ꝰer Krieg hat merkwürdige Wandlungen

ꝰer Krieg hat merkwürdige Wandlungen der Menschen gebracht, auch in unserm

* kleinen Lande. Daß er aus einem verzogenen Stadtbüblein und weichhändig feinen Herrchen einen währschaften Bauern machte, das ist eine Sache, die man für später in Erinnerung behalten muß. Darum erzähle ich die Geschichte vom

Diethelm Josephus Fenner.

Freilich muß ich beginnen mit der Zeit, da er noch nicht der große Diethelm Joseph war.

Handelt von einem Waislein und sorglichen Basen.„Zweimal fallen dem Menschen die Lose. Zuerst wirft sie das Schicksal wenn man darunter die mannigfaltigen Fäden versteht, die das Kind im Gewebe der Zeit mit dem Gewesenen und dem Seienden verstricken. Sie reihen es nach Schwertseite und Kunkelfreundschaft in seine Sippen ein und geben ihm den Namen. Das zweite Los wählt der Mensch sich selbst; das so IIl er sich selber wählen,und schlimm steht's um den Mann, der sich zur Weiberseite abdrängen läßt, es als Kunkelleben und Weibergut dort zu suchen!“

7 []Vor mehr als dreißig Jahren tat ein junger Kaufherr diesen hochgemuten Spruch und schüttelte die Schwestern und Basen von sich ab, als sie ängstlich ratend von weit über die Meere reichenden Plänen abmahnten. Der Vater Fenner wählte sich sein Los selber und schickte sich an, sein Glück in der Ferne zu suchen.

In anderer Sache war er drei Tage später weicher, da er seinen Erstgeborenen mit schüchternen Griffen hielt, als könnte er etwas zerbrechen an diesem Zierding. Er strahlte helle Freude der Mutter zu: „Diethelm soll er heißen.“ Der Vater hörte darin einen starken und gar feinen Zusammenhang mit dem bannerstolzen Namen seines Geschlechts, und aus Kissen grüßte ein bleiches Geficht Gewährung des Wunsches. Schwestern und Basen aber streckten abwehrende Finger gegen den heidnischen Namen aus, und beredte Zeugen eiferten dagegen. Mit Zu- und Nachgeben kam Schwert und Kunkel zusammen, und die Mutter weihte mit sinnendem Lächeln den Pakt: Diethelm Josephus hieß das kleine Menschlein.

Den hochgemuten Mann zur Seite, den stolzen Buben Diethelm im Arm, fuhr die Bleiche nachher aus über die Wasser ein bescheidenes Josephlein in fiebernden Händen bergend, kehrte sie nach kurzen Jahren zurück. Statt goldenen Glücks hatte die ferne Küste fahles Leiden und Sterben geboten. Das kleine Heimatstädtchen ward ein willkommener Schlupfwinkel einer stillen Trauer und

*[]dann eines mählichen Hinserbelns und fast heimlichen Sterbens.

Das Josephlein ward ein Waisenbüblein.

Aber eines, das für seinen Zivilstand das große Los zog nach der heiligen Ueberzeugung derer,die darum sorgten. Zwei Tanten vertraten viermal die Mutter, und in den nächsten drei Häusern kümmerten fünf Basen um sein Zahnen. Das erstemal Barfußgehen war das eine Lust, absonderlich, weil es im Verstohlenen geschah! brachte sieben Frauenzimmer in Aufregung. In heller Freude, mit luftroten Backen kam das Kind heim und begann fliegenden Atems zu erzählen vom Krebsfang am Stadtbach da erstarrten die grauen Augen der Base Amalia, und das Kröpflein am Hals der Tante Seline hüpfte auf und nieder.Josephlein sah nur dies Hüpfen, hatte daran seine Kurzweil und besann sich erst wieder, als er tief versteckt in Kissen und Decken und mit Lindenblütentee bis zum Gaumen vollgefüllt im Bette lag.

Jammernd fühlte die Tante Seline seine warmen Backen; sie schob dem Kind ein Glasröhrchen unter die Achsel und schalt nachher den Brillenmacher, daß er ihr schlechte Ware anhänge:Der Fiebermesser wollte kein erhitztes Blut zeigen.Da half alles nichts. Base Amalia aber stellte mit dem Josephlein ein scharfes Verhör an: Wer ihm die Dummheiten eingeblasen hätte, fragte sie, und sie dachte es den Sündern einzutränken; dann spießten die scharfen Blicke das Büblein an die

7 []Bettlade, wie einen gefangenen Sommervogel: Und wo er die teuren Schuhe und Strümpfe hätte ....Das wußte das gequälte Kind im Augenblick nun selber nicht mehr. Der Base schwoll über der Verstocktheit die Leber; denn sie war aus dem Geschlecht der Fenner und entschiedener Art. Als sie mit der Rute drohte, zog sich das Kind in die für Frauenhände stachlige Igelhaut eines Kindergemüts zurück; es weinte jämmerlich. Doch achtete es wohl den Fortgang der Ereignisse: wie nun die andre,die gute Tante, seine Partei ergriff; man kannte die ruhig Rundliche nicht mehr. Sie focht nur so mit ihren Armen gegen die Base, daß man ein krankes Kind nicht quälen dürfe, und daß sie zuletzt hier zu befehlen hätte. Das letzte gab den Ausschlag; denn sie war die Hablichere der beiden und die Base nur geduldete Mieterin im gemeinsamen Leben. Mit heimlichem Grimm und wiederum nach ihrer Art herzlicher Liebe zum Kind stieg diese in ihre Erdgeschoßzimmer und schlich dann nachher durch die Hintertüre: ein Paar Kinderschuhe und Strümpfe zu suchen am Stadtbach.

Zum gedämpften Zank der beiden hatte das Büblein in seinem Bett schluchzende und schluckende Begleitung gegeben; aus den blinzelnden Augen quollen erzwungene Tränen; und als nun die gute Jungfrau Seline ihr rundes Gesicht besorgt zu ihm niederneigte und frägelte, da war seine weinerliche Antwort: „Ich hab' Hunger Tantil“

„Du armes Schatzi!“ Schon zappelte in der 8 []Frau emsiges Leben; mit dem besten Zwetschgenmus der letzten Einmachezeit füllte sie den Eierdätsch und sah strahlend zu, wie der Kleine aß schluchzend zwischen hinein, ein paarmal. Als das letzte Brösmelein verschwunden war, fand der Bub auch die ruhige Sprache; fast heimlich sagte er:„Tanti, ich weiß nun auch wieder, wo die Schuhe sind: hinten im Hofe, unter der Scheiterbeige.“ Da eilte die Gute hinunter, fand dort die Verlorenen sorglich geborgen und traf auch die Base mit verkniffenem Gesicht, und weil sie fröhlichen Gemüts war. gab sie das erste Wort.

Erleichtert standen beide nachher am Bett des Kleinen; der aber schlief wie ein Murmeltier, und auf dem feinen Gesichtlein lag etwas wie ein Siegerlächeln.

Das Erlebnis dieses warmen Frühlingstages war ein Vorspiel für viele andere: wenn in Diethelm Josephus der Bubendrang nach Tollen und Kraften erwachte, wiederholten sie sich in immer gleichem Verlauf. Tante und Base hüllten ihn gleicherweise mit der Watte zärtlicher Aengstlichkeit ein, beide besorgt, in ihm stecke aus ferner Goldküste noch ein Keim des Fiebers, das ihnen nun die Pflicht der Sorge auferlegte. Wie Hühner,die ein Entenei ausgebrütet, umkümmerten die alten Jungfern männlich keckere Regungen der Knabenseele; mit rasch beängstigter Milde und 9 []mit scheltender Sorge nach ihrer eigenen beidseitigen Naturanlage. Beides war im Grunde dem Kinde gleich zuwider; nach Kinderart liebte es frohe, spielende Gemüter. Und es fand die Mittel, sie zu erzwingen.

Kinder sind durchtrieben klug, die kleinen Schwächen der Aelteren zum eigenen Vorteil auszunützen. Die Schwäche der Basen, ihn gesund zu pflegen und sich ihres Werkes dann zu freuen,erkannte das Josephlein bald, und so ward es jedesmal krank, wenn es die Not eines ausgeheckten Streiches so erforderte, und im langsamen Genesen wurde es ein Meister ... Aber der Schalk saß ihm dabei in den großen, verwunderten Augen,und innerlich dürstete es darnach, froh freie Gesichter um sich zu sehen das war eine Hinterlassenschaft des Vaters, der es mit den Starken und Kühnen gehalten hatte, sein kurzes Mannesleben lang und dem es ein Stolz war, daß einer seines Geschlechtes einen Namen hatte in der Geschichte seines kleinen Landes, als frecher Reisläufer erst und dann als trotziger Bauernrebell.

Das Josephlein aber saß auf der Weiberseite,als es zum erstenmal mit staunenden Augen die Weiten der dreischiffigen, doppeltgetürmten Kirche des Städtchens maß; über Weiberwege und Schliche mußte der Knabe sein kleines Glück finden,wenn er's nicht verstohlen auf hohen Bäumen und im wilden Jagen und Wettlauf mit kindlichen Ge19 []

nossen erreichen konnte, so suchte er's im Schöntun

nossen erreichen konnte, so suchte er's im Schöntun und Liebtun, wie es den Frauen gefiel, die dann den artigen Vetter Joseph als ein kleines Wunderwerk ihrer Erziehungskünste in der weitläufigen Verwandtschaft herumführten. Knickse machte er und höflich zu sprächeln verstand er, wie ein Großer ... die Kindergedanken kletterten derweil in luftigen Höhen.

Bauernblut melodet sich und macht Bekanntschaften.Zum Ereignis war es dem Buben, als diese Erziehungskünste das erste Mal einen jähen Abbruch erfuhren. Damals hielt vor dem runden Bogen der Haustüre ein Fuhrwerk mit zwei Braunen, und ein breitschultriger Bauersmann stapfte die Treppe auf, wie einer, der ein Recht hat und weiß, daß er willkommen ist.

Und die Frauen begrüßten den Götti und Vetter mit fröhlichen Mienen als einen Vertrauten. Er war ein ehrenfester Mann, der Heini Fenner. Sein Wort galt in seiner Gemeinde,weil dahinter Kraft und Besitz stand, und weil Ueberlegung und Klugheit daraus sprach. Bei seiner Stadtbasenschaft kehrte der habliche Hofbauer nie mit leeren Händen an; er kannte ihre Schwächen und ihr Gelüsten; ein Körblein frühe Kirschen oder 11 []Birnen, auch etwa ein hausgeräuchertes Rippstück vom Martinisäulein, das war so sein ländlicher Gruß: „Daß die Base nicht vergesse, wo ihr Vater aufgewachsen sei ...“ Und schmunzelten die Frauen, so lachte er und ließ sich's umgekehrt auch gefallen, daß man ihm nachher Süßigkeiten in die Tasche steckte für seine kleine Welt zu Hause.So kam immer mit diesem Besuch eine fröhliche Stimmung des Empfangens und des Gebens in die Altjungfern-Hausung. Man setzte sich um den runden Tisch in der bessern Stube. Der Götti lehnte freilich das angebotene Täßlein Kaffee ab das sei für Weibersleute. Doch wurde es ihm jedesmal wieder angeboten; die Ablehnung war für die beiden Jungfern der schicklichste Weg, sich nachher zum Bescheidtun nötigen zu lassen, wenn sie dem Besuch ein Fläschlein Wein aus dem Keller holten. Dem sprach der Mann wacker zu, und auch seine Basen nippten an den Gläsern, bis ein rötlicher Schein über ihren Wangen lag, und das Sprächeln in richtigen raschen Fluß kam. Man erwärmte sich an Rede und Gegenrede. So etwas hatte das Josephlein nie gehört, wie dieser Vetter Bauersmann starke Worte redete und die andern horchen mußten, als wäre er ein gar gelehrter Mann. Dem Knaben gefiel vornehmlich, wie er so sicher und selbstbewußt von dem sprach, was sein eigen war, und von seinem Stande: „Was wäret ihr ohne uns, den Bauernstand?“ lachte er einmal „arme Schlucker! Denn wir sind der Nährstand,12 []und ohne uns müßtet ihr alle hungern! Geht's uns gut, so auch euch! Und hat der Bauer Geld,so hat's die ganze Welt! Ja, ja, Bursch“ so wandte er sich an den Buben, „das merke dir, so ist es! Freilich, wir müssen's auch schwer errackern!Da sieh die Hand an. Die ist freilich braun und inwendig voll Schwielen und hat Risse und Kratzer,aber sie ist mir lieber, als wäre sie milchweiß und sammetzart: Bub, für dich ist's Zeit, daß du siehst,wie's bei uns auf dem Bauernland zu und hergeht.“ Zu den Basen sprach er so bestimmt. daß es keine Widerrede gab:

„Ich nehme ihn mit für vierzehn Tage! Ein Gespänlein hat er am Rösli meines Buben; es wird gleich alt sein!“

Da half kein Bedenken der Frauen. Eine Stunde später thronte das Josephlein neben dem Götti auf dem Kutschersitz des Wagens, und hinter ihm im bäuerlichen Gefährt lag ein Bündel Kleider und Wãsche.

Mit glänzenden Augen sah der Bub die Hantierungen des neuen Beschützers: wie er mit prüfenden Augen rund um die beiden Braunen schritt,ob der Knecht vom yahen Gasthaus Geschirr und Gebiß in rechte Ordnung gebracht habe; wie er da und dort einen Riemen anzog und die Verknotung der Zugstränge überprüfte. Dann schwang er sich selbst auf den Bock, sorgte, daß der kleine Nachbar sicher und geborgen an seiner Seite sitze, und reichte den Frauen von oben herab nochmals die Rechte,

*1*[]während die Linke schon das Leitseil hielt. Nun griff er zur Peitsche und hob sie, aber er knallte nicht und schlug nicht; schmeichelnd fiel die Schnur über die Kruppe des einen Pferdes, und schon zogen beide gleichmäßig. Den Knaben aber belehrte er:„Das sind die rechten Fuhrleute nicht, die mit Hüh und Hott und mit Knallen wie aus Pistolen dreinfahren ...! Die Liesi freilich‘ wieder ließ er die Schnur an der Flanke des einen Pferdes niedergleiten „die muß man etwa kitzeln. Der Hans aber, der hört aufs Wort. Siehst du, wie er die Ohren spitzt, da er den Namen hört. Er versteht,was man sagt, denn die Pferde sind klug, klug für ihren Teil wie die Menschen. Absonderlich der Hans. Die Pferde verstehen es auch, wenn man's gut meint mit ihnen ... besser als manchmal die Leute.“

So fuhr das Josephlein zum erstenmal aufs Bauernland. Mit klopfendem Herzlein zuerst; dann aber zuversichtlich aufsehend zum starken Mann an seiner Seite, der mit dem grauen Bart so gesatzlich und sicher seine Pferde leitete.

Wie ein Prinz im Märchen fuhr das Josephlein aufs Bauernland mit weit offenen Augen in eine neue Welt hinein. Was konnte das Stadtbüblein wissen, daß die zähe Ackerscholle schweizerischen Hügellandes angestammter Boden war, die der Sippe seiner Väter Jahrhunderte lang Brot und Kraft gegeben hatte! Darum vielleicht fiel dem Stadtbüblein das Heimischwerden nicht schwer 14 []in dieser neuen Welt und bei den vielen neuen Leuten. Da war das Röslein, die kleine Base mit dem braunen Gesicht und den hellen Augen,die lachend dem Großvater um die Taschen ging,wo ein Stadtkram sitzen mußte. Nur ein kurzes Weilchen beäugte das Mädchen den kleinen Vetter;dann ward sie zutraulich überlegen in den Dingen ihrer Heimat und nicht müde, ihm zu berichten und zu zeigen. Zuerst das weiß und gelbgefleckte viertägige Kälblein, wie es die Magd mit weißer Milch tränkte, dann den Stand im Stall, wo nun die braunen Pferde ihren Hafer kauten Der kluge Hans aber war dem Josephlein von Anfang ans Herz gewachsen, und als er später einmal auf ihm zur Schmiede reiten konnte, während der Knecht daneben schritt, war es ein Glanzpunkt Wiese wußte das Röslein gar mancherlei zu zeigen;wo die schönsten Blumen wuchsen nicht zuletzt. Einträchtiglich pflückten sie zusammen den allerschönsten Strauß. Vor dem großen Kirschbaum, der weiß wie frisch gefallener Schnee als eine einzige mächtige Blume dastand, daß der Knabe staunte, erzählte das Mädchen dem Vetter von Kirschenpflücken und Kirschenmus, und bis in die Nächte der schönen Tage hinein war eine Kurzweil.

Der Großvater hatte die beiden Kinder in die Kammer neben der seinen in ein gemeinsames großes Himmelbett gewiesen. Mit bunten Blumen waren die Bettladen bemalt, und zierlich gedrehte 15 []Säulen trugen eine blaugrüne Decke, von deren Holz ein ganzer Kranz bunter Blumen herniederleuchtete in der Einschlafenszeit und am Morgen beim Erwachen. Da war man doppelt geschirmt gegen alle Wetter mit dem guten Dach des Hauses und diesem herrlichen Betthimmel; dergleichen hatte das Josephlein nie gesehen und erlebt; das Bäslein aber nahm es als selbstverständlich, und der Knabe sah es darum immer wieder von der Seite mit verstohlen neidischen Augen über dessen tägliches Glück an.

Groß und glänzend leuchteten diese Augen, wenn der Großvater sprach. Das war ein Mann, vor dem alle Respekt hatten. Sogar sein Sohn, und doch war dieser einen halben Kopf größer und unmenschlich stark und war ein Dragoner. Einmal zeigte das Rösli dem Vetter Joseph des Vaters Montur, den schweren Helm mit der schwarzen Raupe darauf, den die Kinder kaum heben konnten,und den langen, krummen Säbel. Scheu fühlte der Knabe die Schneide und sah bei Tisch fast ängstlich auf zu dem Wehrhaften. Der Vetter aber saß still aufmerksam und hörte des Vaters Weisungen für die Arbeit des Tages. Und so das ganze Gesinde,wenn der Großvater sprach ...

Und einmal, als die Magd seiner nicht achtete und mit dem Geschirr störend klapperte, da verwies Rösleins Mutter diese mit einem: „Seid doch still!“, und die sonst Gleichmütige zürnte mit scharfen Blicken, daß die dienende Frau erschrak; denn als 16 []sie umschaute, sah sie aller Blicke auf sich gerichtet,voll Vorwurf, daß sie den Großvater gestört habe;auch das Röslein sah verwundert zornig drein.

Das Stadtvetterlein begriff, daß vor dem Großvater alles schweigen müsse auf dem Sennhof und keiner zu widerreden wage. Doch mit ihm war er immer freundlich und lieb. Ganz anders lieb,als die Tanten, die dazwischenhinein etwa schmälten und dann wieder Zuckerbrot und Liebkosungen hatten.Das Josephlein war dieser fröhlichen Freundlichkeit des graubärtigen Vetters froh und hatte Zutrauen zu ihm und zitterte dabei doch in verborgenem Respekt.

„S'ist ein wackerer Bub; ich bin zufrieden!“Herzlich lachend stellte ihm der Sennhofbauer das Zeugnis aus, als er ihn in die Stadt zurückbrachte.

Der Eindruck haftete dem nachdenklichen Kinde mehr noch als die Erinnerung an allerlei Kurzweil. Verstockt schien er nachher in der Stadt seinen Tanten und Basen, wenn sie ihn nach ihrer Art lehrten und anwiesen und er zuerst widerredete, um dann mit einmal stumm und steif zu werden. Wie konnten sie wissen, daß in dem Büblein ein Stück Ehrgeiz wach war: es wollte ja gehorchen;wenn es doch nicht geschehen war, kränkte das seine erwachende Seele ... und halb reuig und halb trotzig regte sich die Erinnerung an den befehlenden Mann:

Beim „Großvater“ wär' es anders.

Webrlin, Zur Scholle. 2

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Darüber stockte und trotzte das Josephlein.

Darüber stockte und trotzte das Josephlein.Warum es dort anders wäre, als auf der Weiber V gründen.

Von einem Büblein, das zu überlegen anfängt,auch mancherlei lernt und kluge und wiederum aufbegehrerische Reoden hört.

Trotzende Kinder überlegen im jungen Gemüt mehr, als die Weisheit der Alten sich träumen läßt.Ihr Ueberlegen ist ein tastendes Suchen, aber ursprünglich und rein ist ihr Empfinden; ihr Erfinden ist Märchenwahrheit; kindliche Vorstellungen und Gelüste umranken sie, und eine rosige Dämmerung liegt darüber; doch marmorrein glänzt die Wahrheit darunter.

Das Josephus Dieterlein übersann das Wesen seines Sennhofvetters, dem jedermann gehorchen müsse. Eines gefiel ihm besonders und blieb haften, weil es sich wiederholte, während er heimisch wurde auf dem Bauernland: Wenn beim Mähen am frühen Morgen zur Sommerszeit die Schlachtordnung ins reife Gras hergestellt wurde, da führte freilich der junge Bauer die Staffelreihe, aber der Vater schloß sie. Ob er auch die Mahden etwas schmäler zur Seite hinlegte und im Schwung weniger weit ausholte, den Knechten blieb er hart auf den Fersen, daß sie sich sputeten vor den drohen

18 []den Sensenhieben hinter ihren Beinen er tat's ihnen gleich, war am Morgen der Erste und am Abend der Letzte und immer der Leitende Immer war er der Treibende.

Frauen voll sorgender, ängstlicher Liebe umtreuten zu Hause den Knaben Joseph; unstet,schwächlich erschien diese Sorge; es gab immer ein Ausweichen vor ihr. Ein sicherer, selbstvertrauter, unbedenklich wollender Mann befahl hier,und alle gehorchten: Das Kind empfand dieses mannhaft Sichere. Zugleich legte sich in den Untergrund der Knabenseele die Auffassung der bäuerlichen Hantierung als der männlichen, starken und gesegneten! Es erwachte die kindliche Begierde,es ihr gleich zu tun.

Im Augenfälligen versuchte es der Knabe.Allein die Sense, die er während der Neunuhrrast der Mähder hob, war ihm zu schwer und zu ungetüm. Und die Base, das Röslein, das dazu kam,lachte ihn aus über seine Unbeholfenheit, daß er zundelrot davonlief, ... aber der Wunsch, die schwere Kunst zu versuchen, blieb haften. Und ward Erfüllung.

Im Herbst, als die Pflaumen und Aepfel reiften, kehrte er einmal wieder, diesmal begleitet von der einen seiner mütterlichen Sorgerinnen,und fand einen neuen Genossen des Hofes und Hauses. Das war ein schwäbischer Hüterbub, ein Verdingknabe, wie diese aus kinderreichen Sippen armer Leute von jenseits des Bodensees in die Ost19 []schweiz herüberkommen und sich auf einem eigentlichen Markte anwerben lassen für den Sommer,dann manchmal auch auf ihrem Plätzlein bleiben und das Bauernknechtsein lernen imn freudloser Fron da und dort einer; andre finden bei gutmütigen Bauersleuten eine freundlichere Wohnstatt als in der Heimat und verdanken es dem Herrn mit halb kindlicher, halb hündischer Treue.

Durch die hellen Scheiben der Stube, wo den Ankommenden ein Imbiß unter viel Gefrage und Geschwatz der Basen geboten wurde, sah der kleine Vetter Joseph die neue Gestalt. Mit einer Sense über der Schulter schritt der Verdingknabe vom Haus weg. Dieses Gerät fiel dem Stadtbuben auf;denn die Sense war kürzer in der Handhalte und am Stiel und schien leichter am Eisen als andre,grad so eine, wie er sie sich einmal gewünscht hatte.Er brachte auch bald heraus, daß das der „Bub“ sei und zum Hausgesinde gehöre.

Eine Viertelstunde spüter stand der Stadtknabe barhaupt, wie er sich fortgeschlichen hatte, am untersten Ende des Baumgartens vor dem Haus, wo das Knechtlein seine Sense schwang, und sah zu,wortlos, denn er wußte nicht recht, wie ein Gespräch beginnen.

Jetzt rastete der andre; wie ein Großer stellte er mit jähem Ruck sein Gerät aufrecht vor sich hin;rechts und links fuhr der Wetzstein über die Schneide der Sense. Der junge Mähder sah derweil fragend nach dem Zuschauer seiner Arbeit.720 []Unter dem großen Blick der Kinderaugen eines Arbeitenden wurde das Stadtkind verlegen: „Ich bin der Joseph; der Meister ist mein Vetter!“

„Grüß dich Gott!“ sagte der andere und überprüfte einen Blick lang Gestalt und Gewand des Gegenübers. Nur um ein Kleines größer gewachsen war der jugendliche Dienstbote als das langaufgeschossene Stadtkind. Der Anterschied im Alter gab sich mehr in der Reife der Gesichter kund. Die kindlich weichen Züge des Jüngern unterm welligen braunen Haar lachten mit glänzenden Kirschenaugen hoffnungsfröhlich der Welt entgegen. Ueber der gedrungenen Kraft des Knechtleins von dreizehn Jahren herrschte ein trotziger Rundkopf mit spärlichem wirrem Strohhaar und einer kurzen,schon eine leise Furche der Erfahrung zeigenden Stirn; dem sommersprossigen Gesicht gab mehr ein breiter Mund Ausdruck als die kleingestülpte Nase und die hellen Augen. Jetzt war dieser Mund in beobachtender Aufmerksamkeit fast mißtrauisch verschlossen, aber in seinen Winkeln lag treuherzige Gutmütigkeit verborgen.

So stand der Kleine, ein Männlein mehr als Knabe, und schärfte mit altklug gemessenen, handwerksmäßigen Griffen sein Gerät. Dann stellte er sich wieder breitspurig an seine Arbeit, und die Sense schnitt ins kurze Herbstgras. Wie ein Großer holte der kleine Mann aus, Schritt um Schritt,Schnitt um Schnitt.

Der Joseph folgte seitwärts hintendrein und sah 21 []verlangenden Auges die Einzelheiten der Hantierung.

„Du!“ sagte er nach einem Weilchen, „ich möchte das auch versuchen, Zeig mir, wie man's anstellt!“

Der andre übersah sein Werk, rechnete wie ein Alter und ersah, daß die grünen Mahden für heute die Lücke im Futtertenn ausfüllten; er meinte gelassen: „Meinetwegen!“ Er stellte sich nun vorbildlich hin: „Schau, so muß man die Griffe packen und im Schwung nicht zu weit ausholen ... und paß mir auf, daß dir die Spitze nicht in die Erde fährt ... ganz eben, dem Boden entlang, mußt du ziehen ... so ... eins ... zwei ... drei,nicht hasten ... und daß es keine Striche gibt ...und stehen lassen darf man kein einziges Büschchen Gras ...“ Er machte es vor. Dann schritt das Jungknechtlein belehrend einher hinter dem Knaben Joseph, der mit im Eifer verbissenen Lippen sich mühte, diesen Schwall von Weisungen zu befolgen.

Mit einem vergnüglichen Lachen stand derweil der Großvater unter dem großen Birnbaum im Baumgarten und besah sich das Tun der Burschen.

„Halloh, Sepp! Was treibt ihr da?“ rief er sie an und trat näher. Der Vetter Joseph versäumte die Antwort; schnaufend stand er mit rotem Gesicht da. Der „Bub“ aber erkannte auf dem Gesicht seines Meisters ein billigendes Urteil. Da lachte er, daß 29 []zwei Reihen weißer Zähne blitzten: „Er hilft mir Futter schneiden, und ich lehr's ihn!“

Das schien dem alten Manne zu gefallen: „So zeig deine Künste, Dieterlein!“

Der Name, mit dem ihn sonst niemand rief, von dessen Vorhandensein er aber wußte, stachelte den Gerufenen an. Ernsthaft wie ein Großer setzte das Kind sein Werk fort, und der graugebartete Bauer rühmte mit gemessenen Worten, wie er seine Arbeit anpacke.

Der Tag war dem Diethelm Josephlein ein besonderer. Und die folgenden.

Da war er nun nicht mehr das Josephlein.„Dummheiten!“ hatte der Großvater gesagt, „einen Sepp und einen Joseph gibt es nicht auf dem gleichen Hof. Du heißest mir Dieter ... schon deinem Vater zulieb; der hatte Freude an dem Namen! Auch bist du bald ein Großer! Brauchst drum nicht mehr mit dem Kind zusammenzuschlafen,mußt deine eigne Kammer haben, Dieterlein!“

Wirklich wurde der Diethelm Josephus für drei Wochen Herr über ein eigenes großes Gemach, in das niemand des Abends beim Einschlafen eine g'wundrige Nase streckte ... Zwar in der ersten Nacht wollte den Knaben so mutterseelenallein fast eine kleine Furcht ankommen. Da hörte er müde, schwere Tritte vor der Türe vorübergehen.Im Gemach neben dem seinen endeten sie, und an herüberdringenden leisen Geräuschen erkannte er den Nachbarn. „Seppl“ rief er halblaut in die Wand 2 []hinein. Vor seiner Tür gab ihm der Gerufene bald hernach Bescheid: „Was willst du?“ „Komm einmal herein!“ In Hosen und Hemd, barfuß stand das junge Knechtlein in der Mondhelle zu Füßen seines Bettes.

„Schläfst du dahinten?“ „Freilich, und wenn du was von mir willst, brauchst du nur zu klopfen schau, so!“ und der Sepp schlug mit der Faust an die Wand, daß es dröhnte. „Das hör ich ganz gut.“

Der Dieter aber wollte den Grund nicht eingestehen, weshalb er gerufen. Er schützte Neugier vor. „Und wer schläft weiter hinten?“ „Der Großknecht, du wirst ihn gleich vorüberstampfen hören.“

Immer noch stand das junge Knechtlein da.

„Wann stehst du am Morgen auf? Weckst du mich?“

Der Sepp lachte fast schmerzlich: „Jetzt weckt mich der Knecht um halb fünf, im Sommer ist's früher“ und als Diethelm Josephlein schwieg, sagte er „Gute Nacht!“ und ging zur Türe. Dort wendete er sich noch einmal: „Du, wenn du mich brauchst in der Nacht, klopf mir dreimal dann weiß ich's, daß du es bist, dann komme ich auf der Stelle ...“

Von der Stunde an hielten sie Freundschaft, der Dieter und der Sepp; den ganzen Tag steckte Dieter in der Nähe des Knechtleins. Da durfte er zugreifen und niemand lachte ihn aus, daß er's dumm anstelle wie es etwa das Röslein, die kleine 2 4 []Base, tat. Und vielerlei Kurzweil gab's; denn keiner verstand wie der Sepp unterm qualmenden Kartoffelkraut und beim Firtenfeuerlein heimlich Aepfel und Erdäpfel knusperig zu braten, daß sie schmeckten wie Kuchen ...Am schönsten aber war es immer dann, wenn der Großvater zugegen war. Der lachte über den Eifer des Knaben, wußte ihn zu wecken und sprach ein kluges Wort dazu, das in dem Kinde als heilige Weisheit haftete. Einmal rüsteten sie die Roggensaat auf weitem, schwerfurchigem Ackerplan. Ernsthaft, schweigsam schritt der jüngere Vetter, Rösis Vater, mit weitspreizenden Schritten über die aufgebrochene Erde, in großem Schwung des Armes links und rechts die Körner werfend. Der alte Bauer selbst führte die Braunen vor der scharfzahnigen Egge, hintendrein hopste der Sepp und zu seiner Seite der Knabe Diethelm; sie zerschlugen die einzelnen zähen Schollen, die noch hart und trotzig emporragten, mit den Schlägen ihrer Hacken.Allerhand Sprüche machte dazu der Sepp und gab den Klötzen sppottende Namen: „Schau da, der Türk mit seinem Turban, der muß dran glauben!Hoppla!“ Und Turban und Türkenkopf zerschellten ..Dann kam ein kleiner Bär an die Reihe, der aus brauner Ackererde geformt, grüßend das Männlein machte und der Dieter tat ihm unter Lachen Bescheid und hieb an seiner Seite drein, als wären sie im Türkenkrieg oder auf der Bärenjagd, daß die Erdkrumen stoben.24 []Braune Haarsträhne hingen dem Knaben über ein arbeiterhitztes Gesicht, als sie nachher, auf der ruhenden Egge sitzend, sich den Imbiß schmecken ließen. Aufgeräumt war auch der sonst so verschlossene jüngere Vetter. Er prüfte den Himmel:„Besser hätten wir's nicht treffen können, Vater!Und das Saatkorn ist gut; es fliegt so glatt aus der Hand, wie abgezählt! So ist's schön, zu säen!“

Der Knabe Diethelm sah zu dem Starken auf.Gemessen wie ein Kirchenwort war die Antwort des alten Bauern, und dem Knaben haftete sie in Ton und Inhalt, daß er's nimmer vergaß. Zum Sohne sprach er ernst: „Das will ich meinen, Heinrich. Schön ist das Säen, das schönste Bauernwerk;aber merkt es euch, ihr Buben! Ein Meister muß es besorgen. Einer, der weiß, was er beginnt damit,und der es recht in die Hand nimmt. Das Herz muß dabei sein, nicht nur die Hand. Den ken muß man beim Säen und wissen, daß der Mensch mit beiden Beinen im Erdreich verwachsen ist. Von dort kommt, was uns nährt, und unser Schweiß muß darauf fallen, daß es wachse ...“

Eine bäuerliche Tischrede in seiner Art sprach der Vater Fenner, in absetzenden Gedanken, während er mit braunen, erdbeschwerten Händen vom Brote schnitt und aß; mit sich selber sprach er fast mehr als mit den andern: „So muß. man säen,Verstand und Mühe muß dabei sein, und das Herz;das Gelingen aber muß ein Größerer geben an Sonne und Segen ...6 []„... Freilich, heutzutage wissen die Leut' nicht mehr, wie das Brot wird. Drum achten sie es auch nicht, es ist ein Jammer! Früher war es anders.Da brach man überall noch selber den Boden und legte das Saatkorn hinein. Wer das nie getan hat,der schätzt das Brot nicht und nicht das Leben. Und der weiß nicht hauszuhalten ... der meint, es komme alles von selber ... und weiß nicht, daß es Hagel und Frost und Hungersnot geben kann ...Von heut auf morgen, vom Sommer auf den Winter ...“

Der jüngere Bauer machte ein ungläubig Gesicht zu dem letzten, als höre er Altersgeschwätzigkeit. Doch der Großvater sprach weiter: „Das ist das Schönste, und ein Herr ist der rechte Bauer,wenn er auf eigenem Grund und Boden sitzt und selber sät und sein eigen Brot ißt und haushält mit den Seinen ...

. ... Das Haushalten ist die schwerste Kunst.Schau, Dieterlein,“ er streckte seinen Arm aus und wies in die Weite „siehst du dort die große Eiche am Waldrand; sie mag hundert Jahre alt sein.Zu meinen Bubenzeiten stand ein viel größerer Baum daneben, kaum zwanzig Schritt davon, der mächtigste weitum im Land; ein Haus hätt' man daraus bauen können, daß es Stand hielte in alle Ewigkeit. Der Bauer, dem die Eiche zu eigen war,hat sie in einem Fehljahr für einen einzigen Sack Mehl in die Mühle getauscht, damit Frau und Kind nicht verhungerten ... Er verstand's nicht,

27 []zu säen, und verstand nicht zu hausen mit der Frucht! Da liegt aller Klugheit Anfang und Vollbringung, und beim Bauer kannst du's lernen: am rechten Ort das Rechte mit Sorge pflanzen und dann dem Eigenen Sorge tragen das bauet rechte Häuser! Da wird man sein eigener Herr und bleibt es!“

Das schien dem Dieterlein eine gar schöne Rede.Er verstand es darum nicht, daß der Vetter Heinrich mit verbitterter Miene aufstand und sagte: „Ja, ja,Vater, eigener Herr! Das versteht Ihr!“ Er machte sich mit den Pferden zu tun und war verdrossen den ganzen Abend, und auch der Großvater biß auf dem Heimweg die Zähne zusammen.

Noch einmal kam dieser zwei Tage später auf eine ähnliche Rede vom Pflanzen und Säen.

Am frühen Vormittag fuhr der Vetter Heinrich weg. Die Braunen zogen einen schwer beladenen Wagen, worauf in doppelter, sorglich verstauter Schicht der braunen Körbe eine Fülle köstlicher Aepfel ruhten, so daß es das Dieterlein fast reute,als die herrliche Fracht um die Ecke bog.

Mit dem Knaben hatte der Großvater ihr nachgeschaut. Nun faßte er ihn an der Hand: „So,Bub, jetzt haben wir ein besonderes Geschäft. Geh',such mir das Röslein, es soll auch dabei sein!“ Er lachte vor sich hin.

Schwer schleppte der Sepp an Grabscheit und Stockhaue, als sie nachher den Baumgarten vor dem Hof abwärts schritten. Dort zeigte der Groß28 []vater auf einige schräg ins Erdreich eingeschlagene junge Bäumlein: „Die wollen wir heute Vormittag pflanzen. Sieh', Röslein: diese drei sind die deinen! Diese drei pflanzt der Dieter, die andern der Seppl“

Um die Wette gruben und schafften die Kinder.Sorgsam nach den Weisungen des Großvaters bettete der Dieter die zarten Wurzeln in den Boden, drückte fein zerkrümelte Erde um sie fest und gab dem Bäumchen die gerade Richtung. Sinnend sah der Mann seinen Eifer; selber stemmte er sich dann mit wuchtigem Gewicht an die Stange,die den Stamm im losen Verband halten sollte,daß sie tief und fest einsank ins Erdreich.

„So, nun soll's in Gottes Namen wachsen“ und er legte die Hand dem Vetterlein auf das Haupt „wir haben das Unsre getan. Hör, Dieterlein, und behalte dir den Spruch: Recht gepflügt und recht gesät recht den Baum gepflanzt ist halb geerntet. Die andre Hälfte gibt der liebe Gott! So nimmt's ein rechter Bauer. Drum hat er am Pflanzen und Säen die größte Freude. Und gibt der Herrgott seinen Segen wirklich, dann will der Bauer auch mit keinem Herren tauschen er ist's ja, der den Herren das Brot schafft!“

Mit großen Augen sah der Knabe zu dem Manne auf, wie er mit gemessenen Bewegungen einen Weidenknoten um Stamm und Stange schlang und so klug und schön redete. Des Abends,als er im Bett noch an einem rotbackigen Apfel 29 []kaute, kam ihm der Sinn an die vielen hundert Aepfel, die er am Morgen vom Hof hatte wegführen sehen, und er dachte, daß auch sein Baum einmal viele hundert Aepfel tragen werde und war dem lieben Gott schon jetzt recht dankbar dafür ... so recht kindhaft andächtigl Und innerlich fröhlich, zufrieden mit dem Bauernland, wo eitel Freude und Segen war.

Das Kind wußte nicht, daß über jedem Haus der Menschen verborgene Nöte und Sorgen und Keime innerlichen Haderns liegen ...

Der Dieter war am Einschlafen, als er leise die Türe gehen hörte. „Schläfst du?“ rief ihn jemand mit unterdrückter Stimme an, und er erkannte den Sepp. Mit leisen Sohlen kam das Knechtlein an sein Bett und ergriff seine Hand. Die Finger des Dienstknaben zitterten; sein Atem ging hastig,wie in Angst. Noch einmal ging er zurück zur Türe und schob den Riegel vor: „Du Dieter, darf ich bei dir bleiben über Nacht, daß du nicht allein bist? S'ist besser . . .“ Er saß auf dem untern Bettrand. „Ich bleib auch recht ruhig hier sitzen!“Der Jüngere aber rückte zur Seite: „So lieg doch her zu mir, wenn du dich fürchtest“, sagte er schon halb im Schlaf, und der Sepp gehorchte. Er meinte, sein Tun erklären zu müssen und erzählte:

„Ich fürcht' mich nicht für mich. Aber dir könnt'was geschehen. Der Heinrich, der junge Meister,ist spät heimgekommen aus der Stadt. Er hat 30 []bösen Wein getrunken, und dann ist er wie ein Tier. Mich hat er schlagen wollen, und über dich hat er böse Worte gebraucht. Ich weiß nicht, warum.Der Meister und er sind in harten Worten aneinander geraten. Schlimmer als ein Knecht werde er gehalten, hat der Junge geeifert; ein Knecht hätte seinen Lohn und sei darüber Meister; er aber schinde sich ab, ohne einen Batzen Geld zu sehen, und wisse nicht, wohin getragen werde, was er erschinde ... und der Meister stand steif wie ein Baum und schlug auf den Tisch: „Und ich bleib Herr hier, so lang ich's sein kann. Hast du verstanden, Bub! Lebendig lasse ich mich nicht beerben und mit gesunden Gliedern nicht ins Altenstüblein sperren. Zu dem Deinen wirst du zur Zeit noch kommen ..“ Freilich, wenn er nichts mehr davon habe, falls dann überhaupt etwas da sei und nicht alles an die Stadtleut und Stadtbuben verunehrt, hat der Junge dawider gezürnt, aber vorher gibt es ein Unglück... So sind sie in der Stube aneinander geraten, und in der Küche hab'ich's erhorcht, da kam ich zu dir ... daß dir nichts geschieht ...“

Diethelm Josephus hörte alles nur halb; er verstand es auch nicht; er schlief und träumte von einem Wald von mächtigen Bäumen, und alle waren übervoll bedeckt mit gelben und roten Aepfeln!

Dafür wachte der Sepp. Als er einmal schwere Schritte im Hause hörte, schlich er leise zur Türe.822 3 []Aber die Schritte kamen nicht näher, und seine Finger fühlten es: mit starkem Eisen krallte der Riegel ins Schloß. Da streckte sich auch das Knechtlein an seinem schmalen Platze aus, und die Müdigkeit des Tagwerks ward Herr über Gemüt und Glieder.Dem Knaben Diethelm war's am Morgen ein halber Traum, was er zuletzt erlebt hatte; der Sepp gab halbbatzigen Bescheid, man wurde nicht klug daraus.

Es war alles wie sonst: mit starken Schritten und klaren Blicken herrschte der Großvater auf dem Hof; sein Sohn Heinrich und das Gesinde ging unter seinem Auge mit Sorgfalt und Fleiß dem Tagwerk nach. Ernte des zur Neige gehenden und Saat für das kommende Jahr wechselten darin, und segnend glänzte eine milde Herbstsonne über dem friedlichen Hügelland.

Drei Wochen lang.

Der Dieter Josephus trug einen Gedanken mit nach Hause, der ihn nimmer losließ. Sonnenwarm und sonnenfroh von der Heimfahrt durch herbstliches Gelände, da die beiden Pferde am Wagen so fröhlich ausgriffen, lachte er aus den Knabenaugen beim Willkomm und fand beim ersten Grüßgott verlangende, sichere Worte. „Tante, ich will Bauer werden!“ Große Blicke sandte er dabei zum Großvater, der bedächtig vom Wagen stieg. Der lachte:„S'ist gute Rasse, die in dem Burschen steckt!“ Die Base Amalia aber entsetzte sich über des Knaben 327 []

Wort: „Du hast dem Josephlein nette Mucken in

Wort: „Du hast dem Josephlein nette Mucken in den Kopf gesetzt, Vetter, schäm dich! Das wird nie und nimmer sein“, eiferte sie „ein Bauer!“

Der aber blieb gleichmütig: „Wenn er in unser Blut schlägt, wird er's, verlaß dich drauf! Und er tut recht daran!“

Dann gab er dem Sepp Weisung, daß dieser Pferd und Wagen im nahen Gasthaus recht besorge.

Der Tod und ein Kröpflein machen allerlei Wünsche zu Schanden.Der Knabe Josephus hatte den Spruch seiner entschlossenen Base wohl gehört; wie ein Guß kalten Wassers fuhr er über sein frohes Wesen. Doch ein Widerstreben gab es nicht. Die hagere Jungfrau faßte ihn an der Hand und führte ihn ins Stadthaus hinauf. Er sähe zu verwildert aus: nicht einmal die Ohren seien sauber gewaschen, schmälte sie. Das war aber nicht wahr; nur hatte der Knabe seither beim Anschirren geholfen, und dabei mochte ihm von den Pferden Staub in die Haare und auf die Haut gefallen sein; dergleichen kommt vor bei der Arbeit und ist keine Schande. So trotzte er innerlich, und der stille Trotz hakte sich mit einem festen Häklein in seinem Gemüt ein, als der Großvater später so recht bestimmt sagte: „Auf Wiedersehen; im Frühling und Sommer kommst du

Wehrlin, Zur Scholle. 3

33 []wieder?“ Dagegen gab's doch keine Widerrede.Der Dieter sagte fröhlich jal Dem Sepp gab er die Hand als einem Gefährten kommender Tage;er beneidete den Burschen, daß er wie ein Großer neben seinem graubärtigen Herrn saß, denn ihm waren zur Heimfahrt Zügel und Peitsche anvertraut „Auf Wiedersehen, Dieter!“ rief auch das Knechtlein ihm zu. Und dies Wiedersehen hatte der Stadtbub sicher im Sinn.

Aber: gar bald ward aus dem Dieter wieder das Josephlein! Da war alle Tage die Schule, die ihn in die Riemen der Ordnung spannte; so hell war es in der Schulstube, daß man einem in die Seele schauen konnte, und der Lehrer hatte scharfe Augen unter der Brille! Wer schön geradeauf saß und sich nicht muckste, der galt als ein Rechter; die Tanten und Basen aber wollten, daß ihr Josephlein in der Schule etwas gelte und nicht seine Gedanken auf Bäumen und Feldern spazieren lasse.

In ein stilles Herzkämmerlein der Hoffnung verzog sich was dem Knaben ein Monat Bauernart lieb gemacht hatte; er tat den Frauen ihren Willen, war zierlich und höflich und strich das Lob ein, das er dafür erntete. Doch dachte er manchmal an den Sepp, was der wohl ein dummes Gesicht machte an seiner Stelle ... und bei dem Gedanken leuchtete ein innerliches Lachen aus den braunen Augen. Das wiederum gefiel vornehmlich der Tante Seline, und sie fand ihn dann zum Küssen hübsch und sagte es auch einmal. Aber die Base

24 []Amalia stieß sie mit dem spitzen Ellenbogen an und flüsterte: „Ked doch nicht so! Du machst den Joseph eitel, und wer weiß, was er jetzt denkt! Er hat Mucken! Glaub mir's, die muß man ihm vertreiben!“Sie meinte es gut damit und besorgte es redlich.Im Frühjahr, als die Osterlüfte ein Wehen vom Sprossen und Werden übers Land trugen, da sah sie diese Mucken immer kecker blitzen und erriet den Grund:,Josephlein!“ sagte sie einmal und hielt eine Postkarte in der Hand, „rat, wer mir schreibt?“

„Der Großvater?! Wann holt er mich ab?“

„Erraten und daneben geraten!“ hänselte sie das fragende Kind. „S'ist zwar nicht dein Großvater, nur der Bruder deines Großvaters und mein Vettergötti immerhin, 's ist der, den du meinst, und Anspruch haben wir beide noch an ihn! Und er ist es, der schreibt. Aber abholen tut er dich nicht; da werde ich dagegen sein.“

Das Josephlein zog seine Mundwinkel abwärts,und die Augen trübten sich.

„S'ist besser, du bleibst.“ Nun redete die Frau zu. „Hör zu, der Vetter schreibt, das Röslein sei krank und auch der Sepp und andere junge Leute im Dörflein. Hör, das ist schlimm, wenn so auf dem verlassenen Bauernland eine Krankheit umgeht; die Leute meinen, sie werden von selber wieder gesund, und wenn es damit nichts ist,dann ist der Doktor vier Stunden weit zu holen und kommt vielleicht erst recht zu spät. Du bleibst hier.“

8 4*[]Die Base sah den Joseph schräg über die Brille an. Er kannte den Blick, vor dem es ein Ausweichen nicht gab. Zum Weinen brannten ihn die Augen. Aber indem er dabei an den Sepp dachte,kam ihm die Erinnerung, wie der einmal gelacht hatte, um nicht weinen zu müssen; mit einem ganz merkwürdigen Lachen, daß man seine Zähne noch viel größer sah, denn sonst, damals, als sich dem Knechtlein der Finger beim Anschirren in einer Schlaufe des Zugseils am Wagen verfing und zugleich das Pferd anzog ganz blau und schwarz schwoll nachher der Finger auf aber der Sepp hatte doch gelacht dazu und das Weinen darüber vergessen, ganz wie ein Großer. Daran dachte der Knabe, und so verbiß auch das Josephlein seine Enttäuschung. Die Base aber freute sich ihres Erziehungswerks, daß der Knabe so manierlich gehorchte. Freilich des Abends war er still, so betrüblich still, daß die Tante Seline mit dem hüpfenden Kröpflein, die Gute, ihn tröstete: Der Sennhof laufe nicht davon, er stünde auch im Sommer und Herbst wieder; dann aber führen sie beide zusammen aufs Bauernland ...

Es ward so. Aber eine stille Fahrt wurde es;zu einem Toten fuhren sie. Vom Kirschbaum war der Großvater gefallen, als er die Frühfrüchte pflückte; dem Dieterlein sei ein Korb voll bestimmt,hatte er beim Weggehen gesagt. Dann brachten Tage darauf schloß er die Augen.

[]Die Frauen sprachen wenig im Bahnzug und nur kurze Worte der Begrüßung mit dem Vetter Heinrich, der sie im Wägelein abholte. Auch der Knabe hatte zu sinnen; er hatte freilich von Toten viel gehört, von dem toten Vater, wie er ein Stolzer, Kühner gewesen sei und darum so früh habe sterben müssen von der toten Mutter, daß sie zu schön und zu schwach und lieb war abwechselnd lobten und tadelten Tante und Basen die beiden doch einen Toten hatte der Knabe selber noch niemals gesehen, und eine neugierige Scheu drückte ihn.

Friedlich still und festlich sauber aufgeräumt war die große Hofstatt vor dem Haus, wo unter dem weitästigen Nußbaum der Brunnen plätscherte.Eben trug der Sepp, einen schwarzen Flor am Aermel seines braunen Sonntagsgewandes, vier Stabellen, alte, geschnitzte Stühle, heraus, auf denen Jahreszahlen und Anfangsbuchstaben von Geschlechts und Vornamen eingegraben waren.Es folgten Männer mit dem Sarg, worin der tote Bauer lag, und legten den Schrein auf die zu zwei und zwei zusammengestellten Stühle. Den Toten selbst aber sah man durch ein gläsern Fensterlein friedlich liegen. Im schwarzen Sonntagskleid lag er da; die Hände über die Brust gefaltet, das Gesicht zum blauen Frühsommerhimmel gehoben.Scheu trat der Knabe Joseph näher, doch schreckte ihn nicht, was er sah. Mit dem wohlbekannten,stillzufriedenen Gesicht schien der Tote zu sinnen.37 []So lag er zur ländlichen Totenparade vor seinem Hof, und schon rüsteten sich die Freunde und die Nachbarn der weitverzweigten Dorfsiedlung,nach Sitte und Brauch zum Totenabschied an ihm vorbeizugehen.

Die Frauen weinten dazu, wie es Sitte und Brauch erheischt, und das Josephlein sah wieder das Kröpflein am Hals der Tante Seline auf- und niederhüpfen. Er selber schlich zum Sepp und flüsterte: „Itt er auch tot? Sehen so die Toten aus? Man meint doch, er wolle lachen.“ Das Jungknechtlein aber seufzte: „Ja freilich ist er tot sieh nur die gelbe Nase und das Schwarze unter den Augen!“ Dann mußte sich der Dieter Josephus in die Reihe der Leidtragenden stellen, und ein ganzer Zug von Männern im Sonntagsgewande und Frauen mit schwarzen Tüchern über den Achseln schritt diese Reihe ab. Wie es Recht und Brauch ist, drückte der kleine Stadtvetter jedem Vorüberwandelnden die Hand, aber seine Blicke schweiften immer wieder nach dem Sarg, und der Knabe fragte sich, warum dieser' Tote aussehe, als ob er nur friedlich schliefe, und doch hatte man ihm gesagt, daß tot und lebendig ganz andere Dinge seien! Nur daran dachte der Diethelm Josephus.Was sonst der Tag brachte, der lange Marsch zur Kirche, die Predigt, all das verschwand vor der grübelnden Kinderfrage in seinem Gemüt: Warum der graugebartete Bauer wohl so zufrieden aussehe, als schickte er sich zu spaßen an, da er doch tot 57 7 0 []war und man ihn nun in das tiefe Erdloch versenkte. Und der Joseph hatte immer gehört, das Sterben und Totsein sei schrecklich Wenn man darauf zu reden kam, schluchzte die Base Amalia,und die Tante Seline hatte feuchte Augen ...

Darum befragte er auch nicht diese in seiner Ungewißheit; sie verstanden das Besondere mit diesem Toten wohl nicht. Auch nicht der Vetter heinrich, der nach der Heimkehr vom Kirchgang mit gerunzelter Stirne durch Stuben und Kammern wandelte. Das Röslein aber ahmte die Frauen nach und führte alle Augenblicke sein Nastüchlein zu den Augen, wie diese. Da war nichts zu erfragen. Zum Sepp in die Scheune schlich der Knabe und legte diesem die schwere Frage vor. Das Knechtlein wiegte den frühreifen Mannskopf mit der niedern breiten Stirne hin und wieder und blinzelte sinnend. Flüsternd gab er zur Antwort und stützte sein Kinn dabei auf die über einer Heugabel gefalteten Hände:

Das weiß ich nun auch nicht, warum er so zufrieden drein schaut, der tote Meister! Doch recht hast du. Er ist eine schöne Leiche! Ich sah mal einen, der war blau und braun und schwarz und die Augen geschwollen. Es war zum Fürchten.. 9

Wieder wälzte der Sepp den breiten Kopf mit den frühalten Stirnfalten von einer Seite zur andern; fast geheimnisvoll sagte er: „Er hat sich halt nie vor dem Sterben gefürchtet, der Meister,und manchmal darüber gar wunderlich geredet,

*27 3 []wenn man den ganzen Morgen hindurch allein mit ihm war bei der Arbeit und dann beim Z'nüni saß. Da habe ich einmal das Brot fallen lassen.Vom Ackerboden klebte nachher Erdreich dran, und das habe ich abgeputzt wie es doch recht ist. Da hat er gerade so gspassig gelacht, wie als Toter ...Sepp, sagte er, scheust du dich vor dem Erdreich?Schadet dir nichts, wenn du auch ein Stück mitissest. Sieh meine Hände an, es klebt Erdreich daran. Meiner Zunge macht das nichts aus. Sie ist selber nur Erdenkot, wie der ganze Mann und wie du! Und das Brot ist nichts anderes, denn es kommt aus dem Erdreich. Darum scheue mir den Ackerkot nicht; du entgehst ihm doch nicht, wirst auch einmal drin versorgt, Bürschlein, und 's wird dir wohl sein drin ... So hat er gesprochen. Und die Rede habe ich nicht vergessen. Heute glaube ich, daß ihm ganz wohl sein wird so in der Erde drin; gerade damals hat er weiter gesagt, wie sie so warm sei, besser als jede Decke. Kein Pflänz-lein erfriere drin; auch das zarteste nicht, wenn es nicht naseweis den Kopf hervorstrecke ... Darum glaube ich, dem Meister ist recht wohl jetzt! ...Das ist, warum er so friedlich blickt als Toter.“

Das war eine lange, nachdenkliche Rede gewesen für den Sepp. Auf einmal hatte er dann im Stall zu tun und ging abgewandten Kopfes weg, daß der Stadtbub nicht sehe, wie ihm die Augen rot wurden.

40 []Für diesen kam ein überstürztes Weggehen.

Mit fliegenden Falten der Röcke und des über den Arm geworfenen schwarzen Leidtuches flatterte und rief die Base Amalia rund ums Haus. Mit rotem Kopf stand der Vetter Heinrich davor, und die Frauen hatten bittere Augen. Ein Abschiednehmen, wie sonst, gab es nicht. Den Ausgang regierte die Base: Voran eilte sie, die Straße entlang, die sie vorhin hinaufgefahren. Den Knaben zog sie in einem Zorn an der Hand mit sich.

Erst weit unterhalb des Hotels hielt die Hagere an. Dort holte die andere, die rundliche Tante Seline, die Wartende ein. Aus rotverweintem Gesicht, mit ärgerlichen Blicken zürnte sie.Daß es so keine Art sei, aus dem Hause eines Toten zu laufen, daß Zank am Leichenmahl keinen Segen bringe ... Und klagte zuletzt ein eigenes Leid: Töricht sei es, sich die Lunge einzurennen,wenn man fahren könnte ... Die andere Jungfrau aber stand aufrecht, wie ein Fenner; ein schwarzes Hütlein mit wehender Feder nickte trotzig auf dem hochgetragenen Kopf, als sie widerredete:„Das ist meine Sache und meine Verwandtschaft,Seline, und wenn es auch Schelme sind. Darum bin ich weggelaufen. Vor Notar und Zeugen will ich mein Recht erfechten und das Recht des Buben hier. Da wird kein Strich unter Anspruch und Verpflichtung gemacht, wie der Heinrich meint. Hörst du, Seline ... Stehlen lassen wir uns nichts,nicht Geld, nicht Rechte ...“41 []Unter Schmälen und Seufzen trotteten die beiden zur Bahn. Hagerer und spitziger wurde die Base in den nächsten Wochen und schoß wie eine Hummel im Haus und in den Gassen herum. Mit einem roten Kopf kam die Jungfrau Amalia Fenner drei Wochen später vom Amtshaus gelaufen. Jetzt schalt sie das Gericht, daß es papierne Beweise verlange, wo doch ein Recht so offensichtlich sei ...

Auf den alten Gedanken kam sie zurück: „Einen Strich soll ich machen durch meine Ansprüche! Gestohlen hat man sie mir. Einen Strich mache ich auch durch die Verwandtschaft! Und du auch, Josephlein, hörst du. Und wenn sie lang deine Vettern und Basen sind, die Sennhofleute...“ Rot vor Zorn war sie; nur die Nase ragte kreideweiß aus dem Gesicht. Noch sah der Bub, wie die Erregte mit knochiger Hand in raschem Zug durch die Luft fuhr, als schneide sie eine ganze Vergangenheit durch; dann warf sie den Kopf hoch und sauste zur Türe hinaus.

Der Knabe wollte den Grund dieses Zornes wissen, doch wich die Gutmütigere der ihn Bemutternden der Frage aus: „Du verstehst das nicht; es sind Geldsachen!“ Doch die Folgen erfuhr er.

Am Martinsmarkt erblickte Dieter Josephus zum erstenmal seit dem Begräbnistag den Vetter Heinrich und das Röslein wieder. Voll Freude wies er sie der neben ihm schreitenden Base; aber mit einem Ruck hob diese den Kopf hoch; die Hand des Knaben faßte sie mit knochigen Fingern und

42 []wich durch eine Seitengasse in ihre Klause, die sie an diesem Tage nicht mehr verließ ... Sie hatte ihren Strich gezogen durch Freundschaft und Sippe.

In ihrer herrischen Art wollte sie auch dem Buben den Haß und Argwohn gegen sie einpflanzen.„Der Buur ist en Luur“) und en Schelm von Natur!“ Der Spruch war ihr tägliches Gerede. Sie formte und knetete die weiche Seele des Knaben,daß er ein Stadtkind werde voll Selbstbewußtsein als solches, ... und hatte äußerlich Erfolg damit an dem heranwachsenden Burschen mit dem langgeschnittenen, bräunlich blassen Gesicht, den weiten Träumeraugen unter dem glänzend braunen,welligen Haar und dem dunklen Anflug des sprossenden Bartes über den vollen Lippen.

Sie drängte ihn ab zur Weiberseite des Lebens.

Innerlich widerstrebte der Stillergewordene und träumte von starkem Mannstum. Im Gewesenen sproßte diese Hoffnung, in der Erinnerung an starke wehrhafte Bauernleute. Den Umschwung der Dinge aber erwartete er von einem Tag, der dem mannbar Werdenden näher und näher rückte, jenem, da er sich mit gleichaltrigen Kameraden zur Musterung der Wehrfähigen stellte.

Der Tag pflegte ein kleiner Festtag für das Städtchen und seine Jungmannschaft zu sein. Dem Josephus sollte er ein rechter Freudentag sein. Zuversichtlich sah er der Gestellung entgegen, sicher, als x) Luur Laurer, d. h. hinterlistiger Mensch.4 []wohleingeteilter Rekrut eingetragen zu werden;denn sorglich hatte er sich auf die Prüfung vorbereitet, in der jeder der jungen Männer über sein Wissen in allerlei Kenntnis von Land und Leuten seiner Vaterrepublik Zeugnis abzulegen hat, und deren gutes Bestehen eine Vorbedingung ist zum Aufrücken aus den Reihen der gemeinen Soldaten zum Höheren. Gut gewachsen war er, weit gewölbt über die Brust; seine Augen sahen wie die eines Sperbers. Wo sollte es fehlen?!

Mit stolzester Zuversicht ging er seinen Gang ins Rathaus. Kleinlaut kam er zurück; so niedergeschlagen im Gemüt, daß er am liebsten wie ein Kind geweint hätte.

„Was ist dir?“ fragte besorgt die Tante Seline, und die Base Amalia schaute mit zusammengezogenen Brauen auf.

„Dienstuntauglich!“ Er warf ein dünnes, graueingebundenes Büchlein auf den Tisch und verarub den Haarschopf in den Händen. „Da seht selber!“Auf Zwischenfragen gab er nicht Bescheid, nur den Kopf schüttelte er, als die Base fragte: „Bist du zu schmal über der Brust?“ Dann die Tante:„Fehlt's am Gehör?“ „Am Gesicht?“

Dann brauste er auf: „Einen dicken Hals hätte ich, sagen sie einen Kropf; drum bin ich Staatskrüppel ... S'ist lächerlich gemein!“

Doch es war nun so und half auch nichts, daß die Frauen nach ihrer Art zuredeten. „In der 44 []Fennerfamilie gab's nie gekropfte Leutel“, giftete die hagere Base. Die Tante aber wurde darüber ordentlich böse und wies sie zurecht: „Schweig doch,Amalia! Willst du dem Kind das Herz noch schwerer machen? Pfui, schäm dich! Er hat's von der Mutter; ihr Hals war auch stärker, als es sein sollte, und doch war sie eine schöne Frau. Und eine lLiebe Frau war sie; halte sie nur in Ehren,Joseph!“ Die gutmütige Rundliche rückte näher zu dem bekümmerten Jungblut am Tisch, zog ihm sachte die eine Hand vom Gesicht und streichelte und tätschelte ste mit weichen Fingern und redete dem Niedergeschlagenen zu, es sei doch keine Schande, wenn man von Mutterseite ein körperliches Mängelchen ererbt habe ein Mangel sei es nicht; denn man könne damit steinalt werden und immer gesund bleiben. Das beweise sie, die Tante selber; denn leider habe auch sie ein Kröpflein. Hier fingen ihre Tränen zu fließen an, und das rundliche Gewächslein unter der Haut ihres Halses hüpfte beim Schluchzen auf und nieder.Mit vielen Worten redete die Trösterin, daß es vielleicht ein Glück sei, wenn der Joseph nicht Soldat werde; man habe schon viel gehört, wie einer im Dienst krank geworden sei und sich sein Bresten für sein Leben lang geholt habe. Und wenn es gar Krieg geben sollte ... hier wollte freilich der junge Mann aufbrausen gerade dann brauchte man ihn und die rechten Männer, und Soldaten sollten doch alle Schweizer sein.5 []Sie aber gab geschickt zurück, wie so manche rechte Leute und Schweizer und doch nicht Militär seien, sogar im Bundesrat seien nur drei Obersten,und der stellte doch die Auslese der besten Schweizer vor ...

Sie redete mütterlich gutherzig, so wie sie es verstand, und weinte dazu mitleidige Tränen, ob sie auch nicht begriff, wie tief beim Neffen der Schmerzenshaken saß.

Daß er nicht als ganzer Mann erkannt sei,das war sein Kummer.

Er konnte ihn nicht verwinden, und Weibertrost vermochte ihn nicht vergessen zu machen. Als sich im Frühjahr die jungen Männer zur Rekrutenschule stellten, konnte ihn kein Zureden halten.Hart trotzte er dagegen: „Ich bin alt genug; vor Gesetz und Recht bin ich mein eigner Herr! Ich will die Welt sehen und zusehen, ob sie mich brauchen kann.“

„Er ist wie der Vater und doch reicher im Gemüt“, klagte die eine der Frauen.

„Sei du froh, daß er ein solcher ist“, reckte sich die andere auf.

Aus dem Fenster des fortrollenden Zuges grüßte Diethelm Josephus, solange er die beiden sah.Dann straffte der junge Fennermann die schlanken Glieder, als wäre er einem sanften Zwang entwichen. Auf der Fahrt durchs Bauernland sah er 46 []

barfüßige Kinder unter blühenden Bäumen spielen,

barfüßige Kinder unter blühenden Bäumen spielen,da lachte er und besann sich: was war wohl aus jenen Stämmchen geworden, die er einst in den Boden gesteckt hatte .. .? Ein leises Heimweh nach dem herben Hügelland seiner Väter begleitete ihn, da er in mildere, weitere Gegend getragen wurde.

Heimkehr und gemächliches Wohlsein.

In fremden Landen wurde der Schweizerknabe ein Mann. Nur kurze Besuche aus besonderer Gelegenheit unterbrachen die mehrjährige Abwesenheit. Einmal fuhr er aus Paris heim zum Begräbnis der guten Tante Seline; später rief ihn ein Telegramm aus London an das Krankenbett der Base Amalia. Er fand sie blaß und abgemagert;aber glücklich hatte sie einen Eingriff des ärztlichen Messers auf Leben und Tod überstanden. Spitz ragte ihre Nase aus den weißen Kissen hervor, und die Aeuglein wanderten mit tastenden Blicken an dem großen Neffen hinunter, wie er vor ihr stand:„S'ist lieb von dir, Joseph, daß du mir die Ehre antust. Aber es wäre nicht nötig gewesen. So weit bin ich noch nicht, und wir sind ein langlebiges Geschlecht nur dein Vater machte eine Ausnahme! Mir ist's noch lange nicht ums Sterben!“Doch als sie die Augen schloß, erschien sie als eine Sterbende ...4*

7 []Nur um ein weniges besser dem Aussehen nach,in den Bewegungen jedoch rüstig und flink, begrüßte sie dann den für immer Heimkehrenden. Er gefiel der Bemutternden. Hochgewachsen, wohlabgemessen im Verhältnis der Glieder und in den Bewegungen,sorgsam gekleidet, ein Ordentlicher mußte er sein,so wie es die Unterschriften seiner Briefe zeigten mit dem sorgfältigen Zug der Buchstaben: D. J.Fenner, darunter ein Schnörkelchen einen etwas eitlen Bogen versteckter Sonderlichkeit zog. Im Gesicht war er voller geworden; stärker traten die Backenknochen hervor; der englisch kurzgeschnittene Schnurrbart, das glattrasierte Kinn und das schlichtgescheitelte Haar bewahrten dem Dreißigjährigen das Aussehen des Jünglings; wie Schnörkel aber zogen sich jedoch zwei ungewöhnliche Falten von der Nase zu den Mundwinkeln.

Fremdes Land und fremde Sitten hatten ihn wohlgebildet, doch jene Falten über den Lippen vertieften sich zu einer Miene des Unbehagens, als er Bescheid gab auf die Frage, was er nun zu beginnen gedenke.

„Wenn ich das nur selber wüßte, Base! Was ich zu beginnen gedenke, fragst du? Nichts vorderhand! Ich will mal zusehen, was etwa an mich herankommt. Im praktischen Leben zu arbeiten, wird sich Gelegenheit finden, so daß ich vor den Leuten nicht ein Müßiggänger scheine. Im übrigen aber will ich mir selbst leben und dem, was mir Liebhaberei ist ...“48 []Das gefiel wiederum der Base nicht. „So jung schon ...?“ Dann lachte sie ein spitzes Lachen:„Oder hat diese Liebhaberei lange Haare am Kopfꝰ?!“

Doch der Neffe ging nicht ein auf diese Wendung des Gesprächs: „Laß das meine Sache sein! Für dich wird's keine Beengung noch Störung bringen,was ich zu tun gedenke.“

So war es auch. Die alte Jungfrau behielt ihre Stuben im Erdgeschoß des Hauses; fast ohne Aenderung ließ ihr Neffe auch die Räume des ersten Stockes, wo sie gemeinsam zu speisen pflegten. Im obern Stockwerk aber und unter dem Dach, da richtete Diethelm Josephus Fenner sich die Gemächer nach seinem Geschmack ein, wie einer, der ein welterfahrenes Einsiedlerleben führen will.Einige große und ein Schock kleiner Bilder und DDV die Wände. Der Fuß schritt zwischen ihnen auf weichen Teppichen, und bequeme Stühle luden zur träumenden Ruhe. Die Junggesellenwohnung eines jungen Sonderlings und eines Dilettanten in allerlei Künsten. In Werkstätten der Maler und Bildner hatte er sich umgesehen, selber sich auch versucht in ihren Mühen und dieses Werk mit schwachen Kräften nachgeahmt, im Bestreben an sich und im Nachempfinden seine Befriedigung mehr findend als in der vollendeten Arbeit.

Wie von selber wurde auch der andere Plan des Heimkehrenden Wirklichkeit. Ein strebsamer

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Webrlin, Zur Scholle. 1 []Handwerksmann des Städtchens hatte begonnen,aus Zement mit Beigabe von Gesteinssplittern künstlichen Sandstein zu fabrizieren, ihn in Formen zu gießen und so den gehauenen Fels für allerlei Bauten zu ersetzen. Da nun in diesen Jahren guter Geschäftsgang und einziehende neue Zweige menschlicher Tätigkeit dem Gemeinwesen starken Aufschwung gaben und allerorten die Baulust weckten,fand der Rührige Aufträge über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel hinaus. Hier sprang Herr D. J. Fenner als Geldgeber ein und ward mit einem Stück seines Erbes Teilhaber eines sich schön entwickelnden Geschäftes.

Nur einige Stunden des Tages nahm die Tätigkeit darin in Anspruch viel mehr seine Liebhabereien gar nicht aber ging in Erfüllung die heimliche Vermutung des weiblichen Hauggenossen des jungen Geschäftsherrn. Den Jung-frauen der Stadt wich er nicht aus. Er war voll Artigkeit in ihrer Gegenwart. Dieser und jener schien er auch eine Zeitlang in merklicher Weise sich nähern zu wollen. Dann war er mit einem Male kühl und kurz angebunden; für drei, vier Wochen verschwand er wohl aus dem Städtchen, im Sommer auf die Berge; im Winter besuchte er eine Stadt mit Theatern und Konzerten. Beidemal kam er zurück mit abweisender Miene, wenn er beim ersten Begegnen auf der Straße vor einem gewissen Mägdlein höflich und korrekt den Hut zog.Und dieses härmte sich und hörte die Mutter schelten 50 []auf die Wunderlichkeiten der jungen Männer heutiger Zeit. J

Gegen die alte Base war der Vetter Joseph in solch kritischen Tagen kurz angebunden, doch schicklich freundlich. Nur einmal herrschte er sie barsch an.Beim gemeinsamen Mittagsmahl faltete sie ein Zeitungsblatt auseinander, das sie mit sich getragen: „Hast du gelesen, was auf dem Sennhof geschah?“

Diethelm Josephus schüttelte den Kopf, und die Schnörkelfalten von der Nase zum Mund gruben sich tiefer ein.

„So sieh dir den Bericht hier an! Unrecht Gut tut nicht gut! Dem Vetter Heinrich ist die neue Scheune niedergebrannt, die er nach seines Vaters Tode baute. Er muß gut bei Mitteln gewesen sein “ Die Jungfrau lachte schadenfroh! „Doch nun ist die Herrlichkeit dahin! Da lies selbst! Und man vermutet Brandstiftung sein früherer Knecht Joseph Stegmair ist deshalb in Haft gesetzt ... Ja, ja, die Bauernschlauheit!“

Dem Zuhörenden stieg das Gedenken an seine Jugendtage auf. Leibhaftig sah er das breite,frühalte Gesicht des Hüterbuben Sepp vor sich mit den nachdenklichen verkniffenen blauen Augen, die verstohlen zu lachen schienen.

Ins spitze Gesicht der alten Jungfer stieg gelber,mißgünstiger Verwandtenhaß: „Weißt du, das Knechtlein, das muß vielleicht nur Sündenbock sein;man weiß, wie das geht. Dem ‚„Vetter“ freilich 51 [](das Wort zischte) traute ich alles zu, gerade ihm,hörst du.“

„Doch lies du selber, Josephl“

Diethelm Josephus Fenner nahm die Zeitung.Indem seine Augen die Nachricht überflogen, übernahm ihn ein Ekel vor dieser verstohlenen Anschuldigung gegen die eigene Sippe und die Verunehrung einer lieben Erinnerung.

Er zerknitterte das Zeitungspapier mit harter Faust und warf den Knäuel unter den Tisch: „Laß das, Base, laß mich mit der alten Geschichte in Ruhe! Ich will auch da ein freier Mann sein.“

Ohne einen Abschiedsgruß ging er vom Tisch.

Ein freier Mann! Unbeschwert von Sorgen führte Diethelm Josephus Fenner sein Leben weiter. Freier und unabhängiger noch, als zwei Jährchen nach seiner Heimkehr die Base starb.Ohne besondere Gemütsbewegung folgte er ihrem Sarge. Die Welt war ihm vorher wie nachher so voll und so leer. Im sichern Wechsel zwischen gemächlicher Arbeit und gemächlichem kleinem Genießen gingen die Tage hin, und nichts drohte mit harter Störung einzugreifen ... wenn man sein Erleben Arbeit und Genießen nennen konnte, da doch das Herz an keinem rechten Anteil nahm! „Der Mensch muß etwas treiben, damit die Zeit vergeht, und mir sagt am besten zu, was ich mir erwählte. Wüßt' ich ein Besseres, so betriebe ich wohl dieses!“ so mochte er wohl sprechen,527 []

wenn man ihn fragte, warum er sich in Geschäften

wenn man ihn fragte, warum er sich in Geschäften mühe.

Dabei verzog sich keine Miene. Diethelm Josephus Fenner ward allgemach ein alter Junger.Nicht verbittert, doch namenlos gleichmütig; die Welt ging ihm ihren Weg und er mit ihr, kaum daß er die großen Pulsschläge des Geschehens achtete.

Vom Generalmarsch und von einem Sparstrumpf.

Dem Diethelm Josephus Fenner war sein Los geworfen, und er schickte sich drein; es war die Weiberseite in der Lebenskirche.

Es änderte sich daran auch nichts, als unter den Flammenzeichen des 1. August die Weltereignisse des Jahres 1914 im kleinen Städtlein ihren Widerhall fanden. In den engen Gassen wirbelte der Generalmarsch, und in den kommenden Tagen strömten von allen Seiten die Bürger-Soldaten seines Heimatlandes zu ihren Sammelplätzen.Sein Städtchen war selbst ein solcher. Hier sah er zuerst den Landsturm zum Fahneneid die Hand erheben, sah dann die rüstige Mannschaft des Auszugs, Fußsoldaten und Artilleristen einrücken. Das griff ihm ans Herz. Fast wie eine Wiederholung kindlicher Sehnsüchte übernahm ihn das Interesse an den Einzelheiten der Vorgänge. Unter Greisen,53 []Frauen und Kindern stand und schaute er. Es würgte ihn im Halse, daß er hier stand und nicht bei jenen unter den Waffen, er schämte sich, und doch vermochte er nicht wegzugehen.

Ein dumpfes Neid- und Wehgefühl fand erst im Traume Bilder und Ausdruck verhaltenen Schmerzes des nicht als voll erkannten Mannes:In bekannten Räumen eines Bauernhauses durchstöberte er mit seinem Bäslein wieder Kisten und Kasten, und alle waren vollgepfropft mit Säbeln und großen Raupenhelmen; aber keinen, den er ergriff, vermochte er zu heben, und wie eingegossen klebten die Klingen in den Scheiden. Der Sepp freilich, der riß den blanken Stahl mit einem Ruck heraus und schwang ihn um den Kopf und lachte,daß man seine gelben Zähne sah, und auch das Röslein lachte nachher, wie sie beide davonfuhren auf einem Wagen voll roter Aepfel das aber waren lauter Soldatengesichter und alle, alle lachten wie toll und hüpften im Wegfahren auf und nieder, wie einst das Kröpflein der Tante Seline ihn, den Joseph, aber zog mit wehenden, flatternden Röcken die Base mit dem spitzen,gelben Totengesicht an der Hand davon,. kaum vermochte er mitzukommen ...

Mit einem dummen Wesen im Kopf erwachte Diethelm Josephus am Morgen. Der Morgen aber war klar und hell und bezwang in ihm die düstern Gedanken.

Mit sich selber abgetrotztem Gleichmut trat der 54 []Geschäftsherr Fenner in die Arbeit des Tages. In Ueberfülle stürmte sie auf ihn ein. Ratlos jammerte ihm die Frau seines Geschäftsgenossen einen langen Spruch vor der Mann selber war mit einem besondern Landsturmaufgebot als einer der ersten schon weit weg und half irgendwo an der Grenze unter Brücken und hohen Böschungen längs den Flüssen unheimliche Sprenghöhlen füllen. Außer sich jammerte die Frau; sie sah den ganzen in langer Handwerksarbeit erworbenen,bescheidenen Wohlstand des Hauses in Kriegsgefahr. Einen Schwall von Angst hörte Diethelm Joseph über sich fließen, bis er den letzten Zweck der Klage ergründete: Durch Hintertüren der geschlossenen Kaufläden hatte die Frau allerlei Vorrat an Nahrungsmitteln für sich und die Kinder:Mehl und Grieß, Dörrfleisch und Fett, herbeigeschafft. Sie hastete im Reden; denn kein Mann könne verstehen, wie's einer Mutter zu Mute sei,die vier offene Kindermäuler zu stopfen habe. Und es meldete sich, verschmitzt verstohlen zuerst und dann offen die Sucht, gelbes Gold dem andern Vorrat beizugesellen für den Notfalll Man könne nie wissen, und noch immer hätten kluge Leute in Kriegszeiten ihren Strumpf verborgen ...

So jammerte die Frau, sie schielte nach der großen Kasse, die als feuer und diebessicherer Schrank in der Ecke stand, und schalt leise ihren Mann, daß er überm Einrücken das Wichtigste vergessen hätte.55 []Erst redete ihr Herr D. J. Fenner beruhigend zu. Der Eindruck war gering, auch die Versicherung, daß er ja sicherlich zum Rechten sehen werde ...

Dann kam ihm unter innerm Lächeln die Erinnerung an eine verstorbene, spitznasige Base: das war das letzte gewesen, wovon sie stammelnd, schon die Todeskrallen an der wunden Kehle, geröchelt hatte: ihr Goldstrumpf. Ausgesucht kunstvoll verborgen war er unter Nichtswertigem im alten Spind; kaum fand ihn damals der Suchende unter den flackernd weisenden Augen der Frau auf dem Totenbett.

Sie aber stammelte ähnliche Worte, wie Dieter sie heute hörte: „Trag ihm Sorge! Man ist immer froh um so etwas; man weiß nie, welche Sorten Zeiten kommen ...“ Und im Sterben streichelte die Hagere den Goldschatz!

Daran dachte Diethelm Josephus und erinnerte sich, daß der Goldstrumpf heute noch am Platze liege einmal hatte er ihn aus Neugier gemustert: es war ja ein nettes Geld, in so vollkommenen, unberührt scheinenden Goldmünzen,daß es aussah, als kämen sie vom Prägstock; auch mochten wohl nach ihrem für den Umlauf ungewohnten Einzelwert ein paar seltene, große Stücke darunter sein darum wohl hatte er den fest und straff gestrickten Seidenbeutel an seine alte Stelle gelegt und nie mehr angerührt, ob auch sein kaufmännisches Gewissen gegen die Vergeudung 56 []der Zinsen etwa leise Einsprache erhob. Doch den Wunsch des Nichtantastens hatte er geehrt.

Heute lächelte er über diesen Besitz. Was er selber als Goldmünze auf sich trug nach Art eines vielgewanderten Selbstsichern, und was davon im Haus war, gab er der Frau und versprach ein weiteres. Sie war herzenszufrieden, und ihm gab das Helfen innere Ruhe.

Und ein ganzes Völklein von Rat und Silfe heischenden strömte tagsüber auf ihn ein: Deutsch und italienisch sprechende Arbeiter seines Geschäftes mit dem Paß und dem Aufgebot in der Tasche, die der Krieg nach der Heimat zurückrief, Frauen bereits Eingerückter mit kümmernden Gesichtern,Handwerker und Kunden des Geschäftes, Erledigung der Verbindlichkeiten und Aufschub der Verpflichtungen und Bestellungen verlangend. Der Schreck eines gewaltigen Erlebnisses und die Angst vor dem Kommenden, Ungewissen sprach aus allen.Sie gellten aus dem Hörrohr des Fernsprechers und grinsten zwischen den Buchstaben der einlaufenden Depeschen und Briefe.

Wie ein Wirbelwind stürmte diese Fülle von Geschäftigkeit auf den auf sich allein Angewiesenen ein, dem die Einberufung auch die Schreiberhilfe genommen hatte. Doch Dieter Joseph ward mit ihr fertig. Seit langem zum erstenmal verlangte sein Geschäft einen ganzen Mann von ihm. Er aber meinte, ihn zu stellen, das sei nun se ine, des 57 []Waffenlosen Pflicht. Im Husch verflog ihm der Vormittag.

Später, beim Gang zum Mittagsmahl, wollte ihn wieder sein geheimer Groll übernehmen; der,daß er nicht unter die Wehrhaften zählte, als er die Straße voll Männer im Waffenkleid fand.Doch biß er sich auf die Zähne, und nun ward jener andre Gedanke bewußter Wille: er war nun wohl einer von denen, die zu Hause den Kopf klar hielten und dort zum Rechten sahen.

Dergleichen Leute waren nötig. Diethelm Josephus Fenner überlegte es sich auf der Straße,wo er vor den Kaufläden Volk gestaut fand mit großen Körben und kleinen Wägelchen, Kinder und Frauen, aber auch alte Männer, alle in einer Hast und Angst vor der Kriegsnot. Und an ihn selber trat die Bedrängnis der Zeit heran: Knapp nur hatte am Vormittag das bare Geld seiner Geschäftskasse zur Einlösung der Verbindlichkeiten ausgereicht. Um für den Nachmittag gerüstet zu sein, sprach er auf seiner Bank vor, indem er dachte,so würde sein Geschäft am besten gefördert. Auch hier fand er den Schalterraum voller Leute und den wohlbekannten Bankleiter in seiner Schreibstube fast in Verzweiflung.

„Sie wollen doch nicht Geld, Herr Fenner?Denn sonst reut's mich, bei aller Freundschaft, daß ich mich nicht verleugnete!“ rief er den Eintretenden an.

„Freilich, Herr Direktor! Eben darum bin 58 []ich hier. Und die Bank wird ihren Kunden gut sein für ihre Guthaben?“

„Freilich, freilich allein ... Entschuldigen Sie einen Augenblick...!“ Der Bankdirektor ergriff das herrisch anrufende Hörrohr des Tischtelephons, und dann hörte Diethelm Josephus die einseitige Wendung eines Ferngesprächs, das sich auf ähnliche Dinge beziehen mußte, wie sie ihn hergeführt haten ... „Viertausend Franken? in Silber? ... Es ist unmöglich! ... Gold? Daß ich nicht lache Nein, im Ernst: wir haben strenge Weisung von der Zentralleitung, daß an Gold nicht mehr ein Zehnfrankenstück ausgeht. Es ist unmöglich, ich versichere Sie. Und wir haben kein Geld ... Noten große Noten, so viel Sie wollen, doch Silber keine hundert Franken. Was Sie machen sollen? Ich weiß keinen andern Rat,als zuzuwarten; auf übermorgen hat man uns Papiergeld kleiner Werte versprochen...“ Es folgten nochmalige Entschuldigungen und kurze Verabschiedung.

Unser Mann wußte genug; er lachte den Bankleiter an, als sich dieser ihm wieder zuwandte: „Da habe auch ich meinen Bescheid“, meinte er gleichmütig: „Hundert Franken an Silber kann ich bekommen; im übrigen nur große Noten; wir haben einen Sturm auf die Kassen?!“

Der Bankdirektor zuckte die Achseln: „Die Leute sind unglaublich verwirrt; da müssen wir die Klugen sein. Was sollte sonst draus werden? Den 59 []Sparkassenverkehr müssen wir aufrecht halten;sonst aber: „'s ist Kriegszeit!“

„Ich muß aber meine paar tausend Franken haben“, brachte Diethelm Fenner sein Begehren vor.Der Besucher blieb ruhig sitzen und machte ein verschmitztes Gesicht, wie einer, der seiner Sache sicher ist; auch als der Bankleiter abwehrend die Hände hob, als sein Kunde ihm einen Zettel vorlegte: „So viel brauch ich, Herr Direktor, und Sie geben es mir in laufbarem Silber und Kleingeld.“

„Mir ist's nicht ums Spaßen ...“

„Mir ebensowenig ... Aber wenn ich Gold hinterlege dafür? Sie brauchen mich nicht anzustarren. Ich hinterleg's in großen Stücken, wie sie etwa Liebhaber sammeln, aber 's ist gutes,gelbes Gold, und persönlich werde ich's bringen dann aber bekomme ich die kurante Münze, nicht wahr. Herr Direktor?“

Der sah dem Fortgehenden zweifelnd nach. Ein bißchen verdreht war ihm der junge Sonderling stets vorgekommen. Daß die Verdrehtheit nun die Richtung annahm, jetzt Gold herauszugeben, wo es andere zusammenklaubten, konnte ihm und seiner Kasse nur recht sein ...

Diethelm Josephus. Fenner aber lachte ein Spitzbubenlachen, als er im Schreibschrank der Base stöberte und dem Seidenbeutel die runden Stücke entnahm. Nach ihrem Sinn war es sicherlich nicht; ihm kam es vor, er spiele ihr nachträglich 650 []einen Streich; das eben gab ihm die rechte Freude an seinem Vorhaben.

Etwas später trug ein Bankbote ihm durch den hintern Ausgang des Kassengebäudes einen schweren Sack zu, und Diethelm Josephus arbeitete im Schweiße seines Angesichts, sie an den Mann zu bringen. Er entsprach denen, die mit Forderungen ihres Lohnes oder ihrer geleisteten Arbeit vorsprachen, und tat ein mehreres. Er durchging die Bücher, und wo er einen kleinen oder mittleren Mann verzeichnet fand, der im gegenseitigen Abrechnungsverkehr ein Guthaben bei seinem Geschäfte hatte, zog er dessen Betrag aus und bereitete die Zahlung vor. Er verfehlte auch nicht, den Handwerkern und Händlern, die im Städtchen selbst wohnten, in die braunen, papiernen Zahltagssäcklein zur Ausgleichung gegenseitiger Abrechnung einen oder ein paar kleinere Goldvögel zu legen,die er dem Sparschatz der alten Jungfrau entnommen hatte, und schmunzelnd strichen sie die Leute ein.

All das tat er nicht als etwas besonderes, sondern wie in einer augenblicklichen Laune eines Kindes, das man gewähren läßt. Er empfand es kaum, daß er so die glatteste Ordnung herstellte,wie einer, der mit wohlbestelltem Haus in den Krieg zieht.

Klein war darüber die Freude bei seinem Geschäftsteilhaber, als dieser in kurzem Urlaub auf einen Sprung ins Städtchen heimkehrte: „Das war 51 []nun doch nicht nötig“ grollte er „wer wird jetzt die flüssigen Mittel ausgeben; die oberste Landesbehörde hat ein allgemeines Stundungsgebot erlassen. Kluge Leute benutzen dies! Daß winr es nicht tun, werden wir zu unserm Schaden erfahren und sind die Dummen vor den andern.“

Doch Herr D. J. Fenner ließ sich nicht aus der Haltung bringen. „Kluge Geschäftsleute zahlen ihre Schulden, mein guter Freund und Compagnon und Landsturmmann! Saubern Tisch halten die guten und ehrlichen Geschäftsleute; ich meine, wenn einzig nur solche vorhanden wären, so wäre auch jenes Stundungsgebot nicht nötig! Wir aber gehören doch wohl zu den geschäftlich Guten und zu denen, die Vertrauen verdienen ...2! Uebrigens“ er schlug eine Seite des Hauptbuchs auf „tat ich das Ganze auf eigene Gefahr!“ Im Buch war die nicht unbeträchtliche Summe dieser Auszahlungen als sein Darlehen ans Geschäft verzeichnet.

Da gab sich der Frager zufrieden, überschlug bei sich im Stillen. wie so der Ruf der Firma gefördert werde und dachte nebenbei, daß ein Sonderling als Geschäftskamerad sein Gutes habe.

Dieser achtete den listigen Blick nicht; er war mit sich zufrieden und ging seiner Wege, ob sich auch die Sache herumsprach im Städtchen. Es gab solche,die sein Tun nicht verstanden. Andere dachten kürzer und besser, Herr D. J. Fenner habe das Herz am rechten Fleck. Mit den beiden Pfarrern und dem Armenpfleger wurde er vom Stadtrat in 2 9892 []

den Ausschuß berufen, der den Kriegsnöten wehren

den Ausschuß berufen, der den Kriegsnöten wehren sollte. Wieder andere witterten den törichten, unüberlegten Guttäter in ihm, und sein Haus ward in den nächsten Wochen überlaufen.

Stiller Kriegskummer.Das war nun freilich beides nicht nach dem Sinn des Diethelm Josephus; denn er liebte es nicht, vor den Leuten eine Rolle und am wenigsten die des Wohltäters zu spielen. Doch war er zu gewissenhaft, sich der gestellten Aufgabe zu entziehen. So nahm er seinen Anteil an den Beratungen jenes Ausschusses und ging als Einzelner auch vorgebrachten Klagen nach. Manche wirkliche Not sah er und half sie lindern, aus öffentlichen Mitteln und den eigenen. An manchen Orten erfand er den Krieg als unbarmherzigen Enthüller längst fauler und untergrabener Verhältnisse. Viel wehleidiges und kopfloses Klagen und Jammern traf er, wo ruhige Arbeit und Zuversicht sein sollte.Und heimlich fraß wieder der Wurm an seinem Herzen, daß er nicht wert erfunden war, mit den Rüstigen unter den Waffen zu stehen, und die Scham über das Gebaren dieser andern trieb ihm das Blut in die Wangen.

Er begann wieder seine Wanderungen eines Sonderlings, weit hin übers Bauernland; den An43 []schein gab er sich, als wäre er Maler aus Liebhaberei. In Wirklichkeit floh er die Menschen seiner Heimatstadt, die er so klein und kleinlich fand, während rundum die Völker wuchsen an innerer Stärke und Größe.

Innere Not, stiller, unerkannter Kriegskummer drückte ihn. Eine alte Bauernfrau und ein flachshaariges Mägdelein stachen ihm den Star, daß Herr D. J. Fenner darin sehend ward.

An einem wundersam hellen Nachmittag des beginnenden Septembers saß er mit seiner leichten Staffelei auf der Höhe eines sanften Rains. Weit hinaus schweifte der Blick über ein ackerreiches Tal und wellige Wiesenhügel. Noch standen hier und dort gelbe Felder; auf andern zog schon der Pflug seine Furchen; verlorene Glockentöne klangen aus weidenden Viehherden zu ihm herauf. Und überm verschwommenen Dunst der fernern Hügel und Täler glänzten herbstlich hell und zart die bleichen Berge.

Diethelm Josephus hatte sich in seinem Feldstuhl zurückgelehnt und ließ Rücken und Kopf an einem breitstämmigen Eichbaum ruhen, dem Wahrzeichen der aussichtberühmten Gegend, vor dem er sein Malgestell errichtet hatte. Müßig staunte er in die weite Herrlichkeit, die sein Kunstkönnen nicht zu erfassen vermochte, weil er sich das Vorbild zu groß ausgewählt hatte. Er hörte hinter sich auf dem Feldweg am Waldsaum Stimmen und Schritte und auch etwas wie mühsames Atmen, achtete aber 54 []zunächst nicht darauf. Dann knisterte ein gefallenes Zweiglein hinter ihm, und sich umwendend sah er ein Mägdelein ein Bauernkind mit weitoffenen Augen im braungebrannten Gesicht sein angefangenes Werk begucken.

Das Mädchen fuhr zusammen. „Grüß dich Gott,Meitlil“ beruhigte er. „Darfst schon zusehen!“ Zugleich sah er auf dem Marchstein, der hinten groß und wuchtig die Grenzen zweier Gemeinden trennte,eine alte Frau sitzen, neben sich einen hohen Tragkorb und zwei Harken und ihm kam die Erinnerung, wie einst der Sepp mit solchem Geschirr die großen Schollen auf dem Fruchtacker als Türkenköpfe zerschlagen hatte, frisch und fröhlich ... Ein zerschlagenes Menschenbild saß die Frau da; die Arme auf den Knien und die vorgestreckten Hände halb gefaltet, so, daß ihm schien, diese abgerackerten Finger mit den schwarzen Rissen darin könnten sich mehr nicht zusammenkrümmen. Aus dem leicht vorgeneigten Kopf starrten körperlich beängstigte Augen, der Mund stand halb offen, und der Atem ging schwer. Sie schien den sitzenden Mann nicht zu beachten.

Auch das Kind wollte sich wegwenden. Doch ward es bald aus Neugier zutraulich.

„Darfst schon zuschauen! Ich tu dir nichts“,wiederholte Diethelm Josephus; er griff wieder zum Pinsel und setzte hier ein Lichtlein und dort einen Schatten auf, ohne daß ihm sein Werk besser gefallen hätte.Wehrlin, Zur Scholle.

55 []„Macht man so die Bilder?“ Mit altkluger,nachdenklicher Miene einer Zwölfjährigen, die selber sinnen will, sah sie zu. „Sind das hier die Berge?“ Sie deutete auf die Leinwand und sah dann drüber weg in die Ferne.

Jetzt war der Mann unsicher. „Weißt, sie werden dann noch deutlicher ...“

Auch das Mädchen schwieg einige Augenblicke.Dann fragte es: „Warum malt Ihr denn das ab?“

„Weil's mir Freude macht, und weil es eine schöne Arbeit ist!“

Unsicher wich Diethelm Josephus der Frage aus; er legte sein Malgerät weg und wandte sich zu dem Kind. „Nun sag du mir, woher du kommst und was du treibst?“

Wichtig gab das Kind die Antwort: „Geschafft hab ich den ganzen Tag; frühe Erdäpfel haben wir geholt, und jetzt gehen wir heim; wir müssen die Kühe melken, die Großmutter und ich! Weil sonst niemand da ist dafür.“

„So, so“, forschte der Frager. „Ihr seid allein zu Hause, du und die Großmutter?“

„Woher! Der Große, der Jakob, ist noch da, aber der ist heut mit dem Rind zu Markt gefahren wenn er's nur recht macht dort, sagt die Großmutter; er sei doch noch zu jung für dergleichen Handel; er wurde erst vorletzte Ostern konfirmiert! Und dann ist noch der Heiri; aber der ist ein Jahr jünger als ich und hütet ...“

„Und die Mutter und der Vater?“56 []„Die Mutter kommt übernächste Woche wieder;sie ist in der Stadt im Spital. Sie habe sich übertan bei der Ernte, sagt die Großmutter; Garbenbinden sei Mannsarbeit, meint sie. Jetzt müssen wir halt mehr schaffen, weil der Vater im Dienst ist an der Grenze; aber die Großmutter kann fast nicht; es fehlt ihr auf der Brust, sagt sie ...“ So kramte das Kind geschwätzig aus und tat wichtig dabei. „Aber jetzt kommt dann der Vater wieder heim. Er ist im Krieg, nur an der Grenze, und das geht nun schon lange, darum haben wir dem General geschrieben, wir können's nicht mehr machen, er soll ihn heimlassen; er hat hier Nötigeres zu schaffen.“

Wie eine Wiederholung des letzten klang von oben am Waldrand, wo die alte Frau gesessen,ein Ruf zum Mädchen. Hager und knochig stand das Weib da, ein Büschel grauer Haare klebte ihr über der Stirn, wie einem Weidenbaum am Strom etwa vom Hochwasser angeschwemmte Heubüschel anhängen, wenn er sich aus der gelben Flut wieder aufstreckt.

Die alte Bäuerin hatte ihre Hutte schon auf dem Rücken. „Schwatz nicht so viel, Meitli. Komm,wir müssen gehen; wir haben Gescheiteres zu tun,als mit Stadtherren zu schwatzen. In dieser bösen Zeit!“Und sie gingen! Das Kind mit fröhlichem Gruß,die Alte, indem sie auf ein „Behüt Euch Gott,Fraul!“ ein nicht verständliches Widerwort ächzte.5*

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„Wir haben Gescheiteres zu tun!“ — hörte Diet⸗

„Wir haben Gescheiteres zu tun!“ hörte Diethelm Josephus Fenner daraus klingen.

Er packte seine Sachen zusammen; für seine Malerei hatte er kaum mehr einen prüfenden Blick.

Daß er nichts Gescheiteres zu tun hatte, das war es, was ihn innerlich beklemmte und niederdrückte.

Eine Begegnung mit Betrachtungen und Folgen.Nichts Gescheites schaffen in dieser bösen Zeit?!Dem Diethelm Josephus Fenner ward sein Malzeug an der Hand schwer, als er heimwärts wanderte. Auch er traf wenig fröhliche Gesichter unter den Frauen und alten Männern und Knaben, die ihm begegneten. Er meinte, aus allen spräche ein

Mißtrauen gegen den feiernden Städter, während sie arbeitsmüde einherschritten.

Er aber beneidete sie um des Kotes der Erde willen, der an ihren Händen und Kleidern klebte und von ihrer Mühe zeugte, dieser Mutter Erde Brot und Nahrung für Mensch und Vieh und Sicherheit des Bestandes eines ganzen Volkes abzuringen. Der Wanderer senkte die Augen, wenn er an ihnen vorüberschritt. Sein Gruß, den er nach ländlicher Sitte einem jeden bot, klang ihm als eine Entschuldigung und Abbitte für Versäumtes.Als ob er fliehe, holte er mit weiten Schritten aus;nur wo der Weg abseits der Dörfer in stillen Feld68 []und Waldwegen ging, verzögerte sich sein Schritt.Und als er im hohen Walde an einer weiten Kehre des absteigenden Sträßleins sich ganz allein fühlte,hielt er an. Längs der Straße waren einige Baumstämme gelagert, bereit zum weggeführt werden,aber niemand schien dazu Zeit gehabt zu haben.Da saß er nieder und sann vor sich hin, wie einer,der etwas ändern möchte an seinem Leben ...

Eine weite Sehnsucht spürte er, wie Heimweh nach einem fernen, stillen Land . .. Den Weg aus dieser Sehnsucht aber erkannte er nicht.

Nahende Schritte ließen ihn aufsehen. Ein Mann, ein Bauer, dem Aussehen nach, kam die Straße herunter mit schweren, schlürfenden Tritten,den gedrungenen Körper im Aufsetzen der Füße wiegend, daß der knochige, gebeugt getragene Rundkopf im Takt des Schreitens nickte. Jetzt hob der Mann die Stirne; mit tastenden Blicken sah er den Sitzenden aus hellen Aeuglein an. Am Blick erkannte ihn Diethelm Josephus.

Im Sicherheben rief er den Mann an: Seppl“

Der vertraute Anruf überraschte den Mann.Er musterte den Rufenden, indem er zögernd zum Hut reckte und ein „Grüßgott wohl“ zurückgab. Er stand nicht still, sondern verzögerte nur den Schritt.Diethelm Josephus schloß sich seinem Schreiten an.Abweisendes, fremdes Wesen lag über der Haltung des andern, so daß er wie entschuldigend begann:

„Ich bin der Dieter Fenner wißt Ihr, der Stadtbub, der damals auf den Sennhof kam, als 59 []mein alter Vetter noch lebte ... wir haben zusammen die Bäumchen gepflanzt im Krautgarten vor dem Haus!“

„Ja, ja, doch das ist lange her und es ist vieles anders geworden im Sennhofl“

„Anders geworden?! Das glaub ich. Das Röslein wird eine stattliche Frau geworden sein ist sie weithin verzogen? !“

Unlustig, mit einem schrägen Seitenblick kam die Antwort:

„Die Jungfer ist noch auf dem Hof, stattlich geworden, freilich, das ist sie; sie hat's jetzt auch nötig,daß sie es zu schaffen vermag, in diesen schweren Zeiten!“ Es schien etwas wie Anteilnahme aus der Stimme zu klingen, doch ging sie wieder in den Ton kurzer Verschlossenheit über, als der Stadtherr weiter forschte:.

„Und der Vetter Fenner? Jung ist er auch nicht mehr er lebt doch noch?!“

Zuerst überhörte der Mann im braunen Kittel das Wort, und auf die Wiederholung der Frage antwortete er abweisend:

„Freilich ist er noch auf dem Hof. Doch gehen wir uns aus dem Weg; ich selber bin anderswo im Dienst! Wir sind wüst auseinandergekommen“,platzte der Sepp dann heraus, als wolle er dem Fragen ein Ende machen, „ganz wüst, damals, als es brannte im Sennhof ... daß Ihr's doch hört.wenn Ihr's nicht schon wißt ...“

Beim Sprechen wandte der Sepp den Kopf dem /9 []neben ihm Gehenden voll zu, erschreckt halb und halb forschend, mit einem scharfen Blick.

Wortlos schritten beide ein Weilchen nebeneinander. Dem Diethelm Josephus kam die Erinnerung an jene Zeitungsmeldung, die ihm seine alte Base giftig argwöhnisch vorgelesen hatte. Nicht mehr in allem war ihm gegenwärtig, was geschehen war, doch schien ihm, daß hinter dieser verschlossenen Einsilbigkeit das Schicksal eines Menschen sich verhülle. Wie eine schwere Arbeit nahm der Mann sein Gehen im gleichmäßigen langen Schritt; die Augen starrten auf die Straße nieder und die dünnen Lippen kniffen sich zusammen; ein abgearbeiteter und abgesorgter Mann, der sein Sluck Erlebnis schwer mit sich trug einer, der den Menschen gerne aus dem Weg geht, weil er wenig Gutes von ihnen erfahren hat.

So schritten sie schweigend fürbaß.

Nach einer Weile aber nahm der Sepp selber das Gespräch wieder auf. Er hielt plötzlich an und stellte auch den Gefährten, indem er ihn rasch anredete: „ßerr Fenner Euch muß ich's sagen.weil es gerade heute ist: Ich bin es nicht gewesen,der das Feuer legte, damals ob sie's auch alle glaubten im Dorf! Zum Trotz bin ich darum in der Nähe geblieben. Ich ginge auch heute nicht fort, wenn ich nicht müßte bis ich sagen darf, wer es war Wie ich heute weggehen muß, freilich, da kann mir keiner sagen, ich tät's aus schlechtem Gewissen: ich bin einberufen!“2 []Das war nun wieder der alte Sepp, wie er zum Weggenossen aufsah, mit seinem runden Schwabengesicht und den hellen Augen darin, die grundehrlich um die Wohltat des Vertrauens baten.

Nicht einen Augenblick zögerte der andere.

„Sepp, ich glaube Euch aufs Wort, daß Ihr nichts Uebles getan habt aufs Wort! sagen wir uns deshalb ordentlich Grüß Gott! Wie es alten Bekannten ziemt, wenn sie sich seit Jahren nimmer sahen!“

Er hielt die Hand hin, und der Sepp begriff,wie das mit der Hand gemeint war; er drückte sie kräftig. Dann schritten sie schweigend weiter, bis sie aus dem Wald hinauskamen, wo unter ihnen im Tal das gewerbsame Städtlein lag, in dem Diethelm Josephs Haus stand.

„Ihr könnt bei mir übernachten, Seppl“ sagte er. „Platz hab' ich genug im Hause, und es freut mich, einen Schwatz zu tun aus alten Zeiten.Nach Hause zurück, das könnt Ihr heut nimmer!...Ihr könnt's ruhig annehmen, Sepp, aus alter Freundschaft!“

Darauf ging der Sepp nun nicht ein; des folgenden Morgens um acht Uhr müsse er beim Konsulat seines Landes in der Hauptstadt sein, und zeitig wolle er sich stellen; denn ihm sei's Ernst damit. Doch hätte es ihn gefreut, den alten Bekannten zu treffen. Dagegen nahm er es an, daß sie zusammen am Bahnhof XRVV tranken und versprach auch, am folgenden Abend 72 []vorzusprechen, wenn er Zeit hätte dazu vor der Abreise in die alte Heimat, in den Krieg.Schon am frühen Nachmittag des andern Tages stand er vor Diethelm Josephus: „In etwa vier Wochen wird's Ernst gelten, Herr Fenner!“sagte er fast fröhlich, wie einer, der nun den Weg weiß, der weiter vorwärts führt. Er war zutraulicher denn am Vorabend; er nahm es auch an,daß ihm die Reste des Mittagsmahls vorgesetzt wurden und ließ sich's wohl schmecken. Doch als DDDV wollte, zog er es mit der linken Hand an sich und hielt die breite Rechte darauf. „Ich danke, Herr,ich hab' genugl!“

Diethelm Josephus wußte, wie sich Leute dieser Art etwa gerne nötigen lassen, weil das ihnen

Entschieden wehrte der Sepp ab. „Keinen Schluck mehr, Herr! Im Ernst! Der Wein ist gut und stark; er möchte mich übernehmen“, sagte er mit dem ernsthaften Nachdruck eines bestandenen Mannes. Dann schien er zu sinnen und schwieg,während er vorher gemächlich erzählt hatte, wie die Förmlichkeiten seiner Gestellung auf der Konsulatskanzlei vor sich gegangen seien.

Sein Gegenüber störte ihn nicht; ihm schien natürlich, daß solche Wendung des Schicksals nachdenklich machte.

Der Sepp aber sann anderes. Ohne den Kopf zu heben, begann er und knüpfte an sein letztes

73 []Wort an: „Einmal hat mich der Wein übernommen. Das war mein Unglückstag, und das müßt Ihr hören, Herr.“ Jetzt glühte verhaltenes Feuer in stechenden Blicken der hellen Augen. „Ich weiß ja nicht, ob ich es später noch sagen könnte:Das war an dem Tage, da die alte Scheune im Sennhof brannte. Da hab' ich im Rausch Dummheiten geschwatzt und vielleicht auch dumm gehandelt, und das hätte mich beim Haar ins Zuchthaus gebracht. Den guten Ruf jedenfalls hat's mir genommen! ... Doch daß ich's von Anfang erzähle:

Wie einen Hund hat mich damals der Meister,Euer Vetter. behandelt. Er wußte, daß er's wohl konnte. Fortgelaufen wäre ich nie und nimmer damals ... Warum, das hat nichts zu sagen, doch wußte er es wohl ... Und an jenem Tag trieb er den Hohn gar arg! ... Im Aerger bin ich damals ins Wirtshaus gegangen, und in den Aerger hinein hab' ich getrunken. Das gab einen bösen Rausch. Und später kam der Meister, auch er trank schlimmen Wein. Dann kam es zum Sticheln; wir Burschen am einen Tisch, die Bauern am andern. Er rief zuerst ein Scheltwort zu mir herüber; ich gab's bitter zurück, und die andern schoben Scheiter in die Hitze, bis Feuer im Dach war. Lumpenpack! hat der Meister uns Bursche geheißen, als er ging ... Die andern hetzten: Dem mußt du's geben ein Schuft ist, wer sich das sagen läßt ... Da bin ich ihm nachgegangen, aber 74 []ich habe ihm nichts angetan, auch seinem Gut nicht;ich konnte doch nicht. Aber vor den andern wollte ich nicht so scheinen; ich schlich um den Hof; ich sah auch jemanden mit Licht im alten Stall hantieren.Morgen will ich's ihm sagen, hab' ich mir ausgedacht. Aber vor den Kumpanen prahlte ich:Dem hab' ich's gesteckt! hab' ich gesagt, und ihr werdet erfahren, wie. Da ging auch schon das Feuerhorn ...

So gerannt, wie damals, bin ich noch nie. Ich bin noch zum Flöchnen gekommen. Die Kühe im alten Stall hab' ich noch losgebunden, als es bereits brannte über ihnen Dann hat mich der Landjäger mitgenommen, und im Gericht wollten alle wissen, daß ich das Haus angezündet hätte . . . Da ist mir freilich die trunkene Schwätzerei vergangen. Acht Wochen haben sie mich behalten, und alle drei Tage fragten sie mich kreuz und quer. Hätt' ich's getan, sie hätten es herausgebracht.“

„Ihr seid mit Verdacht entlassen“, sagte man mir Der Sepp war ordentlich beredt geworden;leidenschaftlich klagte er nun:

„Wißt Ihr, was das heißt: „Mit Verdacht entlassen“? Ich hab's erfahren. Ich bin vom Gefängnis zurück in den Sennhof gegangen; meine Sachen wollte ich holen. Die Meisterin am Brunnen bekam zornrote Backen:

„Eure Kisten sind beim Amt, geht mir nicht 75 []ins Hausl“ sagte sie und rief den neuen Knecht:„Daß Ihr mir den Mann nicht über die Schwelle laßt!“ Der aber stand breit da und erfaßte eine Peitsche.

Auf der Straße wichen mir die Bursche aus.Hungrig kaufte ich im Wirtshaus eine Wurst; da erkannte mich der Mann am gleichen Tische und setzte sich weg von mir. Einen Karren, mein altes Trögli*) zur Bahn zu führen, konnte ich mir nicht erborgen; ich trug's auf meinem Rücken, bis ein Fuhrmann auf der Straße mich auflud, mitsamt dem Trögli ...

Wie ein räudiger fremder Hund war ich verjagt. Ich aber habe das Feuer nicht gelegt;beim himmlischen Gott, ich habe es nicht getan.“

Die Brauen zusammengezogen, den Mund verbissen, seufzte der Knecht und starrte auf die gefalteten Hände.

Den Zuhörer kam die freundliche Lust an, zu trösten.

„Sepp,“ sagte er, „glauben wirklich alle so schlecht von Euch?“ Dieser besann sich. „Nein,heute wohl manche nicht mehr. Einige haben es nie getanl“

„Einige, sagt Ihr, Sepp! Bei dergleichen kommt es nicht auf die Zahl an; da wiegt einer allein mehr als ein Tausend; einer kann den Ausschlag geben. ob man noch mag aufrecht stehen oder

*) Truhe, Koffer.76 []nicht. Glaubte der Meister daran, daß Ihr's gewesen seid? Man möchte es meinen, da er Euch doch fortschickte .. .2 Der Gefragte saß gradauf und war nun leichenblaß. „Nein, gerade der muß wissen, daß ich's nicht war, ... er hat auch nicht gegen mich ausgesagt, so gram er mir war in jener Zeit und mir aus dem Wege gingl“„Und das Röslein, meine Base?“Der Sepp sah vor sich hin und biß auf die Lippen.Nun, ich bin der Dritte, der darüber wegging und doch hatte ich davon gehört. Also! Donnerwetter, Sepp!“ war des Stadtherrn Rede ...„Dann schreibt man die Sache ab, wie's ein Kaufmann macht. Frei und ledig seid Ihr, mit gesunden Armen und gesundem Sinn sonst kämt Ihr heut' nicht zu den Soldaten! Sepp, ich rat Euch gut. Zum zweiten Mal rührt Ihr mir die Brandgeschichte auf. Vergeßt sie. Abgetan ist fertigl! Ihr habt mich einst gelehrt, wie man die Sense in die Hand nimmt; ich will's Euch sagen,wie man das Leben meistert: Wenn eine schlimme Zeit darüber geht ... da sagt man nachher: Abgetan fertig! So macht man's Die ganze Welt stand Euch offen ... Fort hättet Ihr gehen müssen, hinaus in diese weite Welt.“Herr Diethelm Josephus Fenner freute sich selber seines mannhaften Wortes; aber der andere schüttelte nachdenklich das breite Haupt.127 []„Ihr habt gut reden: Abgetan fertig! Die ganze Welt ist offen ... Für Euch?! Für unsereinen nicht. Ich bin kein Bauer, nur ein Bauernknecht, aber wenn man ein dutzendmal beim Pflügen am selben Platz den Kuckuck hat rufen hören, so will man den Ruf nicht missen. Wohin soll ich gehen?! Nach Haus zu meinen Leuten,als hätt' ich ein schlecht Gewissen nie und nimmerl Uebers Meer, wo mich niemand versteht? Seht, Herr Dieter, ich habe mir alles überlegt;ich hatte auch wochenlang Zeit dazu; grad da, wo ich vorher war, da wollt' ich wieder sein, daß ich den Leuten zeige, der Mann ist sauber überm Nierenstück. Drum bin ich bis heute in der Gegend geblieben. Einen harten Schwabenschädel hätte ich, so sagte der Gefängnispfarrer, doch hat er mir mein Plätzchen vermittelt eine halbe Stunde vom Sennhof um einen Gotteslohn hab'ich gedient, bis der neue Meister ausgehustet hat.Jetzt aber sagt die Frau: der Sepp Stegmaier ist doch ein Wackerer! Und ihre Buben und Mädchen mögen mich leiden. Und so, wie ich jetzt weggehe,kann mir keiner was nachreden . .. Drum gehe ich auch ganz gern in den Krieg und wenn sie mich totschießen. Ich will ihnen zeigen, der Sepp Stegmaier ist kein Drückeberger und kein Ofenhocker. Es hat deren genug, auch hierzuland!“Das letzte hätte Herr D. J. Fenner lieber nicht gehört. Einen Augenblick überkam ihn der Aberwillen, wozu sich von diesem fremden Bauernknecht78 []lein dummes Zeug vorschwatzen zu lassen! Er setzte eine kühle Miene auf.

Da begann der andere wieder: „Ihr müßt mich schon recht verstehen. Es wird überall gleich sein;es gibt solche, die jammern, und solche, die sich zu Tode schinden, ich aber meine, dann will ich noch lieber zu den letzten gehören. Das ist doch der Platz der Mannen. Aber daß es die Weiber tun müssen, das macht mich wild‘“ und nun hatte der Sepp auf ein paar Sätze ein Mundwerk voll innern Zorns, als liefe es am Wasser. „Mich dauert meine Meistersfrau, wenn sie allein ist.Herr ... Ihr wißt nicht, wie es steht da draußen im Bauernland. Derweil Ihr in der Stadt große Worte macht und dabei doch jammert über die Not der Zeiten und über den Arbeitsmangel, werden wir schier erwürgt von der Arbeit; keiner der Stadtleute aber kam, darum anzufragen, wie auszuhelfen sei. Sise jammern, es käme Brotnot, und die Behörden schreiben vor, wie mit der Frucht beim Müller hauszuhalten seil Wenn wir das Korn nur unter Dach und Fach brächten, darum sorgten wir ... und die Weiber und Kinder übertun sich im Werk, und mehr als eine hat ihr Bresten vom Uebertun... Hol's der Teufel! Mir ist's ganz recht, wenn ich in den Kriegsrock gesteckt werde. Die Welt ist ohnehin aus den Fugen...“

Dem Sepp mußte der Wein zu Kopf gestiegen sein. Mit aufbegehrerischer Miene sah er herüber. Diethelm Josephus Fenner aber hielt immer

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noch still an sich. In Rückkehr der Gedanken zu

noch still an sich. In Rückkehr der Gedanken zu einem Erlebnis des Vortags, als ob er sein eigenes Gewissen erforschte, sagte er dann vor sich hin: „Ja,ja, die Bauern haben's wohl schwer in diesen Tagen. Auch die auf dem Sennhof, denke ich mir ...und wir haben große Worte!“

Es huschte etwas wie ein werdender Entschluß über das sich rötende Gesicht. Dann hob er die Augen; sie funkelten: „Ueber Nacht seid Ihr mein Gast, Sepp. Und morgen komm ich mit Euch aufs Bauernland so zeitig, daß Ihr nichts versäumt. Und was ich will, dazu verhelft Ihr mir! Die Hand darauf!“

Der Sepp verstand nicht ganz, doch sagte er nicht nein.

Als er am andern Morgen in aller Herrgottsfrühe erwachte, dachte er, daß der Dieter doch ein rechter, wackerer Herr sei und rechnete es ihm hoch an, daß er ihn nicht vergessen hätte. Da klopfte es schon an der Türe, und auf sein Hallo stand Herr Diethelm Josephus Fenner vor ihm, fix und fertig.

Zur Scholle der Väter!Vor dem Haus stand ein Landwagen, so wie ihn Gewerbsleute von der Zunft der Fleischer brauchen, wenn sie zum Vieheinkauf über Land 50 5 []fahren; vorn der Sitz des Führers, daneben ein zweiter, dahinter zwei kurze Bänke und ein bißchen Raum dazwischen, damit man nötigenfalls einen Gast zum Mitfahren einladen oder auch eine kleine Last bergen kann.

Der Sepp kannte wohl den vollblütigen Fuchsen im Geschirr, der mit dem kurz gestutzten Schweif die Flanken peitschte und den Kopf schüttelte überm Warten auch der Meister Friedrich hoch auf dem Bock kannte den Sepp, wie er ihm lustig vertraut zublinzelte aus grauen Augen; vor dem Mann hatte jeder Bauernbursche dreißig Stunden rundum Respekt.„Guten Tag, Seppl“ rief er den Herbeitretenden an, „heut kannst du nochmal in der Schweiz reiten“,lachte er vom Bock herunter.

Derweil kam auch die alte Magd des Herrn Fenner und schleppte einen Rucksack. Diethelm Josephus selber trug ein Reiseköfferlein in der Hand. „Das andere schickt Ihr mir nach, Marie,wenn ich's berichte und haltet mir zum Hause Sorgel“ sagte er, während sie die Sachen im hintern Geviert des Rennwägeleins verstauten, wo auch der Sepp nach Weisung seinen Platz nahm. Die Magd hatte rote Augen und einen unguten Blick auf den Meister und den Sepp. Das Leitseil führte Herr Diethelm Josephus, als sie fortfuhren in den DV0 Freude machen, und Sie kommen in Uebungl“ hatte Meister Friedrich listig blinzelnd gesagt. Ver

Wehrlin, Zur Scholle. 6

81 []gnüglich kaute er an einem Zweiglein, das er beim Ausfahren abgezupft hatte, als sie sich unterm Holderbusch im Garten bücken mußten; von einer Ecke des Mundes schob er das grüne Büschlein in die andere; bald lachte er innerlich und dann kniff er wieder die Brauen zusammen; er geschäftete für sich zum voraus den ganzen kommenden Tag ab.Diethelm Josephus aber strebte mit dem eilenden Roß vorwärts; er freute sich, wie die flinken Beine so regelmäßig ausholten und die Flanken des Fuchses sich im trabenden Reigen hoben und senkten. Grad aufrecht trug der Fahrer den Kopf; die Augen schweiften über die Felder, Wiesen und Wälder zur Seite, als wäre es erobertes Land, und wenn er einem Begegnenden den landesüblichen Gruß nickend zurückgab, lachte er.

Es ging schon ans Zunachten, als am Abend ein Wanderer, das Ränzel auf dem Rücken, dem Sennhof zuschritt und sich auf der weiten Hofstatt umsah. Es war Herr Diethelm Josephus Fenner,der sie seit dem Begräbnistag des alten Vetters nicht mehr betreten hatte. Aufmerksam achtete er der Eindrücke. War ihm bei seiner ersten Heimkehr aus längerer Zeit der Fremde sein Heimatstädtchen beengend zierlich erschienen, so erweckte diese bäuerliche Heimstatt den Eindruck des Gedrückten und Verwahrlosten. Niedrig schienen die Häuser zu sein, schwarz und unansehnlich am Holz und grau im Gemäuer und Verputz; die Erinne

2 32 []rung hatte alles stattlicher bewahrt. Und das grelle Rot des Daches einer neuen Scheune hinter den alten Gebäuden, und ihre hellgelben Bachksteinmauern hoben diesen Eindruck des Alten noch hervor. Nur der Brunnen auf der Hofreite vor dem Haus plätscherte sein altgemütliches Lied, und der Nußbaum war ein mächtiges Schutzdach geworden über diesem stillen Platz.

Am Brunnen machte sich eine großgewachsene Frau mit gelbem Holzgeschirr und runden eisernen Milchkesseln zu schaffen. Diethelm Josephus grüßte und blieb stehen. Jetzt sah sie von der Arbeit auf,und die Züge nahmen für den Mann bekannten Schnitt an; das Röslein von einst war eine straffe,bestandene Jungfrau geworden. Das runde Gesicht des Kindes hatte sich gestreckt, und ein willensstarker Zug strebte um den Mund. Gerade und kühn geschnitten das körperliche Erbteil seines Geschlechts saß die Nase zwischen den Augen und gab dem braunen Gesicht den Ausdruck sicherer Ruhe. Um ein weniges färbte sich das zart gezeichnete Adergeäst rosig, als sie mit ruhigem Blick ihn ansah.

Die Base reichte ihm die Hand, als wäre es selbstverständlich, daß er vor ihr stehe: „Willkommen, Vetter Dieter! Das ist schön von dir, daß du dich einmal bei uns blicken läßt!“

Ruhig vollendete sie ihr Geschäft. Knapp und klar ging dabei das gebräuchliche Gespräch des sich Wiederbegegnens lebensstarker Menschen, von denen jeder den andern in erträglichen Verhält3*

23 35 []nissen weiß, die Frage und Antwort nach dem „Wie geht's“ und dem „Woher“!

Erst als die Kessel sauber und glänzend in Reih und Glied am Rande des Brunnens standen, lud Rose den Vetter ein, ins Haus zu treten. „Wir wollen dem Vater guten Abend sagen', sagte sie.„Er hat heut seinen ordentlichen Tag du hättest es auch schlechter treffen können ... Er freut sich auch, daß du herkommst ...!“

Dem Vetter Dieter war, als mache er ein dummes Gesicht, als er auf diese letzte Rede stehen blieb.Langsam glitten ihm die Riemen seines Rucksacks,den er nun an der Hand trug, durch die Finger, so daß die Last vor die Türschwelle fiel. Einen Augenblick waren die Augen seines Gegenspiels im Gespräche trüb, als die Base flüsterte: „Das vom Vater später, weil du wohl nicht weißt, wie elend er manchmal daran ist ...“ Dann aber lachte der Schalk des alten Rösleingesichtes: „Aber daß du heute kommen würdest, weiß ich seit einer Stunde!“

Sie hatte die Tür geöffnet, die ins Haus führte;während er voranging, griff sie rasch ins Gitter des Fensters, das dem breiten Gang Licht gab. „Schau hier, das hat dir die Post gebracht.“ Sie hielt ihm umadressierte Zeitungen und Briefsachen vor. ‚'s ist nur, damit der Herr aus der Stadt nicht glaubt, wir Bauern seien gar zu töricht daraus habe ich geschlossen, daß wir Besuch erwarten dürfen ...“

Mit einem Spitzbubenlachen sah sie ihn an,

44 []und Diethelm Josephus dachte bei sich, vor diesem Weibsbild, seiner Base, müsse man sich wohl in acht nehmen... Doch im Husch war die Fröhlichkeit verflogen.

Rose hatte die Stubentüre geöffnet. Dieter hörte entgegenkommende Schritte, halb schlürfend,halb stampfend. Am äußersten Rand des Längstisches vor der Fensterreihe zur einen Seite des Raumes stand sein Vetter Heinrich Fenner. Eben zog er im letzten Ausschreiten einen verkrümmten Fuß nach; er stützte sich dabei mit der rechten Hand schwer auf die Tischplatte; die linke hielt einen Stock. Sie hob er grüßend und ließ sich einen freundlichen Druck wohlgefallen. „Ich bin ein alter,elender Mann geworden“, sagte er dann, während die Tochter ihn auf die Ruhbank an der Wand zu Häupten des Tisches geleitete.

Der Mann hätte recht: Verbogen war die knochige Gestalt; die Augen starrten aus schmerzerfüllten Höhlen; wie Ackerfurchen zogen sich Runzeln quer über die Stirne und schräg durch die Wangen. Er seufzte: „Gebrochene Beine und die Gliedersucht in allen Knochen ... Ein Bauer sollte sich hängen, der diese beiden Flüche hat wenn er die Kurasche hätte zum sich hängen ...“

Dem Dieter schoß durch den Kopf: „Wer gleichmütig davon spricht, tut nichts dergleichen!“ als wäre schon die Besonnenheit des Denkens einer Bauernstube über ihn gekommen. Diese Stube war gleich geblieben, wie er sie im Gedächtnis hatte:55 []Die lange Fensterreihe mit den nickenden Geranien,Nägelein und Fuchsien davor ließen ein mildes Abendlicht hinein und boten Ausblick auf den Bäuerinnen-Stolz eines wohlgepflegten Gemüsegartens, dem zuvorderst einige Blumenbeete bescheidenen Schmuck gaben. In der Stube selbst:warmes, braunes Getäfer, der grüne, ernste Ofen mit den weißen getäfelten Vorhängen darüber, die alten Bilder an der Wand alles war wie einst.Nichts erstrebte oder zeigte rasche Veränderung.Einzig, daß statt der Petrollampe nun am dünnen Draht in wohlverpackter Abziehschnur mit gelben Gelenken eine grün umsäumte elektrische Lampe über dem obern Ende des Tisches hing.

Das alles beachtete Dieter nicht ohne ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem, was er vorfand, und indem er einige Worte des Trostes zu dem Klagenden sprach.

Der Bauer fing den Blick Dieters auf, wie er an der neuen Lichteinrichtung entlang strich: „Ja,das Elektrische haben wir nun auch in der Gemeinde. Man hat es uns aufgeschwatzt fürs Licht und fürs Gewerbe; weil es der Staat einrichte,werde es billig sein. Teufelsdreck auch, dreimal teurer ist's als vorher ... aber bequemer ist die Baurerei mit den Maschinen.“ Er schalt und rühmte sein Besitztum durcheinander. „Wie wollte man's auch sonst machen in diesen Zeiten, wo die Knechte fehlen oder Lumpen sind, und alles der Stadt zuläuft, was gerade Knochen hat, oder in den Krieg!

36 [] Vetter, rat mal, wer bei uns mit der Mähmaschine gefahren ist im letzten Emdet und bei der Ernte?!“

Der Vetter Dieter sah eben der Base zu, wie sie ihm einen bauchigen Krug Apfelsaft und Brot auftischte; er lachte: „Das Röslein wird's gewesen sein ...?“„Beim Strahl du hast's erraten!“ Der halb verkrüppelte Bauer schlug mit beiden gesunden Händen flach auf den Tisch. „Ja, ja, so weit ist's bei uns auf dem Bauernland gekommen und bei mir im Hof, daß die Weibsbilder zu Acker fahren müssen ...!“ Die knochigen Finger krallten sich zusammen; aus bösen Augen sprach hilflose Verdrossenheit ...

Dieter sah die rasche Verwandlung im Ausdruck und sah einen erschrockenen Widerschein auf den Zügen der Base; jetzt grub sich ein Zug schweren Erlebens härter ein zwischen Mund und Wangen;in den Augen flackerte unsicheres Licht, und die Hand zitterte leicht, als sie auf dem Ofenfortsatz,da, wo er auch im Sommer vom Herd der Küche her Wärme empfing, eine geblümte Tasse holte,daraus ein brauner Tee starken Duft verbreitete ...Das Getränk setzte sie dem Vater hin; er aber stieß es zurück: „Fort mit dem Weibergesüff! ... Laß mich in Ruh!“ Jäh wollte er sich erheben, sank aber auf den Sitz zurück ...

Verlegen war die Base einen Schritt zurückgetreten. Diethelm Josephus aber tat, als wäre 87 []er bei sich zu Hause. Zwei Gläser schenkte er ein des gelbgrünlich schillernden, leicht schäumenden Mostes und schob eines vor den Erregten hin:„Vetter, anstoßen wollen wir so. Das Röslein wird auch nichts dagegen haben. Trinkt herzhaft einen Schluck; es wird nichts schaden. In der Stadt rühmt man den Most als Mittel gegen Gicht und Gliedersucht! Zum Wohlsein, Vetter!“

Er lachte fröhlich, indem er mit seinem Glas das des ältern Mannes berührte. So aufrichtig lachte er, daß der andere Aerger und Zorn vergaß. Mit einem langen Schluck tat er Bescheid. Man sah ihm an, wie wohl ihm der herb säuerliche Trank schmeckte.

Die Tochter wollte wehren: „Der Doktor hat's ihm verboten, Vetter ...“

„Der Doktor ist ein Kalb!“ sagte der Bauer und trank noch einen Schluck. Und der Vetter Dieter verzog dazu keine Miene; ungebeten schnitt er sich ein Stück Brot ab vom großen Laibe, den ihm das Röslein vorgesetzt hatte, und schob sich Stück um Stück in den Mund.

Da warf die Jungfrau den Kopf in den Nacken und ging hinaus, und der Vetter Dieter lächelte vor sich hin, als hätte er gut Wetter gemacht. Und wirklich fand der Bauer die gute Laune eines sonst ärgerlichen Kranken wieder, dem man unversehens etwas zuliebe getan hat.

Er begann zu sprächeln und zu fragen, dies und jenes über des Vetters Erlebnisse und Ver88 []hältnisse und von den allgemeinen großen Dingen der Zeit, weil der Städter von ihnen wohl mehr verstehen und wissen mochte. Auch das alte „Du“der verwandtschaftlichen Anrede fand und erheischte er. So redeten sie, bis dann der Diethelm Josephus auf sein Ziel lossteuerte. Mit einem Ruck richtete er sich auf:

„Vetter, ich hab' ein Anliegen an dich“ er sah dem Genossen seiner Sippe gerade ins Gesicht „daß ich nicht von ungefähr hieherkam, wirst du gedacht haben ...“

Davon ließ sich Heinrich Fenner nichts anmerken: „Je nun, man besucht seine Leute auch sonst, so halten's wir Bauern. Freilich, die Stadtleut, die vergessen den guten Brauch und haben ihren besondern Grund, wenn sie aufs Land fahren ... Was begehrt der Herr Vetter?!“ Ein Zittern der Augenwinkel ließ leisen Argwohn erraten. „Sind's alte Geschichten, oder neue? Für alte bin ich nicht zu haben; siebenmal aufgewärmtes Kraut ist recht für alte Weiber, die keine Zähne haben bei mir auf dem Sennhof kriegen's die Säue!“

„Aufgewärmtes ist auch nicht mein Geschmack,Vetter! Ich wüßte auch nicht, daß ich einen alten Handel mit dir auszutragen hätte! Ein Unwort hab' ich, der Diethelm Josephus, mit den FennerVettern nach meiner Wissenschaft nie gehabt; was Gestorbene redeten, habe ich nicht übernommen.. 9

Dieter hielt inne. In der niedern Bauernstube 909 J []schien ihm für andere schwer verständlich, was ihn im Grunde seiner Seele leitete: Die Anteilnahme am Bauernstand und der Wunsch, dort seinen Teil zu fronen am Gemeinwerk des bedrängten Heimatstaates, der seinen Dienst unter den Waffen verschmähte. Das verstand man in bäuerlicher Enge kaum.

Diethelm Josephus ward unsicher und redete nun selber bäurisch rückhältig: „Schau, Vetter das ist so eine besondere Sache. Ich hab' wohl mein Haus und Geschäft in der Stadt und stehe in keinen schlechten Schuhen. Auch bin ich Teilhaber in einem guten Geschäft; das heißt, vorher war es gut, vor dem Krieg. Aber jetzt baut kein Mensch;da hat ein Baumeister nichts zu tun, wenn er allein seine Rechnung führt; wir aber sind zwei im Geschäft. Müßig mein Geld aufzehren, das mag ich nicht. Auch habe ich eine alte Freude am Bauern und gehört, daß man auf dem Lande Mangel hat an Händen, die zugreifen. Mir kam die Idee, da könnte man mich brauchen. Mir scheint, gerade auf dem Sennhof könnte man einen rechten Mann wohl brauchen. Drum frag ich beim Verwandten zunächst an: Hättest du mir Arbeit über den Winter?!“

Der Sennhofbauer hatte seine magern Knochenhände kreuzweis vor sich auf dem Tisch liegen und sah aus roten Augen auf, als wittere er etwas,was nicht ganz im Reinen sei: „Bauernknechte sind rar in dieser Zeit! 's ist schon so. Aber wer es 29 []über den Sommer allein hat schaffen mögen, stellt über den Winter keinen Esser ein! Auch muß man wissen, was der Mann kann,; so hab' ichs immer gehalten ... Als Vetter, wenn du es willst, kannst du mein Gast sein, Dieter! Meinem Vater zu Ehren; er hatte den Narren an dir gefressen; kannst mein Gast sein, bis du findest, es sei genug kannst dich auch umtun und mithelfen,wo du willst und magst ...“

„So will ich aber nicht!“

Nun setzte der Dieter seinen Kopf auf. Und da ihn der andere betrachtete, wie er schweigend dasaß und an der Oberlippe kaute, kam dem Bauer der Gedanke, es sei falscher Schein, daß der Stadtvetter so fein und ordentlich umherging, und es sei heimliche, hochmütige Not, die jenen zum Angebot des Dienens zwinge.

Er lachte und lächelte nicht darüber; aber etwas wie Genugtuung über sein eigenes Wesen auf eigenem Grund und Boden zuckte über dem durchfurchten Habichtgesicht. So schwieg er und erwartete das Folgende.

„Wie wär's, wenn wir's miteinander wenigstens probierten vier Wochen Einstandszeit.“ Dem Jüngeren kam der Spruch unerfreut über die Lippen. „Was im weiteren Fug und Recht ist,besprechen wir, wenn sie vorüber sind!“

Noch zögerte der Bauer: ‚„Vettern sollen nicht bei Vettern dienen ...“

„Aber wenn ich's will!? Kannst mich als 91 []

Fremden nehmen — so als eine Art freiwilligen

Fremden nehmen so als eine Art freiwilligen Knecht!“ Nun hatte der Diethelm Josephus auch den Ausdruck gefunden für sein Wollen!

Schon überlegte der Heinrich Fenner, im Grunde wäre der Handel nicht gar dumm; den Frauen mochte es passen. Doch nur zögernd schlug er ein. als Diethelm Joseph die Hand hinhielt.

„Vier Wochen bleibe ich hier, und nachher sprechen wir wieder zusammen!“

„Aber ich bin der Meister Dieter verstehst du. Und auf dem Sennhof pariert man dem Heiri Fenner, hörst du!“

„Einverstanden!“

Diethelm Josephus machte keine Umstände. Er stand vom Tisch auf, zog seinen Rock aus; auch den Kragen löste er vom Hemd. Er schlüpfte in eine blaue Bluse, die er aus dem Rucksack nahm und war aus der Stube, ehe sich der Vetter Heinrich recht besann.

Der aber schenkte sich ein Glas Apfelwein ein und schüttelte den Kopf, etwas mußte da nicht stimmen bei dem Handel!der freiwillige Knecht.Diethelm Josephus Fenner pfiff ein Liedlein zwischen den Zähnen, als er durch die große Küche vors Haus und in Stall und Scheune ging,. wie

93 []einer, der mit sich zufrieden, für das weitere sich Zuversicht einblasen will.

Das Röslein traf er im Scheunengang. Die Base schob dem Vieh durch breite Futterlucken grünes Gras vor die Mäuler; Dieter ergriff eine Gabel und begann vom andern Ende des Ganges das nämliche zu tun. Als sie in der Mitte zusammenkamen, fragte er kurz: „Was schafft man nun?“

Sie musterte ihn und gab mit wundernder Miene zurück: „Willst du bauern?“

Freilich, wenn du nichts dagegen hast? Weil mir das so gefällt und der Vater einverstanden ist.Ist's dir nicht recht?“

Die Base antwortete nicht und ging schweigend ihrer Arbeit nach. Dieter folgte ihr: da sie nichts sagte, sah er den andern die sich folgenden Hantierungen ab. Mit dem Dienstbuben griff er zu, den Stand der Tiere von verbrauchter Streue und Unrat zu säubern. Als dann das Mädchen mit dem Melken begann, ernst und schweigsam, frauenhaft die Haare in ein braunes Tuch gewunden, da stand er neben ihr. Beim dritten Tier nahm er ihr den einbeinigen Melkstuhl mit mildem Nötigen aus der Hand: „Nun laß es mich versuchen; ich will das auch sönnen! Wenn ich's nicht recht mache, sagst du's mir!“ Er machte sich ans Werk. Sorglich strich er erst die Zitzen des Euters mit befeuchteter Hand sauber; dann stemmte er den Kopf an die Flanke der gefleckten Kuh und hatte seine helle Freude, wie unter dem weichen Druck seiner Finger der weiße 93 []Strahl paarweise in den Kessel zwischen seinen Knien schäumte, derweil ruhsam das Tier weiter an seinem Futter kaute.

Als kein Tröpflein Milch mehr floß, sah er auf:„War's recht so?“ Sie mußte es zugeben; denn der Kessel war bis zum Strich voll. Da ließ ihn das Röslein gewähren; mit Rat mehr, denn mit der Tat begleitete sie sein Tun, und gemeinsam beendeten sie die Arbeit des Abends.

Aufatmend wischte er sich den Schweiß von der Stirne, nachdem sie die runden Blechkannen vor dem Haus bereit gestellt hatten, worin der Fuhrmann die Milch abholte, damit sie noch vor Nacht zur Bahn in die Stadt kämen.

„Röslein“ erklärte erst jetzt der Dieter „ich habe mich für vier Wochen beim Vater als Knecht verdingt. Ist's dir recht so; du wirst es leichter haben ...“

Die Base sah ihn zweifelnd an:

„Wirst du es aushalten?!“

„Die Hand darauf.“ Sie sah ihm fast traurig in die Augen: „Dieter, Dieter; dir wird manches schwer fallen!“

Er zuckte die Achseln und lachte!

So ward Herr Diethelm Josephus Fenner zwischen Mittag und Sonnenuntergang zum Bauernknecht.

Etwas wie die Befriedigung eines launischen Kindes kam über ihn, als er sich am Abend in seinem Bette streckte. Es war freilich nicht das alte 94 []Himmelbett mit den aufgemalten Blumen und Kränzen; die ältere Base, die Mutter des Rösleins,hatte gemeint, so altväterisch könne der Stadtgast nicht übernachten; in ihrem besten Ausstattungsbett mußte er schlafen. Ohne viel Worte hatte sie ihm hinaufgeleuchtet und ihm in Kästen und Kommode Raum geschafft, damit er seine Sachen unterbringe.Sie war eine eingeschüchterte Frau; als vermeintlich vermögliche Bauerntochter in dieses Haus geführt, hatte sie erlebt, daß Vater und Bruder durch Unglück und Ungeschick um Haus und Habe kamen;das hatte sie innerlich erniedrigt und geduckt.Schweigend ging sie ihrem Tagwerk nach, aus Gewohnheit und dienstfertig, aber ohne Freude am Werken. Nur ihre Augen, große, runde Augen, die manchmal über einen verlorenen Gedanken wie aus einem Kindergesicht fragend in die Welt sahen,sprachen geheime Wünsche aus; wer in ihnen nicht lesen konnte, mußte die Frau für stumpf und teilnahmslos nehmen.

Ihr versonnen bekümmerter Gutnachtgruß drückte auch den Dieter; mit der zweifelnden Zufriedenheit eines Trotzkopfs streckte er sich im ungewohnten Bett.

„Wirst du es aushalten?“ hatte das Röslein gezweifelt und fragten diese Augen. Er biß die Zähne zusammen. Wie vor zwei Tagen, als er seinen Plan gefaßt hatte: Bauernblut spürte er in seinen Adern; er wollte beweisen, daß er auch einen harten Bauernschädel besaß und nicht leicht abließ von seinem Willen.94 []Damit schlief er ein.

Die zähe Verbissenheit, mit der sich Dieter in sein Abenteuer eingelassen hatte, erwies sich nötig;denn ein sanftes Idyll fand er nicht vor, auch nicht freundliche Geneigtheit, es ihm leicht zu machen.

Zum allerwenigsten tat es der Heinrich Fenner,der Sennhofbauer. Ihn pflegten am Morgen früh die Schmerzen zu wecken und der ärgerliche Zorn,ein Krüppel zu sein, trieb ihn auf, daß er durchs Haus und in den Stall stampfte: „Halloh,Vetter, es tagt!“ polterte er am ersten Tage an die Kammertüre des freiwilligen Knechtes, „im XED Mit einem Schimpfwort trieb er den Dienstbuben auf. Der rascheren Tochter nahm er kaum den Morgengruß ab; scheltend gab er die Weisungen für die Arbeit des Tages, daß sie für drei ausgereicht hätten.

„Mußt es ihm nicht in Uebel nehmen“, sagte nachher in der Küche Frau Christine, und die runden Augen bettelten, „das Wetter schlägt um, und da hat er seine bösen Tagel Man schweigt am besten dazu!“

So trat der freiwillige Knecht sein Tagwerk an,grobe, schmutzige Arbeit im niedern Stall, wo ihm beim Eintreten die warme, dumpfe Luft den Atem verschlug; der Dieter biß auf die Zähne und nahm wieder seiner Base Platz auf dem Melklstuhl ein.

Sie lächelte dazu. Später lachte sie freundlich,als er nach beendeter Arbeit am Brunnen die Arme 26 []und Hände wusch und sie sich vom plätschernden Strahl ein kupfernes Becken vollaufen ließ; da anerbot er sich zur Hilfe, es ins Haus zu tragen.

„Dank schön, Vetter“, sagte sie, doch macht man's bei uns nach altem Brauch so“: An beiden Handhaben faßte sie den breiten Kessel; sie hob ihn unter federnder Rückbeugung des Rumpfes auf den Kopf und schritt, den einen Arm in leichter Beugung zum untern Rand des Gefäßes haltend, grad und frank zum Hause.

Ein Abalanz dieses selbstsichern Lächelns lag beim gemeinsamen Frühstück noch auf ihrem Gesicht. Es tat dem Dieter wohl und erfrischte ihn,wie vorher der in Stall und Futterstatt eindringende Morgen; denn dumpf lastete über der Stube der Schmerzensärger des ans Haus gefesselten kranken Meisterbauern, der zum voraus ersorgte,was sein unbeaufsichtigtes Gesinde in der beginnenden Feldarbeit verunschicken möchte.

„Laß uns nur machen, Vater“ sagte das Röslein „der Vetter und ich haben den guten Willen!“

„Wenn's damit getan wäre...“ er hub wieder zu schelten und zu jammern an.

Am guten Willen fehlte es dem Dieter nicht, und den Schweiß ließ er sich auch nicht reuen; doch war es nicht leicht, dem kranken Mann die Dinge recht zu machen.

Wehrlin, Zur Scholle.

9,

7 []An allen Gliedern zerschlagen richtete sich der freiwillige Knecht am Samstagabend von seiner Arbeit auf, als der Wind abgerissene Betzeitglockentöne von der Dorfkirche hertrug. Als erstes in seinem jungen Bauernleben ging ihm die Erkenntnis von der Wohltat des Sonntags auf: Daß er auf Stunden wieder, frei von der schweren Arbeit und frei von der Sorge für Pflanze und Tier, sich selber gehören könne. Fast andächtig hörte er auf die Glockenklänge. Jetzt sah er auch, wie arbeitsbeschmiert sein Gewand war, und da er mit dem Handrücken über Wange und Kinn strich, spürte er dicht und rauh die Bartstoppeln stechen.

Er hörte wohl Frau Christine zum Abendessen rufen. Vorher stieg er in seine Kammer, hub ein großes Waschen an, machte sich glatt im Gesicht und schlüpfte in ein frisches Hemd und Gewand.

Sonntäglich trat er in die Stube und meinte den Wochenfeierabend verdient zu haben.

Doch sein Vetter und Meister war schlimm gelaunt: „Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muß haben, was übrig bleibt!“ hänselte er. „Brot und Käse und Most ist noch hier, Herr Vetter!“ Er musterte das herrische Gewand mit schrägen Blicken über die Brille weg, durch die er sein Wochenblatt las.Den Dieter wollte es fast ärgern, doch ließ er sich im Zugreifen nicht stören. Dann durchging er rasch und eilig seine Wochenpost, die in einem ganzen Häuflein Briefsachen vor ihm lag. Ein

28 []grünes und ein braunes Heftlein lag dabei. Sie hielt er dem Vetter hin „Magst sie ansehen? Es sind landwirtschaftliche Zeitschriften.“

Der Aeltere knurrte: „Auf das Geschreibsel geb'ich keinen Pfifferling; es kostet viel Geld und gibt einem teure Lehrplätze ... drum laß ich die Hand davon ...“

Diethelm Joseph fuhr schweigend fort in seinem Werk. Sondernd ordnete er die Eingänge; manches,Gedrucktes zumeist, zerriß er und legte es in einem kleinen Häuflein schräg vor sich hin, dann schloß er seine schwarzglänzende Mappe auf und entnahm ihr Papier und Schreibgerät. Einigen Briefen seines Geschäftsteilhabers fügte er unten zwei Zeilen bei und schloß sie alle zusammen in einen großen, schon überschriebenen Umschlag; auch zwei oder drei Karten mit aufgedruckten Anfangsbuchstaben seines Namens beschrieb er und machte sie versandfertig; all das tat er geschäftsmäßig gleichmütig, als wäre er Meister in dieser Stube, und mit einer selbstverständlichen Sicherheit, daß sie den Aelteren aufbrachte, weil er argwöhnte, sie käme aus der Ueberlegenheit seines bessern Standes,die das städtische Gewand anzeigte. Auf dem faltigen Gesicht zuckten schmerzliche Wetter, aber da der jüngere Vetter nun ein gar merkwürdiges Ding einer Feder dabei gebrauchte, überwog zunächst die Neugier. Es war ein Füllhalter neuester Art;mit sachlichen Griffen hatte Diethelm Josephus daran herumgeschraubt und schrieb nun drauflos,

20 []und ohne Unterbruch floß dunkle Tinte daraus.Als er dann fertig war und sich anschickte, seine Sachen einzupacken, wunderte Heinrich Fenner mit Worten:

„Du hast eine spassige Feder ...“ Diethelm Josephus schien nichts gehört zu haben. Erst als das Röslein, das gegenüber am Tisch saß, neugierig aufsah, sagte er: „Sie sind recht praktisch,diese Halter; Tintenfaß und Feder zugleich probier einmal, wie sie schreibt, Röslein!“

Und die Jungfrau versuchte das Ding und erfand es gut.

„Gefällt es dir?“

„Freilich, wohll Doch schreibt's mir zu dick.“

Der Vetter Dieter tat einen Griff in seine Mappe. „Hier hab' ich noch so ein Ding, mir gibt dieses zu zarte Striche!“

Der Base aber ging es gut in die Hand, und überm Erklären und Versuchen ward Diethelm Josephus fröhlich. Leichthin sagte er: „Dann schenk ich dir die Feder!“ Er zeigte, wie man sie mit einem feinen Glasheber fülle, und packte dann alles in das gleiche rotschwarze Schächtelein, aus dem er es genommen: „Hier, Röslein, damit wir gute Freunde seien!“ Voll sah er ihr ins Gesicht. Sie färbte sich verlegen rot. Dem Schenker aber verflog Wochenmüdigkeit und stiller Aerger; er sah auf die Uhr.

„Nun hab' ich noch einen Gang vor! Gute Nacht miteinander.“159 []Das alles gefiel dem Sennhofbauer gar wenig,vornehmlich das letzte. Er wollte aufbegehren, daß er es nicht liebe, wenn seine Leute zu nachtschlafender Zeit außer Haus seien, doch kam er zu spät damit der rasche Dieter war schon weg. Da brummte er vor sich her und beäugte mißmutig das rotschwarze Schächtelchen, und da er die Aufschrift „Goldfeder“ darauf sah, murrte er: „Ein verdammter Hochmutsaffe ist dein Vetter Dieter, schon der dumme Name sagt es!“

Laut gab der Hofhund an, als Diethelm Josephus nach Mitternacht heimkehrte. Doch erkannte das Tier bald die Stimme. Während der Mann es streichelte, sah er ein Licht in der Küche, und die Türe wurde aufgemacht. Frau Christine hob warnend die Hand:

„Mach leis, Vetter, daß der Vater uns nicht hört! Weißt, auf dem Bauernland ist es schlecht getan, so lange beim Schoppen zu sitzen ... Gelt,das tust du bei uns nicht mehr!“ Mütterlich besorgt sagte sie's.

Der Dieter sah ihr hell in die runden Augen:„Ich war nicht im Wirtshaus, Base, ich war beim Seppl“

Da schreckte eine Angst aus ihrer Stimme:

„Beim Sepp! Sag das dem Vater nicht! Um Himmels willen, sag nur das nicht!“

„Warum soll ich's nicht sagen ... der Sepp ist ein anstelliger und wackerer Burschl Und weißt du. was wir trieben? Bei einer Kalberkuh haben 101 []wir gewacht, bis alles gut vorüber war. Und der Sepp, der versteht seine Sache!“

Dabei lachte der Dieter ein stilles Lachen in sich hinein, ein glückliches Lachen: er hatte vom Samstag auf den Sonntag unter Schmerzen der stummen Kreatur warmes Leben werden sehen.

Diethelm Fenner, der freiwillige Knecht auf dem Hof seiner Vorfahren, erschrak, als er am Sonntagmorgen die Augen aufschlug; denn es schien allzu hell durch die Fenster. Einen Atemzug lang kam ihm der Gedanke, er sei ein Narr, sich hier zu rackern; die Müde der Woche voll ungewohnter Arbeit und die Schlaflust wollten ihn übernehmen.Die sachliche und gemütliche Anteilnahme an den Dingen seines jetzigen Tuns überwand die Schwäche.

Er war in drei Minuten fertig in den Kleidern und an seiner Arbeitsstelle. Die Base Rose gab den Tieren bereits das erste Futter. Als wieder die Stalluft mit ihrer dumpfen Wärme den Dieter sich schütteln machte, spitzte sie die Lippen wie zum Spott. „Laß mich melken!“ Das erregte den Dieter. „Teufel nochmal. nein! Wenn ich's nun will. will ich's!“

Da zuckte sie die Achseln. Er aber war ungeschickt. Die dritte Kuh in der Reihe, die Bläß genannt, weil sie heller war, als alle andern, ein unruhiges Tier, wischte ihm im Melken mit dem Quast des Schwanzes übers Gesicht, und als er. halb 1092 []blind darüber, wenig acht auf den Melkkübel gab,trat ein breiter Rindviehfuß stumpfsinnig hinein.Ein ganzer Strom weißer Milch suchte sich einen Weg zwischen Stroh und Unrat. Gleich war auch die dreigefärbte Katze da, die immer ums Melken herumstrich, und leckte die fetten Tümpel.

Das geschah eben, als der Sennhofbauer hinkend und schnaufend in den Stall trat, der kranke Meister, den in seinem Siechtum mit schmerzender Geißel das Wort trieb, daß sein Auge den Anger dünge und im Stall die Milch fließen lasse.

Heinrich Fenner sah die weißen Tümpel und die davorkauernde Katze, und dann brach, ursprünglich und hitzig, und zugleich den Aerger des Vortages entladend, ein bäuerliches Fluchdonnerwetter los, ganze Zeilen Gotteslästerungen mit Blitz und Hagel rollten dahin, daß Dieter in seiner übernächtigen Müdigkeit kaum mit Hören nachkam. „Henken möcht' man sich, wenn man sieht, was versauet und verunehrt wird! ...“

Der Angefahrene vermochte nichts zu sagen.Doch stand er nachher zur Seite, als die andern zum Essen gingen, und kühlte sich die Stirne am Brunnen.

Da trat die Bäuerin zu ihm. „War der Vater ungut?“ Mit verstohlener Stimme sagte es die Frau, und die runden Augen zitterten im Blick.„So nimm doch eine Kachel Milch.“ Frau Christine schöpfte ein blauweißes, irdenes Becken voll.Dieter schluckte daran; der Trank tat ihm wohl.103 []Dann ging er wortlos in seine Stube; ihm war weh ums Herz.

Weit auf machte er die Fenster, auf dem Bettrand sitzend sah er hinaus über ein welliges,weiches Acker und Wiesenland. Das war das Land seiner Väter. Herrgott, wie er es liebte, da es vor ihm lag im Herbstesschmuck, und wie ihm diese Liebe verekelt wurdel ... Er hätte heulen mögen, daß man ihn und sein Mühen daran nicht verstehe... Dann kam die Müde wieder über ihn;er zog die schweren Arbeitsschuhe ab und die blaue Bauernbluse und schlief bis zum Mittag.

Das Röslein, die Base, weckte ihn.

„Komm zum Essen, Vetter!“ klopfte sie an der Türe.

Dieter hätte sich am liebsten auf die andere Seite gedreht und weitergeschlafen. Verdrossen stieg er zur Stube hinunter und fand dort die gleiche Stimmung. Im Bauer nagte noch der Aerger, auch stand feuchtes Wetter am Himmel und mehrte seine Uebel in den Knochen. Frauen und Dienstleute waren gedrückt, wie Schafe vor dem Gewitter.Nur der Hüterbub ließ sich nicht stören, schlang sein Essen in sich hinein und schmatzte dazu, daß den Dieter der Ekel übernahm. Er spülte das Gefühl mit hastigen Schlücken gelben, gärenden Apfelweins hinunter. Der säuerlich-süße Trank erfrischte ihn und regte ihn an.

Krabblig juckte ihm noch die Aufgeregtheit der nur halb durchschlafenen Nacht in den Fingern, als t9.[]beim Vetter aus allerlei Aerger ein neues Unwetter losbrach.

Von Westen her zog es herauf, wie ein richtiges Wetter. Zu unterst am Tisch, gegen Abend, saß der Stallbub Jakob; der sah das Kommende voraus und hatte ein ordentlich Stück Brot vor sich, an dem er nun kaute, als kümmere ihn die ganze Welt einen Pfifferling, bis ihn der Bauer einen faulen Hund schalt, der nicht das Salz zum Brot verdiene,das er esse, und der nie erwache, bevor schon alle Vögel sängen ... Zur Rose und zu den Diensten sprang das Wetter dann über: Eine Schande wäre es, daß über den ganzen geschlagenen Sonntag kein Bein aus dem Sennhof zur Kirche gegangen sei;das wäre unerhört seit Jahrhunderten für die Gemeinde und die ganze Christenheit, wenn man junge Leute im Haus hätte, denen eine Predigt besser täte, denn nächtliches Herumstreichen ...

Der Bub unten am Tisch spitzte die Ohren und schielte falsch vergnüglich aus schräg gehaltenem Kopf; er kannte des Meisters Art; nun kam wohl der Hauptklapf.

Er täuschte sich; denn nun schwieg der Bauer,während die Frauen Geschirr und Besteck zusammenräumten. Dieter, der unbehaglich abgestoßen im Gemüt, diesem neuen Auftritt zugehört hatte, wollte gut Wetter machen. Aus seinem Sonntagsgewand zog er seine Zigarrentasche: „Hier,Vetter, rauch' eine von den Bessern, weil doch Feiertag ist; das tut gut fürs Gemüt ..“55

10 []Er selber schnitt die Spitze eines der braunen Stengel ab und zündete ihn an. Als hätte er Oel in ein mottendes Feuer gegossen, fuhr der Bauer auf. Eine Lohe von ohnmächtiger Wut des Kranken gegen die Gesundstarken, von Neid gegen den vermeintlich hoffärtig selbstsichern Städter schlug aus seinen Augen und zischte aus seinen Worten.Mit verbissenem Haß suchte er die kränkendste Stelle zum Angriff; er spielte den Meister heraus.

Mit zitternden Fingern schob er das Rauchzeug zur Seite: „Weg mit dem Zeug! Was anderes hab ich mit dir. Nicht mit dem Herrn Vetter Dieter mit dem Knecht, hörst du? Ein Knecht aber hat einen andern Namen, einen landläufigen, ehrlichen Christennamen. So ist's Brauch auf dem Sennhof. Das zum ersten: Dir ruf ich Hans. Da kann man dann auch reden, wie es Brauch ist, wenn einem die Galle überläuft. Und zum andern,nimm dich zusammen, Hans, wenn du bei mir die Füße unter den Tisch strecken willst. Du Himmeldonnerwetter, hast mir heute zwanzig Liter Milch in den Mist laufen lassen du dummer Hans!“

Das „dummer Hans“ unterstrich der Bauer; er schlug auf den Tisch, daß die Gläser zitterten. Ueber dem furchigen Gesicht zuckte der Wille zu beleidigen.

Wie einen Peitschenhieb ins Gesicht empfand Dieter den beschimpfenden Wutausbruch. Und aufblickend sah er die Hausfrau mit schreckensweiten Augen starren. In der Hand der Base Rose klapperten die Teller. Sie schob das Kinn unwirsch vor,1056 []und tiefer als gewöhnlich schnitt der scharfe Zug in die Wange, der vom Nasenflügel gegen den Mund hin strich; sie war leintuchbleich.

Mählich stieg dem freiwilligen Knecht Blut und Zorn in den Kopf: „Nu, nu, nicht so hitzig, Herr Vetter“, noch ganz ruhig sprach er es, „Diethelm ist mein ehrlicher Name, darauf bin ich getauft; er steht auch im Kalender ... den laß ich mir nicht nehmen ich heiß auch anders, kannst mich ja Joseph nennen oder Sepp das ist wohl nichts Fremdes in diesem Haus doch anders laß ich mich nicht rufen. So nenn mich meinetwegen Sepp!“

Jetzt überflog's den Sennhofbauer käseweiß und dann mit einem Mal feuerrot im Gesicht. „So, so,aus dem Loch bläst der Wind', zischte er mit verkniffenen Lippen „hat das Bürschlein die Hand mit im Spiel? ... Versteck dich nur nicht und leugne es nicht, Herr Vetter; der Jakob hat mir's schon erzählt, daß du mit dem Burschen Freundschaft hältst. Eine nette Freundschaft mit einem Zuchthäusler ... Ich aber sage, das leid' ich nicht, daß du mit dem Kerl dich umtreibst. Mit dem hat der ganze Sennhof Aus und Amen gemacht. Merk dir das!“

Bis dahin hatte der freiwillige Knecht Dieter sich zurückgehalten und war ruhig auf seinem Platz,dem ältern Vetter schräg zur Seite, verharrt. Nun übernahm ihn der Zorn, und der grobe Klotz fand einen groben Keil. Genau wie vorhin der andere schlug auch er mit der Faust auf den Tisch: „Halt,107 []jetzt istss genug, und wenn es mit Zuhauen gemacht werden muß, so kann ich's auch!“ Er stand auf,reckte sich vor dem Verkrüppelten zur ganzen gesunden Größe. Scharf kam die Aehnlichkeit der beiden Gesichter zum Ausdruck, als er halblaut.jeden Satz mit einer zustoßenden Bewegung des ausgestreckten Zeigefingers betonend, dem ältern zurückgab: „Wie ich heiße, ist me ine Sache, und kein Mensch hat das Recht, daran zu mäkeln auch du nicht, Vetter, hörst du! Und einen Pfifferling schert's dich, mit wem ich umgehe außer diesem Haus, hörst du!l Und gefällt dir's nicht, wenn ich gestern beim Sepp war und zu ihm gehen will,wann es mir beliebt... so magst du einen Stecken dazu stecken, aber mir kann's gleich sein. So will ich es halten, und das kannst du dir merken,Vetter! Punktuml!“

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, ging Diethelm Josephus mit langen Schritten zur Türe.

Draußen entwich vor ihm der Dienstknabe Jakob; der hatte gehorcht. Diese kleine Niedertracht ließ ihm die Galle wachsen: „Jakob!“ rief er ihn herrisch an. Der Bursch stand mit falschem Blick.

„Was ist, Hans!“ Frech wollte er den Aeltern ärgern; er kam an den Unrechten. Dem Dieter juckte die Hand. Als käme sie vom bewährtesten Altknecht, saß dem Stallbuben breit und klatschend eine Ohrfeige auf der Wange: „Ich will dich lehren,zu horchen und zu plaudern! Und Diethelm heiß ich, merk dir's. Wenn du's wieder vergißt, hab' ich 150 WVI []noch mehr von der Sorte auf Lager. Das stärkt das Gedächtnis!“

Schon bereute Dieter den Schlag, und sein eigenes Höhnen widerte ihn als Mißbrauch größerer Kraft. Es war unwillkürlich geschehen, als läge dergleichen in der Luft und der Umgebung... Er schämte sich seines Tuns, und doch hatte es seinen Groll entladen; ruhiger stieg er in seine Stube hinauf.

Unschlüssig, was er beginnen sollte. Am liebsten hätte er seine Siebensachen eingepackt und wäre leise und still davongegangen in die behagliche frühere Welt. Da fielen ihm die Worte der Base Rose ein: „Ob du es wohl aushältst bei uns?“ Und er biß auf die Zühne vier Wochen lang mußte das Leben zu ertragen sein! Und Respekt wollte er sich verschaffen.

Wieder war ihm zu eng im niedern Raum. Er steckte sein Rauchzeug, Pfeife und Tabak zu sich,nahm ein Buch mit und stieg vors Haus. Etwas abwärts der neuen Scheune, den Häusern abgewendet an sanfter Halde wußte er ein stilles Plätzlein unter Bäumen, dort dachte er im Gras zu liegen und zu überlegen.

Er besann sich: Da mußten die Bäume stehen, die er unter des alten Vetters Anleitung geholfen hatte anzupflanzen, gemeinsam mit dem Röslein und dem Sepp... In Reih und Glied standen sie, stattliche Burschen mit ordentlich dicken Stämmen.Breit luden sich die Aeste der Apfelbäume aus, und 8

79 []die Zweige der Birnbäume strebten kühn in die Luft; gelb und rot lachten die Früchte aus den braunenden Blättern.

Mit sachlicher Aufmerksamkeit musterte er die ganze Anlage des Baumgartens, und sie schien ihm wohl geraten, sodaß eine stille Freude über ihn kam. Er roch auch an einem und dem andern Apfel,die ihm auf niedern Zweigen ins Gesicht hingen;doch er pflückte keine Frucht vom Baume. Einige frühreif abgefallene steckte er in die Tasche und kehrte dann zurück zu dem alten hohen Baum, wo er seine Sachen niedergelegt hatte. Dort streckte er sich ins Gras; den Kopf an den Stamm gelehnt,kostete er die Früchte und sah hinaus in die Weite.

Ein Herbstföhn jagte weiße Federwölklein am Himmel, daß die Sonne wie im Schleier niedersah,ihre Wärme spendete sie unverhüllt. Sattgrün lag ein Wiesentälchen vor ihm ausgebreitet mit Hunderten von Bäumen, aus denen glänzend und leuchtend die Früchte blinkten ein tausendmal schönerer Anblick däuchte ihm dies, als der Baum im weißen Blütenschmuck! Er selber hatte an ihrem Werden mitgeholfen! Jenseits des Baches breiteten sich braune und gelbe Ackerzelgen; in mäßiger Wölbung eines Waldes, mit roten Flecken im Buchenlaub, ruhig und breit stieg ein sanfter Hügel auf, über dem sich ferne Höhen im dunklen Blau erhoben: eine ruhige stille Sicht auf das Land,das seine Väter bebauten ...

Nie hatte dem Diethelm Josephus Fenner ein 110 []Nachtisch besser gemundet, als die Aepfel aus seiner Tasche, diese vom Wurmstich zur frühen Reife genötigten Früchte; Stück um Stück biß er an und warf den Butzen im Schwung von sich. Darob verrauchte sein Zorn.

Die Bücher lagen unberührt im Gras, und Dieter duselte vor sich hin, gedankenträg, ein Bauernknecht nach strenger Arbeitswoche.

Ein bescheidener Anruf ließ ihn sich aufrichten.

„Stör ich, Vetter?“ fragte die Sennhofbäuerin;eine schüchterne Bitte sprachen die großen blauen Augen im runden Gesicht. „Ich hätt' mit dir zu reden. und hier sind wir ungestört.“

Schon saß sie ihm gegenüber, da, wo eine kleine Böschung im Gelände etwas wie einen Sitz bot,mit züchtig zusammengerafften Röcken, wie beim bäuerlichen Abendbrot nach der Arbeit.

„Bist du noch böse, Dieter, weil doch der Vater so unerkannt hitzig war?“

Dieter schüttelte den Kopf.

„Mußt es ihm nicht übel nehmen, weiß der liebe Gott, er ist so elend daran mit seiner Gliedsucht.Er hat auch vieles durchmachen müssen, unterm Vater, dann mit meinen Leuten und mit dem Sepp,und auch das Röslein ist zu manchen Zeiten sonderlich und nicht, wie es sein sollte, und ich vielleicht auch nicht. Im Herzen ist der Vater gewiß kein ungerader Mann.“

„Das glaub' ich auch nicht, Basel“

„Gelt, du gehst nicht fort von uns wegen heute?“111 []Sie war schon halb getröstet und holte weiter aus:„Wir haben uns alle gefreut, daß du zu uns kamst.Das Röslein hatte es gleich heraus, was du wollest,als Zeitungen und Briefe für dich noch vor dir ankamen. Paßt auf, hat sie gesagt, der Vetter will uns schaffen helfen, weil in der Zeitung steht, wir Bauern seien damit so übel daran ... Das sieht ihm gleich, wenn er noch ist, wie früher! Der Vater hat gebrummt: Die Stadtleut' könnten ihm gestohlen werden. Wer von ihnen etwas wert sei, der hätte dort zu tun. Die aufs Land kämen,seien dem Teufel vom Karren gefallen oder verstünden nichts. Aber das Röslein hat nicht lugg gelassen: Wißt ihr noch, wie er am Mähen Freude hatte, und am Großvater? ... Ich freue mich,und wenn du hundertmal brummst! And hat dem Vater ein Maul angehängt ...“

„Ich habe nichts gesagt. Ich habe der Predigt vom Sonntag vorher nachgedacht. Die ging über das Wort: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ ... In aller Einfalt habe ich gedacht, es sei doch Sünde und Schande, daß die frischen jungen Leute nichts mehr wissen wollen von der Arbeit am Bauernland; das schreit auch nach frischem Wasser.Und der liebe Gott muß das gehört haben; denn vier Tage nachher warst du da Und gelt,du gehst nicht wieder weg? Tu's mir und Röslein zuliebl“

Zittrig bettelten die runden Augen.

Der freiwillige Knecht wurde weich: „Ich gebe 112 []dir die Hand darauf, Base, die vier einbedungenen Wochen halte ich es aus!“

„Gott sei Lob und Dank!“ Die Bauersfrau seufzte erleichtert.

„Aber noch eines mußt du versprechen, Vetter,ich will es dir gewiß leicht machen, doch mußt du helfen! Auch beim Vater!“

„Wie kann ich dies?“

„Vom Sepp darfst du nimmer sprechen auch den Namen nicht nennen!“

„Ich habe aber nichts wider ihn!“

„Wir im Grund auch nichts Gewisses! Aber der Vater kann den Namen nicht mehr leiden seit die alte Scheuer abbrannte. Er könne es nicht nachweisen, daß er angezündet hätte, sagte er. Aber von dort her rühre sein größtes Unglück; beim Neubau hat er auch sein Bein gebrochen, daß er ein Krüppel wurde. Und die Rose hätte der Sepp ihm auch abspenstig gemacht. Er ist schuld, wenn sie dem Vater oft aus Weg und Geheiß geht, daß es nicht mehr kindlich recht getan ist. Warum sie es tut,weiß ich auch nicht es ist da etwas, das ich nicht verstehe!“

Die Frau schwieg und sah bekümmert vor sich hin. Dieter versprach ihr, auch diesen Wunsch zu erfüllen. Und noch etwas hatte sie auf dem Herzen: er mußte auch erzählen, wie die Tante und die Base gestorben seien. Und wieder legte sie ein Wort für ihren Mann ein: „Es ist mir ein Leides, daß wir mit den Frauen im Unfrieden Wehrlin, Zur Scholle. 8

[113]

auseinanderkamen, aber sie hatten Unrecht, weiß

auseinanderkamen, aber sie hatten Unrecht, weiß Gott, der Heinrich hat den Hof mehr als ausgelöst beim Erben; er hat sich übertan dabei ...“

Darauf hörte Diethelm Josephus nicht mehr;er sann darüber nach, was wohl dahinter steckte,daß der Sepp die Rose abspenstig machen konnte,und das Geheimnis ließ seine Gedanken nimmer ledig.

Das Geheimnis eines Hofes und das Geheimnis des Sämanns.

Diethelm Josephus Fenner grübelte. Noch am selben Sonntag Abend glaubte er eine erste Erkenntnis und Erklärung gewonnen zu haben für das heimlich drückende Wesen, das über dem Sennhof lag: Die Base Rose hatte Kunde oder Argwohn von einer Sache, die ihr den Vater innerlich feind machte und die ihr zu Zeiten Gewalt über ihn gab ... Und diese heimliche Wissenschaft war es,die den scharfen Zug schweren Erlebens so alt und hart in ihr Gesicht eingrub.

„Vetter, der Vater möchte mit dir reden“ empfing sie den ins Haus Zurückkehrenden. „Du wirst ihn doch anhören; er wird manierlicher sein!“

Als er bejahend nickte, fuhr sie fort: „Freilich,du mußt zu ihm in die Kammer gehen; ich habe ihn zu Bett gebracht. Sein Uebel hat ihn wieder gar 114 []zu arg gepackt. Vielleicht war er darum so böse,weil er sein Elend kommen spürte!“

Miteinander gingen sie in die Schlafstube des Bauern. Verkrümmt lag er im Bette, und aus den tiefen Augen klagte so viel körperliches Leid,daß Diethelm Josephus die harte Rede des Mittags vergaß und teilnehmende Worte für den Kranken fand.

Dieter, wenn du wüßtest, was ich durchmachen muß ...“ Seine Worte klangen in ein schmerzliches Wimmern aus. Noch nie hatte der jüngere Mann so wehvoll klagen gehört. Und es war keine Verstellung darin ... ob ihn der Bauer auch nicht ansah überm Sprechen! Seine Augen strichen ängstlich an ihm vorbei. Wohin, ließ ihn nun die fast herrisch klingende Stimme Roses vermuten:„Vater, ich meinte, du hättest dem Vetter anderes zu sagen; ich hab' ihn nicht gerufen, damit du ihm vorjammerst.“

Da streckte dieser eine zitternde, magere Hand mit harten Gichtknollen über den Fingergelenken aus der gestreiften Decke. Wie angelernt sagte er:„Sollst mir nicht zürnen, Vetter, von wegen heute Mittag; es war beim Eid nicht so schlimm gemeint!“

Diethelm Josephus überhörte den Fluch im letzten:

„Das hab' ich schon wieder vergessen, Vetter,einmal vergißt man dergleichen leicht!“ Und er 115 []berührte die von Schmerzmalen gehöckerten Finger mit sanftem Druck.

Jetzt trat Rose Fenner näher zum Bett. Ihre Stimme hatte einen andern Ton: „Schau, Vater,ich hab' auch noch eine Medizin gefunden, wie sie dir der Doktor das letzte Mal verschrieb. Ich habe noch zweie, vielleicht nehmen sie dir die Schmerzen!“

Mühselig hob sich der Liegende zum Sitzen;gierig umklammerten seine beiden Hände das Glas, das ihm die Tochter darreichte; er trank und sank mit einem Seufzer wieder zurück.

„Nun wollen wir den Vater allein lassen!“ sagte die Tochter. Ihr voraus ging Dieter aus der Stube, wie einer, der darin gehorchen gelernt hatte.

Die Sonntagsabendarbeit verrichtete Dieter schweigend. Daß der Knabe Jakob ihm katzfreundlich eifrig an die Hand ging, ließ ihn lächeln; der Bursche schien an harte Haltung gewöhnt! Das war wohl aller Brauch hier auf dem Hof: Der herrische Ton, mit dem Rose zu ihrem Vater gesprochen hatte, klang ihm im Ohr nach. Und da er sie in der Abenddämmerung am Brunnen fand,ging er mit einer Frage gerade aufs Ziel los:„Sag mal, Rose, das ist zwischen euch hier ein sonderbares Wesen. Zwischen dem Vater und dir ist's nicht, wie es sein solltel Und erst die Geschichte mit dem Sepp ist nicht im Reinen, er ist doch frei und ledig gesprochen; er hat auch keine Schuld an dem frühern Unglück; er hat es mir hoch und heilig ge1155 []schworen. Auch sagt er, daß du und der Vater das sehr wohl wüßten! Warum denn das Heimlichtun und Grollen? Was steckt dahinter?“

Nur unmerklich zuckte sie zusammen und bekamen die großen Augen einen Anflug des erschrockenen Frageblickes der Mutter. Dann stieg eine Röte des Unmuts in die Schläfen; sie warf den Kopf in den Nacken und betonte kurz: „Das erste frag' den Vater, Dieter das zweite meinetwegen den Joseph Stegmaier, unsern frühern Knecht!“

Mit jähem Ruck schüttete sie aus dem übervollen Kupferkessel einen Schwall Wasser, daß es klatschend in den Brunnentrog spritzte, und hob mit beiden Armen das Gefäß hoch auf.

Aufrecht und frank trug sie die schwere Last.

Später brachte die Mutter zum Abendtisch den Bericht, daß der Vater ruhig schlummere, und zusammen blieben die Frauen und Dieter sitzen. Im Gespräch die Jungen; still, nach ihrer Art, Frau Christine. Unbefangen schien Rose zuletzt und sprach von der Arbeit der beginnenden Woche. Es war Zeit, für die Herbstsaat zu Acker zu fahren. Dafür nun hatte Dieter seinen besondern Plan; er wollte einen Rat seiner Bauernzeitung befolgen,den er vorwies und den fie aufmerksam las. Da war den Landwirten empfohlen, mehr Brotfrucht zu pflanzen, als bisher, damit der Bauer in dieser Kriegszeit für seinen Tisch genug Eigenes erhalte und unabhängig bleibe vom Stand der Zufuhr ins 117 []Land. Der Gedanke gefiel ihr, und sie war es einverstanden, daß Dieter morgen neben dem schon dafür bestimmten Land die Wiese nebenan mit unter den Pflug nehme.

„Dem Vater sagen wir's nachher; er wird schon zufrieden sein. Saatkorn ist genug da! Doch wer will säen? Dem Jakob vertrau' ich es nicht an!“

Nun wurde Diethelm verlegen. „Ich meinte,ich wollte das probieren. Wie man es anstellt, das hab' ich mir überlegt, hab' auch schon manchmal zugesehen ... und es machte mir Freude. Man kann ja alles bei gutem Willen!“

Die beiden Frauen schwiegen.

Ganz im Eifer fuhr er dann fort: „Und wißt ihr was: ich will mich noch einmal beraten lassen; ich geh' zum Sepp; der lernt mich noch heute Abend Handgriff und Vorteill!“

Rose blieb sachlich kühl bei der Nennung des verpönten Namens: „So geh' ich warte auf dich!“

Er traf den Sepp beim Abendsitz in der Wohnstube seiner Meistersleute; ein etwas ärmlicheres Ebenbild der Sennhofstube war sie. Hier stand der lange Tisch mit der einen schmalen Seite dem Ofen zugewandt. Dort saß die Meistersfrau; rechts ihr zur Seite der Knecht und weiter in der Reihe,wie Orgelpfeifen kleiner werdend, die Kinder: ein achtzehnjähriger, ein sechzehnjähriger und ein zehnjähriger Knabe. Die Jahrzwischenräume im Alter füllten auf der andern Seite blond- und braunzöpfige Mädchen aus. Brot und frühe Nüsse und 118 []Aepfel hatten sie vor sich, der Sepp und die ältern Buben ein Glas Apfelmost, die Meisterin eine Tasse Kaffee. Fast wie ein kleines Festchen schien es, aber die Mienen der Frau und Sepps waren gedrückt. Doch begrüßten sie den späten Gast herzlich. Dann hieß die Mutter die Kleinen schlafen gehen. Während diese sich mit allerlei Umständlichkeiten dazu anschickten und Diethelm Josephus dem Knecht gegenübersaß, sah er vor diesem ein Blatt Papier liegen, bedruckt zum großen Teil,dazwischen in amtlich schreibstubenmäßiger Schrift Namen und Zeiten ausgefüllt; zu Kopf und zu Füßen des Gedruckten runde und viereckige Stempel ...

Diethelm Josephus hatte sich nach städtischer Art entschuldigt, ob er störe. „Hat nichts zu sagen,“war die Antwort der Witfrau, „Nachbarn sind auf dem Bauernland immer willkommen, und Nachbar ist man weitherum! Rechte Leute pflegen rechte Nachbarschaft!“

Die Frau mußte ihre Kinder in gemessener Ordnung halten. Ein Blick auf die Großen, Erwachsenen ließ auch diese in Zucht und Ehren dem Gast die gute Nacht bieten.

Ich hätt' an den Sepp ein Anliegen, doch wird es Euch nicht stören, Frau Langhardt“, begann der Dieter. Er entwickelte seine Bitte um Rat für die Aussaat.Der Sepp kraute sich in seinen rotblonden Haarsträhnen: „Da kommt Ihr an den Unrechten, Herr 19 []Fenner daß ich es ehrlich sage ich bin kaum der rechte Lehrer; es ist auch nicht leicht zu lehren,wie man die Körner wirft, und am wenigsten für mich; denn mir will's auch nicht immer geraten, oft steht die Saat zu dick und dann wieder zu dünn...Man muß es im Griff haben, nicht zu viel in der Hand und nicht zu wenig aus der Hand. Schade,daß der Fritz, unser Aeltester, zu Bett ist, dem gelingt's. Auch Euer Bauer, der Heinrich Fenner,verstand es in seinen guten Tagen, wie kein anderer; wie ausgerechnet fiel bei ihm auf jeden Schuh Boden gleichviel Korn nicht zu viel und nicht zu wenig.“

Die Bäuerin freute das Lob auf ihren Aeltesten, doch wehrte sie: ‚Rühmt mir den Buben nicht allzu sehr; er wird es bald hoch genug im Kopf haben, wenn er nun meisterlos wird. Und nehmt ihm die Meinung nicht, die er vom Säen hat. Freilich, diesen Sommer ist sein Weizen am schönsten gestanden, und alle lobten ihn darum.Aber er fand das unverdient. „Mutter, ich kann doch nichts dafür, daß mir's besser gewachsen ist,als den andern. Das Wachsen ist nicht Menschenwerk, daran denk' ich allemal, auch wenn es nun gelungen ist. Schau, Mutter, mir war herzensangst, wie ich die Samen fortwarf. Was würde aus der Gottesgabe werden?! Die Vögel des Himmels können sie fressen, oder Unkraut kann sie ersticken und etliches wird auch auf den Weg fallen.So steht es doch in der Bibel...“ Mit einem 1906 []heiligen Feuer leuchteten ihre Augen, und fast heimlich rühmte sie dann selber ihr Kind mit dem höchsten Lob aus Muttermund: „Der Fritz ist halt ein Frommer ... Man sollte sein eigenes Säersprüchlein haben, meinte er; unter Gottanrufen muß man seine Würfe tun und die Schritte nehmen ...“

Sepp war nur halb bei der Sache; auf den Ausgang des Gesprächs zurückkommend, fragte er: „Wo schafft Ihr's morgen?“

„Am Buchenrain, halbwegs hieher!“ gab Dieter Bescheid.

„Dort haben wir auch Aecker ... Meisterin,was meint Ihr, dann ist's am besten, wir fahren morgen auch dort zu Acker. Der Herr Fenner kann dann herüberkommen und ersehen und erfragen,was er für nötig findet! ...“

Die Bäuerin war einverstanden, und Diethelm Josephus dankte. Er hatte noch eine Frage: „Wie steht's mit Euch, Sepp, und Eurem Aufgebot?“

Knurrig klang die Antwort: „Hier liegt der Gestellungsbefehll In drei Wochen heißt's angetreten! Noch zwanzig Arbeitstage liegen dazwischen. Die muß ich nützen.“

Langsam erhob sich der Bauernknecht; er mochte davon nicht sprechen. Diethelm aber sah, wie die Augen der Meisterin feucht schimmerten. Er rüstete sich zum Gehen, und Sepp bot ihm ein Stück Geleite an.

Unter der Türe, während dieser Hut und 121 []aus seiner Stube holte, sprach Frau Langhardt zu ihrem Besucher: „Es ist schade um den Sepp! Mir tut er leid!“

„Daß er in den Krieg muß?“

„Das kaum,; er ist gefaßt. Doch plagt ihn ein andres! Wie er gehen muß.“

Diethelm Fenner tat dergleichen, als hätte er nicht die Ahnung, worauf die Bäuerin anspielte.

„Ich wünschte ihm, daß er aufrecht und sichern Gewissens gehen könnte,“ sagte sie, „jetzt geht er unter Verdacht fort ... Sie wissen's doch, als ein Knecht, der seinem Meister Feuer ans Haus gelegt hätte. Das ist schlimmer denn ein Totschlag im Rausch, und das vergißt man bei uns nicht,das erbt sich auf Kind und Kindeskinder. Und den Leuten weicht man aus, Herr. Du lieber Himmel, wenn ich nicht so elend in den Schuhen gestanden wäre damals, ich hätte den Sepp nicht ins Haus gelassen ... Heute dank' ich dem Herrgott, daß ich es tat; denn der Sepp ist recht. Er hat sein redlich Teil daran, wenn meine Buben einmal rechte Bauern werden und ich glaub'auch nicht mehr daran, daß er der Zäusler war.“Sie sah um sich und flüsterte: „Darf ich etwas sagen,das nicht weiter kommt?“

Diethelm Josephus hoffte, daß hier ein Zipfel des Geheimnisses sich lüfte, dem er nachging.

Damit sie fertig würde, ehe der Sepp wiederkehre, überstürzten sich die Flüsterworte der Frau:„s ist zwar Euer Vetter, aber ich glaube, der Bauer 2

JJ []hat selbst das Feuer gelegt; die Scheune war altes Gerümpel und gut versichert, sagen die Leute, beweisen kann man freilich nichts, und ich bin eine dumme Frau, daß ich es plaudere. Aber sicher hatte der Sepp die Hand nicht im Spiel ... Weil er ein armer Teufel war, hat er dann die Suppe auslöffeln müssen! Nur das versteh ich nicht, daß er nicht aufbegehrte; denn ich glaube, er hörte doch auch, was manche etwa sagen, und er weiß mehr um den Hergang, als er davon erzählt; auch die Jungfer Rose, Eure Base, die hat ihre Gedanken darüber. Aber ums Himmels willen, ich will nichts gesagt haben. Nur hätte ich dem Sepp gewünscht, und er hätte es verdient, daß die Wahrheit an den Tag käme ...“

Zappelig hastig erzählte die Frau; als sie Schritte hörte, schwieg sie.

Bis halbwegs zum Sennhof ging Sepp mit Diethelm Josephus, bis zu den Buchenrainzelgen.Schweigsam; beide hatten mit sich selbst zu tun.Als sie bei den Aeckern ankamen, blieb der Knecht stehen: „Hier ist unser Land, Eures dort vorn, Ihr werdet den Fritz und mich leicht finden, Herr Fenner!“

Er zögerte eine Weile. Im Mondlicht sah Dieter auf dem runden Gesicht mit den frühalten Stirnfalten einen Widerstreit der Gedanken zucken. Dann schien er die Zweifel überwunden zu haben:

„Einen Gefallen könntet Ihr mir tun! Sagt Eurer Meisterstochter, daß ich nun fortgehen müsse,123 []in den Krieg. Sagt Ihr das, vielleicht kommt sie morgen mit hieher auf den Acker.“

„Das soll ein Wort sein!“

Den Sennhof betrat der Heimkehrende ungehört; der Hund Barry erkannte den Schritt des vertraut Gewordenen und umwedelte ihn, ohne Laut zu geben.

In der Stube saß Base Rose über einem Buch und ließ zugleich die Stricknadeln klappern. Dieter hatte es ihr zu lesen gegeben aus seinen nachgeschickten Sachen. „Frau Regel Amrein und ihr Jüngster‘. Die Ueberraschte blühte mit roten Wangen, und ihre Gestalt straffte sich: „Vetter, das ist eine wunderschöne Geschichte; du, Vetter, das ist eine Frau!“

Der Vetter freute sich dieses Urteils, und da er die Lesende ansah, schien ihm, noch kein Weib wäre ihm so stark und frisch begegnet, so ganz in die Art der tätig entschlossenen Führerin jener Erzählung geschlagen.

Rasch kehrte ihr Sinnen aus dem Mitempfundenen in die Wirklichkeit zurück; ein fragender Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht:

„Der Sepp und der Aelteste seiner Meisterin sind morgen auch am Buchenrain,“ antwortete Dieter. „es wird recht werden! Und noch eins.“

Dieter gab sich Mühe, ohne erkennbares Forschen beizufügen: „Der Sepp läßt sagen, daß er sich nun stellen muß! Ich glaube, er möchte dir Lebewohl sagen.“124 [].. .. auf einen Sprung komme ich morgen hinüber!“ Ruhig und kalt blickten die Augen aus einem ernsten Gesicht, indem es Röslein sprach.

Miteinander stiegen die beiden Vettersleute die Treppe hinauf. Oben reichte die Jungfrau dem Gast des Hauses die Hand: „Gute Nacht, Dieter!“

„Gute Nacht, Röslein!“

Diethelm Josephus Fenner wollte beim Auskleiden und nachher im Bett die Erlebnisse des Tages übersinnen; er kam nicht dazu. Uebermächtig kam wieder die Müdigkeit über ihn. Er empfand sie wohlig und freute sich zugleich auf die morgentliche Frische für sein Tagwerk.

Am Morgen fuhr der freiwillige Knecht zu Acker. Leichter Nebel hatte Tau auf das zu umbrechende Land gelegt und den Boden befeuchtet.Doch schritt das ungleiche Gespann, ein Ochse neben dem Pferd, weil das andere in einer Batteriebespannung an der Grenze stand, langsam und schwerfällig, und der Pflug machte Schwierigkeiten.Dieter hatte zum Umsehen nicht Zeit. Erst später erblickte er den Sepp. wie auch er ruhig seine Furchen zog.

Zur NeunuhrImbißzeit ging Diethelm Josephus hinüber. Sepp war mit dem Umbrechen seines kleinen Aeckerchens bereits fertig, und eben schickte sich der jugendliche Bauer Fritz zum Säen 7125 []an. Mit offener Fröhlichkeit gab der Jüngling dem Fragenden sein Wissen her.

Dann ging er ans Werk, und dem städtischen Bauernlehrling schien, als veränderte sich das Wesen des Säenden, da er nun den körnergefüllten Sack über Achsel und Brust legte. Er streckte seinen schlanken Körper, ward ernst, und seine Lippen bewegten sich im Takt des langsamen Ausschreitens,als spreche er einen Spruch vor sich hin. In der Scholle hingen beim Schreiten seine Füße und schleppten Krumen des Erdreichs mit sich; er pflügte mit seinen Gliedern noch einmal, wo er hinschritt.Regelmäßig wie der Klöppel einer Betzeitglocke schlug der Arm nach rechts und links aus, und in goldenem Regen entströmten die Körner den Fingern.

Aufmerksam sah Diethelm Josephus zu; das Wuchtigernste, Malerischschöne und das Menschlicherhebende in diesem Dienst an der Natur ergriff ihn. Still kehrte er zurück an sein Werk; bis mittags hatte auch er seinen Grund umgepflügt.

Das Essen brachte Base Rose auf den Acker hinaus; gemessen freundlich saß sie während der Mahlzeit den am Ackerrand ruhenden Arbeitsleuten gegenüber auf dem zur Seite gestellten Pflug und plauderte. Sie änderte Miene und Haltung nicht,als dann wie von ungefähr der Sepp herzutrat;gemessen gab sie dessen Gruß zurück. Nur in den Augen blitzte es lebhafter, als sie bemerkte, wie der dienende Gefährte ihrer Jugend sie von Zeit zu 17

1J.[]Zeit mit verzehrender, versteckter Erregtheit anstarrte, und der Dienstknabe Jakob die Ohren spitzte.

Als die beiden dann miteinander aufstanden und weggingen, raunte dieser: „Die haben was zusammen! Schaut, wie sie jetzt stehen und schwatzen!“ Die Neugier stach dem Vorlauten aus den Augen.

Da herrschte Dieter den Knaben an: „Jakob,das kümmert uns beide nichts, und wenn du plauderst, wirst du mich erfahren.“

Der Angefochtene duckte sich; er hatte nun mit dem Gespann und der Egge zu tun und schielte nur verstohlen hinüber, wie der gedrungene Knecht vor seiner einstigen Meisterstochter stand, wie er den Kopf etwas vorgeneigt, die Augen von unten her in das Gesicht der Größergewachsenen verbohrt,eifrig redete.

Rose Fenner hielt sich aufrecht, wie ein Soldat,schüttelte auch ein paarmal ablehnend den Kopf und einen abwehrend vorgehaltenen Arm. Zuletzt aber reichte sie dem Manne zum Abschied die Hand und zog sie rasch zurück. Dann schritt das Mädchen straff und grad davon, ohne sich umzusehen. Der Sepp stand eine Weile, als würde ihm das Fortgehen schwer.

Immer noch am Ackerbord sitzend, hatte Dieter hinübergeschaut. Jetzt erhob er sich, hängte sich den körnergefüllten Sack um und ging an sein Tagewerk voll Verantwortung. Es war ihm schwer dabei, und ihm fiel ein, daß man einen Spruch dazu wissen

197 []sollte. Ein Kinderspruch fiel ihm ein: „Lieber Gott, mach mich fromm ...“ Unwillkürlich murmelte er ihn beim ersten Schreiten und beim ersten Saatenwurf.

Der Takt des kindlichen Gebets paßte sich der Bewegung von Hand und Körper an. Er mochte dazu lächeln; nur einen Atemzug lang, dann regierte ihn der volle Ernst und straffte alle Glieder.Barhaupt schritt er hin; ein feuchtwarmer Südwind trieb graue Wolken über ihm und zauste sein braunes Haar; Tritt um Tritt kam er vorwärts durch die Scholle und gab acht, daß die Körner ihm glatt aus der Hand rieselten, keines zu weit flog und keinerlei Resten zu Boden fielen; es wurde ihm heilig zu Mute, als täte er einen Gottesdienst.

Hochaufatmend stand er still, als er die Zelge auf und ein Stück seitwärts sie wieder abgeschritten hatte. Dann berechnete er: genau so, wie es wohl recht sein mußte, hatte er das Saatgut aufgebraucht,und die Hoffnung, es werde gut werden, keimte in ihm. Still und ernst, wie ein rechter Sämann,brachte er sein Werk zu Ende.

Noch einmal huschte an diesem Nachmittag eine lächelnde Erinnerung in sein Gemüt, nachher, als er mit der Egge über die Saat fuhr und hintendrein der Dienstknabe die übrig stehenden großen Schollen zerschlug. An die Türkenköpfe und Bären dachte er, die der Sepp und er einst darin sahen und zerschmetterten. „Nun wird er auf wirkliche Menschenköpfe dreinhauen müssen!“ Die Besinnung 128 []auf die lebendige Wirklichkeit widerstrebte dem Lachen. Was er vergessen wollte, und was er auf Tage und Stunden in seiner Arbeit vergessen hatte,das stand riesengroß schreckend wieder vor ihm: Die Tatsache des währenden Krieges ... Weltenfern und fremd war ihm der Gedanke an diese Vernichtung von Mensch und Kreatur, da nun sein Sinn aufs Pflanzen und Säen gerichtet war. Kalt schüttelte ihn das plötzliche Erwachen ...

Aber auch die merkwürdige Begegnung zwischen der jungen Base und dem bäuerlichen Lehrmeister seiner Knabenzeit frischte sich damit auf. Absonderlich gestimmt kam er nach Hause. Er sah einen Spiegel seiner Nachdenklichkeit auf dem verschlossenen Gesicht Roses. Doch stellte er keinerlei Frage und berührte die Sache nicht. Sie begann selber und machte mit wenigen Worten den Schlußstrich unter die Unterredung:

„Der Sepp hat mir ein Lebewohl gesagt; er meint, er habe ein Recht dazu, denn er habe unsertwegen leiden müssen; ich glaube ihm, daß ihm Unrecht geschah. Doch will ich nicht glauben, was er weiter sagt. Drum hat er keinerlei Ansprüche auf den Dank dieses Hauses und meinen Dank; es soll ihm gut ergehen, das wünsch' ich freilich. Auf mehr hat er nicht Anspruch! Er soll mir nicht mehr in die Wege stehen, habe ich ihm heute gesagt.“

Hart gruben sich die Erlebnisfalten in das Gesicht der Jungfrau; einen Augenblick senkte sie die Stirne: „Dieter, du weißt nicht, was wir in diesem

Wehrlin, Zur Scholle. 9

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Hause leiden, seit das Geheimnis eines Verbrechens

Hause leiden, seit das Geheimnis eines Verbrechens darüber liegt!“ Den gleichen Gedanken, wie Sepps Meisterin, spann sie: „Du weißt nicht, wie grausam unauslöschbar das Gedächtnis dafür und der Argwohn sind. Ein Brandmal tragen wir alle im Hause ... Dieter, wer das aufdeckte, daß wir alle schuldlos sind ... Vetter, der hat einen Gottslohn verdient!“

Dann, als schäme sie sich einer Schwäche, färbten sich die Wangen; sie warf den Kopf zurück und fast herrisch kam jener Schlußstrich: „Vetter, ich bitte dich, sprich nicht von jenem Brand auf unserm Hof!l Sprich vor dem Vater nie davon!“

Unterm Leiden stummer Kreatur.Die ganze nächste Woche verlief eintönig für den freiwilligen Knecht; mit Bauernarbeit war der Tag ausgefüllt, und des Abends schlief Diethelm vor Müdigkeit ein, fast bevor er im Bett lag; wie ein Roß im Zug, ohne viel zu denken, legte er sich in die Arbeit. Voll Reiz war ihm die Mühe der herbstlichen Ernte aus der Scholle und vom Baum,eine helle Freude die Mühe des Pflanzens und Bauens, damit übers Jahr neue Ernte werde.Jugendlich aufquellenden Frohsinn, der überm vorbeihuschenden Augenblick alles vergißt, fand der innerlich Empfindsame in einem andern: Dieter 125 3Biu []liebte die Tiere. Die stumme Kreatur aber hat davon ein sicheres Gefühl und erwidert Zuneigung,wo sie solche findet. Wie eine wundersame Naturerkenntnis und ein köstlicher Glaubenssatz ging es ihm auf. Er sah, daß der Fleck und der Bläß, die Liese und der Falb, und wie die Kühe und Rinder alle hießen, ihn erkannten, sobald er nahetrat; auch seine Stimme unterschieden sie bald im Anruf und in der Schelte. Er aber mochte lachen und freute sich wie ein Bub, wenn er am Abend die Rinder zur Tränke am Brunnen führte und sie ungebärdig und übermütig waren, wie Kinder beim ersten Schneeballspiel.

Den Bauer sah man erst gegen Mitte der Woche wieder in der Stube; so lange hatte ihn der Arzt ins Bett gebannt. Heinrich Fenner hielt sich mühsam aufrecht, aber ein harter Wille sprach aus den tiefliegenden Augen, als ein angekündeter Besuch ankehrte. Das war am Mittag; am Abend erst verabschiedete sich dieser: der Landschreiber, der Notarius und die Urkundsperson der Gegend. Geduckt, gebrochen und erloschen war nun auch der Blick des Bauern. Auf ein teilnehmendes Wort Dieters sagte er mit tonlos heiserer Bitterkeit:„Hast recht, Vetter, ich sollte mich hinlegen ... und nicht mehr aufstehen!“ Kein feindseliger Ton gegen den Jüngern lag darin, eher freundlicher Dank für seine Teilnahme, so daß dieser dachte, so ließe sich's wohl zusammenleben.

Auch an bescheidener geistiger Anregung, wie sie g*

131 []in sein jetziges Leben paßte, fehlte es Diethelm Fenner in dieser Woche nicht. Am Donnerstag las er im Wochenblatt, daß am Samstag, anschließend an die Verrechnung der Milchlieferung, die Versammlung des landwirtschaftlichen Gemeindevereins eine bäuerliche Frage besprechen würde. Er hatte Lust,hinzugehen und sprach eben jetzt davon. Der Vetter riet ihm nicht ab. „Ich bin Mitglied, du kannst als mein Stellvertreter dort sein; ich halte an meinem Teil nicht viel von dem Gerede; ein rechter Bauer geht seinen eigenen Weg; doch kann man zuletzt überall lernen ...“ Ganz bescheiden sagte es der Bauer; wie ausgewechselt erschien er dem Jüngern und gab ihm ein neues Rätsel auf, wie die Aenderung zu deuten sei.

Dieter ging zur Versammlung. Man sprach dort über eine landwirtschafliche Winterschule, die, in seiner Heimatstadt errichtet, zur arbeitsstillen Zeit junge Bauern mit dem Lehrhaften ihres Berufes vertraut machen sollte, deren Möglichkeit aber davon abhing, ob sie auch von Bauernsöhnen besucht würde.

Der Vorsitzende, ein ergrauter Mann mit klugen Augen, empfahl den Plan; dagegen sprachen wenige. Bedenken hatte man, daß die Bauernbuben zu sehr in städtische Fröhlichkeiten und Zerstreuungen hineingewöhnt würden und die Lust am Daheimbleiben verlören; doch stimmte man dann zu, und vier Väter gaben unterschriftlich kund, daß sie ihre Söhne an die Schule schicken würden.122 []Nachher, als man noch den Schoppen austrank und etliche sich zum ländlichen Kartenspiel zusammentaten, erfuhr Dieter etwas, das er als Ehrung eines Toten und seiner selbst empfand. Er hatte bescheiden um Erlaubnis gefragt, zuhören zu dürfen, und der Leiter der Versammlung sagte kurz zu. Nun kam dieser, sein Schöpplein mittragend, zu Dieter: „Wenn es Ihnen recht ist, Herr Fenner!“ Er setzte sich und begann zu erzählen,daß er mit Diethelms Vater auf der gleichen Schulbank gesessen sei und sich freue, den Sohn zu sehen.Er rühmte diesen Vater als einen Gescheiten und Wackern. Doch ließ ihn der Gedanke des Abends nicht los: Der Fluch der Bauernsame sei, daß ein Kluger und Anstelliger immer etwas Besseres werden wolle. Das ‚Besser“ sprach er mit verbitterter Betonung; denn seine beiden Töchter hatten aus der Bauernschaft heraus geheiratet. „Niemals aber kehrt ein wirklich Anstelliger zu uns zurück; und unser Bauernland hat es so bitter nötig,daß ihm das Beste am Menschentum erhalten bleibe; denn wir sind doch zuletzt der Nährstand!Und wenn man es recht überlegt: Der Bauer ist zuletzt a ILein ein freier Mann auf seinem Grund und Voden.“In diesem Sinne sprach er, und der Gedanke hielt den Diethelm Josephus im Bann, als er später heimkehrte ein nachdenklicher Mann, der hin und her überlegt, wie's Bauernweise ist, nach J []der Art schwerer Ackererde, die kein Korn verloren gehen läßt, ob es auch langsam keimt und reift.

Der zweite Sonntag auf dem Bauernland glich für Dieter Fenner in manchen Stücken dem ersten:Nach der Morgenarbeit verschlief er den besten Teil des Vormittags; er war körperlich müde und im Schlaf zurück; nachher sollte er Briefe schreiben.Als wäre er ungelenk in Gedanken und Feder,wollten ihm die Sätze und Buchstaben nicht werden.Seinem Geschäftsteilhaber packte er ein ganzes Büschel Anfragen fast ungelesen wieder ein: „Mit Ihnen einverstanden! J. D. F.“ Nicht einmal den Namen schrieb er aus.

Nach dem Essen raffte er sich auf und ging im leichten Herbstregen, der wie langsam niedersinkender Segen sanft rieselte, über Land. Zu seinem ersten Saatenacker zog es ihn. Er wurde enttäuscht; denn statt einer Trift, darauf ein leiser grüner Anflug keimender Körner läge, fand er den Acker grau und schwarz, kaum, daß an einer Stelle ein farbiger Hauch lag, und dort flogen Vögel her und hin. Ihm kam der Gedanke an den Bibelspruch; er verstand es, warum der Bauer in Gleichnissen hofft und glaubt.

Sollte er hoffen und glauben, oder trostlos sein?Mit einer geheimen Scheu vor dem gewaltsamen Eingriff in die Werkstätte der Natur, wühlte er mit seinen Fingern in der Erde nach den Körnern,die er ausgeworfen hatte. Reichlich fand er sie,124 []eingelagert in die nährende Feuchte, und jedes hatte bereits sein zartes Keimchen ausgetrieben und strebte in unschuldiger Weiße zum Licht empor.

Wie ein Vergehen empfand er jetzt sein Tun.Unbäuerlich, unmännlich, kindisch erschien ihm, daß er nicht hatte warten können. Und doch ging er nachher fröhlich nach Hause.

EDDD schaft. Sie sollte die schwerste werden.

Im Stall der neuen Scheune fraßen am Mittwochmorgen zwei Kühe schlecht, und mühsam erhob sich die eine vom Liegen. Das mißfiel dem Dieter; doch behielt er den Schreck für sich. Am Mittag führte er die Tiere unter die Stalltüre an die Helle. Mit laienhaftem Tasten untersuchte er Mäuler und Zunge. Er fand sie bedeckt mit gelben Bläschen. Darüber kam Rose daher. „Daß du mir nicht in den Stall kommst!“ herrschte er sie an.„Schick zum Tierarzt!“ And er sprach seinen Argwohn aus, daß eine schlimme Seuche im Stall eingekehrt sei. Auch dem Vetter Heinrich, der am Stock herhumpelnd wetterte und fluchte, verwehrte Dieter den Eintritt. Auf die Vorhalte, so schlimm werde es nicht sein, und am besten rede man nicht davon, ging der freiwillige Knecht nicht ein: „Ich werde es anzeigen, wenn du es nicht tust. Du weißt, was darauf steht, wenn man dergleichen verheimlicht.“

Brummend mußte sich der Bauer darein schicken;135 []denn was Dieter geargwöhnt hatte, war bittere Tatsache; auf dem Sennhof war der Bauernschreck,die Klauenseuche, eingekehrt. In einem Stalle war sie festgestellt; der andere war nur verdächtig; der Bann lag auf dem ganzen Hof. Angeschlagene gelbe Zettel verkündeten es am verseuchten Ort,rote warnten am verdächtigen, daß niemand sie betrete.

Gebannt an seine Stelle, eingesperrt in Stall und Scheune war Diethelm Josephus; er hatte sich erboten, Krankenpfleger zu sein an der leidenden Kreatur und schickte sich darein, wie es ging. Ueber dem Stall waren zwei Räume in die Scheune eingebaut, auch eine unfertige Küche; aus einer sonderlichen Laune hatte es Vetter Heinrich beim Bauen so angeordnet; wenn er einmal alt wäre und ein andrer im Haus regiere, dann sei das sein Altenteil, hatte er es begründet. Hier hauste sich Dieter ein. Eine Bettstätte fand sich vor; Lagerzeug und Leinen reichte ihm die Base über den Zaun, den er selber um das verfehmte Haus zog, nach Vorschrift, damit niemand von dort den Krankheitskeim weitertrage. Hier hauste er nun, ein selbstgewollter Einsiedler. Tagsüber wartete er den kranken Tieren, kochte ihnen auf dem Herd Gerstenschleim und Häcksel, linde nahrhafte Speise, damit sie nicht vom Fleisch kämen, und schüttete ihnen weiches Strohlager. Als wäre er schuld an ihrem Unglück, sorgte er. Dazwischenhinein bestellte er seine neue Wohnung, zimmerte sich Bank und Ge123 3 []stelle regelrecht eingesperrt war er; nur als Zaungast an der übrigen Welt, plauderte er etwa über die Sperre mit Rose oder ihrer Mutter.

Langsam, eintönig vergingen die Tage, kaum zu erleben, nachdem sich Dieter an die rege Werktätigkeit des Bauerntums in Feld und Flur gewöhnt hatte. Und in den mählich länger werdenden Nächten des sich vollendenden Herbstes lag er oft stundenlang wach und sann. Manchmal irrten seine Gedanken zurück in vergangene Zeiten; mehr noch beschäftigten sie sich mit dem Neuen, dem, was er jetzt besorgte. Seinen Tieren sann er nach und überlegte sich, wie ex den Hof bewirtete, wenn er der Meister wäre. An neuen Kulturen, an neuen Betriebsarten, am Umbruch mancher Wiesen studierte er herum, an der Vervollkommnung der maschinellen Einrichtungen und Geräte ...

Eine liebe Gewohnheit wurde es ihm, so sich vorzustellen, wie er, selber ein ganzer Bauer, auf eigenem Hof und eigene Rechnung wohl werkte ...und gab einem stillen Wunsche seiner Seele allmählich neue Stärkung.

Einmal erfuhr er darin überraschende Störung:ein leises Klirren der Fenster weckte ihn, wie von anschlagendem Hagel oder Steinen. Als er hinaussah, hörte er sich mit gedämpfter Stimme anrufen:„Herr Fenner, ich bin's, der Seppl“

Er ging hinunter und schalt den Rufer tüchtig aus, da er ihn schon über dem Zaun fand.

Doch der nahm nicht Notiz davon: „Dummes 137 []Zeug! Von der Sache versteh' ich auch etwas. Meine Schuhe liegen draußen; die Füße wasch ich mir nachher im Bach, und mit anderm vertrage ich die Seuche nicht!“ Wirklich stand er barfuß da. In der Stimme zitterte Erregung: „Zürnt mir nicht, Herr Fenner, morgen muß ich nun fort ins Feld. Weil es doch auf Tod und Leben geht, kann ich's nicht, ohne noch einmal mit Euch geredet zu haben ... Ihr seid klug und wißt schon, wovon ich sprechen will .. .“ Der Sepp suchte nach dem Ausdruck.

Nun war Dieter aus seiner Schlaftrunkenheit völlig wach. Wortlos hängte er die Laterne vor dem verseuchten Stall ab und stieg die Treppe hinan. Der Sepp folgte.

In der Stube setzte er das gelbflackernde Licht auf den Tisch; es warf einen flatternden Schein wieder aus den hellen Augen des Knechtes.

„Nun, was ist Euer Anliegen, Seppꝰ?“

Dieser hatte sich besonnen: „Ich will nicht fort von hier, ohne daß Ihr nun auch das letzte wißt.Eingesperrt und angeklagt, ich hätte hier auf diesem Platz Feuer gelegt, war ich, das habe ich erzählt.Ich tat es nicht, bei Ehr und Seligkeit nicht auch das habe ich gesagt. Aber ich habe meinen guten Namen verloren darüber; ich habe zuerst nicht gewußt, was das bedeutet; erst später habe ich es erfahren doch das hat heute wohl nichts zu sagen..Aber, Herr Fenner, ich habe die ganze Zeit über gemeint, ich wisse, wer schuld sei ...“

„Der Bauer hat selber das Feuer gelegt, ur138 []teilte ich, ob er es im Rausch tat, oder weil er gut versichert war, das überlegte ich mir nicht. Aber min fiand es fest. Ein kleiner Knecht hat keine Stimme in der Gemeinde; darum schwieg ich. Ich hätte nur Unglück über das Haus gebracht. Das wollte ich nicht. Warum nicht, ist meine Sache ...Aber der Jungfer Rose habe ich den Argwohn zugesteckt und auch sonst manchmal allerlei angedeutet,und das redete sich herum. Heute plagt es mich;heute weiß ich auch, wer es wohl gewesen ist ...“

„So zeig ihn doch an, Sepp, das ist ehrlich und offen!“

Bekümmert sah sich der Knecht um: „Das kann ich nicht, und Bestimmtes weiß ich auch nichts. Hört nur: Ihr habt schon gehört von den Keßlerleuten,den Korbern und Zigeunern, die etwa herumstreichen. Freilich, die Städter wissen wenig von solchen Leuten. Sie sind auch seltener geworden und sind jetzt ungefährlich, wenn sie mit Weib und Kind und Wagen ziehen und mit Flickkünsten ihr Leben fristen. Doch gibt's einzelne, die betteln nur und stehlen sich durch und schlafen abends in Ställen und Scheunen, und so einen hab ich vorgestern wieder gesehen. Und mir fiel ein, daß der gleiche mir an jenem Unglücksabend fast in die Hände gelaufen ist, als das Feuerhorn ging ... Seither aber ward er hier nicht mehr gesehen. Herrgott, den möchte ich jetzt in Händen haben ... es ist ein alter Kerl, noch aus jenen Zeiten, da die Bauern erschraken, wenn die Landstreicher am Wege waren,139 []und da die Bäuerinnen ihren Weibern Eier und Butter gaben, damit der rote Hahn nicht aufs Dach fliegel Herrgott, wenn ich den Gallachenpeter in den Händen hätte so heißt er nämlich nach der Kundensprache unter den Strolchenden, er soll ein verkommener Pfarrstudent sein.“

Wie Seelenangst flackerte es aus dem Gesicht;er bettelte: „Herr Fenner, sagt all das der Jungfer,daß dieser wohl den Brand gelegt habe und nicht ihr Vater! Und daß alles andere null und nichtig wäre!“

Dieter wußte nicht, war es die kühle, nächtliche Zeit, war es die gemeine Gewöhnlichkeit der Lösung des Rätsels, das ihn selber eine Zeitlang angespannt hatte war es, daß ihm andere Nöte näher standen: Er fühlte keinerlei innere Anteilnahme an dieser Beichte. Eine Unklarheit empfand er bitter und unangenehm:

„Warum soll nun aber gerade die Jungfrau Rose all dies von Euch ausgerichtet bekommen?!“

Der Knecht senkte den Blick und gab unsicher Bescheid: „Weil sie es doch am schwersten trägt und ich fort muß und nicht weiß, wie es mir ergehen wird!“

„So sagt ihr all das selber!“

Der Knecht seufzte vernehmbar: „Wenn ich es könnte ... auch ist sie anders geworden in der letzten Zeit. Früher wich sie mir nicht aus, wenn der Zufall uns begegnen ließ, und hatte einen Dank für meinen Gruß. Heute haßt sie mich, glaube ich.Mir scheint, wenn ich nicht wieder käme aus dem Krieg, wär's ihr wohler. Aber ich möchte so nicht 149 1 []fort; darum sagt ihr das, was ich ihr selber nicht berichten kann. Um Christi willen bitt' ich, sagt ihr's. Und vergeßt nicht: alles andere sei null und nichtigl!“

„Alles andere... was ist alles andere?“ Dieter sah ihn groß an.

„Ich kann es nicht sagen Herr Fenner!“stotterte der Knecht und senkte den Blick; „ich meine es aber gut damit!“

Da stand Dieter auf: „So lassen wir's.“ Gemessene Ueberlegenheit hörte er in seiner Stimme;er sah auf den Kleineren hinab, der mit bloßen Füßen frierend auf der kahlen Diele des Not-gemaches stand, durch dessen schlecht schließende Fenster die Kälte des ersten Herbstfrostes drang.Er sah ein bleiches Gesicht vor sich, in dem rötliche Strähnen Haar ins Gesicht hingen; im verängstigten Mund bissen gelbliche Zähne aufeinander.

Da besann er sich der besonderen Umstände des Mannes und sagte: „Ich wünsche Euch Glück für Eure Kriegerszeit, Sepp!“ und hielt ihm die Hand dar.

Wie ein Geschenk nahm dieser den Händedruck:„Noch eine große Bitte habe ich, Herr Fenner.Nicht wahr, wenn ich draußen bin, darf ich einmal schreiben, und vielleicht antworten Sie drei Zeilen,wie es hier geht und steht in Feld und Acker. Man kann sie wohl nicht vergessen, wenn man so manches Jahr darauf gebauert hat.“

Wahrhaftig, nun waren die hellen Augen voll 141 []Wasser. Das rührte den Dieter, er fand ein beruhigendes, zusagendes Wort und geleitete den nächtlichen Gast die schmale Stiege hinunter.

Nach seiner Art, und weil er in seinem Gefängnis der Absperrung Muße dazu hatte, sann er die folgenden Tage über die Begegnung nach und auch darüber, wie die junge Base ein Wort davon aufnahm.

Im kurzen Gespräch über den Zaun erzählte er.„Glaubst du an den Landstreicher?“ fragte sie und zuckte die Achseln. Und nachher hielt sie den Kopf hoch und meinte kurz: „Der Sepp ist wunderlich geworden!“ Dann ging sie fort.

Ihm selber gab vieles zu denken, wie dieser besitzlose Knecht, der nur mit seinem Schweiß und seiner Hände Arbeit und mit viel Leid und Kummer im Boden dieses Landes verwachsen war, sich kaum davon losreißen konnte. Und wiederum konnte er ihm Anerkennung nicht versagen, wie er es entschlossen tat, da ihn seine Pflicht rief. Und doch lag auch hier ein Argwohn darüber und eine ihm unerklärliche Abneigung, sobald er sich besann, wie der geduckt ungestalte Mensch in seinen Nöten stets die Base miteinbezogen hatte, die frank und stark durch das Leben ging.

So sann er in seiner Absonderung und sehnte ihr Ende herbei. Schwermütige Gedanken wollten Gewalt in ihm bekommen überm Leiden der stummen Kreatur, in diesem beengenden Gefängnis seiner Pflege an ihr.142 []

Dreizehntes Kapitel.

Schmerzliche Befreiung!

Ueber die Maßen schwer und schmerzlich war die Befreiung:

In der Zeitung las Dieter, daß die böse Seuche weitern Fortgang nahm und bald ein Landschaden wurde; er las auch von der Ergreifung schärferer Maßnahmen der Regierung dagegen und fand hier ein Wort, das ihm in seiner Abgeschiedenheit niemand erklärte: „Keulung des ganzen Viehstandes in den betroffenen Höfen!“ wurde angeordnet.

Ein nächster Morgen sollte es ihm deuten:Lauter Wortwechsel vor seinem Scheunenhaus ließ ihn hinaustreten. An seinem Absperrungszaun,wo ein großes Tor eingelassen war, stand der Vetter, erregt, abgezehrter im Gesicht noch denn sonst, inmitten einer Gruppe Männer. Zwei davon redeten auf den Bauern ein und schienen von ihm etwas zu verlangen, was er nicht zugeben wollte.

Diethelm!“ rief er den Heraustretenden an,„komm her und höre, was die Herren von mir wollen, und sprich auch dein Wort dazu!l“

Es war der Amisstatthalter des Bezirks, ein stattlicher Herrenbauer dem Ansehen nach, nicht ohne Würde des Gebarens, ein Mann, der seine Leute verstand, weil er selber aus ihrer Mitte hervorgegangen war und sich als ihresgleichen fühlte.Der andere, kleinere, gab sich das mehrere Ansehen;143 []gescheite Augen blitzten hinter einem golden eingefaßten Zwicker, und auf den Lippen lag ein selbstbewußtes Lächeln, das freundlich sein sollte. Etwas abseits standen breitbeinig weitere Männer, bäurische Schlächter im weißroten Ueberhemd.

Sie streifte ein Blick des Bauern und haftete dann wieder auf dem Beamten: „Dieter, muß ich es tun? Du bist aus der Stadt und kennst dich in Verordnung und Gesetz besser aus. Die Herren verlangen, daß mein ganzer Stall Vieh abgeschlachtet werde ...“

„Nur so habt Ihr endlich Ruhe auf dem Hof,Herr Fenner“, redete der Statthalter zu, „sonst schleppt sich die Seuche weiter fort!“

Und der andere, der mit dem blanken Augenglas, fügte mit kühlem Abfertigungston, der nach Kanzlei klang, bei:

„So ist auch verfügt worden im staatlichen Gesundheitsamt. Der Herr Statthalter wird sorgen,daß es ausgeführt wird!“

Dieter stand auf braungefärbtem, feuchtem Grund, aus dem gar übel ein Geruch von allerlei ausgeschütteten Entseuchungswassern aufstieg. Wie er ihn haßte, diesen Geruch! Und wie er dieses Leben eines Einsiedlers satt war! Auch überlegte er, daß diese radikale Maßregel freilich geeignet wäre, dem schlimmen Ding ein Ende zu machen...Doch schien es ihm widersinnig, so viel starkes Leben zu vernichten; ruckweise kamen vor ihn die Bilder der einzelnen Tiere seiner Obhut; alle kannte er 144 []nun nach ihrer Eigenart. Und dieses ganze Dutzend,Stück um Stück, sollte zur Schlachtbank, auch jene,die er mit unendlicher Mühe durch die Krankheit geschleppt hatte und die nun mählich genasen, auch jenes einzige, das seuchen- und stichfest mitten unter den Kranken sich gesund und munter sein Fressen schmecken ließ. Dem Dieter griff die Unnatur dieses Mordens der unschuldigen Kreatur ans Herz.

Er reckte sich und über den Zaun weg maß er den städtischen Beamten: „Sie sagen, es sei so verordnet und anbefohlen. Darf ich den Erlaß sehen!“

Der Widerspruch reizte diesen; doch sah er harte Bauernköpfe vor sich. Er wies einen Zettel vor.

Diethelm las ihn bedächtig: „Die Verordnung sagt nicht, was Sie, Herr ... hier steht nur, wenn immer möglich ist zur Verhütung der Weiterverbreitung der Seuche auf Keulung des ganzen Viehstandes jetzt verstand er den Ausdruck unter billiger Entschädigung an den Besitzer und mit dessen Einwilligung zu dringen! Die Einwilligung des Besitzers vermisse ich ...!“

Er legte die Arme auf den Zaun, immer noch das Papier in einer Hand, die andere krampfte sich zornig um das Holz.

Dem Knecht erwiderte der Beamte nicht; einen geringschätzenden Blick warf er ihm durch die schrägstehenden Brillengläser zu: „Ich dringe darauf Herr Statthalter hören Sie der Staat wird die Mittel haben, Widerstrebende zu zwingen!“ Mit kurzen Schritten wandte er sich ab.

Wehrlin, Zur Scholle. 10 19

2 []Jener nahm nun Heinrich Fenner beiseite und redete und rechnete ihm eindringlich vor. Dann kam er zurück: „Es ist im Reinen und abgemacht.Nicht wahr, Herr Fennerl!“ Dieser sagte kurz: „Freilich wohl, laß die Mannen machen, Vetter!“ Er schleppte sich zwischen seinen Stöcken vors Haus.

Mit einem Seufzer schloß Dieter das rostige Malschloß der selbstgezimmerten Gattertüre auf.Mit ihrem Handwerkszeug traten die Schlächter ein, ihnen nach der kleine Stadtherr mit dem gelben amtlichgroßen Briefumschlag unterm Arm,und wies ihnen die blutige Arbeit an. Das erste Tier, das unter der Schlagart fiel, war jenes, das,unberührt von der Krankheit, eben noch am grünen Futter kaute. Als es sich zur Todesstarre auf dem Scheunenboden streckte, wandte sich Dieter ab. Sein Uebergewand, Schuhe und Strümpfe legte er zusammen vor das Tor. „Das wird verbrannt“, sagte er vor sich hin. Beim Gatter wusch er die Füße, die Hände und Arme bis über die Ellbogen in der braunen Flüssigkeit, die dort im Kübel gebrauchsbereit stand und mit der rundum der Boden besprengt war, und spülte seine Glieder nachher im vorbeifließenden Bächlein.

Auf bloßen Füßen, wie vor kurzem der Sepp,schritt er dem Hause zu.

Im Gemach seiner ersten Einkehr im Sennhof kleidete er sich um. Dort erschienen ihm die letzterlebten zwanzig Tage wie ein schlimmer Traum,und als er, zum Fenster hinausblickend, im offenen

11 1 []Scheunenraum die Schlächter an der Arbeit sah,schüttelte ihn der Ekel.

Städtisch gekleidet, folgte er nachher einem Ruf der Base Rose; bleich, doch mit hochgetragenem Gesicht, redete sie ihm freundlich zu: „Dieter, du mußt ein Kleines essen; es wird dir gut tun!“

In der Stube fand er den Vetter Heinrich und bei ihm mit der breiten Behaglichkeit eines selbstzufriedenen bäuerlichen Amtsmannes den Statthalter. Wohlwollend sagte er, und der Spruch sollte den Dieter trösten: „Laßt Euch die Sache nicht zu Herzen gehen. Geschlachtet wird jedes Vieh einmal in seinem Leben“ und als der Scherz nicht Eindruck machte, fügte er bei: „Was liegt an einem Tier, wo sich doch die Menschen heute täglich schlachten!“

Vor sich hatten die Männer, wie es einem gastlichen Hause wohl ansteht, Brot und Geräuchertes und gelben Apfelwein. Auch dem Dieter lag ein Teller bereit. Keinen Bissen vermochte er zu essen.Er trank einen Schluck; dann ging er still beiseite.

Vor dem Haus setzte er sich auf die Bank und sah auf die Hofstatt hinaus, wo im kühlen Oktobernachmittag schwarz und gelbgefleckte Blätter vom Rußbaum niedersanken.

Der beißende Geruch der braunen, rundum verspritzten Seuchenbrühe, die Erinnerung an die zuckenden Leiber seiner Tiere und zu allermeist das Wort vom Schlachten der Menschen würgte ihn im Hals. O Gott! klang das Wort brutal und gear

147 []mein ... Oder enthüllte es nur wahrhaftig, was der Begriff Krieg war: Totschlag, „Keulung“, Vernichtung ...7

Er hatte es vergessen, daß er davor geflohen war. Vergessen über kleinen und kleinlichen Sorgen. Nun stand es riesengroß wieder vor seiner Seele und das schlimme Wort ließ ihn nicht aus dem Bann: Maenschenschlachten „Keulung“ ... Wahrlich, ein Knochengerippe mit der ungeheuren Keule des Alleszerschmetterns war der Gott dieses Krieges ... Diethelm Josephus sehnte sich fast zurück in die Einsamkeit der letzten Wochen, da er vergessen hatte, daran zu denken!

Er achtete kaum, was um ihn vorging: Auf seinem Chaislein wartete der Amäisstatthalter,schon auf der Straße vorgefahren, auf den städtischen Gefährten seines Pflichtgangs.

Langsam kam dieser neben dem sich an seinen Stöcken schleppenden Meisterbauern vom Unglücksstall her um die Ecke auf die Hofstatt. Belehrend und befehlend redete er auf ihn ein. Heinrich Fenner aber hatte sein bösestes Gesicht aufgesetzt.„Der Stall muß frisch gekalkt und mit frischen Bodenbrettern belegt werden, hört Ihr! So ist's Vorschrift!“

Sie standen vor der nach der Väter Weise mit dem Haus zusammengebauten zweiten Scheune,daran der Stall nur durch den schmalen Futtergang von der Wohnung der Menschen getrennt war.112 []Der Beamte musterte die Seuchenwarnung an der Türe. Dann griff er nach dem verschließenden Riegel, sie zu öffnen: „Auch hier wird man zum Rechten sehen ...“

Seine ausgestreckte Hand griff ins Leere. Heinrich Fenner hatte einen seiner Stöcke fahren lassen.Mit dem Rest der zähen Bauernkraft faßte die linke Hand des hagern Riesen den Kleinern am Gewand über der Brust; er hob ihn in die Höhe, als er ihn zurückstieß, daß der Ueberraschte taumelte.Im Rückwärtsstolpern fiel ihm sein goldgefaßtes Sehgerät von der Nase.

Blinzelnd, bleich vor Zorn suchte er nach dem Glas, als schon der Bauer nach einem Schritt in den Stallraum wieder unter der Türe stand.An einen Pfosten lehnte sich Heinrich Fenner, aber nun war er bewehrt. Eine Gabel mit drei langen blanken Zinken umfaßten beide Hände am sechsschuhigen Stiel. Wie Blitz und Wetter leuchtete es auf dem zerrissenen Gesicht, und mit Donner und Hagel brach er los:

„Willst mir den Stall auch noch versauen, du Kaib! Ich will dich lehren, wer Meister ist in meiner Hofstatt. Tust du noch einen Schritt, so mach ich dich tot, hol mich der Teufel ...“

Ein Bauernrebell voll Wut und Verzweiflung,blutunterlaufen die Augen, das Gesicht käsgelb,holte er zum Stich aus. als der andre suchend gegen ihn tappte. Ein fußlanger Riß im Gewand zeugte vom grimmen Ernst.

40 []Der Streit hatte Dieter aufgeschreckt; er eilte an die Seite Heinrich Fenners. „Macht keine Dummheiten, Vetter!“ Er entwand ihm die Waffe. Aufatmend lehnte sich dieser an die Türpfosten.

Nun hatte der Kurzsehende auch sein Glas gefunden; er stülpte es schräg auf die Nase und erkannte durch die beschmutzten Gläser, daß ein städtisch Gekleideter vor ihm stehe; das hob sein Selbstvertrauen; heiser eiferte er:

„Das war Widersetzlichkeit; das war Bedrohung!Ich werd's Euch eintränken, Fenner. Sie sind Zeuge“, wandte er sich an Diethelm. „und dort der Herr Statthalter!“

„Das werden Sie nicht tun, Herr! Von Bedrohung hab' ich nichts gesehen und auch der Herr Statthalter wohl nicht.“ Diethelm sagte es sehr vernehmlich, und der Anschuldiger überzeugte sich,daß sein zweiter Zeuge eben angelegentlich in die Aeste des Nußbaums am Brunnen blickte.

Aber Diethelm Josephus Fenner war damit nicht zufrieden. Das trotzige Blut seiner Sippe brauste in ihm auf, nach Bauernart ungeschlacht;wochenlang aufgespeicherten Grimm redete er sich vom Herzen, und die Rauheit der letzten Erlebnisse widerhallte in grollenden Worten, daß ihm Ton und Inhalt der eigenen Rede fremd klang: „Ein netter Herr sind Sie, und wenn einer klagt,werd' ich es tun, hören Sie! Ich will Sie lehren,wie man mit uns Bauern verkehrt. Ich werde 159 []klagen und Ihnen die Landvogt-Manieren abgewöhnen!“ Und klotzig grob schloß er: „Ein Verrückter könnte es nicht besser machen, als Sie, Herr.Mein Vetter hat recht, wenn er ein Kalb, das aus einem verseuchten Stall kommt, nicht in einen gesunden läßt. Ein Kalb! Haben Sie verstanden,oder soll ichsss in die Zeitung bringen? Als Preisaufgabe, wer es dümmer anstellen könnte, als Sie ... Ich rat' Ihnen, machen Sie, daß Sie fortkommen vom Sennhof, aber plötzlich, verstanden!“

Recht ursprünglich wohlig ward ihm, wie er so seinen Grimm entlud. Mit seiner ragenden,starken Schlankheit trat er dicht heran und sah zornsprühend auf den Kleinern herab.

Dieser gab sein Spiel verloren; zurückweichend brummte er vor sich hin; und erst, als er sich im fortrollenden Wagen sicher fühlte, redete er von beleidigter Beamtenwürde. Doch fand er keinen willigen Hörer. Der Statthalter hatte im Wegfahren die beiden Fenner mit einem listig wohlwollenden Lächeln auf zufriedenem Gesicht geIIhnen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, Herr Sekretär. Sie waren ungeschickt; so, wie Sie, geht man mit meinen Bauern nicht um. Die Art verträgt das nicht. Am wenigsten der SennhofFenner. Vergeßt nicht, die sitzen seit urdenklichen Zeiten auf ihrem Grund Sie aber sind ein junger Mann!“ Man fühlte aus dem Ton der 151 []Stimme, daß sein Wohlwollen auf der andern Seite stand, bei den Mannen vom Bauernland, zu denen auch er gehörte.

Die beiden Vettern hatten den Wegfahrenden nachgeschaut; sie sagten kein Wort zu einander.Schweigend ging Diethelm Josephus dann vom Hof fort. Er war beklommen in der Erkenntnis,daß eine Pflicht, mochte es eine niedere scheinen,ihm nun genommen war ein Gefühl der Zwecklosigkeit seines Hierseins wollte ihn einnehmen.

Aber frei konnte er nun wieder gehen,; freilich nicht den bewohnten Stätten nach; denn vor diesen schreckte noch der Bann auf seiner Wohnstätte ab.Ziellos wanderte er über die herbstliche Flur.Mit einem Male stand er am Buchenrain. Vor ihm breiteten sich an der Halde die Aecker, braun,für die Frühsaat zubereitet die einen, mit sanftem,saftigem Grün überhaucht die andern, und mitten darin die Zelge, über die er als Säemann geschritten war. Nicht schlechter und nicht besser als beim Nachbar standen die schmalen, im Spätwind zitternden Fruchtgräser. Er hatte gekonnt, was die andern das war ihm Beruhigung ihm kam ein Wort des verstorbenen alten Vetters in den Sinn, daß ein Größerer nun schützende Schneedecke im Winter und Segen und Sonne spenden müsse..Warm wie ein Gebet schwoll ihm sein Sinnen, als er den weiten Plan übersah, wo Gräslein an Gräslein stand und im leisen Lufthauche mit 159

18 []leisem Winken von göttlicher Werdekraft und göttlicher Liebe sprach.Im Sennhof fand er bei den Frauen eine ergebene stille Stimmung, über der etwas wie Gefühl der schmerzlichen Erlösung lag. Er bezwang vor ihr den wiederkehrenden Ekel über den Gerüchen von Blut und ätzenden Seuchebrühen.

„Der Vater ist zu Bett gegangen,“ sagte Frau Christine, „er läßt dir Gutnacht sagen!“

Das war dem Dieter ungewohnt.

„Und morgen wollte er dann mit dir reden, weil doch deine vier Wochen längst um seien ...“

Jetzt erst besann er sich auf seine Probezeit als freiwilliger Knecht. Frau Christine aber fügte bei,und in die blauen Augen im alten runden Kindergesicht stieg Feuchte: „Vetter, gelt. du bleibst bei uns!“

Dieter antwortete nicht. Er sah Rose an. Sie saß aufrecht und stumm. Nun verharrte auch er im Sichbesinnen.Später waren die beiden Jüngern allein. Rose begann: ,‚Dieter, sag, gibt das keine Geschichten, daß der Vater so heftig wurde gegen den Herrn von der Regierung?“

„Bin ich es weniger gewesen?! Recht hat der Vater gehabt. Der Bauer ist zuletzt der Freiherr auf seinem Grund und Boden ... Er soll es nur mehr zeigen, daß allen Stadtherren die Brillen von der Nase fallen!“15*[]Da blitzte das alte schalkhafte Röslein-Lachen über ihr Gesicht: „Dieter, du hast das Zeug zum Bauern. Der Vater hat's heute Abend gesagt. Du seiest in die Bauernart geraten! Er hat dich auch gerühmt darum. Das gleiche Wort hat er gebraucht: Der Bauer sei ein Freiherr auf seinem Grund, dazu hättest du das Zeug. Und mir gefiel's nicht schlecht, eines Freiherrn Tochter zu sein ...“ Sinnend hob sie den Kopf, daß ihr Vetter prüfend lange hinsah; sie aber ließ den Blick nicht sinken.

Später ward sie zaghafter, als er auf den nächtlichen Besuch des Sepp zurückkam und dessen Erzählung vom herumziehenden Vagabunden, der den Brand auf den Hof gelegt.

Als hätte sie viel darüber nachgedacht, wiederholte sie nachdenklich: „Ein Vagabund, ein Keßler habe das Feuer gelegt?! Dieter, dem Vater habe ich davon nichts gesagt; aber wer das beweisen könnte, daß es keiner vom Hofe selber wäre, nicht der Knecht, noch ein anderer, wer das beweisen könnte, der verdiente Gotteslohn! Am Vater und an mir!“

Die letzten beiden Worte sprach sie still verloren,und fast zaghaft fragte sie: „Dieter, auf dein Gewissen frage ich dich: Glaubst du das, was der Sepp sagte? War es nicht nur eine letzte Aussage, weil er fortgeht? Nicht für ihn, wohlverstanden. doch um andere zu beruhigen!“

„Mir schien in allem glaubhaft. was er sagte!154 []An ihm selber zu zweifeln, habe ich keinen Grund!Ohne Hintergedanken sprach er davon, wie einer,der einen Gang auf Leben und Tod geht. Der Mann hat nicht gelogen so läßt er dich auch grüßen!“

Sie gab darauf keinen Bescheid. Zum erstenmal sah Diethelm Fenner seine Base den Kopf auf die Hand senken, in schwerer Ueberlegung.

Als sie ihn wieder hob, lag ein seltsam strenger,trauriger Ausdruck in den Augen: „Vetter, glaubst du den Menschen? Traust du ihnen?“

„Das fragst du?! Ich glaube jedem, der mir zum voraus nicht den Argwohn des Lügens mitbringt! Beim Sepp ist das aber nicht so, so wenig als bei dir und mir!“

„Doch verdrehen die Leute um ihres Vorteils willen die Wahrheit. Sie sind nicht offen und ehrlich. Ihrem Vorteil zulieb und aus Scham schweigen sie, wo sie sprechen sollten, und wiederum reden sie Dinge, die sie nicht beweisen können.“

Tief grub sich der Zug schmerzlichen Erlebens in ihr Gesicht ein, und die Hand zuckte erregt an der Strickarbeit auf dem Tisch ...

Diethelm erschrak über die trostlose Rede und den schweren, müden Ausdruck. Ihn betrachtend,sann er, wie das Röslein-Gesicht vorhin ganz anders gewesen war, und wie diese Gesichtszüge kühn und wohlabgemessen schön sein könnten, wenn ein Hauch der Fröhlichkeit darüber läge. Er legte seine Hand auf die unruhigen Finger:19

5 []„Base, Röslein, was ist mit dir, daß du so schlimm denkst von den Menschen? Hast du so Schweres erfahren?!“

Das ganze Unglück einer freudlosen Mädchenzeit lag auf ihrem Gesicht. Doch fand sie wenig Worte;man sah ihr an, daß sie sich zwang zu reden: „Seit der Großvater starb, liegt Unglück über unserm Haus; seit es brannte auf dem Hof, lastet Verdacht und ein Geheimnis über uns. Der Vater ist beim Bau ein Krüppel geworden, ein Leid mehr. Und die Mutter will es erdrücken, daß ihre Leute uns in Schande brachten; du weißt, ihr Vater kam um Haus und Hof. Der alte Mann tat sich aus Schande selbst ein Leid an... seither ist die Mutter halb verstört: sie weiß, der Vater war Bürge bei Geschäften ihres Vaters. Und ob es uns auch so gehen wird, wie ihren Leuten, ist ihr täglicher Kummer.Nächte lang kann sie darüber studieren, wenn etwa der Landschreiber beim Vater ankehrt; er aber ist dann finster und starr und sagt ihr kein Wort der Beruhigung So mühen wir uns durchs Leben; wie es endet, weiß der liebe Gott! Es ist ein Elend, zu leben.“ Hoffnungslosigkeit sprach aus Wort und Miene.

Diethelm fand die rechten Worte des Trostes nicht; er blieb beim allgemeinen:

„Und des haIb traust du den Menschen allen nur Schlechtes und nur Lügen zu?“

Sie sah beklommen vor sich hin; er deutete ihr Schweigen: sie sind doch alle so.156 []Da legte er seine Hand auf ihre zuckenden Finger: „Röslein, Base! Run sag mir: Was dachtest du denn von mir, als ich hierher kam? Sage es offen und ehrlich, hörst du! Und red' so zu mir, als wären wir noch Kinder ohne Leid und Arg.“

Einen Augenblick sah sie auf, zweifelnd, hoffend.Sie zog ihre Hand zurück:

„Was ich von dir dachte, als du hierherkamst vor einem Monat? ... Wohl das nämliche, wie wir Bauersleute alle von solchem Stadtbesuch.Wir lasen's ja in der Zeitung, daß man euch berichtete, die Bauern seien in Arbeitsnot, und ihr solltet helfen; doch versprach sich keiner etwas davon.Wir dachten, das werde keine große Hilfe werden,wenn erst der Gewunder verflogen sei. Bauernarbeit macht die Hände schmutzig, und die Stadtleut' haben Abscheu davor. Die halten nicht aus bis zum Endel“

„Röslein, mir tust du wohl unrecht, daß ich die schmutzigen Hände scheue.“

Als schäme sie sich jenes Wortes, kam leise Röte in ihre Wangen: „Du schon nicht, du bist auch von altem Bauernblut, meint der Vater. ein andrer wäre auf und davon ...“

Dann sah sie ihm frank ins Gesicht: „Vetter, sag du mir's. war es dieses, was dich zu uns triebl“

In sich selber hinein sprach Dieter die Antwort:„Warum ich hieher kam, ich weiß es heut' im tiefsten Grund noch nicht recht; der Plan ward mir über Nacht ... Und wie ich's in den letzten Wochen 57 []durchschleppte, was mir oblag, versteh' ich heute nicht. Eingesperrt war ich, den Schlüssel aber hatte ich in der Tasche, und ich bin doch nicht davongelaufen ... warum ich blieb, ist mir ein Rätsel.Und einen Vorteil habe ich, weiß Gott, davon nicht nötig.“ Dieter redete sich warm.

Verhalten warm ging die Widerrede: „Nimm mir das Wort vom Vorteil nicht übel, auf dich hat's keine Geltung.“

„Und doch sagtest du, alle dächten nur daran.“

„Alle hier, doch du bist anders, Dieter. Dir traue ich, du hast nicht an dich gedacht dabei.“

„Warum denkst du nun gerade von mir so?“

Sie überlegte: „Weil du so gut bist mit den Tieren und offen mit den Menschen; weil du so gerade herausredest, statt hinten herum. Ich glaube,du liebst die Tiere und fürchtest dich nicht vor den Menschen, und das ist wohl recht.“

Auge in Auge saßen sie sich gegenüber, stumm zunächst.

„Röslein,“ sagte Dieter unvermittelt, „macht es dir Freude, wenn ich den Winter über bei euch bliebe? Nicht zu meinem Vorteil! Darsst mir's glauben!“

Wieder kroch roter Blutschein über ihr Gesicht,aber die Antwort auf seine Frage blieb aus, und doch wollte er gebeten sein: „Soll ich bleiben?“wiederholte er.

Rose schüttelte den Kopf: „Ich darf nicht ja und darf nicht nein sagen; denk' ich an dich, so wird's 1*5

2572 []wohl besser sein: nein! Und denk' ich an den Vater und uns ...“ Sie sprach den Satz nicht aus, doch klang die Fortsetzung bitter: „Es wäre wohl nicht recht, wenn ich es wünschte. Du sollst dich nicht gering machen! Vor deinen Freunden in der Stadt aber wirst du dich gering machen damit, daß du Bauer bleibst.“

Als eine traurige Selbstverständlichkeit, daß sie niederen Standes sei, sagte es Rose; zu nüchtern und klar, als daß Diethelm dagegen große Worte fand. Sie hatte im Grund wohl nicht Unrecht.Genau so waren seine Freunde in der Stadt; man schrieb und sprach vom Wert des Bauernstandes und seiner Arbeit; aber selber bauern ... das war eine andere Sache; es war so, wie die Base sagte, man würde den Herrn Diethelm Josephus Fenner für schrullenhaft finden.

Aber indem er es überdachte, erwachte der alte Dieterleingeist in ihm, der ihn vor den Tanten der Jugendzeit hatte die Schuhe verstecken lassen, damit er barfuß gehen könne:

„Dann bleib' ich zum Trotz.“

„Zu Trotz tut man niemals gescheite Dinge,Vetter.“

Weil es aber bei ihm schon feststand, lachte dieser: „Oder dir zuliebe, Röslein. Gefällt es dir besser so?“

Rose stand zweifelnd auf, als wollte er ihrer spotten; aber aus dem ehrlichen Gesicht sprach nichts denn Gradheit und fröhliches Wollen und Wagen

13

59 []und helle Zuversicht eines innerlich Sichern. Nachdenklich zunächst prüften ihre Augen, wie er es meine. Dann weitete sich ihr Ausdruck, als ob grüne, fröhliche Saaten der Hoffnung in ihrem Gemüt sproßten.

Ueber Diethelm Josephus kam ein Gefühl der Befreiung und der Hoffnung, ähnlich jenem beim Blick auf den sanftwogenden Herbstacker seiner Saat. „Ich werde bleiben.“

Er empfand ein warmes Aufäfblitzen unausgesprochenen Dankes.Allzu früh schreckte Dieter am Morgen auf, zur gewohnten Zeit vor Tageshelle. Da besann er sich,daß er frei und ledig sei aller Pflicht; ein Morgenschlummer aber kam nicht wieder.

So zog er sich an und stieg hinunter; ein überflüssiger Zuseher zur Morgenarbeit; der Stall mit dem lebenden Vieh war ihm gebannt. Draußen fiel ein vorzeitiger Schnee mit großen, weißen Flocken, die aussahen wie Stücke weißen Tuches.Sie verschmolzen zuerst mit dem braun geätzten Erdreich auf der Hofstatt zu einem schmutzigen Brei.Müßig sah Dieter dem Spiel der Flocken zu; die sich mehrende Weiße und Helle in Landschaft und Tag stimmte ihn besinnlich, und die Untätigkeit regte ihn an zum Pläneschmieden.

Mit starkem Willen im Gesicht saß der Vetter Heinrich beim Morgenmahl; er beherrschte bohrende körperliche Schmerzen und die stille Angst eines 1650 []aus jähem Zorn Ernüchterten. Als die Frauen abräumten und die Dienstleute aus der Stube waren,fand diese Ausdruck:.

„Dieter. meinst du, sie gehen mir auch noch hinter den andern Stall; der Statthalter hat davon geredet; aber das wäre mein Tod drum hab' ich mich gestern auch gewehrt.“

Weil man ihn freundlich beriet, wurde der Jüngere angeregt und bald auch sicher im Wollen:„Sie könnten es tun,; sie könnten dich nicht direkt zwingen dazu, doch plagen, bis du ja sagtest, Vetter!Aber sie werden es nicht, Vetter“ nun war der Entschluß da „ich fahr' heut' noch zur Stadt. Ich setz' es durch, daß der Sennhof in Ruhe gelassen wird!“Eine halbe Stunde nachher stand Herr Diethelm Josephus Fenner unter der Türe des Hauses,wo seine Sippe Sitz und Grund besaß seit Menschengedenken. Der Stadtherr wieder und doch nicht ganz.

Base Rose hatte trübe Augen; er aber scherzte zum Abschied: „Wünsch dir einen Stadtkram, Röslein! Ich bring ihn mit.“ Sie sah zur Seite.„Halloh, was ist dir, hast schlecht geträumt? Bin ich dir vorgekommen im Traum?““

„Gar nicht hat mir geträumt“, sagte sie und ging weg.

Nachher. während er frisch ausschritt im Neuschnee und sie nachsah, kehrte ihr ein nächtlicher Traum ins Gedächtnis wieder: Hier auf dieser Hof

Wehrlin, Zur Scholle. 11

4.

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statt lag sie, im Totenbaum, wie der Großvater

statt lag sie, im Totenbaum, wie der Großvater aufgebahrt, damit die Leute Abschied nähmen; am meisten aber weinte der Vetter Dieter, ob er's auch zu verhalten suchte den Traum hatte sie nicht erzählen dürfen.

Staötfahrt und Stgaötnot.Keine acht Tage blieb Diethelm Josephus vom Sennhof fern; als er wiederkehrte, schien's ihm ein halbes Jahr.

Flüchtig war die erste Einkehr im eigenen Haus und im Heimatstädtchen. Er traf Vorkehrungen,sein Hauswesen zu schließen und ließ sich nicht rühren durch das Geschwätz der Besorgerin. Dem Geschäftsfreund mochte es passen, daß er seine Sache kurz abmachte und ihm die ganze Verantwortung ließ ...Wunderlich nahe ging's ihm beim Gang durch die Gassen des Städtleins, als er dort in der Auslage eines Photographen sein eigenes Bild sah;dreiviertel Jahr alt war die Aufnahme, ein feiner Stadtherr mit modisch geschnittenem Schnurrbart,dabei behaglich im Gesicht und wohl ausgefüllt die Kleider so erschien er im Bild. Er griff sich zum Kinn, wo ihm ein vierteljähriger Bart im Gesicht stand. Herzlich lachte er, als ihm beim Rasierer nebenan ein ganz anderes Gesicht aus dem 1527 []Spiegel entgegensah: Ein verwettertes, braunes Gesicht mit ungepflegtem Haupthaar und hängendem Schnurrbart überm Mund. Messer und Schere taten an ihnen das Nötige. Doch konnten sie es nicht ausbessern, daß die Wangen hagerer geworden waren und die Ohren weiter abstanden.Im Sinausgehen vor dem großen Spiegel zupfte Dieter die Weste nach unten. Sein bestes Gewand saß nicht mehr gut: Ein knochiger Bauer im städtischen Staat erschien er. Er tat sich fast zu gut darauf.Auf der Fahrt zur Hauptstadt umfing ihn wieder der Kummer dieser Zeiten, die Unruhe, vor der er aufs Bauernland entwichen war. Im Bahnzug schlug ihm aus einem Dutzend Gesprächen, die zwischen den Leuten hin und wieder gingen, beweglicher, ungeduldiger, mißmutiger, scheltender Jammer entgegen.

Bessermacher und Besserwisser hatten das große Wort und schalten auf die Behörden und ihre Maßnahmen. Nur wenige saßen gleichmütig und gefaßt im Wagen und meinten etwa: „Was wollt ihr jammern, Leute! Uns, in unserm Lande geht es doch gut, da wir den Krieg nicht auf eigenem Erdreich spüren, an Haus und Hof und Leib und Leben .. .“ Dazu nickten die zwei Soldaten, die von der Grenze her auf einer Dienstfahrt durchs Land relsten; denn sie mochten diese Wahrheit zuerst empfinden. Eine Weile ward es ruhiger. Mit einem „Aber“ und „Wenn“ begann jedoch bald 163 []wieder die Klage und der nach Schuldigen suchende,ungebärdige Tadel.

Diethelm Fenner war dem verwirrenden Vielreden der Leute immer ausgewichen ihn widerte diese zischelnde und polternde Unruhe an, die wuchs,je mehr sich der Bahnzug der Stadt näherte und sich die Mitreisenden mehrten.

Er atmete befreit auf, als er auf dem weiten Platz vor dem Bahnhof der Hauptstadt stand.

Sein erstes Geschäft war bald getan. Wie's Brauch ist und verlangt wird von den Bürgern des Freistaats, fand er kurzes Gehör bei dem in seiner Sache endgültig entscheidenden obersten Beamten und Mitglied der selbstgewählten Regierung.Freundlich hörte dieser die kurz gefaßte Erzählung.Er tadelte Dieter, daß er vom verseuchten Hof in die Weite gehe, nahm aber seine Versicherung bester Vorsicht entgegen und mit Vexständnis für die bäuerliche Auffassung wie die Klagen, so auch die Bitte, es möchte der Hof vor weitern Maßnahmen verschont bleiben ... Seinen Untergebenen ließ er taktvoll nicht ohne Schutz: „Nach dem Buchstaben des Gesetzes hatte mein Beamter Recht, wie er vorging und was er weiter vorkehren wollte. Doch mag er übereifrig und ungeschickt gewesen sein. Ich will ihn deshalb nicht tadeln; wir haben Schlafmützen genug auf unsern Aemtern, Herr Fenner!Im übrigen wird Ihnen entsprochen werden, wenn nichts weiteres dazwischen kommt. Wir wollen zusehen und die Dinge werden lassen ...“164 []Mit einem Dank wollte sich Diethelm Josephus empfehlen. Da richtete der Regierungsrat, dem man zum Ruhm nachredete, er sei ein Volksmann,ein Paar gescheite Augen auf ihn. „Von Hause aus sind Sie nicht Bauer, Herr Fenner, nach Ihrer Erzählung. Wie kommt es, daß Sie sich nun so darum mühen?“

Verlegenheit lag auf dem Gesicht des Gefragten;das war im Grunde die gleiche Frage, die gestern seine Base an ihn 'gerichtet hatte.

Ein feines Lächeln spielte auf dem klugen Gesicht des Magistraten: „Ich weiß, die Frage ist unbescheiden, doch stellt uns der Krieg manches Rätsel in unserm Volke. Halten Sie es zu gut, Herr Fenner, ich war früher Pfarrer, darum forsch' ich etwa so gerade hin aufs Gewissen los und sag schön Dank, wenn mir Antwort wird. auch wo ich sie nicht verlangen darf.“

Diethelm Fenner fand die Worte schwer: „Herr Regierungsrat offen gestanden, vielleicht weiß ich es selber nicht klar. Es war zuerst wohl eine Laune. Als ich las und hörte, wie bedrängt die Bauern in ihrer Arbeit seien, da erinnerte ich mich meiner Verwandten auf der Landschaft. So bin ich dorthin gekommen auch bin ich militärfrei und hatte nichts zu tun in dieser schweren Zeit. Wir Fenner aber stammen vom Sennhof. Und ich hatte schöne Erinnerungen daran aus der Jugendzeit.“

Die klugen Augen hatten sich nicht von ihm gewendet: „Sehr schön“ fast zu sich selber sprach 155 []der Mann im schwarzen Beamtengewand, das an einen Prediger erinnerte, „da suchten Sie Zivildienst auf dem Land, da kehrten Sie zur Scholle zurück, zum Land der Väter.“

Die Worte klangen hoch, und es lag der getragene Ton eines Redners darin, der sich am Ton der eigenen Stimme erwärmt. Diethelm empfand nichts Störendes darüber. Ueberzeugende Menschlichkeit, Welterfahrung und eine reife Lebensauffassung sprachen die Erkenntnis aus, zu der sich der jüngere Mann als Triebfeder seines Handelns fröhlich bekannte:

„Sie haben ein gutes Los gezogen: zurück zur Schollel Glauben Sie mir, dem alten Mann,könnte ich wählen, ich täte nichts anderes. Und doch bin ich, als Sohn eines Jahrhunderte alten Stadtgeschlechtes, in der Stadt geboren. Aber ich habe es erfahren, welche unverwüstliche Kraft draußen im Bauernstand lebt. Wer an ihr teil hat,hegt und baut das Beste an der Heimat.“

Der feingegliederte Mann erhob sich: „Warten Sie, bitte, einen Augenblick, über Ihren Fall muß ich mit meinem Sekretär ein Wort sprechen; ich will nicht über den Kopf meiner Beamten hinweg verfügen. Es hat mich recht gefreut. Herr Fenner.“

Mit jener würdig freundlichen Herablassung, die das Volk liebt, reichte er die Hand zum Abschied.Dann legte sich sein Finger auf einen Drücker des Läutewerks an der Seite des Schreibtisches.154

41*[]Eine Viertelstunde saß Diethelm im Vorzimmer und sah allerlei Volk mit Dutzenden von Anliegen vorsprechen. Ungeduldiges, drängendes Volk und wieder gemächlich ergebenes. Halblaut ging Rede und Antwort zwischen ihm und dem Füter dieses Raumes, einem ergrauten Weibel, damit kein Geräusch den Vielbeschäftigten in der Stube nebenan störe; aber jedem ward sein Bescheid knapp den einen, langsam erklärend den Unbehilflichern das ganze Wesen gefiel dem Wartenden; es war das Abbild des ruhig gemessenen Mannes, der vorhin so freundlich war, der aber auch entschieden abweisen konnte, wie er in dieser kurzen Zeit ersah ...Ein Gefühl der Sicherheit überkam ihn; hier mußte seine Sache wohlaufgehoben sein ... und die Sache seines Volkes.

Später überbrachte ihm der Weibel den erwarteten endgültigen Bescheid, ein Schriftstück,wohlausgefüllt und unterschrieben: Freilich bestand der Seuchenbann auf dem Sennhof weiter; doch sollte von weiterer Notschlachtung vorderhand abgesehen werden. Der Herr Regierungsrat würde sich freuen, fügte der Ueberbringer bei, wenn er erführe, wie es dem Herrn Fenner auf der alten Landschaft weiterhin erginge ...

Das letzte Wort klang als Anerkennung für den Weg, auf dem Dieter ging: „Rückkehr zur Scholle der Väter!“ Das Wort klang in ihm weiter als Erkenntnis eines Lebenszieles ...

So stieg er zufrieden die winkligen Treppen des 157 []alten Oberamtsgebäudes hinunter. Nun mochten sie aufatmen zu Hause auf dem Sennhof. Er dachte,daß Rose morgen früh wohl mit fröhlich lächelnden Lippen einherschritte, wenn sie mit geradem, stolzem Nacken ihr Wasser vom Brunnen in die Küche trage.

An sie schrieb er auf ein Blatt Papier einige begleitende Zeilen zu der Verfügung, die er in Händen hatte, und schickte sich an, sie auf die Bahn zu tragen, daß sie raschestens ihr Ziel erreichte.

Dann war er jeder Verpflichtung los und ledig;Feiertag war dann für ihn, und er gedachte, ihn zu genießen.

So gestimmt, schlenderte er durch die Straßen.Eindruckshungrig achtete er scharf auf die Menschen und ihr Tun und machte sich einen Vers zu allem, was er sah. In dieser stilleren Gegend der Stadt begegneten ihm nur wenig Leute: Dienstboten, Frauen, die ins Geschäftsviertel gingen, ein.zwei Soldaten, die Zigarre im Mund und die Fröhlichkeit des Urlaubs im Gesicht. Auch weniger fröhliche Bilder sah er: Männer, die an den Straßenecken standen, die ihre Achseln fröstelnd einzogen und die Hände in den Hosentaschen bargen. Aus ihrer Haltung sprach erzwungene Untätigkeit, Arbeitslosigkeit, und die Augen blickten stumpf.

Und zu denken gab ihm eine Gruppe, die mit ihm den gleichen Weg schritt; an jeder Hand ein Kind führend, links ein vierjährig Büblein und 159 []rechts ein etwas älteres Mädchen, kam ein Mann daher. In den Dreißig mochte er sein, dem Gebaren nach ein Handwerker oder Arbeiter, im Sonntagsgewand. Neben ihm seine Frau, ein graues, leichtes Köfferchen tragend, mit roten Augen und bekümmertem Gesicht. Er selber schritt ledig jeder Last, nur daß er an jeder Hand ein Kleines führte und sie nicht einen Augenblick losließ ... Und mit der gleichen breiten Art zu sprechen, wie der Sepp seine heimatliche Mundart mit der dieses Landes vermengte, redete der Mann tröstend zur Frau: „Heul doch net, 's kommt net jeder um!“

Mit einem Mal stand wieder vor Dieter das grause, große Weltgeschehen der Zeit und die Erinnerung daran, wie es launisch spielend umspringe mit dem einzelnen kleinen Schicksal jene Fülle von Gedanken und Bildern, die dem schlummernden Unterbewußtsein auch seiner fröhlichen Stunden allezeit einen schwermütigen Grund gaben ...Als er aus dem Bahnpostamt trat, umfing ihn der Lärm eines großen Platzes und der einmündenden breiten Straße eine lebhaft bewegte Welt: An die Zeiten seiner Wanderjahre erinnerte sie, an breite Promenaden der Weltstädte aller Sprachen. Ihr Abbild, alle Stämme und Sitten zusammenfassend auf dem einen Raum einer Straße dieser freilich größten Stadt seines kleinen Landes, war diese Allee nun kahler Lindenbäume,59 []die sich im leichten Bogen zum See hinaufzog.Laute aller Zungen schlugen an sein Ohr, während er auf den breiten Bürgersteigen vorwärts ging.Hundertmal war er früher diese Bahnhofstraße aufund abgeschritten, doch dieses ganz eigentümliche Gesicht hatte sie ihm nie gezeigt. Die Auslagen der Läden zu beiden Seiten zeigten doppelt glänzenden und prahlerisch aufreizenden, reichen, verführerischen Inhalt. Als ob ein Festtag wäre, wogte und brodelte es um ihn von hellen, fröhlichen Stimmen aus angeregten Gesichtern; er hörte leises Rauschen seidener Gewänder, sah köstliches Pelzwerk sich in bauschiger Fülle um weiße Hälse und Schultern legen, und wie verlorener, vergessener Sommerduft umflatterten ihn leise, süße Wohlgerüche.

Auf der Fahrbahn klingelte die Straßenbahn vorüber, jeder Wagen vollbesetzt; glänzende, grellbemalte Kraftfahrzeuge schossen hin und wieder alles gleißte vor Lebenslust ... Ihm aber drückte das Herz zusammen, was er sah. Nicht an seine eigenen Nöte dachte er. Aber vor ihm standen jene gezwungen müßigen Männer, die er vorher,keine tausend Schritte von hier, mit verbissenen Gesichtern, die geballten Hände in der Tasche, an den Straßenecken hatte brüten sehen; hier fand man keinen von ihnen, als schämten sie sich, eine Blöße zu zeigen. Oder wollten sie nicht in Versuchung kommen, vor dem lockenden, prahlenden Reichtum ...2! Später huschte eine Frau an ihm vorüber; zufällig wohl sah er sie; die Augen verweint,170 []ließ sie es sinnend geschehen, daß die Kinder sich an den ausgestellten Spielwaren einer viel umlagerten Auslage erfreuten er erkannte sie als die gleiche, der er vorher zum Abschied vom ausziehenden Manne gefolgt war ... Da erschien ihm wie ein Hohn, wie ein Verbrechen, daß die Menge der Geputzten so lebenslustig, so herausfordernd fröhlich war, und er schämte sich, selber ein Müßiger unter der Schar der Nichtstuer zu sein.Diethelm Josephus wurde das beklemmende Gefühl nicht los, auch als er später in der lauschigen Ecke eines Kaffeehauses saß. Musik, die aus den weit offenstehenden breiten Fenstern auf die Straße drang, hatte ihn angezogen; junge Südländer spielten mit Frische und Feuer leichte Weisen ein langentbehrter Genuß. Doch ward er seiner nicht froh. Fast bäurisch unsicher in den hellen, hohen Räumen, beklommen im Gemüt, scheute er sich,seine Augen im Erlebnis des Heute schweifen zu lassen. wie einst in seinen Wanderjahren.

In den Pausen zwischen den einzelnen Weisen las er die Zeitungen; doch störte ihn ein ungewisses Etwas, als säße eine Fliege auf seiner Stirne oder wolle sich ein verlangender, fremder Wille in seine Gedanken drängen.

Er sah auf und begegnete dem zwingenden Blick,der ihn bedrängt hatte. Aus einem kecken Frauengesicht blitzten ihn zwei dunkle Augen an. Jetzt zuckten die Schultern, daß ihr leichtes Pelzwerk 171 []davonglitt; eine wohlgestaltete Figur reckte mit leichtem Augenaufschlag den weißen, schlanken Hals. Zugleich setzte die Musik aufs neue ein.Einen Augenblick trug die Frau den Kopf stolz,dann kam leiser, schmachtender Rhythmus in die Gestalt; sie lehnte sich zurück, verlangend, verführerisch brannten die Augen herüber und volle, allzu rote Lippen lächelten ...

Befangen hatte Diethelm Josephus den Blick gefühlt; befangen fuhr er sich über die Stirne, und verschämt barg er nachher die Hand unter den Tisch; denn sie war voller Schwielen, und dunkle Risse an den Fingern sprachen von harter und unsauberer Arbeit so war es früher nicht, wenn er dergleichen erlebte.

Prüfend sah er abermals hinüber, und wieder stolzte sich der Frauenkopf aus den Schultern, keck und gewollt, selbstsicher, und das Lächeln lockte verständlicher. Weiche Weisen schmeichelten in kitzelnd frohem Tanztakt; Leichtsinn und Lebenslust und Genußfroheit schwebten in der Luft. Aber als hätte er einen falschen Ton empfunden, schreckte den sich Besinnenden, von Wochen der Arbeit und Sorge müden Mann jene Gebärde. Er verglich mit einer andern Art, den Kopf hochzuhalten, jener,mit der man schwere Lasten trägt: leibhaftig sah er die Base, die Rose vor sich, die sie über die Hofstatt zu schreiten pflegte.

Diethelm Josephus Fenner verbarg seine schwieligen Hände nicht, als er bald darauf zur Türe 179

7 []ging; einen feingepuderten Modekopf musterte er im Vorbeischreiten mit einem kühl abschätzenden Blick. Und einen Anflug guter Laune fand er noch am selben Abend: In der Wirtschaftsstube seines Gasthauses ereiferten sich die Biertrinker über einen Kriegserlaß der Regierung, worin ihnen durch frühen Wirtschaftsschluß mit Bußandrohung Feierabend geboten wurde. Sie schalten den ehemaligen Pfaffen in der Behörde; die Steuern und Abgaben der Stadt nehme er wohl an; um ihr Gewerbe und ihren Fremdenbesuch schere er sich den Kuckuck; auf dem Amt gälten nur die Bauern ... Der stille Hörer wußte, wem das Schelten galt; er lachte heimlich. Als wäre er ganz ein Bauer geworden,dachte er bei sich, das sei gut so; denn die Bauern seien auch was rechtes.

Und im städtischen Gasthofbett schlief er wie ein Bauernknecht, der nach vier Wochen Heuernte zum erstenmal an einem Regenmorgen nicht vor dem frühen Sonnenaufgang zum Mähen geweckt wird.

Unerträglicher noch als beim ersten Eindruck war ihm am folgenden Tage das Allerweltsgetriebe auf der großen, breiten Straße vor seinem Stadtgasthof. Er floh dieses lärmende und prunkende Durcheinander. Erst als der Zug ihn seinem Heimatstädtchen zutrug, und er durchs Fenster weite Felder und Wiesen und Baumgärten, versteckte Weiler und Höfe und leicht überschneiten Wald sah, zog Gleichmut in sein Herz ein.

Für eine kleine Weile!173 []Aus der großen Unruhe geriet er in die kleine:Unter alten Freunden gedachte er im geselligen Kreise den Abend zu verbringen; er fand eine erregte Tafelrunde, die über Erfolg und Mißerfolg,und Recht und Unrecht des Krieges stritt. Zwei leidenschaftliche Anteilnahmen für jede Gruppe der Kämpfenden führten einen überlauten, töricht kleinlichen Krieg der Worte einen Streit der Kleinstädter hinterm Bierglas, voll willkürlicher Einschätzung unprüfbarer Zeitungsberichte, in Mißachtung und Unkenntnis fremder Eigenart.

Still hörte Diethelm Fenner zu; er war dieser Art fremd geworden in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit; früher hatte man um das Eigene gesorgt,jetzt stritt man um die Angelegenheiten und um Recht und Unrecht anderer... Bald warben beide Parteien um ihn, daß er hier oder dorthin Recht erteile. Er ward umworbener Mittelpunkt der Rede. „Aber eine Partei muß Recht haben!“

„Und eine wird obenauf kommen im Krieg!“ „Und das wird die sein, die den moralischen Faktor für sich hat.“ „Darauf pfeif' ich: Macht geht vor Recht! So ist's proklamiert. Die dickern Kanonen entscheiden und die bessern Generäle!“ „Und eine Meinung muß man haben.“

So stürmte es auf ihn ein, ein Hagelwetter großer Worte.„Ich hab' aber keine Meinung“, wehrte er ab.Darüber staunten die andern. Zu diesem Weltgeschehen müsse man doch Stellung nehmen.174 []Rundum bedrängt, besann sich Diethelm Fenner;doch konnte er nicht urteilen. Ihm wollte scheinen,das Kriegsgewitter sei hereingebrochen nun eben, wie ein Gewitter losdonnert, oder wie die Seuche über einen Hof kommt.

Für diese Erkenntnis gab er Zeugnis:

„Mir scheint, ihr ereifert euch allzu sehr. Was geht uns alles andre an, als das Eine, daß wir nicht berührt werden. Das andre sollen die Krieger ausmachen; wir wollen's erwarten.“ Dann sprach er merklich sicherer Und Recht und Unrecht mir ist der Krieg ein Naturereignis, in dem Wesen und Uebermut der Menschen begründet da will ich nicht Richter und nicht Prophet sein. Ich bin es zufrieden, wenn mir der Hagel das Korn nicht zerschlägt. Recht und Unrecht gibt es nicht im Hagelwetter und nicht im Krieg: er ist ein Unglück, wie jenes ...“

Zunächst schwiegen die Mannen. Diese Auffassung war ihnen neu. Dann rückte sein Nachbar von ihm ab: „Freund Fenner, du bist ein Bauer geworden!“ Den Mienen der andern sah er es an,daß damit sein Urteil gesprochen sei, und der Trotz erwachte:

„Meinetwegen bin ich ein Bauer aber die Bauern werken, derweil ihr schwatzt und über Dinge streitet, die ihr allesamt nicht ändern könnt ...“Diethelm Fenner fühlte es in den Fingern jucken.Am liebsten hätte er recht bäurisch auf den Tisch geschlagen, wie es der öde Streit verdiente.175 []Vor den andern ging er aus dem geselligen Kreis. Er war des Abendsitzes entwöhnt. Zu Hause fand er eine umadressierte Post vom Sennhof: ein paar Zeilen von der Base Rose dabei, alles gehe im rechten Geleise. Mit einer schlanken Schrift standen die Worte da. Die Buchstaben verrieten die Ordnung von einer guten Schule und reckten die langen Züge steil und bestimmt in die Höhe,daß sich dem Dieter ein ganzes Bild auftat: auf einer Hofstatt eine sicher ausschreitende schlanke Gestalt mit hochgetragenem Kopf. Zum Abschiedsgruß „Auf Wiedersehen!“ nickte er. Noch ein Stück der Sendung musterte er näher. Es war eine Lichtdruckkarte vom Sepp, dem Bauernknecht und angehenden Krieger, das Gruppenbild einer Korporalschaft, Menschen und Antlitze grundverschiedener Art; zwischen zwei blutjungen Burschen mit feinen Zügen erkannte er das frühalte Gesicht des Schreibers. Eines aber hatten sie alle gemeinsam: als stünden sie in geistiger Achtungstellung vor einer wohlerkannten Pflicht, sprach ein einziger Wille der Bereitschaft aus den runden und länglich zarten, aus den vollen und hager eckigen Gesichtern und in der Haltung der Männer. Sie waren darin mehr uniform noch als in der soldatischen Kleidung.Er verglich damit das törichte Wirtshausgespräch,von dem er kam...!

Kurz war das erläuternde Wort: Er lasse den Herrn Fenner und die ganze Schweiz grüßen, schrieb der Sepp, und schön und gut sei es dort gewesen.174 []

Jetzt aber gelte es, den Mann zu stellen, und das

Jetzt aber gelte es, den Mann zu stellen, und das würden sie alle tun. Beigefügt war, mit einem Anflug von Stolz, die Kameraden links und rechts,das seien seine besten Freunde; sie erinnerten den Schreiber an den Herrn Diethelm, denn sie kämen freiwillig von der Schule aus der Stadt, aber feine Kameraden seien es. Ueberhaupt: das wäre das Schöne, hier gelte jeder, was er leisten könne, und stolz sei keiner, alle gleich Bauer und Herr. Doch Bauer sein sei das Schönste. Der Ton traf die Stimmung Diethelms.

Am andern Nachmittag kehrte er zurück zum Sennhof: zur Scholle seiner Väter.

Bauernwinter unö Bauernsorgen.

Der Winter auf dem Bauernland ist lang und schwer, als wolle und wolle es sich nicht wenden.Wie kurze Funken in der Nacht erscheinen die Tage,deren spärliche Helle man zusammennimmt; zur Dämmer- und Nachtzeit spart der Bauer das künstliche Licht, so sehr er geudet mit der Wärme im Ofen; denn diese kostet nur die Arbeit des Sammelns und Rüsten des Holzes, jene aber bares Geld.Einen Winterschlaf tut die Landschaft, während die Städte ihre geselligen lauten Feste des Jahreswechsels feiern.Wehrlin, Zur Scholle.

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17 []Bleiern lag erzwungene Ruhe auf dem Sennhof mit seinen gebannten Ställen. Der kleinere Viehstand verminderte die Mühe des Besorgens,aber man atmete nicht erleichtert auf dabei. Noch war die Seuchengefahr nicht gehoben, und mit schwerer Sorge betrat Diethelm Josephus Fenner,der freiwillige Knecht, jeden Morgen der nächsten Wochen den warmen Stall, die anvertrauten Tiere zu betreuen, als wären sie schwächliche Kinder. Er fand ein fröhliches Spaßwort erst, als die erste neue Woche um war, und nach vierzehn Tagen summte er des Nachmittags ein Liedlein bei der Arbeit rund um den Hof. Und er hörte des Abends einen Widerhall: Als er in die Stube trat, saß die junge Base vor der NRähmaschine am Fenster, und im Takt der tretenden Füße sang sie mit einer angenehmen Altstimme ein Volkslied, die summende Melodie der Räder und das Auf- und Niederklappen des Nadelhalters begleitend. Sie sang weiter, ohne ihn zu bemerken, nachdem sie ihr Rad abgestellt hatte und nun mit den Fingern im weißen Tuche nestelte.Am Ofen in einem Großyvaterstuhl saß der Vetter Heinrich, eine Decke über den Knien; das Singen schien ihm wohlzutun; er blickte fast freundlich aus seinem durchfurchten Gesicht.

Diethelm stellte sich neben ihn und wärmte Hände und Rücken an den grünen Kacheln. Er wiegte den Körper langsam hin und wieder und empfand als fröhliches Streicheln, daß die hellen,R 7

[]gefältelten Vorhänge, die von der Decke zum obern Ofenrand niederhingen, dabei sein Haupthaar und die Stirne kitzelnd berührten. Die untergehende Wintersonne schickte ihre letzten Lichter durch die Fensterreihe; sie färbte die Haare und das kleine Ohr der vom vollen Schein getroffenen Nähterin rötlich; sie warf ein mildes Licht in diese niedere warme Stube, und im kindlich reinen Volkston klang das Lied. Josephus Fenner sang den Kehrreim leise mit und die folgende Strophe:Küsset dir ein Lüftelein Wangen oder Hände,

Denke, daß es Seufzer sei'n,Die ich zu dir sende!Tausend schick' ich täglich aus,Die da wehen um dein Haus,Weil ich dein gedenke...So vollendeten sie doppelstimmig das alte Lied.Diethelm Fenner vergaß darüber die Mucken, die ihm sein Stadtbesuch in den Kopf gesetzt hatte; er vergaß Kriegsnot und Sorge. Sein Sinnen und Fühlen ging auf im einfach schönen Wohlklang des Liedes.

Am selben Abend kam er mit dem Vetter ins Reine, daß er nun auf dem Hof bleibe, bis es einem von beiden nicht mehr behage; seinen regelrechten Knechteslohn bedingte er sich aus, und der Vetter meinte dazu: „Hast recht, umsonst ist der Tod“, was kein Hindernis war, daß er um die Höhe seines Lohnes feilschte. Der Jüngere wiederum marktete sich ein freieres Schalten und Walten ein,

8.*

179 []als jener einem Fremden zugestanden hätte. Nach vielem Hin und Her wurden sie einig.

Den Begriff vom freiwilligen Knecht tat sich Diethelm an diesem Abend ab; ihm wollte es eine Beförderung scheinen. Nun hatte er Verantwortung und Befugnis in seinem Dienst.

Nicht leicht war dieser Dienst. Zwar das Handwerksmäßige, die eigentliche Arbeit und ihre Verteilung auf Tage und Stunden, fiel dem jungen Bauer nicht schwer; für das letzte waren übliche Regeln in der Wochen- und Monatsfolge ein landesüblicher, eingelebter Brauch, der wohl sein inneres Recht hatte. Im einzelnen nach eigener Meinung vom Hergebrachten abzuweichen, fiel schwerer: Kein Zureden und Bitten half, keine Gründe und Hinweise auf die Mahnungen der Behörden, der Bauer möchte den eigenen Brotbedarf auf eigenem Grund wachsen lassen. So wollte es Diethelm und bereitete sich vor, in größerem Maß noch als im Herbst für die beginnende Frühsaat etliche Wiesengründe umzuackern, als sonst für Hafer und Sommergerste bestimmt war. Immer wieder kam er darauf zurück. Aber Heinrich Fenner war zäh wie Eibenholz und hatte hundert Ausreden. Der Boden wäre schlecht und die Luft der Hochebene zu rauh für Brotfrucht; auch mangle das Saatkorn. Er ward stichlich und bärbeißig unwirsch; zuletzt vorgeblich oder wirklich krank unter dem milden Zureden und Nötigen; seine Gliedsucht schüttelte ihn. Den Vetter wolle er nicht 19

*[]sehen, ließ er durch seine Frau berichten der könne ihm gestohlen werden. Er solle sich's wohl sein lassen, wo er sich eingenistet habe ...

Das letzte ging darauf, daß sich Diethelm Fenner die Kammern in der neuen Scheune, wo er wochenlang zur Pflege des erkrankten Viehstandes notdürftig Unterkunft gefunden hatte, nach seiner eigenen Eingebung wohnlich einrichtete. Dagegen hatte erst niemand ein Wort, auch der Meister Vetter nicht; denn es geschah in eigenen Kosten,daß der Jüngere das tannene Getäfel der beiden Stuben dichten und durch gelblichen Lackanstrich freundlich warm färben und neue Böden legen ließ. Eine Fuhre seines Hausrats aus der Stadt stellte er hinein. Ererbtes altbürgerlicher und bäurischer Art von den Hüterinnen seiner Jugend fand sich mehr darunter, als Selbsterworbenes; es paßte in Wohnstatt und Landschaft. Auch ein paar Bilder hingen an der Wand. SHier hauste Dieter wie ein Freiherr in den kurzen Zeiten, da ihn nicht die Arbeit in Atem hielt. Den Frauen erschienen die Räume vornehm und fein,; sie rühmten sie vielleicht allzu sehr, so daß im Kranken wieder der grollende Neid wach wurde; denn für sich hatte er die Stuben einst bauen lassen ...

Hier brütete Diethelm Josephus an den folgenden Abenden über der Botschaft seines Vetters.So schroff, wie sie ausgesprochen worden war, hatte sie Frau Christine nicht überbracht, doch deutlich genug, daß er ihren Sinn erkannte und nach seiner 181 []Kenntnis des Menschen sich fast den Wortlaut des unwirschen Bescheides zusammenstellen konnte.

Es war zum Davonlaufen!

Das tat nun Dieter nicht, sondern er faßte seinen Plan und führte ihn auch durch. Und dieser Plan war eine größere Wiederholung des bereits versuchten. Einen Augenblick besann er sich, ob er, wie früher, die Base Rose beraten sollte; aber er hatte Angst, sie möchte diesmal abraten; denn was er vorhatte, war allzu eigenmächtig und gegen jede Abrede. Doch frisch griff er zu, und daß er etwas Heimliches tat, belustigte ihn innerlich, wie wenn er als Bub verstohlen barfuß im Stadtbach Krebse fing und sie ihn zwickten.

Am Montagnachmittag um drei Uhr brach er mit der vorgesehenen Arbeit ab und fuhr mit Gespann und Geschirr und Pflug zu dem Wiesenplan,der ihm im Sinn lag. Neben dem Buben hergehend, der Pferd und Stier führte und sich über den Arbeitswechsel wunderte, sagte er knapp und scharf: „Jakob, nun will ich sehen, ob du s Maul halten kannst. Was wir jetzt machen, tu ich auf meine Nechnung; im Sennhof braucht's niemand zu wissen vor dem Sonntag, hörst du? Wenn du bis dahin schweigst, dann kannst du dir einen schönen Sonntag machen. Nachher kannst du reden, wie du willst; wenn du aber plauderst, dann hast du es mit mir zu tun. Du kennst mich.“

Der Dienstknabe Jakob verstand Versprechen 182 []und Drohung; er lachte ein breites Schelmenlachen.Mit gemessener Kälte sorgte Dieter, daß trotz der Mithelferschaft am verstohlenen Werk keinerlei Versuche der Vertraulichkeit aufkamen, sondern nur der Knechteswille, es dem Stärkeren zu Gefallen zu tun. So schafften beide neben dem übrigen Tagwerk. Des Samstag abends waren zwei Jucharten Wiese umgeackert; der Jakob hatte ein rundes Silberstück in der Tasche, und Diethelm Josephus lachte still vor sich her, als er, den Meister vertretend, zur Abrechnung der Milchgenossenschaft ging.

Für ihn kam die Abrechnung am Sonntag nach dem Mittagessen. Er hatte sich städtisch schön gemacht und saß am Bauerntisch, wie einer, der gehen kann, wohin er will; der Jakob zu Ende der Reihe der Sitzenden ließ sein Spitzbubengesicht mit jener Miene spielen, als wollte er losplatzen: Euch könnte ich was erzählen. Mich wundert's, wie die Sache ein Ende nimmt.

Er kam nicht auf seine Rechnung. Der Bauer und sein Vetterknecht schwiegen sich während des Essens aus. Den jungen Burschen brannte der Taler in der Tasche; denn im Dorf war Musik angesagt, die Frauen aber rief in Küche und Haus Mittagsarbeit.

So waren die beiden Vettern allein, als Diethelm mit seinem Bericht ausrückte: „Vetter, zürne nicht, ich habe nun doch mehr Land geackert und besät; die Kernen dazu hab' ich gut und billig er48

3 []halten, und hier ist die Verrechnung auf der Sennte! ...“ Er breitete auf dem Tisch ein Milchbüchlein aus mit den täglich darin vermerkten Lieferungen und ihre Zusammenstellung, als Gegenstück aber einige als bezahlt bescheinigte Saatgutrechnungen und ein kleines Sümmchen Geld: „Wir haben geschafft, wie die armen Sünder, daß wir's mit dem Säen rechtzeitig fertig brachten!“

Diethelm Josephus lehnte sich auf seiner Stabelle zurück und war gefaßt, was da kommen werde.

Ein Unerwartetes war es. Vetter Heinrich brach nicht mit lautem Schmälen und Schimpfen los. Kreideweiß färbte sich sein Gesicht, und aus tiefen, bläulich dunklen Höhlen starrten entgeisterte Augen.

Jäh verstand Dieter Ausdruck und Gefühl des kranken Bauern: es war das Erschrecken darüber,daß i him die Zügel des Lebensgespannes entglitten,daß er nicht Herr und Meister mehr war auf dem eigenen Grund und Besitz.

Kindererinnerungen tauchten im Jüngern blitzartig auf: „Lebendig laß ich mich nicht beerben.So lang ich aufrecht stehe, regiert keiner auf meinem Grund als ich“ so wohl hatte der Vater dieses Mannes einmal gesagt, daß es ein kleiner Vetterbub vernahm.

Dem Diethelm war mit einem Male, als hätte er ein großes Unrecht getan und doch hatte er wohl zum Vorteil des Mannes und uneigennützig gehandelt.

IX..[]„Es ist gewiß recht getan, Vetter“, redete er zu,„du wirst selber Freude daran haben im Sommer,glaub nur. Wenn du gesund wärest, so hättest du es von dir aus an die Hand genommen.“

Der andere achtete die Rede nicht mit verbissenen Lippen schwieg er, und seine zitternden Hände spielten in Papieren und runden Geldstücken.

Darüber erwachte ein lauter Trotz im jüngern Manne und fand Worte für bisher verschwiegene Klagen und Wünsche:

„Gefällt dir nicht, was ich tat sag's ruhig heraus, Vetter. Ich gehe, sobald du nur willst ...denn so, wie es jetzt hier steht, gefällt's auch mir nicht. Ist das ein Bauern, wie wir's treiben?Ein Stall steht leer, derweil man für ein Dutzend Stück Vieh mehr Platz und Futter hätte. Im alten Trott soll alles gehen. Du regst dich nicht, daß Verdorbenes wieder gut gemacht wird. Will ich Neues bauen, fällst du mir in den Arm. Da muß ich's doch von mir aus tun ... Ein Bauer muß auch vor sich sehen und etwas wagen, mein' ich.Und tut er's nicht, so geht das schönste Gut den Krebsgang ... Vetter, hörst du: ich will dir nicht weh tun, aber du bist krank so laß doch mich zum Rechten sehen wie mit dieser Frühsaat Vetter, wann sorgen wir, daß unsre Ställe wieder voll stehen? Frisches Leben muß sein ...“

Dieter fühlte einen Zwang in sich, in diesen Dingen bis zum Grund zu reden; zurückgehaltene Rührigkeit fand in Worten Ausdruck, da ihr die 185 []Tat versagt war; anklagend, dringlich zitterte die Stimme im verhaltenen Nachdruck ...

Der Bauer war wie ausgewechselt gegenüber den Zeiten seiner jäͤhen Erregung. Sein Kopf lag müde auf der aufgestützten Hand. Er schien es nicht zu spüren, daß ein Kätzlein Bettgefährten und Schoßtiere im Leidensstuhl waren ihm die sonst scheuen Tiere und erstaunlich anhänglich an den rauhen Mann über Papiere und Geld mit zierlich gehobenen Füßen hinstapfte und Seite und Rücken mit hocherhobenem Schweif an seinem Arm strich eine Weile besann er sich; mit traurigen Augen sah er auf:

Dieter, ich glaube dir, daß du es gut meinst auch mit mir. Aber mir kannst du nicht helfen.Es ist auch nicht schade darum mit mir ist's doch bald aus. Vor zwanzig Jahren freilich, da hätte ich es mit dir gehalten aber heute schau mich an, wie ich elend dasitze ... laß mich in Ruhl ...“

Aber zäh war nun auch Diethelm Josephus;vom neuen Stall und dem Viehankauf zum Ersatz für das Geschlachtete begann er aufs neue.

Heinrich Fenner schüttelte den Kopf; abwehrend,beschwörend streckte er seinen hagern Arm aus und reckte den Arm in der Richtung, wo die neue Scheune mit dem Seuchenstall stand: „Laß dieses aus dem Spiel, Vetter. Verflucht ist jenes Haus für mich. Geh' hinterrücks hin und verkauf' es.Red' mit dem Landschreiber, daß er's verkauft. Dann 86 []dank ich dir's. Doch sonst sprich mir von nichts darüber. Ich kann's nicht leiden. Beim Eid nicht!“Noch einmal flackerte im letzten Wort verhaltener, grimmer Zorn auf ... Dann sank der Bauer wieder in sich zusammen. Eine lange Weile ward es beklemmend still in der Stube, nur das Ticktack der Schwarzwälderuhr und das leise Schnurren des Kätzleins in der Ecke des Ruhbetts hörte man, bis Heinrich Fenner noch einmal, wie zu einer bittenden Beichte, stockende Worte sagte:„Und wenn die Leute von dem Haus sprechen,glaub' ihnen nicht, Dieter. Es ist Lug und Trug,was sie sagen ... für mich aber ist's mein Unglück!“Heinrich Fenner preßte mit beiden Händen den Kopf in die aufgestützten Arme und zwischen seinen Fingern quollen Streifen grauen Haares hervor.Ein Bild des Jammers.Diethelm Josephus empfand tiefes Mitleid;ruhig, gemessen sagte er und betonte jedes Wort:„Ich weiß, was die Leute flüstern, Vetter. Ich weiß auch, daß es nicht wahr ist. Die Sonne wird es an den Tag bringen ... Darum liegt auch nicht Unglück und kein Fluch auf diesem Haus und Hof, wie du sagst. Nur die Menschen schaffen sich selber das Leid, wenn sie mutlos sind. Ich aber bin nicht mutlos, und du wirst mich gewähren lassen ...“Zweifelnd sah der Zusammengesunkene einen Augenblick auf. Dann schüttelte er wieder mit schmerzlicher Gebärde das Haupt.Dieter ließ ihn allein.9

7 []Das rechte Verständnis für diese Verzweiflung erstand Dieter nachher, als er Rose sein Gespräch mit dem Vater wiedererzählte. Da klang ihre Stimme heiser und das Gesicht nahm harte Züge an: „Was soll ich es dir geheim halten: der Vater weiß, daß alle Welt glaubt, er habe selber das Feuer gelegt im eigenen Hof. Das aber ist das Schlimmste auf dem Bauernland, und wenn's ein kleiner Bub aus Anachtsamkeit tat, bevor er recht gehen konnte, er trägt sein rotes Mal und ist gezeichnet bis ins dritte Glied hinein ... Der Vater aber war damals über die Vierzig ...“

„Und du hast ihm kein Wort gesagt von dem Bericht, den mir der Sepp überbrachte?“

Seite an Seite saßen sie auf der Bank vor dem Hause. Nachdenklich sah die Jungfrau mit zusammengezogenen Brauen zuerst vor sich nieder.Dann reckte sie sich auf und wandte sich ihm zu;bolzgerade sah sie dem Vetter ins Gesicht; in ihrem Blick lag eine schwere Trauer. „Wie konnte ich! Ihm ist am besten, wenn man davon nicht spricht ...Und wer bürgt für jenen Bericht? Nur eines wissen wir sicher: es geht abwärts mit uns seit jener Zeit, und es wird seinen Grund haben, daß wir gestraft werden ... und alle mutlos sind.“

„Aber der Hof darf darüber nicht zugrunde gehen“, warf Diethelm ein.

„Wehr es ab, wenn du kannst.“

Mutlos sagte es Rose.

Nachdenklich sah Diethelm Josephus der Weg188 []schreitenden nach. Ihr letztes Wort klang in ihm nach Er aber wollte nicht mutlos sein. Wie ein Aufbäumen gegen ein unverdientes Schicksal erwuchs in ihm Wunsch und Wille, diesem Hof seiner Väter wieder aufzuhelfen; glückhaft warm überlief es ihn, indem er daran dachte, es könnte ihm gelingen; seine Einbildungskraft spielte fröhlich mit dieser Zuversicht bis in seine Träume hinein.

Doppelt schwer empfand er am andern Morgen den Jammer der Wirklichkeit: den Druck auf den Seelen, die Unlust bei der Arbeit. Sie wollte auch den Froherwachten ergreifen. Nachdenklich und schweigsam ging er seiner Wege und saß er am Tisch beim Mittag- und Abendbrot. Dann, als ob ihm ein plötzlicher Einfall Licht im tappenden Dunkel verheiße, entfernte er sich hastig vom Hofe.Er ging aus, das Pflänzlein Unverdrossenheit zu suchen. Jenes Schulgenossen seines Vaters erinnerte er sich, des alten Mannes, der ihm in den ersten Wochen seiner Bauernzeit so freundlich begegnet war. Diesem klagte er sein Leid, und still hörte ihn der alte Graubart, dessen Kinder das Bauernland geflohen waren, und der nun einsam auf seiner Scholle saß.

Alle seine Nöte ließ der Mann den Jüngern klagen: vom freudlosen Schaffen, von einer dunklen Last des Argwohns über dem Sennhof, vom Mangel an frischem Zugreifen, wo Neues Erfolg verspreche, vom gedrückten Wesen der Frauen, vom 39 []krankhaften Lauern oder Aufbrausen des Meisters und Vetters, seinen klagenden und dann wieder aufbegehrerischen Launen. Die letzte Unterredung mit dem Vetter erzählte er einläßlicher.

Jetzt horchte der alte Mann auf: „Vom Landschreiber sprach Euer Vetter; was hat der Mann mit Eurer Sache zu tun? Kehrt er oft an im Sennhof?“Das wußte Dieter nicht; mit Wissen hatte er ihn nie gesehen, doch wußte er, daß seine junge Base mit verhehltem Aberwillen und ihre Mutter mit Scheu von dem Halbherrn sprachen ... So erzählte er.

Bedächtig wiegte der alte Bauer den Kopf auf seinen Schultern: „Sie erzählen mir wenig Neues,Herr Fenner! Wie es auf dem Sennhof steht und daß es dort nicht aufwärts geht, das wissen alle, die etwas von dergleichen verstehen. Nur daß der Landschreiber einen Trumpf im Spiel bedeutet, ist mir neu und will mir nicht gefallen. Alle Hochachtung vor seinem Stand, doch ist's kein gutes Zeichen, wenn gerade dieser Mann als wöchentlicher Gast auf einem Hofe ankehrt. Der Sache will ich nachgehen!“ *

Er lachte unmerklich in den Augenwinkeln; ein klein bißchen zuckten dort die Fältlein in der Haut nach den Schläfen zu ein vergnüglich Spiel eines guten Schalks mit dem Sinn: „Dem komme ich auf den Sprung, und der Junge hier soll seinen Anteil daran haben, wenn's ein guter Spaß wird ...“

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*[]Nur einen Augenblick ging so das Spiel des Lächelns; dann wurde er wieder ernst.

„So, so, der Landschreiber“ halb zu sich selber sagte es der alte Mann : „Bauernkummer hat mit dem Schuldenschreiber gar oft zu tun. Bauernmißmut liegt nie weit von Haus und Hof. Suchen Sie ihn bei den Dingen, wovon der Bauer niemals spricht. So wird es bei Euch sein. Ihr Vetter ist ein geplagter Mann, Herr Fenner. Vom Vater und den Schwestern her liegt ihm seine Heimat sündhaft teuer an. Und ein verschuldeter Bauersmann ist ein armer Tropf; hat er gar schlechte Berater, die aufs-Eigene sehen, so rackert er sich ab und kann sich nicht drehen und wenden. Und es gibt gar manchen, der in diesem Spittel krank ist,Gott sei's geklagt, landauf, landab. Vergessen Sie das nie, Herr Fenner, wenn Sie verdrossene Bauersleute schmälen und fluchen hören. Auch hat der Fenner viel Ungemach erlebt, jetzt Unglück im Stall, und am eigenen Leib, und früher erst recht mit Feuersbrunst am Hauswesen...“

Wieder spukte der alte Schreck, den man nie vergißt auf der Landschaft, in einem Ton des Argwohns fast verächtlich aus diesem Munde.

Eifrig warf Diethelm Josephus ein: „Doch daran trägt der Vetter keine Schuld!“

Er erzählte den Bericht des einstigen Knechtes. Doch wich der andere aus: „Absichtlich hat der Fenner nicht Feuer gelegt, das mein ich auch,doch Eure Geschichte wird er selbst nicht glauben 191 []er weiß wohl selbst nicht, wie es damals herging,und zweifelt an sich selber, da ihn doch alle anschuldigen sogar vielleicht sein eigen Blut ...“

„Er weiß selbst nicht, sagen Sie wie soll das möglich sein ...?“ Nachsichtig, halblaut, aber wie von selbstverständlichen Tatsachen sprach der andere gleichmütig: „Euer Vetter trank über den Durst,und man sagt von ihm, er wußte am andern Morgen nimmer, was er sprach und tat ...“

Da schoß in Diethelm Josephus die Erinnerung auf an eine Nacht, da ihm zu Füßen, quer überm Bett, ein Knechtlein geschlafen hatte, weil der Meisterssohn trunken gebrüllt hatte wie ein Tier ...Verstehend schämte er sich für den Vettersmann, der seinen Namen trug und des Rösleins Vater war! Es tat ihm wohl, daß sein Berater das Gespräch auf anderes, auf Dinge der täglichen bäuerlichen Verrichtung brachte mit Fragen und Ratschlägen, als wäre der Jüngere ein lieber Schüler.

Erst als Dieter sich erhob, kam jener auf Gesprochenes zurück: „Das mit dem Landschreiber, das will ich zunächst ergründen; merken Sie auf, wann und wie er am nächsten Mal im Sennhof ankehrt...in allem andern müssen Sie zugreifen, wie die Jungen von heute im Bauernstand; zu rechnen verstehen Sie und halten was auf sich und setzen sich in Achtung.“

Der alte Hauptmann Boller, wie ihn die Leute nannten, wurde ordentlich warm, da er vom 109 3 []

jungen Bauernstand sprach: „Jetzt sollte man

jungen Bauernstand sprach: „Jetzt sollte man frisch und stark in den Schuhen stehen oder Söhne haben, die es tun; heutzutage gilt der Bauer wieder was. Und er ist auch mehr als früher, weil er tagtäglich was lernen will ...“ Der Graubart hielt Diethelm Fenners Hand in der seinen, wie im Schraubstock: „Herr Fenner, Sie haben keinen schlechten Gang getan, als Sie aufs Bauernland kamen. Wüßte ich ein Mittel. Sie hier zu halten,ich brauchte es. Sie blieben mir ein Bauer! ...“Und wieder lief ihm verstohlen der Schalk von den Augenwinkeln zur Schläfe.

Ein Felöbrief und eine Marktfahrt.

Das war am Montag.

Der Mittwoch brachte dem Dieter die Bekanntschaft mit dem Landschreiber. Ein kurzer, dickleibiger Mann mit einem fetten Lachen im Gesicht, stand dieser auf der Hofstatt und hatte eben Rose Fenner einen Abschiedsscherz zugerufen. Ihr war der Spaß wohl nicht zu Gefallen geredet; denn mit einem strengen Rot im Gesichte kehrte sie sich kurz ab, während der Mann lachte, daß seine dicke goldene Uhrkette auf dem Bäuchlein hüpfte.

Ohne Besinnen wußte der Vetterknecht, wen er vor sich hatte. Auch der andere stellte ihn selber an seinen rechten Platz im Haus.

Wehrlin, Zur Scholle.

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192 []Mit den trippelnden Schritten eines Kurzbeinigen, katzfreundlich im Gesicht, kam der Mann Diethelm entgegen: „Herr Fenner, wenn ich nicht fehl gehe, freut mich freut mich! Ich bin der Landschreiber Vetterli, der Großrat Vetterli ...Sie haben schon in der Zeitung gelesen von mir.Freut mich, Herr Fenner!“ Er schüttelte die Hand Diethelms mit kaltfeuchten Fingern, daß dieser sich hoch aufrichtete zur Abwehr jeder Vertraulichkeit dieser Krötenfinger. Der bewegliche Dicke achtete dessen nicht. Im weitern Fluß strömte seine Rede fort und betonte immer das ihm wichtig scheinende durch Wiederholung: „Hab viel Gutes von Ihnen gehört, viel Gutes! Durch den Vetter Fenner und den alten Hauptmann Boller. Ein wackerer Mann, mein Ratskollege Boller, etwas altväterisch.Aber ein wackerer Bauernvertreter im Rat. Wir sollten mehr solche haben, viel mehr, statt der Advokaten und Stadtherren, die vom Land einen Dreck verstehen, mit Verlaub zu sagen ... Freut mich,Herr Fenner, daß Sie hier sind, 's ist gut, wenn jemand hier zum Rechten sieht, hier auf dem Sennhof. Es muß ein gesunder Mann da sein, ein starker, gesunder Mann. Und es muß wieder mehr Vieh her, ich hab' schon mit dem Heinrich gesprochen;so gleichgültig geht's nicht weiter; ich hab's schon eingefädelt aber zu allererst muß ein gesunder Meister auf den Hof, da sind Sie der Rechte, he, he,das andere gibt sich, gibt sich ...“

Diethelm Josephus kam mit Hören dem zappelig 194 []freundlichen Gespräch kaum nach, als der andere Abschied nahm: „Und Sie bleiben hier ... dann besprechen wir das Weitere, was nötig ist; unsereiner muß sich um alles kümmern, wenn so ein Bauersmann krank wird, das bringt das Amt mit.Ich tu's auch gerne und stehe immer zu Diensten ...Doch ein ander Mal... Jetzt entschuldigen Sie ...Ich hab' Sitzung in der Stadt, ein ander Mal, Herr Fenner, ein ander Mal ...“

Der Geschäftige trippelte die Straße abwärts,daß die Rockschöße hüpften. Ein törichter Wichtigtuer erschien er dem Diethelm Josephus. Nachher,beim Mittagsmahl, das nach Bauernart schweigsam, wie ein Stück Arbeit verrichtet wurde, spürte er wieder jenen Druck auf Meister und Hausgenossen lasten, der ihn selber so nachdenklich machte. Und auf dem Gesicht Roses lag immer noch eine trotzig abweisende Röte; sie wich seinem Blick aus: es mußte ein schlechter Spaß gewesen sein, vor dem sie dem Mann entflohen war.

Er kam zunächst nicht dazu, dies zu ergründen.

Nach dem Essen hielt ihn Heinrich Fenner zurück: „Vetter, auf ein Wort!“ Und nach einer Pause, als sie beide allein waren: „Dieter, ich wäre gerne morgen zu Markt gefahren. Nun meint die Frau, ich vertrüge es nicht; es wird auch so sein.Du könntest für mich gehen. Was auszurichten ist,das geht nach deinem Sinn ... Doch muß es in meiner Absicht geschehen!“ Und weiter berichtete der Bauer, er hätte sich nun entschlossen, über den 195 []Sommer im neuen Stall wieder Vieh einzustellen,vier Stück für einmal, dazu sollte Dieter zu Markt fahren. Er wies dem Jüngeren den Händler, der das Geschäft besorge; den Kaufpreis aber werde der Landschreiber erlegen, um 11 Uhr sei dieser auf dem Platz ...

Dem Dieter wollte manches an der Weisung nicht gefallen: vier Kühe, wo ein Dutzend Platz und Futter fand! Und was hatte der dicke Wichtigtuer darein zu reden? Weil aber beim ersten Versuch eines Einwands ein gelbes Mißtrauen aus den Augen des Bauern schielte, unterdrückte er die Widerrede.Zwiespältigen Gemütes ging er aus der Stube:Ein Stück Erfüllung seines Wollens sah er vor sich,doch nur ein Stück, weil er selber nicht darüber befahl. Er hätte fröhlich sein mögen, seine Brust aber war wie eingeschnürt.

So saß er am Abend überm Dengelstock und schürfte seine Sensen für den Frühschnitt der kommenden Tage. Der Taktschlag seines Hammers ließ allgemach das Frohe Oberhand gewinnen in ihm. als Rose vorüberging. Er hielt inne: „Fährst morgen mit zu Markt? Du, Rose, das wäre fein.Ich wollte dir auch dies und jenes in meinem Stadthaus zeigen, was ich vielleicht mit hinausnehme, hierher auf den Sennhof. Komm mit,Röslein!“

Er erwartete ein frohes Wort; bitter wies sie

[]ihn ab: „Vetter, treib' nicht Scherz mit mir, ich will nicht in der Leute Rede kommen.“

Er verstand die Schärfe im Ton der Stimme nicht.

Derselbe Abend brachte Diethelm Josephus Fenner ein inneres Erleben. das ihn mit einem Ruck wieder hineinstellte in das große Weltgeschehen dieser Tage, in schmerzlicher Anteilnahme an andern, zugleich mit der Erkenntnis des unverdient bessern eigenen Geschickes, wie desjenigen seines Landes und Volkes ...

Ein weltabgeschiedener Winter und Vorfrühling lag hinter ihm. Ueber der Arbeit an der Scholle,im Tretrad der stündlich neuen, immer wiederkehrenden Ansprüche an seine körperlichen Kräfte hatte er fast vergessen, daß neben diesem kleinen Leben und Sorgen eines verlorenen Bauernhofes eine ganze Welt in schwerstem Ringen stöhne. Man hörte freilich etwa an stillen Abenden fernen Widerhall des Kanonendonners; man las im Blatt von schweren Schlachten; doch war all das so weit weg und berührte das eigene Leben nur dann,wenn der Aelteste des Nachbarn wieder zur Grenzwacht einrückte oder ein eingezogenes Roß im Zug fehlte.

Weit, weit weg in Rußland und unten am Meer schlugen sich die Völker; der Bauer hierzuland tat die Pflicht des Tagwerks und erregte

197 []sich nicht. Das mochten die Herren in der Stadt besorgen, die beim Bier stritten, welcher Teil im blutigen Ringen das Grausigere leiste oder gar wer im Recht oder Unrecht sei.

Boden und Grund der Schweizerbauern war unberührt und sie hatten Zuversicht, daß er es bleibe. Sollte es anders kommen, so wären sie wieder da, dachten sie und nützten die Zeit. Tag und Nacht, Schnee und Regen, Kälte und weckende Frühlingswärme folgten sich in ewigem Kreislauf.Gottes große Welt ging unabänderlich ihren Gang,sie, die Bauern, ihren wechselnden, täglichen Arbeitsweg in Hof und Haus und Feld und Wald mit schweren, am Erdreich klebenden Schritten, bedächtig, den Sinn dem nächsten zugewandt; wie ein fernes Wetterleuchten erschien ihnen das andere.Sie vergaßen etwa auch, wie wohl es ihnen erginge; und auch sie räsonnierten und schalten manchmal über kleine Dinge, ohne daß es stark vom Herzen kam und sahen derweilen sehr wohl zu ihrer Sache.

Diethelm Josephus gab sich nicht Rechenschaft darüber, wie er selber mählich in Denken und Fühlen mit ihnen eins wurde. Nur daß er nicht für das Eigene zugreifen konnte! An diesem Abend saß ihm dieses Gefühl als eine Faust im Nacken.Er war „Vetterknecht‘. Aber Knecht mehr als Vetter; so hatte er es heute erfahren, und bitterer Nachgeschmack seines Auftrages für den kommenden Tag stieg in ihm auf: Wie ein Bevormundeter fuhr 8 []er zu Markt, wie einer, dem man nichts anvertraut;und eine halbe Sache war, was er dort verrichten durfte ... Dazu quälte ihn die Haltung der Base.

In dieser Stimmung traf ihn ein Feldpostbrief.Vom Sepp kam er, weither aus flandrischen Landen.Schwer leserlich waren die halb verwischten, mit Blei gekritzelten Buchstaben. Dieter aber las das Hauptstück mit gespannter Aufmerksamkeit:

..... So habe ich meinen Mann gestellt und bin Unteroffizier geworden, obgleich ich nur ein Bauer bin. Aber lieber wäre ich bei Euchl Im friedlichen Land!“ (Hier waren einige Zeilen von der Zensur schwarz überstrichen, daß sie nicht entziffert werden konnten.)

„Wie läßt sich der Frühling an? Wir ackern und säen auch hinter der Front, wenn wir in Reservestellung sind. Aber da hat man keine Freude daran; man weiß nicht, wer es erntet. Und was machen die Schweizerkühe? Hier sind sie alle mager wie Sägböcke und sollten doch Milch geben. Ich möchte wieder einmal einen rechten Stall Vieh hüten das wäre eine Freude.

Ich denke viel zurück und habe meine eigenen Gedanken, wo eigentlich meine Heimat sei, wenn sie im Unterstand das Lied von der Heimat singen.Zu Hause im Schwabenland denkt meiner niemand;bei Euch bin ich wohl auch vergessen. Doch kommt mir dann der alte Meister in den Sinn. Der hat immer gesagt, die Erde sei unsere Heimat. Wie ein Pfarrer hat er es beim Pflügen gepredigt.199 []Und daran denke ich, wenn wir uns jetzt bis über den Kopf in die Erde verkriechen, damit sie uns von der andern Seite nicht treffen! Dann ist uns die Erde Haus und Heimat, und wir haben sie gerne wie einen lieben Freund.

Die andern machen es auch so. Sonst würden wir sie erschießen. Wir müssen schießen und sie auch. Es geht freilich jeden hart an, wenn er einmal auf sein Ebenbild zielt; das erste Mal hat's mir fast das Herz abgedrückt, als ich einen purzeln sah. Aber: Entweder du oder ich!

Wir verkriechen uns darum tief in die Erde und die andern auch. Das schützt und hält warm den Winter über. Aber schade ist es um die viele Arbeit! So sollte man schaffen dürfen ums wachsende Brot, wie man puddelt, wenn die blauen Vohnen fliegen. Und jammerschade ist's, wie sie das Erdreich verschandeln, Aecker und Wiesen, Höfe und Dörfer. Von euch Schweizern hat keiner einen Begriff. was der Krieg für ein schreckliches Unglück ist.

Ich selber bin gut durchgekommen bis jetzt, und der liebe Gott wird mir weiter helfen. Noch einmal, ich denke viel an den Sennhof und die Gegend rundum. Wenn mir einer nachfragt, so bitte ich Sie, zu sagen, daß es mir wohl geht. Vergessen Sie auch nicht, was ich Ihnen zuletzt berichtete,wegen dem Brand auf dem Hof. Sagen Sie es,bitte, der Jungfrau Rose. Es ist gewiß so, wie ich es erzählte. Kein rechter Bauer zündet sein Gefach an, wenn er bei Sinnen ist. Ich hab's er200 []fahren, als sie vorgestern einen darum füsilieren wollten. Er hätte ein Flammenzeichen gegeben,behaupteten sie. Da sprang ich ein und der Hauptmann schob die Sache auf, bis sie sich dann erklärte.“

Wieder war eine längere Stelle des Schreibens unleserlich gemacht, und der Brief schloß mit ganz andrer Haltung der Buchstaben, deutlich anzeigend,daß die letzten Zeilen später geschrieben seien:

„Gottlob kann ich noch einen Gruß anfügen.Es ging hart daran vorbei, daß ich es nicht gekonnt hätte. Wie die Teufel waren beim Morgengrauen die Schwarzen vor unserm Graben und wollten über uns her. Nun hängen sie im Stacheldrahtgeflecht oder liegen davor. Aber abgelöst werden wir erst morgen.

Viele Grüße Dank Joseph Stegmaier.“Der Brief freute den Diethelm Josephus schmerzlich. Zwei und dreimal las er ihn, und es schien ihm, als täte er dem Geschriebenen nicht zu viel Ehre an damit; denn er barg wohl Gedanken und Gefühle mancher Wache von einem Stern zum andern in seinen schlichten Worten.

Grauenhaft groß stand die Gottesgeißel Krieg vor ihm, da die Menschen sich in die wunde Erde verkriechen, um sich nicht zu morden. Und immer bleibt diese verwüstete Erde ihr Freund und ihre Heimat; er aber und seine Genossen im bäuerlichen 201 []Handwerk durften sie friedlich hegen und pflegen,daß sie mehr nur war als Schutz, daß sie gütige Nährerin wurde für ein ganzes Volk. Das mußte das Größte und Schönste sein.

Ein großes Erleben war ihm diese Erkenntnis,freundlich beleuchtet durch den schlichten Ausdruck der Anhänglichkeit eines einfachen Mannes zu seiner Arbeit an der Scholle.

Am Morgen erwachte Diethelm Josephus vor dem ersten Sonnenstrahl. Er hatte geschlafen, wie einer, der nach heißem Tagewerk ein erfrischendes Sturzbad über sich gehen läßt; und die Frische steckte weiter in ihm, auch als er an seinen heutigen Marktgang dachte, der ihm gestern so zweifelhaft schien: Die Welt hat am hellen Morgen ein fröhlicher Gesicht, als es der Abend scheinen läßt, und mit sich selbst war er im Reinen über seinen heutigen Gang frisch und zugriffig wollte er ihn gehen ...In der Stube tischte ihm Rose, die Frühaufsteherin, das Frühstück auf. Kurz erwiderte sie seinen fröhlichen Morgengruß und machte sich mit abgewandtem Gesicht an den Blumentöpfen vor dem Fenster zu schaffen. Ihm kam darüber ihr wunderliches Wesen vom Vortag zu Sinn: „Was kränkte dich gestern, daß du so sonderlich warst, Röslein?“fragte Dieter.

Sie gab nicht Bescheid.

„So sprich doch ich hab' dir nichts zu Leid getan ... So red' doch,“ mahnte er, „denk', wenn 207 []mich die Laune ankäme und ich nicht mehr auf den Sennhof zurückkehrte. Ich kann's ja... Und wenn du so seltsam bist, möcht' mich's fast gelüsten,fortzubleiben in allem Ernst.“

Da trat sie grad vor ihn hin: „Tu du, wie es dir gefällt ... ich halt' dich nicht; ich hab' dich auch nicht gerufen, und meinetwegen bist du nicht hier. Brauchst auch gegen niemanden dergleichen zu tun, hörst du, Dieter? Ich will das nicht haben.“

Es blitzte in den Augen der Jungfrau, als ob sie Rechenschaft begehre.

Dieter sah unbefangen auf: „Nun versteh' ich dich aber wirklich nicht, Rose!“

Langsam stieg rotes Blut in ihr Gesicht, und sie wandte sich ab.

Ein erster Sonnenstrahl streifte im Garten die sprossenden Schosse der Fliederbüsche, und ein Zug frischer Frühlingsmorgenluft strich durchs offene Fenster an seine Stirne: „Noch einmal: Ich versteh' dich nicht! So red' doch, Röslein!“ Ernsthaft ruhig sagte es Dieter. Jetzt wich sie der Frage aus:„Dann gilt's nicht, was ich sagte; dann laß gut sein,dann hat der Landschreiber Dummheiten geschwatzt.

Ich will aber nicht in der Leute Gerede kommen!“

Dieter war nicht mehr das Stadtbüblein von einstens und vertraut mit dem Raunen und Sagen des dörflichen Geredes; er erfaßte den Zusammenhang. In seiner frischen Morgenlaune lachte er hellauf. Er faßte ihre Hände und zwang sie, sich ihm zuzuwenden:208 []„Und wär' es schlimm, wenn ich deinetwegen hier diente, wie Jakob um die Rahel ...?“

Grad auf stand sie vor ihm; sie preßte die Lippen aufeinander, als wollte sie einen Schmerz oder einen Wunsch verbergen, und die Brust straffte sich in schweren Atemzügen.

„Noch einmal frag' ich dich, Röslein: Soll ich wiederkehren und hier bleiben?“

Sie hob ihre Augen. Ein Widerschein der Frühlingssonne lag darin.

Diethelm Josephus preßte ihre beiden Hände:„Auf Wiedersehen, Röslein!“

Dann wanderte er im hellen Morgen fürbaß durch grünende Wiesen und unter Zweigen der Bäume, daran die Blätter sich reckten und streckten und Blüten aus ihren Knospen brachen.

Rüstiger und eiliger noch wanderten seine Gedanken durch Vergangenes und Seiendes und sahen vieles, was ihnen vorher verborgen war, als hätte ihnen dieser Frühmorgen den Star gestochen.

Ein vergrämtes Wesen schien ihm die Rose früher. Doch war sie wohl nur eine stolze Seele,die das Unglück ihres Hauses und eigenes Leid vor andern verbarg, und in ihr lagen Kräfte und Frühlingssäfte des Gemütes brach, die eines warmen Hauches harrten, daß er sie zum Sprossen und Blühen bringe. Die Base stand vor ihm, da er sie einmal beim Singen überraschte: „Küsset dir ein Lüftelein Wangen oder Hände ...“ Und wie ihre Augen verstohlen herzlich lachen konnten!204 []Dem Dieter ging im Wandern das Herz weit auf. Aufwärts schritt er jetzt durch einen lichten Buchenwald, über dem ein heller Schimmer des ersten Grüns lag. Und der Gedanke an Rose schritt mit, als heller Kuckucksruf an sein Ohr schlug.Immer wieder rief ihn der Prophetenvogel der ländlichen Sage an. Er besann sich: Geld trug er in der Tasche; das traf sich gut und recht; ihm würde es das Jahr durch nicht fehlen, wie es der erste Ruf des Schicksalkünders verhieß. Uebermütig spann er nun den unausgesprochenen Gedankengrund des letzten Abschiedsgrußes aus; laut vor sich hin sprechend: „Heirat' ich das Röslein?“

Der beantwortende Doppelklang wollte nicht enden und ertönte immer lauter.

Da lachte Dieter, und als der Gesang verstummte, fragte er zum zweiten: „Auf wie viel Jahr und Buben ...“

Ganz nah vor ihm klang der Antwortruf; hellauf und dann das zweite Mal abgebrochen. Es flatterte zwischen den Zweigen. Er selber hatte das Tier verscheucht. Also gilt der letzte Spruch nicht,dachte Dieter. Wer bergan schreitet, ist immer hochgemut, und eine Stunde hochgemuten Sinnes wiegt Wochen der Bedenklichkeiten und der Gedrücktheit auf. Was ihn beengte im Leben, sollte nicht Macht über ihn gewinnen; er konnte es wenden. Selber wollte er sich sein Schicksal schmieden, nach seinem Willen und fest auf eigenen Füßen stehend.

Zu dem Schluß war er gekommen, als er die 1295 []letzte Höhe überwunden hatte und nun sein Marktstädtlein vor sich sah, eingebettet in Gärten und Weinberge und umsäumt von den Anfängen aufstrebender Gewerktätigkeit.

Diethelm Josephus reckte unternehmungslustig die Arme; die Bedenklichkeiten ließ er hinter sich.In eigener Verantwortung handelte er, und als es Mittag geworden war, schien ihm alles wohl geraten, vom ersten Geschäft des Morgens, dem Gang auf seine Bank, bis zum letzten Abschluß seines Vieheinkaufs. Ein freundlicher Zufall hatte ihm geholfen: Beim Eingang zum umfriedeten Marktraum rief ihn Meister Friedrich an, derselbe,der ihm Gefährte gewesen bei seiner Ausfahrt auf das Land seiner Väter; dieser stand ihm als Anschicksmann und Helfer beim schwierigen Geschäft zur Seite; nach seinem Rat ging er nicht aufs Augenfällige und Köstliche aus. Nur zwei der Rinder waren ansehnlich und groß in seiner eingekauften kleinen Herde; die Kühe aber wiesen alle gute Milchzeichen auf, ob sie auch von kleinem Schlag und wenig wohlgenährt erschienen.

„'s ist eingeführte Ware, aus dem Tessin kommen die Tiere, ich hab' sie selber dort geholt“, empfahl sie der Verkäufer; „es ist ein guter Schlag, auf Ehr'und Gewissen ... Wie Kuchen im Schmalz werden sie aufgehen, wenn sie an unser fetteres Futter kommen. Und Milchinnen sind es, ich sag' Ihnen,die dicken Fresserinnen sind Geißen dagegen. Sie 206 []haben nur einen Fehler: ich verkauf' sie zu billig.“

Da raunte der Meister Friedrich dem Unschlüssigen zu: „'s ist ein rechter Handel und der Isaak Weil ein ehrlicher Mann.“ Noch einmal feilschte Dieter, auf halb und halb kam Angebot und Forderung zusammen, und der Handschlag besiegelte den Kauf.

Eben steuerte der Landschreiber seinen dicken Leib durch das Marktgedränge: „Endlich hab' ich Sie, Herr Fenner. s ist höchste Zeit. Gesucht hab'ich Sie wie ein verlorenes Geldstück.“

„Schad um die Mühe; es war nicht nötig.“ Kalt und ruhig war der Bescheid. „Ich hab' bereits eingekauft und bin wohl versorgt.“

.Das rundgebauchte Männlein stellte den Kopf hoch: „Und wer hat bezahlt?“

Von oben herab sah ihn Dieter an: „Ich selber,wenn es Sie wundert, Herr Vetterli, und aus eigenen Mitteln!“ Er ließ den Mann stehen und rüstete zur Heimkehr.

Nur eine kurze Weile blieb ihm, denn er gedachte, bis abends wieder auf dem Sennhof zu sein.Es hielt ihn nicht in der Stadt seiner Jugend: sein Haus strömte ihm einen kalten Hauch der Verlassenheit entgegen; wenig freundlich und mit knappen Bescheiden empfing ihn sein Geschäftsgenosse; er nahm es als Vorwurf deshalb, weil er selber sich wochenlang um nichts am gemeinsamen Wesen gekümmert hatte; er mochte auch nicht in die 207 []Bücher sehen und war zufrieden mit der Auskunft,daß man sich allmählich mit der Lage abfinde. Wo er aber alte Freunde traf, berührte ihn fremd, was sie bewegte, fremd, als lebten ihre Gedanken in einer andern Welt.

Eines Versäumnisses besann sich der Zurückkehrende erst im rollenden Eisenbahnzug. Als er am Morgen auf der Bank das Geld für seine Einkäufe abhob, hatte ihn deren Leiter zu einer Besprechung auf den Nachmittag gebeten. Der Einladung war er nicht gefolgt; er hatte es überm andern vergessen und ging auch jetzt kurz darüber hinweg; denn seine eigenen Dinge waren klar und wohlgeordnet. Der Bankmann hatte einen Titel zu empfehlen, dachte er, nun war aber sein flüssiges Geld angelegt ... war es ein anderes, so mochte jener schreiben; dazu lief die Post.

Und wieder nahmen dann seine Tiere ihn ganz in Anspruch. Er hatte freilich den Dienstknaben schon Tags zuvor auf den Bahnhof befohlen, der dem Sennhof zunächst lag, doch war dieser eine schwache Hilfe, und es kostete Schweiß, bis unter manchem Stoß und Druck sein Trüpplein Vieh zum Antrieb bereit auf der Straße stand.

Voraus marschierte das Knechtlein und führte die Kuh, an der die ganze Koppel hing. Mit Hüh und Hopp trieb hinter ihm Dieter die Tiere vor sich hin. Eine leichte Wolke des Frühlingsstaubs auf der Straße, aufgestampft durch die vielen Rinderhufe, umhüllte ihn; vom leichten Winde wurde die 208 []Wolke seitwärts über Wiesen und Aecker getrieben,flatternd wie ein bescheiden stolzes Fähnlein des bäuerlichen Heerzugs. Fröhlich übersah ihn sein Besitzer; er überschlug bei sich die bezahlte Summe,verglich sie mit den zu Ende des Marktes festgestellten Marktpreisen, und er fand, daß er ein ganzes Tier des Dutzends eingehauset hatte.

Das sollte dem Vetter wohl gefallen, dachte er;wenn er sich überlegte, wie dieser mit dem Batzen rechnete. in

Der Trieb kam auf fast einsamer Straße Tang sam vorwärts. Schon leuchtete von weitem das rote Dach der neuen Sennhofscheune aus den Bäumen, als sich Rose Fenner hinzugesellte. Sie kam über einen Seitenweg und rief die beiden an:„Ihr seid's schon, wir haben euch für später erwartet... Ich war auf den Buchrainäckern“, fügte sie bei, das Zusammentreffen zu erklären.

Dann schritt sie neben Diethelm her:

„Was hast du angestellt, Dieter?“ fragte sie halblaut, „der Landschreiber war gleich nach Mittag beim Vater voll Aerger, wie es schien; mir hat er kaum einen Gruß gegeben, als er kam; beim Fortgehen war er wieder katzfreundlich.“

„Vieh hab' ich eingekauft, du siehst es; wie mich der Vater hieß. Doch hab' ich nach dem eigenen Kopf gehandelt; das kümmert doch den Mann nicht‘, antreibend ließ er den Stock auf die Flanke eines zurückhaltenden Rindes fallen „und ob er zornig ist oder katzfreundlich auf dem Senn

Wehrlin, Zur Scholle.

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209 []hof, kümmert doch uns nicht. Oder liegt dir daran,daß er freundlich ist, Rose?“

Sie sah vor sich auf die graue Straße. „Ich hab's lieber, wenn ich ihn gar nicht sehe!“

„Nun also, so laß den Schleicher.“

Und dann forschte er: „Mich wundert, was hat der Mann auf dem Hof zu tun alle paar Tage...?Er hat sein eigen Haus und Geschäft, wohl auch Weib und Kind... da soll er zum Rechten sehen und uns auf dem Sennhof gewähren lassen!“

Rose Fenner seufzte: „Wenn ich es selber wüßte!Uns sagt der Vater nichts von Geschäften. Das Schriftliche besorgt er ihm und Gäng' und Läuf'in Geldsachen, seit der Vater das alles selbst nicht mehr kann ...‘ Dann lenkte sie das Gespräch ab:„Du, Vetter, daß ich's nicht vergesse, der Vater war hellauf nachher; als der Notar schon lang weg war,hat er immer wieder vor sich hin gelacht. Die Mutter fragte dann, was ihm Lustiges passiert sei.Da spaßte er, er hätte zugeschaut, wie einem schlimmen Fuchs das Huhn und die Küchlein zugleich entronnen seien. Des freue sich der Gockel.Lustig wäre es jedem zu Mut, dem es auf Kosten andrer zu tagen beginne. Von dir hat er nicht gesprochen; aber ich glaube, du bist auch mit in dem Spiel, das ihn so lustig machte. Es wird gut sein,daß du's weißt.“

Kurz vor der Häusergruppe des Hofes zweigte ein Weg ab, der durch den Baumgarten, kürzer als der Bogen der Straße, zum Wohnhaus führte. Ihn 210 []schlug jetzt Rose ein. Indem Diethelm ihr nachsah,vergaß er seines Treiberamtes und schritt rüstiger aus, so daß er nun zur Seite des jungen Führers an der Spitze der Koppel schritt.

Weil er gerecht war mit dem verschupften Bürschchen und manchmal freigebig gütig, nahm das Knechtlein die Gelegenheit wahr, willkommene Auskunft zu geben. Er hatte Brocken des Gesprächs aufgefaßt und packte nun sein Wissen aus: „Der Landschreiber ist ein ganz Schlauer, der hat seine Bauern in den Fingern!“

Das „So, so!“, das Diethelm vor sich her brummte, schreckte den Mitteilsamen nicht ab:

Wisset, Herr Fenner, der hat wohl seinen Grund,warum er um den Sennhof herumschleicht ...“ Der Bursch schielte erwartend zu Diethelm Josephus auf; doch der schritt fürbaß, ohne eine Miene zu verziehen. Nun packte Jakob sein Wissen unerbeten aus: „Der Landschreiber ist Witwer. Ich glaube, der will wieder weiben und die Jungfrau Rose möcht's ihm wohl können... Er ist ein arg reicher Mann.“

Vor dem Hause saß der Bauer. Stück um Stück der kleinen Herde besah und betastete er, bevor sie in den Stall im neuen Haus getrieben wurden.Seine Miene schwankte zwischen grimmigem Aerger und verschlagener, innerer Lustigkeit, als er die erfragten Preise eines jeden Rindes nennen hörte.Für den Vetterknecht war es eine demütigende Prüfung; denn kein Wort der Anerkennung sprach 211 []Heinrich Fenner dazu; er zuckte die Achseln und wandte sich zum Haus.

Erst nachher überkam den Jüngern wieder stille Befriedigung, als Rind neben Rind im frisch überkalkten, weißen Stall auf sauberer Streue stand und sich am jungen Frühgras gütlich tat. Schön geordnet nach dem vermutlichen Alter hatte er sie eingestallt; es war ein vergnüglich Schauen, wie sie azten, friedlich still; nur ein Kettenglied hörte man etwa klirren, wenn ein Tier den Kopf hoch warf,ein Büschel Gras aus dem Futterrechen zu zerren.

Zu großer Arbeit war der Tag verloren. Und doch war es dem Dieter noch ums Werken. Er suchte sich aus den Brettern im Schopf ein feines, glattes Stück heraus und schnitt es in gleichmäßige, viereckige Tafeln. Weil schwarze Farbe nicht zur Hand war, malte er mit einem dicken Blaustift auf die erste Tafel „Tschingg, gek. 20. 4. 15.“

Derweil führte ihr Geschäft die Base Rose vorbei; sie sah ihm zu.

„Du wirst gleich sehen, was das will“, kam er ihrer Frage zuvor. Mit Hammer und Nägeln ging er nun zum Stall und schlug zu Häupten einer der braunen, welschen Kühe die Inschrift ein.

„Jede muß ihren Namen haben, und so wird sie gerufen, und der Name kommt auch in das Buch,das ich führe. Ist das nicht recht?“

Rose schüttelte leise den Kopf: „Das willst du heute noch machen?“

.Warum nicht? Was getan ist, ist erledigt.“21 []„Kennst du die Tiere schon so gut, daß du sie benennen kannst? Mir scheint, jeder Name sollte einer Eigenart entsprechen ... auch bei den Tieren.Und das Benamsen sollte eine überdachte Sache sein, kein Strütten und kein Eilen! So eine rechte Sonntagsarbeit.“

Sie hatte wohl recht. Besonders gefiel Dieter das letzte Wort. „Eine rechte Sonntagsarbeit? Willst du mir helfen am Sonntag? Dann halten wir Kirchgang und Taufe im Stall.“

„Versündige dich nicht an heiligen Dingen!“wehrte sie. „Man muß Heiliges ernst nehmen!“

„Es war nicht aus Lästerung gesagt“, beruhigte er. „Auf dem Feld und im Wald und zuletzt im Stall ist die Arbeit dem Schaffenden Gottesdienst,wenn das Herz heiliger Gedanken voll ist.“ Er war selber ernst geworden und meinte, ein Stück des Gesagten zu empfinden. Ihm war gehoben und zuversichtlich zu Mut, als er nachher an der Seite der Hochaufgerichteten zum Hause schritt. Zwei gute Kameraden, schafften sie sich den Rest des Abends in die Hände, und die Arbeit ging rasch und froh von statten. Einmal freilich roch ihm das Gerede des Hüterbuben auf, und prüfend verfolgten seine Augen ihr Gehaben. Als hätte sie es gemerkt,wandte sie den Kopf, und flüchtig huschte ein Lächeln über das längliche Gesicht.

Seiner Müdigkeit glückhaft zufrieden, hörte an diesem Abend Diethelm Josephus beim Einschlafen wieder durchs offene Fenster leise Geräusche aus 213 []

dem Stall unter seinen Stuben dringen, Rauschen

dem Stall unter seinen Stuben dringen, Rauschen raschelnden Strohes, Aneinanderschlagen von Kettengliedern , warmes, ihm anvertrautes, ihm eigenes Leben der Kreatur ...

In die Träume begleitete ihn das Bewußtsein eigenen bäuerlichen, warmlebenden Besitztums.

Wieöer im Joch!Mit rechter Bauernfreude schaffte Diethelm Josephus schon ums Morgengrauen in „seinem“ und im andern Stall; die vermehrte Arbeit verlangte doppeltes Zugreifen: der Vetterknecht hatte für nichts Gedanken, denn für sie und den Stolz seines neuen Besitztums. Aber die Sonne stand mit allzu grellem Morgenrot auf; der Abend versprach nichts Gutes!

Wieder kamen niederschlagende Stunden auf dem Sennhof. Noch am selben Tag, während der vom gelben Sonnenmorgenschein angekündigte Abendregen an die Fenster platschte, hagelten neue Enttäuschungen in eine grüne Hoffnungssaat.

Der Bauer Heinrich Fenner war am Vorabend zeitig zu Bette gegangen, sodaß Dieter einen pflichtgemäßen Bericht über seine Marktfahrt nicht abstatten konnte. Heute wollte er es nachholen.Genau und einläßlich aufgeschrieben, ein beauftragter Käufer, trug er die Rechnungsstellung mit 2124 []sich und erwartete eine Aufforderung, sie vorzulegen. Der Vetter verschloß Gemüt und Mund den ganzen Tag über, als läge eine stille Fehde angesagt zwischen den beiden. Und jetzt, beim Abendsitz, tat er keinen Wank, als erwarte er eine Aussprache.

Längst saß Dieter in seinem Stuhl, erwartungsvoll zurückgelehnt; der Aeltere las seine Zeitung,Satz um Satz bis zur letzten Zeile, während die Frauen, etwa ein leises Wort wechselnd, Gemüse für das morgige Mittagessen zurüsteten. Es lag drückende Stille in der Bauernstube.

Dann faltete Heinrich Fenner umständlich sein Blatt in die alten Druckspuren des Papiers zusammen, sah nach der Uhr und schickte sich zum Zubettgehen an.

„Vetter“, hielt ihn Dieter zurück, „ich meine, wir hätten noch zu reden miteinander!“

Der Angesprochene ließ sich wieder in seinen Sitz auf dem Ruhebett zu Häupten des Tisches fallen;in seinem durchfurchten Gesicht schauten abweisende,flackernde Augen aus ihren trüben Höhlen: „Und das wäre?“

„Nu, ich mein', ich soll dir doch sagen, wie ich für dich eingekauft habe gestern. Schau, hier ist alles aufgeschrieben. Ich glaub'. ich hab's recht gemacht!“

„Für dich vielleicht und in deinen Augen wohl.Für mich, ich weiß nicht, ob du wirklich für mich gekauft hast.“ Nicht in lautem Zorn brach der 215 []Vetter los. Und aus der zitternden Stimme sprach neben verhaltenem Groll Kummer und Verlegenheit:

„Du hast nicht gekauft, wie ich wünschte. Und hast viel ausgelegt, mehr, als ich wünschen konnte.Hast meine Weisungen und Räte mißachtet ...?“

„Freilich wohl, Vetter, doch ist es besser so. Ich weiß, du hast mich an den Landschreiber gewiesen.Das war ein schlechter Anschicksmann, und es wäre ein übler Handel geworden. Sein Vorkäufer war teurer und hatte schlechte Ware!“

„Bist du dessen sicher, und bist du so erfahren,daß dein Kauf gut ist? Und ist er's: weißt du,ob ich nicht dem Mann verpflichtet bin ...? Ob ich den Kauf halten kann?“

„Dann trag' ich die Verantwortung, Vetter,dann hab' ich aus dem Eigenen gezahlt und gekauft.“Nun stieg dem Bauer das Blut zu Kopf; zwar hielt er an sich, doch er betonte scharf: „Wir haben einen Vertrag miteinander, Vetter, nach ihm bin ich Herr und Meister hier auf dem Sennhof ...das gibt mir eine heitere Ordnung, wenn der Knecht kauft und zahlt, und der Meister nichts mehr zu sagen hat. Und ich weiß auch nicht, wie ich aus der Sache komme ...“ Wieder sank die Stimme zur nachdenklichen Versonnenheit!

Das war sein letztes Wort. Der kranke Mann mit den unfolgsamen, bresthaften Beinen ließ sich in seine Kammer geleiten.214 []Rose Fenner hob einen hellen, dankbaren Blick auf ihren Vetter. „Das war lieb von dir, daß du nicht hitzig wurdest!“

Auch Dieter war dessen zufrieden.

In den folgenden Tagen wich der Sennhofbauer jedem Versuch aus, auf die Sache zurückzukommen.Das schien dem Vetterknecht nicht im Blei. Den Ordnunggewohnten schlich der Argwohn an, der Geizteufel regiere jenen und lasse ihn seinen Kauf in allzu bequemer Ablehnung der Verpflichtung nicht anerkennen.

Der Kauf aber war gelungen; die kommenden Wochen erwiesen es. Wirklich wie Kuchen im Fett rundeten sich die Rinder. Tag um Tag wuchs das Maß der Milch, mit dem sie die Mühe der Wartung und dargereichtes, würziges Frühlingsgras verdankten. Dieter schwoll das Herz in Bauernstolz,wenn er ihre wohlbesorgte Reihe übersah. Sein Eigen war dieser Lebensbesitz. Die geheime Angst,sich davon trennen zu müssen, ließ ihn die Dinge nehmen, wie sie waren; vom Kauf und seinen Folgerungen ging keine Rede zwischen den beiden Fennermannen.

Wohl aber regte sich in Dieter das kaufmännische Gewissen. Nach allen Regeln begann er ordentlich Buchhaltung zu führen über das, was er in diesem Besitz verwaltet. In Soll und Haben, in Kapitalund Betriebsrechnung trug er Anschaffungspreis und Mühewaltung, tägliche Nutzung und wöchentliches Futter nach Maß und Wert säuberlich in ein 217 []Heft ein und ward darüber in diesem Stück ruhig.Er fand auch fröhliche Zustimmung zu diesem Beginnen bei Rose, die einmal wunderte, worüber er sich mit Notizen und Schreibereien mühe. Als er ihr das Büchlein zeigte und seine Zahlen erklärte,hatte sie ein Verständnis für sein Beginnen, das ihn freudig überraschte: „Du, Vetter,“ sagte sie, „so sollten's die Bauern mit allem machen; es stünde besser um manchen Hofl“

Er freute sich darüber und achtete nicht, daß sie ernsthaft und bedrückt seufzte.

Er freute sich selber an seinen saubern Zahlenreihen; doch daß er sie aus dem Zwang einer schiefen Stellung und als Schutzwehr aufstellte,mochte ihm das Schreiben manchmal verleiden.

Stunden des Zweifels und der Anfechtung kamen über ihn, wenn er allein in seiner Stube über diesem Büchlein saß und seine Stellung im Hause überdachte, diese halbfreiwillige Knechtschaft eines Vetters, der zur Hilfe in allen Dingen willkommen war, bei eigenen Willensäußerungen aber beargwöhnt wurde, und der zum selbständigen Handeln überflüssig erschien ein fünftes Rad am Wagen; es lief mit, es trug mit seine Lasten, aber ohne es hätten sie die vier andern auch getragen;es hatte nichts zu bedeuten am Fortlauf der Dinge!

Und wieder grübelte er dann, was ihn hier zurückhalte, warum er hier in diesem engen Stüblein sitze. Mißmut an der Welt, wie sie im großen Getriebe ging, war wohl die Laune gewesen, die ihn 218 []herführte; denn wäre er ein nützliches Rad im Gange der wechselnden Tage des waffenklirrenden Heute, selber ein Wehrtragender, so stünde er anderswo. So aber hatte er sich verkrochen in das stillere Geriesel des kleinen Lebens und darin zu vergessen gesucht, daß er im andern nichts bedeute.

Erst wenn er wieder hinterm Pflug ging und wenn er werkte, im Stall und Hof und auf dem Feld, die Sense, die Gabel oder das Grabscheit in der Hand, vergaß er die grübelnden Gedanken.

Doch hatte sie immer wieder Macht über ihn,diese drückende, beklemmende Grundstimmung im Abscheu vor unausgesprochenem drohendem Unheil ... eine beklemmende Furcht vor dem Ungewissen!

Bei allem Sinnen war er wieder zu wenig Grübler an sich selbst, den Urgrund dieser Stimmung zu finden:

In sein stilleres Geriesel der kleinen Welt verfolgte ihn das allumspannende Weltenleid und der völkische Kummer seiner Heimatgenossen: Mählich erfüllte sich ein Jahr, seit die Völker sich ineinander verbissen hatten, feurig im Anlauf, zäh im Verbluten; das Brutale, das Gemeine am Sichschlachten der Menschen überwog in seiner Empfindung des Geschehens mehr und mehr das heroisch Große ...

Mählich erfüllte sich das Jahr auch, seit der eigene kleine Staat inmitten des Völkerbrandes seit Diethelm Josephus Fenners Schweizerheimat in 21 []Waffen starrte, friedenswillig in allzu drückender Rüstung. Mit jeder Herzensfaser ein Mann seines Volkes, hatte Diethelm Josephus, nach außen blickend, bewundernden Anteil genommen an den Höchstleistungen menschlicher Willensstärke und menschlichen Könnens auch im Krieg, im Grausigen.Aber das Grausige widerte ihn an, weil doch seine Sinnesrichtung wie die seiner Heimatgenossen in rein menschlichem, innervölkischem Sichverstehen das Höchste sah. Gezwungen auf das Eigene zurückkehrend, kapselte sich der freiere Geist ein und empfand die Dinge immer empfindlicher am Maßstab des Schadens am Eigenen. Es wuchs der Groll über Beschränkung und sich ankündenden Mangel im eigenen Lande, über die Einschränkung der Freiheit des Gehabens nach allen Seiten, in Wort und Schrift, in Verbrauch und Verkehr und in Handel und Wandel.

Das alles drückte sein Volk, und Diethelm Josephus empfand grollend mit ihm, und schmerzlich lag unbewußt über allem Erleben ein Fluch,ein tiefes Mitleid auch mit all den Namenlosen,die noch schwerer und unmittelbarer litten an Leib und Seele.

Namenhaft trat dem grübelnden Bauersmann dieser letzte Schmerz bewußt ins Sinnen. Zweimal hatte er schon dem Krieger Sepp ins Feldlager geschrieben. Die Antwort blieb aus, eine dritte,dringliche Anfrage um Nachricht, auf eine Postkarte mit beigehefteter Antwortmöglichkeit geschrieben,226 []gab traurige Auskunft: „Unteroffizier Stegmaier ist seit dem ...... vermißt!“, unterschrieben die Kunde von einem Offizier.

Der Tag, den die kurze Mitteilung nannte, war aber einer, den die Zeitungen als wütendsten Schlachttag in der flandrischen Ebene bezeichneten.

Diethelm Josephus verstand sehr wohl das Wort „Vermißt“ das wollte hier sagen: unter Schollen und Knollen des Erdenwurfs einer Mine in einem Granatentrichter vergraben; wollte heißen: irgendwo im Stacheldraht hängend, totwund und verschmachtend; bedeutete vielleicht nur Gefangenschaft ...

Da war sein Denken und Fühlen wieder mitten im Weltgeschehen, indem er das gutmütige Gesicht des Sepp mit seinem breiten Lachen, daß man die gelben Zähne sah, mit den strohgelben Haarsträhnen und den hellen Augen leibhaftig vor sich sah und sein Schicksal umfragte.

Ins Eigenste seiner ganzen Weltauffassung griff ihm die Kunde, so daß er in sich zusammengefaßt den Widerwillen seines ganzen friedliebenden Volkes gegen das Töten der Menschen, das man Krieg nennt, spürte und zugleich unendliches Menschenmitleid mit seinen Opfern ... Ins beengend Eigene warf ihn zurück, wie seine Hausgenossen die Nachricht aufnahmen, als er davon sprach: mit schnellbereiten Tränen die alte Bäurin; denn sie war kindlich gut und mitfühlend mit trotzigen Mienen ergriffen der Vater Fenner 221 []und seine Tochter, beide darin überraschend wesensähnlich im Ausdruck, Besitz von der Kunde; sie ließen die Mutter nach den Möglichkeiten fragen,die sich in der kurzen Anzeige bargen; sie selber schwiegen mit harten Gesichtern.

Erst später, als sie mit Dieter allein war, forschte Rose weiter. Befehlend rauh klang die Stimme:„Glaubst du wirklich, der Sepp ist tot?!“

Dieter stutzte über dem Ton: „Du fragst, als ob dir ein „Jal willkommen wäre. Es wird schon so sein, der arme Kerl ist verloren und dahin...Es ist schade um ihn; er war in seiner Art ein Wackerer; ich meine, der Mann wollte nie ein Unrechtes und nie für sich etwas über Gebühr.“

Schweigend hatte die Base auch den zweiten Bericht gehört. Ihre Gestalt straffte sich darüber und im Gesicht zuckte etwas, wie ein Gefühl der Erlösung, daß es Dieter Rätsel aufgab. Mehr noch tat es die Entgegnung der Jungfrau auf sein letztes Wort:

„Bist du sicher, daß der Tote nie über Gebühr Anspruch erhob...!“ Eine Anklage klang daraus. Dann wandte sich die Fragerin kurz ab.

Das alte Rätsel über diesem Hof klang daraus.

Aber Dieter verlor sich nicht darin. Zu hell strahlte am andern Morgen der Sommertag, als daß er Spinnester düstrer Gedanken litt. Und zu fröhlich die Arbeit: Dieter fuhr zum Heuschnitt, auf ratternder, neuer Maschine, deren Anschaffung er *[]dem Vetter abgetrotzt hatte. Hoch saß er auf dem wippenden Sitz und führte das Zweigespann sicher durch den Wiesengrund. Die Messer hinter ihm gaben helle Musik; klarblau wölbte sich der Himmel, ein Heuwetter, daß des Bauern Herz lachen mochte; für Grübeln und Düfteln war keine Zeit in diesen Tagen ... Einem Jungroß gleich, das ausgreift, soweit nur Beine und Lungen reichen,legte sich Diethelm Josephus ins Zeug, vom letzten bis zum ersten Stern, mit hellem Mut und Arbeitsfröhlichkeit.

Er achtete es in seinem Frohmut nicht und noch weniger rechnete er sich zum Verdienst an, wie er die andern mitriß. Die Sonne schien so hell und warm; ihr dankte er wohl den frohgemuten Gruß,mit dem jeden Morgen Rose beim ersten Begegnen dem seinen Bescheid tat! Und wie eine Junge lachte beim Vesper am Wiesenrand im Ausschnaufen zwischen dem Wenden und dem Zusammenhäufeln des Heus, das so würzig roch, die Vetterfrau mit ihrem guten Gesicht; der Magd, dem Burschen und dem gedungenen Heuer aber wäre er mit einem gutsitzenden Donnerwetter zwischen die Rippen gefahren. hätten sie nicht zugegriffen, wie er

Mit der Sommerwärme und der Heuerlust kam selbst den Sennhofbauern etwas wie Frohmut und Zuversicht an. Als die ersten hohen Fuder zur Scheune fuhren, hinkte er hinzu, wühlte seine knochige Faust tief in das hellgrüne Gelade und roch lang und bedächtig an der Hand voll würziger,223 []dürrer Gräser. „'s ist gut, Dieter,“ sagte er und spaßte, „man möchte Kuh sein im Winter, wenn wir alles so hereinbringen!“ Dann gab er Ratschläge, daß der Vetter selber zum Rechten sehe beim Verteilen auf dem Heustock; auch etwas Salz solle er einstreuen; das verhüte den Brand beim Gären und mache das Futter wohlschmeckend. Und als Dieter nachher von der Brügge niederstieg, Grashalme und getrocknete Kräuter an Haar und Kleidern, traf er den Gebrechlichen, wie er vom bereitliegenden Gras dem Vieh in die Futterfenster schob:„Ich wollte dir eine Arbeit abnehmen!“ sagte er.

Zum erstenmal trat er auch in den neuen Stall und betrachtete dort, was sein Vetterknecht eingestellt hatte, mit scharfen Blicken, aber nicht unfreundlich.

Am andern Morgen lachte Rose dem Vetter einen besondern Gruß entgegen: „Weißt du, was der Vater gestern sagte? Es sei schade, daß du ein Stadtherr und kein Bauer seiest, meinte er zur Mutter.“

„Was nicht ist, kann werden, ich gebe mir alle Mühe. Willst du mir helfen, Röslein?“ gab er zurück.

Diethelm Josephus mußte einen besondern Ton in das Wort gelegt haben, denn ein langsames Erröten stieg in das Gesicht der Jungfrau, während sie sich zur Arbeit bückte.

Vom halben Gut brachten die Fennerleute in kurzen Tagen das Heu unter Dach, bis eines 224 []Abends Diethelm Josephus zum Meistervetter sagte: „Morgen wird nicht gemäht; ich trau' dem Wetter nicht mehr; auch müssen Mensch und Tier verschnaufen!“ Jener nickte in seiner Ruhbettecke und biß auf die Zähne: „Magst Recht haben; meine Wettervögel tun arg schlimm!“ Mühselig erhob er sich und trat zum Barometer, das über ihm hing und klopfte daran mit gebogenem Finger.

„Dein Wetterglas hinkt hintennach, Vetter!“wehrte Dieter ab; „ich geh' nach der Zeitung.“ Er wies auf die Wetterprognose der Sternwarte, wie sie in seinem Blatt stand und auf die dort in einem Kärtchen eingezeichneten Linien hohen und tiefen Luftdrucks über Europa; hier pflegte der Jüngere seine Sonnenschein und Regenweisheit zu schöpfen,und sie wollte er dem Vetter erklären. Diesen aber ärgerte die Mißachtung des ehrwürdigen Wetterkünders seines Hauses.

Er brummte: „Laß mich in Ruhe damit! Das versteh' ich nicht, das ist töricht gspassig Zeug. Damit könnt ihr dem Herrgott doch nicht ins Geschäft pfuschen. Da ist der hundertjährige Kalender mehr wert ...“ Mit einem Mal war wieder die Schranke des Argwohns vor der Städterweisheit und Städterwelt aufgerichtet.

Heute spürte sie Dieter nicht. Er war zu müde in den Gliedern und zu befriedigt im Gefühl dieser Müdigkeit aus wohlgelungener Arbeit. Auch fand er im Blatt Neuigkeiten, die ihn ansprachen und ward bei sich mit einem Male inne, daß er sich Webrlin, Zur Scholle. 15

225 []darin seit acht Tagen nur nach dem Wetter umgesehen hatte. Das andere müsse er nachholen, dachte er: doch wollten ihm die Augen zufallen.

Aber auch diese Erfahrung war ihm nicht schmerzlich. Ueberm Einschlafen machte er sich einen müdzufriedenen Gedanken: Grausiges und Erschütterndes las man aus der großen Welt und Unbefriedigendes darüber, was im Schweizerhaus vorging da wollte er meinen, dann sei das Beste, wenn man's im Schaffen vergesse oder verschlafe ...Damit hatte er sich schon auf die Seite gewendet,und alles versank vor ihm im traumlosen, tiefen Schlaf des körperlich Erschöpften.

Einmal erwachte er in der Nacht überm Sausen des Windes und einer kühlen Luft, die durch das offene Fenster über sein Gesicht strich. „Das schlechte Wetter kommt rascher, als ich meinte“, dachte er,aber er besann sich zugleich auch, daß das nicht geborgene Heu sorgfältig gehäufelt war und drehte sich der Wand zu und am frühesten Morgen noch einmal zu einer Stunde Schlafbeigabe, als er Regen plätschern hörte: „Nun regnet's Gras für den zweiten Schnitt!“ ganz glücklich in diesem einen Gedanken, daß so sein bäuerliches Geschäft weiter gedeihe daß noch andere Dinge ihn berühren könnten. hatte er vergessen.

[226]

Achtzehntes Kapitel.

Und abermals Stäͤtfahrt und Staotnot.

Der anbrechende Regentag sollte Diethelm Josephus daran erinnern, daß man nicht ungestraft seine eigenen Dinge vernachlässigt, um in fremden Helfer zu sein.

Die Post brachte ihm einen eingeschriebenen Brief seiner Bank. Im gemessenen Geschäftsstil,nicht ohne Töne leisen Vorwurfes, erinnerte ihn ihr Leiter, früher sein Freund im städtischen Gesellschaftsleben, an die gewünschte Unterredung, die er bei seiner Marktfahrt versprochen und dann unterlassen hatte. „Aus freundschaftlichem Interesse bat ich Sie darum“, schrieb der Direktor, „ich wollte Sie auf gewisse Dinge aufmerksam machen. Heute zwingen mich die Interessen meines Institutes, es zu tun ...“ Dann folgte eine Darstellung, wie sein Geschäftskredit, von ihm gemeinsam eingegangen mit seinem Teilhaber, über Maß und vereinbarte Höhe in Anspruch genommen werde, wie allerlei Wechsel mit immer steigenden Summen einliefen, keine darunter mit dem Akzept des Herrn Fenner selber, die meisten wohl ohne sein Wissen.Dieser Umstand und andere Zeichen legten den Verdacht nahe, es sei nicht alles in Ordnung in diesen Dingen ...

Das fand nun Dieter freilich auch, als er die Zahlen der Ein- und Ausgänge im beigelegten Bankauszug überlas; er erschrak über deren Höhe,6*

227 []und er meinte, daß sie keineswegs übereinstimmten mit jenen Abschlußziffern, die ihm aus den Büchern seines städtischen Geschäftes genannt worden waren.

Angst um seinen Besitz und würgender Argwohn stieg ihm zum Halse ein Argwohn, der sich an eine bestimmte Person heftete, als wäre er ein Widerschein jener Zurückhaltung, der er selber in den letzten Monaten begegnet war, wenn sein Vetter etwa sein städtisches Gehaben mit einem abweisenden Blick musterte: Als widerlich geziert hatte ihn das letztemal in seinem Stadthaus das Gebaren des neuen Buchhalters abgestoßen. Blitzartig kam ihm die Erinnerung an diesen Menschen mit dem modisch-feinen Gewand, dem glatten Gesicht und dem kalten, hochmütigen Blick. Dem Verbauernden wurde die Gewißheit, daß dort seine Habe schlecht verwaltet und in Gefahr des Verlustes sei.

Den ganzen trüben Tag über trug er die Sache mit sich herum; er fand keinen Entschluß und redete sich ein, das müsse wohl noch überschlafen sein.Trüb wie der Regentag ward er darüber; geschlagen in allen Gliedern, recht wie ein allzu junges Bauernknechtlein nach acht Tagen Heuet, saß er am Abend am Tisch, als er so ins Gespräch warf: „Morgen wird's wieder schlecht Wetter sein; 's ist möglich, daß ich einen Sprung in die Stadt tun muß.“

Der Vetter sah mißtrauisch auf. Da fügte Dieter ein Wort von dringlichen Geschäften bei und sagte bald Gute Nacht.228 []Ums Schlafen war's ihm nicht. So saß er in seinem Schlupfwinkel überm Stall im bequemsten Stuhl, zündete sich eine Zigarre an und überdachte seinen Fall aufs neue.

Darüber war ihm, als hörte er seinen Namen rufen; er trat ans Fenster. Unterm Vordach der Scheune, im Dunkeln, stand Rose: „Bist du noch auf, Vetter, darf ich noch ein Wort mit dir sprechen?“

Er ging mit Licht auf die schmale Stiege, und schon stand die Base hochatmend vor ihm und schlüpfte hinein. Sie sah sich scheu um und fand nun das Wort nicht. Erst als sie sich am schmalen Tisch gegenübersaßen, sie im wohligern Sitz und der Mann auf der Wandbank, zwischen sich das helle Licht, da fragte sie: „Dieter, willst du fort von uns?“ und sah ihn aus nur halb erhobenem Gesicht mit dunklem Blick an.

„Wie meinst du das? Würd' es dir leid sein?“

Mit einem kleinen Zwischenraum folgten die Fragen des Mannes. Bei der ersten hob die Jungfrau forschend das Haupt um ein weniges zur zweiten senkte sie den Blick, doch glitzerte ein feuchter Schein darin. Sie wiederholte die Frage bestimmter: „Du willst fort von uns? Dich quält etwas,. daß du nicht mehr bleiben willst!“

Es lag Kummer und Besorgnis in Ton und Haltung der Fragenden; dem Manne aber widerstrebte es, die Kümmernde mit eigenem Leid anzugehen. Er schwieg.06 220 []Da richtete sie ihren Blick voll auf ihn, und die blauen Augen glänzten, die schlichte Lebenserfahrung zu beleuchten, die ihre Lippen zögernd sprachen: „Dieter, es ist nicht gut, ein Geheimnis,das einen quält, allein mit sich herumzutragen! Du aber trägst einen Groll in dir. Vielleicht gegen den Vater oder mich ... Ich weiß wohl, der Vater ist wunderlich; er ist krank und verschlossen. Auch ich bin manchmal nicht, wie ich sein sollte; ich hab'halt auch mein Kreuz. Aber deshalb darfst du nicht fortgehen, Dieter. Sag' lieber deinen Kummer, vielleicht kann man's wenden. Aber gelt, du bleibst hier?“

Diethelm Josephus war überwunden. Ohne Beschönigung am eigenen Verschulden der Lässigkeit erzählte er, wie er als schlechter Haushalter sein Eigenes hintangesetzt hätte, derweil er sich hier verkroch vor dem Ernst der schweren Zeit.„s ist leicht möglich, daß ich ein blutigarmer Mann bin“, schloß er; „dann werd' ich mich umsehn müssen, wie ich mein Brot verdiene.“

Aufmerksam hörte Rose die Erzählung. Dann richtete sie sich gerade auf in ihrem Sitz; in sachlicher Besonnenheit redete sie tröstlich zu: „Dieter,glaub' mir, du siehst viel zu schwarz, so schlimm kann's nicht sein um alles können sie dich nicht betrogen haben, denk' nur, in der kurzen Zeit ...Freilich, zum Rechten sehen, das mußt du, und rasch. Mußt auch selber hingehen. Das begreif'ich; man muß in allen Dingen klar sehen, und es 230 []darf nichts düster um uns bleiben, wenn man seiner selbst ficher sein will ...“

Sie stand zum Fortgehen auf, und Dieter geleitete sie die steile Stiege hinunter. Unten wiederholte sie leise und eindringlich die Bitte: „Aber gelt, du kommst zurück, versprich es mirl“

Nachher überdachte er das Wort vom Klarsehen in allen Dingen, und ihm schien, er hätte gleicherweise, wie die Base, frisch forschen sollen, was denn iher heimliches Kreuz bedeute ... und das des Vaters. Doch der Spruch war gut, wie er sich ihn ausdachte: Nur jener ist ein Mann, der sich selber im hellen Lichte zeigen kann, der aber auch in jenen Dingen, die ihn von außen berühren, nichts Düsteres und Ungewisses duldet. Dazu gehört wohl,daß er dem Schlimmen und Unsichern, das ihn berühren will, auf den Grund des Wesens geht, um es zu säubern oder ihm auszuweichen, bevor es ihn in die stickige Luft der Selbstunsicherheit bringt ...

Und der Rat der Base war gut; er mußte selber ungesäumt zum Rechten sehen.

Unter klatschendem Regen schritt am frühen Vormittag ein Mißmutiger vom Sennhof. Die ungute Sache aufzudecken, an der Dieter ohne Wollen mitschuldig war, das stachelte immer ärgerlichere Gereiztheit in dem Schreitenden auf, je mehr er sich die Möglichkeiten überlegte. Sie steigerte sich am Ziele. Da sah er fremdartige Hantierungen im Hofraum seines Geschäftes; Schlosser und Me231 []chaniker waren an der Arbeit, wo er Maurer und Steinmetzen vermutete.

„Was Teufels treibt ihr denn!“ platzte er in die Schreibstube des Teilhabers an seiner Firma. Der Mann war überrascht.

Er wollte erst freundlich grüßen. Doch ließ ihm Dieter nicht das Wort: „Was hier vorgeht hinter meinem Rücken, möchte ich wissen?!“

Bockbeinig stand jetzt der andere und gab spitz zurück: „Hinter meinem Rücken ... wenn der Herr Compagnon sich um nichts kümmert, ist es seine Sache. Wir richten uns auf Kriegsbetrieb ein ...“Kcrxiegsbetrieb? Was soll das heißen?“

„Nu, seit vier Wochen fabrizieren wir Drehbänke für Granaten (das letztere flüsterte der frühere Maurer) und die nächsten Wochen drehen wir Schrapnellzünder morgen bringt Herr Müller den Kontrakt heim aus Paris!“

„Ach so“ nun erinnerte sich Diethelm des Namens, das war der neue Buchhalter; er hätte sich auf den Namen nicht mehr besonnen; nur das glatte Gesicht haftete im Gedächtnis: „Ach so, Herr Müller, der Herr Buchhalter ...“

Eifrig fuhr der andere fort: „Der hat's im Kopf, mit de m Geschäft verdienen wir im Monat,was vorher in zehn Jahren ... Das sollte dich auch freuen!“Diethelm Josephus sah seinen Geschäftsfreund mit klaren Bauernaugen prüfend an. Der Mann war der gleiche geblieben; der Werksmann, dem's 207

J[]besser mit den Händen ging, als im Ausdenken.Wie er ihn so stehen sah, selber im Arbeitsgewand und mit dem ehrlichen Gesicht, sank sein aufbegehrerischer Aerger in sich zusammen. „Christen“,sagte er, „aber ein Wort von alledem hättest du mir berichten können. Ich bin immerhin Teilhaber im Geschäft.“

Der Christen kraute in seinen grauen Haaren,die gleich einer Bürste am dicken Kopf standen.„Magst freilich recht haben damit, Dieter. Doch recht hatte wohl auch Herr Müller, der meinte, du kümmerst dich nichts um uns und könntest verwehren,was wir nun begonnen haben. Ich aber bin darauf angewiesen, daß wir hier was schaffen ...Drum griff ich zu! Es wird schon recht sein, was wir schaffen ...“

Fast wollte der Argwohn in Diethelm Josephus verfliegen über der treuherzigen Auskunft. Doch er sah noch nicht klar bis zum Grunde, und das mußte er doch. Als ihn dann sein Geschäftsfreund allein ließ, besann er sich, daß auch er Herr sei im gemeinsamen Hause. Als solcher ging er um bei den Schreibern und sah in ihre Papiere. Die grundlegenden Hauptbücher holte er dann aus dem Schrank, zu dem er den Schlüssel auf sich trug, und musterte sie ernsthaft und genau. Nicht ohne eine gewisse ansprechende Gemütswallung, da sie alle auf den vordersten Seiten und in den ersten Zeilen der spätern seine eigene Handschrift trugen. Er verglich: Der neue Buchhalter malte eine schöner ge233 []schwungene Handschrift, das war zweifellos. Gleichmäßig in der Auftragung der Tinte und in ihrer Steilheit wallten die Buchstaben wie ein Saatfeld über die Seiten herunter; da waren keine jener kleinen Verschwommenheiten und Kleckse mitten drin, die etwa ein verbrauchtes Löschblatt bewirkt:Eine saubere, in einem Zug geschriebene Reinschrift erschienen die Eintragungen ... Der von einer Abrufung zurückkehrende Mitgeschäfter war ordentlich stolz: „Sind's nicht flott geführte Bücher; wie gestochen schreibt der Herr Müller ...“ rühmte er.

„Freilich wohl“, gab Diethelm Josephus zurück;sein Argwohn war neu erwacht, obgleich die Zahlen der großen Buchführung in seiner Vergleichung prächtig klappten. Wie ein Bauernmißtrauen saß es ihm im Genick, daß man ihm Dinge, die ihn doch angingen, wie die Umwandlung der Geschäftsart und -Gebarung, zum mindesten vorenthalten hatte, als wäre er ein Dummer, den man vor fertige Tatsachen stellen muß.

Er aber wollte kein Dummer sein.

Und dann überlief es ihn kalt, als er eine ernste Unregelmäßigkeit fand. Bei der einfachen sachlichen Stichprobe der Vergleichung“ zwischen Buch und Beleg fand er einen Widerspruch. Es konnte kaum ein Verschrieb sein: Die Vordatierung einer Empfangsbestätigung um einen Monat und Aehnliches kehrte beim nämlichen Buchkonto mehrfach wieder.Nun griff er zum Ursprünglichsten einer Buchprobe;er addierte Soll und Haben des regsten Kunden und 224 []fand eine grobe Verrechnung der ausgewiesenen Zahlungen zu dessen Ungunsten und sofort nachher eine Uebersetzung des Geschuldeten bei einem andern Buchkonto ...

Dieter hatte genug gesehen und barg die Bücher wieder im Schrank. Sein Compagnon stand neben ihm: „Bist du befriedigt?“ fragte er.

Gedehnt antwortete Dieter: „Ich hab's gefunden, wie ich dachte!“ Noch war er in den Folgerungen mit sich nicht einig. Er verbarg seine Unsicherheit und blätterte in dem länglichen, schmalen Büchlein, das die Wechselscheine zum Ausreißen enthielt. Dort hatte er in den Ausgangsangaben der vorgehefteten Doppel die ersten Unstimmigkeiten mit dem Buch gefunden, dort waren die folgenden blanken Blätter ein Stück weit bereits unterschrieben von der ehrlich groben Handwerkerschrift seines Geschäftsfreundes.

Dieser sah nichts Besonderes darin, als Dieter fragte: „Unterschreibst du hier immer zum voraus?“

„Warum nicht, ich bin oft nicht zu Hausel Bei dir hab' ich's nicht anders gehalten, als wir zusammen unterschrieben!“

Dieter biß sich auf die Lippen.

Es war Mittag geworden. Miteinander gingen die beiden dem Städtlein zu. Schweigend Diethelm Josephus, der andere aber aus einer großen Hoffnung plaudernd, voll Zuversicht für seine Kriegsgeschäftspläne und voll Ruhm für den Mann, der sie ihm zuhielt, seinen vortrefflichen Kaufmann

235 []und Buchführer: „Der hat Ideen, der weiß, wie man die Zeit nützt. Wir wären Esel, wenn wir nicht zugriffen; der Geschäftsmann muß seinen Vorteil suchen, wenn die Welt ein Narrenhaus ist ...“

Mit zwei Fragen unterbrach ihn Diethelm Fenner: „Dein Herr Müller ist wohl ein fleißiger Mann?“

„Und ob wenn er einen Tag oder einige abwesend ist, schreibt er bis in alle Nacht hinein,oder läßt sich auch die Bücher ins Haus bringen!“

„Ist er oft abwesend?“

„J nun, man wird's nicht so genau nehmen. Er hat eine Schwester in der Stadt; die besucht er über Sonntags und hat auch sonst etwa dort zu tun. Er ist Junggeselle, und unser Nest sagt ihm nichts, meint er.“

Die Schwester in der Stadt mißfiel dem Dieter.

Sie mißfiel auch dem Bankmann, den Diethelm Josephus am Nachmittag aufsuchte, weil er selber nicht weiter Rat wußte. Der Direktor war in aller Höflichkeit zugeknöpft; er ließ sich erzählen und nickte wohl etwa dazwischen. Als Dieter auf diese Schwester zu sprechen kam, warf er mit einem meckernden Lachen den Kopf zurück: „Da haben wir's: die Weiber! Da wird Ihr schönes Geld hingewandert sein!“ Dann wiegte er den starken Leib in seinem Stuhl; die Hände hatte er darüber gefaltet, und mit mildem Vorwurf sagte er: „Da haben wir's: der zum Rechten sehen sollte, hat 227*[]Mucken im Kopf, und derweil wird ein richtiger Bock zum Gärtner ja, ja, die Weiber! Nehmen Sie's nicht übel, Herr Fenner, 's würde mich nicht wundern, wenn eine Schürze auch dahinter steckte, daß Sie Geschäft und Vermögen schlitteln lassen, wie eben der Stutz abwärts geht und dafür den Bauernknecht spielen. Ich fürchte, der Bauernknecht wird Sie teuer zu stehen kommen. 's ist eine böse Geschichte, Herr Fenner,und gibt widrige Gänge und Läufe und Gerichtswetter.“

Der erfahrene Mann wies den Weg zum Rechtsanwalt; dieser aber riet zur Anzeige auf Betrug und Buchfälschungen, und Dieter ließ sich so beraten. Noch desselben Abends hefteten sich an den heimkehrenden ungetreuen Buchführer zudringliche Menschen und geleiteten den unter Fluchtverdacht Verhafteten zur Statthalterei ...

Durch das „Gerichtswetter“ der ersten Untersuchung am folgenden Tag watete sich Dieter rasch und entschlossen durch; die Richtigkeit seiner Anklage erwies sich bald offenkundig, wie auch sein gutes Recht des Einschreitens; der Umfang und die Tragweite des angetanen Unrechts ließ sich nicht überblicken. Bei der ersten Einvernahme setzte sich der Angeklagte aufs hohe Roß; dem bäurisch erscheinenden Dieter gegenübergestellt, redete er sich mit Mißrechnung und Unkenntnis der Bräuche beim Ankläger aus. Doch der Bauer war im Nu ein andrer; er brauste auf wie ein Wilder, nun 237 []im Zorn über Mißachtung... Dann kam die Ausflucht, daß man sie beide, den Herrn Christen und ihn, nur gewähren lassen solle, niemand käme zu Schaden und alles Verschleierte werde dann klar und großer Aufschwung und reicher Gewinn das Ende ... Recht aufbegehrerisch drohte der Mann,daß er sich der Verantwortung entschlage und die Rechtsfolgen auf andre wälze, wenn aus seiner Freiheitsberaubung Schaden erwachse. .. Der Untersuchungsrichter rieb sich die Hände über dem „schönen Fall“.

Verdattert wie ein Waisenbüblein aber stand Herr Christen mit seiner grauen Haarbürste überm starken Handwerkergesicht. Er wußte nichts von Verschleierungen. Er hatte mit den Händen geschafft und den andern vertraut, die im Schriftlichen klüger waren, erst Dieter und dann jenem,der ihm dessen Arbeit abnahm. Ihn traf die Erkenntnis mißbrauchten Vertrauens als harter Schlag.

Ihm konnte Dieter Josephus Fenner nicht zürnen; seine eigene Lässigkeit war die größere. So redete er ihm denn tröstend zu, als sie gegen Abend des widerwärtig langen Tages das Gerichtshaus verließen: zusammen wollten sie retten, was zu retten war; an ihm sollte es nicht fehlen, versprach er und trennte sich mit einem Händedruck von ihm.

Aus der engen Altstädtleinsgasse trat er auf einen freiern Platz; da roch sein Bauerninstinkt nach dem Wetter: Von den hohen Bäumen fielen schwere 23

[]Tropfen, und es war empfindlich kühl. Hoch oben aber lugte zwischen sich ballenden Wolken da und dort und zum erstenmal seit drei Tagen wieder ein blauer Fleck Himmel hervor. Der Ost räumte auf mit dem Regen. Wie es ihn packte! Nun mußte er auf dem Sennhof sein .. da gab's Arbeit und nicht Advokatenfutter und Gerichtswetter.Er verwarf den Kopf, als schüttelte er eine Last ab. Seine Geschichten hier mochten andere ins Reine bringen; dazu hat man Advokaten. Seiner war ein kluger und erfahrener Mann, der würde alles wohl besorgen; er aber hatte wohl Klügeres zu tun .. so dachte der Dieter und spürte eine unendliche Sehnsucht, aus diesen Dingen herauszukommen zur bäuerlichen Arbeit, wo man die Hände regt und wo die Mutter Erde spröde Liebe,doch nie Falschheit und Mißwollen birgt.

Es dämmerte, während er nach kurzer Bahnfahrt den Weg zum Hof unter den Füßen hatte.Fast wunderte er sich, wie froh er aus und aufwärts schritt; denn daß er eine schlimme Einbuße an seinem Besitztum erleide, war offensichtlich.Doch horchte er mehr dem Gequak der Frösche aus den Riedern, denn auf diese hinterhältigen Gedanken. Erhobenen Kopfes rührte er lange, starke Beine.

Von weitem sah er im Bauernhaus Licht schimmern, obgleich es nachtschlafende Zeit war, als er ankam. Rose riegelte die Türe auf, schon als er über die Hofsstatt schritt. Sie sprach einen kurzen 249 []Gruß, doch ihre Augen lachten. In der Stube war eine Ecke des Tisches gedeckt mit weißem Linnen,als ob Festtag oder Besuchszeit wäre.

„Du hast wohl Hunger ... und ich leiste dir Gesellschaft“, sagte die Base mit roten Backen, indem sie Speck und Brot auftrug.

„Hast du mich erwartet?“

„Du sagtest doch, du kehrtest wieder. Daß du aber heute noch kämest, das schloß ich aus den Wetterzeichen.“

Aus dem schlichten Wort flutete warmes, sicheres Vertrauen und stille Freude. Nun saß die Jungfrau, den Kopf nach Gewöhnung straff und aufrecht, eine spröde Schönheit bäuerlicher Arbeitsart, dem Kostenden schräg zur Seite und sah ihm zufrieden zu, wie er sich's schmecken ließ.

Darüber ward auch er zufrieden fröhlich. Beide schwiegen. Als Bauernkind erwartete sie nicht, daß Dieter von seinen Dingen groß reden mochte. Sie fragte auch nicht darnach. Da schweigt man und wartet, bis der andere zu gelegener Zeit selber beginnt. Doch lag ein teilnehmender Frageblick auf ihm.

Dieter empfand ihn wohl. Beim Gutenachtsagen hatte er ein kurzes Wort darauf und redete sich selber damit die Sorgen vom Herzen: „Du frägst nicht, wie's mit meinen Dingen steht, Röslein? Hast recht gehabt am Montag. Ganz zum Verzweifeln ist's nicht, wenn man sie klar besieht.“24t5 []

— Er spaßte: „Zu einem Schuldenbäuerlein reicht's

Er spaßte: „Zu einem Schuldenbäuerlein reicht's noch aus, was ich besitze!“

Dann besann er sich aufs Erste: „Du, Röslein,das wäre was: ein Schuldenbäuerlein sein ... ich glaube, nur der kann sie verstehen, der selber einer ist!“

Und wieder kam er ins halbe Scherzen: „Freilich, dann gehörte ein Weib und ein Ringelreihen Kinder dazu, meinst nicht auch, Röslein ..

Auf dies Wort reckte sie den Kopf in ihrer besondern Weise: „Du sollst nicht spotten über Leute,die ihr Kreuz tragen!“, sagte sie und verbiß die Lippen. Ohne ein weiteres Wort leuchtete sie durch den Gang zur Türe; sie hatte feuchte Augen,als sie diese schloß, und Dieter sah wohl den Glanz unter ihren Wimpern schimmern ...

Nächtliches Abenteuer.Das gab dem Dieter zu denken. Er war unzufrieden mit sich, daß er, unsteten Gemütes an diesem Abend, die Base mit törichten Reden betrübt hatte.

Eine innere Unruhe darüber und die nachwirkende Hast der vorhergehenden Tage schreckte ihn mitten in der Nacht auf. Hellauf wach war er mit einem Male. Oder war es etwas anderes,besonderes, das ihn geweckt hatte? Mit seiner elek

Wehrlin, Zur Scholle. 16

241 []trischen Taschenlampe leuchtete er nach der Uhr und sah, daß Mitternacht kaum vorbei war, als er so hellauf wach im Bett in seiner Scheunenstube saß. Nun hörte er deutlich ein Geräusch, das ihn vorhin im Halbschlummer umsummt hatte: Wie ein Sägen, ein lautes Schnaufen klang es ihm grad zur Seite, da, wo die Bohlenwand sein Gefach von der Heudiele trennte.

Sein erster Gedanke war, es möchte sich der Hofhund ins Zimmer geschlichen haben; allein dem Hund hatte er den Kopf gekraut beim Gang zur Scheune, und da lag das Tier an der Leine.

Er hielt den Atem an und horchte: Da war kein Zweifel, das war das schnarchende Stöhnen eines schwer schlafenden Menschen.

Diethelm Josephus Fenner stand im nächsten Augenblick zur Not angekleidet an der Türe; dort besann er sich, daß er eine Waffe besaß. Die Pistole in der einen, seine Blitzlampe in der andern Hand tastete er sich nach der Diele, dem Geräusche folgend. Im warmen, neuen Heu verkrochen fand er, was er beim Herübergehen vermutete: einen schlafenden Menschen, einen alten Landstreicher dem Aussehen nach, abgerissen die Kleider, ein fahles. gedunsenes Gesicht im grauen Bart.

Dieter ließ die Lampe vor den geschlossenen Lidern spielen, und der Lichtschein folgte ihnen, als sich das Gesicht abkehren wollte. Mit erstauntem Blinzeln öffneten sie sich und der Mann tastete um sich. Da trat der Störer seiner Nachtruhe einen 2427 []Schritt zurück und ließ nun das Pistol glitzern:„Aufgestanden, Mann! Was treibt Ihr hier? Und laßt den Stock liegen!“ fügte er bei, als der Mann darnach griff.

Dieser strich sich Schlaf und Heublumen aus dem Gesicht. Seelenruhig, faul richtete er sich halb auf. Es mochte nicht die erste Ueberraschung solcher Art in seinem zerzausten Leben sein. Er brummte:„Was ich hier treibe? Ich schlaf' im Trocknen ein Christenmensch will nicht im nassen Gras liegen!“

„Wie seid Ihr hereingekommen?“ forschte Dieter.

„Nu durch die Tür, mein ich ... Sie war nicht geschlossen.“

„Aber hier könnt Ihr nicht schlafen ...“ Aechzend erhob sich der Mann.

„Was sucht Ihr?“

„Meinen Sack und meine Pfeife ... die schenk'ich Euch nicht ... Ich komm' schon. Aber macht das Schießzeug auf die Seite; ich lieb' dergleichen nicht; ich tu' Euch auch nichts zuleide.“

Das letzte glaubte Dieter; denn die schlotternde Jammergestalt war wohl schon dem einen Arm eines rüstigen Mannes unterlegen. Schon regte sich das Mitleid im Jüngern, Starken. In seine Stube hieß er den Alten gehen und wies ihn auf die Bank hinterm Tisch; dann stieß er diesen an die beidseitigen Lehnen, daß ein Auswischen unmöglich sei.Im hellen Licht erschien der Landstreicher noch erbärmlicher.

23*

243 []„Laßt mich laufen,“ bettelte er, „ich habe nichts Schlimmes getan. Ich habe Unterschlupf gesucht.Das ist alles.“

Dabei flatterten ängstliche Blicke aus roten Lidern unruhig forschend rundum in alle Ecken des Zimmers und wendeten sich begehrlich immer wieder nach einer Stelle.

Mit einem raschen Schrägblick sah Dieter, daß sie einem halb geöffneten Päcklein auf dem Fensterfenden Hof anzutreffen geglaubt und sich vorgesorgt; unberührt lag dort der dafür eingekaufte Imbiß: Wurst und Brot. Und nun verstand Dieter die Blicke. Sein Mitleid mit diesem verwitterten Menschenkind vertiefte sich.

„Habt Ihr Hunger?“ fragte er.

Der Landstreicher nickte, und gierig hafteten Fleisch, als läge sein Seelenheil daran.

Der Dieter stand auf und legte ihm das Essen vor: „Greift zu!“

Der Alte ließ es sich nicht zweimal sagen. Mit vollen Backen kaute er. Doch als ihm sein Wirt ein Glas Wasser hinstellte, schüttelte er den Kopf;in schnell vertraulicher Frechheit begleitete er die Ablehnung mit kurzen Sätzen: „Das ist nichts für meines Vaters Sohn, Wasser gibt blaue Därme.Mein Vater mocht's auch nicht leiden, sagen die Leute. Aqua fontana ist äußerlich zu gebrauchen und auch dort vorsichtig. Ich dank schön: aber 244 []carpe diem! sagt der Lateiner, das heißt: Trink Wein, mein Sohn, oder Schnaps denn er ist gut.“

So schwatzte der Mann zum Essen und gab sich ein Ansehen mit seinen fremden Brocken. Dieter aber stutzte und besah sich den Menschen näher, den da ein nächtliches Abenteuer vor ihn führte: Mit den breitgewölbten Stirnknochen, auf denen das spärliche Haar über den Schläfen weit zurückfloh,deutete der Schädel die Art eines alten Gelehrtenkopfes an, wären nicht die Augen darunter so verkniffen listig, die Nase und die Wangen von Unordentlichkeit verwüstet und Bart und Lippen so verkommen verwildert gewesen.

Zum Mitleid gesellte sich Neugier. Diethelm Josephus Fenner kramte in seinem Schrank. Dort stand zu unterst eine Flasche Branntwein. Im Herbst, als sie auf dem Hof die Treber, die ausgepreßten Rückstände der Mostäpfel zu Schnaps brannten, hatte die Bäuerin dieses Erstgebrannte einer Kesselfüllung, Vorlauf nannten sie es, ihm aufgenötigt eine bäuerliche Medizin gegen Gliederweh. zum Einreiben bestimmt; denn auf der Zunge brannte es wie das höllische Feuer.

Der hereingewehte Gast aber schnalzte mit den Lippen, indem er ein Viertel-Trinkglas des scharfen Zeugs leerte; er gab einen neuen Spruch zum besten:„Mihi est propositum in taberna mori“, und schielte begehrlich nach der Flasche.

Dieter verstand den Blick wohl. Er rückte das 245 []Gefäß näher zu sich und hielt die Hand an dessen Hals. Er wollte sein Abenteuer weiter spinnen,und hier war der Schlüssel zur Gesprächigkeit und zum guten Willen des wilden Gastes.

„Wer seid Ihr?“ fragte er ihn.

„Ein Heuer und Mähder, der Arbeit sucht!“

„Ein spaßiger Mähder, ohne Sense!“

„Die liegt beim Ochsenwirt. Ich hab' die letzten Schnäpse nicht bezahlt; da könnt Ihr sie auslösen.Wollt Ihr mich einstellen auf dem Hof?“

„Warum nicht! Das möchte dem Bauer passen.Wir brauchen Leute ...“ Dieter unterstützte mit neuem Einschenken die Vertraulichkeit und forschte gutmütig listig weiter:

„Ihr kommt weit her? Seid wohl ein Welscher, ein Romantsch, der Sprache nach! Das soll schwer zu lernen sein.“

Der Alte lachte: „Romantsch! Lateinisch ist's,wie es der Papst schreibt. So was lernt sich nicht im Handumdrehen; da muß man auf hohen Schulen gewesen sein! Wißt Ihr, so wie ich ja, ja, man DDschof sein, wenn der Wein und die verdammten Weiber nicht wären. Aber hell bin ich eineweg auf der Platte ... Sie heißen mich auch heut'noch den Gallach den Pfaffen!“

Ruckhaft besann sich Diethelm Josephus des Namens; von Sepp hatte er ihn gehört, hier in dieser Stube. Daß er stutzte, bemerkte auch der andere; argwöhnisch forschte nun er:25 []„Und wer seid Ihr, wenn man fragen darf?“

„Knecht hier auf dem Hof.“

„Aber verflucht nobel eingerichtet seid Ihr für einen Knecht.“

Dieter wollte erst etwas vorlügen, doch besann er sich das hatte wohl keinen Sinn: „Es geht; ich bin ein Vetter im Haus und die Sachen sind mein Eigen. Ich schalte darum, wie ich will. Ich bin ein freier Mann!“ Absichtlich legte er einen Ton freigebigen Großsprechens in seine Antwort und schenkte aufs neue ein.

Gelassen nahm's der andere. Aus den verkniffenen Aeuglein schaute er ihn pfiffig überlegen an, wie ein schlimmer Kobold. Und wie im Märlein erschien es Dieter, daß ihn der Alte nun durch die Stille der Nacht in dieser heimlich verstohlenen Stube mit seinem Namen ansprach.

„Dann seid Ihr der Vetter Dieter?“

Woher kennt Ihr mich?“

„Gelt, das wundert Euch! Nu, man spricht doch von Euch im Dorf, wenn man dem Sennhof nachfrägt ...“

Diethelm Josephus Fenner reckte sich aus der Ueberraschung auf: „Man spricht von mir“ er lachte dazu „gut so, was sprechen die Leute von mir? Ihr könnt's ruhig sagen, ich mag's erleiden.“

Warum soll ich's nicht ausbringen. da Ihr doch frei und freundlich seid:

Ein halber Narr seid Ihr, daß Ihr Euch hier

247 []beim alten Fenner abschuftet, das sagen sie, oder dann gelte es der Tochter ... aber damit wird es nichts sein; das sag ich Euch. Die Rose hat der Sepp Stegmaier in den Klauen. Der läßt sie nicht aus ... das ist nun so.“

Das Gruseln eines Märchenerlebens wollte über Diethelm Josephus Fenner kommen. Er sah,wie der gräuliche alte Mann breit lachend über den Tisch griff, zur Flasche, und hörte ihn dann in trunkener Plauderlust wichtig tuend weiterreden:„Gelt. das wundert Euch, was meines Vaters Bub zu erzählen weiß. Der Sepp und die Sennhofrose!Ha, ha, und wißt Ihr, wie es zusammenhängt: Es hat doch vor Jahren gebrannt hier auf dem Hof.Alle Welt meinte, der Sepp hätte das Feuer gelegt. Der Bauer hatte ihn vorher verjagt, weil er der Jungfrau nachstrich. Auch ist er rothaarig,und diesen traut man leicht Schlechtes zu. Freilich. der Sepp wußte, daß er es nicht gewesen war und die Jungfer dachte, daß er so was nicht täte schon um ihretwillen. Dann hat er ihr zugeredet, der Alte selber sei der Zäusler; solange blies er's ihr ein, bis sie es glaubte. Und nachher kam der Argwohn in aller Leute Ohren. Damit wollte er die Rose in seine Gewalt bringen. Drum hat er auch keinen Wank getan, als sie ihn einsperrten. Diese Sorte ist verflucht harthölzern,wenn's um ein Weibervolk geht.“

Mit der Selbstgefälligkeit eines trunkenen Erzählers belauerte der Alte den Eindruck seiner 248 []Worte. Regungslos hörte Dieter zu; kühle Nachtluft strich von den regenfeuchten Wiesen her über seine Stirne und weckte ein rasches, kühles Zusammenspielen der Gedanken; er fand den Faden,einen wirren Rätselknoten zu lösen und richtete sich ein zum Zugreifen. Noch hörte er zu, wie der andere flüsternd, fast lallend sein Wissen auskramte:

„Ja. ja, unsereiner weiß Geschichten: Das erzählt Euch niemand auf dem Hof, und der Sepp erzählt's nicht, wie der Bauer ein Hinker wurde für seiner Lebtag. Hört zu: das war so, und hier unter diesem Dach geschah es, noch bevor die Ziegel darauf lagen:Hieher kam der Sepp aus dem Zuchthaus, als ihm die Bäuerin sein Tröglein vor die Türe setzte. Hier stellte er den alten Fenner. Er wolle auf dem Hof bleiben, verlangte er; bei der Jungfrau wolle er bleiben, er hätte ein Recht auf sie. Da ging ihn der Meister mit der Axt an, aber der andere war schneller und stärker im Raufen. So und nicht anders ist der Bauer gefallen, daß er seither ein Krüppel wurde. Die Jungfer kam dazu, wie er als Halbtoter dalag seither hat sie dem Sepp ihren Kopf gesetzt und will nichts von ihm wissen;ich mein', sie haßt ihn, aber sie fürchtet ihn auch. Drum ist sie alte Jungfer geworden ... Ich wüßte noch viel mehr ... ich wüßte vielleicht auch,wer in der alten Scheune zäuselte, daß sie brannte ...“

Jetzt war Diethelm Josephus erwacht aus seinem Sinnen; er reckte mit seiner Rechten über den Tisch 249 []und packte das Handgelenk des Landstreichers: „Das weiß ich nun freilich auch. Ihr seid's gewesen und kein andrer! Ich sag's Euch auf den Kopf zu, und Ihr könnt's nicht leugnen.“

Dieser machte keinerlei Anstrengungen, den Arm loszubringen. Mehr ärgerlich als überrascht brummte er: „Laßt mich, wir wollen doch nicht streiten ...“ und als Dieter seine Hand zurückzog, fuhr der Alte gleichmütig, fast gemütlich fort:„Ihr behauptet viel, Mann! Ihr könnt' es nicht beweisen ... oder dann versucht's!“ Dann kicherte der Mann wieder sein halbtrunkenes Lachen: „Ich will Euch was sagen, junger Mann, weil ich ein guter Kerl bin, und weil Euch der Wunder plagt.Es mag wohl so sein, daß aus meiner Pfeife das Feuerlein anging. Ich hätte es auch selber gelöscht, wäre nicht der Bauer herzugekommen er verscheuchte mich und hat mich im Dunkeln beim Fortrennen für den Sepp gehalten ... und der Sepp mich für den Bauern!“ Und wieder kicherte er: „'s ist lustig, gelt . .. Aber Ihr braucht nicht zu staunen; so ist's gegangen und nicht anders ...Jetzt kann ichs ruhig sagen; ich bin der Sache los und ledig. Es werden ein Dutzend Jährlein um weiß unsereiner; dazu hab' ich's ein Jahr als Advokatenschreiber versucht, junger Mann. So,nun wißt Ihr Bescheid, und meine Ruh' will ich haben, und einen Schnaps ist's wert, was ich berichtete ...“250 []

Der Alte griff wiederum hastig, begehrlich zit—

Der Alte griff wiederum hastig, begehrlich zitternd, zur Flasche. Dann sank er zusammen. Sein Bündel schob er zum Ende des langen Sitzes, streckte sich und legte den Kopf auf seine Lumpen. Noch einmal blinzelte er kichernd auf mit einem Ausdruck: „Gelt, ich bin ein Kerll“ Dann gab er sich den listigen Anschein, zu schlafen, und schlief bereits.

Diethelm Josephus Fenner achtete kaum des Trunkenen; er hatte mit eigenen Gedanken zu tun.Jetzt ward ihm vieles verständlich, was ihm im Gehaben der Menschen auf dem Hof rätselhaft schien, weil eine Verkettung falschen Argwohns und befürchteter Schuld sie alle sich verstellen hieß.

Er verstand den scharfen, müden Zug des Leids,der sich im verschwiegen starken Gesicht seiner Base eingrub, und unendliches Mitgefühl umfing ihn:Schuldloses Unglück hatte die Falte in das jungfräuliche Gesicht gefurcht.

Daran dachte er, als er sich anschickte, die Folgerungen seines Wissens zu ziehen: eine Befreiung von Druck und Schuld sollten sie werden für Sippe und Scholle seines Geschlechts!

Es tagt zum Hochzeitsreigen.Eng und dumpf ward ihm die Luft in der Stube,da er sich das Nächste überlegte. Diethelm Josephus Fenner stieg hinab vor sein Scheunenhaus. Auf 251 []dem ungefügen Tisch, den er sich zur Zeit seiner Seuchengefangenschaft unter dem Vordach selbst gezimmert hatte, schrieb er im Zwielicht des erwachenden Morgens kurze Berichte. Dann raffte er zwei Hände voll kleiner Steine zusammen und warf sie in währendem Geriesel ans Fenster des Jung-knechts. Mit verhaltener Stimme hieß er den Erwachenden herabkommen und schickte seine Botschaften aus. Nun wartete er, ein Jäger auf gutem Anstand und achtete der Zeichen des werdenden Tages.Schön versprach dieser Tag zu werden; am klaren,kalten Himmel stieg eine goldene Sonne auf. Frisch und saftig streckten sich Blumen und Blätter und Halme nach ihrem segnenden Licht. Im schmetternden Chor begrüßten die Vögel den jungen, hellen Tag. Einen Sang der Lebensfreude jubelte die Natur. Wie Verheißung regte es sich in Dieter.Hinter ihm lagen nun die Sorgen der letzten Woche;klarsichtige Arbeitszeit ging über dem weiten Gefilde auf, wo er wieder die Glieder regen durfte im frischen, frohen Zugreifen.

Und er sehnte sich nach dem sorgenunbeschwerten Schaffen am Land seiner Väter ...

Als er nach vorn auf die Hofstatt ging, den Hund von der Leine zu lösen, daß er Wacht hielte vor seiner Behausung und niemand entweichen könne, trat Rose aus der Türe: „Du bist früh gewesen, Vetter“, gab sie seinem Morgengruß freundlichen Bescheid. „Kommst du schon vom Mähen?“252 []Da lachte Diethelm ihr ins Gesicht: „Seute morgen wird nicht gemäht. Heute machen wir mit alten Sachen Ordnung. Hast selbst gesagt, man müsse klar sehen in seinen Dingen, dann sei Segen im Hausl ... Hör', Röslein, heut' bring' ich euch aus, wie es herging vor Jahren, als eure Scheune brannte. Wer der Täter war und Schuld am Brand. das muß heut' an den Tagl!“

Schreckhafte Erinnerung legte Schatten auf ihr Gesicht; zweifelnde Augen starrten aus einem schweren Traum.

In ein kurzes Wort faßte er sein Erleben dieser Nacht: „Ich hab' den Sünder ... Gestern Abend ist er wieder ins Haus gestiegen ...! 's ist doch der alte Landstreicher, von dem der Sepp berichtetel Er hat damals im Heu übernachtet und im Dusel das Unglück angerichtet.“

Langsam hob Rose ihre Arme und legte die Hände auf die wogende Brust: „Der Landstreicher,sagst du, war es? Ein Fremder? Keiner vom Hof?ꝰ Das muß der Vater wissen. Und die Mutter.“

Dieter hielt sie zurück: „Sie beide noch nicht, bis alles klipp und klar erkannt und verschrieben ist.“Und weil er die Base erforschen wollte, fügte er bei: „Auch der Sepp soll es dann erfahren!“

Sie bog den Kopf abweisend zurück: „Laß ihn,der Sepp ist verschollen und tot.“ Für sie war er es, nach dem Tonfall des Wortes.

Nun erst erzählte er Einzelheiten, nicht das ganze Abenteuer; was sie selbst berührte. ließ er 253 []außer Spiel; es mußte für sie vergangen und tot sein. Aufmerksam hörte die Base zu: „Vetter, ich danke dir!“ sagte sie einfach, aber wie Sonnenglanz nach düstrer Woche leuchteten die Augen.Der Sennhofbauer erstaunte nicht wenig, als er, zum späten Krankenfrühstück kommend, den Amtsstatthalter in seiner vollen Würde als Untersuchungsrichter sein Schreiber saß neben ihm am Tisch in der Stube fand; die Botschaft Dieters hatte sie herbeigerufen; dieser selber hatte seine Aussagen bereits niedergelegt.

Gut gelaunt, selbstsicher saß der bäuerliche Amtsmann hinterm Tisch; er scherzte dem Hereinstapfenden zu: „Guten Tag wohl, Herr Fenner! Sie haben was Schönes verschlafen! Wir aber waren früh auf den Beinen und haben einen guten Fang gemacht das heißt und daß ich es recht berichte:Ihr Vetter hat den Burschen erwischt den Spitzbuben, der die Scheune anbrannte vor Jahren:'s ist alles schon geschrieben; der Mann bekennt.“Mit knappen Sätzen erzählte er.

Wie einer, der im Ersticken war und, gesunde Luft schnappend, wieder zu Kräften kommt, fuhr die hagere Gestalt Heinrich Fenners hoch; er vergaß seine Schwäche und reckte die Arme: „Wo ist der Lump, der verfluchte. ..“ Da versagten die kranken Beine; er sank zurück auf seinen Sitz.

„Nicht aufgeregt, Herr Fenner wir haben ihn; er ist abgeführt und versorgt, das mag ge254 []nügen lange Zeit werden wir ihn nicht behalten können; denn er hat recht, die Sache ist wohl verjährt. Doch ist es nur in der Ordnung,daß wir alles amtlich feststellen, es wird Ihnen recht sein, Herr Fenner! Sie verstehen, wie ich's meine.“„Und dem Lumpen geschieht weiter nichts?“

Der Amtmann zuckte die Achseln: „Alles streng rechtlich Herr Fenner, wie es das Gesetz vorschreibt.“ Selbstgefällig sagte er es: „Hat mein Vorgänger die Sache falsch angepackt ... Ich kann ein mehreres nicht besser machen, es sei denn. Sie wüßten weiteres zur Sache ...!“

Ein um seine Rache betrogener VBauer bohrte zitternde Finger in das Holz des Tischrandes, und tiefer grub sich in sein faltiges Gesicht ein Zug schmerzlicher Hoffnungsldsigkeit: „So fragt mich,was Ihr mich noch zu fragen habt, Herr Statthalter ...“

Am nämlichen Platz, in gleicher Haltung, die Hände um den Tischrand gekrallt, saß Heinrich Fenner, der Sennhofbauer, als sein Vetter gegen Mittag auf einen Sprung in die Stube kam. Der jüngere Mann war fröhlich angeregt. „Wie geht's,Vetter?“ sagte er. Heinrich Fenner schüttelte den Kopf. „Schlecht, bodenschlecht!“

Der andere wollte trösten.

Doch der Aeltere trotzte und war wiederum kleinlaut dabei: „Das verstehst du nicht! Wäre 255 []ich jung, wie du, möchte ich meinen, mir sei heute Willkommenes begegnet. Ich weiß wohl, daß ich mit dem Brandmal herumstoffelte. Das Brandmal wird nun genommen sein. Darüber hätte ich in jüngern Tagen jauchzen mögen und hätte frisch zugegriffen. Jetzt macht es mich nur müde. Ich hab' auch sonst genug zu tragen ...“

Als wolle er allein sein, lehnte er zurück und schloß die Augen.

Wie ein Toter sah er aus mit seinem fahlen,faltigen Gesicht, wie ein schmerzhaft Gestorbener mit dem wirren Bart und den leidend tiefen Gräben in der Haut, die sich von den Augen und der Nase ins schwarzgraue Bartgestrüppe verloren daß Dieter schier erschrak über dem Bild eines Lebendigtoten ... Und er vergaß es erst wieder,als er am Nachmittag auf dem hohen Sitz der Mähmaschine breite Mahden in der Wiese schnitt. Da lachte sein Herz; denn hoch und üppig standen die Gräser und fielen zwischen den geschärften Messern in überreicher Fülle; ein trockener Ost verhieß bestes Heuwetter für die kommenden Tage. Sein erwachtes Bauernherz lachte über dem Segen ...

An den Halden der großen Wiese, wo sie zwischen Bäumen gegen den Bach abfiel und wo Räder nicht gehen konnten, mähte er gegen den Abend mit der Sense Pferd und Maschine hatte der Jungknecht heimgeführt und mit flinker Gabel breitete Base Rose die gefallenen Gräser aus, bis die Sonne zu sinken begann.16 []Selbander wanderten sie dann heimwärts im hellen Abend, ihr Gerät auf der Schulter. Bedächtig schwer ausschreitend, schweigend schritten sie, Mann und Weib, Seite an Seite, beide hoch gewachsen, hochauf die Köpfe tragend, daß diese Herr seien über die müden Knochen, dieser Müdigkeit froh, weil sie ein wohlverbrachtes Tagwerk bezeugte. Sie blickten zum rötlich sich färbenden Westhimmel, daß ein Abglanz seiner Fröohlichkeit sich auf Stirne und Wangen spiegelte.

Einmal, im halben Weg, vor den Aeckern, die Dieter im Herbst bestellt hatte, blieb er stehen und schaute übers weite Tal. Im Schreiten hatte ihn der Gedanke an seine städtischen Verlegenheiten und Verbindlichkeiten beklommen. Von ihm sollte ihn dies Schauen befreien: Vor ihm breitete sich das Ackerland; in leisen Wellen wogten die gradaufstehenden Halme unterm golden spielenden Glanz der scheidenden Sonne; mählich stieg dahinter mit sattem, dunklem Grün der baumbestandene Wiesenplan an und wurde zu einem üppigen Obstgarten da, wo aus runden Blätterkronen die breiten Dächer des Hofes ragten leise verklangen fernher die Töne des Betzeitläutens, wohligen Abendfrieden kündend ... Und unendliche Sehnsucht ergriff ihn nach friedereichen, arbeitsmüden Abenden alle Tage nach dieser köstlichen Müdigkeit vom Werk an der Scholle, über der man alles vergißt:die große und die kleine Welt.

Auch die Gefährtin seines Schreitens stand still

Webrlin, Zur Scholle. 17

137 []und schaute nach der sinkenden Sonne. Dann begegneten sich die Blicke. Groß glänzten die hellen Sterne im ernsten Gesicht der Jungfrau, und ein leichtes Rot glänzte vom Himmel wieder auf ihren Wangen, als sein Blick darauf verharrte. Wie im Zwang sagte sie:

.Du, Dieter, mir ist's ums Singen!“

„So sing' doch,“ fröhlich klang ein erwachendes Lachen, „ich helf dir!“

Sie senkte die Augen: „Aber darfst nicht spotten,Vetter, was ich singel!“

Und sie begann, schüchtern zuerst, dann mit einer rechten Inbrunst ihrer verhalten vollklingenden Altstimme und schritt dabei auf schmalem Pfade langsam vorwärts durch die wogenden Weizenhalme. Verwundert horchte erst Dieter; dann summte er, ihre führende Stimme begleitend, mit.Ein Kirchenlied sang sie, langsam und getragen:„Großer Gott, wir loben dich! ...“

Nur eine Strophe sang sie, wie ein Dankgebet.Dann blieb sie stehen: „Spotte nicht, Vetter, das mußte heraus! Du weißt nicht, wie dankbar ich dem lieben Gott bin. für den heutigen Tag und dir!“

Mit einem kurzen Leuchten hatten ihre Augen ihn gestreift; er aber erfaßte ihre Hand, als sie weiter schreiten wollte, und hielt sie zurück. Ein unerkanntes Fühlen und Sehnen reifte zur Erkenntnis und zum Willen:

„Röslein,“ sagte er, „du hast gesungen, und ich 258 []will nun reden. Hör zu: Heut' morgen ist mir die Sonne im guten Zeichen aufgegangen. Seit heute morgen spür' ich's: mir muß ein besonderes, ein großes Glück geschehen, noch bevor diese Sonne schlafen geht ...! Weißt, was dieses Glück wäre?Gestern hab' ich gespaßt, mir langte es noch zum Schuldenbäuerlein, doch eine Bäurin müßte ich haben ... Röslein, willst du die Bäurin sein?

Schau, ich hab' dich so gern!“

Sie sagte kein Wort; sie sah ihn mit klaren Augen an; auf ihrem Gesicht weckte der Schein der sinkenden Sonne ein Feuer erfüllter Sehnsucht, und mit starkem Druck sprach die Hand ein Ja. Durch das blühende Korn schritten sie dann hin, wortlos, Hand in Hand, wie es bäuerlichen Brautleuten ziemt...Dieter hielt diese warme, arbeitgewohnte Hand in der seinen; sich vergessend, sang er leise vor sich hin.es war ein Kirchenlied!

Unter den Bäumen vor dem Hof, im Halbdunkel, hielt er seine Weggenossin zurück und umfing sie, fast schüchtern: „Hast du mich auch recht lieb. Röslein?“ raunte er ihr zu.

„Mehr als mein Leben!“

Da küßte er sie auf Stirne und Mund, und ließ ihre Hand nicht los, bis sie zum Hofe kamen.

... Beim Vorbeischreiten an der neuen Scheune überfiel ihn eine Erinnerung: „Röslein, weißt du noch, wir wollten meinen Rindern Namen geben,so wie sie dir gefielen. Das haben wir vergessen;das machen wir am Sonntagl“

7 250 []Da lachte sie glückselig: ‚„Du Bauer! Schatz!“und fiel ihm um den Hals und herzte ihn stürmisch, daß dem Dieter warm wurde unterm Brusttuch ... Er reckte die Arme, wie zum Schaffen,als sie sich losmachte. Herrgott, wollte er nun zugreifen!

Noch am selben Abend griff er zu.Nicht mit den Händen, aber mit Worten.

Den Vetter nahm er vor mit ihm wollte er im Reinen sein „Ordnung muß man in seinen Sachen haben“. Das Wort haftete in ihm.

Als rechter Bauer ging er zum Freien starrköpfig und zäh, wie man es wird bei der Arbeit an der Scholle und das Danklied klang in ihm nach, das Rose beim frohen Ausblick auf die reifende Saat gesungen hatte, und ihr glückhaftes Gesicht begleitete ihn ...

Das aber war das rechte.

Geduldig wartete er, bis das Gesinde und die Frauen den Meistervetter und ihn allein ließen.Dann begann er:

„Vetter Heinrich, gefiel's Euch, dir und der Mutter, wenn ich immer hier bliebe“ Der Sennhofer sah auf „nicht als Knecht ...aber das Röslein und ich sind einig geworden. Wir heiraten einander.“

Einen vergessenen Augenblick lang zuckte ein verwunderliches Raunen und Wellen in den Falten eines gefurchten Gesichts, in den Bart hinein und 260 []hinauf in die Stirnrunzeln. Aber Heinrich Fenner verlor kein Wort.

„Ich wollt' dich fragen, ob dir's so gefällt! In aller Form möcht' ich fragen!“ beharrte Dieter.

Zusammengesunken, ein Halbkranker, der sich in das Schneckenhaus seiner Gebresten verkroch, saß der Vetter da. Er zögerte mit einer Antwort.

„Will sie dich?“ fragte er dann. „Sie ist mehr als mündig, dann werde ich's nicht hindern können. Dann werden wir uns hier schicken müssen, wenn sie fort ist vom Hof.“

„Sie soII aber nicht fort. Wir wollen hier bleiben. Ich will ein ganzer Bauer werden ...und sie die Bäuerin. Das wird dir recht sein.“

„Laß die Hand von dem.“ Fiebrig fuhr der Bauer auf.

„Laß die Hand von dem Hof, sag' ich dir.“ Dann stutzte er und besann sich und forschte, ruhiger, aber verstohlen argwöhnisch: „So, so, du möchtest deiner Lebtag bauern? Vetter, warum möchtest du Bauer werden?“

„Weil ich Lust und Freude daran habe. Es ist doch ein rechter Stand, das wirst du zugeben ...“

„Wenn man sich einheiratet ins warme Nest,meinst du wohl ... Das möchte dir gefallen;deine Sachen in der Stadt werden darnach aussehen!“ Offen zischte Mißtrauen und Hohn aus dem Wort. Es waren andre Töne, als Dieter sie in seinem Herzensglück erwartete. Heiß stieg es ihm zu Kopf. Doch beherrschte er sich.261 []„Wie es mit meinen Sachen steht? Nun, so frag! Du hast das Recht dazu, da ich doch dein Tochtermann werden will ... Ich versteh' sehr wohl, warum du fragen möchtest ... und steh' dir Red' und Antwort.“

Das war ihm Ueberzeugung. Er begriff und achtete den Grund, der die Bauern beim Abschluß ihrer Ehen die Verhältnisse des Eigentums miterwägen läßt. Mäßiger Besitz ist auf der Landschaft mehr als anderorts auch die Vorbedingung und die Grundlage ruhigen Glücks. Ein Mindestmaß an Grund und Boden, an Vieh und Geschirr muß ein Landwirt aus Eigenem besitzen, sonst ist er Tag seines Lebens ein armer, geplagter Tropf. Dem Bauern hat das Wort „Besitz“ umgekehrt den vollsten, ursprünglichen Klang, weil er an dessen Unterlage klebt; das Verhältnis ist ein wechselseitiges.Nicht nur er besitzt Grund und Boden, sondern ebenso tatsächlich wird er selber von diesem seinem Eigentum in Pflicht und Haftung genommen, in schwer lösbarer Verpflichtung zur täglichen Arbeit an ihm festgehalten.

So war Dieter durchaus willig, dem Vater seiner Auserwählten den eigenen Besitz und die eigenen Verpflichtungen ohne Rückhalt klarzutun.

Es war ein heißes Examen, das er zu bestehen hatte, und der ganze Jammer seiner weltvergessenen Gleichgültigkett an den eigenen Dingen in den letzten Monaten kam ihm zum Bewußtsein. Für ländliche Verhältnisse ließ sich sein sicherer Besitz 26,

2 []immerhin sehen, und merklich ward der Sennhofbauer freundlicher in diesem Stück; doch er blieb bei dem: „Laß die Hand vom Sennhof, laß die Hand vom Bauern, du lädst dir eine allzu große Last auf.“

Und nun griff der junge Vetter zu.

„Offenheit um Offenheit!“ meinte er und war im Fragen und Bedrängen mehr ein zäher Sproß seiner Bauernsippe, denn ein Werber; klarsehen wollte er.

Einen Ausschnitt aus dem Schicksal des besten Volksteils erfuhr er in der Geschichte des landansässig gebliebenen Zweigs seines eigenen Geschlechtes. Und diese Geschichte hieß Niedergang und hieß Verarmung; freilich verhüllte sie jener ländliche Armutsstolz noch, der den mit dieser Art Unvertrauten als lauernde Bauernhinterhältigkeit erscheinen mag; doch mußte der Zusammenbruch über Jahr und Tag offenkundig werden.

In großen Zügen kannte Dieter das Leben seiner Sippe. Seit der Lebenden Gedenken schaffte und zeugte sie auf diesem Hof, ein arbeitsfrohes, lendenstarkes Geschlecht; starke Männer, frechfrohe Reisläufer zogen daraus in fremde Dienste, aber auch gesetzte Mannen, die in den Zünften der Stadt ehrsam Sitz und Stimme erwarben, und straffe Frauen mit einem überquellend gesunden Blut, das in die engen Gassen städtischer Ansiedlung Sonnenschein und Heuduft und Milch und Honig brachte und Kinder mit runden Backen und frischem Wagemut gebar. Sie alle gingen von dieser uralten Hof263 []siedlung aus. Kinder waren der Segen in diesem freien Bauerngeschlecht.

Das alles wußte Diethelm Josephus; es war Ueberlieferung, mit seinem Namen verknüpft; darum war er stolz darauf gewesen; ihm galt diese Abstammung aus altfreiem Vauernblut vor einem Freiherrnbrief.

Dann kam die neue Zeit; und Kinder wurden eine Gefahr für den Hof und die wirtschaftliche Grundlage seiner Bebauer, als andere Sitte und anderes Recht Leben gewann als der bleibende Bauer das Erbteil der Brüder und Schwestern in barem Geld auslösen mußte. Leicht hatte es des Großvaters Vater beim geringen Schatzungspreis von Wiese, Feld und Wald ertragen; schwer war es dem folgenden Sprossen; dem heutigen Sennhofbauer war die Verpflichtung ein Fallstrick geworden,daß er seine Schwestern mit entlehntem Geld ausstatten, mit ihnen „teilen“ mußte. Blutarm ward die Wirtschaft; die Gültenzinse fraßen an ihren Erträgnissen; die Schuldensorge saß dem Landwirt im Nacken und drückte ihn nieder, daß die Furchen der Aecker ein Widerspiel gruben in sein Gesicht.Und seit das große Unglück über dem Hof lastete,jener Brand mit seinen Folgen und der Zusammenbruch seines Schwagers, mit dem ihn Bürgschaften verbanden, da war ihm eine Schlinge um den Hals gezogen; sie schnürte ihm die Kehle zusammen, und doch mußte er daran die schwere Kette seiner Verpflichtungen ziehen. So stand es um den Sennhof.264 []Und so steht es noch um manche Heimat eines Bauern, wo hinter leuchtend roten Geranien der Fensterstöcke sich graue Sorge verbirgt ...

Das Bekenntnis dieser Dinge rang der Freier seinem Vetter ab. „Laß ab von dem Leben, wie ich es trage, wenn ich dir recht rate“, war dessen letztes Wort. „Es mag gut gemeint sein, wie du's mit dem Röslein im Sinne hast. Sie mag mit dir ziehen. Wir Alten werden die paar Jährlein noch aushalten, bis wir unterm Boden liegen oder bis zum Geldstag! Laß du aber ab von dem Hof. Sieh' an, wie ist's mir ergangen. Dir steht die Stadt, steht die Welt offen.“

Nicht mit lauten Klagen redete der Vetter heute,auch nicht mürrisch aufbegehrerisch, sondern mit ergebener Wehmut. Und während Dieter ihn betrachtete mit seiner fahlen Haut, den Rissen und Gräben im Gesicht und dem hoffnungslosen Blick,erschien er ihm wieder ein innerlich Gestorbener.Einen Augenblick wollte Dieter Grauen erfassen vor ähnlichem Erleben. Eines Gedankens Länge senkte auch er den Kopf. Dann reckte er sich indem ihm die Erinnerung aufkam an seinen Gang vom Feld her, diesen Gang zur Seite der starkstraffen Mädchengestalt. Jugend und Zuversicht reckte sich in die Höhe und schüttelte graue Bedenken von sich ab: Er war doch in der besten Kraft seiner Mannesjahre. „Vetter“, sagte er, „aber die Rose, die gibst du mir zum Weib?“8 []„Kann ich nein sagen? Auch glaub' ich, sie wird's recht haben bei dir.“

„Und die andre Entscheidung überläßt du mir nein uns beiden, deiner Tochter und mir!Wenn ich bleibe, du und ich, wir werden uns verstehen?!“

Der andre zuckte die Achseln: „Mir und der Mutter könnte es recht sein; wir hätten's leichter.“

Da drückte Diethelm Josephus seinem Vetter die Rechte: „Ich sag' dir Dank!“

Besinnlich ernst, so gar nicht im Uebermut eines rosigen Verlobungsfestes endete für Diethelm Josephus der lange Tag. Auf der Bank vor dem Hause unterrichtete er mit flüsternder Stimme seine Braut und Base vom Inhalt dieser Unterredung.Das Düstre, das sie ihm enthüllt hatte, und die Unklarheiten in seinen eigenen Verhältnissen legten einen Schatten auf sein Gemüt.

Doch freundlich spielte das Mondlicht in den Blättern des hohen Nußbaums und versilberte den Strahl des Brunnens auf der Hofstatt, der unentwegt fröhlich sein Plätscherlied sang. Eine warme Hand hielt Dieter umschlossen, und in ruhigem Rhythmus atmete neben ihm ein Menschenkind,dem ein spätes Glück unendliches Vertrauen gab.

„Wir werden es schwer haben, so schwer, wie dein Vater und deine Mutter“, sagte er. „Wirst du es ertragen?“ Sie antwortete versonnen: „Was macht mir das aus; bin ich's anders gewöhnt? Du 266 []nimmst das Ungewohnte auf dich, Dieter mir zu liebl“

Einen vollen Blick, in dem die heimliche Helle der Mondnacht widerleuchtete, sah sie zu ihm auf und drückte seine Hand, inbrünstig, zwischen aufeinander gelegten Fingern: „'s wird schon recht werden, Dieter! Du bist ja so gut.“

Da küßte er sie.

Mit hochgetragenem Kopf schritt er später zu seiner Ruhstatt. Gemessenen Schritts, wie unter einer Bürde; doch sollte sie ihn nicht niederdrücken;er sah dem werdenden Leben zuversichtlich entgegen,und als eine Sternschnuppe ihren hellen Weg am Himmel zog, schien es ihm ein gutes Omen.

Kurz war die Brautzeit. Werktag reihte sich an Werktag mit vielgeschäftiger Mühsal, mit hastiger Sommerarbeit auf dem Hof und mit widriger Ordnungsschaffung in den übrigen Dingen. Ruckartig entschlossen räumte Dieter mit seinem Stadtwesen auf: Das Haus seiner Jugendzeit verkaufte er, auch manches, was darin entbehrlich schien nicht ohne schmerzliche Gefühle und doch wiederum zufrieden, daß das Röslein bei der Auslese des Unnötigen so manches Stück unentbehrlich fand,das ihm selber ans Herz gewachsen war. Sie lachte kindlich fröhlich auf der Heimfahrt, daß daraus ein ordentlich Brautfuder werde, nur zu fein für Bauernstuben, meinte sie.2

17 []Die wundeste Stelle seines Stadtwesens, seine unglückliche Geschäftsverbindung, berührte er diesmal nicht weiter. „Was dahin ist, ist abgetan; ich muß mich so einrichten“, sagte er dem Leiter der Bank; „unter diese Rechnung ziehe ich einen dicken Strich und laß die Advokaten handeln und Sie.“„Sehr vernünftig gedacht, Herr Fenner“, gab dieser zurück und lachte ein verschmitztes Schmunzeln,„lassen Sie ihre Forderungen stehen. So wird's am besten sein, und wer weiß, vielleicht holen wir Ihr Geld mit allen Zinsen heraus wenn der Rechtsstillstand und der Krieg noch lange dauern.“

„Wie sagen Sie, der Krieg?“

„Nichts hab' ich gesagt. Doch wird's gut sein so. Und nun Glückauf, Herr Landwirt! Ich will mich empfohlen halten für den Herbst, wenn die Kartoffeln rar werden sollten“ Der Bankmann erhob sich und nickte das verbindlich verabschiedende Lächeln eines Vielbeschäftigten: „Wir werden Sie über die Entwicklung auf dem Laufenden halten;die Sache ist vielleicht auf bessern Wegen, als wir meinen, doch braucht's Geduld ...“

Einen rechten Festtag brachte dieser Brautstand doch auch für Rose und Dieter und ihr ganzes künftiges Haus. Ein Sonntag war es, jener, da ihr öffentliches Aufgebot, am Gemeindehaus angeschlagen, den gemeinsamen Kirchgang der Verlobten nach der Landessitte zur Pflicht machte. So 8D []wanderten beide durch den hellen Vormittag nach dem Dorfe. Aber auch Heinrich Fenner ließ einspannen. Gradauf stand er während des Gemeindegesangs am vererbten Kirchenplatz; er sah fast vornehm aus im schwarzen Gewand mit dem ordentlich gestutzten Vart im bleichen Gesicht, nickte auch etwa einem Bekannten mit einem müden Blick ein Erkennen zu und ließ sich im übrigen nicht anmerken, daß wohl heute mehr noch als von den Brautleuten von ihm die Rede ging unter den Dorfgenossen: Im Wochenblatt war es vorgestern gestanden, daß ein kluger Statthalter und Untersuchungsrichter dieser Tage ein fast vergessenes Verbrechen aufgedeckt hätte; freilich, sein Urheber, der Brandstifter, bleibe straflos; denn die Sache sei verjährt, doch sei der schuldige Landstreicher geständig, und alles dumme Gerede, das sich vor Jahren an den Fall knüpfte, falle dahin. So stand es im Blättlein, geschickt dem Statthalter zu Ehren zugestutzt. Für den Sennhofbauer aber bedeutete es eine volle Einsetzung in Ehren und Rechte, und die Dorfleute verstanden es wohl, daß er so aufrecht und ernst am Kirchenort stand ...und werweißten bei sich, der Pfarrer spiele wohl auf diese Dinge an, als er vom Sieg der Gerechtigkeit in allen Dingen predigte. Dergestalt wurde dieser Sonntag dem Heinrich Fenner zum Festtag.

Anders dem Vetter und Bräutigam. Im städtischen Leben war er ein seltener Kirchengast geworden; heute schloß ihm die besondere Veran26

9 []lassung das Herz auf für die schlichte Predigt, als der Pfarrer von den unergründlichen Wegen sprach,durch die Gott den Menschen leite; immer aber führe ihn seine Hand in Gerechtigkeit und Liebe,und das Schwere am Menschenschicksal bedeute Prüfung und sei ein Feuerofen, das innerliche Gold der Seele zu läutern ...

Diethelm Josephus Fenner ertappte sich, daß er das Amen am Schluß der Predigt andächtig halblaut mitsprach.

Auf dem Heimweg hemmte Rose einmal den Schritt: „Dieter, gelt, wenn wir erst Mann und Frau sind, dann gehen wir recht fleißig zur Kirche;es tut dem Menschen gut, Gottes Wort zu hören!“

Er fand eine neue, tiefe Färbung ihrer Augen die Bitte begleiten und lächelte: „Freilich, Schatz,das gehört doch zum Bauern. daß er ein Kirchgänger ist!“„Du darfst nicht spotten, Dieter!“

Sie wiederholte die gleiche Mahnung wie damals, als er vom Gottesdienst im Stall sprach,und er fand ähnliche Antwort: „Es ist mein Ernst,RösleinSchatzl Ich glaube, das Bauern macht gottergeben. Nur mit einem frommen Gemüt kann einer auch ein rechter Bauer sein.“

Groß sah er sie an dabei, und sein Wort klang als das eines Mannes, in dem die unergründlichen Wege, die von der Liebe geleitet zur Liebe führen,selbsterfahrene Lebenswahrheiten bedeuten.

Glücklich still lächelte die Braut.270 []

Einundzwanzigstes Kapitel.

Kriegswetterleuchten.

Still feierten sie dann bescheidene Hochzeit. Doch eines ließ sich der junge Ehemann von der Sorge der Zeit nicht nehmen. Die zwei Wochen, bis der erste Weizen reif zum Schnitt war, sollten ihnen beiden allein gehören und der Gefährtin seines neuen Lebens ein festlich schönes Stück Schweizerland zeigen. Nicht die Städte mit ihrer Hast. Ihn zog es zu den Höhen, wo der zu Ende gehende Juni die Blumen eines Wundergartens streute. In einem hochgelegenen Bergtal wollten sie eine Flitterwoche verbringen. Ein Stelldichein überlauter Gäste aller Zungen war sonst der dem Dieter wohl bekannte Ort; in dieser Kriegszeit erquickten sich wenige Landeskinder an seiner Schönheit, uneingeengter und ungebunden in ihrer gegen Fremde schüchternen Eigenart. Auf diese Freiheit des Lebens mit seiner Fahrtgenossin freute sich Dieter.Wie ein Jungbürschlein schwelgte er mit ihr im neuen Erleben der Bergfahrt, die ihn doppelt reizend ansprach, weil Rose zutraulich neben ihm sich umsah, still schauend und horchend an ihn geschmiegt und dann wiederum mit einem Wort einen Eindruck festhaltend.

So fuhren sie die Bergschlucht hinan, bis sich ihr Wegziel, ein Wiesen- und Waldtal auftat, wo zwischen braunen Bauernhütten wohnliche Gasthäuser zum Weilen einluden.27

J []Vorn im Zuge sitzend, hatten sie bemerkt, daß bei ihrer Abfahrt von der Talstation ein besonderes, gedrückt aufgeregtes Treiben auf dem Bahnhof lebte, doch waren sie mit sich beschäftigt und achteten nicht weiter darauf.

So überraschte es sie, als ste am Endpunkt ihrer Fahrt eine festlich-ergreifende Empfangsbereitschaft trafen: Mädchen mit Blumen in den Händen und wiederum Wärter mit Tragbahren und Krankenwagen, schwarzgekleidete Herren und Aerzteoffiziere,bereitgestellte Erfrischungen und Krankenhilfe.Still stiegen sie aus, während hilfreiches Wesen geschäftig zu den letzten Wagen des Zuges hastete.

Rose ließ den Arm ihres Mannes nicht los und lehnte sich tiefatmend an ihn, da sie näher traten.Ein Stück Kriegselend war mit ihnen in dieses Bergtal getragen worden. Menschen mit fahlen,abgezehrten Gesichtern, Männer, an denen zerschlissene graue Kleider hingen; schöne Gestalten mußten viele gewesen sein jetzt schreckte der jämmerliche Rest zerfallener Stattlichkeit, wie sie vornübergebeugt, müde und abgezehrt einherwankten;häßlich waren die meisten in der unschönen Gräue von Kleid und Gesicht; und der goldene, prahlerische Zierat und die Rangauszeichnung an einzelnen erschienen lächerlich schmerzhaft, weil alle gleich elend waren. aber hoffnungsvoll leuchteten die Augen aus gelben und grauen Gesichtern; bunte Blumen und Fähnlein in den Schweizerfarben schmückten jede Uniform; freudig flackerten die Blicke selbst 272 []jener, die man stützen und tragen mußte ... wie ein Widerschein der Sonne der Freiheit ... wie nie versagende Menschenhoffnungl Nur wenige lagen regungslos auf ihren Bahren, todmatt von der Anstrengung der Fahrt; wenn sie die Lider hoben, fieberte verwunderte Frage und verlorene Sehnsucht Sterbender daraus hervor.

„Es sind verwundete Austausch-Gefangene,Kranke, arme Burschen. Man schickt sie in die Schweiz, damit sie nicht in Feindesland sterben müssen“, flüsterte Dieter seiner jungen Frau zu, die sich an ihn klammerte. Sie nickte, und wortlos sahen beide, wie der Haufe der Ausgeladenen sich verlor; in Wagen und Tragbahren, in kleinen Gruppen mühsam Marschierender wurden sie weggeführt. Ein Bild des Jammers, das ans Herz griff! . . . Wortlos sahen sie zu; die nämliche furchtbare Erkenntnis umschnürte ihre Kehle: „Das ist der Krieg!“

„Dieter, ich möchte heim. wo man davon nichts sieht.“

„Du bist ein Närrlein, Schatz!“ In dem DieterMann weckte das Wort die gleiche Sehnsucht nach der friedlichen, arbeitsreichen Scholle der Heimat.

Er raffte sich auf, ein Mann zu sein.

Aber das Weh der Zeit ließ sie beide nicht aus dem Bann. Sie neigten die Häupter und vermochten den Blick nicht zu wenden von dem Zug des hoffend wandelnden Elends. Und jetzt zuckte ein Erschauern der Frau herüber auf den Mann;

Wehrlin, Zur Scholle.

127

273 []fast streifte sie im Vorbeifahren ein solches Häuflein Menschenwehs: auf der Fahrbahre des kranken Kriegers lagen Krücke und Stock; eine Decke verhüllte verborgenen Körpermangel; wie tot lag in Binden ein schweißglänzendes Gesicht mit eckigen Stirnknochen, auf deren straffer Haut gelbe Haarsträhnen klebten. Ein verwundert weher Blick, ein Blick voll Neid auf ihre straffe Stärke huschte über die Beiden... Dieser klagvolle, leidvolle Frageblick heftete sich in den Sinn Dieters und ließ ihn nicht los; blinden Auges stand er nachher vor den Schönheiten des weltberühmten Alpentals.

Zu einer Menschheitsfrage wurde ihm: Warum dies furchtbare Elend, das so viele Schuldlose traf?! Denn sicherlich hatten all diese elend Gewordenen nur auf Geheiß, nur im Zwang selber andere ebenfalls elend gemacht. Mußte es so sein? War das nicht Wahnsinn, daß sich die Menschen mordeten?

Und in Diethelm Josephus Fenner stieg die Erinnerung an die Tage des Kriegsausbruches auf,an den beschämenden Schmerz, daß nicht auch er das Kleid des Krieges tragen durfte, an die fiebernde Erregung, mit der er die ersten großen Waffentaten verfolgt hatte. Das Wort „groß“erschien ihm heute schal und ein Hohn.

Diethelm Josephus war ein Kind seines Volkes;seine Gefühle ein Abglanz der Stimmung, die dieses erfüllte: Ernüchtert erkannte er den Aberwitz des Krieges als Vernichter und Mörder und Verstümmler. Er ersehnte sein Ende und bangte zu274 []gleich vor dem Ungewissen, das dieses Weltfieber der Menschen noch bringen möchte; er bangte für seiner Heimat Fluren, jetzt, da er sich in dem verstecktesten Schlupfwinkel dieser Heimat müßig erging, sein Hof aber, die Scholle, woran seine Gedanken hingen, lag unbewacht und ohne daß er daran schaffte. Dieter konnte nicht Ruhe finden,den ganzen langen Tag nicht. Dieser vorwurfsvolle Frageblick verfolgte ihn, aus dem einer ganzen Menschheit Trauer sprach.

Und plötzlich nahm, fraghaft erst und dann immer sicherer, das fahle Gesicht mit der eckigen Stirne, darauf gelbe Haarsträhnen klebten, und mit den tiefliegenden Augen, bekannte Züge an.

Des Abends, als sich das Paar zur Ruhe begab,sprach er davon, ganz unvermittelt.

„Röslein, mich plagt's. Kannst du mir helfen:ich mein', ich hätte den Sepp Stegmaier gesehen heute. Weißt du, jener Krüppel war es, den sie an uns vorbeiführten ... Röslein, wenn er's gewesen wäre, der arme Kerl ... weiß Gott, er ist's gewesen ...?“ Zum erstenmal seit dem Tage, da sie sich gefunden hatten, nannte er den Namen.

Frau Rose stand vor dem Spiegel und entnestelte sich mit hocherhobenen Armen das braune Haar; heller Schein fiel aus den Glühbirnen zu ihren Häupten auf den graden Nacken. Sie gab nicht Antwort, doch zitterten ihre Finger leicht, und die bräunliche Haut des Halses rötete sich; dann fiel verdeckend die glänzende Haarflut darüber.275 []Der Mann wiederholte: „Erinnere dich, X dir vor, wie sein Gesicht war und wie es sein könnte nach langem Leiden. Gewiß, es war der Sepp!“Sie ließ die Arme langsam sinken und wendete sich um; bleich, mit entgeistert rauher Stimme sagte sie: „Der Sepp ist tot, laß ihn, es ist besser so.“

Später schmiegte sie sich an ihn und bat: „Lieber,wir wollen heim, schon morgen. Mir ist bang hier ...“ Dieter freute sich, daß ihre Wünsche zusammenklangen.

Noch einen Tag gab er zu. Da stiegen die beiden Eheleutlein auf das schwarze Felsenhorn, das, den Kurort hoch überragend, eine prächtige Einsicht auf die höchsten Eis und Schneeriesen bot. Still standen sie vor der Wucht der Berge. Dann wendeten sie sich gegen Norden und suchten im dämmerigen Hell des flach wie ein Teller erscheinenden Hügellandes die Gegend ihrer Heimstätte und waren uüberglücklich, als sie ein Merkzeichen, einen weißschimmernden See, fanden, jenseits dessen der Sennhof liegen mußte.

Am folgenden Morgen, noch lagen die Gäste des Tals im Morgenschlummer, verließen zwei Frühaufsteher das stille Gasthausdorf, wie auf der Flucht.

Abermals floh Diethelm Josephus Fenner auf die Scholle der Väter und in ihre Arbeit vor sich selber floh er und vor dem AUnheil der Zeiten,das ihm und seinem Volke zu einer schweren innern

R 6 []Unruhe heranwuchs. In den Städten und Städtlein, im fahrenden Eisenbahnzug und am Tisch der Wirtshäuser, aus dem Zeitungsblatt und in Räten und Versammlungen stieg diese Wolke von Anrast und Unlust auf, als Anklagen gegen Einzelne und ganze Volksgruppen, als Verdächtigung von Behörden und Obern, als maßleidige Klagen und Beschwerden über wirtschaftlichen Druck und die Fähr

Diethelm Josephus schämte sich, daß sein Volk klein wurde unter diesem Druck; zugleich fühlte er,daß auch in ihm der gleiche Geist Platz greifen wollte. Tiefster Grund dieser Unrast aber war der Jammer über das unendliche Unheil der Zeiten und ein unendliches Mitleid ... Er wehrte sich mit allen Kräften der Seele und des Körpers, daß er den hellen Stern des Zutrauens in das Kommende nicht aus den Augen verliere und hatte eine treue Helferin zur Seite.

Gemeinsam legten sich beide ins schwere Joch der bäuerlichen Sommerarbeit. Ihnen girrte kein Turteltaubenleben schmeichelnder Flitterwochen; die harte Not des täglichen Schaffens spannte sie beide an, und die Peitsche schwang über die im Joche Gehenden jenes zwingende Muß, das allein der Bauer kennt ... Vor dem unendlichen Schöpferreichtum trieb sie die e in e Sorge: Du darfst nichts verunehren und darfst nichts umkommen lassen von deines Gottes reichen Gaben jetzt weniger als jemals ...27

[7]

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Harte Zeit birgt frohe Hoffnung.

Mühseliger als je gestaltete sich die Arbeit. Der Himmel erzeigte wenig Gunst dieser Ernte des beginnenden dritten Kriegsjahres, da wie spärliche Lotterietreffer die wenigen schönen Tage fielen.Der vermehrte Viehstand vervielfachte die Sorge in Haus und Stall; acht Hände hätte Dieter oft rühren mögen, damit er sie bewältige; an fremden Leuten und an Zuverlässigen war bittere Not; die eigenen bannte ihm die Zeit: Wie von einem Alpdrücken befreit, hatte freilich der Schwiegervater einige Wochen mit Hand angelegt; doch seine Zeit war um. Er brach aufs neue zusammen, und die wuchernde Krankheit wurde als hoffnungslos erkannt. Hinter raschem Ermatten und fahrigen Schmerzen verbarg sich eine Krebskrankheit, die eine nie aussetzende Pflege der Mutter und Roses erheischte. Den Knecht und zuletzt auch den Jungburschen und Rekruten forderte der Grenzschutz in seinen Dienst zugleich mit dem Gespann der Rosse ...Und die Sorge um Hab und Gut klopfte immer wieder dem Jungbauern an die Türe. Dann,wenn aus der Stadt Schreibmaschinenbriefe ins Haus flogen mit immer neuen Mahnungen, seine dortigen Dinge nicht fahren zu lassen, sondern sie mit neuem Zuschuß der zu erhoffenden Besserung zuzuführen.278 []So schrieben sein Berater in Geldsachen, wie sein Rechtsvertreter. Dann stützte Diethelm Josephus seinen Kopf in die Hände; ein kümmerndes Schuldenbäuerlein, rechnete er, daß ein Zusammenbruch in jenen Dingen ihm auch auf dem Sennhof den Boden unter den Füßen wegstehlen müßte...

Da geschah ihm ein Wunder: Von der Weiberseite seiner Lebenskirche, die vom Klang der Sorge widerklang, strömte ihm Stärkung des Männerwagemutes zu. Als wäre sie das neckisch vollbackige Bäslein von einstens, lächelte seine Rosefrau zum schwersten Entschluß, der ihn sein Größtes wagen hieß: „Du mußt Vertrauen haben, Dieter; ich mein',der Krieg macht manches durcheinander; er macht manches schlimm, aber andres wird er auch wieder zum rechten kehren ... Dir muß er es tun. Wir müssen beide nur Vertrauen haben und Geduld.“Sie sah ihn so voll und so hoffnungsfroh an, daß er die braunen Hände hätte küssen mögen. Da er sie nun betrachtete, wie sie leicht gebückt über einer häuslichen Arbeit die Hände regte, mit einem ruhigen Vertrauen in ihn und sein Geschick empfand er Ehrfurcht vor ihr und ihrem Geschlecht und fühlte, daß er recht hatte darin: Zähe Lebensheldinnen sind die alemannischen Bauernfrauen,die den Weg nimmer rastender Mühsal mit sichern Schritten gehen, die früh zerfallen, wenn sie in mehrfacher Wiederholung die Schmerzensfreude der Mutterschaft tragen, denen aber immer noch im fröhlichen Wort der Schalk von der Zunge spottet.279 []Wieder hob unter seinem Schweigen Frau Rose den vertrauenden Blick von der Arbeit auf, und auf den schmaler gewordenen Wangen deutete sich das alte, lustige Grüblein an. Sie sagte kein Wort; aber die Hände waren nicht einen Augenblick müßig. Sie redeten davon, daß zum Vertrauen und zur Geduld so wie es dieser Art Frauen eigen ist die Beharrlichkeit und das Nimmerermüden gehöre, damit alles gut werde.

So regten sich die Hände und sprachen dem Diethelm Josephus eine gewaltige Predigt vom Segen der beharrlichen Arbeit, die auch das Geringe nicht scheut und die daraus bäurisch frommes Gottvertrauen in den Lauf der Dinge schöpft. Ehrfürchtige Rührung flößten dem Mann die flinken,braunen Arbeitshände ein und der lächelnde Ernst auf dem Gesicht, mit dem Rose aufmerksam ihr Geschäft besorgte eine stille, kluge Frau, die,ohne zu wollen,. es zeigt: Schau, so muß man's machen, damit alles recht wird. Glückhafte Freude am Sichregen sprach aus Bewegung und Mienen;jene ursprüngliche Freude am währenden Lebenstag, mit dem sie, die Frühwache, ihn jeden Morgen begrüßte.

Darüber sproßte und trieb das Pflänzlein Vertrauen in seinem Herzen Schosse, wie Pfeifenholz im Maien, Vertrauen zu sich selber, zu dieses Lebens Fortgang und Arbeit. Die bestandene Zuneigung des besonnenen Mannes dankte dem Wort: „Ich folg' dir, Röslein; magst recht be52 A []kommen; es wird zum Guten ausfallen, weil du es rätst.“

Dann fiel ihm auf, daß sie schmäler geworden im Gesicht: „Doch sag', Röslein, eines mußt du mir versprechen, übertu' dich nicht, schon' dich; du siehst angegriffen aus; wir sollten dir für eine Hilfe sorgen.“Nur halbwegs richtete sie den Kopf auf und schaute von unten mit unsicherm und wieder schelmischem Blick: „Jetzt wohl noch nicht, Dieter, ums Neujahr herum; dann vielleicht, jetzt geht's noch..“und langsam stieg ein freudig schämiges Rot bis unter die braunen Haarbüschlein an der Stirne.Nun zog das höchste Glück der Verheißung sieghaft in sein Herz ein; verstehend neigte er sich über sein Weib, richtete ihren Kopf auf und küßte Mund und Stirne.

Gradauf, als hätte er den Gang einer Wasserträgerin abgeguckt, schritt am andern Morgen der junge Sennhofbauer durch Feld und Wiese.

Er wußte: auf leisen Sohlen schlich im eignen Hause der Tod einem Vergrämten und Siechen langsam näher. Er hörte auch wieder, wie so oft in den letzten zwei Jahren, den Tod des männermordenden Krieges von weit, weit her brüllen in dumpfen Kanonenschlägen. Vom Vergehen redeten erste gelbe Herbstblätter, die leise von den Bäumen rieselten. In ihm aber jubilierte die Lebenshoffnung; die Zuversicht des ewigen Werdens sang ihr Lied. Richt Vergehen und Sterben ist der 281 []Natur und ist der Seienden Los, sie verjüngen sich ewig und leben weiter in dem, was von ihrer Art nach ihnen in gleicher Gestaltung unter der Sonne aufwärts strebt. Ihr Werk ist, den Werdenden Raum und fröhliche Stätte der Blüte zu bereiten.Das ist der Vergänglichkeit Ewigkeit ...

So gestaltete sich der Mann seine jungen Ehemonate zu einer Zeit beharrlichen, mühefreudigen Fleißes. In der täglichen Handreichung, im Müdesein alle Abende fand er den Untergrund eines innerlich still zusammengefaßten Glückes. Und erhoffte das Kommende!

Herbst wurde es und Winter. Einmal trugen sie den Vater Fenner als Toten vom Hof. Die Frauen weinten; Dieter aber überdachte sich, als er hinterm Sarge schritt, ob der Mann nur sein innerlich kärgliches Leben der letzten Jahre erlebt hätte, und meinte, so könne es nicht sein; auch ihm mußte die Freude am Werden geblüht haben. Das Sterben selbst nahm er als etwas Natürliches, wie den Wechsel der Jahreszeit, und wunderte sich nicht einmal darüber; denn gleich ihm sprachen alle andern im Hause schon auf dem Heimweg vom Kirchgang in aller Ruhe vom „Vater“ als dem Gewesenen ... Wie in den ewigen Wechsel der Natur schickt sich der Bauernstand in das Kommen und Gehen der Menschen ... Noch klang in seinen Ohren das Amen des Leichengebetes nach, als Dieter den schwarzen Kirchrock mit der Bluse des Melkers vertauschte, und am Morgen ließ das 1 2843 []Herbstgeschäft des Landmanns keinerlei müßig besinnender Beschaulichkeit Zeit. Noch weniger die vermehrten Sorgen um den Hof und die Regelung des Nachlasses. Nun erfuhr Dieter, wie richtig der Vater gesprochen hatte, als er, ihn abmahnend, von diesen Dingen redete. Sein Letztes an verfügbaren Mitteln gab er hin, den Hof sich selber in eigenem Willen und zur selbstherrlichen Verfügung zu erhalten, sein Letztes an Willen und Kraft der Muskeln gab er hin, sein Gut zu bewirten. Selber Meister und Bauer, Herr auf eigenem Grund und Boden, war er freilich; aber auch diese Heimaterde ergriff so voll von ihm Besitz, daß er mehr ihr Knecht war, denn ihr Herr!

Nur des Abends, wenn alles in Haus und Scheune wohlbesorgt stand, gehörte eine Stunde so recht ihm. Dann pflegte er in den beginnenden Winterabenden in der Stube zu sitzen. Von der Arbeit des Tages von heute und morgen berichtete er, schmiedete Pläne für den Frühling und den Sommer. Seine Rose-Frau hatte ihn darum gebeten: „Du weißt so viel, bist auch in fremden Ländern gewesen. Ich aber möchte noch lernen,weil du ein so gar Gescheiter bist, und möchte alles wissen, was du!“

Wie er sich's von ihr erbeten hatte, saß sie dabei, ihres besonderen Zustandes bewußt, zu Häupten des Tisches an bequemer Ruhestatt. Still und ruhig hörte sie zu, und ihre Augen leuchteten.Ihn aber überraschte manchmal ein einfach kluger 283 []Gedanke, den sie seinem Sagen entgegenhielt, so,als er mit leisem Spott vom Goldbesitz der Tante und abschätzig verurteilend von der Lebensmittelhamsterei der Frauen bei Ausbruch des Krieges redete.

Da widersprach sie lebhaft: „Die Männer sollten froh sein und nicht spotten über diese Eigenart der Frauen, daß sie gerne heimlichen Besitz für sich beiseite hüten. Ihre verborgenen kleinen Schätze kommen dem eigenen Blut zugut. Auch erzieht ihr ja eure Ehefrauen dazu, weil ihr in Geldsachen allein die Klugen sein wollt und all das Geschäftliche allein verwaltet. Das aber sollte nicht sein,und um manchen Haushalt stände es besser, wenn es nicht so wäre. Die Frau sollte gleicherweise Einsicht haben und verfügen können, wie der Mann,und weil sie es nicht kann, oder im meisten Fall nicht. ist dieses Hamstern ihr Erbübel ...“

„Ei, ei!“ lachte er, „bist du unter die Emanzipierten gegangen: gleich verfügen, wie der Mann,soll die Frau? Volle Handlungsfähigkeit verlangst du, wie die Frauenrechtlerinnen auch in Gemeinde und Staat?!“

Nun hatte sie von der Zeitbewegung für Frauenrechte schon gelesen und gehört, doch nicht den klaren Begriff ihrer Forderungen. Sie ließ sie sich erklären und sann dann ein Weilchen: „Da finde ich nun nichts Besonderes und Uebermäßiges darin,wenn etliche Frauen in eure Gesetze und Ordnung mitreden wollen .. Es würde vielleicht manches

T *[]Gesetz gerechter und manches Ding in dieser Welt menschlicher, wenn die Weiberköpfe mit den Ausschlag geben könnten ... Alle hätten nicht Zeit, noch Lust dazu, oder wähnten sich erfahren und klug genug, doch würden sie's wohl nach und nach lernen!“

Mit rascherer Zunge als gewöhnlich redete die junge Frau; ihre Wangen röteten sich über dem Eifer für ihr Geschlecht, und die Augen blitzten.Weil aber über aller Menschen Gedanken und Gefühle das schreckhaft große Weltgeschehen dieser Zeiten den harten Herrscherstab hielt, endete auch dies Gespräch wie schon manches vorher bei diesem, als einem Maßstab der Dinge. Mit eiferndem Munde fuhr Rose fort: „In einem sollten alle Frauen mitreden dürfen; dann wäre es nicht so schrecklich heute. Bei Krieg oder Frieden, da wollten auch wir Bäuerinnen mitreden; denn auch wir tragen den Schmerz und die Lasten, mehr noch als die gescheiten und groß redenden Männer. Den Krieg hätten wir nicht gewollt ... Kein vernünftiges Weib und keine Mutter und Ehefrau will ihn; der ist reines Männerwerk und ist die größte Sünde ... die Frauen verfluchen dieses Männerwerkl“

Sie zitterte vor Aufregung, als spräche sie für Millionen ihrer Schwestern. Da legte er seinen Arm um sie und suchte sie zu beruhigen. Mit allerlei Zusprache, daß niemand heute schon Schuld und Recht in diesem Weltgeschehen ergründen könne noch 585 []dürfe; ein Naturereignis in der Menschheit sei es,über sie gekommen, wie ein Gewitter oder ein Erdbeben, etwas, das im Schicksal liege, im göttlichen Ratschluß gleichsam.

Im Zorn ihrer Seele fuhr sie jäh dagegen auf:

„Laß mir den Herrgott da aus dem Spiel; der hat nichts damit zu tun das ist nicht Gottes,das ist Teufels Werk...“

Betroffen schwieg Dieter; gegen solche Sprache einer Frau, der man Sorge tragen muß, ließ sich nichts sagen. Der jähe Zorn machte ihn waffenlos.Er empfand ihn schmerzlich zunächst; denn er legte einen Schleier der Unsicherheit in sein Empfinden.Dann aber, als sie am Morgen und die folgenden Tage sein Haus doppelt freundlich umsorgte, überdachte er, was sie gesagt, und er fand, daß das wohl reines Frauendenken sein möchte. Dann aber war es klug und kräftig gesagt, und zuletzt freute es ihn, daß seine bescheidene Hausgenossin solche Gedanken und solche Kraft der Worte fand.

Das trieb ihn, auf die Unterredung zurückzukommen, auf Umwegen; es mochte über eine Woche verstrichen sein dazwischen. Er kam von einer Fahrt in die Stadt und kramte nun mit behaglichem Lächeln aus seiner Geldtasche zwei große,glänzende Goldstücke:

„Röslein, hier hab' ich einen Kram mitgebracht.Es sind die letzten Stücke vom Goldschatz der Tante.Das andre ist versilbert; träges Geld kann ich keines liegen lassen. Du siehst es selbst ein nach unserm 86 []ganzen Haushalt und weißt es wohl, wie unsere Dinge stehen. Verfügst darüber gleichen Rechts,wie ich ...“Die Anspielung verstehend, zierte sie sich nicht und dankte mit einem Lächeln. „Hast übrigens in manchem recht gehabt vor acht Tagen, Schatz! Nur mit dem Krieg das ist so eine Sache, die machen wir beide nicht aus.“

Sie nickte, daß man es als Bejahung deuten konnte, doch schwieg sie.

Mit einem Ton Rechthaberei beharrte er auf dem Gedanken: „Ja, der Krieg! Sieh, Röslein,vor vier Wochen habe ich mich stellen müssen, als sie eine Nachauslese nach jenen hielten, die im schlimmsten Falle noch Soldaten werden könnten,auch wenn sie es nie gewesen waren. Mich haben sie als schießfertig erkannt. Ich kann dir sagen,das hat mich herzlich gefreut; so ist man doch als Mann und voller Bürger gewertet; drum war's mir eine Wiederanerkennung. Ich dachte, so muß es einem zu Mut sein, der lange unter falschem Verdacht stand, und nun kommt seine Unschuld an den Tag. Früher haben sie mich nicht gewollt, und das war der größte Schmerz meiner jungen Jahre.“

„Ich weiß es.“

„Nun hör', Schatz! Es kann sein, daß auch unser Land noch ins AUnglück gezogen wird; man hört gar schlimme Aussichten darüber in der Stadt.Dann werde auch ich gehen und schießen müssen.Und ich werde auch treffen, Röslein, und mich 287 []nicht fürchten und mich nicht beiseite drücken!“ Die gehobene Stimme des Mannes verlangte Eindruck zu machen.

Seine Rose-Frau blieb gelassen: „Das glaub'ich dir, das wirst du müssen, und ich wäre die Letzte,die ein anderes wünschte ... wenn auch wir noch ins Anglück gezogen würden. Dann mußt du selbstverständlich deinen Mann stellen.“

„So ratest du mir? Und wenn ich dann mitschuldig werde am großen Töten... gibst du dann zu, daß eben der Krieg etwas ist, das mit der Menschheit lebt und bleibt und bleiben muß ...?“

Diethelm Josephus Fenner saß neben seiner Frau auf dem Ruhbett, als er so sprach. Jetzt wendete sie ihm den Kopf voll zu, und aus dem klugen Gesicht blickten zwei klare Augen:

„Wie du die Dinge verdrehst! Darüber redeten wir nicht. Und so meinte ich es nicht. Mir stand anderes im Sinn: Wenn früher die Menschen sich töteten und schlachteten, steht's nirgends geschrieben, daß man's auch heute tun muß. Wenn dir heute einer das Haus anzündet, erschlägst du den Mann nicht, von dem du meinst, er sei es gewesen. Und den Streit um den versetzten Marchstein machen die Gerichte aus; man geht nicht mit Sensen und Gewehren aufeinander los ... Warum tut man im Großen nicht dergleichen? Sagt ihr mir das, ihr gescheiten Männer, die ihr die Gesetze macht! Dazu, meine ich, sollten die Weiber ihr Wörtlein sprechen; das ist alles denn ein 8 []Unrecht ist dies Unterlassen und eine Sünde ist alles. was daraus folgt ...“

Ernsthaft und sachlich floß die Rede. Dann huschte ihr der Schalk über die Augen. Die sonst in Liebkosungen Zurückhaltende, Scheue packte mit beiden Händen seinen Kopf und küßte ihn herzhaft auf den Mund und lachte nachher:

„Weißt du, Dieter, daß du mir als Staatskrüppel und Nichtsoldat lieber bist, denn wenn du mit dem Gewehr ausziehst?“

Gegen diese Gedankenfolge ließ sich nichts einwenden; das war nun wieder rein weibliche, als solche verständliche Auffassung. Doch konnte dem Dieter nur halb in den Kopf, daß nun ein Vorzug sein sollte, was ihn als sein größter Mangel so oft und tief bekümmert hatte ...

Den fröhlichen Augen aber mußte er es glauben,daß es so sei, und er ward an diesem Abend selber von Herzen guter Dinge, da seine Rose-Frau frauenhaft klug ein ernsthaftes Gespräch führte und schalkhaft lustig spaßte. Nachher schmiedete sie Pläne für die Zukunft und verlor sich, dies wiederum mit verstecktem Ernst, ins Namenraten für das Kind,das sie unterm Herzen trug. Daß es den einen Vaternamen trage, wenn es ein Knabe würde,das war ihr ausgemacht. Doch nicht Josephus, das klang ihr zu mild und lind; zahme Buben aber taugten nichts, so lachte sie an diesem Abend und später.

„Der andere tönt altväterisch fremd, doch steckt

Webrlin, Zur Scholle.

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etwas in dem Klang. Ein Name ist wie ein Kleid;

etwas in dem Klang. Ein Name ist wie ein Kleid;besser ist ein vor den Leuten ungewohntes, das dem Menschen ein Aussehen gibt, als ein von andern ausgetragenes. An dir hat mir der Dieter immer gefallen; er wird auch unsern Buben kleiden.“

So sprach Frau Rose zu einer andern Stunde ihrer Abendsitze.

Im Frühling sterben!

Und der Frühling brach herein übers sehnende Land, ganz unvermittelt, von einem Tag auf den andern, verspätet, doch mit unendlicher Kraft des Knospens und Werdens. der Verheißung in allen Dingen.

Frühling des Herzens heißt verheißende Zuversicht. Als ein Baum, der nährenden Boden gefunden hat, streckte und regte sich Diethelm Josephus in seinem Bauerntum. Nicht daß er früheres verleugnete, doch lächelte er, als er einmal Musterung hielt über seine Junggesellen-Hinterlassenschaft, und seine Liebhaberkünste kamen ihm klein vor ... Ein klein bißchen schmerzlich lächelte er,daß er als Bauer seine einstigen Künste hintansetzte, dech überm ersten Ackern auf kaum erschlossenem Boden vergaß er dieses Schmerzlein; es 270 []mußte im Blut liegen, daß der Bauer so empfand eine richtige Wertung der Dinge.

Ihm hob und stählte die Seele, mitanzusehen,wie seine Rose-Frau in diesen Frühlingstagen ihr fröhliches Kindergemüt wiederfand, das nur Hoffnung und Zuversicht kannte, weil die Wurzeln ihres Innenlebens festen Grund in seiner nährenden Liebe fanden. Ihre stille Anerkennung seiner Beharrlichkeit im schweren Tagwerk waren ihm Genugtuung. Und die Nöten der Zeit, die wie drohendes Unwetter der Vernichtung und Gefährdung an Gut und Leben von ferne wetterleuchteten und in der Form der Beschränkung und Behinderung bis in seinen stillen Hof drangen, bestärkten diese innere hochgetragene Selbstwertung seines Tuns: In friedlicher Arbeit Werte schaffen, statt zu zerstören; das Spenden der allgütigen Natur vorzubereiten; die stumme Kreatur liebend zu umsorgen, die auf fernen Schlachtfeldern in tausendfachem schweigendem Schmerz litt, zugleich mit den Menschen und unter dem Streit und Mord derselben Menschen; für diese, die selbst im friedlichen Land untereinander haderten, mit seiner Hände Arbeit in stiller Pflichterfüllung Nahrung zu schaffen: all das erschien ihm die höchste Mannesleistung.

Diethelm Josephus Fenner war stolz auf sein Bauerntum, stolz und selbstbewußt auch deshalb,weil er in allen Dingen den Boden unter sich immer sicherer werden fühlte; seiner Arbeit an der

*

291 []Scholle ward der verdiente Lohn! Hier war seine Rechnung klar; in den andern Sachen mochten die Dinge ihren Weg gehen. Seinen Hof hielt der junge Bauer, ein eigener Herr auf eigenem Grund, fest unter seinen Füßen. Ging sein übriges Gut verloren was hatte es an sich! Hier stand es zuversichtlich und sicher. Das Selbstbewußtsein der alten freien Bauern kam über ihn, wenn er unter den neu erblühenden Bäumen hinschritt, seine Ehefrau zur Seite; auch darauf war er stolz, wie klug und gefaßt sie einer schweren Stunde entgegensah;er hatte sie so fröhlich und zuversichtlich gemacht,und sie dankte es ihm mit täglich wachsender Zuneigung des zur schwersten, freudigsten Pflicht reifenden Weibes.

... Mit rosigen Blüten prangte der Rotacherbaum vor dem Schlafstubenfenster, als Dieter, der Sennhofbauer, seinen Buben zum erstenmal im Arm hielt. Das Bild vergaß Diethelm Josephus sein Leben lang nicht, daß sein Blick gerade auf diesen Blumenstrauß von Apfelblüten fiel, als er die Augen von dem weißen Bündel hob, das ihm die Wehfrau in den Arm gelegt hatte. Aus Zwang hob er den Kopf. Fröhliche Feuchte nie erfahrenen Hochgefühls schoß ihm in die Augen, und er wollte nicht schwach scheinen; niemand sollte das Naß sehen.Der Blütenbaum aber schien ihm ein köstlich Omen und begleitendes Zeichen zu dem Wunder der Freude, das er an sich erlebte.259

XR []Mit flüsternden Worten wies er der Mutter das Blütenwunderzeichen, und sie lächelte das schmerzhaft glückliche, müde Lächeln der Wöchnerinnen.

Dann stieg er mit behutsamen Sohlen die Treppe hinunter.

Draußen, im Baumgarten unter jenen Bäumen,die er mit Röslein zusammen gepflanzt hatte,und die mit weit herniederhängenden Laub- und Blütenästen ihn vor den Menschen verbargen, da reckte er die Arme weit aus und hoch auf, vor einem Glücksgefühl die Brust zu weiten, das ihn zu zersprengen drohte; breit verspreizt stand er da,festgewurzelt in der Scholle seiner Väter ... Mit inbrünstigem Fleiß, als ein Dankgebet, verrichtete der junge Sennhofbauer in diesen Tagen seine Werke.Vier Tage alt war der kleine Diethelm Heinrich, als dem Vater bei der mittägigen Rückkehr vom Felde die Großmutter mit besorgter Miene vor die Schwelle trat: „Mach' still, Dieter, s'ist etwas ungut bei der Frau!“

Ihn durchfuhr der Schreck. daß ihm die Knie zitterten. Sachte stieg er zur Stube hinauf. Es war ganz still darin; im Korbbettlein schlief der Kleine, und regungslos lag sein Weib mit geschlossenen Augen, hoch bedeckt mit warmen Decken;neben ihr auf dem Nachttisch dampfte eine Tasse Tee. Zu Füßen der Lagerstatt aber saß auf einer Stabelle die pflegende Frau und winkte mit ver3

28 []weinten Augen. „Wir haben dem Doktor anläuten lassen, Herr Fenner“; flüsterte sie, „er kann jeden Augenblick da sein.“

Da stand Dieter regungslos und wartete.Schwer atmete die Wöchnerin und stöhnte leise;jetzt zitterten ihre Lippen wie im Frost, und sie schlug die Augen auf: „Du bist's, Dieter!“ sagte sie.

Nun setzte er sich auf den Bettrand und ergriff ihre Hand: „Hast du Schmerzen?“

„Ach, das muß wohl sein“, sagte sie und versuchte zu lächeln, „doch heute Morgen ist's ärger gewesen als je ... und dann ist's so kalt!“ Fieberfrost schüttelte sie ...

Er gab ihr von dem heißen Getränk und legte die Decken zurecht. Sie dankte mit einem Blick und lag dann unter geschlossenen Augen da, mit beiden Händen seine Rechte an ihre Wange drückend.Wieder ward es ganz still in der Stube, daß man ihre stoßweisen Seufzer und die kurzen Atemzüge des Kindes aus seinem Bettlein hörte und von draußen ein Summen des glänzenden Maientages. Die Bienen umschwärmten den Blüten-baum vor dem Fenster mit stürmischer Emsigkeit und rosige Blättlein sah Dieter davon zu Boden flattern ...

Mit einem Mal fuhr Frau Rose auf: „Was war das?“ sie hatte das Geräusch eines Kraftwagens gehört.

„Es wird der Doktor sein“, sagte Dieter.

*.[]Da weiteten sich ihre Augen schreckhaft.

Der Arzt war ein rascher Mann, der sich wortkarg in Respekt zu setzen wußte. Knapp war sein Gruß zum Manne; ein scharfer Blick galt der Bettlägerigen. Freundlicher war seine Anrede an sie und sein Erfragen, und als sie unter tastenden Fingern stöhnte, hielt er inne und sprach ihr wie einem Kinde zu. Nachher, als warmes Wasser und allerlei Tücher bereit waren, wies er den Ehemann hinaus: „Stellen sie den Korbwagen mit dem Kleinen nebenan; der hat hier keinen Platz mehr.Ich ruf' Ihnen später ...!“

Ungerufen trat Diethelm Josephus nach einer Viertelstunde ein, da er die pflegende Frau verstörten Gesichts ein- und ausgehen hörte. Der Arzt saß am Bettrand, wie er vorhin, und hielt die eine Hand der Kranken. Doch zählte er nicht die Pulsschläge; er sah sinnenden, schwermütigen Blicks hinaus in die rötliche Pracht des Blütenbaumes.

„Herr Doktor?“ machte sich der Eintretende bemerkbar. Der Angeredete wandte sich langsam zur Kranken und legte ihr die Hand auf die Stirne:„Heute abends komm' ich wieder vorbei ...Frau Fenner ... Ich richt' Ihnen auch ein Tränklein ...“„Sie können gleich mit mir fahren, Herr Fenner!“ sagte er zu diesem, „und es nach Hause nehmen.“ Schon standen sie auf der Hosfstatt.Selber ergriff der Arzt das Lenkrad des Wagens;den begleitenden Fahrer hieß er neben sich sitzen 295 []und sauste über Hügel und Kehren, als möchte er einem Schicksal entfliehen. Im Husch stand der Wagen vor dem Doktorhaus; kurze Weisungen folgten; mit Kühlflasche und Pulverschachteln stand Dieter wieder vor dem Blitzwagen; der sollte ihn heimführen. Doch der junge Ehemann widerstrebte: „So will ich nicht gehen, Herr Doktor,anders Sie sagen, wie's steht mit meiner Frau;sagen Sie alles, ich bin Manns genug ...“

Der Arzt sah ihn zweifelnd an, wie einer, der seiner selbst nicht sicher ist oder es nicht sein will:„Ich kehr' am Abend noch einmal an, Herr Fenner.“Dann drehte er sich kurz um; der Fahrer gab Gas in den Motor, und der Wagen sprang an.

Mit schmerzlich zerfallenen Zügen fand der Zurückkehrende die Kranke. Aengstlich hingen ihre Blicke an seinem Mund: „Was sagt der Doktor,muß ich sterben ...? Ich wil laber nicht sterben,Dieter, hörst du, ich will nicht von dir weg und nicht vom Buben ...!“ fuhr sie in fiebrigem Schmerz auf und wiederholte das „ich will nicht sterben“ dutzendemal. Er redete ihr tröstend zu und vermochte leise zu spassen, ob es ihm auch das Herz umdrehte dabei vor innerer Ungewißheit und düsterm Druck der Seele.

Die Wiederkunft des Arztes beruhigte sie beide für ein Kurzes. Seine wortkarge Gegenwart und die in Hand und Blick viel mehr als durch den Mund kundgegebene sichere Sorge ließ die Kranke ihre Schmerzen vergessen. Auf ihre Bitte gestattete 773 []er auch die Gegenwart des Kindes für eine Weile;er rührte einen Trank an, der ihr wohltun sollte,er flößte ihn selber ein, so daß sie vertrauend aufsah.

Draußen auf der Hofstatt; unter dem großen Nußbaum, wohin Dieter ihn begleitete, wiederholte dieser seine Frage an den Wissenden: „Darf ich noch Hoffnung haben, Herr Doktor?“

Der Arzt hatte eben seine Handschuhe über die Finger gezogen und strich sich deren Leder glatt.Wieder gab er ausweichenden Bescheid: „Nicht wahr, Herr Fenner, von dem Pulver erst dann,wenn die Schmerzen allzu groß sind.“ Da er jetzt allein fuhr, bückte er sich die Kurbel am Wagen anzudrehen und legte in sein Beginnen die Kraft eines Menschen, der sich anderorts ohnmächtig weiß.Aufatmend richtete der Arzt sich auf: „Sie kennen die Krankheit Ihrer Frau, Herr Fenner?“

Diethelm Josephus nickte schmerzlich: „Kindbettfieber!“

„S'ist so ... im schlimmsten Grad Herr Fenner! Sie aber sagten: ich bin ein Mann.“

Als hätte der Tod ihn berührt, empfand der Sennhofbauer den abschiednehmenden Druck der lederumspannten Hand. Er stand starr und steif,während das Geknatter des enteilenden Wagens verpuffte. Gleichmäßig plätscherte der Brunnen sein altes Lied und hoch im Baume rauschten die Frühlingswinde. Mit langsamen Schritten hob er sich dann von der Stelle; gradauf den Kopf, einer rüstig

297 []schreitenden Wasserträgerin hatte er dies Gehen abgesehen; doch ihrem Weg zum Haus wich er aus.Es war wohl Futterzeit, fiel ihm plötzlich ein, und er ging in die neue Scheune hinüber und streifte sein graublaues Melkergewand über sich. Willenlos in der Gewohnheit des täglichen Schaffens und wiederum fast zärtlich tat er seine Hantierungen an der stummen Kreatur. Und die Tiere alle erkannten ihn als Meister und Hüter. Da besann er sich schmerzlich jäh, die hellen Tränen liefen ihm über die Wangen, dieweil er liebkosend einen braunen Haarrücken kraute ...

Frau Rose schlummere, verkündete ihm später die pflegende Frau, und er nickte, verstehend, welche Bewandtnis es mit dem Trunk des Arztes haben mochte. Als sie erwachte, war sie ruhiger. Doch flog der Puls, und im raschen Wechsel huschten Hitze und zähneklirrender Frost über Gesicht und Gestalt, auch klagte sie leise stöhnend über namenloses drehendes Würgen. Doch tröstete sie sich selber: „Gelt, ich darf doch noch leben? Es wär'nicht recht, wenn ich schon gehen müßte. Jetzt, da alles so gut werden wird. Es wär' nicht recht, weil du so gut bist mit mir. Und wegen deinem Buben,der muß doch eine Mutter haben ... Weil du so gut bist, werde ich nicht sterben, gelt nicht,Dieter?“Die fiebernden Augen bettelten um einen Trost,und wissend log er vor ihr, so daß sie auf Augenblicke zuversichtlich wurde bis der unendliche

3 []Schmerz sie wieder aufschreien und jammern und an der Wahrhaftigkeit seiner Rede zweifeln ließ.

Drei Tage dauerte der Kampf zwischen Tod und Leben. Mit gesundem Kopf und Blut kämpfte ihn Dieter mit und hielt sich aufrecht. Doch fühlte er,wie die Kraft seiner Verstellung nachließ; immer dann, wenn die lindernden Mittel des Arztes ihre Wirkung taten, überkam ihn der Drang der Wahrhaftigkeit, nicht mehr falsche Hoffnung vorzulügen.Dann lag die Sterbende mit gefalteten Händen da,unschuldsvoll wie ein Kind in seinem Bettlein, wie ein Kind, dem man auch nicht in der besten Meinung falsche Hoffnung machen darf ...

Und sie erkannte in einem unbewachten Augenblick diese Regungen seiner Seele. Mehr als aus dem eigenen Leiden erkannte sie die Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes aus seinem Blick; laut auf schrie sie und klammerte sich an ihn mit banger Frage. Dieter aber vermochte nicht mehr zu lügen.Er wand sich los; mit abgekehrtem Kopf mischte er ihr den schmerzstillenden, betäubenden Trank:„Nimm das, es wird dir gut tun!“ Er sah über sie hinweg, als er ihr das Glas reichte.

„Dieter!“ schrie sie auf ... Er aber biß auf die Lippen, daß sie schwiegen, und bezwang sich, sie mit großen, strengen Blicken anzusehen, daß sie sich davor duckte, wie ein gescholtenes Kind; sie stöhnte nur mehr leise, bis das betäubende Gift auf einige Stunden wirkte.

Und die Ergebung ins Unabwendbare blieb 299 []über ihr, als hätte sein Blick es anbefohlen. Zweimal noch schreckte sie widerstrebend daraus auf,genau zur gleichen Stunde der folgenden Tage,dann, wenn ein Sonnenstrahl durch ein Astloch des die Stube verdunkelnden Fensterladens ihr Gesicht traf.

Wie ein Hoffnungsstrahl leuchtete er zum erstenmal in glänzenden Augen eines zerfallenden Gesichtes wieder: „Dieter, zeig' mir den Buben!“

Er gehorchte, doch vermochte sie nicht, sich aufzurichten, und der Schmerz der vergeblichen Anstrengung verzerrte nun ihre Züge. Sie stöhnte..

Nachdem die pflegende Frau das Kind wieder weggebracht hatte, sah sie mit rollenden Augen um sich:„Sind wir allein .. .? Komm näher, Schatz,ich muß dir noch eines sagen, wenn ich doch sterben müßte ... und sei mir nicht böse. Einmal war ich unwahr zu dir. Weißt du, es war wirklich der Sepp, den wir als Krüppel in den Bergen sahen.Ich wollte aber nicht, daß er es sei; ich wollte,er solle tot sein ... Ich wollte dem nicht begegnet sein, der mich in seinen Willen zwingen wollte wider den meinen, ob er es auch gut meinte und für uns litt ...“ Sie schwieg eine Weile und fuhr dann fort ...„Dann ging ich mit dem Kind,da plagte es mich, daß ich einem Menschen den Tod angewünscht hatte; ich mußte immer daran denken .. und jetzt läßt mich die Sünde nimmer los ...Dieter, wenn der Sepp noch lebt, dann denk' an 300 []ihn ... weißt du, an dir und meinem Buben wär'er eine treue Seele ... und ein armer Krüppel ist er auch ...“ Aufs neue verwirrte sie das Fieber und sie klammerte sich an ihn, daß er sie im Leben zurückhalte.

Am dritten Tage ihres Sterbens, als wieder der Sonnfleck ihr Gesicht berührte, da herrschte sie den Mann fiebrig an: „Wie macht ihr dunkel, ich will die Sonne sehen ...“ und sie beharrte darauf.Er öffnete die absperrenden Laden ein weniges und sie verlangte einen Spiegel: „Laß mehr Sonne herein“, flehte sie dann. Doch vertrug sie die Sonne und ihr verzehrtes Ebenbild im Glase nicht lange.

Schmerzlich still atmete sie dann, und wieder fragte sie flüsternd:

„Sind wir allein, Dieter? Komm näher ...“ Und als er den Kopf an ihr Gesicht legte, faßte sie mit beiden Händen seinen Schopf und raunte heimlich: „Dieter, vorhin hat mir geträumt, ich wäre schon gestorben, und ich war beim lieben Gott. Aber der liebe Gott sah aus wie du.Ich weiß auch, warum. Ich hab' am lieben Gott gezweifelt, weil ich nicht mehr an die Gerechtigkeit glaubte. Und weil ich niemanden mehr recht gern hatte, nicht den Vater und nicht die Mutter. Ich hab' ihnen ja manchmal so schlimmes Tun und Wissen zugetraut. Aber du warst immer aufrecht und wahrhaftig und warst so lieb mit mir ...Es gibt einen lieben Gott und muß einen geben,und der liebe Gott hat Augen wie du... darum bet'294 34 []

ich so gerne zu ihm, ganz im stillen ... und er

ich so gerne zu ihm, ganz im stillen ... und er macht mich wieder gesund und froh ...“

Fast singend begann sie leise zu flüstern, die Hände erst gefaltet. Dann grub sie die fiebernden Finger in seine Haare, und der Mann hatte Mühe,sie daraus zu lösen.

Desselben Abends starb das Eheweib Diethelm Josephus Fenners. Er stand zu Füßen des Bettes,als sie noch einmal die Augen weit öffnete, bevor sie dann erstarrten. Wie von weit her hörte er das Wort des Arztes: „Sie hat's überstanden!“

Steifnackig schritt er aus der Stube; beim letzten Blick zurück sah er den Baum vor dem Fenster;grün im Laub und voll im Saft, aber nur wenige gelbanlaufende Blumenblätter hingen noch an seinen Zweigen. Das Blühen war jäh vorübergegangen ...

Zum drittenmal schritt Diethelm Josephus Fenner zwei Tage später hinter einem Sarg vom Sennhof zur Dorfkirche. Aufrecht, mit unbeweglichem Gesicht mit verlorenem Blick; er trug ein leeres Herz in sich.

Die Scholle oder Heimat.Mutterseelenallein kam er vom Kirchgang zum Hof zurück. Von den Leidsleuten nahm er knappen Abschied; was ihnen an Gastfreundschaft schicklich 302 []war, ließ er die alte Bäuerin besorgen. Im Hausgang mahnte die Kinderpflegerin mit gedämpfter Stimme, daß der Kleine schlafe. Darüber besann er sich eines Wortes der Verstorbenen. Er suchte ein beiseite gelegtes Zeitungsblatt hervor, wo von der Anstellung fremder Kriegskranker im Lande gesprochen war. Er richtete ein letztes Vermächtnis der Verstorbenen aus, als er an die angegebene Amtsstelle schrieb, ob ein gewisser bestimmt Genannter dieser Genesenden sein Knecht werden könnte .., wenn er noch lebe und im Lande weile.

Dann legte er sein schwarzes Trauerkleid ab.Im bäurischen Arbeitsgewand ging er über den Hof. Vor der neuen Scheune sah er den Dengelstock stehen; darüber hingen stumpf gewordene Sensen. Er griff nach ihnen und löste sie vom Stil; mit gleichmäßigen, wohlabgemessenen Schlägen des Hammers schärfte er den dünnen Stahl.Seine Gedanken aber schweiften weit weg von seinem Tun. Ueber sein eigenes Leben schweiften sie zurück und beharrten bei den Gedanken vom Werden und Vergehen. Wie Kinderdinge und Kindergedanken erschien ihm, was er einstmals erstrebt hatte;, Mann war er geworden, seit er zum erstenmal auf diesem harten Stein saß; seit damals hatte sein Leben Inhalt und Wert bekommen ...Doch als er aufsah, vermißte er, daß nicht mit hochgetragenem Kopf eine schlanke Frau vom Brunnen über die Hofstatt schritt!

Mit einer schmerzhaften Bewegung der Achseln 03 []weitete Diethelm Josephus seine Brust. Ein Seufzer stieg aus ihr; das war nun dahin. Als suchte sein Sinn im allgemeinen Jammer einen Trost,regte sich der Unterton jeden Denkens dieser Zeiten in ihm, da er doch die Sensen schärfte: daß heute so viel fallen, wie die Gräser unter der geschwungenen Schneide des Mähders ...

Vor ihm stand breit und stattlich der Baum,der während des Sterbens seiner Liebsten die Blüten verloren hatte: ein leichter Schnee von rötlichen Blütenblättern, manche im Welken schon verfärbt, lag unter der weit ausladenden Krone. Als er aber mit prüfendem Bauernblick die Augen hob,sah er schwellende Fruchtknoten, werdende Ernte verkündend. Die Blüten waren gestorben, daß die werdende Frucht ihren Raum und ihr Recht hätte.Der Sinn des Vergehens in der Natur ging ihm wie vor Seheraugen auf; nichts stirbt in ihr; nur neues Werden ist ihr der Tod.

Diethelm Josephus Fenner besann sich seines Kindes das war das Werden!

Er segnete sein Bauernwesen, das ihm solche Erkenntnis von Vergehen, von Sein und Werden gab. Und wenn sein eigenes Leid und wenn die innere Zeitunruhe in den einsamen langen Tagen der nächsten Wochen ihn bedrängte, da meinte er im Sinne seiner Rose-Frau zu denken, daß er hoffe und ruhig werde:

Menschenblüten sinken und fallen, doch es reifen Früchte, auch in dieser Zeit.33

*⁊[]Nimmer verließ ihn das Gedenken an das letzte Gesicht der Sterbenden: der liebste Mensch auf Erden war ihr ein Abbild des lebendigen Gottes und gab ihr tröstende Gewißheit: ein lebendiger Gott ist.

Ihm war, auch diese Gewißheit sei ein Stück Bauerntum, und still und fromm ward seine Seele ... ohne sich in Vorstellungen oder Dogmen über diesen Gott zu ergehen; nur ruhig und ergeben war sie, und beim Einschlafen des Abends legte der Mann etwa die Hände zusammen wie die Sterbende, und wie er es als Knabe getan hatte und schlief ruhig ergeben ... wie ein Kind.

Sommer ward es und Herbst; zum Zusammenbrechen brachten sie Mühe und Arbeit; Diethelm Josephus ward ihnen nicht als Knecht untertan: er meisterte sie.

Die Zeit entschwand ihm darüber und alles andere, was jenseits der Marchsteine seines Hofes lag.

Fast mußte er sich an das Gewesene besinnen,als eines Tags der Sepp vor ihm in der Stube stand. Mit unbehilflichen Schritten und unsicherer Miene trat der Kriegskrüppel vor ihn: greisenhaft kahl war der breite Schädel über dem durch eine Kinnverletzung spitz gewordenen Gesicht. Nur die Augen hatten das alte, helle Licht; doch auch sie irrten ungewiß zu seinem Gesicht auf, als Dieter,sfich erhebend, den im Kriegselend kleiner Gewordenen um Kopfeslänge überragte.

Wehrlin, Zur Scholle. 20

308 []Wortlos streckte der Meister ihm die Hand hin;der Sepp berührte sie schüchtern. Dann grub er aus der Seitentasche seines verschossenen grauen Gewandes ein Papier und stand so stramm, als er es vermochte: „Mein Kommando hat mich hieher gewiesen ... ich will auch versuchen, was ich schaffen kann. Herr Fenner viel wird's nicht sein; denn von hier weg“ er klopfte sich auf die Stelle, wo einst ein Knie war „ist alles Holz und Leder und Eisenstäbe ...!“

Diethelm Josephus rückte einen Stuhl am Tisch zurecht: „Ihr werdet Hunger haben!“ Er ging hinaus und überließ es der Mutter Fenner, den ihr unerwarteten Gast zu bewirten: „Er wird bei uns bleiben, wenn es dir recht ist“, sagte er, „das Röslein hat es noch so gewünscht; sie meinte, der Sepp sei doch immer eine treue Seele gewesen; er kann zum mindesten zum Buben sorgen, wenn wir auf dem Feld sind ...“ Sie nahm es als fertigen Ratschlag und war nach der Art alter Frauen fremder Kunde gierig. Der Witwer aber war dessen froh,daß sie dem Wiederkehrenden Kunde gab von den Geschehnissen auf Grund und Hofstatt. Er ging auf seine Stube.

Am frühen Morgen traf er den Kriegskrüppel auf der Hofstatt hinstapfen; wieder stellte sich dieser stramm. Diethelm Josephus runzelte die Stirn:„Laßt das, Sepp!“ Der andere aber berichtete, er hätte angefangen, im Stall rein zu machen; das erste Futter sei in die Krippe gereicht; auch mit dem 206 []Stelzbein lasse sich soweit bauern ... So redete er, halb glückselig, halb bettelnd um Gewährung dieses bescheidenen Glücksgefühls. Ihm mit einem Lächeln zu begegnen, schien dem Bauern Pflicht.

Noch vor dem Frühstück, mit wenig Sätzen verstanden sich die Männer, wie ihr Leben sich nun gestalten würde; in drei Mal Hin- und Widerrede regelten sie ihr künftiges Verhältnis: Ein Knechtlein, wie einst, wollte der Sepp sein. „... Ich hab'manchmal im Feld unter Schmerzen an die schöne Schweizerzeit gedacht: wie ich damals noch schaffen und werken konnte. Doch jetzt wird's schon gut sein,wenn Sie Geduld haben mit einem Krüppel, Herr Fenner. Die Flausen habe ich freilich abgetan im Schützengraben, und als ich vierzig Stunden lebendigen Leibs unterm Schutt begraben war. Da lernt man an einen Herrgott glauben und beten;damals hab' ich gebetet, daß ich wieder auf dem Sennhof schaffen dürfe, Sie können mir's glauben,Herr Fenner ...!“ Aus schreckender Erinnerung an Todesleid in die Gewißheit neu ersprießenden hellen Lebens blickend, wurden die Augen des Kriegskrüppels feucht.

Und am selben Tage erlebte Diethelm Josephus Fenner ein Gleiches.

Die Großmutter hatte seinen Knaben in den Garten getragen; vor den Fenstern der Stube saß fie, wo der breite Apfelbaum grünen Schatten spendete. Sie hielt das Kind im Arm. Vor ihm versuchte der Sepp, sich selber als großes Kind ge20*

707 []bärdend, die rotgeränderte Mütze ins Genick geschoben, allerlei Mätzchen.

„Dieter, der Heini lacht! Schau nur her ...“sagte die Frau zum Nähertretenden.

Und nun schmeichelte und plauderte der Invalide dem Kinde zu. Eine schmerzlich komische Grimasse im verunstalteten Gesicht erschien sein eigenes Lachen; aber kindliche Dankbarkeit des Daseins blitzte aus den hellen Aeuglein. Ihr Schein mußte es dem Kinde antun; es zuckte wieder in seinem Gesicht, ohne Ausdruck, fast schmerzlich erst,und dann ward dieser leise Schein zur hellen Gewißheit der Freude einer träumend erwachenden Seele: Das Kindlein lachte abermals.

Zum erstenmal sah Diethelm Josephus seinen Buben lachen; ein Jungbad erfrischte sein müdes Herz.

Aber zugleich sprach die alte Frau mit einem Seufzer aus, was ihm unbewußt in der Seele lag:„Wenn es das Röslein sehen könnte ...!“

Alle drei wurden ernsthaft. Mit einem scheuen Blick als hätte er nicht das Recht des Hierseins,stapfte der Kriegskrüppel davon, und die Frau, ihr Wort bereuend, schwieg beklommen. Diethelm Josephus hob den Kopf und biß auf die Zähne, damit ihm nicht eine unmännliche Träne über die Wange laufe. Er hob die Augen und sah über sich den früchtevollen Baum. Im Husch kam ihm die Erinnerung an fallende Blütenblätter. Nun aber 308 []prangten volle rotglänzende Früchte zu seinen Häupten, und unterm blauen Himmelsdach breitete sich vor ihm weit und segensvoll das Land seiner Sorge aus, freudig, früchtereich!

„»Gib mir das Kindl“ sagte er zur Großmutter;er faßte es scheu und sorglich, als könnte er die zarten Gliedlein brechen und wieder zuckte jenes unbewußte Kinderlächeln zum Gesicht des Mannes auf.

Er barg das Bündelein Leben an seiner Brust,und sachte kauerte er auf den niedern Hock eines Baumstocks, die Füße breit verankernd auf der Scholle seiner Väter, und sah sinnend hinaus über ihr. über se in Bauernland ..

Als er sich wiederum zum Knaben wandte, da schien er die Händlein nach ihm auszustrecken, und zum drittenmal lachte der junge Heini Fenner unter dem früchtevollen, weitgeästeten Baum, von wo sich ein fröhlich Schauen auftat über das weite Bauernland, über einen Segen Gottes ...

Der Platz unter dem Baume wurde der Sinnensitz für den Sennhofbauer und sein Kind ihm dort Genosse mancher stillen, gedankenvollen Stunde.

Dort holten ihn seine Leute. als eines Abends zwei Stadtherren auf der Hofstatt anfuhren und ihm dann lange zuredeten. Eindringlich, wie einem schlechten Haushalter in seinen Dingen der eine;

35

9 []das war sein Bankmann, und Dieter gab ihm in manchen Dingen recht. Um seine Interessen in der Stadt hatte er sich sträflich wenig mehr bekümmert. Es war wohl weniger das Gefühl, daß jene Dinge einen mählich sicherern Weg gingen wie ihm wiederkehrende Berichte kündeten als ein Widerwille gegen sie und gegen die Versuchung,durch sie aus dem wiedergefundenen gewissen Erdreich entwurzelt zu werden. Der andre Sprecher aus der Stadt aber versuchte ihn wirklich: einen Namen, seinen Namen müßten sie haben für das umzuformende Geschäft, das noch zum Teil seinen Namen trug und dessen Grund und Boden ihm verschrieben war aus der mühsamen Zusammenhaltung des niedergebrochenen einstigen Geschäftes. Glänzende Aussichten malte der Mann hin und belegte sie mit Zahlen: Der Krieg bringe Geld, wenn man sich in den Dienst des Krieges stelle; Kriegsmaschinen braucht die heutige Zeit;wer das verstehe, verstehe auch die Zeit als Geschäftsmann! So redete er zu. Warum nicht zugreifen, wenn der Reichtum winkt... Mit gleißenden Worten entwickelten die beiden den Plan, zu dem die Grundlage bereits vorhanden war: An allerlei Kriegslieferungen ließen sich Hunderttausende verdienen nur der Mann muß her, der den Namen gibt und der leitend, beaufsichtigend zum Rechten sieht. Das aber wäre er, Herr Diethelm Josephus Fenner, jetzt schon Hauptbeteiligter am kleinen Geschäft. „Sagen Sie

*⁊[]ja, Herr Fenner, und dauert der Krieg zwei weitere Jahre, sind Sie ein sorgenfreier, schwerreicher Mann wozu sich mit dem einfältigen Bauern plagen, wenn man's so haben kann ...“ So redete der Mann.

Sie saßen am langen Tisch in der Stube, wo vor den offenen Fenstern die roten Geranien nickten. Ein Abendsonnenschein lag überm Garten,und hell sah man hinaus auf die Flur. Diethelm Josephus besann sich, und leise Erinnerungen stiegen auf an eine längst entschwundene, empfindsame Zeit voll feiner Genüsse, an die Zeit der städtischen Jünglingsjahre. Ein Schatten fiel durchs Fenster.Der Sepp, der Kriegskrüppel, stapfte vorüber mit seinem mühseligen Hinkegang, und wie ihn nun die Sonne belichtete, erschien seine RNarbe am Kinn als eine brandige rote Wunde und der halbe Kopf ihm weggerissen.

„... Kriegsmaschinen!“ Das Wort lag in Diethelm Josephus' Ohr. Ihm graute. Anwillkürlich schaute er in die Ecke der Ruhebank, wo vor einem halben Jahr seine kluge Frau vom Kriegen geredet hatte. Aber so konnte er sie sich jetzt nicht vorstellen, wie sie damals dasaß. Ein fiebrig bleiches Gesicht, weitoffene Augen hatte er vor sich, und eine Stimme klang in ihm wieder: „Du, Dieter, ich glaube. der liebe Gott sieht aus wie du ...“

... Er. Ebenbild Gottes und KriegsmaschinenErbauer? schoß ihm durch den Kopf.Ihm war. als höre er sich grell auflachen, während 311 []die beiden Stadtherren eifrig weiterredeten, ihr Plan sei wohl überlegt und nur sein eigener, gutüberdachter Vorteil ... Mit einem kurzen Bescheid der Zusage einer Bedenkzeit und Ausstcht auf ein „Nein“ verließen sie den Sennhof.

„Hoffnungslos verbauert!“ sagte der eine auf der Heimfahrt, und der andere erwiderte: „Er war immer ein Querkopf und Sonderling ... wenn der Bauer im Grunde nicht gescheiter ist als wir alle!“Der Bankherr wiegte den Kopf und tat sich zugut darauf, daß er ein Lebenskenner sei.

Diethelm Josephus Fenner hatte die Herren auf die Hofstatt begleitet und ihnen sinnend nachgesehen. Er war innerlich unwirsch.

Nun lief ihm noch der Landschreiber über den Weg. Scheinbar zufällig kam er die Straße einhergegangen mit den raschen Schritten eines Vielbeschäftigten und grüßte allzu freundlich. Doch hatte Dieter in den Geschäften der Hofübernahme und allerlei Gültenablösungen von ihm als einem gegen den Unabhängigen gefälligen und geschäftsraschen Mann bessere Meinung erworben. Er ließ sich's gefallen, daß jener plaudernd stand und wohlgefällig die vollkommene Ordnung vor Haus und Hof beäugte: „Eine schöne Heimat. Herr Fenner!“Es lag etwas Lauerndes im Blick, so daß in Dieter sich ein bäuerlicher Argwohn regte:Von ungefähr folgten sich die beiden Besuche nicht ...!112 []Der Argwohn bohrte in ihm und überwand den Willen, hinterhältig zu sein: „Wollen Sie ihn kaufen, Herr Notar!“

Es klang unwirscher Hohn aus dem Wort, den der andere wohl fühlte: „Den Sennhof kaufen?Herr Fenner, wer das könnte in diesen Zeiten!Unsereiner nicht, der von den Sporteln und Gebühren leben muß, und die Sporteln fließen heutzutage spärlich. .. Den Sennhof kaufen? ...Unsereiner? ... Daß ich nicht lachel!“ Und er begann von gleichgültigen Dingen zu reden, indessen Diethelm Josephus verdrossen Bescheid gab,und kam am Schluß wieder darauf zurück: „Den Sennhof kaufen ... ich wüßt' schon einen Käufer,Herr Fenner, wenn das Gut feil wäre. Warum sollt' es auch nicht zu kaufen sein, Herr Fenner? Ein Stadtherr, wie Sie, wird nicht verbauern wollen. Heute gälte der Hof unter Brüdern mehr als je.“

Diethelm Josephus sagte kein Wort; er drehte sich auf dem Absatz und ließ den Mann stehen. Das „Verbauern“, so verächtlich gesagt, biß ihn im Gemüt, da er doch meinte, überm Bauern ein rechter Mann geworden zu sein.

Zwei Briefe, zwei Absagen, schrieb er an diesem Abend, eine in die Stadt und eine dem Landschreiber; feiner die erste: seine Ansprüche an Grund und Gut der städtischen Unternehmung sei er bereit, zu veräußern, doch wolle er selbst nicht in dem Ding sein, das die Herren damit planten; recht 313 []deutlich die andere: der Landschreiber möge ihn mit Angeboten verschonen.

Das schien ihm mannhaft, so rasch zu entscheiden;doch kamen ihm dann Bedenken, ob er nichts übereile; beide Schreiben barg er ohne Unterschrift im Schreibschrank.

Später, als er schlaflos im Bett darüber dachte,spottete er seiner selbst: „Bist ein rechter Bauer geworden!“ Auch die Rose-Frau hatte es manchmal lachend gesagt. Da war es ihm ein Ruhm gewesen. Und selber hatte er erfunden, es stecke Wahrheit in dem Wort, weil er mit den Schmerzen und der Mühe und den Sorgen der Landschaft verwachsen war, mit den Schmerzen auch ihrer stummen Kreatur. Darum war er wohl ein rechter Bauer geworden. Weil aber eine ehrlich erworbene Müdigkeit in seinen Gliedern steckte, so schlief er über dieser Erkenntnis ein.

Am Morgen ging er durch Haus und Hof, still und nachdenklich. Dann unterzeichnete er die beiden Schreiben, ohne sie nochmals zu lesen, und weil nun der Kleine mit seinem Morgentrunk unterm Baum im Wägelein lag, stellte er sich vor ihn hin und überprüfte sich, ob er recht getan.

Ein Bauer war er geworden, und auf der Scholle seiner Väter wollte er bleiben. Da stand man fest und sicher und konnte ein freier Mann sein.

Ein Bauernbub muß dein Kind aufwachsen, gelobte er sich: In köstlicher Freiheit muß er mit314 []erleben und natürlich verstehen das Sprossen und Blühen und Früchtebringen, das Werden und Vergehen, die Seele, den Schmerz und die Freude der Kreatur den allgewaltigen Hauch einer göttlichen Seele über allem ... Ein Bauernbub ein Teil des Besten, Mark und Kern der Volkskraft!

Und Diethelm Josephus Fenner fühlte, daß er mit diesem Gelöbnis den Willen einer Toten erfüllte:

Ein Mann muß er werden, der stark und sicher auf seiner Väter Scholle steht und wirkt, der sein Volk nährt und dessen Wohlfahrt und Kraft mehrt;ein freier Mann muß er werden. Das aber ist allein der Bauer; Diethelm Josephus Fenner hatte es an sich erfahren, daß er so nur frei geworden war, sich durch Arbeit und durch Schmerz hindurchgerungen hatte zu einem sichern Vertrauen.

Vom Eigenen, vom Kleinen wuchs sein Erkennen auf das Große: Die Summe dessen, was ihm geworden war, seit sein Fuß als der eines wollenden,bewußten Mannes auf diesem Hof seines Geschlechts wieder Boden gefaßt hatte, war das eine Erleben: eben die Umkehr zur Scholle der Väter. Alles andre schien ihm Beiwerk: Die kleinen Kümmernisse um Tier und Arbeit, der große Schmerz des Hinsterbens des liebsten Menschen Werden und Vergehen hatte er verstehen gelernt auf diesem arbeitsamen, mühseligen Weg des Bauernlebens. Dort hatte er sich selbst sein Los zur Männerseite 315 []der Lebenskirche gewählt in Arbeit und in Leiden.

Daß seinen Weg sein ganzes Volk gehen möchte, überkam ihn wie ein Gebet zum höchsten Leiter alles Völkerschicksals; e iner war er darin,doch mußten ihm andere, die Besten, folgen, damit sein Volk und die Menschheit gesunde, und ihre Kraft, ihren Frieden und ihr Vertrauen in den allgewaltigen Weltenlenker suche, wo sie allein zu finden sind: In der Scholle der Heimat!


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TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Zur Scholle. Ein Roman aus diesen Zeiten von Robert Wehrlin: ELTeC Ausgabe. Zur Scholle. Ein Roman aus diesen Zeiten von Robert Wehrlin: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-4706-B