am Wagen und bei Lebzeiten schon so gut wie gestorben war. Als es gegen den Winter ging, fing er an zu kränkeln und zusehends abzunehmen; ganze Tage lang konnte er hinter dem warmen Ofen sitzen und sich nicht rühren,bis ihn dann der Durst wieder übernahm und die Sehnsucht nach dem unentbehrlichen Brenze ihn die gewohnten Wege trieb.

Es war ein struber Decemberabend, schwarze zerrissne Schneewolken hingen tief in die Tannen hinein, welche auf der Höhe von Lümpischwyl standen, und im verschneiten Felde hätte der Botenheiri den Weg schwerlich gefunden, da kein Stern schien und der Mond im dicken Wolkenmantel bis über die Augen eingewickelt war, wenn er nicht seinen Spitz bei sich gehabt hätte, der vor dem alten Schimmel her im Schnee nach der Fährte schnoberte. Langsam ging das Fuhrwerk vorwärts; in seinen Säcken und Packeten und Ballen hatte sich der Bote, so gut möglich, gegen den scharfen Wind und [294] die Flocken verschanzt, als zu oberst bei der großen Buche,welche die Gemeindegrenze bezeichnet, der Spitz anschlug und heftig zu bellen begann. Der Heiri fuhr aus seinem frostigen Schlummerdusel auf, schrie hüst und hieb auf den Schimmel.Aber da der Spitz nicht von der Stelle wich, blieb der Schimmel auch stehen, denn ohne seinen Wegweiser mochte ihm das Weitergehen den Berg hinunter zu gewagt vorkommen für seine alten Knochen. Der Bote merkte, daß Etwas nicht richtig sein müsse und wand sich aus seiner Verhüllung und Verschanzung heraus, halb unwillig, halb neugierig unter der Wagenblache hervor in's Freie blickend. Da schien's ihm, als sitze Jemand am Bannstein, er stieg ab und sah wirklich einen Menschen, bis an die Hüften im Schnee, an den Stein gelehnt. Er rief, dann rüttelte er den Unbeweglichen an den Schultern: starr und steif, wie der Dasitzende war, fiel derselbe in den Schnee hin. Gerade brach der Mond aus einer zerfetzten Wolke und schien dem Erfrornen in's Gesicht; es war der Schneiderandres von Kestenhofen. Der Bote lud ihn, der wie ein Stück Holz dalag, hinten auf seinen Wagen und fuhr mit ihm dem Dorfe zu.

Nachher sagten Einige, der Andres sei erfroren, Andre,der Schlag habe ihn getroffen. Man hatte ihn zuletzt in Lümpischwyl im Wirthshaus gesehen Dort habe er über Unwohlsein geklagt, Frieren und Kopfweh, und vor dem Aufbruche, am späten Nachmittage, noch einen Schnaps auf die Reise genommen. In der Dunkelheit mußte er auf dem verschneiten Wege nicht mehr fortgekonnt haben vor Ermüdung oder Schwäche, hatte wol ausruhen wollen und war eingeschlafen, um nicht mehr zu erwachen.

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Lisebeth und Hansli erschraken wol, als man ihnen den Todten bei Nacht und Nebel in's Haus brachte, und wie er nun so dalag vor ihnen, starr und kalt, da sahen sie nur den Gatten und Vater in ihm und weinten aufrichtigen Herzens.Indeß, nach dem ersten Schrecken und Schmerze, ward es ihnen doch unwillkürlich leichter, als hätte man ihnen eine Last weggenommen, sie mochten wollen oder nicht, ja sogar gegen dieß Gefühl kämpfen: die Wahrheit ist am Ende doch die stärkere. Sie mußten sich gestehen, auch wenn sie im Andenken an den Verstorbnen nur nach dessen guten Seiten und Zeiten suchten: es sei ihm und ihnen gut gegangen, und Beiden vielleicht Vieles erspart worden. Wie andre Leute urtheilten, ist leicht zu errathen, so und so; beklagt hat ihn Niemand, gemangelt keine Seele, und die ärgsten Schnapsbrüder meinten, zu ihrer Entschuldigung und zu ihrem Troste:man könne halt doch auch Alles übertreiben in der Welt! und doch hatte Andres ja nur mit dem Wenig angefangen,das wenig schaden sollte.

XXIV.Der Letthof taucht wieder auf. Die Bäuerin erkrankt;wer inzwischen die Günse gerupft und Wäsche gehalten.Fünf oder sechs Jahre waren seit des Andres Tod im Schnee auf der Lümpischwyler Höhe vergangen; Lisebeth und [207] ihr Sohn hatten bei vieler Arbeit und Mühe gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit entfloh, wenn ihnen gleichwol scheinen wollte, Martini sei ja eben erst da gewesen und stehe nun schon wieder vor der Thüre mit dem Zinsbeutelein.Indeß sie arbeiteten gerne, vermochten sie doch sich aufrecht zu erhalten, und wenn sie auch nicht viel mehr ersparten,als was sie von einem Sommer zum andern nothwendig brauchten und von einem Zinstage zum andern, so hielten sie doch nun ihr Besitzthum zusammen und hatten seither keinen Fuß breit Landes mehr versetzt oder verkauft oder gar vertauscht an irgend ein Distelwaidlein. Das Gut war auch so leidlich im Stande, ein wenig mager, weil aller Fleiß den Mist doch nicht zu ersetzen vermag und das Kühlein und die zwei Schafe zum Glücke nicht so viel fraßen, daß gehörig gedüngt werden konnte, auch vom Distelwaidlein abgesehen,das nun einmal ein dürrer Steinboden war und blieb. Es ging Lisebeth und Hansli mit ihrem Heimwesen zwar wie Einem, der unter einer zu kurzen Decke liegt, so daß er, wenn er sich oben zudecken will, die Füße unten herausstreckt, und schützt er die Füße, dann oben sich entblößt; allein sie waren von früherher nicht verwöhnt, hatten sich in Schlimmres schicken gelernt und wurden durch ihre Arbeit wenigstens bei Zufriedenheit erhalten, was ein eben so großer Segen derselben ist, als das tägliche Brot selber, das sie bringt. Weder Neid noch besondre Gelüste und unerreichbare Wünsche verdarben ihnen die Gegenwart, indem sie ihnen dieselbe noch härter machten; ihre einzige Sorge war: wenn es nur immer so fortginge und sie nie krank würden oder kein besondres Unglück sie heimsuchte! Hansli zwar ward bei der harten

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Arbeit in frischer Luft ein rüstiger und kräftiger Bursche,denn wenn er auch ein sanftes, stilles Wesen behielt, so waren seine Glieder gestählt und sein Geist vom nachdenklichen Sinnen ab-, und durch die Noth der Wirklichkeit, die ihn umgab, zugewendet worden. Er wußte, wo anfassen und faßte dann tüchtig an, that nichts halb, war vielmehr in Allem gar gründlich und gewissenhaft. Lisebeth hingegen,und sie war die ängstlichere, merkte, daß sie allmälig älter wurde. Sie ließ freilich in der Arbeit nicht nach, allein dieselbe kostete sie größre Anstrengung als früher, ging ihr nicht mehr so geschliffen und ohne Unterbrechung aus der Hand.Sie mußte einmal mehr innehalten, ausruhen, wol gar ein andermal absitzen, was sie in ihren jüngern Jahren nicht nöthig gehabt. Es war aber weder diese größre Mühe noch überhaupt die Sorge für sich, was die gute Frau in manchen Stunden heimlich bekümmerte, sondern daß der Hansli es dann schwerer bekomme und sie ihm in der Zukunft wol gar noch zur Last fallen müßte, abgesehen davon, daß sie ihm nichts mehr nütze. Diese Besorgniß behielt sie inzwischen für sich, es kam ihr Solches überhaupt vorzüglich dann in Sinn,wenn der Sohn nicht zugegen war, sie ihn vielleicht nur von Weitem an der Arbeit erblickte. Denn trübe Gedanken ließ seine Gegenwart keine aufkommen, er sah ja so heiter und kräftig aus, die Arbeit schien ihm so wohl anzuschlagen und Lisebeth lebte und webte so ganz in ihm, ging in ihm auf,daß sich da in ihr nichts besondres Trübseliges und Trauriges ansetzen konnte.

Es errieth auch Niemand Etwas davon, Niemand als die kluge und theilnahmsvolle Frau Ann auf dem Letthofe, welche

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Lisebeth zeitweise besuchte und ihres Vertrauens genoß. Diese errieth indeß die heimliche Sorge auch mehr nur aus einzelnen Andeutungen, Aeußerungen, als daß sie ihr ausdrücklich wäre mitgetheilt worden. Wie von selber war es gekommen, daß seit des Andres Tode dessen und des Letthofbauern Familie in nähern und lebhaftern Verkehr getreten waren. Die Bäuerin zwar hatte immer warmen und thätigen Antheil an Lisebeth genommen, noch bei Lebzeiten des Andres und war auf jede Art bemüht gewesen, den Eindruck zu verwischen,den ihres Mannes abschlägiger Bescheid auf das Geldgesuch bei ihren Freunden in Kestenhofen hinterlassen, denn Hansli und Lisebeth grollten dem Pathen ein wenig deßhalb und wurden von ihm zurückgescheucht. Wenn sie ihm auch nicht geradezu Unrecht geben konnten und die Folge in ihren Augen sogar seine Weigerung und Beurtheilung stets mehr und mehr rechtfertigen mußte, sie empfanden doch immer das Verletzende des Versagens und trauten dem Bauern einen harten Sinn zu. Fremden gegenüber fühlten sie sich auch mehr in ihrer Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit, was ein Glied litt, mußte der ganze Körper der Familie mittragen,und nie mehr als bei diesem Anlasse hatten sie die Partei des Andres ergriffen und den Urheber ihrer Noth und Bedräng-niß gegen den Letthofbauern vertheidigt. Das Verhalten der Bäuerin jedoch, das auch einer anfänglichen Kühle und Zurückhaltung gegenüber sich gleich geblieben, ja an Freundlichkeit und Hilfsbereitwilligkeit zugenommen, erhielt sich unverändert, und am letzten hätte eine so hilfsbedürftige und verlassne Seele wie Lisebeth es von sich stoßen können. Die Bäuerin bildete und blieb die Brücke zwischen der bedrängten

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Familie in Kestenhofen und dem gesegneten Letthofe, eine

Brücke, mittels der, nach des Andres Tode, der Letthofbauer sogar eines schönen Tages nach dem Dorfe kam und sich der

Lisebeth als ihren Vormund anbot. Der ernste Mann, als er bei seinem Anerbieten dem Pathenkinde in's Gesicht sah und die Ueberraschung, ja das unverhohlne Erschrecken darin bemerkte, mußte doch ein wenig lächeln und fragte: „Fürchtest du dich vor mir und meinst, ich sei ein Putzenmummel?“ Indeß der Schreck war vorübergehend, die Freude und der Gewinn über den festen und zuverlässigen Beistand und Berather hingegen bleibend. Natürlich wurde durch dieß neue Verhältniß die Verbindung und der Verkehr mit dem Letthofe noch fester und lebhafter, es gab gar Vieles zu ordnen und zu rathen, eh' nur das hinterlassne Gut sicher gestellt war: erst hintendrein zeigte sich, wie schlecht Andres gewirthschaftet und seine Sache verwahrlost hatte. In Haus und Feld war Alles gar zusammengeschmolzen, es fehlte an so Vielem, das nach und nach zu Schanden gegangen und nicht unterhalten oder wieder ersetzt worden. Nur die Einsicht und Erfahrung eines Letthofbauern, verbunden mit dessen festem Willen und beharrlicher Thatkraft, vermochten alle die Hindernisse zu überwältigen und wegzuräumen, die wie Kletten und Dornen überall der Bereinigung der Erbschaft sich anhängten und um welche Waisenrichter und Gemeinderäthe dießmal sich nicht im Mindesten kümmerten, im Gegentheil! Wahrscheinlich weil die Noth der Wittwen und Waisen nicht an's rechte Competenz-thürlein angeklopft. So war der Letthof eine Zufluchtstätte für alle Verlegenheiten, eine Vorrathskammer für jede Art von Aushilfen der Lisebeth geworden. Alle auch meinten es [300] hier mit der wackern Frau, die mit Gott und Ehren sich durchbrachte, aufrichtig gut. War der Alte mit Geld nicht leicht bei der Hand, so zeigte er sich hingegen freigebig mit den Ertragnissen des Landes; mit Kartoffeln, Mehl, Obst und Dergleichen half er gerne und selbst reichlich aus, wenn in der kleinen Haushaltung bei langem Winter oder ungünstigen Jahrgängen im Frühling die Vorräthe vor der Zeit schon geschmolzen waren. Selbst auf ein paar Centner Heu,auf einige Dutzend Wellen Stroh kam's ihm nicht an, sobald er merkte, daß es damit nicht mehr zum Besten aussah in Lisebeths Scheune und Stall. Der Hansli könne herüberkommen und ein Wägelein voll holen! hieß es dann gewöhnlich, und wenn der kam und das Erforderliche geladen hatte, da kam gewiß noch die Letthofbäuerin hinter irgend einer Ecke hervor mit einem Schnitzfacke, einem Ballen Butter,einem halben Käse, oder mit ein paar Laiben Brot, weil sie gerade gebacken, und packte das dem Hansli noch hinten auf:er solle die Mutter grüßen und sie könne Bericht machen,wenn sie wieder brauche, wo das gewesen, sei noch mehr!Hiebei ging Mareili der Bäuerin öfters an die Hand, half ihr aussuchen, zuschleppen, aufpacken, und war jedenfalls nicht dran schuld, wenn Hansli zu wenig davontrug, oder nicht immer das Beste, denn um diesem doch auch einmal einen Dienst zu erweisen, war dem Mädchen nichts zu viel noch zu gut, so daß selbst die freigebige Bäuerin gelegentlich Einsprache erheben mußte: es seien auf dem Letthofe auch noch Mäuler,welche gestopft sein wollten! Gegen Hansli indeß ließ Mareili sich nichts merken, war im Gegentheil ziemlich wortkarg gegen ihn, indem es seine stille Art und das zurückhaltende,[301] fast scheue Benehmen als Stolz und Geringschätzung auslegte.Es laufe Niemandem nach! gönne ihm Der das Wort nicht,he nun, seinetwegen könn' er sich das Maul zunähen lassen;aber schuldig wolle es ihm doch nichts sein! sprach Mareili heimlich in seinem Trutze und that alles Mögliche, ja auch recht gründlich alle Schuld abzuzahlen. Um so freundlicher und gefälliger war dafür das Mädchen mit der Frau Lisebeth: was es der an den Augen absah, that es ihr, hatte alle Aufmerksamkeit für sie und konnte es ihr einen Gefallen thun, so unterblieb das gewiß nie. Lisebeth war darum aber auch alles Lobes voll über Mareili und mehr als einmal scherzte die Letthofbäuerin: sie sperre das Mädchen gewiß ein,wenn Lisebeth auf den Hof komme, denn sonst spanne sie es ihr noch ab und dinge es nach Kestenhofen, was ihr unlieb wäre, denn so eine Magd finde sie nicht wieder! Blos wenn Hansli mit seiner Mutter zugleich etwa einmal auf dem Hofe war, zeigte sich Mareili auch gegen diese etwas zurückhaltender und weniger dienstwillig: der Bursche könnte sonst gar noch meinen in seinem Hochmuthe, es geschehe ihm zu Gefallen! war der Grund.

Der Letthofbauer hatte Hansli auch einmal seine zwei Gäule und den neuen Kehrpflug geliehen, um den Acker umzubrechen. Es war Abend und der Jüngling war mit seiner Arbeit eben zu Ende. Es sei doch ein ander Fahren so, meinte er, als mit ihrem Kühlein und dem entlehnten Liese ihres Nachbars, das zehn Jahre an der Post gelaufen und nun lieber ausruhen als zu Acker fahren möchte! Kaum habe die Pflugschar recht eingeschnitten, habe er schon wieder wenden müssen, der Acker sei ihm noch nie so klein vorgekommen!

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Dabei wandelte ein ordentlicher Uebermuth den sonst ruhigen Burschen an, daß er mit der Geißel laut knallte und dem Echo aus den Bergen rief. Leute im Dorfe meinten, es komme wenigstens ein Engländer und als sie nun den Hansli mit zwei Ackergäulen erblickten, schüttelten sie den Kopf: der scheine doch dem Vater nachschlagen zu wollen; sie hätten es immer gedacht! Indeß Hansli hatte nichts im Kopfe, nur im Herzen, nämlich die helle Freude. Die Freude an den zwei stattlichen Braunen, mit denen er eben gepflügt, freilich indeß vielleicht auch noch eine andre, denn er führte die entlehnten Rosse jetzt wieder nach dem Letthofe hinüber. Er pfiff und knallte und sang abwechselnd auf seinem Wege durch das Holz, bis das Sträßlein aus der Schlucht in's freie Thal hinausführte, von wo man dann den Hof erblickt. Der Gesang verstummte, das Knallen ward seltner, das Pfeifen leiser, je mehr Hansli sich dem Gute näherte und als er vor dem Gatter stand, war er vollends stille geworden und alle Lustigkeit schien ihm davongeflogen zu sein.

Warum Hansli stille ward? ob das der Respekt vor dem Letthofbauern machte? ob es ihm Leid that, die schönen Gäule wieder aus der Hand zu geben? Als er in den Hof trat, sah er sich überall um: unter der Weide am Brunnen, zwischen Stall und Scheune, stand Mareili und fegte; der Alte aber hatte das Pferdegetrabe gehört, er trat dem Ankommenden mitten im Hofe entgegen und fragte ihn, wie er mit dem Gespanne zufrieden gewesen sei? Hansli dankte und rühmte, er wollte die Thiere in den Stall stellen und anbinden, bis der Xaveri komme. Der Bauer aber pfiff einem Knechte, der auch alsbald erschien und die Pferde abnahm. Die Beiden blieben [305] im Hofe noch stehen, obschon der Meister den Jüngling in die Stube treten hieß; dieser fragte nach dem Füllen und zeigte Lust es anzusehen. Das Füllen aber war nicht im Stalle, es sei mit der Mähre zum Müller ausgefahren, hieß es. Hansli schien auf Jemanden zu warten und der Alte schien zu warten, bis Hansli endlich wieder ging. Niemand ließ sich blicken, sah nach ihm, denn nur Mareili war ja im Hofe und das schaute nicht auf von seinen Kübeln und Becken, die es mit allem Fegeeifer heute gar nicht sauber zu bringen vermochte.Sogar der Rinki kehrte sich nicht einmal nach Hansli, dieser mußte wohl oder übel wieder abziehen. Etliche fünfzig Schritte oom Hofe entfernt sah er zurück: Mareili hatte das sämmtliche Holzgeschirr zusammengepackt und ging damit eben vom Brunnen nach dem Hause, der Rinki lief ihr nach und schnoberte mit der rauhen Schnauze vertraulich um des Mädchens Hand und Arm. Hansli pfiff und sang auf dem Heimwege nicht, auch nicht, als der Letthof schon lange wieder aus seinem Gesichte war, er hatte einen Zorn, einen gewaltigen,und wußte doch nicht warum, noch über wen eigentlich, ob über Mareili, über den Rinki oder sonst jemand.

In dieser Weise ging lange Zeit Alles im gleichen ruhigen Geleise fort, ohne besonders wichtige Ereignisse. Der gegenseitige Verkehr war ein freundlicher, die Pflicht, welche der Letthofbauer, als Beistand der Wittwe, freiwillig über sich genommen, milderte, ja rechtfertigte die vielerlei Unterstützungen, welche Lisebeth und Hansli mit Dankbarkeit vergalten, da sie nicht Alles mit Dienstleistungen abzuzahlen vermochten. Da traf ein schwerer Schlag die Bewohner des Letthofes und fast nicht minder auch Lisebeth und ihren Sohn.

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Woran nie ein Mensch gedacht, das geschah: die Bäuerin erkrankte ernstlich. Lange hatte sie sich gewehrt, wollte nicht krank sein, weil sie's noch nie gewesen und dieß und jenes ja nothwendig besorgen mußte; wer sonst hätte es thun sollen?Auch der Bauer wollte es lange nicht glauben, weil er es fürchtete. Die Krankheit kümmerte sich aber darum wenig,sondern zeigte, daß sie die stärkre sei und durch den Widerstand, der ihr begegnete, gereizt, packte sie nur um so heftiger an. Frau Ann, nachdem sie ein paar Tage in der Stube herum von einem Stuhl zum andern sich geschleppt und nicht nur nicht mehr stehen und gehen mochte, sondern auch zum Sitzen zu müde ward, mußte sich in's Bette legen, etwas Unerhörtes, das auf Alle den tiefsten Eindruck ausübte. Bald erschien auch der Doktor und erklärte, daß es gefährlich aussehe, man habe wol lange gewartet, die Krankheit sei im vollen Gange! Da war das Leben und Weben auf dem Letthofe wie umgewandelt. Wird in einer Mühle das Rad abgestellt, so ists dort nicht eintöniger und leerer, als es jetzt hier auf dem Hofe war: man merkte die Krankheit der Bäuerin Allen an. Der Alte machte zwar nicht viele Worte und klagte selten, er war schweigsamer und ernster als sonst und viel allein; Abends rauchte er seine Pfeife gar nicht oder ließ wenigstens alle Augenblicke das Feuer drin ausgehen; hatte er erst ein paar Maleneu angezündet und es erlosch wieder,so steckte er die Pfeife in die Tasche und ließ es mit dem Rauchen bewenden: man sah, er hatte keine rechte Lust daran.Er unterließ sogar dann und wann seine Abendvisite durch Ställe und Scheunen, worauf er doch sonst unter allen Umständen gehalten, weßhalb dieß auch den Dienstleuten als [27]431 das bedenklichste Zeichen galt von der Gefahr, darin die Meisterin schwebte. Indeß selbst die Knechte und Mägde waren stiller; Vrene wollte am längsten nicht sehen und fing mit Allen Händel an: es stehe nicht halb so schlimm! Die Dokter machten auch gleich aus jeder Laus einen Elephanten,damit nachher die Ehre größer sei; wer auf die hören wollte!Als sie endlich die Krankheit doch zugeben mußte, da verlor sie völlig den Kopf und konnte vor lauter Theilnahme und Angst nicht das Geringste leisten. Bei diesem Anlasse zeigte es sich, was eine gute Meisterin und Frau in einem Hause ist: dessen Seele nämlich. Alle Lust schien ausgestorben, da Die, welche sie sonst Jedem so herzlich gegönnt hatte, krank darniederlag. Knechte und Mägde schlichen ihres Weges, der gewohnten Thätigkeit nach; am Tische erhob sich kein Gespräch, stumm aß man ab und ging dann ebenso an seine Geschäfte; Abends fanden keine Unterhaltungen statt, keine Scherze, kein Lachen wurde vernommen von dem Bänklein Küchenthüre; weder Pfeifen noch Singen tönte aus dem Stalle beim Melken und Anschirren oder aus den Futtergängen.Vrene sogar polterte nicht mehr ordentlich und der Rinki ließ den Schwanz hängen, denn Niemand narrte mit ihm oder liebkoste ihn; dem gesammten Hofe schien die Pulsader seines Lebens unterbunden zu sein. Man hörte nur Morgens,wenn Eins aus dem Stüblein kam und das Andre begegnete ihm, die halblaute Frage: „Was hat sie für eine Nacht gehabt?“ oder: „Hat's geböset?“ Wenn der Doktor erschien und dann wieder fortging, wol auch: „Was hat er gesagt?macht er Hoffnung?“ Auf den erhaltnen Bericht, das AchselMever-Merian, Mareili.

20 [306] zucken oder Kopfschütteln, oder wie er sonst aussehen mochte,ging dann Jedes wieder seines Weges, brummte höchstens noch: es wäre Zeit, daß es bald anfinge zu bessern! Mareili allein behauptete das Feld, ließ bei aller Theilnahme doch nicht die Flügel hängen wie ein lahmgeworfnes Huhn, sondern nahm sich im Gegentheil nur mehr zusammen und sah zu Allem, zu Solchem auch, was ihm nicht ausdrücklich aufgetragen worden. Weil es dieß mit Manier that und immer zuerst die eignen Hände brauchte, anstatt fremde, so hielt ihm auch Niemand vor, es habe hier nichts zu befehlen, die Meisterin lebe noch, es solle sich nur um seine Sache kümmern! Das Auge, das Alles übersah, die Geistesgegenwart,die nie um Hilfe verlegen war und der tüchtige Sinn, der gleich das Rechte angab und am ersten selber zugriff, diese Herrschertugend verschaffte Mareili unwillkürlich Achtung, wo nöthig auch Gehorsam bei den Andern, die in ihrer Theilnahme und Angst den Kopf verloren und gerne nach einem festen Halte griffen, den sie in dem ruhigen und besonnenen Walten des Mädchens am nächsten fanden.

Als nach langen langen Wochen der Doktor endlich erklärte: jetzt seis so viel wie gewonnen, er hätt' es nicht geglaubt, unter Zehnen hätte das nicht Eine durchgemacht, was die Letthofbäuerin, aber die sei halt noch vom alten Schlage,man sehe, was gutes Holz aushalte! Da leichterte es ebenfalls Allen, da fiel eine Last von jeder Brust, daß sie tief aufathmete. Ueber allen Gemüthern schien eine Sonne aufzugehen, es regte und bewegte sich auf dem Letthofe, wie wenn die ersten Frühlingsstrahlen in die starre winterliche Erde dringen. Sobald Frau Ann die Wendung zum Bessern [307] verspürte, hatte ihr erster weltlicher Gedanke sich Haus und Feld zugewendet. Dicht hinter dem Seufzer des Dankes für ihre Rettung drängte sich der Seufzer der Sorge hervor:wie's wol aussehen werde da und dort, wo so lange das Auge der Meisterin nicht hingeblickt. Sie hatte nicht den Muth nur zu fragen nach Diesem, Jenem, was während der Zeit ihrer Krankheit der Lauf und Wechsel des Jahres in Garten und Haus zu besorgen gefordert. Endlich wagte sie eine leise scheue Frage, wie's auch im Garten mit den Samen gegangen sei? und, als fürchtete sie, Jemanden zu beschämen,setzte sie gleich hinzu, es werde wol nicht viel gegeben haben,denn es sei plötzlich heiß geworden und da sei gewiß viel ausgefallen! Aber da holte Mareili die dickgeschwollnen Säcklein herbei, darin die Samen des Anis, des Spinates, des Schnittkohles sortirt, und, wie ein Blick die Bäuerin überzeugte,auch erlesen waren: die Setzzwiebeln lägen auf dem Estrich, es habe besondres wohl ausgegeben dieses Jahr! fügte Mareili hinzu. Und als ein altes Huhn, das auf Anordnung des Doktors für die Genesende im Reis sollte abgekocht werden,die Gelegenheit bot, nach dem Stande des Hühnerhofes sich DD säumt worden. Die Gänse hatte man zur rechten Zeit gerupft,davon zeugte sowol der gute Zustand der Thiere, als der reichliche Vorrath von Flaumfedern: Vren hatte ihnen die Köpfe übungsgemäß in alte Fürfüße gesteckt und festgehalten, während Mareili sie an Brust und Bauch der weichen Daunen beraubt. Um die schönste Henne des Hofes piepte und quiekte ein Trupp muntrer Küchlein herum und sperrten die wachsgelhen Schnäbel gegen Mareili, das ihnen Futter 20 *[298] brachte, so weit auf, das man ihnen bis in den Magen hinunter sah. Darob war aber der Cierbedarf nicht vergessen worden, je nach ihrem Alter fanden sich diese in den umgestürzten Bienenkörben unter schützender Spreu geborgen,gesammelt und aufbewahrt und ein zufriednes Lächeln flog über das Gesicht der Bäuerin, als sie zum ersten Male den Vorrath übersah. Nicht minder beim Anblick der zahlreichen Häfen, voll der reinlichsten goldgelben Maienbutter, die darin eingesotten worden und in deren Gemeinschaft auch die freigebigste Bäuerin dem härtesten und längsten Winter getrost entgegen zu blicken im Stande war. Ja, sogar eine Wäsche war wãhrend der Meisterin Krankheit siegreich abgethan worden und Alles lag in Schränken und Kästen wohl geordnet aufgehoben: Keinem Knechte hatte nur ein Schnupftuch,keiner Magd eine Schürze gefehlt, Mareili hatte Alles eingezählt und nachher Jeglichem das Seine wieder zugetheilt.

Nirgend war eine Unordnung eingerissen, nichts liegen geblieben, noch versäumt worden; an Alles hatte Mareili zur geeigneten Zeit gedacht, den Anstoß dazu gegeben, daß das Erforderliche gethan und selbst nach allen Kräften geholfen,daß es auch recht gethan wurde. Wollte einmal der gute Wille der Andern nicht so recht nach, dann hielt es ihnen vor, wie die Meisterin sich ärgern müßte, wenn sie hintendrein eine Lässigkeit entdeckte und wie ihr das sicher wieder schaden werde; zudem wär's eine Schande für sie Alle, jetzt,wo die Meisterin am Nachsehen verhindert sei, nicht freiwillig zu thun, was in ihren Kräften stehe!

Darum sah es denn auch überall in Haus und Garten,in Speicher und Keller aus, als wäre die Bäuerin mit keinem

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Fuße nur eine Stunde länger als gewöhnlich im Bette gelegen, sondern, wie immer, ihren Dienstboten mit gutem Beispiele voran-, und mit scharfem Auge überall nachgegangen.Es wollte sie faft gar ein wenig verdrießen, daß Alles ohne sie so gut abgelaufen, indem sie nicht bedachte, daß ein Wagen,auf gutem Wege von eingefahrnen Pferden gezogen, auch ohne den Fuhrmann eine Weile ordentlich fortkommen kann.Und der Dank und die Freude gewannen doch auch bald über dieß Gefühl, beinahe überflüssig zu sein, die Oberhand bei der braven Frau. Sie schwieg zwar und ward stille, aber ihr Gesicht erheiterte sich zusehends von innen heraus und in der Heiterkeit schwebte als Lichtkern eine ganz andre Empfindung als jene trübe Regung: die gute Saat, die sie im Vertrauen auf Gott gesäet, war aufgegangen und vergalt ihr jetzt in der Zeit der Noth mit hundertfältigem Segen. Das verwilderte Bettellind war in die Stelle der treuen und unermüdlichen Hausfrau während deren Krankheit getreten und darin bestanden. Der scheue diebische Wildfang hatte aber zugleich auch unermüdlich seiner Beschützerin selber die liebevollste Sorgfalt zugewendet, die sich nicht befehlen und mit keinem Gelde erkaufen läßt, die allein ein kindliches dankbares Herz mit solch errathendem Scharfblicke, dieser leichten Hand,diesem leisen Tritte, gleichviel ob bei Tag oder Nacht, darzugeben vermag bis in's Kleinste hinein.

Diese Frucht, dieser Lohn schien jetzt der frommen Frau fast ihre Leidenstage aufzuwiegen: von der Bewegung darüber ermüdet, lehnte sie in ihr Bette zurück und murmelte nur leise den Spruch vor sich hin: „Was ihr thut dem Geringsten unter meinen Brüdern, das sehe ich an als hättet ihr es mir gethan.“

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XXV.Es bessert. Nach Kegen folgt Sonnenschein. Auf dem Spänhaufen.

Mareili's Mutter im Lümpischwyl kränkelte: Anfänge der Wassersucht stellten sich bei ihr ein. Sie lebte von dem Almosen der Gemeinde und einzelner milder Seelen, daneben von dem,was ihr jüngster Knabe, den sie bei sich hatte, durch Betteln und sonst wie nach Hause brachte und das gleichsam für die Ertrabedürfnisse bestimmt war. Von Mareili wollte sie nichts wissen, es hatte sie mehrmals besucht und ihr von sich sowol als von der Letthofbäuerin allerlei Brauchbares an Kleidern oder Lebensmitteln zugebracht. Freilich Geld nicht viel und Schnaps noch weniger, darum war auch die Tochter fast immer mit Vorwürfen empfangen worden und ihre Gegenwart schien der Mutter jedesmal eine Last zu sein, von der sie so bald als möglich wieder frei zu werden sich sehnte und diesen Wunsch gelegentlich zu verstehen gab. Vielleicht mochte indeß ein versetztes Schamgefühl eben so sehr die Ursache hiervon sein, als eigentliche Abneigung gegen ihr Kind; aber der armen Frau kam in ihrem elenden Zustande der Anblick des stattlichen, tüchtigen Mädchens, das durch fremde Hände und Herzen zu dem erzogen worden, was es nun war, wie ein Vorwurf vor. Zudem hatte Mareili nicht unterlassen können,sich des jüngsten Brüderchens, das so schlechtem Ziele entgegengeführt wurde, ernstlich anzunehmen und der Mutter Vorstellungen zu machen und in's Gewissen zu reden. Das kam der Alten ungelegen; gerade weil sie nicht viel da[311] gegen vorbringen konnte, ärgerte sie sich um so mehr, war doch die Verwendung des Kleinen noch ihr einziges Mittel geblieben, ihren schlechten Neigungen der Näscherei und Trinksucht zu fröhnen, womit sie sich über ihr rauhes, nacktes Elend zu täuschen versuchte. So war ihr denn der Besuch der Tochter, trotz den mitgebrachten Gaben, ein wenig erwünschter und sie gab sich auch nur ganz geringe Mühe, diese Gesinnung vor ihr zu verbergen.

Der ältre Bube hatte, des ewigen Flüchtens vor den Landjägern überdrüssig und in seinem Erwerbe durch das allgemeine Mißtrauen, das ihm schon auf hundert Schritte entgegentrat, immer mehr verkürzt, in einem benachbarten Werbbüreau für fremden Söldnerdienst sich anwerben lassen: Geld auf die Hand, ein paar Tage in Saus und Braus, das genügte ihm einstweilen, das Weitre werde sich dann schon geben! So verschwand und verscholl er für einige Zeit und mit Mareili athmete die ganze Umgegend und namentlich auch die gesammte Polizei leichter auf, als der Störenfried und Erzhalunke aus ihrer Nahe weg war. Da kam einmal die amtliche Anzeige an's Pfarramt seiner Heimathgemeinde: Soldat N. N. habe sich im Arrest entleibt und sei Tags darauf in X wyler, welcher beim selben Regimente diente, zu gleicher Zeit nach Hause schrieb, ging noch weiter hervor, daß Mareili's Bruder auf der Flucht als Deserteur erwischt und zu seinem Corps zurückgebracht worden. Vor seiner Verurtheilung sei ihm gelungen, des Gewehrs eines Kameraden habhaft zu werden und mittels ein paar Knöpfen, die er drein lud, habe er dann seinem elenden Dasein ein gewaltsames Ende gemacht.

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So hielten nur wenige und meist schwache Fäden Mareili mit der eignen Familie noch zusammen. Könnte es nur das Brüderchen retten! Das war auch die einzige Sorge und der Druck, welche dem braven Mädchen manche Stunde schwer machten, die es sonst in der heitern Zufriedenheit eines gesegneten Wirkens verbracht hätte. Je fremder es so in seiner eigentlichen Heimath sich mehr und mehr fühlen mußte, um so heimischer ward es auf dem Letthofe und verwuchs mit dessen Wohl und Wehe. Was Vren seiner Zeit so in Harnisch um ihre vieljährigen Dienste und Verdienste zu ersetzen und sie überflüssig zu machen! das hatte sich wirklich, trotz dem damaligen Lächeln der Letthofbäuerin, buchstäblich erfüllt; nie hat je ein Prophet richtiger geweissagt. Aber Niemand auch war zufriedner damit und auf seine Weise dankbarer als wieder Vren, denn war die treue Magd schon damals kein heuriges Häslein mehr gewesen, jetzt, nach der Reihe von Jahren, die Mareili bereits auf dem Letthofe zubrachte, hatten ihr das Alter und alle die Unbilden einer rauhen Jugend gar übel mitgespielt. Gegen den Winter und im Frühjahre hatte sie schon lange Schmerzen in Rücken und Gliedern verspürt,gegen die Schwitzen, Warmhalten und Einreibungen von Dem und Jenem geholfen oder auch nicht. Allmälig hatten diese Sturmvögel aber in dem alten Körper Posto gefaßt und sich eingenistet, zogen da und dort ein Gelenke krumm,machten ein Bein steif, trieben hier ein Geschwulst hervor,eine Verhärtung, oder stachen wie Messer durch ein paar Rippen und Wirbel hindurch. Am ärgsten trieben sie's, wenn das Wetter änderte, und da oft so, daß die arme Vren in

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*bösen Augenblicken zwei- und vierfach zu werden schien, am Ende gar unter ihr dickes schweres Federbett sich vor ihnen flüchten mußte und räucherte, dampfte, einrieb und einwickelte,bis es selbst der hartnäckigste Gliederschmerz nicht länger bei ihr auszuhalten vermochte, sondern für einige Zeit wenigstens wieder abzog, und sich begnügte, eine Garnison von Steifigkeit und Schwäche in der alten Festung zurückzulassen, die ihm im Falle der Rückkehr gleich wieder die Thore öffnete.So ein stehender Posten hatte sich z. B. auch in den Ohren einquartirt und exercirte und manövrirte hier so herzhaft und ununterbrochen drauf los, daß neben ihm nichts Anderes mehr Raum fand, und es schon einer gesunden Lunge bedurfte,nur um durch das Waffengeräusch hindurch Vrenes Aufmerksamkeit auch auf Etwas sonst noch zu lenken. Auf dem Letthofe faßten sie das freilich nicht ganz so militärisch auf, sondern sagten und klagten einfach, daß Vrene die Gliedersucht auf die Ohren geschlagen und sie gar übelhörig gemacht habe,und dann erst noch bekomme man unter fünf Malen vier Mal eine verkehrte Antwort drauf!

Wie rauh Vren gegen sich selber war und Schmerzen zu verbeißen oder unter Donnerrollen und Hagelrasseln auszulassen wußte, so mußte sie doch beim höchsten Grade eines Anfalles, wenn der sie köpflings in's Bette schmiß, dieß und jenes Stück ihres Gebietes abtreten und einer fremden Macht zur Besorgung überlassen. Mit einem steifen Knie konnte sie nicht in den Milchkeller hinuntersteigen und mit einer lahmen Schulter, durch die Stich um Stich hinschoß, keinen Brotteig kneten, der nachher luftig aufging. Ein, zwei Mal konnte [314] sie ihre Schmerzen zwar überwüthen und durch die unvernünftige Anstrengung für den Augenblick betäuben, nachher aber war sie dann um so schlimmer dran, die Entzündung mehrte, die Schmerzen verdreifachten sich, Vren mußte in einen abgelegnen Winkel kriechen und heulen aus Leibeskräften,nur um sich Luft zu machen. Wohl oder übel, es mußte jemand Andrer für sie dran. Bereitwillig meldete sich da Mareili, und gllegentlich nach Noten an und abgeschnauzt,verdroß es das Mädchen doch nicht, bis ihm Vren knurrend und murrend den Gefallen that und die Arbeit überließ nur für einstweilen! versteht sich, wenn es es erzwingen wolle,es werde schon sehen, daß es nicht gehe! Indeß es ging und statt daß die alte Magd später das abgetretne Departement wieder an sich zog, verblieb dieses Mareili, ja es kam ein neues zweites und bald auch drittes noch dazu. Vrens Dank blieb freilich immer der gleiche und sehr eigenthümlicher Art:Knurren, Ausschelten, Vernichtsen, als wäre das rüstige Mädchen ein einfältiges Kind, das nichts verstehe und auch nicht verstehen könne, das war der Lohn für die bereitwilligste Uebernahme und beste Besorgung. Was ihm so überlassen wurde, war eine Gnade, eine Ehre, und in der That, Mareili sah es auch selber so an. Es war viel zu sehr etwas Rechtes geworden, auch durch Vrens Vorbild und Beihilfe, und hatte viel zu klar auf den wirklichen festen Grund von deren holperiger Seele sehen gelernt, um an der rauhen Schale sich zu stoßen und die Scheltwörter nicht für Ehrenbezeugungen hinzunehmen. Jemand hätte nur Mareili irgend wie brauchen anzugreifen, statt, wie der Fall war, daß Alle es werth hielten und ihm Gehör gaben, und Vren hätte ihren letzten Zahn [315] dran gewagt, das Angegriffne zu vertheidigen. Zwar anerkannte sie auch jetzt viel Gutes an dem Mädchen, denn so blind und verrannt war sie doch nicht; indeß dieß Gute alles betrachtete sie als ihr Eigenthum, das sie Mareili geschenkt,wenn nicht gar nur geliehen, ließ sie dieses doch immer nur in seiner Urgestalt gelten, in der es, mit dem Landjäger auf den Hof gebracht, sich ihrem Strohrübel zuerst dargestellt.Die andern Dienstboten, die vielfach unter Vren gelitten,suchten sich nun nicht selten für die erduldete Tyrannei zu rächen und hatten so oft ihren Spott mit ihr. Mareili niemals, es wehrte im Gegentheil und duldete in seiner Anwesenheit nichts der Art; hatte alle Rücksichten, so daß es z. B.wie ein Mordbrenner schrie, wenn es Etwas am Tische erzählte, das Vren interessiren konnte, während das Mitgesinde gerade durch leises Sprechen die Alte gern ärgerte.

Und wo Mareili hier und dort das Ruder ergriff, vielleicht gelegentlich sogar Einem sachte aus der Hand nahm.fiel dieß weniger auf, weil es ein ganz eignes Talent besaß,Alles auf die gewohnte Weise fortzuführen, so daß Andre meinen konnten, die frühre Hand habe noch gewaltet, ja daß Vren sogar sich mehr als einmal steif und fest einbildete, sie habe Etwas besorgt, was doch in Wirklichkeit Mareili ihr abgenommen. Da war keine Spur von dem Auffehen und Lärmmachen, welche nicht bald und laut genug aller Welt verkünden können: jetzt geht's nach einem aundern Kopfe! ich bin Meister! seht ihr's auch Alle? Verbesserungen waren damit keineswegs ausgeschlossen, aber die kamen dann ebenfalls so ganz allmälig und wie von selber, daß kein Mensch

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Anstoß dran nahm, sondern Jedes meinte, die wäͤren ihm natürlich auch so gekommen.

Die Genesung der Letthofbäuerin machte bei deren vorgerücktem Alter nur langsame Fortschritte: Schwäche und Müdigkeit blieben am längsten zurück und die dicke behagliche Frau sah noch sehr zusammengefallen und spitz aus. Sie saß in ihrem Stüblein, das kleine Fenster stand geöffnet und wohlthätig fiel der abendliche Sonnenschein des Spätsommers ihr auf den Rücken. Mareili hatte der Bäuerin den alten Großvaterstuhl mit der hohen Lehne und den großen gelben Knöpfen an den Seiten des gebräunten Leders an's Fenster gerückt, hinten, zu bequemerem Liegen, ein Federkissen dazwischen geschoben und für die Füße den Schemel zurecht gestellt.Es war ringsum stille, damit die Meisterin ungestört ihr Schläflein abnicken konnte; mit dem Melker, der draußen das Melkgeschirr etwas hart abgestellt, hatte Mareili leise gezankt: ob er denn keine Vernunft habe? Der andre Knecht hatte beim Betreten des Hauses die Holzschuhe fein säuberlich vor der Thüre draußen abziehen müssen, denn wie ein Drache einen Schatz, so bewachte in der Küche draußen Mareili den Schlummer der Meistersfrau drinnen. Diese erwachte eben und das Mädchen langte den für sie an die Wärme gestellten Kaffee aus dem Ofen und trug ihr die Herzensstärkung nun herein. Das Kissen wurde zugleich aufgeschüttelt, die Lage der Genesenden verbessert, dann war aber Mareili sofort wieder an seiner Arbeit draußen, indem es das Nachtessen zu rüsten hatte. Dankbar blickte die Alte der rüstigen Magd nach, die so treu für sie sorgte und auch ihrem Alten, dem Letthofbauern, der manchmal ein wenig wunderlich sei, es so [317] gut zu treffen wisse. Denn für Andre war die gute Frau immer mehr besorgt als für sich selber. Mareili aber hatte es bald losbekommen, wie es der Meister liebte und gewohnt war: es legte ihm zur rechten Zeit das reine Schnupftuch hin, sorgte für geschnetzelten Tabak, nicht zu fein und nicht zu grob, vergaß ihm nie seinen besondern Löffel auf dem Teller,hielt ihm jedesmal die Hausjacke in Bereitschaft, wenn er heim kam, und gesalbte Schuhe, wenn er ausgehen wollte:kurz, wußte alle die hundert Kleinigkeiten zu treffen und zu besorgen, welche durch vieljährige Gewohnheit der Bäuerin zur andern Natur geworden waren, die aber ein Fremdes nur zu leicht und zu häufig zu übersehen geneigt war. Der Letthofbauer war darum auch sehr zufrieden mit Mareili, was er indeß mehr gegen seine Frau als gegen das Mädchen selber äußerte.Die wackre Magd nun ging gerade über den Hof nach der Scheune hinüber, den Rinki loszubinden, den sie dorthin,während des Schlafes der Meisterin, verbannt hatte, damit er durch unzeitigen Diensteifer nicht etwa beschwerlich falle.Da trat ihm vom Eingangsthore her der Hansli von Kestenlich. Er brachte einen Gruß von der Mutter, die Wäsche habe, sonst wäre sie selber gekommen, und sie lasse fragen,wie es der Pathin gehe?

„Du kannst selber sehen, sie ist im Stüblein drinnen und eben erwacht!“ entgegnete Mareili und wollte wieder gehen.

Hansli aber deckte seinen Korb ab: er habe da einen Kratten Aepfel gebracht, von den frühsten; sie seien besonders gut und gesund, sage die Mutter. Das Bäumlein habe er [318] selber gezweit und diese, die ersten Früchte, müsse nun die Base haben! Dabei langte Hansli einen der Aepfel heraus, betrachtete ihn einen Augenblick und bot ihn dann Mareili dar.Dieses aber sah mit wilden, ja zornigen Augen den Jüngling an und schüttelte heftig den Kopf, daß ihm die Zöpfe losgingen und wie schwarze Schlangen den Nacken hinunter gleiteten. Hansli, der nicht recht wußte, worin er sich verfehlt, ward verlegen, doch er faßte sich und sprach: „Du bist gegen Alle so freundlich und auch die Mutter rühmt jedes Mal, wie du ein Gutes und Gefälliges seist, nur mich magst du nicht leiden, sagst kaum Ja und Nein und machst mir ein böses Gesicht. Ich merk's jedem Worte an, wie sauer es dich ankommt, du fliehst mich und wenn ich doch da bin, so kannst du nicht erwarten, bis daß ich wieder gehe; was hab' ich dir denn gethan?“

Und er blickte das widerspenstige Maädchen an, als erwarte er ein mildes Wort oder wenigstens einen freundlichen Blick. Dieses aber schwieg trutzig und hölzern zugleich, kehrte sich ab und ging eilig der Scheune zu. Hansli sah eine dunkle Röthe über die Ohren und den Nacken Mareili's herauf-steigen und er ward traurig, daß er es wiederum erzürnt: er wisse es mit dem besten Willen auch gar nie zu treffen! Mareili löste hinter der Scheune den Rinki los, der in schweren Sätzen erst seiner Befreierin den Dank ausdrückte und, als er da kein sonderliches Gehör fand, darauf in den Hof sprang und dort der gewonnenen Freiheit sich erfreute. Das Mädchen aber setzte sich auf einen Haufen Holzspäne und hier, in der Einsamkeit und Verborgenheit, hielt es seine Thränen [319] nicht länger zurück, die ihm in Strömen zwischen den Fingern hindurchdrangen, womit es das Angesicht bedeckte. Zum ersten Male schmerzte es jetzt die Niedrigkeit seiner Stellung,gern und mit einem gewissen Stolze hatte es bisher gedient als eine tüchtige Magd. Aber jetzt waren noch andre Gefühle aus der Tiefe seines Herzens gewaltsam hervorgebrochen, die zwar lange schon im Geheimen gekeimt und Wurzeln geschlagen im verborgnen Grunde gleich fern von dem Lichte der Sonne wie von dem eignen Auge. Hansli hatte heute diese Gefühle an den Tag gelockt, die letzte Scholle, die sie noch leicht bedeckte, zersprengt und zugleich mit liebloser Hand,wie das empfindliche Madchen meinte, die zarten Sprossen geknickt. Denn Mareili hatte keinen Zweifel, daß Hansli das Gespötte mit ihm getrieben, daß er ihm den Apfel dargeboten, um es an jene erste Begegnung in den Bettellumpen,begleitet vom Landjäger, zu erinnern, da er ihm ja auch einen Apfel angeboten und es denselben heißgierig verschlungen.Es wisse ja wohl, haderte Mareili, daß es nur ein Bettelkind gewesen und jetzt nichts als eine arme Magd sei, es habe sich nie mehr eingebildet! aber deßwegen schicke es sich doch nicht für Hansli, ob er gleich ein Bauernsohn und Haus und Hof besitze, es aufzuziehen mit Spott und dem Scheine von Demuth. Es verlange ja nichts von ihm, sei ihm nicht nachgelaufen, darum brauche er es nicht so zu beschämen! Oder ob es sich vielleicht doch in Etwas versehen, ob es die heimliche Regung verrathen, Hansli vielleicht tiefer geblickt als es selber bisher geschaut und gesehen, was es sich nicht gestanden?und ob es deßhalb die Beschämung sich zugezogen? diese scheue bange Ahnung überschüttete das weinende Mädchen [220] mit einem Strome von Purpur und, als schämte es sich vor sich selber, verhüllte es sein Angesicht in die Schürze. Versunken in Schmerz und hingerissen von stürmischen Gefühlen,fühlte Mareili plötzlich eine Hand sanft aber fest auf seine Schulter sich legen. Erschrocken zog es die Schürze vom Angesicht und sah sich um, noch mit Thränen in den Augen.Hansli stand hinter ihm, der, nachdem er seine Aepfel abgegeben und den Auftrag ausgerichtet, halb unruhig auf dem Hofe umhergegangen war, ohne recht zu wissen, was und wohin er wollte, wie einer, der etwas Dummes angestellt. So war er auch hinter die Scheune gekommen und hatte Mareili erblickt. Als er das Mädchen weinen sah, ward er noch verlegner: „Ich habe dich erzürnt, ohne es zu wollen, ich bin ungefällig, grade wenn ich's am besten meine, geräth's mir am wenigsten; aber verzeih' mir!“ Und mit diesen Worten hielt er seine Hand hin, welche das Mädchen, jetzt in Thränen überrascht und alles Trotzes bar, zögernd annahm. Die beiden Hände zitterten und die Lippen blieben geschlossen,aber in den vereinigten Händen schien gleichwol eine Brücke gebaut zu sein über den Abgrund des tiefsten Mißverständnisses, welcher Beider Herzen bisher fast feindlich auseinandergehalten. Diese zitternde Hand Mareili's konnte keinem wilden, trotzigen, ihm feindlichen Mädchen angehören, überzeugte sich Hansli, und der warme, treuherzige Druck der seinigen konnte weder Spott noch Geringschätzung bedeuten,mußte sich Mareili gestehen. Wie mächtig die Herzen bewegt waren, über die Zunge kamen nur wenige, ja fast nur gleichgiltige Worte, als hätte sich alles Leben, alles Regen und Fühlen in dem einen Punkte zu der einen Alles verschlingenden [321] und umschlingenden Thätigkeit der Liebe zusammengedrängt.Sie erinnerten sich zunächst und am liebsten an ihre erste Begegnung und gefielen sich darin, jene Augenblicke und die ersten Empfindungen aus der dämmernden Ferne in die Gegenwart zurückzurufen und unter den verklärenden Schein ihrer jungen Liebe zu stellen, vor der nun kein Unterschied mehr galt und die auch nichts mißdeutete.

„Was du mir damals für ein Paar Augen gemacht hast!“erzählte Hansli, , halb zornige, halb verwunderte und freundliche, ich wußte selber nicht, was sie bedeuten wollten,aber lange noch gingen sie mir nach und selbst aus dem Dunkeln und wenn ich meine Augen schloß, sah ich sie leuchten wie brennende Kohlen und mußte immer dran denken, ob ich mich schier davor gefürchtet!“

„Das war, als du mir den angebissnen Apfel vom Munde weg gabst!“ erläuterte Mareili. „Wie man so was konnte,begriff ich nicht und es verwirrte mich auch nachher. Denn als du gingst, mir ein Stück Brot zu holen und ich von dem Baume inzwischen ein paar Aepfel herunterwerfen wollte,vermochte ich's nicht, ich ließ die Steine, die ich unter der Schürze verborgen hielt, sachte fallen, die Hand war mir wie Blei so schwer. Da du nun mit dem Brote wiederkamst,hatte ich einen Zorn über dich: die Aepfel lachten mich gar zu lustig an und ich hatte die schönste Gelegenheit versäumt. Um deine Schuhe und guten Kleider hab' ich dich nicht beneidet, wenn ich die schon nicht besaß, aber um die schönen Aepfel, deßhalb dankte ich dir auch nicht; es reute mich nachher den ganzen Abend, daß ich den Baum nicht geplündert und ich trug dir's lange nach, als hättest du mir

Mever-Merian, Mareili.

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Etwas zu Leide gethan. Das war das erste Mal, daß mir das Stehlen etwas Unrechtes schien und ich zürnte dir's fast,daß du mich darüber zur Besinnung gebracht: hätte ich nachher noch gekonnt, ich würde dir alle Aepfel heruntergeschlagen haben!“In solchen Reden von frühern Zeiten versunken, saßen Mareili und Hansli auf dem Spänhaufen und hielten sich Hand in Hand.Da berührte sie plötzlich etwas Kaltes und Feuchtes, und wie aus einem Traume jählings aufgeweckt,ließen sie erschrocken ihre Hände los. Sie fuhren empor aus ihrer Vergessenheit und der alten Zeit und merkten, daß sie jetzt nicht allein in dem verborgnen Baumgarten waren, hinter dem Hollunderbusche, sondern mitten auf dem Letthofe, denn der Rinki stand hinter ihnen und hatte seine kalte Schnauze schnüffelnd zwischen ihre Hände gesteckt, als wäre es seines Wäãchteramtes Pflicht und Schuldigkeit, zu untersuchen, was es damit für eine Bewandtniß habe? Das treue Thier war aber zugleich auch ein rechtzeitiger Warner, denn wie hierauf die Beiden in der Gegenwart sich umsahen, trat gerade der Letthofbauer hinter den Ställen hervor und suchte Hansli,ihm die zwei neuen Kühe zu zeigen, welche er auf dem letzten Markte gekauft.

In der Folge sahen sich zwar Hansli und Mareili nicht viel häufiger als bisher und es fanden auch keine besondre Verabredungen statt, aber da sie sich nun verstanden und es keine Mißdeutungen mehr gab, so hatte jeder Blick, jeder Gruß eine ganz andre und viel größre Bedeutung als früher.Sie wichen einander jetzt nicht mehr aus vor Scheu und Ungewißheit und eben so wenig stießen sie sich ab, weil die An[753] ziehung nun den rechten Weg fand. Keines von Beiden dachte an die Zukunft oder entwarf Plane und faßte weitre Hoffnungen, als welche die Gegenwart in ihrem Schooße trug: die auf's nächste Wiedersehen. Ihr Verhältniß war ihnen selber noch zu neu, nahm sie zu ausschließlich in Anspruch, als daß sie darüber hinaus in die Welt und nach der Welt geblickt hätten.So dauerte denn der Verkehr zwischen Kestenhofen und dem Letthofe äußerlich ganz in der gleichen Weise fort wie bisher,indem ebenso weder der Bauer und die Bäuerin, noch Frau Lisebeth irgend Etwas zu merken schienen, geschweige denn sich drein mischten. Diese Unbefangenheit erhielt auch Hansli und Mareili unbefangen, daß sie kaum eine Veränderung ahnten und in sorgloser, fast kindlicher Weise sich begegneten und ohne Verstellung gaben wie sie waren. Mißtrauische Blicke hätten sich vielleicht tãuschen lassen durch dieß Benehmen, erfahrne aber unterschieden doch auch auf solch offnem Grunde die zarten Sprossen keimender Liebe.

XXVI.Der Letthofbaner zeigt dem Hansli, wie er im Rück-stande ist und liest ihm das Schlußkapitel.Durchsichtiger waren die Bäume in Wald und Feld geworden, selten nur sah man an einem hie und da noch Aepfel und blos von den spätern Sorten. Wenn der Wind schärfer wehte, so flogen die gelben und rothen Blätter zu Dutzenden 141*[324] von den Zweigen in die Luft hinaus, in der die Sonne eben erst recht zur Herrschaft gelangt war. Der Nebel verflüüchtigte sich, wie der Duft an einer angehauchten Glasscheibe und das reine sanfte Blau drang überall hervor zum schönsten Herbsthimmel. Es schien, als hätten Erde und Himmel ihre letzten Herrlichkeiten und Schätze vereinigt, dem Menschen einen Vorrath mitzugeben für die magern Tage des hartherzigen Winters, daß sie zu zehren hätten daran, bis zum kommenden Frühling, wo sie mit den neuen Gaben wiederkehren wollten. Vorräthe für den Leib hatte ein freigebiger Herbst reichlich von Baum und Feld aufgeschüttet; aber auch das Bessre im Menschen sollte nicht leer ausgehen, der Glaube nicht und die getroste Hoffnung nicht, welche der ewigen Liebe und Treue vertrauen, auch wo sie nicht sehen. Darum war die Luft so unendlich tief, die Ferne so duftig verklärt, die Sonne mild und rein wie Gold ihre Strahlen, alle Farben so erhöht und vervielfältigt. Neu schienen die Matten zu grünen in frischem Saftdrange, nach den versengenden Gluthen des Sommers, neue Blumen, die Herbstzeitlosen, blühten, über Nacht gleichsam, daraus empor in sanftem Roth, Propheten und Bürgen des künftigen Frühlings, indem sie jetzt nur die Blüthen voransendeten und erst nach überwundenem Winter die grünen Blätter nachfolgen hießen. Es war ein Sonntag,der Gottesdienst zu Ende, die Glocken gaben das Zeichen und die Dorfbewohner drängten aus den engen Pforten der Kirchhofmauer, in die Häuser und auf die Höfe sich allmälig in immer dünnern Reihen vertheilend. Der Letthofbauer ging zu Frau Lisebeth, er hatte es Hansli versprochen, bei ihm anzukehren, denn dieser wollte eine neue Wässerungseinrichtung

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E besten angreife. Der Alte und der Jüngling stiegen auf der Matte herum, musterten Alles, die alten Wassergräben, die Abzuüge, die noch nicht gereinigt waren, und besprachen, wo es nöthig sei, neue Schleusen anzulegen, neue Graben zu stechen, dem Wasser eine bessre Richtung zu verschaffen. Es ist dieß ein wichtiges Geschäft und der Letthofbauer war ein einsichtiger, kundiger Mann; Hansli hörte ernsthaft zu, es war eine ebenso feierliche als vertrauliche Verhandlung.

„Du bist wol etwas spät!“ bemerkte der Meister, als er die Abzüge noch nicht gereinigt sah und es auch da und dort an den Wassergräben fehlte. Er wisse es leider wohl,klagte Hansli, er arbeite, was er vermöge, aber die Tage nähmen schon gar stark ab, er komme mit der Arbeit kaum nach, die Mutter habe mit dem Flachse zu thun, er aber Winterkorn zu säen gehabt, durch das Obstdörren und Mosten sei er gleichfalls versäumt worden und zudem seien auch bereits die meisten Kartoffeln eingethan. Fremde Leute anzustellen,sei ihm zu kostspielig, da mache er es halt wie er könne; er hoffe gleichwol nachzukommen, wenn der Winter nicht zu schnell hereinbreche, wozu es nicht den Anschein habe!

Der Letthofbauer sagte hierauf nicht viel, sie stiegen noch da und dort mit einander umher und sahen nach, was schon gethan oder noch zu thun übrig war. Als sie gegen das Ende an ein heimliches Plätzchen kamen, etwas entfernt vom Hause wie von den Hecken und Scheunen der Nachbarn, blieb der Alte stehen und sagte zu seinem Begleiter: „Du, Hansli,und die Mutter, ihr arbeitet euch ab, um das Gütlein nothdürftig zufammen zu halten und kommt mit aller Mühe doch nicht

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3 recht vorwärts. Es war so schlecht einst nicht, aber dein Vater selig, nimm mir's nicht übel, war ein schlimmer Wirth und hat's zerstückelt. Jetzt ist's zu klein, es trägt euch nicht genug ab; auch solltest du mehr Vieh halten. Des Naglerjörgs sein Acker nebenzu ist feil, der schickt sich gut zu deinem,kauf' ihn auf meine Rechnung und zur Aussaat kann ich dir für's erste Jahr auch behilflich sein! Aber du magst es nicht allein machen, deine Mutter ist eine brave Frau, indeß sie altert; hast du noch nicht an's Heirathen gedacht?“

Hansli war in großer Verlegenheit. Ruhig hatte er erst den Meister angesehen und als er vom Kaufen des Ackers sprach, nicht recht gewußt, was er dazu denken solle. So ein Letthofbauer habe gut von Kaufen zu reden, wollte er ihm eben entgegnen, als nun die Frage kam, ob er noch nicht schon an's Heirathen gedacht. Da mochte Hansli den festen klaren Blick des Alten, womit ihm der Herz und Nieren zu durchdringen schien, nicht mehr aushalten, er schlug seine Augen verwirrt nieder, wußte nicht, war er verrathen oder nicht, noch wie die Rede gemeint sei, ob eine Falle dahinter liege?„Wie könnte ich ein Weib erhalten?“ antwortete er endlich ausweichend und setzte hinzu: „Und die Mutter verlaß ich nicht.“ Aber als schämte er sich der Feigheit, mit der er seine Liebe verläugnete, fuhr er alsbald fort: „Wenn das nicht wäre, wohl, so wäre Heirathen vielleicht nicht so abweges.“

„Das Mareili steckt dir im Kopfe, gelt?“ fragte nun der Letthofbauer grade heraus.

Hansli wurde roth, er konnte nicht gleich Ja sagen und Nein noch weniger. Der Alte schien auch seiner Sache gewiß [327] zu sein und auf keine ausdrückliche Zustimmung zu warten.Er sagte darum: „Du brauchst dich deßhalb nicht zu schämen und könntest leicht ungeschickter wählen; ein Mann ist versorgt mit dem Mareili, wir haben es erfahren. Es ist auch nicht,daß es gar nichts mitbringt: des Naglers Acker soll seine Aussteuer sein, ich bin's ihm schuldig, es hat mir meine Alte gerettet. Zudem hat's in der Ersparnißkasse noch etwas baar Geld: nach dem ersten Jahr hab' ich ihm einen kleinen Lohn gegeben und bin damit gestiegen, in den letzten drei Jahren hat's den Lohn einer Meistermagd erhalten. Das Geld liegt alles in der Sparkasse, mit den Zinsen wird's in den neun Jahren kein Kleines ausmachen, denn es hat mir nie was davon abverlangt und andre Leute, die ihre Finger darnach ausgestreckt, haben nichts davon zu sehen bekommen. So ist für den Anfang wenigstens gesorgt und für nachher könnt ihr euch dann selber helfen!“

Voll Rührung wollte Hansli dem Letthofbauern danken und ließ dabei Etwas wie von Ueberraschung und Erstaunen durchblicken. Der Alte aber wehrte: „Thu nicht so närrisch!“sagte er halb barsch, halb gutmüthig; „das Mädchen hat's verdient! aber gelt, du hast mich auch so für einen alten Geizkragen und Batzenklemmer angesehen, der gern im Stillen sein Schäflein scheert?“

Hansli ward ein wenig verlegen, denn allerdings hatte er den Alten nicht für so uneigennützig und wohlwollend gehalten; noch von seinem Vater her sah er ihn eher für genau und etwas hart an. Mit seinem Erröthen gestand er nun seinen Irrthum ein und bereute ihn. Der Letthofbauer ging indeß darüber hinweg und fuhr fort:

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„Meine Alte wird zwar das Mareili nicht gerne fortlassen, es ist ihr lieb wie ein eignes Kind und sie hat auch gegen mich Recht behalten damit, denn ich war nicht dafür,daß sie es aufnehme. Darum würde sie's wol gerne noch behalten, indeß heirathen kann sie's nun einmal doch nicht,sie wird sich behelfen müssen. Dem Tochtermann ist sein Hof feil gemacht worden, es wird am besten sein, er verkaufe ihn und ziehe zu uns, es ist für zwei Haushaltungen Platz hier und er wird mir das Gut in gutem Stande erhalten. Meine Frau ist älter und ruht gern aus; ich bin auch nicht mehr wie vor fünfundzwanzig Jahren, so können wir's uns leichter machen und haben die Kinder in der Nähe in unsern alten Tagen. Hat dann meine Alte noch mehr Lust Kinder zu erziehen, so wird's ihr an der Gelegenheit auch nicht fehlen,aber die Großmutter wird an den eignen Enkeln wol schwerlich solche Kunststücke machen wie an fremden Kindern!“ fügte der Meister lächelnd hinzu. Und da er einmal den Schalk im Nacken hatte, fragte er noch den Hansli: „Ja, aber weißt du auch, ob das Mareili dich mag und damit einverstanden ist?“

Besonders darüber gesprochen hätten sie nun freilich nicht!entgegnete Hansli, dem die Freude über sein Glück Scheu und Verlegenheit so ziemlich benommen hatte, aber er getraue sich zu fragen!

Und gegen die Vorschläge des Letthofbauern ward von keiner Seite viel eingewendet, am wenigsten aber von Mareili,das glücklich und voll Freude war. Nachdem der erste Sturm der Ueberraschung und des jungen Glückes des Mädchens Herz durchsaust hatte, folgten ernstere Augenblicke und Stunden nach. Wohl und wehe ward ihm im Gemüthe, als es

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47 seine Dienstzeit auf dem Letthofe überblickte (zehn Jahre, von denen es nicht wußte, sollte es sie lang oder kurz nennen,nach ihrem reichen Inhalte), und nun im Begriffe stand, in die Freiheit und auf die eignen Füße zu treten. Wohl, wenn es an seine Rettung dachte, an das, was es geworden aus einem verwahrlosten, schon halb verlornen Bettelkinde, und weh, wenn es die schwere künftige Aufgabe in's Auge faßte, das Scheiden aus dem Obdache seines Friedens und seiner Sicherheit, um hinauszutreten in die weite offne Welt. Kaum kann mit einem Menschen eine größre Umwandlung vor sich gehen,als mit Mareili vorgegangen: hier der Letthof war der Boden,darauf sich Alles begeben, hier lebten und blieben zurück,wenn es ging, die Menschen, die um Gotteswillen sich seiner erbarmt, es errettet vom Verderben. Ein Zagen, als lege es seine Stütze von sich, überfiel das bewegte Mädchen mitten in der lachenden Gegenwart und beim Blick in die verheißungs auf hoher Bergspitze, rings umgeben von Abgründen und keine Hand reiche zu ihm hinan, an der es sich hätte halten mögen. Es wollte jauchzen auf der freien Bergeshöhe und doch schwindelte ihm und bebte es in seiner Freiheit. Ein tiefes Dankgefühl gewährte Mareili den festesten Halt in seiner Bewegung und Rührung, seinem Frohlocken und Weinen zugleich. Wie Gott es aus sich selber und ohne eignes Zuthun noch Verdienen gesucht und getragen durch Dornen und Steine, als der gute Hirte, auf gute Waide, so, gelobte es sich, wolle es von nun an selber ihm folgen auf dem bezeichneten Wege und durch Treue lohnen, was es so unverdient erhalten. Sein zukünftiges Leben, sein neues Haus befahl es [130] dem gütigen Gotte, der es aus so viel Trübsal errettet! Und mit diesem feierlichen Vorsatze kehrte wieder der Muth in seine zagende Seele und ein festes Vertrauen, davor das Bangen,die Ungewißheit der Zukunft entfloh und darin es die Kraft fand, aus der Stellung einer dienstbaren Magd auf die Stufe einer selbständigen Hausfrau hinüberzutreten und ein Haus auf eigne Verantwortung zu führen.

Freude und Glück gewannen so in Mareili's Herzen die Oberhand wieder, aber es war deßwegen nicht übermüthig,sondern demüthig und daß es dieses verbleibe, mußte ihm die Bäuerin bei seinem Abzuge vom Hofe noch das zerfetzte Bettelkleid mitgeben, in dem es einst seinen Einzug in Begleit des Landjägers gefeiert. Freilich lag auf dem Wagen, welcher Mareili's Habseligkeiten und Aussteuer vom Letthofe nach Kestenhofen führte, noch manches Andre: es schien, die gute Frau Ann könne an Linnen und Geräthen und Vorräthen aller Art nicht genug aufpacken. Sie, die früher zu Allem so große Sorge getragen, schien da eine wahre Verschwenderin geworden zu sein und sie selber hätte es vorher leinem Menschen geglaubt, daß sie so Vieles in ihrem Hause besäße, das sie nicht brauchte und darum Mareili mitgab in dessen junge Haushaltung. Aber das Herz der alten Frau war auch so voller Freude wie noch selten. Der Letthofbauer hatte ganz Recht gehabt, wenn er gesagt, Mareili sei seiner Alten so lieb wie ein Kind: das Mädchen war ihr Kind, dem Geiste nach,und diese Kindschaft wiegt oft fleischliche auf. In Mareili hatte die brave Frau eine Menschenseele errettet, dieß ist etwas Großes, wenn es gleich nur wenig scheint und vor den Augen der Leute, auf dem weiten Lande, wo es so viele Menschen [331] gibt, sich verliert. Wie viel es aber sagen wollte, hatte die Bäuerin zumeist ja an sich selber und an ihrem ganzen Hause erfahren und nun dehnte sich der Segen von da noch weiter aus auf ein neues Haus, eine neue Familie. Ja, auf das Suchen und Erretten andrer Verlorner und Verlassner, denn Mareili's Erstes war, daß es seinen jüngsten Bruder zu sich nahm, an ihm zu vergelten das Gute, das es erfahren, und ihn durch das ewige Opfer der Liebe abzugewinnen dem Reiche der Finsterniß und des Verderbens für das Reich Gottes im Himmel und auf Erden. So fluthet der Segen einer geretteten Seele immer weiter, immer reicher, wer kann ermessen wie weit? Er mag sich verbreiten über die Grenzen eines Hauses, einer Familie bis in die weite Gemarkung eines ganzen Gemeinwesens, ja in das Volksleben selber hinein,als ein lebendiger Sauerteig, als eine Kraft, die Genesung,Gesundheit, Gedeihen bringt und fortpflanzt im Vaterlande und so das Glück und Wohl des zukünftigen Geschlechtes vorbereitet. Es ist dieß der Segen des kleinen Senfkornes, das zum Baumie wird, der das weite Land überschattet und unter dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen.

οů []Druck von Otto Wigand in Leipzig [] [] []5/U 547 []von Theodot Nleyer


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TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Mareili oder das Bettelmädchen auf dem Letthofe: ELTeC Ausgabe. Mareili oder das Bettelmädchen auf dem Letthofe: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-46A1-C