Erstes Rapitel.

Erstes Rapitel.

Die alte Großmutter.

2. Tim. 8, 168. Weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum.Einer jener ersten rauhen Wintertage, an welchen es scheint, als ob es gar nicht recht Tag werden wolle, war angebrochen, und in stürmisch davonfliegenden Schaaren zogen die leichten Schneeflocken aus den Bergen ins weite Land hinaus. Sonntag Morgen war es; in einem Dorfe der nordöstlichen Schweiz saß eine alte Bauersfrau mit runzligem Gesichte einsam in der Wohnstube ihres väterlichen Hauses, indeß alle übrigen Hausgenossen nach altem Brauch in der Kirche das Wort Gottes hörten.Andächtig las sie in der alten Hausbibel, die auf ihren ste aufgeschlagen, daß man sie für ein lebloses Bild hätte halten können, hätte nicht von Zeit zu Zeit ein beifälliges

Zehender, der Leuenhof.[]Nicken ihres Kopfes verrathen, ihre Seele sei mit dem Buche in lebhaftem Gespräche begriffen. In der hellen,geraäumigen Stube war außer ihr kein andres lebendes Wesen zu finden als eine wohlgenährte Katze, welche auf dem Fenstergesimse saß und mit zufriedenem Schnurren den wirbelnden Flocken zusah, wovon einzelne, sobald sie das äußere Fenster berührten, in durchsichtige Wassertropfen sich verwandelten. Ein großer, grüner Ofen sprang weit vor in die Stube; oben war er mit saubern weiß und roth gestreiften Vorhäͤngen umkränzt und an seiner rechten Seite von der Wand der Stube nur durch eine kleine Treppe getrennt, welche zu der großen Essigflasche und andern Geräathschaften führte, die hinter jenen Vorhängen ihren langjährigen Platz behaupteten. Auf der linken Seite gränzte das ehrwürdige grüne Gebaäude an die Thür, welche die angränzende Küche von der großen Wohnstube trennte, ja, um einen schnellern Verkehr zwischen beiden Gemächern herzustellen, war des Ofens Bauart so eingerichtet, daß durch ein kleines Thürchen auf einen Wink der Hausfrau Schüsseln und Teller auf dem kürzesten Wege in die Stube gelangten. Ein solider eichener Tisch, in welchen eine viereckige, geglättete Schieferplatte eingelegt war, stand in solcher Entfernung vom Fenster und der einen Stubenecke, daß die der Wand entlang lauende Bank Demjenigen, welcher sich zu Tische setzen []

wollte, den bequemsten Sitz darbot. Eine alte, in treuem

wollte, den bequemsten Sitz darbot. Eine alte, in treuem Dienste ergraute Schwarzwälder-Uhr mit großgemalten Ziffern, in der entgegengesetzten Stubenecke angebracht,unterbrach mit ihrem deutlich hörbaren Picken regelmäßig die feierliche Sonntagsstille, welche dem alten Mütterchen mit seiner Bibel die liebe Wohnstube, die sonst oft genug von des Werktags Lärm erschallte, zum Gotteshause machte.Sie schien auch wirklich von der köstlichen Stunde des Alleinseins den vollsten Gebrauch machen zu wollen. Es war nicht allein das Bibelwort, was ihre Gedanken beschääftigte, das war auf ihren Zügen deutlich zu lesen; die Sorgen für diese Welt hatten sie noch nicht verlassen und drängten sich trotz der Stille im Hause zwischen die Auf einmal schien sie bei einem Verse stillzustehen; eine besondere Bewegung verrieth sich durch ihre Lippen, die sich geberdeten, als wollten sie reden und doch keinen vernehmlichen Laut hervorbrachten; endlich aber schien sie sich nicht mehr halten zu köönnen und las mit besonderm Nachdruck den Spruch: Schicket euch in die Zeit, denn es ist böse Zeit, und wiederholte denselben mehrmals mit bedeutsamem Kopfnicken. Und nachdem sie zuerst wie erschrocken sich umgesehen, ob Niemand sie beobachte, überließ sie sich folgendem Selbstgespräch, das sie vielleicht schon manchmal wider Willen in ihre Seele hatte zurückpressen müssen.[]„Ja, es ist böse Zeit, das ist wahr; aber schwer ist es,sich darein zu schicken! Wenn die guten alten Sitten so ganz und gar zu Grunde gehen, wenn damit die Gottesfurcht und die Frömmigkeit und das Bibellesen auch von Jahr zu Jahr abnimmt, muß man sich denn in alles dieß schicken? Mit Noth habe ich heute das übermüthige junge Volk, das hoffärtige Liseli mein' ich dabei besonders, dazu gebracht, daß sie wieder einmal in die Kirche giengen.Du liebe Zeit, wieviel weltliche Gedanken stecken heutzutage der Jugend schon so früh im Kopf! Da ist unsre ehrbare alte Tracht lange nicht mehr schön genug; Alles sollte seyn, wie ste's in Zürich sehen an den Herrenleuten,und wenn so ein Jüngferchen jetzt nicht von Seide glänzt,so gilt es schon nichts mehr. Das haben uns die Fabriken ins Land gebracht; Gott Lob, daß man von ihnen noch nichts gewußt hat, als ich jung war. Wohl hatte ich keine hoffärtigen Kleider und selten ein wenig baares Geld;aber sauber und nett kam ich doch in dem selbstgepflanzten,selbstgesponnenen und selbstgebleichten Tuch und war gewiß nicht weniger fröhlich, als man's jetzt ist und bildete mir auch etwas drauf ein, wenn ich im Sonntagsstaat an den jungen Burschen vorübergieng. Aber in einer Viertelstunde war ich fertig mit meinem ganzen Sonntagsputz; und unser Liseli, das Gänschen, steht eine ganze Stunde vor dem Spiegel, bis es alle seine neumodigen []e

Narretheien sich angehängt hat, und wenn man meint,es sei fertig, so hat es doch noch vergessen, den Schuh zu binden, oder weiß nicht, wo's sein Gesangbuch suchen soll,ja, das wird mir dann eine schöne Andacht geben in der Kirche! Aber was hilft das Reden, und wenn man's auch noch so gut meint; die Welt ist einmal eine ganz andre geworden, als sie war zu unsrer Zeit, und die alte Großmutter hört man jetzt nicht mehr gern drein reden.Da klag' ich's dann manchmal meinem lieben alten Bibelbuchz das versteht mich besser als die jetzige Welt, und das ist nicht anders geworden und wird nicht anders werden, wenn man auch die ganze Welt auf den Kopf stellt. Das redet immer noch die altetreuherzige Sprache, ernsthaft und zum Erschrecken, wo's nöthig ist, aber auch wieder liebreich,frisch und fröhlich ans Herz des reuigen Sünders, und ob Berge weichen und Hügel hinfallen, ob Himmel und Erde vergehen, diese Worte werden nicht vergehen. Das bricht mir manchmal schier das Herz, wenn ich so oft hören muß von den übermüthigen jungen Leuten, die ab und zugehen in unserm Haus, die Weisheit der Bibel, die sei jetzt veraltet,die brauche man nicht mehr, ohne die könne man's schon machen, da seien nichts als langweilige und alberne Dinge drinn. Mein Gott! wenn mein seliger Vater ein solches Wort gehört hätte, er hätte dergleichen luftigen Gesellen auf der Stelle gezeigt, wo der Zimmermann das Loch ge [2] macht habe, und es gab eine Zeit, wo ich steif und fest geglaubt hätte, unser Herrgott würdebei einem solchen Lästerwort sogleich einen Blitzstrahl vom Himmel herabsenden und den Lästerer vertilgen. Aber so gehts! Man gewöhnt sich an Alles. Freilich weh thut's mir doch, aber ich weiß,der Herr wird solche Sünden nicht ungestraft lassen. Fast glaub' ich, er wird durch seine Gerichte das jetzige Geschlecht zwingen, wieder in der Bibel einzukehren; man wird einst froh sein drüber, daß man nur ein solches Trostwort noch hat, und drum will ich mich doch die Mühe nicht reuen lassen, es meinen Kindern und Enkeln immer wieder ans Herz zu legen; wenn stie auch lachen über die gräͤmliche Großmutter, ste werden mir's noch danken,wenn ich längst unter dem Boden bin. Aber nun können sie jeden Augenblick aus der Kirche kommen und werden nicht wenig gefroren haben bei diesem rauhen Wetter;dann thut's gut, wenn sie bald etwas Warmes bekommen.Drum will ich, so gut ich's noch kann, den Tisch decken und nachsehen, ob das Fleisch im Kessel genug gekocht hat, damit sie, wenn sie kommen, ohne Weiteres an den vollen Tisch sitzen köünnen und sehen, daß man die alte Großmutter auch noch zu Etwas brauchen kann!“

Und nun legte sie die Bibel sorgsam an ihren Ort auf das hohe Gesims über der Wand, öffnete Kasten und Schubladen, breitete ein sauberes, blendend weißes Tisch[]tuch über den Tisch, legte Bestecke und Teller an die verschiedenen Plätze, stellte Stühle an die der Wand entgegengesetzte Seite des Tisches und schaute während dieses Geschäftes ungeduldig zu wiederholten Malen in das Schneegestöber hinaus, ob sie die Leute noch nicht vorüberwandeln sehe, die aus der Kirche nach Hause giengen.

Zweites Rapites.

Das Gespräch nach der Kirche.

Wenn du der Sünde den kleinen Finger gibst, so faßt sie bald deine ganze Hand.Endlich zogen die Schaaren der Kirchgänger, theils mit Regenschirmen, theils mit Schürzen gegen des Schneesturmes Heftigkeit sich vertheidigend, eilig am Hause vorüber. Die Hausthür öͤffnete sich, Vater und Sohn schüttelten auf der Flur den Schnee von ihren Röcken und ihren naäͤgelbeschlagenen Stiefeln, so daß die kräftigen Tritte weithin erschallten. Mutter und Tochter kamen, unter des Hauses einzigen Regenschirm geduckt, alsbald auch zur Hausthür herein und halfen unter Ausrufen des Er[]staunens über dieß abscheuliche Wetter den Männern an dem Werke ihrer Schneereinigung. Da öffnete die Großmutter ungeduldig die Stubenthür und rief ihnen entgegen: „So macht doch, daß ihr endlich hereinkommt! Ich glaubte schon vor einer Viertelstunde, ihr müßtet da sein,und immer giengs länger und länger. Trocknet euch nun schnell und wärmt euch am Ofen, und dann soll ein kräftiges Süppchen euch erquicken.“

„Ja, ich konnt' es heute nicht erwarten,“ sagte der Sohn Melchior, gewöhnlich Melcher genannt, mit etwas rauher Betonung, „bis unser langweiliger Pfarrer sein Amen sagte; er konnte heute auch gar nicht fertig werden und hätt' es doch allen Gesichtern ansehen können, daß man allgemein wünschte, aus der unvernünftig kalten Kirche so schnell als möglich wieder nach Hause zu kommen. Nein,Großmutter, das war nun wieder für lange Zeit das erste und das letzte Mal, daß du mich in die Kirche bringst!“

„Und ich habe auch keinen großen Appetit nach mehr bekommen,“ fiel sogleich mit spöttischem Tone die mehr städtisch als bäurisch aufgeputzte Tochter, das Liseli, ein;„wenn da der Pfarrer so Wort für Wort von der Kanzel herabredet, als wäre Alles nur auf Eines gemünzt, da erleidet es unser Einem, ihm zuzuhören. Es haben alle Menschen ihre Fehler und unser Pfarrer auch ; warum will er denn, so oft ich in die Kirche komme, immer das gleiche []se

Geleier bringen von der Hoffahrt und der Weltlust und von der verloren gegangenen Einfachheit! Das weiß ich Alles schon lang; die Großmutter predigt mir's genug;wenn ich doch nichts Andres zu hören bekomme, so ist's besser, ich bleibe zu Haus und lese ein schoöͤönes Buch.“

„Haltet euer ungewaschenes Maul, ihr meisterlosen Kinder,“ rief jetzt mit gebieterischem Tone der Vater zwischen sie herein, „ihr sollt mir den schönen Sonntag nicht verderben durch eure naseweisen Reden; ein Wort zu seiner Zeit war's, was uuser Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer heut gesprochen hat; freilich hat er gerade das junge Volk von eurem Schlag meisterlich gezeichnet, und das dank' ich ihm, und ihr hättet fürwahr eher Ursache, ein bischen eure Augen niederzuschlagen, als so unverschämt eurer Spottlust und eurem Uebermuth freien Lauf zu lassen. Geh,Melcher, damit dein heißer Kopf sich etwas abkühle, und gib dem Vieh sein Futter, noch bevor wir an den Tisch sitzen, und du, Liseli, machst, daß mir so bald als möglich deine neumodige Haube aus den Augen kommt, die mich während der ganzen Predigt geärgert hat; wenn ich sie auf hundert Schritt weit noch einmal irgendwo sehe, so muß sie ins Feuer, das geb' ich dir schriftlich, wenn du's verlangst, und beide denkt ein wenig über eure albernen Reden nach, dann wollen wir, wenn ihr wiederkommt,noch ein vernünftig Wörtchen mit einander reden.“[10]Beide merkten am Tone des Vaters, daß es Ernst gelte: Liseli schlich sich beschänt und hochroth bis an die Ohren in seine Kammer hinauf und verbarg die unglückliche Haube im hintersten Winkel ihres Schranks; der derbe Melcher brachte zwar auch keine Widerrede mehr über seine Lippen, aber mit deutlich hörbarem Brummen suchte er die Thür, ließ beim Herausgehen seinen ganzen Zorn an ihr aus, so daß das Haus erdröhnte, als er sie zuwarf, und auch das Vieh im Stall bekam wenig gute Worte; doch that er, wie ihm besohlen war, weil sich nicht spaßen ließ, wenn der Vater mit solchem Ton seinen Willen aussprach.

In der Stube hatte die Großmutter sogleich von dem vorgefallenen Auftritt Veranlassung genommen, ihrem Sohne, einem Bauersmann im kräftigsten Alter, das klagenreiche Herz auszuschütten, ungefähr in der Weise, wie sie's schon allein in ihrem Selbstgespräch gethan hatte.Dieser ließ sie nach seiner Art reden, so lange ste wollte;er hatte das Gleiche schon hundertmal gehört, zog gemächlich seinen Sonntagsrock aus, holte aus dem Schranke sein kurzes Pfeifchen und den Schwarzwälder-Tabak,stopfte es und, als er's angezündet, sette er sich neben seine Mutter auf die Ofenbank, als wollte er jetzt erst recht in Ruh ihrem unerschöpflichen Gespräch zuhbren.Als dieses aber endlich darauf hinauslief, er sollte doch []J einmal als ein guter Hausvater seinen Kindern, nicht im Zorn, denn das erbittere nur, sondern in Liebe und Freundlichkeit vorhalten, wie ihr leichtfertiges und übermüthiges Wesen seit einiger Zeit ihm gar nicht gefalle,und wo's eigentlich bei ihnen fehle, und wie's besser werden könne, da nahm er nach einigen kräftigen Zügen das Pfeifchen aus dem Mund, besann sich eine Weile und sagte dann entschlossen: „Ja, Mutier, du hast recht, und jetzt ist eben die rechte Zeit dazu. Die heutige Predigt hat mich auch daran gemahnt und mir gerade die rechten Gedanken eingegeben; sobald das Liseli und der Melcher wieder da sind, so will ich ihnen meine Meinung sagen; vielleicht nehmen sie doch etwas an, wenn sie sehen, daß es aus warmem Vaterherzen kommt.“

Der Sohn war nämlich vor kurzer Zeit in der neu errichteten Baumwollenfabrik des Dorfes als Aufseher angestellt worden, hatte mit der Aussicht auf großen Lohn die ländliche Beschäftigung des Vaters verlassen und verdiente sich nun ohne große Anstrengung ziemlich viel baares Geld. Ganz nach Wunsch war es ihm aber bei seiner Anstellung nicht gegangen; er hatte sich für eine noch einträglichere Stelle befähigt gehalten, und diese erhielt nun ein Anderer. Das machte ihn mit seiner bei sparsamem Sinn recht vortheilhaften Stellung unzufrieden. Zudem hatte er theils durch das viele baare Geld in der Tasche, [127] theils durch seine Arbeitsgenossen in der Baumwollenfabrik viele neue Bedürfnisse kennen gelernt: er war mit D Pfeife wurden nach neuer Mode Cigarren geraucht; nach abgelaufener Arbeitszeit begab man sich oft noch bis spät in die Nacht in eine Schenke, und an Sonntagen nahmen den Neuling seine vergnügungssüchtigen Freunde mit sich in das nur wenige Stunden entfernte Zürich, wo ihm dann bald eine Mütze, bald ein Hut, bald eine neue Weste,bald ein eleganter Spazierstock so in die Augen stach, daß er sein Geld dranwagte und dann meist mit leerer Tasche,aber um so eingebildeterem Sinn aus der Hauptstadt zurückkam. Um aber ein solches Leben auf die Länge durchzuführen, dazu reichte sein Verdienst doch nicht hin, und so nistete sich bald mit der steigenden Menge von Bedürfnissen die Unzufriedenheit in seinem Herzen ein und der Neid gegen Diejenigen, welche Geld genug hätten, um sich Alles zu verschaffen, was ste nur wünschten und dabei nicht wie er den ganzen lieben Tag lang den Staub der Fabrik einschlucken müßten. Bald lernte er's auch Andern nachsagen, die Welt sei eigentlich ungerecht eingerichtet; es sollten nicht die Einen ihr Brod so sauer verdienen müssen, während die Andern, ohne einen Finger zur Arbeit zu rühren, in Saus und Braus leben könnten, und er war auf dem Sprung, auch jener Behauptung zuzustim [13] men, die bisweilen in seiner Umgebung geäußert wurde, vor der er aber stets innerlich noch geschaudert hatte, es herrsche eigentlich gar kein Gott in der Welt, und drum sey jeder Mensch auf seinen Verstand angewiesen, müsse mit diesem suchen ünd brauche es mit dem Gewissen und mit Recht und Unrecht nicht so genau zu nehmen. Bei solchen Gedanken war es zu begreifen, daß er auf die Kirche nicht mehr viel gab, daß er der alten Großmutter Worte in den Wind schlug, ja, daß es ihn oft juckte, über religiöse Dinge in leichtfertigem, spöttischem Tone zu sprechen, selbst in Gegenwart des ehrenfesten, kernfrommen Vaters. Dieser hatte auch zu der Berufsänderung seines Sohnes sehr ungern seine Einwilligung gegeben; obwohl er sich keine klare Rechenschaft drüber geben konnte, so witterte er doch von den Maschinen nichts Gutes für die ganze Gemeinde;auch hatte er Felder genug, die bei fleißiger Bearbeitung zwei Familien hätten nähren können. Aber da der Sohn keine große Lust zeigte an der sauren Arbeit des Landmanns, dagegen auf die gute und sichere Einnahme hinweisen konnte, welche die Fabrik ihm versprach, so wußte er gegen des Sohnes Entschluß nichts Triftiges einzuwenden, obwohl ihm dann manchmal sich das Herz im Leibe fast umkehrte bei dem Gedanken, daß, während seine Vorfahren seit Menschengedenken als freie Landleute

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F fröhlich den Pflug durch die heimische Erde geführt hätten,sein einziger Sohn nun den so schönen und mannigfaltigen Beruf in Gottes freier Luft mit dem einförmigen, mehr entnervenden als stärkenden Geschäft im Dienste der Fabrik vertauscht habe. Mehr, als was er befürchtet hatte,war nun eingetroffen: der Sohn war in Gefahr, duch den einfachen, kräftig frommen Sinn des väͤterlichen Hauses zu verlieren.

Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Fabrikarbeit überhaupt den Menschen nothwendig ins Verderben führen und ihm den einfachen und frommen Sinn rauben müsse.Vielmehr ist es gewiß nicht von ungefähr gekommen, sondern der liebe Gott hat es so gefügt, daß in unserm Vaterland bei der immer zunehmenden Bevölkerung, die sich lange nicht hinreichend vom Landbau erhalten könnte, viele Hande durch die Arbeit in den Fabriken das tägliche Brod exwerben können; hätten wir diesen Erwerbszweig nicht,wie Viele wären brodlos! Aber es ist nicht zu läugnen,daß mit dem Fabrikleben viele große Gefahren verbunden sind, die früher unbekannt waren, daß der regelmäßige Erwerb von baarem Geld bei Manchen zur Versuchung wird, viel auf einmal auszugeben, sich an unnöthige Bedürfnisse zu gewöhnen und ohne Rücksicht auf die Zukunft in den Tag hineinzulebenz noch weniger ist zu läugnen,daß für Kinder das Arbeiten in den Fabriken nur als ein

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43 nothwendiges Uebel angesehen werden kann. Darum haben es Diejenigen, welche auf den Verdienst in den Fabriken angewiesen sind, doppelt nöthig, jenen Versuchungen gegenüber einen sparsamen, züchtigen und frommen Sinn zu bewahren, wenn sie nicht darin untergehen wollen, und'für alle christliche Menschenfreunde ist es eine ernste, schwere, noch lange nicht genug geloste Aufgabe,solchen Sinn in jenen Volksklassen zu wecken und zu pflegen und jenen sittlichen Gefahren möglichst vorzubeugen. Aber Jeder, der die freie Wahl hat zwischen Fabrikarbeit und dem Anbau von eigenem Grund und Boden,thut gewiß weitaus besser und schafft sich ein befriedigenderes Lebensloos, wenn er des Landmanns schönen Beruf erwählt; denn bei allem Schweiße seines Angesichts steht der Landmann doch in mancher Beziehung als der freiste und selbstständigste Mann da.

Auch das Liseli war auf aäͤhnlichen Wegen. Es hätte von Natur eine leichte und geschickte Hand; Alles, was es angriff, gelang ihm; die Arbeit war ihm ein Spiel;es blieb dabei immer fröhlich und heiter, mochte es die Kühe melken, oder das Butterfaß rühren, die Hühner füttern, oder den Stall fegen, immer sang es eine frohe Weise vor sich hin; auch war es schlank und zierlich gewachsen und blühte wie eine Rose, und sein heitres Wesen gewann ihm Jung und Alt. Die Mutter war nicht wenig [16] stolz auf ihre Tochter, die man ihr von allen Seiten rühmte,und sprach unvorsichtig viel davon in ihrer Gegenwart,so sehr sich auch der Vater drüber ärgerte, ja sie hatte eine närrische Freude, wenn dem Liseli ein neues Mieder so gut saß, und sparte ihm heimlich manchmal ein Stück Geld zusammen, um ihm am Jahrmarkt ein schönes Halstuch u. dgl. zu kaufen. Wie hätte es da am Putz nicht Gefallen haben sollen! Die Großmutter aber schüttelte den Kopf dazu. Nun war im Dorfe die Seidenindustrie eingeführt wordenʒ eine geschickte Arbeiterin konnte durch Seidenweben weit mehr verdienen, als bei der angestrengtesten Arbeit mit Landbau und Hausgeschäften; man brauchte nicht in eine Fabrik zu gehen, sondern konnte den Webstuhl zu Hause aufstellen; viele Gefahren des Fabriklebens waren also damit vermieden. Die Einführung dieser Industrie war wirklich für viele Haushaltungen eine große Wohlthat;es war dadurch Gelegenheit gegeben, die müßigen Stunden zu Hause mit einer einträglichen und angenehmen Arbeit auszufüllen; fleißige und geschickte Hände konnten es bald zu hohem Taglohne bringen, und bei Ordnung und Sparsamkeit stieg der Wohlstand eines Hauses, ja einer ganzen Gegend durch den reichlichen Erwerb ungewöhnlich schnell.Aber, da für den Menschen nichts schwerer ist, als das Glück und gute Tage zu ertragen, so konnte der neue Verdienst statt Segen und Wohlstand ebenso gut Eitelkeit,

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Hoffahrt und Verschwendung bringen, wie alle Dinge,auch die edelsten und heiligsten, durch die Sünde in unsern Händen gerade zum Gegentheil von Dem ausschlagen,wozu sie uns von Gott in der besten Absicht gegeben sind.Viele Mädchen im Dorfe ergriffen die Gelegenheit,auf diese angenehme Weise ihr Brod zu verdienen und vom Verdienste noch manchen Franken zurückzulegen.Auch Liseli mit seiner geschickten Hand wurde aufgefordert,es zu versuchen; wieder konnte der Vater ein Mißtrauen nicht unterdrücken; er meinte, es müsse doch mehr Segen sein in dem, was man auf natürliche Weise durch Saat und Ernte gewinne, es komme viel eher aus Gottes Hand aber das allgemeine Beispiel war stärker, und Liseli fing auch an, eifrig Seide zu weben. Die neue Arbeit ging ihm so leicht und schnell aus der Hand, daß Jedermann sich verwunderte, und das Gewebe fiel so schön und tadellos aus, daß ihm bald unter allen Seideweberinnen im Dorfe der höchste Lohn bezahlt wurde. Die Mutter hatte eine unsägliche Freude darüber und erhob die Tochter fast bis in den Himmel; der Vater schüttelte den Kopf dazu.Das viele Geld verdrehte auch alsbald dem Liseli seine bisher so einfachen und gesunden Gedanken; bisher hatte es selten dran gedacht, daß es so hübsch sei; jetzt aber studirte es darüber nach, welche Farbe ihm am besten stehe, welches Haargeflecht, welche Haube, welcher Schnitt Zehender, der Leuenhof. 2 [18] am besten zu seiner Figur passe. Das erste neue Stück Anzug, welches es kaufte, machte das zweite und dritte 0 oder der Mutter Händen kam, sondern selbst erworben war, so steckten die neuen Kleider das noch nicht charakterfeste Liseli mit dem Gift des Hochmuthes an; es dachte,nun stehe es auf eigenen Füßen, nun hätten ihm Vater und Mutter nicht mehr viel zu befehlen; denn Nahrung und Kleidung erwerbe es sich ja selbst, und im Uebrigen helfe ihm sein Verstand. Und während es ihm früher seine höchste Freude gewesen war, am Sonntag Abend zu einem Vetter oder einer Base in die „Stubete“ (Abendgesellschaft) zu gehen, wo sich noch andere Töchter und junge Bursche einfanden und der Abend auf ehrbare Weise in heitern Gespraäͤchen und Spielen zugebracht wurde, so war ihm jetzt bald nichts mehr kurzweilig und unterhaltend genug im väterlichen Hause und in dem altgewohnten Kreise, es wollte darüber hinaus, es wünschte sich rauschendere, aufregendere Belustigungen, wie sie ihm von denen beschrieben wurden, die schon laäͤnger das Seidengeschäft betrieben, aber auch, durch ihren reichen Erwerb verlockt, in der Kleidung und im Leben mehr Aufwand gemacht hatten. Bei manchen derselben galt der Grundsatz: Man muß das Leben genießen, so lange man jung ist, und man ist nicht immer jung; was hat man []denn sonst auf dieser Welt, wenn man in der Jugend sich nicht lustig macht! Und zu Liseli insbesondere sagten sie in verschiedener Weise ungefähr so: Wär' ich, wie du, so jung und hübsch, so flink und allenthalben gerne gesehen,und hätte dabei einen so schönen Verdienst, ich würde nicht immer so überbrav zu Hause sitzen, ich würde die Jugend anders genießen! Damit war ein neues Gift dem Herzen Liselis eingetröpfelt; wo es konnte in unbewachter Stunde, entschlüpfte es der Stille des väterlichen Hauses und ging den noch unbekannten Genüssen und Freuden nach, welche ihm seine Lehrmeisterinnen im Leichtsinn anpriesen und zeigten; war irgendwo Jahrmarkt oder Tanz,so kam es später als sonst nach Haus, stand vorher Stundenlang vor den Spiegel, bis es sich selber recht gefiel,glaubte, nun werde es auch bei Andern Aufsehen machen,und sah dann dafür am andern Morgen um so verstörter und launischer aus, und immer mehr schwand der natürliche Frohsinn, der früher auf sein ganzes Wesen einen so lieblichen Schein geworfen hatte. Mit Verachtung sah es auf den Haushalt seiner Eltern; alles schien ihm zu altmodisch und zu einfach; damit beging es zuerst in Gedanken und dann in Worten und Werken manche Sünde gegen jenes ernste Gebot: Ehre Vater und Mutter! und an den himmlischen Vater dachte es auch nicht mehr ernst[20]lich. An Allem war das Geld Schuld; das hatte sein Herz im Leichtsinn gefangen.

Durch Alles dieß hatte sich beim Vater ein Strom von Aerger, Unwillen und Kummer angesammelt; einmal mußte er losbrechen; jetzt schien dazu die Zeit gekommen;durch des Predigers Mund hatte Gott zu dem bekümmerten Vaterherzen gesprochen und ihm die rechten Worte eingegeben.

„Sag' kein Wort weder zum Melcher noch zum Liseli,wenn sie wieder in die Stube kommen,“ sagte der Bauersmann, indem er aufstand von der Ofenbank und mit tief ernstem Gesicht an den Tisch trat, zu der Großmutter.„Und du auch nicht, Frau,“ sagte er zu der Hausmutter,die eben die dampfende Suppenschüssel aus der Küche sen haben, so will ich dann einmal den ungerathenen Kindern in allem Ernst meine Meinung heraussagen und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen, und sie fragen,ob sie auf diesem Weg fortfahren wollen und in ihr eigenes Verderben rennen. Aber laßt mich zuerst allein machen und redet mir nicht darein; wenn sich's schickt, so mögt ihr nachher auch noch das Eurige dazuthun!“ Und er setzte sich oben an den Tisch an seinen gewohnten Platz.[21]Drittes NMapitel.

Das Mittagsmahl.

Matth. 10, 19. Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden,was ihr reden sollt.So still wie heute war's lange an keinem Sonntag beim Essen zugegangen im Leuenhof; denn das war seit uralten Zeiten der Name des Bauernhauses, in welchem unsere Geschichte vorgeht, und der Name des Besitzers war stets gewesen: der Leuen bauer, warum, davon erzählt keine Chronik mehr. Vater, Mutter und Großmutter saßen schon am Tisch und hatten sich die Suppe aus der dampfenden Schüssel in ihre Teller geschöpft, als das Liseli ohne seine Haube zur Thür hereinkam, sich leise an seinen Platz setzte und kaum aufzuschauen wagte. Als alle schon mit der Suppe fertig waren, kam der Melcher erst; seine derben Schritte hörte man deutlich von weitem; aber er machte die Thür sachte auf und zu; zwar fing er an, einige unwillige Worte zu brummen von dem langweiligen Geschäfte,das ihn um die warme Suppe gebracht habe, aber des Vaters ernstes Gesicht und die allgemeine Stille in der Stube bezwang sogleich den letzten Ausbruch seines Unmuths,[]und er setzte sich still an seinen Platz neben die Mutter,dem Liseli gegenüber; dieses saß auf der rechten Seite der Großmutter, welche wiederum ihren Sohn zur Linken hatte. Eine Magd und ein junger Bursche von etwa 14 Jahren, dessen Hauptgeschäfte waren, den Stall zu putzen und die Schweine zu füttern, beide höchst einfach aber sauber gekleidet, hatten ihre schmalen Plätze unten am Tisch. Nach der Suppe brachte die Mutter ein großes Stück gesottenes Rindfleisch, zerlegte es in verschieden große Theile, fügte zu jedem Theil ein entsprechendes Stück Speck und legte jedem Tischgenossen seine bestimmte Portion, mit der Gabel die Stücke anspießend, auf den Teller. Eine große Schüssel mit mehligen Kartoffeln,welche beim Sieden ihre Hüllen gesprengt hatten, stand in der Mitte des Tisches, so daß Jedes nach Belieben seinen Bedarf sich zulangen konnte. Dieß geschah auch mit großer Emsigkeit; der Haufen wurde zusehends kleiner;die Gabeln und Messer bewegten sich ununterbrochen,aber man hörte nichts anderes als ihre einformige Musik;kein Wort wurde gesprochen; der Hausvater schob bald den Teller zurück und aß keinen Bissen mehr, sondern stützte nachdenklich den Kopf in die Hand. Da der Sohn und die Tochter dieß sahen, wurde es ihnen immer mehr siedend heiß im Herzen; so hatten sie den Vater lange nicht gesehen, und eine Stimme sagte ihnen, sie seien

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Schuld daran. Das Essen wollte ihnen auch nicht recht schmecken, sie waren froh, als die Magd anfing abzuräumen, und dachten darauf, unter irgend einem Vorwand bakß vom Tische wegzukommen.

Dazu fand sich aber keine Gelegenheit mehr; sobald die Magd und der Dienstknabe, denen die Hausfrau noch einige Aufträge gegeben und bis Anbruch der Nacht freie Zeit gestattet hatte, nicht mehr in der Stube waren, fing der Leuenbauer an, einige Male zu husten, wie er's zu thun pflegte, wenn er etwas besonders Wichtiges zu sagen hatte, faßte bald den Sohn, bald die Tochter scharf ins Auge und sprach dann in ernstem und feierlichem Tone folgendermaßen:

„Mein Vater, den Gott im Grabe noch segnen möge,hatte eine gute Gewohnheit; er hatte sie noch von seinem seligen Vater geerbt. Jeden Sonntag nach dem Essen wiederholte er den Seinigen, so viel ihm von der Morgenpredigt im Kopf geblieben war. Was er nicht mehr wußte,fragte er die Mutter oder die Kinder, und wer sonst noch etwas gut behalten hatte, mußte es auch sagen. Ich will für heute einmal diese gute Gewohnheit wieder einführen.Die Predigt unseres Herrn Pfarrers ist mir recht zu Herzen gegangen. Schon als er den Text verlas und anfing: „Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läßt ihm genügen,“ war's mir, als

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V Tage meines Lebens auslegen gehört. Erst nach der Predigt kam ich wieder darauf: es war ungefähr vor dreißig Jahren; da war ich mit mir selber in keinem kleinen Streit.Da warst du, meine liebe Frau, noch das Anneli in der Mühle und warst mir herzlich lieb, und ich hätte dich gern zur Frau gehabt; denn ich wußte, daß du ehrbar und gottesfürchtig erzogen seist und habest arbeiten gelernt, wie Wenige; aber, Aussteuer, sagtest du mir selbst, köͤnne man dir wenig geben, und Vermögen habest du auch nicht viel von den Eltern zu erwarten. Und zur gleichen Zeit zeigten mir meine Kameraden auf des Adlerwirths Tochter, die hoffährtige Kathrine, und sagten: Die mußt du nehmen;bei der sind die Thaler schon gezählt, die sie als Heirathsgut bekommt, und ihre Erbschaft ist einmal auch nicht zu verachten, und du kannst ste haben, wenn du sie willst;sei doch kein Narr und laß das Anneli fahren. Da schossen mir die Gedanken wild durch den Kopf, wie eben die Schneeflocken vor dem Fenster, und bald war das Anneli oben und bald die Kathrine; ich konnte die Nacht durch kein Auge zuthun, und wie im Fieber stand ich auf an einem Sonntag Morgen. Als ich in die Kirche ging, ging das Fieber mit; aber eine Stimme sagte mir inwendig:Vielleicht bekommst du hier eine Antwort, die den grausamen Streit zur Ruh bringt, der dir im Herzen das Un [25] terste zu oberst kehrt. Und so war's. Unser braver Herr Pfarrer, bei dem ich in den Unterricht gegangen war, und du auch, Frau, jetzt ist er in der ewigen Ruh,aber ich dank's ihm heute noch der hielt eine Predigt über die kurzen Worte: Es ist aber ein großer Gewinn,wer gottselig ist und läßt ihm genügen, und das so schön und mit so deutlicher Auslegung und guten Exempeln,und als wüßt' er von dem heißen Krieg und Streit in meinem Herzen, daß ich beim zweiten Theil fast nach jedem Satz zu mir selber sagte: Der hat Recht; das Anneli mußt du nehmen und kein andres, und als ich nach Haus kam, da stand's mir felsenfest, das sei Gottes Wille, und an des Adlerwirths Tochter dachte ich mit keinem Gedanken mehr,und 8'war mir zu Muth, als wär' ich aus dem Fegfeuer erlöst worden. Und wenn meine Kameraden spotten wollten über meine Braut, denn sie hat sich nicht lang mehr besonnen, so war ich dagegen stolz auf mein Anneli und sagte zu mir selbst: Es ist ja ein Gewinn,wenn man gottselig ist und genügsam, und das ist sie beides, drum gewinne ich mehr mit ihr als mit der stolzen Kathrine, die beides nicht ist, wenn auch ihre Thaler schon längst gezählt sind. Und ich hab's fürwahr nicht bereut,daß ich mehr auf Gottes Wort gesehen habe, als auf das Geld; an Gottes Segen hat's uns nicht gefehlt; der Gewinn ist gekommen, inwendig und auswendig; Liebe und

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Frieden haben wir gehalten, und mit den Gütern sind wir auch nicht rückwärts gekommen: Der Leuenhof steht Gottlob! noch so fest wie das Adlerwirthshaus drunten,und wenn sie's auch viel höher treiben drin als wir, so möcht' ich doch die ganze Wirthschaft nicht geschenkt mit all' dem Hader und Streit, den das leidige Geld dort anstiftet Tag für Tag. O wie war mir leicht und froh zu Muth an jenem Sonntag, und wie dankte ich Gott von Herzen dafür, daß er mir durch das freundliche Wort unsres lieben Pfarrers aus dem Streit heraushalf. Aber nun, ihr lieben Kinder, als ich heut den lieben Text wieder hörte, da hätte, wer dieß wußte, doch mit Recht erwarten sollen, ich würde mich von ganzem Herzen drüber freuen. Aber nein, gerade das Gegentheil! Als ich die schöne Auslegung Wort für Wort mit meinen Gedanken begleiD als damals über mich. Denn an euch mußte ich zugleich denken, an dich, mein Melcher, und an dich, mein Liseli,und dabei hat sich mir beinahe das Herz im Leibe umgekehrt; warum? das sagt euch euer Gewissen. Und dann eure leichtsinnigen Worte nach der Kirche, die waren mir,ein jedes, noch ein Stich in die Seele, und wenn ihr so fortmacht, so habe ich auf dieser Welt keine fröhliche Stunde mehr, und eure treue Mutter auch nicht, und eure Großmutter wird dann mit Herzeleid in die Grube fahren und [27] euch keinen Segen zurücklassen. Helfe mir Gott, daß ich nicht das Allerschlimmste von euch denke, aber auf bösem Wege seid ihr beide, und was ich thun kann als Vater,um euch noch zur Zeit davon zurückzubringen, will ich thunz ich muß es, denn Gott wird auch von mir einst Rechenschaft fordern über eure Seelen. Vielleicht, daß nun das Gotteswort, das mir einst aus der Noth geholfen,auch bei euch noch gute Frucht bringen kann, wenn's euch recht warm an's Herz gelegt wird. Drum will ich's nach meines seligen Vaters Brauch noch einmal mit euch durchgehen, wie's in der Predigt ausgelegt worden ist, und meinen guten Rath an euch dazufügen. Frau, gib mir die alte Bibel dort von der Wand herunter, die der Vater so manchmal aufgeschlagen hat, und such' mir den Text auf, er steht, wenn ich's recht behalten habe, im ersten Brief an den Timotheus am sechssten und fängt auch daselbst vom sechsten Vers an.“

Das Liseli hatte schon lange sein weißes Schnupftuch hervorgenommen und konnte nicht genug die Thränen abwischen, die reichlich über seine rothen Wangen flossen,und kam in ein überlautes Schluchzen hinein, bis ihm die Mutter einen Wink gab, sich zusammenzunehmen, da sie wohl wußte, daß der Vater auf das „Gepläre und Gelätsch“, wie er's zu nennen pflegte, nicht viel gebe. In dem viel rauheren Melcher arbeitete auch etwas in der Tiefe; [28] das sah man ihm deutlich an, so gewaltig er sich auch anstrengte, es zu verbergen; er wechselte seine Farbe jeden Augenblick, schaute bald zum Fenster hinaus den Schneeflocken nach, bald starrte er gerade vor sich hin auf den Tisch, immer aber hielt er sich so, als ob er nur mit halbem Ohr auf des Vaters Worte hörte, als ob er sich damit noch gar nicht getroffen fühlte. Als nun die Bibel vor dem Vater aufgeschlagen dalag, konnte er sich nicht enthalten,einen verächtlichen Blick nach derselben hinzuwerfen, als ob's ihm unbehaglich wäre, auch das noch hören zu müssen;aber ein Blick des Vaters, der ihn traf, zwang ihn von neuem, die Augen niederzuschlagen.

Viertes Rapitel.

Die Prredigt.

Matth. 13, 8. Etliches fiel auf ein gutes Land und trug Frucht, etliches hundertfältig, etliches sechzigfältig, etliches dreißigfaltig.

Der Leuenbauer verlas nun langsam und feierlich die Textesworte: J. Tim. 6, 68.

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6. Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen.

7. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen.

8. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns begnügen.

„Das gefällt mir besonders,“ sagte er hierauf nach einigem Besinnen, „an den Predigten unseres Herrn Pfarrers, daß er so viel Mal, wenn er etwas recht deutlich machen will, ein Gleichniß oder Beispiel aus der biblischen und aus andern Geschichten vorausschickt; das ist mir immer wie ein goldener Nagel im Gedächtniß für die gute Lehre, die ich beherzigen soll. So hat er's auch heute gemacht und hat zuerst, wie ihr euch erinnern werdet, von unsern Urahnen und Vorvätern, den alten Eidgenossen,erzählt, wie sie als Hirten so einfach lebten in ihren Gebirgen, zufrieden mit dem Wenigen, was das rauhe Land und ihre Heerden ihnen brachten, dabei fromm und gottesfürchtig und eben darum so stark, wenn es galt, die liebe Heimath gegen die erzgewappneten Ritter auf den stolzen Rossen zu vertheidigen. Auf die Kniee seien sie niedergefallen zum Gebete jedesmal, bevor sie in eine Schlacht zogen, und eben weil sie freien Sinnes waren, hätten sie sich niemals gescheut, sich zu beugen vor dem allerhöchsten Gott, der ihr schönes Land geschaffen. So lange sie nun [20]bei ihren einfachen Sitten blieben, habe Zufriedenheit und Eintracht unter ihnen gewaltet, und sie konnten erfahren den großen Gewinn, gottselig zu sein und sich genügen zu lassen; sobald sie aber von jenen Sitten abwichen, verführt durch ihr Kriegsglück, durch reiche Beute,durch das verführerische fremde Gold, für das sie ihren Muth im Söldnerdienst verkauften, riß sogleich Zwietracht unter ihnen ein und Verschwendung und lasterhaftes Leben, und der Verlust war größer als der Gewinn. Nun kam der Herr Pfarrer drauf, wie unsre jetzigen Sitten nicht bloß in den Städten, sondern auch auf dem Land so himmelweit verschieden seien von der Lebensart jener alten Eidgenossen, wie wir viel hundert Dinge als zum Leben nöthig betrachteten, von denen sie gar nichts wußten, zum Exempel in der Kleidung, im Essen und Trinken, in der Einrichtung der Häuser, in der Aufwartung bei Taufen und Hochzeiten, im Besuch der Wirthshäuser, in den verschiedenen Arten, sich die Zeit zu vertreiben, Lustbarkeiten und dergl. Dingen. Er wolle nicht sagen, man sollte präcis zu der Lebensweise der Alten wieder zurückkehren; aber zu ihren Grundsätzen,welche auch die des Evangeliums seien. Eine Centnerlast seien für viele Menschen die Menge von Bedürfnissen, an die sie gewöhnt sind, eine Last, schwerer, als manche harte Arbeit; auch von die ser Last, die gewaltig auf unsere [31] unsterbliche Seele drücke, wolle der Herr uns frei machen;denn der sei am freisten, der am wenigsten bedürfe, der niedrig sein und hoch sein, satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden könne, wie der Apostel Paulus.So leitete er ungefähr die Predigt ein und sagte dann, er wolle, um vor der Unzufriedenheit und Genußsucht der jetzigen Zeit zu bewahren, die rechte evangelische Genügsamkeit beschreiben und zeigen, daß sie allein den Menschen erstens wahrhaft reich,zweitens wahrhaft frei, und drittens wahrhaft glücklich mache.

Nun leitete er diese drei Worte so deutlich und nett aus den drei Versen des Textes ab, daß es eine wahre Freude war, zuzuhören, und ich nicht wenig darüber erstaunen mußte, wieviel man doch nur aus einem so kleinen Stück der Bibel schöpfen könne. Man sieht doch schon daran, daß man's hier mit etwas Göͤttlichem zu thun hat,das aus der Ewigkeit stammt. Denn wenn ihr zum Exempel einen Beutel voll Thaler habt, dann wißt ihr genau,wann ihr an den letzten kommt, und nehmt ihr diesen heraus, so ist der Beutel leer; mit dem Wort Gottes ist's aber ganz anders; je mehrihr draus nehmen wollt,desto mehr findet ihr drinz niemals heißt's: Jetzt sind wir am Letzten; das ist wie das Oelkrüglein der

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Wittwe, das niemals leer werden wollte. Aber verzeiht mir nun, wenn mir von dem, was der Herr Pfarrer in so schöner Ordnung sagte, Manches etwas durcheinander gekommen ist; ich bin eben kein Gelehrter, und manchmal thu ich auch noch meinen eigenen Senf dazu, wenn's ja nur wahr und heilsam ist, was ich euch sage.

Aus guten Gründen, so hieß es nun zuerst, hat der Apostel die Gottseligkeit und die Genügsamkeit zusammengestellt; denn die letztere kommt aus der ersteren wie der Bach aus der Quelle. Wer selig ist in seinem Gott, auf ihn sein ganzes Glück baut und fest glaubt, es komme Alles, also auch das irdische Gut, aus seiner liebreichen Hand, der ist auch genügsam; er will nicht mehr,als was Gott ihm beschieden hat; er weiß: Soviel als du gerade hast, muß gut für dich sein, mehr wäre dir vom Uebel; würde es zu deinem Glücke gereichen,so hätte es Gott dir gegebenz denn er hat es ja,er braucht nicht zu sparen, seine Schatzkammern sind niemals leer. Seht, Kinder, mit dem hab' ich mich oft getrostet und die begehrlichen Gedanken in mir zurückgewiesen, wenn mir ein schön'res Haus, ein stolzeres Gespann Ochsen, ein besserer Rock eines Nächsten recht in die Augen stach. Wäre es zu deinem Besten, du hättest's auch; nun aber, daß du's nicht hast, ist der beste Beweis,daßes dir nicht gut wärez Gott hat es ja nicht für [322] gut befunden. Es schmeckt freilich bitter, diesen Trost herunterzuschlucken, das weiß ich aus Erfahrung; aber das ist nur im Anfang so; nachher hat man oft Ursache,Gott dafür zu danken, daß er unsre eigenen Wünsche nicht erfüllte. Als ich mich mit meinem Anneli zur Hochzeit rüstete, da wünscht' ich wohl, mein Vater möchte doppelt so viel Geld und Gut haben, als er besaß, und, nicht wahr,Frau, du stimmtest damals auch damit überein; jetzt aber,da ich weiß, was ich unterdeß gelernt habe, wünschte ich nicht, daß Gott uns einen Rappen mehr geschenkt hatte;denn das Geld ist das gefährlichste Geschenk, was es gibt. Der scheint mir der Reichste das sagte dann der Pfarrer weiter der so viel hat, als er zu seinem Glücke braucht, und dieß auch selber fest und sicher glaubt;drum kann man sagen, die Genügsamkeit mache wahrhaft reich. Wer aber auf diese Weise sich reich schätzt,der dankt Gott nicht bloß für Haus und Hof und Nahrung und Kleidung, sondern noch vielmehr für Gesundheit und Kraft und die Gaben des Verstandes und des Herzens und noch mehr dafür, daß er ihn unsterblich geschaffen und durch Jesum Christum von der Sünde erlöst hat. Denn wer von ganzem Herzen an Jesum Christum glaubt und aus seinem Leben und Leiden seinen einzigen Trost im Leben und im Sterben schöpft, der tritt auch mit ihm in eine beständige herzliche Gemeinschaft, und Zehender, der Leuenhoff. 3 [34]von Tag zu Tage fließen ihm aus seiner Geistesfülle himmlische Kräfte zu, unermüdliche Liebe und Sanftmuth und Trost und Geduld und Weisheit und unbeugsamer Muth;im vollen Besitze dieser Güter fühlt er sich reich im höchsten Sinne. Aber Leute, die Millionen besitzen,haben oft gar keinen Begriff davon, daß man sich in Ertenntniß und Liebe und Hoffnung auch r eich fühlen könne,und so erfüllt sich jener Spruch:

Mancher ist arm bei großem Gut;

Mancher ist reich bei großer Armuth.

Da mußt' ich dran denken, wie meine Frau und ich in den ersten Jahren unseres Ehestands, da wir noch fast mehr Schulden als Vermögen hatten, im baufälligen obern Stocke dieses Hauses, das der Vater immer nicht repariren wollte, doch ein so glückliches Leben führten, daß wir mit keinem Fürsten und Könige getauscht hätten. Weder das Geld noch die Kleider haben uns damals glücklich gemacht;aber daß wir uns herzlich lieb hatten und in Eintracht eifrig unsere Arbeit trieben im Acker und Weinberg und drauf vertrauten, Gottes Segen werde nicht ausbleiben,das war's, was uns glücklich machte, wenn auch manchmal Wochen vergingen, ohne daß ein Stücklein Fleisch oder ein Schöpplein Wein auf unsern Tisch gekommen wäre, Manche hielten uns für arm, aber wir waren doch reich, denn wir waren zufrieden und dankten Gott täglich [25] für unser Glück. Nun zeigte er auch recht kräftig und eindringlich ich kann's nicht halb so gut sagen, wie's der Herr Pfarrer gesagt hat, daß es geradezu arm mache und oft sogar an den Bettelstab bringe, wenn man ungenügsam nach immer mehr Geld und Gut und Genuß und Lustbarkeiten trachte. Wer nicht zufrieden ist mit dem,was Gott ihm gab, der kommt in dem Sorgen und Kümmern und Jagen nach Mehr niemals zu einer ruhigen Stunde, in welcher er sich dessen, was er hat, recht herzlich freuen kann. Weil er Alles haben will, so hat er eigentlich von Nichts den Genuß, und wenn ihm auch einer seiner Wünsche erfüllt wird, so steckt hinter ihm schon wieder ein anderer größerer, und der Hunger und Durst nach dessen Erfüllung geht von neuem an, und niemals wird er gründlich gestillt. Der Habsüchtige schaut neidisch an den noch Reichern hinauf; die Putzsüchtige will immer etwas noch Neueres, noch Schöͤneres; der Trinker sucht immer stärkere Getränke, der Spieler setzt immer höhere Summen, kurz es paßt stets auf den Ungenuügsamen das Sprüchlein:Je mehr er hat, je mehr er will,Nie schweigen seine Wünsche still.

Diese Unruhe aber muß zuletzt das Herz verzehren,und worin liegt der tiefste Grund davon? Darin, daß die Seele keine Ruhe gefunden hat in Gott, sondern in offenem oder verborgenem Murren gegen ihn sich täglich versün[26]digt. Wo bleibt da Zeit, noch an ewige Dinge zu denken?Man wird zu einem Erdenwurm, der nichts Höheres kennt,als seinem Futter nachzugehen, und für das Schönste auf Erden, Liebe, Freundschaft, Erkenntniß der Wege Gottes,dankbaren Genuß seiner Gaben hat man keinen Sinn mehr; vor Gott ist man arm, blind und bloß, und sollte man plötzlich vor seinem Richterstuhl erscheinen, man stünde mitl ee ren Händen vor ihm da und müßte zittern.“Hier hielt der Vater etwas inne, sah seine beiden Kinder mit kummervollem Auge an und fuhr dann langsamer fort:„Bei diesen Worten, liebe Kinder, ist mir ein schwerer Sorgenstein auf's Herz gefallen; ich mußte denken: dein Sohn und deine Tochter sind auf diesem Wege. Du,Melcher, willst dir nicht genügen lassen an dem schönen Bauerngewerbe, das ich dir einmal in bester Ordnung hinterlassen koönnte und in dem deine Väͤter ihr ehrliches Brod gefunden, freilich im Schweiß ihres Angesichts. Du willst höher hinaus, willst's den Herren gleich thun in Lebensart, in Kleidern, in Manieren, und wirst doch höchstens ein halber Herr werden und aus halben Herren werden leicht Lumpen; dagegen koönntest du, wolltest du meinem Rathe folgen, ein ganzer Bauer werden, und der istauf Ehr'mehrwerth, als ein halber Herr.Treibst du's aber so weiter, wie in der letzten Zeit, dann wirst du gewiß bald vom lieben Gott und von deinem Er[]*löser nichts mehr wissen wollen; du denkst: ich helfe mir selbst, aber wirst du noch so viel einnehmen, es wird dir durch die Finger rinnen wie Sand, du wirst immer mehr brauchen und, bekommst du's nicht auf geradem Weg, so wirst du's auf krummem zu bekommen suchen und wirst ein schlimmes Ende nehmen. Dann wird es heißen: Des Leuenbauern Sohn, der's so gut hätte haben können, wie alle seine Väter seit Menschengedenken, hat ein Herr werden wollen und ist ein Strolch geworden, und am Spott wird's nicht fehlen, und, wenn ich dann noch lebe,so wird die Schande mich unter den Boden bringen; doch wollt' ich, ich stürbe vorher. Mein Rath wäre: Laß du die Fabrik und deine dortige Kameradschaft und kehr' zum Stande deiner Väter zurück, so wird auch deiner Väter Segen auf dir ruh'n!“Der Melcher wollte hier etwas sagen, doch brachte er die Worte nicht heraus, aber sein trotziges Wesen war gebrochen; des Vaters Rede schien nicht auf den Weg gefallen zu sein. Nun wandte er sich an's Liseli.„Du, Liseli,“ sagte er mit strengem Tone, „weißt gar nicht, wie viel Sorge und Kummer du deinen Eltern und deiner Großmutter gemacht hast, seit du zur Seidenweberin geworden bist. Mein Augapfel warst du vorher und der Großmutter ihres Alters Trostz jetzt bist du mir täglich ein Dorn in den Augen und ihr verkürzest und verbitterst [38]du die wenigen Tage, die ihr von Gott auf Erden noch vergönnt sind. Von Allem, was bisher in unserm Hause Brauch und Sitte war, thust du gerade das Gegentheil.Es war immer deiner Mutter Stolz, in unsere alte schöne Landestracht recht stattlich und sauber sich zu kleiden; dir ist das nicht mehr genug; jedes Band und jeden Fetzen,den du an einer Stadtjungfer siehst, äffft du ihr nach,und das alte Liseli kenne ich gar nicht mehr in seiner neumodigen Uniform. Es galt in unserm Haus von jeher als das Beste an einer Bauerntochter, wenn sie Hausgeschäfte aller Art tüchtig verstehe und daran ihre Freude habe; du läßt die Mutter allein machen und sitzest immer an deinem Webstuhl, und auch die Großmutter muß sich noch plagen um deinetwillen; dir aber sind alle diese Geschäfte zu gering. Sonst galt bei uns die gute Regel:„Sparein der Zeit, so hast duin der Noth!“ ohne sie hätten wir's nie so weit gebracht, seit du aber so viel Geld in die Hände bekommen hast, siehst du den Franken und den Thaler nicht mehr an, sondern lässest ste gedankenlos einen dem andern nachfliegen und weißt gar nicht mehr, was du thust, weil dir die Hoffahrt den Kopf verdreht hat. Sonst war's uns Allen wie ein Fest, wenn nach der sauren Arbeit der Woche Vater und Mutter und Kinder um diesen Tisch herumsaßen und sich gemeinschaftlich oder noch mit guten Nachbarn des Sonntags freuten;[]jetzt, so oft man dich sucht, bist du fort, streichst, wer weiß wo herum, sicher nicht auf guten Wegen, und der alte Sinn der Freundlichkeit und Häuslichkeit ist bei dir verschwunden. Sonst waren deine Augen wie helle Fenster,durch die dein Vater in deinem Herzen lesen konnte, und der Frohsinn schaute draus heraus; jetzt sind die Fenster trüb und unrein; du schaust mich nicht mehr gerade an;man hört selten ein gutes Wort von dir; ein böser Geist,der nicht in unser Haus paßt, hat dein Herz gestohlen.Drum steht's auch innerlich bei dir nicht gut; ich, habe dich lange nicht mehr mit aufrichtigem Herzen mitbeten sehen, wenn wir unser Morgen- und Abendgebet verrichteten; du hast einen Widerwillen gegen alle ernsthaften Gedanken, und früher wär' es dir nicht wohl gewesen,wenn du einmal einen Tag ohne herzliches Gebet zu Gott angefangen hättest. An dem Allen ist Schuld das Geld,das du, wie man deutlich gesehen hat, noch nicht regieren kannst; das hat dich mit einem unzufriedenen und übermüthigen Sinn erfüllt; das bringt dir nichts als Verderben. Nun will ich nicht, daß du thöricht in dein eigenes Verderben rennest; darum muß mir dein Seidenwebstuhl schon morgen aus dem Haus und du sollst wieder wie früher der Mutter zur Seite stehen bei ihren Geschäften;denn wenn du lauter Gold weben könntest, so waär's für dich doch lauter Gift; drum ist's besser, man schafft [40]das Gift aus dem Hause fort, bevor es Tod und Verderben angerichtet hat!“

Hatte Liseli schon früher wieder zu weinen und zu schluchzen angefangen, so konnte es sich vollends gar nicht mehr halten bei dem gebieterischen Schluß der väterlichen Rede, und man wußte nicht, galten seine Thränen dem Herzeleid des Vaters oder dem Abschied des Webstuhls;denn Thränen aller Art waren bei ihm wohlfeil. Der Vater that, als ob ihn die Thränen noch nicht besonders rührten. Die Mutter gab dem Liseli wieder ein Zeichen,und nach einigen Augenblicken Stillschweigen fuhr der Leuenbauer weiter fort:

„Nun muß ich wieder an die Predigt: vom ersten Theile weiß ich nichts mehr; drum geh' ich an den zweiten.Darin setzte der Herr Pfarrer auseinander, wie die Genügsamkeit wahrhaft frei mache und knüpfte das an die Textesworte: Wir haben nichts in die Welt gebrachtz darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen. Da erzählte er zuerst ein lehrreiches Geschichtchen aus der alten Zeit, es habe ein weiser Mann in Griechenland gelebt in einer großen Stadt, und die Stadt sei von Feinden belagert, erobert, angezündet worden; doch hätten die Feinde den Bürgern erlaubt, abzuziehen und ihre beste Habe mitzunehmen. Da hätten Alle aufgepackt, so viel sie tragen konnten; der weise Mann [41]allein aber nahm nichts mit, sondern ging an seinem Stabe frei zum Thor hinaus. Wenn ihn nun die Leute fragten, warum er allein nichts mit sich nehme, gab er zur Antwort: Ich trage alles das Meinige in mir. Er meinte damit die Schätze seiner Weisheit. So sollte, sagte nun der Herr Pfarrer, ein jeder wahrer Christ auch sagen können, und wenn er auch alle irdische Habe verlöre: Ich trage alldas Meinige in mir. Denn unsern Glauben und unsere Liebe und unsere geistigen Schätze haben wir ja allein als bleibenden Besitz; alles Andere besitzen wir höchstens so lange als unsere Pilgerschaft auf Erden dauert; drum sollten wir stets bereit sein, die Bande zu lösen, die uns an die irdischen Güter fesseln und uns darin üben, so wenig als möglich davon durchaus nothwendig zu haben. Dann allein sind wir wahrhaft frei, wie der Herr uns frei macht.

Und er will auch uns noch in einem höhern Sinne frei machen, wenn wir die Worte recht erwägen: So euch nun der Sohn frei machet, so seid ihr recht frei. Er macht unser Gewissen frei, nimmt ihm die Last der Schuld ab, die darauf drückte, und macht unsern Willen frei,nimmt ihm die Fesseln der Sünde ab, die ihn zwang, das zu thun, was er eigentlich nach der ihm eingepflanzten göttlichen Natur nicht will. So thun wir dann von seinem Geiste getrieben aus freiem Willen mit Lust [12]und Liebe den Willen Gottes und haben die größte Freude daran, und durch die Liebe, welche frei und fröͤhlich waltet,ist es uns nicht mehr schwer, Gottes Gebote zu halten.Das ist die Freiheit, die uns Christus gibt und neben der eine Knechtschaft unter dem vergänglichen Mammon nicht mehr bestehen kann, das ist auch die Freiheit,die einen guten Schweizer am besten ziert. Damit hat unser Pfarrer mir aus der Seele heraus geredet. Wieviel schwadroniren junge luftige Schwätzer, auch solche, die in Gerichten sitzen, heutzutage von Freiheit und mißbrauchen das schöne Wort und werden dabei doch von ihrer eigenen Lust, die sie zum Trunk oder Spiel oder wüstem Wesen fortreißt, ärger geknechtet als Mancher, der den strengsten Konig hat. Wahrlich, solche verdienten eine Maulschelle,wenn sie das Wort Freiheit nur auf die Zunge nehmen.Da hat mir die Erzählung aus der Schweizergeschichte prächtig gefallen, die auch in der Predigt vorkam, wie einst zwei hochangesehene Männer von der Eidgenossenschaft nach Paris geschickt wurden, um einen Vertrag mit dem Könige von Frankreich zu schließen, ein Herr von Hallwyl von Bern und Hans Waldmann von Zürich.Nun hätte der König von Frankreich natürlich gern gesehen, wenn der Vertrag zu seinem Vortheil ausgefallen wäre, und that drum den Gesandten alle Ehre an und schickte ihnen sogar prächtige Geschenke von Silbergeschirr.

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Da ward ihr freier eidgenössischer Sinn auf eine harte Probe gestellt, und nicht beide hielten sie aus. Hans Waldmann nahm die Geschenke und stimmte nach des Koönigs Willen; der Herr von Hallwyl aber, als er das Garn merkte, mit welchem man ihn fangen wollte, verließ in aller Stille, als Spielmann verkleidet, das verführerische Paris und wanderte so, ärmlich in seinem Aufzug,aber frei im Herzen, in sein Vaterland zurück. Der Waldmann ist später in Zürich auf dem Schaffot gestorben er hatte durch allerlei harte Maßregeln das Volk erbittert dem Hallwyl haben alle rechte Eidgenossen für seine Biederkeit gedankt. O wie möcht' ich's doch allen jungen Burschen und Mädchen zurufen, sie sollten sich nicht an die hunderterlei neuen Dinge gewöhnen, die man jetzt immer mehr in Lebensart und Nahrung und Kleidung für nöthig hält! Das ist eine Last, die man sich selbst auflegt und später kaum mehr weiter schleppen kann. Mit Kleinem fängt man an, und eh' man dran denkt, ist man beim Großen und kann nicht mehr umkbehren. Zuerst setzt man kleine Herren und Tyrannen über sich, sie verlangen nichts als etwa ein Kartenspiel, ein Gläschen Wein, eine Cigarre oder ein neues Halsband, einen Spiegel, aber wenn sie das erhalten haben, so wollen sie immer mehr, den ganzen Verdienst, alle deine Gedanken, dein Herz, deine Unschuld, das sind die Tyrannen

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Genußsucht und Hoffahrt und Wollust, die haben auf Ehre mehr Unheil angestiftet im Schweizerland als seiner Zeit die herrschsüchtigen Landvogte. Ja, es ist heutzutage keine Seltenheit: junge Bursche von noch nicht 25 Jahren,die schon Knechte der Trunksucht sind und der Wollust,und junge Mädchen in noch geringerem Alter, Dienerinnen der Eitelkeit und eines unzüchtigen liederlichen Sinnes und Wesens. Wie die Fliege im Spinngewebe liegen sie im Netz der Sünde und verwickeln sich immer tiefer, und was kann man ihnen Anderes voraussagen, als zeitliches und ewiges Verderben! O meine Kinder, bei euch ist's,Gott sei Dank, noch nicht so weit gekommen, aber seit einiger Zeit habt ihr auch eure kleinen Herren und Tyrannen; macht euch frei davon, so lang's noch Zeit ist; euer Vater müßte sich alle Haare zum Kopf ausreißen, wenn er eines von euch so in der Knechtschaft der Sünde verloren gehen sähe. Denkt euch dagegen, wie schön es ist,Gesundheit, Frohsinn, starke Arme, ein frei Gemüth und ein reines Gewissen zu bewahren durch alle Lebensalter,sich vor Niemand zu fürchten als vor Gott, der Güter des Lebens in Ehren sich zu freuen, wenn Gott ste gibt, wie er sie unserm Hause bisher schenkte, aber auch mit dem Wenigsten sich begnügen zu können, wenn ersie nimmt! Wer steht ehrenhafter da vor der Welt als dieser! Glaubt's nur, kein Anderer hat mehr wahre Freude als er, und kein

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Anderer wird einst ruhiger Abschied nehmen von der Welt und den Freuden des ewigen Lebens entgegensehen.

Aber, daß ich nicht vergesse, was der Pfarrer noch vom Segendes Mittelstandes und der Armuth gesagt hat; noch nie hab' ich besser begriffen, warum die Armuth doch auch ihr Gutes hat auf Erden und eine gute Schule ist für viele Menschen, die ohne sie nichts Rechtes geworden wäͤren. Man glaube doch nicht, sagte er, der Reichthum sei ein so großes Glück; wer sich von diesem Irrthum kuriren will, der sehe nur, wie in den meisten reichen Familien die Kinder erzogen werden. Man gewöhnt sie tagtäglich an viele Bedürfnisse, von denen Andere kaum etwas wissen und meint, man thue ihnen den größten Gefallen und legt ihnen damit gerade eine Last auf, an der sie ihr Lebenlang zu schleppen haben.Da traf er in Vielem den Nagel gerade auf den Kopf;ich kann's nicht mehr so sagen wie er, aber zu Allem mußte ich Ja sagen von ganzem Herzen; Vater und Mutter hielten uns knapp und rauh und streng; doch dank' ich's ihnen heute noch; denn Wenige gibt's im Dorf, die's an Kraft und Gesundheit und an Muth und Ausdauer, wo's gilt, mit mir aufnehmen.“Jetzt hielt der Vater wieder eine Weile still, sah in die aufgeschlagene Bibel, besann sich und fagte dann: „Nun sollte noch der drit te Theil kommen, welcher den Spruch []erklärte: So wir Nahrung und Kleidung haben,so lasset uns genügenz aber ich sag's euch offen: die schweren Gedanken, welche beim ersten und zweiten Theil in mir aufstiegen, stürmten mir so im Kopfe hin und her,daß ich bis zum Amen nicht mehr recht Acht geben konnte und vielleicht hab' ich bisher schon Einiges gesagt, was unser Pfarrer erst im dritten Theil vorbrachte. Kurz, es handelte sich darum, wie glücklich jeden einzelnen Menschen und ganze Familien die rechte Genügsamkeit mache,und wie dieß Glück der Genügsamkeit seine tiefste und alleinige Quelle habe in der innern Ruhe und dem Frieden,den uns die Gewißheit des ewigen Lebens gibt. Unter Anderm erinnere ich mich noch an den gewiß recht wahren Gedanken, dem Menschen sei eine Anlage dazu gegeben,mit Wenigem zufrieden und glücklich zu sein; das sehe man an den Kindern; wie unglaublich wenig brauche es oft, um sie in die glücklichste Stimmung zu versetzen, nur müsse es mit Liebe gegeben sein, eine Geschichte, ein Spiel, etwas Neues, was sie noch nie gesehen, ein Gericht,das sie besonders lieben, man könne damit Wunder wirken an Kindern. O daß die Menschen diesen genügsamen kindlichen Sinn bewahrten, rief hier der Pfarrer aus, daß sie darauf dächten, sich gegenseitig einfache und reine Freuden) zu bereiten; sie würden bald merken, daß es dabei nicht ankommt auf das Wieviel [47] und Wiegroß, sondern auf das Wie, auf den Sinn,mit dem es gegeben wird. Und solche Freuden, die im Königspalast und im bürgerlichen Hause, im stattlichen Bauernhause und in ärmlicher Hütte gefeiert werden konnen, sind die Familienfreuden, wenn Großeltern,Vater, Mutter und Kinder in Frieden beisammensitzen an einem Festtag, an Ostern, an Pfingsten, an einem Namenstag, bei einer Taufe, und vergnügt sind schon darum, weil sie die Liebe fühlen, die eins ans andre bindet und weil sie einmal etwas größern und festlichern Aufwand sich erlauben, als an den Tagen der sauren Arbeit. Aber nur,wer die saure Arbeit kennt, kann solche Feste feiern; dann jedoch braucht es weder Pasteten noch Zuckerzeug, um fröhlich zu sein; ein guter Bissen und ein gut Glas Wein erfreut dann genug des Menschen Herz. Aber Liebe,Friede, Eintracht ist die Würze von Allem.

Er ermahnte zum Schluß mit warmen Worten dazu,die Liebe und den Frieden zurückzuführen in die Haushaltungen, dann komme die Einfachheit und die Genügsamkeit auch wieder, und betete noch zu Gott, er möchte diese Worte besonders an der Jugend reichlich segnen.Und wie er das Amen sprach, dachte ich: Jetzt darfst du nicht länger schweigen; heute muß es heraus. Nun ists heraus; Gott möge meine Worte segnen; es ist mir bitter und sauer geworden, so zu euch zu reden, ihr Kinder, [48] aber ich hoffe, es gehe von heute ein neues Leben an in unserm Hause, und wir feiern einen Tag der Versöhnung.“

Fünstes Rapitel.

Jer Predigt Frucht.

Psalm 126, 5. Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.Der Leuenbauer schaute bei den letzten Worten zuerst den Sohn und dann die Tochter an, ob ihm aus ihren Blicken kein Zeichen der Zustimmung entgegenkomme;auch die alte Großmutter richtete ihre Blicke auf ste. Man fah ihr an, sie hatte, nachdem sie der Predigt aufmerksam zugehört, selbst eine lange Predigt im Vorrath, die sie so gerne jetzt der vorangegangenen häͤtte nachfolgen lassen;aber sie bezwang sich, der Weisung ihres Sohnes eingedenk und hielt Stillschweigen. Liseli schwamm immer noch in Thränen und verbarg das Gesicht ins Schnupftuch;sein Bruder, bei dem es seit Jahren nicht mehr zu Thränen gekommen war, schien ganz in Gedanken versunken; wer ihn nicht kannte, merkte nichts von einer großen innern

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Bewegung an ihm; wer sich aber auf seine Natur verstand, konnte aus seinem Blick und seiner Haltung einen baldigen heftigen Ausbruch seiner Empfindungen voraussagen, aber noch wußte Niemand, ob zum Guten oder zum Schlimmen, zur Reue oder zum Zorn. Aber des Vaters warmes Wort war dießmal bei ihm nicht auf den Weg gefallen. Wie von einer unwiderstehlichen innern Gewalt getrieben stand er plötzlich vom Tische auf, ging auf den Vater zu, reichte ihm die Hand und sagte mit lauter heftiger Stimme: Vater, da nehmt mein Wort:Ich will euer rechter Sohn bleiben, ich will wieder Bauer werden, ich will den alten guten Namen unseres Hauses nicht beflecken, sondern euch nachschlagen und eure Stütze sein im Alter, so gut ich kann! Vater, ich versprech's euch und will's halten, so wahr Gott mir dazu helfe, sagte er mit großem Nachdruck und mit feuchten, leuchtenden Augen. Und euch verspreche ich's auch, sagte er, die Hand der Mutter erfassend, und indem er der Großmutter die Hand reichte: Euch auch! Erinnert mich daran, wenn ich mein Wort vergessen sollte; aber es wird nicht nöthig sein. Der Herr segne deinen Entschluß, sagte der Vater mit tiefem Ernste; wenn er Bestand hat, so will ich Gott dafür danken von Herzensgrund.

Damit ihr seht, daß es mir wahrhaftig Ernst ist, nehme ich morgen meinen Abschied aus der Fabrik und stehe dann

Zehender, der Leuenhof. 4 [50] wieder euch zur Seite bei allen Geschäften auf dem Acker oder im Holz, in der Scheune oder im Stall; man soll mich Hans heißen, wenn ich nicht bald wieder ein tüchtiger Bauer sein werde, trotz dem stärksten Burschen im Dorf.Aber das sag' ich noch dazu: Des Liseli's Webstuhl muß morgen schon aus dem Haus und seine abgeschmackten Stadthauben und Bändel und Zipfel und Fransen, die müssen mir aus den Augen, und wenn's nicht gutwillig geschieht, so helf' ich selber dazu; s'war mir selber schon lang ein geheimer Aerger, meine Schwester so eitel davonschwänzeln zu sehen wie die Modeschwänze in der Stadt,über die ich mir oft schon den Buckel voll gelacht habe;aber ich durfte nichts sagen, weil ich wohl fühlte, daß ich selber im gleichen Spital krank war. Nun kehr' ich wieder zu meinem Baurenkittel zurück; dann möcht' ich aber auch wieder eine Schwester haben, an der ich mich weidlich freuen kann, wenn ich sie vergleiche mit den andern Bauerstöchtern im Dorf; und Gottlob ist unser Liseli vom lieben Gott so geschaffen, daß es sich wohl sehen lassen darf vor den Leuten, und braucht alles das Narrenwerk nicht, wofür es so viel Geld ausgegeben hat dummer Weis', braucht's nicht, wenn es will den rechten Leuten gefallen. Mir wenigstens gefiel es immer tausendmal besser in seiner einfachen Bauerntracht, und wenn einmal die fremden Fetzen fort sind und der Webstuhl mit sammt dem vielen Geld [51] aus dem Haus, dann wird hoffentlich auch bald das alte Liseli wieder da sein. Nicht wahr, Liseli, du thust mir's zum Gefallen? sagte er mit einem zwar immer noch rauhen,aber nun doch von der brüderlichen Liebe mild durchklungenen Tone und reichte ihm die Hand, um sein Wort darauf zu empfangen.

Zögernd und, wie man deutlich sah, nur mit halbem Herzen reichte die Schwester ihm die Hand über den Tisch,halb verwundert ob dieser ganz ungewohnten Traulichkeit und halb überrascht von der großen Zumuthung, die ihm gemacht wurde und der nachzukommen es noch nicht entschieden im Sinne hatte. Das Geld und die Putzsachen und die neuen Lustbarkeiten und die Genossinnen derselben,die zogen in diesem Augenblick an seiner Seele mit aller Gewalt und ebenso stark als die Vater- und Mutter und Bruderliebe, und trotz der vielen vergossenen Thränen hatten die warmen Worte der väterlichen Liebe das Gewicht seiner leichtsinnigen Neigungen und Gedanken noch nicht überwogen; stark schwankte es noch zwischen der göttlichen Traurigkeit und der Traurigkeit der Welt. Aber in diesem Augenblicke, wo Alle es anschauten und einen guten Entschluß von ihm erwarteten, konnte es dem Bruder seine Bitte doch unmöglich abschlagen; so gab es seine Hand hin; der Bruder fühlte die Kälte wohl, die ihm noch im Herzen war und gar nicht zusammenstimmte mit [52] der Wärme der feurigen Vorsätze, die jetzt glühten in seiner männlichen Brust. Drum hielt er Liseli's Hand fest mit kräftigem Druck und sagte: Aber bedenk' wohl, was du versprichst und denk an das Sprüuchlein:

Versprechen und Halten

Steht fein bei Jungen und Alten.Ich nehme dich bei deinem Wort, und wenn du's hältst,so wirst du an mir einen Bruder haben, der's gut mit dir meint bis zum Tod. Liseli konnte nicht mehr zurück, versprach auch bei sich selbst Alles in diesem Augenblick, wollte reden, konnte aber nicht vor Schluchzen und war froh,als die Mutter das Wort ergriff und sagte:

„Laßt ihm Zeit; ich weiß, es ist ihm leid; aber es kommt ihm jetzt zu viel auf einmal zusammen. Es sieht gewiß seine Fehler ein und will sich bessern, denn es hat kein böses Herz; aber ihr müßt ihm Zeit lassen und auch nicht zu viel auf einmal verlangen.“Unterdefsen hatte die Großmutter zu wiederholten Malen den Vater angeschaut, als ob ste ihm sagen wollte,sie habe auch noch etwas auf dem Herzen, was sie ihren Enkeln an das nun erweichte Herz legen möchte; er war aber zu sehr ergriffen von dem, was vorging, als daß er es bemerkte; endlich stieß sie ihn mit dem Ellbogen an;nun errieth er sogleich ihr Begehr, nickte ihr zu und gab [53] mit den Augen noch sein deutliches Zeichen der Zustimmung, und nun begann sie mit zitternder Stimme:Gott sei Lob und Dank für die große Gnade, die er heute diesem Hause widerfahren läßt! Ja, er hat mein Gebet erhört; er läßt die Hoffnung der Seinigen nicht zu Schanden werden; er kann thun über unser Bitten und Verstehen; das habe ich heute von Neuem erfahren.Nur Er weiß es allein, was ich ausgestanden habe in Sorgen und Kümmern um euch, meine lieben, lieben Enkel,und ich bekenne es offen vor meinem Herrn, ich war schon kleingläͤubig geworden; ich glaubte schon, es sei nun alles mein Klagen und Beten und Flehen vergebens, ich werde das schwere Hauskreuz tragen muüssen, bis es mich zu Boden drücke, und dann werde ich mit Jammer scheiden müssen aus diesem irdischen Jammerthal. Aber wenn die Noth am größten, ist Gottes Hülfe amnächsten,das ist doch immer wieder wahr. Während ihr heut in der Kirche wart, bin ich fast vergangen vor Kummer darüber,wie Alles so ganz anders, so viel hoffärtiger, ja ich sag's gerad' heraus, so viel gottloser geworden sei in unserm Hause, und in der gleichen Stunde hat unser gnädige Gott unserm braven Herren Pfarrer diese schöne Predigt eingegeben, als hätte er sie für unser Haus bei ihm bestellt, und hat seine Gedanken auf den Text gerichtet, der eurem Vater einmal so lieb und theuer geworden ist, und [34] dadurch hat er's dem Vater eingegeben, er solle zu euch ein ernstes Wort reden, und hat dann zu dem Wort seinen Segen gegeben; wenn man sieht, wie das Alles so zusammenstimmt, da müßte Einer doch blind sein auf beiden Augen und ein Herz haben wie Kieselstein, der es nicht eingestehen wollte, daß ein liebreicher, himmlischer Vater alle Dinge regiert, und daß die Herzen der Menschen in seiner Hand sind wie Wasserbäche und Er sie leiten kann,wohin Er will. O Melcher, wenn's dir damit Ernst ist,was du dem Vater versprochen hast, und du, Liseli, auch Wort hältst, aber, aber, nicht bloß heut und morgen,sondern von nun an immer Sonntag und Werktag so nehmt ihr euerer alten Großmutter einen schweren,schweren Sorgenstein vom Herzen. Tag und Nacht hat er mich gedrückt seit einem halben Jahr. Denkt, was mir kürzlich geträumt hat, ihr beide gehet an einem Sonntag mit einander spazieren, und ich sehe, wie der schmale Weg euch an einem tiefen Abgrund vorüberführt; das Liseli springt leicht und lustig voran und hört nicht, wie der Bruder ruft, thut einen falschen Tritt, gleitet aus, und der Melcher will's noch halten da bin ich erwacht. Ich glaube sonst nicht an Träume, halte es auch nicht für gut,wenn man ängstlich darauf achtet; aber was unser Eins recht tief bekümmert, das kommt ihm auch im Traum vor:so könnt ihr daran sehen, wie tief mir's zu Herzen ging, [55] daß ihr beide unsre alten guten Sitten verlassen und verachtet habt. Eurem Vater hat's weh gethan, das habt ihr heut merken können; mir noch viel mehr; denn so weit ich zurückdenken kann und das sind nun bald siebzig Jahre ist's im Leuenhof sparsam und einfach, fromm und gottselig, aber auch fröhlich und in Frieden zugegangen, und Gottes starker Arm hat drüber gewaltet in guten und bosen Tagen. Und nun in diesem alten ehrbaren Haus Hoffahrt und Uebermuth sehen müssen, leichtsinnige Reden und gar Lästerungen über Gott und sein Wort hören müssen, glaubt mir, daß war mir in der Seele zuwider, das hätt' ich nicht lang ertragen! Da mußt' ich jeden Tag denken: Womit hat denn der liebe Gott dieß an uns verdient? Er wird seiner nicht spotten lassen; er wird einmal ein großes, schweres Gericht über uns schicken.Aber nun läßt er nach seiner Barmherzigkeit das Gericht vorübergehen; denn er hat heut einen Engel des Friedens ins Haus gesandt. Drum folgt seiner Stimme; ihr könnt nichts Bessres thun; trachtet nicht nach hohen Dingen;bleibt bei dem schönen Stand eurer Väter! Hab' ich doch nun über 70 Jahr die Welt gesehen, aber einen andern Stand hätt' ich mir nie gewünscht. Das Brod essen, das man selbst gepflanzt hat, mit dem Hanf und Flachs sich kleiden, den man selbst gesponnen hat, und bei Fleiß und Arbeit Niemand nichts schuldig bleiben, Niemandes []

Knecht sein, das kam mir immer vor als das schönste

Knecht sein, das kam mir immer vor als das schönste Lebenz ich hätte mit keinem König tauschen mögen. Das rauhe Brod und das frische Wasser dazu, unsre gesunde Milch von der eigenen Kuh und der liebe Kaffee dabei,das hat mir, ich bin's versichert, immer besser geschmeckt,als den großen Herren ihre Braten und Pasteten. Zu gut hab ich's nie gehabt, und ich danke Gott dafür; er hat mich dadurch oftmals denken gelehrt an einen Ort, wo wir's einmal noch besser haben werden, als hier unten auf der Erde, an sein Himmelreich; hätt' ich's besser gehabt, wer weiß, ob ich nicht dann das Bestedrob vergessen hätte, das ewige Leben, und um deßwillen sind wir ja eigentlich auf der Welt, und dorthin werden wir nichts mitnehmen von allen weltlichen Dingen,wie es der Bibelspruch so schön sagt. Das, ihr meine Enkel, muß ich euch noch vorhalten als eure Großmutter,die euch niemals aus den Augen läßt: daß ihr ganz verlernt habt, in der Bibel zu lesen, das war auch Schuld an der schlimmen Veränderung, die mit euch vorgegangen ist.Drum folget meinem Rathe, lest von nun an wieder paarkräftige Sprüche nur, aber versäumt es niemals, es wird euch nicht gereuen; ihr werdet den Segen davon in allen Dingen spüren, wie ihr ihn [57] hente gespürt habt. Gleich jetzt fangt an mit mir; ich lese euch den schönen 103. Psalm. Feierlich begann sie:

Lobe den Herrn, meine Seele, und wasin mir ist, sein heiligen Namen! Lobe den Herrn,meineSeele, und vergiß nicht, was er dir Gutes gethanhat! Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen. Sie las den herrlichen Psalm bis zu Ende mit immer steigendem Nachdruck; man merkte, daß sie schon oft im Leben Trost und Freudigkeit daraus geschöpft hatte. Ihr in Folge des Alters und vieler mühsamer Arbeit von Falten durchzogenes Antlitz hatte während des Lesens einen besonders würdigen und feierlichen Ausdruck angenommen, und aus ihren Augen leuchtete eine himmlische Freude; es war für sie einer der schönsten Augenblicke seit langer Zeit.Als sie geendet hatte, trat ein ernstes Stillschweigen ein,ein solches, welches man hätte mit den Worten beschreiben können: Es ging ein guter Engel durch die Stube. Dann erinnerte die Mutter daran, es sei nun doch Zeit vom Tische aufzustehen; die Uhr zeige schon auf drei Uhr, da müsse sie gehen, den Kaffee zuzubereiten; wenn Liseli helfen wolle, so gehe es noch einmal so schnell, denn der Vater werde Durst haben nach dem langen Reden. Alle erhoben sich, Melcher verließ die Stubez Liseli räͤumte flink den Tisch ab und flog willig hin und her in Stube und [38]Küche; der Vater stopfte sein Pfeischen; die Großmutter setzte sich auf die Ofenbank.dechstes Rapitel.

Die Haussonne.

Psalm 1833, 1. Siehe, wie fein und lieblich ist es, daß Brüder einträchtig bei einander wohnen.Endlich hörte draußen das dichte Schneegestöber auf,alle Dächer hatte es mit der weißen, reinlichen Decke überzogen, die Bäume bis auf ihre kleinsten Zweige hinaus bekleidet und jedem Pflock an den Gartenzäunen ein Käppchen aufgesetzt; die hohe Brunnensäule vor dem Hause aus halb verwittertem, grauem Holze hatte der Schnee mit einem runden, schimmernden Turban geziert,dessen Spitze aber bei jedem Lufthauch, jeder kleinen Erschütterung einzustürzen drohte. Nicht die gleiche, reinliche Farbe, vielmehr eine gerade entgegengesetzte hatte die durchs Dorf führende Straße bekommen; nur ganz wenige Menschen, welche tiefe Fußstapfen zurückließen, zeigten [59] sich darauf, von dem feuchten Schneewind zur Eile angetrieben; den Kühen, welche zur Tränke kamen an den Brunnen vor dem Hause, schien es auch unbehaglich zu sein, sie wateten so bald als möglich wieder in die Wärme des Stalles zurück. Eine graue Wolkendecke verschleierte den Himmel; doch jetzt zerriß sie an einzelnen Stellen,und schwache Sonnenstrahlen brachen durch, ihren Weg zur Erde durch zarte Lichtstreifen bezeichnend. Endlich traf sich's, daß die Sonne ganz die Wolken durchbrach und mit ihrem freundlichen Licht auf das Dorf in seinem Schneekleid herabschien, so daß die Dächer strahlend erglänzten, als geschähe es dem einziehenden Winter zu Ehren. In manche niedre Bauernstube sandte sie einen kurzen, warmen, freundlichen Gruß und erfreute damit da und dort ein stilles um Vater und Mutter geschaartes Häuflein, welches die doppelte Wohlthat der köstlichen Sonntagsruhe und der wohlerwärmten Stube behaglich genoß. Während aber so die Sonne von außen hereinschien, war in mancher Bauernstube gerade auch eine andere Sonne aufgegangen, welche täglich um diese Zeit die Gemüther zu erwärmen und zu beleben pflegte und an manchem trüben und verdrießlichen Geist schon Wunder gewirkt hat das war die blankgefegte zinnerne Kaffeekanne mit glänzender messingener Haube, welche durch den ebenfalls gelbglänzenden Schnabel die Wolken des [60]würzigen Dampfes aushauchte in die Stube, ein SchauV bahnwagen im prächtigsten Bahnhof.

Auch im Leuenhof prangte diese Sonne auf dem Tische;dort ging sie fast so regelmäßig auf und unter wie ihre Schwester draußen am Himmel; aber während diese die weite Reise um die Welt zurücklegte, kam sie niemals weiter, als von der Küche in die Stube und aus der Stube wieder in die Küche. Selten fiel eine Unregelmäßigkeit vor in diesem ihrem gewohnten Laufe, und wenn dieß geschah, so stellte die exakte Großmutter alsbald die rechte Ordnung wieder her. Wohlthätig und unberechenbar war ihre segensreiche Wirkung; wer es nicht glaubt, hätte die beredte Großmutter hören sollen, wenn ste ihre Lobrede darüber hielt. Da war sie nicht bloß eine Quelle der Gesundheit und eine Trösterin und Helferin in Krankheit, in trüber Laune brachte sie den Frohsinn zurück, und die lange Weile besiegte ste glücklich; sie weckte in Verlegenheit gute Gedanken, im häuslichen Kreise nützliche und heilsame Gespräche, ja zu Allem dem war die liebe Kaffeekanne noch eine Versöhnerin und Friedensstifterin, dafür hatte die Großmutter Exempel genug bereit für die, welche es bezweifeln wollten. Es war kein gutes Zeichen, daß ihr seit geraumer Zeit der Kaffee nicht mehr hatte schmecken wollen, daß ste immer [831] nur noch eine, ganz selten zwei und nie mehr wie sonst am Sonntag gewöhnlich drei Tassen trank. Die Großmutter lebt nicht mehr lang, sagte manchmal die Mutter zum Vater; du siehst, nicht einmal der Kaffee schmeckt ihr mehr. Und wirklich war jenes Zeichen bedenklicher, als man hätte vermuthen sollen. In jener trauten Stunde, da die beliebte Freundin auf dem Tische stand, war die Großmutter stets die Seele des Gespräches gewesen: erfreute sie etwas, so mußte sie's erzählen; gefiel ihr etwas nicht an den Enkeln, so sagte ste's im Scherze, und wenn's nicht half, den Tag darauf im Ernste; die Neuigkeiten des Dorfes wurden verhandelt, und hatte eins einen Verdruß, so war sie mit einem kräftigen, wohlgewürzten Troste bereit; sie selbst machte sich's zur strengen Regel,immer mit heiterm Gesichte obenan zu sitzen; denn hier führte ste nach altem Brauche den Vorsitz und ließ sich's nicht nehmen, wenn auch mit zitternden Händen, ihren Nachbarn am Tische einzuschenken. War irgend ein festlicher Anlaß, so überraschte sie die Ihrigen mit einem Eier oder Zwiebelkuchen und manchmal war's ihr schon gelungen, in trüben Zeiten ihrem Sohne mit diesem seinem Lieblingsgerichte die Sorgenwolken von der Stirne wegzuscheuchen oder ihn für ihre milden Trostworte empfänglicher zu machen. Oft kamen auch Nachbarn oder Verwandte um diese Stunde, besonders am Sonntag, und [62]tranken dann gerne ein Taäßchen mit. Seitdem nun aber Melcher wegen seiner Fabrikgeschäfte gewöhnlich beim Kaffee fehlte und Liseli in seinem Arbeitseifer beim Seidenweben sich kaum die Zeit gönnte, seine Tasse brühwarm hinunterzustürzen, (was überdieß die Großmutter nicht leiden konnte, weil es schädlich sei für die Zähne und den Magen) und, kaum war es recht an den Tisch gesessen,schon wieder davonsprang, da war für das liebe Kaffeestündchen Freude und Gedeihen dahin, kein rechtes Gespräch wollte mehr aufkommen, das Liseli that, als ob man ihm für jedes freundliche Wort einen halben Batzen bieten müßte; so kam es oft zu gegenseitigen Vorwürfen; entweder stand zuletzt der Vater auf und ging unwillig davon, oder das Liseli schlug die Thüre zu, daß die Fenster klirrten, kurz, die Haussonne von ehemals wollte nicht mehr freundlich strahlen, nicht mehr wohlthuend wärmen,und das war auch ein trübes, schlimmes Zeichen.

Heute aber hatte seit langer Zeit Liseli wieder zum ersten Male selber Hand angelegt, um den braunen, stärkenden Trank zu bereiten. Mutter, laßt mich machen,sagte es freundlich, ich versteh' mich noch so gut darauf wie früher; ihr macht ja euren schönen Sonntagsrock staubig, und für meinen ist's nicht schade; er wird ja doch nun abgedankt, da ihn der Vater nicht mehr leiden will.Also geht in die Stube und laßt mich hier allein; ihr sollt

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Alle einen Kaffee bekommen, wie ihr lange keinen getrunken! Gerne überließ die Mutter der Tochter ihr gewöhnliches Amt, und unter ihren Händen setzten sich die Pfannen beinahe selbst über das Feuer, ja sie fand noch Zeit, in aller Geschwindigkeit einen Teller mit kleinen Kuchen zu bereiten, wie sie die Großmutter besonders liebte. Als Alles fertig war, brachte sie's mit freudestrahlendem Gesichte in die Stube, und nun strahlte wieder einmal die blanke Kaffeekanne als treue Haussonne freundlich über den Tisch, und haätte sie dießmal nicht erwärmt und erheitert wie ehemals, so hätte des Liseli's fröhliches Antlitz an ihrer Statt dieß thun müssen; denn das mußte man ihm lassen, es war allerliebst und hübsch zum Malen,wenn sein von Natur so fröhlicher Sinn frei aufquellend aus dem Herzen seine Bewegungen, seine Worte und seine Züge belebte. Nun war es auch für die Großmutter eine wahre Lust und Augenweide, ihm zuzusehn, wie flink es die Sonntagstassen mit den gemalten Kränzchen oder Namen oder Sprüchen aus dem Schranke nahm und auf dem Tisch herumstellte, und wie es dann mit heitern herzgewinnenden Worten Alle einlud, sich nun zu Tische zu setzen, und zu probiren und zu entscheiden, ob es auch noch im Stande sei, Kaffee und Kuchen zu machen, wie's sich gehöre. Aber wie schade, sagte es, als die Andern saßen, daß der liebe Melcher noch nicht da ist, der versteht [14]sich ja so gut darauf, was gut schmecke oder nicht; er könnte das beste Urtheil abgeben, und gewiß er würde dießmal nicht verachten, was das ungeschickte Liseli zubereitet hat.Indeß dabei die Großmutter dachte, es sei doch ein Unterschied, stärker als zwischen Tag und Nacht, zwischen einem Menschen, wenn schlimme Laune und Mißmuth und ein böses Gewissen aus ihm herausschaue und demselben Menschen, wenn der gute Wille und die Liebe ihn treibe,und dieß auf's Liseli anwandte, trat Melcher rasch zur Thür herein, war freudig überrascht von dem Anblick des wohlbesetzten Kaffeetisches und setzte sich mit einer selbstzufriedenen Miene an seinen Platz, welche verrieth, daß er eine willkommne Neuigkeit auf der Zunge habe. Nach seiner Gewohnheit aber platzte er nicht sogleich damit heraus, sondern seine erste Sorge war, sich seine Tasse füllen zu lassen von der ungewöhnlich dienstfertigen Schwester,welche auch nicht säumte, sein wohlerfahrenes Urtheil über ihre wieder erwachte Haushaltungskunst keck herauszufordern. Mit Kennerblick stimmte er ein in das allgemeine Lob; die Großmutter konnte in ihrer Gesprächigkeit kaum damit fertig werden; die Sonne sandte dazu ihre letzten, matten, röthlichen Strahlen durch die niedern Fenster. Allen aber war's als hätten nach einem Hochgewitter, das sich glücklich entladen, die Wolken sich wieder verzogen, und in den Regentropfen am nassen Grase []*glänzte von Neuem das Sonnenlicht so schien der alte Geist der herzlichen Liebe und ein heimeliges Wesen ins Haus zurückgekehrt, und die Gespräche, die nun sich entspannen, legten davon das deutlichste Zeugniß ab.

Der Melcher hat etwas hinter den Stockzähnen, sagte der Vater zur Großmutter gewendet, seht nur, wie er sich zwingt, ein ernsthaftes Gesicht zu machen wie ein Rathsherr, und es will ihm doch nicht recht gerathen; frisch heraus mit der Sprache, wir Andern wollen auch wissen, was dir eben im Kopf herumgeht.

Nichts, als daß ich eben beim Fabrikaufseher gewesen bin, sagte Melcher mit zufriedenem Gesicht, und meinen Abschied genommen habe; aber die Lektion hättet ihr hören sollen, die er mir gab zur guten Letzt, wie ich nun wieder ein Bauerntoölpel werde und mein Glück mit Füßen trete, wie's nicht lange gedauert hätte, so hätte ich fast den doppelten Lohn bekommen, wie das ein schlimmes Beispiel sei für's ganze Dorf; denn zu Hause werde ich doch nur auf der faulen Haut liegen und dergleichen Dinge mehr,daß mir das Blut schon in den Kopf und das Prügelfieber in die Arme kommen wollte. Aber ich besann mich besser,nahm meine neumodige, thalerwerthige Cigarrenbüchse,die ich doch nie recht hatte brauchen koönnen, überreichte sie ihm und sagte, ich wollte sie ihm zum Geschenk machen zum Dank für die vielen guten Lehren, die er mir gegeben

Zehender, der Leuenhof. 5 []*8 und die ich mir alle so bald als möglich wieder aus dem Kopf schlagen wolle, und ging leicht und froh wieder davon. Glaubt ihr nun, Vater, daß es mir wahrhaftig Ernst Ich seh', der Apfel ist doch nicht allzuweit vom Stamme gefallen; es ist in dir auch etwas vom guten harten Eichenholz, aus dem uns're Väter und Vorväͤter geschnitten waren; aber der Wurm wollte dran kommen und's war hohe Zeit, daß man ihm auf die Spur gekommen ist. Nun ist er vertilgt, und wir wollen zu Gott hoffen, daß aus dir wieder ein guter und gesunder Stamm werde. Aber nun nimmt mich doch Wunder, fuhr er scherzhaft fort, was das Liseli mit seiner türkischen oder chinesischen oder französischen Haube anfangen wird, in der es so scharmant ausgesehen hat, wie eine Nachteule mit niedlichen, spitzigen Ohren?Die könnt ihr meinetwegen der Katze anziehen, erwiederte Liseli sogleich ebenfalls in scherzhaftem Tone; oder nein, setzte sie schnell hinzu, ihr bekommt sie nie mehr zu sehen; ihr würdet mich nur von Neuem auslachen, aber ich will dafür sorgen, daß ste euch gewiß nie mehr ärgern soll.

Aber das ist erst Numero Eins deiner Variser Uniform, sagte der Vater weiter, auf die Nachteulenhaube folgen die durchlöcherten Ermel und auf diese die mäusledernen Schühlein, in denen der Fuß alle Tag um einen

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Zoll kleiner wird, und darauf die durchsichtigen Halstücher von allen Regenbogenfarben, und endlich noch das allerüberflüssigste Ding auf der Welt, der kleine Regenschirm gegen den Sonnenschein, der kaum für ein jähriges Kind groß genug wäre und der mir immer als der größte Beweis dafür gilt, daß die Eitelkeit den Menschen zum Narren macht.

O Vater, ihr seid doch ein rechter Spottvogel, unterAD gleichen scherzhaften Tone, aber es war in Verlegenheit, was es weiter sagen sollte; denn der Kampf war bei ihm noch nicht ausgekämpft, und schon waren wieder die Thränenbächlein bereit, über ihre Ufer zu treten und der Freude Licht über dem jugendlichen Gesicht wieder zu löschen; da merkte es die Mutter noch zur rechten Zeit und sagte:Vater, das gehört nun nicht vor die ganze Haushaltung;das wollen mein Liseli und ich mit einander ausmachen;ihr müßt es nicht gar so unbarmherzig plagen, es hat gewiß den guten Willen zu Allem, aber ihr müßt ihm Zeit dazu lassen. Da steht der Teller voll Kuchen, die hat Liseli ganz allein herbeigehert; greift zu und laßt's euch schmecken, laßt den Teller herumgehen, und wenn's euch Allen recht ist, so will ich euch eine Geschichte dazu erzählen, die einmal mit solchen Kuchen passirt ist.

Alle griffen zu, fanden die Kuchen trefflich zubereitet, [88] lobten das Liseli und dankten ihm dafür, so daß die Wolke auf seiner Stirn sich wieder verzog und die Mutter fing an vergnügt zu erzählen:

Es war vor mehr als hundert Jahren so hat man's mir erzäͤhlt, als ich noch ein Kind war, ein schöner,schlanker und reicher Bursche im Dorf, der konnte nie mit sich einig werden darüber, welches Mädchen er sich zur Braut erwählen sollte. Vater und Mutter ließen ihm Tag und Nacht keine Ruhe, zaählten ihm eine Menge Bauerstöchter auf und priesen site ihm an. Da sagte er zuletzt: Wißt ihr was, ich will drei Mädchen auslesen aus allen denen, die ihr mir anpreist; mit diesen will ich eine Probe anstellen, und die, welche die Probe am besten besteht, soll meine Braut sein. Er wählte zwei reiche Bauerstöchter und eine arme. Dann ging er zu der ersten der beiden reichen und sagte zu ihr: Sei so gut und mache mir Eierkuchen, aber laß mich zusehen, wie du das Ding angreifst! Und die Erste dachte: du mußt ihm zeigen, daß du nicht zu sparen brauchst, und schlug eine Menge Eier zusammen und that wenig Mehl an den Teig und machte Kuchen wie für eine Armee Soldaten und ließ sie im Butter schwimmen, daß sie davon troffen, und streute einen Haufen Zucker darüber. Der Freier aß davon nach Herzenslust bis er satt war und doch blieben noch viele auf dem Teller übrig. Und er dachte: Das ist nicht die Rechte;[89]die treibt mir's zu hoch! und ging zur Zweiten, die auch reich war, und sagte zu ihr: Sei so gut und mache mir Eierkuchen, aber laß mich zusehen, wie du das Ding angreifst! Und die Zweite dachte: du mußt ihm zeigen, wie du verstehst hauszuhalten, und nahm ein einziges Ei, und dazu ein kleines, und schüttete Wasser daran und that eine große Menge Mehl dazu und brachte mit großer Noth einen Teller voll Kuchen heraus und setzte ihn dem Freier vor, streute aber kein Stäublein Zucker darauf. Und er aß davon, doch nur der Höflichkeit wegen, denn sie wollten ihm nicht schmecken, und obgleich er alle gegessen hatte,ging er doch hungrig davon und dachte: das ist auch nicht die Rechte; die ließe mich vor Sparsamkeit verhungern.Endlich ging er zur Dritten; die war arm und wohnte in einem kleinen Häuschen; zu der sagte er: Sei so gut und mache mir Eierkuchen, aber laß mich zusehen, wie du das Ding angreifst! Und sie besann sich nicht lang, sondern holte hurtig drei schöne und frische Eier aus ihrem kleinen Vorrath und schlug sie in den Topf und rührte gerade so viel Mehl daran, als zu einem guten Teig gehört, und mit dem Butter traf sie's auch so gut, daß die Kuchen schön braun wurden und doch trocken auf den Teller kamen, wie's sein muß. Dann setzte sie ihm freundlich die wohlgerathenen Kuchen vor und stellte die Zuckerbüchse daneben und sagte: Liebst du's süß, so streu dir selber []vy

Zucker drauf; uns schmecken sie so am besten. Und dem Freier schmeckte ohne Zucker eins besser als das andre;die Köchin mußte mit zu Tische sitzen, und als sie gegessen hatten und nicht eines übrig blieb, reichte er ihr die Hand und sprach: Habe Dank, liebes Madchen, willst du meine Braut sein? Und sie besann sich wieder nicht lange und schlug ein, und bald hielten sie Hochzeit und lebten lange mit einander in glücklicher Ehe. Dem Burschen aber hat man den Namen „Füchslein“ gegeben und allen seinen Nachkommen bis auf diesen Tag, weil ers so listig anfteng,um die rechte Hausfrau zu erkennen.

Merk dir's, Melcher, rief der Vater lachend, und du,Liseli, kannst auch etwas daraus lernen. Doch waren deine Kuchen am meisten den letzten ähnlich, drum wird's dir einst, wenn du so bleibst, wie Vater und Mutter dich erzogen haben, an einem wackern Mann nicht fehlen.

An dieser Geschichte aber könnt ihr den Spruch der heutigen Predigt noch besser verstehen lernen. Ihr seht daraus zuerst, daß Verschwendung und Großthun nicht zum Glücke führt, und daß die klugen Menschen, auch wenn sie selbst reich genug stnd, um nicht jeden Thaler ängstlich zurückhalten zu müssen, doch mit den Verschwendern nichts zu thun haben wollen; denn sie wissen wohl,daß für den Verschwender meistens das größte Vermögen noch zu klein ist. Ihr seht aber auch aus der Geschichte, [71] daß Geiz und Genügsamkeit nicht dasselbe sind. Wer die Genügsamkeit ohne Gottseligkeit betreiben will, verfällt in den Geiz; denn bei seinem Sparen und seinen Entbehrungen denkt er immer nur an das liebe Ich, betet nicht um den Segen von Gott, legt die Entbehrungen sich nicht auf aus Liebe, sondern aus Geldsucht, indem er berechnet, wieviel sich dadurch wieder an blanker Münze zusammenscharren lasse, und weil er die Liebe zu Andern erstickt, so erstirbt in ihm auch zuletzt die rechte Liebe zu sich selbst. An keinem Laster kann man so deutlich sehen, wie die Sünde sich durch sich selbst straft,wie am Geiz. Der Geizhals hat wohl das Geld, aber keinen fröhlichen Genuß davon, oder, wie einst Jemand sein Herr und Meister und Gesetzgeber. Mit saurer Müh und heißer Begier hat er es gesammelt, und nun ist's das gleiche Geld, was ihn eigentlich tyrannisirt, martert und quält, ihm die Ruhe des Schlafes stört, ihm das Herz eiskalt macht gegen die Mitmenschen, aber auch die Mitmenschen kalt gegen ihn; das Geld ist's, welches ihm verbietet, gesunde Nahrung zu genießen, warme Kleider anzuschaffen, sich eine frohe Stunde zu bereiten, sich in Krankheit die nöthige Pflege zu gönnen; das Alles kann und darf ein rechter Geizhals nicht; sein Gott, das Geld, verbietet es ihn. Man weiß Beispiele genug von solchen [72]Unglücklichen. Da hab' ich einst von Einem gehört, der hatte Geld genug, um bequem zu leben, und keine Familie zu versorgen; aber das Geld reute ihn, um Holz anzuschaffen; lieber trug er an kalten Tagen einen Klotz aus dem Keller bis zum Estrich, um sich zu erwärmen, und wieder zurück und so fort Stundenlang. Das war mir stets das deutlichste Bild vom Elend des Geizes. Und das Haßlichste daran ist noch dieß, daß der Geizige seine Güter auch für den Fall, daß er sie verlassen muß im Tod und also nicht mehr braucht, doch seinem Mitmenschen, oft seinen nächsten Verwandten nicht gönnen mag, sondern lieber ste vor dem Tode noch für ste unbrauchbar macht,verbirgt, vergräbt. So schnürt das Geld das Herz zusammen, daß jeder Gedanke von Liebe daraus entfliehen muß. Doch sollte man denken, wer nur einmal mit gesundem Verstande das Bibelwort beherzigte: Wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden nichts hinausbringen, der müßte die ganze große Thorheit des Geizes einsehn, müßte das Wort in seinem Innern wiederhallen hören: Du Thor, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern und weß wird es sein, das du bereitet hast? Aber der Geizige versteht das nicht mehr; er hat eben schon keinen gesunden Verstand mehr.Drum ist's so nöthig, daß man in der Jugend lerne, die irdischen Güter, habe man wenig oder viel, mit gottseligem

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Sinne verwalten. Wenn man stets dabei denkt: Der Herr hat's gegeben, so denkt man auch an die Rechenschaft, die drüber abgelegt werden muß, und dem Armen wiegt dann der Batzen so schwer in der Hand, wie dem Reichen der Thaler; ferner man genießt dankbar, was man für das Geld erhalten kann, und hat auch kein Bedenken, sich bisweilen eine kleine Freude zu gönnen, wenn man's vor Gott verantworten kann. Ferner besinnt man sich dann auch nicht so lange zu geben, wenn man von großer Noth hört, und sollte man auch nur so viel geben können, als die Wittwe mit ihrem Scherflein z denn man weiß: Wo auch das Geld hinkommen mag, ist's in Gottes Hand; er kann's auch wieder zu mir lenken,wenn's mir gut ist, und wenn ich in Noth bin, so gehört ja der Reichthum der ganzen Erde ihm; viel ungemünztes Gold und Silber liegt noch in seinen Schatzkammern; davon kann er geben, wem er will;warum also verzagen? Auch der Arme, der Dürftige soll,freilich nach seinem Verhältniß ein Jeder, frisch dem Sprüchlein trauen: Geben ist seliger denn Nehmen, und es manchmal auf gut Glück versuchen, gewiß, er wird dabei nicht übel fahren. Aber die schöne Geschichte der Mutter hat mich ganz wieder in den Eifer und ins Predigen hineingebracht. Unnütz ist's nicht, wenn ihr's auch vier und stebenmal hoört, was für eine giftige Sache das [74]Geld ist, wenn man's ohne Gott will erwerben und verwalten, und wiederum, wie viel man mit Wenigem ausrichten kann, wenn Gottes Segen darauf ruht. Aber nun seh ich's der Großmutter an, daß sie noch etwas sagen möchte.

Die Großmutter, die außerordentlicher Weise schon bei der dritten Tasse war und sich eben noch einen Kuchen zugelangt hatte, sah mit aller Freundlichkeit, die aus ihrem liebevollen Auge leuchten konnte, das Liseli an und sagte,vor Freude bewegt: Ich hab' es wohl bemerkt, daß du meinetwegen die schönen Kuchen gebacken hastz du stehst, ich habe ihnen auch Ehre angethan; es hat mir Kaffee und deine Kuchen dazu. Das war auch wieder einmal ein Sonntagabend, wie er sein soll und wie er ehemals war. Könnte ich noch viele solche Sonntage erleben, ich würde nicht einmal wünschen, die Erde so bald zu verlassen. Ich kann aber nicht wissen, wie Gott dieß beschlossen hat. Diese Nacht schon könnte er mich ja abrufen, und ich wäre bereit. Nimm nun von deiner treuen Großmutter für die Freude, die du ihr bereitet hast, noch ein wohlgemeintes Wort an, wie sie's dir sagen würde, wenn sie im nächsten Augenblick für's ganze Erdenleben von dir Abschied nehmen müßte. Ich bin auch einmal jung gewesen wie du. Ich weiß, wie unbeständig das Herz ist in deinen []*

Jahren. Bald möcht' es alles Gute auf einmal versprechen,bald wollen alle böse Geister mit ihm davonfliegen. Die Welt ist jetzt gefährlicher, als sie zu meiner Zeit war. Man sieht mehr schlimme Beispiele vor Augen, viel Neues gibt's, wovon man nicht weiß, dient's zum Guten oder bist eine Zeitlang nicht auf deiner Hut gewesen; drum hat die Welt dich stark gepackt, du bist ein eitles, leichtstnniges und mürrisches Liseli geworden und warst früher bescheiden und brav und freundlich gegen Jedermann. Der liebe Gott hat dir heut' einen deutlichen Wink gegeben; er ist dir gewiß zu Herzen gegangen. Aber und hier hob ste den Zeigefinger auf und sprach langsamer ich lese in deinem Herzen, daß die Versuchung noch nicht überwunden ist, die dich allmählig gefangen hatte; ste wird alle Tage mehr als einmal wiederkehren. Damit du sie besser bekämpfen kannst, will ich dir kurz erzählen, wie ich in deinem Alter gegen solche Versuchung gekämpft habe. Wir waren unser neun Kinder und wohnten in einem Hause,im Vergleiche zu dem dieß ein Herrenhaus heißen kann,hatten knapp das tägliche Brod und mußten hart arbeiten,aber da die Eltern niemals klagten, und alle Tage Gott für seine Güte dankten, so wußten wir eigentlich kaum recht, daß wir arm waren, und schickten uns drein, als R [76] einen aufgeweckten Verstand gegeben, und als ich nun,besonders im Unterricht bei unserm guten Herrn Pfarrer Gott hab ihn selig, den braven Mann öfter unter die andern Kinder kam, da merkte ich bald den Unterschied wohl zwischen Aermern und Reichern und wünschte mir natürlich nach Kindesart, recht reich zu sein, und murrte auch manchmal drüber, daß unsre Familie zu den niedrigsten im Dorf gehörte, und einige Andre stimmten mit ein. Das merkte vielleicht unser lieber Herr Pfarrer, oder er hatte es sonst im Brauch kurz, er erklaärte uns manchmal und bewies es mit vielen Zeugnissen aus der Schrift, die Armuth sei keine Schande, wenn man sie nicht durch Faulheit und Müssiggang selbst verschuldet habe, ja manchmal sei ste noch eine Ehre; oft sei ste schon der Weg zu großen Ehren auf Erden oder im Himmel geworden. Christus sei ja selber arm gewesen und habe die Schmach der Armuth getheilt, drum stünden alle Armen,Niedrigen und Geringen unter seinem besondern Schutze und lägen ihm am nächsten am Herzen, drum habe er auch gesagt: Was ihr dem Geringsten unter diesen meinen Brüderngethanhabt, das habt ihr mir gethan. Drum habe es etwas Schönes, wenn auch viel Bittres damit verbunden sei, das gleiche Joch wie unser Erlöser zu tragen, und niemals dürfe man versuchen,durch unrechte Mittel dieß Joch und Kreuz abzuwerfen; [74] denn es sei auch ein Geschenk Gottes zu unserm Besten.Wenn wir daher in Versuchung kämen, durch unrechte Mittel, Diebstahl, Betrug, Ungerechtigkeit und andre schlimme Dinge die Armuth abzuschütteln, so sollen wir denken: Dein Heiland Jesus Christus steht dir zur Seite,sein Schutz ist mehr werth, als irdisches, großes Gut;bleib'arm, aber bleib' in seinem Schutze. Dann erinnerte er so gerne daran, welche große Gesellschaft von gottergebenen, edlen, hochberühmten Armen wir einst im Himmel antreffen würden, die Apostel alle, die Glaubensboten unter den Heiden, die Blutzeugen der Kirche, viele der Reformatoren, viele große Jugendfreunde, viele verborgene christliche Dulder, die seien alle dort mit dem Ordensstern der Armuth angethan, und wenn wir treu ausharrten, so werde der uns einst auch zu Theil. Und wenn er das Höchste sagen wollte, was sein Herz am tiefsten bewegte, so sagte er, unser Heiland sei arm geworden um unsertwillen, auf daß wir durch seine Armuth reich würden; warum wir denn für diesen innern Reicht hum nicht auch mit frohem Muth die äußere Armuth ertragen wollten? Und wenn er in guter Laune war, so erzaählte er uns entweder von den ersten Christen, welche freiwillig arm wurden, um Andern zu helfen oder um dem Evangelium desto treuer sein zu können, oder von einem Mönch in Frankreich, der freiwillig auf die Galeeren ging,[]4*um dort den Aermsten zu dienen, oder von Mariin Luther,der als Knäblein hungern und frieren mußte, bis ihn eine liebreiche Frau ins Haus aufnahm, oder von einem großen Kaiser, der als junger Bursche freiwillig ein Zimmermannslehrling wurde, und so von vielen Andern, denen die Armuth, die Gewoöhnung an Einfachheit und Entbehrungen die beste Schule war für einen zukünftigen schweren Beruf. Und wenn wir recht Acht gegeben hatten und es ihm besonders froh ums Herz war, so erzählte er uns seine Lebensgeschichte, die gut als eine Erklärung zu dem Worte passen konnte: Es isteinem Mannegut, daß er sein Joch in der Jugend trage. Auch ich, liebe Kinder,pflegte er zu sagen, habe die Armuth geschmeckt und aus ihrem bittern Kelch getrunken; drum rede ich davon aus Erfahrung; aber ich nähme nicht tausend Gulden, wenn ich dafür nicht erfahren haben sollte, was es heißt, arm sein. Dann erzählte er besonders gern von der täglichen Liebe und Treue seiner Mutter, und wie sie oft gesagt habe: Jakob, wenn du fleißig und gewissenhaft bist, so wirst du's einmal viel besser haben, als wir; aber ein großer Herr wirst du nie werden, drum bleibe bei dem einfachen Leben, wie du's bei uns siehst, und es mag dir gehen, wie's will, versprich mir, wer de n icht stolz. O wie gern hörten wir den lieben Herrn Pfarrer von dieser Mutter erzählen, und zuletzt sagte er immer: Sie hat ge [29] wiß einen Ehrenplatz im Himmel bekommen; aber hätte sie nicht in Armuth gelebt, wie hätte sie so viel Geduld,Aufopferung, Treue und zärtliche Hingebung mir erweisen können! Also die Armuthistauch ein Ehrenstand;drum, Kinder, braucht nie unrechte Mittel, um sie abzuschütteln; Arme und Reiche müssen unter einander sein;der Herr hat ste alle genacht.

Nun sag' ich dir, Liseli, wenn ich diese kostbaren Lehren nicht mit mir genommen hätte in die Welt hinaus, ich wäͤre ein leichtsinnig, unglücklich, gottlos Geschöpf geworden wie manche Andre. Der Vater sagte, als ich confirmirt war: Du bist von den neunen das älteste; geh' nach Zürich in einen Dienst und erwirb dir selbst etwas; ich kann dir nichts mehr geben. Ich ging und traf's gut; ich kam in ein vornehmes, steinreiches Haus, wo's vielen Lohn gab; aber es hätte mir doch schlimm gehen können. Zwei Mägde waren außer mir im Haus und ein Bedienter und ein Kutscher; ihr glaubt's nicht, was ich da Alles habe sehen und hören müssen. Schmählen über die Herrschaft, ungezogene, wüste Reden, kleine Diebstähle und grobe Lügen kamen fast alle Tage vor. Und ich war ein leichtes Blut wie du jetzt, Liseli, das Geld hatte auch eine Gewalt über mich; in Kleidern wollte ich auch nicht gern weniger sein als ein Andres, und einen lustigen Tag hätte ich auch manchmal gern gehabt; dazu fehlte es mir nicht [80] an Verstand; und alle jene Dinge hätte ich haben können in dem reichen Hause, hätt' ich's machen wollen wie die Andern. Wie manche Flasche guter Wein spazierte in die Kammer des Bedienten und des Kutschers! Und wie manchmal war nach einem großen Essen ein silberner Löffel fort, Niemand wußte, wohin er gekommen; ich hätte es errathen koöͤnnen; aber man untersuchte nicht lange.Und wenn die Herrschaft auf einer Reise war, wie gings da zu! Nach dem Sprichwort gings: Wenn die Katze fört ist, tanzen die Maäuse. Da wurden Kuchen und Confekt gebacken, denn die Köchin wußte wohl, wo der Zuckerstock und wo der Schmalzhafen stand; auch Gäste fehlten nicht aus der Nachbarschaft, und der Bediente, der größte Spitzbub von allen, machte Musik mit einer alten Flöte, daß die Mäuse und Ratten erschracken, und da wurde Walzer und Galopp getanzt in der großen Küche, daß die Wände zitterten. Da war ich wie ein Schaf unter den Wölfen,und es fehlte nicht viel, so hätte ich mit den Wölfen geheult. Aber der liebe Gott und das Andenken an meinen lieben Pfarrer hat mich zurückgehalten. Schüttelt nicht die Armuthab durch unrechte Mittel, sagte mir mein Gewissen, wenn ich auch Lust fühlte nach verbotnem Gut, nach einem Ring, nach einem silbernen Löffel, und:Die Armen stehen alle in des Herrn Jesu Schutz, der selber arm war, sagte ich zu mir im

[81]

Stillen, wenn sie über mich lachten und spotteten, daß ich nicht mithalten wollte. Da gab's der Herr mir ein, daß ich gerade bei diesem schlechten Leben jeden Tag noch besser einsehen lernte, was für ein Gift das Geld ist, wenn man seiner Lockung nicht widerstehen kann, und was für ein Glück es ist, einfach gewöhnt zu sein und diese Schleckereien und den übertriebenen Putz und die ausgelassenen Lustbarkeiten zu verachten. Glaube nicht, Liseli, es sei leicht gewesen, dieß Alles durchzumachen; ich mußte oft hart und streng kämpfen wider die Versuchung; aber der Gott der Armen hat mich nicht im Stich gelassen, und wenn die Versuchung zur Unredlichkeit oder zu unzüchtigem Wesen oder zur Unzufriedenheit mit Gott am schärfsten an mich kam, da stellte ich mir den Vater und die Mutter und die acht Geschwister vor in ihrem kleinen Hause und dachte: Was würden die sagen, wenn du hoffärtig oder ehrlos oder lügnerisch geworden wärest! und stellte mir unsern lieben Herrn Pfarrer vor und dachte? Du dürftest ihm nicht mehr unter die Augen kommen, wenn du seine Worte in den Wind schlügest! und endlich stellte ich mir unsern Herrn und Heiland selber vor und dachte:Er ist um deinetwillen arm geworden, daß du reich würdest an ewigem Gut; warum kannst du nicht auch arm und niedrig bleiben mit frohem Muth, um an seinen Geboten zu halten und ihm Ehre zu machen als ein Glied an Zehender, der Leuenhof. ß [32] seinem Leib? Und keine Versuchung war so stark, daß sie nicht vor allen diesen guten Geistern, die mir zu Hülfe kamen, hätte zu Schanden werden müssen. So bin ich arm, aber ehrlich und einfach geblieben in dem reichen Haus; denn der Herr hat mir treulich durchgeholfen.Zuletzt konnt' ich bei dem boöͤsen Treiben nicht mehr schweigend zusehn, das Gewissen trieb mich, es dem Hausherrn zu sagen, aber auch aus dem Haus den Abschied zu nehmen. Der Hausherr gab mir ein gutes Zeugniß und machte mir ein schönes Geschenk obendrein, und ich bekam bald einen bessern Dienst in einem bürgerlichen Hause,wo mir's steben Jahr lang recht wohl war. Dann kam ich nach Haus und war durch nichts verwöhnt worden;aber am wohlsten war's mir wieder auf dem Acker und im Rebberg und beim Melkkübel, und ich war stolz darauf,daß der liebe Gott mich zu einem Bauernmaädchen und nicht zu einer Stadtjungfer geschaffen hatte. Und da kam euer seliger Großvater und nahm mich zur Frau; da hatten wir nicht mehr als Nahrung und Kleidung bei fleißiger Arbeit, aber wir ließen uns begnügen, und wenn Jemand uns unzufrieden machen wollte, so erzählte ich von dem reichen Haus in Zürich und welche Dinge da vorgegangen seien, und mit welchen Narretheien die Stadtjüngferchen sich plagen müßten, bis sie nur recht gekleidet seien, um in ihre Vistten zu gehen, und wie also [32] der Reichthum auch ein Kreuz sei, und dann waren mein Mann und ich wieder zufrieden. Nun weiß ich wohl,Liseli, es streiten sich noch allerlei gute und schlimme Gedanken um dein Herz, und die Hoffahrt hat sich darin schon tief eingenistet, und du mußt viel kämpfen und piel beten, um diese Schlange zu tödten. Aber du kannst auch viel, wenn du willst, mit deinem frischen Muth und deinen flinken Händen. Sieh, es wäre ewig schade, wenn du, dem Geld und der Hoffahrt zu lieb, etwas Anderes werden wolltest, als wozu Gott dich bestimmt hat. Folgst du des Vaters Rath und kehrst zur ländlichen Sitte und Arbeit deiner Väter zurück, dann wartet deiner ein stilles,einfaches, aber glückliches Leben; du wirst etwas gelten;du wirst die Freude und der Stolz deiner Eltern sein; du wirst immer mehr erfahren, daß zum Glück nicht vor Allem das Geld, sondern die Gottseligkeit und ein genügsamer Sinn gehört, und du wirst einmal deinen eignen Heerd und deinen vollen Tisch haben, besser als Manche, die jetzt mit dem Sonnenschirm herumspaziert, dafür ist mir nicht bange. Aber, sagte sie noch langsam mit aufgehobenem Finger, ich warne dich vor der Schlange der Hoffahrt in deinem Herzen; sie ist noch nicht todt, kämpf' gegen sie jeden Tag mit Gebet, mit Gottes Wort; denk' dabei an den heutigen Tag, denk' an deine Großmutter. Armuthin [4]Ehren ist besser auls Hoffahrt mit Schan de;z odaß dich Gott auf dem guten Weg erhalte!

Die letzten Worte waren kräftig, aber mit einem wehmuthsvollen Tone gesprochen; die Großmutter hatte all'ihren Ernst und alle ihre Geisteskraft zusammengenommen,als käme es auf diese Stunde an, ob das Gute bei Liseli Bestand haben könne oder nicht, und als wäre es ihre Gewissenspflicht, zu seiner Rettung zu thun, was sie könnte.Liseli horte aufmerksam zu; zuletzt kamen die Thränen,und tiefbewegt sagte es zur Großmutter: Habt keine Angst,ich will ganz anders werden; es war mir heute schon so viel wohler, als seit langer Zeit! Die Sonne war unterdessen untergegangen und die Dämmerung schon tief hereingebrochen, als die Großmutter ausgeredet hatte; schon schimmerte ein Licht aus dem Nachbarshause herüber; Liseli stund auf und trug flink das Kaffeegeschirr in die Küche und stellte, was übrig war, der Magd und dem Dienstknaben auf den Heerd zur Wärme. Die Großmutter aber wiederholte noch einige Male, heute habe ihr der Kaffee wieder einmal geschmeckt wie sonst, und ein Geist des Friedens und der Versöhnung bewegte alle Gemüther.

[85]

Siebentes Rapitel.

Der Jorsschulmeister.

Matth. 18, 12. Ein jeglicher Schriftgelehrter zum Himmelreich gelehrt, ist gleich einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorträgt.Noch plauderten vertraulich bei der Dammerung Vater und Sohn, Mutter und Großmutter in der niedrigen Bauernstube; da trat, ohne anzuklopfen, tief gebückt und zitternd an einem Stabe gehend, ein alter Mann herein mit tief eingefallenen Zügen, aber liebreichem Auge und ehrwürdigen, weißen Haaren. Er zog seine Pelzkappe ab und grüßte mit keuchender Stimme Alle, die in der Stube saßen; er wußte zum voraus, wen er zu dieser Stunde hier antreffen werde. Es war der alte, nun in Ruhestand versetzte Schulmeister des Ortes; achtzig Lebensjahre trug er schon auf dem Rücken, darunter fünfzig Jahre gewissenhafter Thätigkeit im Amte und zehn Jahre der Ruhe von seiner schweren Arbeit, denn seitdem die „neue Lehre“, wie er die neue Schulordnung nannte, eingeführt war, paßte er nicht mehr in die Schule hinein;seine Zeit war vorüber, und Ruhe that ihm noth nach [36] einem so langen und mühevollen Berufsleben. Schulmeister war er aber immer noch geblieben in seinem Herzen, und wenn er bei der Jugend nun keine Gelegenheit mehr hatte zu wirken, so versuchte er's bei den Alten.Wo er hinkam, war er gerne gesehen; denn die meisten Erwachsenen im Dorfe ehrten und liebten ihn noch als ihren ehemaligen Lehrer, und Mancher sagte, wenn man von ihm sprach: Die neuen, jungen Lehrer wissen mehr als er, das ist wahr, aber das Handwerk im Ganzen hat er doch besser verstanden; denn meisterhaft hat er das iunge Volk in Gottesfurcht und Zucht und guter Ordnung erhalten, und das ist auch nicht wenig. Reich war er nicht geworden in seinem Beruf; kaum hatte er genug zum Leben; seine Frau war gestorben, und eigene Kinder hatte er nie gehabt. Drum wetteiferten Viele, ihm manchmal einen Korb mit Obst oder mit Kartoffeln oder einen Laib Brod in's Haus zu schicken, oder, wenn er in ein Haus trat, das ihn im guten Andenken behielt, bot man ihm ein Gläschen alten Wein oder eine Tasse warmen Kaffee an oder ein wenig gutes Kirschenwasser. Dann wollte er aber auch nicht bloß nehmen, sondern auch geben,erzählte von den alten Zeiten, oder von Dem und Jenem im Dorf, wie er noch jung gewesen, wie er in guter Zucht rechtschaffen aufgewachsen sei, oder warum dem Einen Alles wohlgerathen, dem Andern Alles mißrathen sei, [87] oder er zog ein geschriebenes Buch hervor, in welches er allerlei nützliche Lehren oder Historien, Sprüche und Reime gesammelt hatte und las zur Kurzweil langsam, aber mit großem Ernst und Nachdruck daraus vor. Das Buch ließ er nie aus seinen Händen; Viele schauten es mit geheimnißvollen Blicken an, Vielen war es schon zum Trost und Noth- und Hülfsbuch geworden; drum wenn er's aus seiner Seitentasche zog, erheiterten sich die Blicke, er mochte sein, wo er wollte. Wo er hinkam, war er als Gast willkommen; in manchen Häusern aber kehrte er regelmäßig an bestimmten Tagen ein, so auch im Leuenhof, da verging kein Sonntag, an welchem er nicht „zwischen Feuer und Licht“, d. h. in der Dämmerung, zur Stubenthür hereinEV Großmutter; was ste Niemand klagen konnte, klagte sie ihm im Vertrauen; so war's ihm nicht unbekannt, was in der letzten Zeit im Leuenhof vorgegangen war. In der Predigt, die er nie versäumte, hatte er sich daran erinnert,und den Tag durch ging's ihm im Kopf herum, ob er nicht etwas fände in seinem alten Buch, womit er am Abend im Leuenhof an die guten Lehren der Predigt erinnern könnte.Er fand, was er suchte; darum, sein Weisheitsbuch in der Tasche, ging er heute mit einem gewissen amtlichen Schritt und Bewußtsein nach dem wohlbekannten Leuenhof.[88]Mit besonderer Herzlichkeit bewillkommten ihn der Leuenbauer und seine Frau, und zitternd drückte ihm die Großmutter die ebenfalls zitternde Handz es lag etwas in diesem Händedruck, das der Schulmeister halb verstand und halb doch nicht verstand. Er setzte sich auf seinen Lieblingsplatz, die Ofenbank; man sprach von dem ersten Schneegestöber, von der jungen Saat, die nun bald eine Decke habe zum Schutze vor des Winters Kälte, von dem neuen Schulhaus, das man vor des Winters Anfung eingeweiht hatte mit großer Festlichkeit, und endlich kam das Gespräch auch auf die Predigt, welche der alte Schulmeister nicht genug loben konnte. Nun brachte Liseli, da es schon ganz dunkel geworden war, die angezündete Lampe herein und stellte sie auf den Tischz jetzt erst konnte der wohlbekannte Gast den Leuten in der Stube ins Gesicht schauen und verhehlte sich nicht, daß alle die Gesichter anders aussahen äls gewöhnlich. Einen gewissen Ernst und doch auch wieder eine außerordentliche Freundlichkeit glaubte er darauf zu lesen; beides hatte er in solcher Art lange Zeit nicht mehr im Leuenhof bemerkt. Da er darüber verwundert schien, so sagte der Leuenbauer:

Ja, Vetter Schulmeister, die Predigt hat mir auch recht aus dem Herzen geredet; wir sprachen viel davon,und sie hat schon ihre Frucht getragen, und wird sie, so Gott will, noch tragen.

[39]

Wir haben heut erfahren, fügte die alte Großmutter bei, wie Gottes Wort kann Segen bringen in ein Haus,wenn man's mit Andacht und gutem Willen anhört.

So? entgegnete der Schulmeister mit gedehnter Stimme ich glaube, ich verstehe, was ihr meint. Hat etwa der Melcher und das Liseli sich etwas davon hinter's Ohr gesteckt? Ich mußte bei mir selber denken: Das ist eine Predigt, wie für ste gemacht!“

Ja, lieber Vetter Schulmeister, sagte der Vater, sie haben sich's recht zu Herzen genommen, und ich habe ihnen noch eine Predigt aus dem eigenen Sack dazu gegeben,wir wollen jetzt nichts weiter drüber reden; es ist für heut genug; aber ihr werdet's an ihrem künftigen Leben sehn,ob's gewirkt hat oder nicht.

Hab's doch gedacht, fieng der Schulmeister wieder an,wenn solche Worte unter die Dornen fallen und ersticken könnten, dann müßte es doch gar schlimm und elend stehen in der Welt. Ich habe schon manchen guten Prediger gehört, manchen Spruch den Kindern selber ausgelegt, aber wenn ich einen Tert so auslegen höre, wie dießmal, so geh' ich gern, ich achtzigiähriger Mann, noch als Schüler beim Worte Gottes in die Schule und lerne stets noch etwas Neues. Mir ist die Predigt auch den ganzen Nachmittag im Kopf herumgegangen, und da hab' ich in meinem lieben alten Buch, das ihr wohl kennt, etwas gefunden, [590] was dazu paßt, wie der Pfeffer zum Salz: wenn's euch Freude macht, so will ich's euch vorlesen zur Kurzweil.

Alle bezeugten ihm für dieß Anerbieten die größte Freude; man rückte den Tisch zur Ofenbank, auf der er saß, stellte die Lampe in seine Nähe und setzte sich in aufmerksamer Spannung um den Tisch herum. Auf einen Wink des Vaters verschwand Liseli und war bald wieder da mit einem Kruge Wein und ein Paar Gläsern. Der Vater füllte ein Glas und stellte es vor den Schulmeister hin, welcher schon seine Brille aufgesetzt und sein Buch zurecht gelegt hatte.

Netzt euch vorher noch die Zunge an, lieber Vetter,sagte er zu ihm und reichte ihm das Glas; wenn ihr dann fertig seid mit Lesen, wollen mir mit einander Gesundheit trinken.Gott gebe, daß es euch Allen wohl bekomme, sagte dieser, das Glas ergreifend, that einige bedächtliche Züge daraus und fieng darauf an zu lesen, wie folgt:Ein nützlich Gespräch zwischen einem Rathsherrn und einem Bauer.Bauer (kommt in die Stube herein).Herr Rathsherr, ich komm', euch den Zins zu bringen!s'hat mir so lang nicht wollen gelingen,Zu verkaufen meinen sauren Wein;[7]1

Sollt drum nicht böse darauf sein,

Daß ich in diesem Jahr komm' so spät:

Wißt ja, wie's uns armen Bauern geht!Rathsherr.

Was wollt ihr reden von armen Bauern!

Wahrlich, blutwenig thut ihr mich dauern!g'hat's Niemand besser als ihr auf der Welt!

Da kommt ihr, holt in der Stadt das Geld,

Kauft dafür Haus, Aecker, Pferde und Kühe,

Gebt euch aber gar wenig Mühe,

Den Zins zu bringen auf den Tag,

Und wir in der Stadt haben die leidige Plag',

Zu warten, zu mahnen, zu schreiben, zu treiben,

Daß die Zinsen uns nicht dahinten bleiben.

Hört, hättet ihr he ut wieder nichts gebracht,

Ich hätte kurzen Prozeß gemacht,

Hätt' euch sogleich meinen Weibel geschickt:

Der hätt' euch den Kopf schon zurecht gerückt!

Bauer.Herr Rathsherr, ich bitt' euch, wollt mir vergeben,Wir haben fürwahr kein Herrenleben!

Es sind gegenwärtig recht böse Zeiten,

Da der Bauer muß fasten und Hunger leiden.

Zu trocken war es für das Gras

Und in der Ernte drauf zu naß;[92]Milch gibt's wenig; der Wein ward sauer:

Da steht's bbs um den armen Bauer!

Wenn er auch stets vor Tag aufsteht

Und fleißig hackt und pflügt und sä't,

Ist's doch, als wär' kein Segen drinn,

In Sorgen flieht das Jahr dahin,

Und am Ende hat man kaum zu leben

Und sollte den hohen Zins noch geben:

Herr Rathsherr, ich sag's euch rund heraus,

Ihr hieltet dieß Leben keine Woche aus!Rathsherr.

Hört, Michel, euch kenn' ich und eures Gleichen;

Ihr werdet so schnell mir das Herz nicht erweichen.

Immer habt ihr zu lamentiren,

Bald fehlt's am Wetter und bald an den Stieren,

Nie seid ihr zufrieden, wollt immer noch mehr,

Als wenn kein Gott im Himmel wär'.

Und doch, mein Michel, schaut man eüch an,

So seid ihr gar nicht so übel dran!

Eure frischen Backen sehn nicht aus,

Als ging' euch das Mehl im Kasten aus;

Auch steht ihr so kräftig und stattlich da,

Als gingen die Sorgen euch nicht so nah,

Und die rothe Weste, die steht euch so gut,

Und dazu der hohe dreieckige Hut,

[93]

Daß ihr denkt bei euch selber: Der komme mir her,Der ein besserer, schöͤnerer Bauersmann wär'!Dagegen schaut einmal mich recht an!

Bin fürwahr nicht halb so wohl daran!

Fang' ich nicht schon an zu alten?

Seht die vielen Runzeln und Falten

Hier im Gesicht, wo kommt das her?

Von der Arbeit so hart und so schwer,

Die unser Einer in der Stadt

Bei Tag und bei Nacht zu verrichten hat,

Von dem Aerger und dem Verdruß,

Wenn man wohl hundertmal mahnen muß,

Bis es euch pfiffigen Bauern gefällt,

Auszurücken mit euerm Geld,

Euer armseliges Zinslein zu bringen

Und euer Klaglied dazu zu singen!

Da hab' ich oft bei mir selbst gedacht,

Wenn man mir großen Verdruß gemacht:

Ist's hier nicht wie eine Todtengruft?

Wie viel schöner in freier Luft,

Wo der glückliche Bauer pflügt und sä't,

Und die Sonne herrlich am Himmel steht.

Hier scheint der lieben Sonne Licht

Tagelang dir niemals in's Gesicht,Statt dessen Arbeit ohne Rast und Ruh'ꝛ*

[984]

Jeder Bauer hat's besser als du!

Und sagt es selbst: In alten Tagen,

Wenn man uns Stadtherrn muß schleppen und tragen,Wenn das Zahnweh uns plagt oder Magenweh,Und der Doktor kommt mit Mixtur und Thee,Da geht so ein Bauer noch frisch und gesund Aufs Feld in früher Morgenstund',

Arbeitet da mit frohem Muth,

Und was er ißt, das schmeckt ihm gut!

Da seht, wer sich muß stärker plagen,

Und hat die größ're Last zu tragen!

Ich glaub', wär' ich zum Tausch bereit,

Ihr besännet euch noch lange Zeit.

Bauer.Mit Verlaub, Herr Rathsherr, ich muß doch sagen,Ihr habt viel weniger Ursach' zu klagen.

Wer solch ein Haus hat wie ein Schloß,

Und Scheun' und Stallung weit und groß,

Täglich kann in der Kutsche fahren,

An Essen und Trinken nichts braucht zu sparen Und Niemand zinsen muß dabei:

Ein solcher wär', bei meiner Treu!

Ein dreifacher Narr, und das über die Maaßen,Könnt' er sich's nicht recht wohl,sein lassen.[95]Rathsherr.Michel, ich merk' an eurer Red':Ihr redet so gut, als ihr's versteht!Wär't ihr acht Tag lang in mein em Karren,Ihr würdet diese Lobreden sparen Glaubt ihr, das Glück sei so sehr zu beneiden,Sich jeden Tag nach der Mode zu kleiden Und am wohlbesetzten Tische Braten zu speisen und Vögel und Fische?Von Weitem scheint das herrlich und schön;Aber wenn es muß geschehen,Wenn man nicht anders darf und kann,Dann geht erst das rechte Elend an.Was nützt mir das beste Mahl der Welt,Wenn der Appetit dazu fehlt,Wenn lästige Geschäfte, wenn Rechnen und Schreiben Mir vorher den frohen Muth vertreiben?Da wäär' ich oft lieber an eurer Statt Von der härtesten Arbeit müd und matt,Um mit tüchtigem Hunger und Durst Zu verspeisen eine gesalzene Wurst;Würde mir manchmal besser schmecken Als ein Gastmahl mit Wildpret und Austern und Schnecken!Und wenn meine Frau vor den Spiegel sich stellt,Um nach dem Brauch der jetzigen Welt

[96]

Mit schoönen Kleidern sich zu zieren,

Und Stundenlang an sich laäͤßt herumfrisiren,Glaubt ihr, das Vergnügen sei so groß?Wie oft war' sie gern dieser Plage los!

Aber ste dar f nicht anders mehr;

Denn ihr Mann ist ein reicher Herr,

Und das verlangt nun einmal ihr Stand.Würd' es in der Stadt bekannt,

Daß sie die neue Mode verachte

Und nach einfacher Kleidung trachte,

O wie bald würde sie gezwungen

Von viel scharfen und giftigen Zungen,Wieder vor ihren Spiegel zu stehn

Und wie die Andern einherzugehn!

Seht, Michel, von all dieser Narrethei

Seid ihr zum Glück auf dem Land noch frei;Drum glaubt's mir nur und laßt's euch sagen,Daß wir in der Stadt unser Kreuzauch tragen.Bauer.Meinethalben, doch wir nicht minder!

Seht, lieber Herr, ich habe sechs Kinder,

Muß sie doch alle speisen und nähren;

Sechs junge Schnäbel, die mögen was verzehren.Drum wird mir auch das Zinsen schwer;

Also bitt' ich euch, lieber Herr,[]t17

Habt Geduld, wenn ich nicht Alles bezahle,Habt Geduld bis zum nächsten Male!Und gefällt euch unser Leben so gut Und wird euch euer Kreuz hier zu schwer,Nun so faßt einen frischen Muth Und erweist mir einmal die Ehr':Kommt zu mir auf's Land, lernt pflügen, lernt schneiden,Lernt ein Bischen Hitze, Durst und Hunger leiden,Dann kommt euch von selber der Appetit Und Gesundheit und Kraft und ein froh' Gemüth.Rathsherr (Cachend).Ja, ja, guter Michel, ihr meint's mit mir gut;Zum Bauer fehlt mir bloß der dreieckige Hut!Nein, das werd' ich wohl müssen bleiben lassen,Dazu würd' ich nicht gut mehr passen.Aber zeigt her, was habt ihr gebracht?(Der Bauer nimmt seinen Beutel heraus, nimmt einige Thaler hervor und gibt sie dem Rathsherrn.)Wartet, bis ich die Quittung gemacht!Setzt euch auf diesem Sessel nieder!In einem Augenblick komm' ich wieder.(Geht zur Thür hinaus.)Bauer (setzt sich auf den Lehnstuhl, in welchem er tief einsinkt, und schaut fich in der Stube um).Potz Blitz, das ist ja so weich wie Brei!Zehender, der Leuenhof.

[98]

Da säß' ich nicht gut, bei meiner Treu!

Auf meiner Ofenbank zu Haus

Ruht sich's wahrhaftig besser aus.

Aber stein re ich muß der Herr Rathsherr sein!s'hat fast Alles hier einen goldigen Schein!Die Bilder an der Wand, die prächtige Uhr,Der Schreibzeug da, dort die Glockenschnur!So ein Herr zu sein ist doch nicht wenig:Kann's viel schöner sein bei einem König?

Ich wüßte fürwahr nicht, was noch fehlt.Aber, was kostet das Alles für Geld!

Da muß mancher Bauer sein Zinslein bringen,Um diese Ausgaben zu erschwingen!

Und wer weiß, vielleicht hat er doch Recht?Schmeckt ihm dabei sein Essen schlecht,

Ist er nicht froh, nicht recht gesund,

Hat er im Tag keine ruhige Stund',

Da würd' ich das Glück alles wohlfeil geben Und lieber als armer Bauer leben!

Der liebe Gott muß seine Gründe haben,Wenn er die irdischen Güter und Gaben

So ungleich vertheilt an die Menschenkinder,Dem Einen mehr gibt, dem Andern minder.Zu vielem Geld gibt er auch viele Müh',Versuchung, Sorge spaät und früh;[]*199

Bei wenigem Geld geht's einfach zu,

Auf heiße Arbeit folgt gute Ruh'.

Den Segen auf dem Ackerland,

Den nimmt man an aus Gottes Hand,

Und wird die Arbeit hart und schwer,

Freut man sich auf's Himmelreich um so mehr.WMach einigem Nachdenken.)

Du hast doch dumm geredet vorher,

Als wenn lauter Paradies hier wär'.

Was wird der Herr Rathsherr von dir denken!

Wird er dir wohl etwas am Zinse schenken?Rathsherr (it einer Quittung)Hier, Michel, nehmt das Papier da mit!o'steht d'rauf, ihr seid des Zinses quitt.Was noch d'ran fehlt, das will ich euch schenken,Wenn ihr drei Dinge wollt ernstlich bedenken.Erstlich dürft ihr nie mehr kommen und klagen,Es habe das Land zu wenig getragen.Wie Gottes schickt, so ist's immer recht Und ihn zu meistern steht euch schlecht.Zum Zweiten laßt es mich nimmermehr hören,Die Glücklichsten seien die reichen Herren.Gott hat das Glück nicht nach dem Gelde gemessen Und niemals ein's seiner Kinder vergessen.Zum Dritten bedenkt im ganzen Leben:

[00]

Gott hat jedem Menschen sein Kreuz gegeben,Gerade so schwerals er's kann ertragen;Drum soll er's nicht abzuschütteln wagen.Ja, dürft' er ein anderes Kreuz sich erwählen,Er würde das rechte stets verfehlen Und hielt' es zuletzt für das größte Glück,Gäbe Gott ihm wieder das erste zurück.Also Michel, bleibt bei diesen drei Dingen,Und kommt ihr wieder, den Zins zu bringen,So frag' ich darnach und ihr müßt ste wissen!Thut mir eure Frau und Kinder grüßen!

Baueer (sich verabschiedend).Wohlweiser Herr Rathsherr, behüt' euch Gott!Und lohn' euch die Guüte bis an den Tod!Schönen Dank für den Zins und die gute Lehr'!Ihr seid ein frommer und kreuzbraver Herr!Alle hatten mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört;die Großmutter nickte nach ihrer Gewohnheit bei manchen Stellen beifällig mit dem Kopfe, und der Hausvater wiederholte mehrere Male am Schlusse, damit sei der Nagel auf den Kopf getroffen; er habe dieß und das auch schon so gedacht, was in dem Gespräch vorkomme, aber er habe es nur nicht recht ausdrücken können; das sollte jeder Bauer lesen, dem's in seinem Stande nicht mehr gefalle.[101]A ihm schwer werde, seine Schulden zu verzinsen, doch st olz bleibe auf seinen Stand, der ihn so oft in Gottes schönem Haus, in Feld und Flur herumführe, da habe er manche Freude, die der reiche Staädter mit all seinem Gelde sich nicht erkaufen könnte. Auch der bedächtige Melcher stimmte mit kurzen Worten ein, und des ehrwürdigen Schulmeisters Antlitz leuchtete vor Freude, als er sah, daß seine Worte so guten Eingang gefunden hatten. Er fügte aus seiner reichen Erinnerung noch manches Beispiel hinzu von Solchen, die aus Bauern hatten Herren werden wollen und nach einem luftigen, liederlichen Leben nicht bloß bei den Herren, sondern auch bei den Bauern selbst in die tiefste Verachtung sanken, und von Andern, die nach vielen Jahren saurer ländlicher Arbeit ihre Güter schuldenfrei gemacht hatten und ein schönes Alter in Ruhe genossen und ihren Kindern ein gutes Erbtheil hinterließen.

Auf eure Gesundheit, Vetter Schulmeister, sagte nun der Leuenbauer, nachdem er sich und seinem Sohne Melcher auch die Gläser gefüllt hatte, und alle drei stießen fröhlich an mit ihren Gläsern, um die vieljährige Freundschaft von Neuem zu befestigen. Der Bauernstand sollleben, rief der Schulmeister, und Jeder, der ihm Ehre macht durch Arbeitsamkeit und Treue! Die Andern [19] stimmten zu, und es war erhebend anzusehen, wie die drei Menschenalter, der Greis und der Mann und der Jüngling, der eine aus reiflicher Erfahrung, der andere, weil seine tägliche Arbeit es ihn lehrte, und der dritte, weil der gesunde väterliche Sinn kräftig in ihm wieder erwacht war, einstimmig ihren von Gott gesetzten Stand priesen.

Habt ihr nicht noch etwas in eurem lieben alten Buch,was ihr uns vorlesen könnt, sagte nun die Hausmutter:zum Schulmeister; wir sitzen so vergnügt beisammen, und ich wüßte nicht, was wir Besseres thun könnten, als euch zuhören; ich bitt' euch, thut es uns zu Liebe!

Wenn ihr's gern hört, so werde ich schon noch Etwas finden, das zu unserm Gespräch paßt. Da habe ich vor Kurzem einige lehrreiche Sprüche gefunden in einem alten Buch, welches zur Zeit der Reformation oder Kirchenverbesserung gedruckt worden ist; in festes Schweinsleder ist es gebunden und hat starke messingene Klammern, und wenn man's aufschlägt, so ist's, als könnte man's ihm anriechen, daß es ein paar hundert Jahre alt sein muß. Ein gottseliger Mann, der das menschliche Leben unter Hoch und Niedrig gewiß gut kannte, muß es geschrieben haben;aber Manches drinn ist schwer zu fassen und es redet eine alterthümliche Sprache. Es erklärt eine Menge alte Sprüche, unter andern auch den sonderbaren Spruch:Alle Menschen, ein Mensch, der wie ein Räthsel [103] klingt, der soll Gottes Gerechtigkeit gegen uns Menschen beweisen. Von dessen Erklärung habe ich Folgendes in mein Buch aufgezeichnet:

So man alle Dinge wahrnimmt und im Grunde anstehet, so ist ein gleiches Leben auf Erden, und hat der unpartheiische Gott alle Menschen gleich erschaffen und in ein gleiches Leben gestellt und mit gleicher Lieb' nicht einen um ein Haar besser oder böser gemacht, sonst hätten die Versäumten ab Gott zu klagen.

Derhalb wer einen natürlichen Menschen sieht, der stehet sie all. Alle Menschen, ein Mensch. Es ist Alles Adam. Wer in einer Stadt ist, ist in der ganzen Welt,find't er schon andere Sitten, Sprach', Kleidung, so ist doch das Gemüth, Herz, Sinn und Will' in allen gleich.

Wer nun selig werden will, der muß den Menschen ausziehen, aus Gott wiedergeboren, ein neu Mensch werden, sonst liegt er in gemeinem Verderben, Fluch und Verdammniß.

Wie nun alle Menschen einander gleich seh'n am Gemüth und allein der Unterschied am äußern Ansehen ist,also sind alle Menschen einander gleich am Gut und ist nur der Unterschied in dem äußern Anblick. Also wie ungleich wir einander sind äußerlich am Gut vor den Augen der Menschen, so gleich leben wir in der Wahrheit vor Gott. Der Arme hat so genug und [104]lebt so wohl, ob es wohl weder der Reich noch Arm glaubt, als der Reich. Er liegt und schlaft auch so wohl;denn Gott ist wunderbarlich; was er nicht am Gut gibt,das gibt er am Muthz was er nicht auf den Tisch gibt,das gibt er in den Mundz was er nicht am Bett gibt,das gibt er am Schlaf.

Was ist es, daß der Fürst besser liegt, denn der Bauer,wenn er nur so wohl schlaft? Was ist's, daß der Reich Fasanen und Kapaunen hat vor ihm stehen, so dem Armen sein Brei so wohl schmeckt? Halt des Reichen leckerhaftigen, lüsternen Mund an seine Pasteten und des Armen an seine Suppe, so findest du auf's wenigste gleichen Geschmack, wo nicht der Arme besser lebt und ihm sein Kraut besser schmeckt, als jenem seine Fische. Der Unterschied ist nur im Schein und der Speise, aber nicht im Geschmack und Mund. Der Hunger und Durst macht aus Brod Lebkuchen und aus einem frischen Trunk Wasser Malvasier.Daß wir aber Alle gleich leben, findet sich auch im Ausgang; denn der Arm lebt ebenso lang als der Reich,ja länger und gesünder, was nicht geschähe, wo ihm etwas am Wohlleben abginge und er nicht so wohl als der Reich zu leben hätte.

Paulus saget von den Christen: Es ist Alles euer das ist, es nützet und dienet euch Alles. Also begibt es [103]IIVV nicht haben, und die im Schein nicht haben, Alles haben in der Wahrheit.Das wird Niemand verstehen oder glauben, denn der aus Gott ist.Da sind viel schwere Worte, setzte der Schulmeister hinzu; die geben viel nachzudenken, und manche sind nicht leicht herunterzuschlucken; aber wer so viele Jahre, wie ich, den Lauf der Welt betrachtet hat, der wird zu Allem Ja sagen und bekennen müssen, daß unser Gott ein gerechter Gott ist gegen alle Menschen ohne Unterschied. Nun hört noch eine Korallenschnur von guten und lustigen, wohlgereimten Sprüchen, eine Arznei für die Armen, wenn sie wollen unzufrieden werden mit ihrem Schicksal, jeden Tag ein Sprüchlein einzunehmen, und wenn man fertig ist, kann man wieder vorn anfangen,nämlich:Ein goldenes ABC für die Armen.A. Armuth muß leiden Spott und Hohn,Aber kann auch bringen die Ehrenkron'.B. Bet und arbeite! gilt auch dem armen Mann,Bettelvolk Gott nicht gefallen kann.

[15]

6

C. Christen dürfen in keiner Noth verzagen;Christus hat für uns Alle die Armuth getragen.Diene gern, aber mit freiem Gewissen!Dienen in Liebe kann Trübsal versüßen.Erdengut mag untergeh'n,

Ew'ges Gut wird stets besteh'n.

Frie de bringt zum einfachsten Mahl

Frohsinn und Freuden ohne Zahl.

Geben macht selig, macht nimmer arm,

Geld macht das Herz dir nimmer warm.

H. Hab und Gut sind nicht ewig dein;

Heut vielleicht muß schon geschieden sein.

Jung trag' dein Joch und wirf's nicht ab;

Je höher du strebst, desto tiefer hinab!

Könige und Kaiser beneide nie,

Kronen glänzen, doch drücken sie.

Liebe bereichert das aärmste Haus;

Leer wird der Palast, zieht die Liebe hinaus.Mancher ist arm bei großem Gut,

Mancher ist re ich bei großer Armuth.

Nichts hast du gebracht in diese Welt

Nicht s trägst du hinaus aus dem irdischen Zelt.Obenauf liegt der Welt Ehr', Glück und Glanz:Ohne Demuth kein wahrer Ehrenkranz.

J.

K.

L.

M.

N.

O.[]10.

P. Putz' nicht zu sehr deinen Leib von Staub;Auch im Purpur wird er des Todes Raub.

Q. Quält dich der Zweifel an Gottes Huld,Quillt in Gottes Wort dir der Quell der Geduld.

R. Reisegeld durch die Welt ist dein irdisch Gut:Ruft der Herr, so laß es mit leichtem Muth.Salz und Brod macht die Wangen roth,Silber und Gold bringt oft Sünd' und Tod.Trage die Armuth, verfluche sie nicht!Tonnen Goldes sind auch kein leicht Gewicht.Unrecht Gut brennt in den Händen Und entfliegt nach allen Enden.

V. Vertrau auf Gott in Hunger und Jammer;Voll ist seine ewige Vorrathskammer.

W. Wandle den Weg durch Weh und Schmerzen,Willst du gelangen zu Gottes Herzen.

Z. Zahl' deine Tage und miß deine Zeit!Zur Ewigkeit halte dich stets bereit!

Vetter Schulmeister, sagte der Leuenbauer, der mit größter Aufmerksamkeit zugehört hatte, die Sprüche müßt ihr uns geschrieben geben, man sollte sie in Glas und Rahmen einfassen und in der Stube aufhängen, daß Jedermann sie immer vor Augen hat. Wir wollten sie als ein Andenken von euch in Ehren halten.

[104]

Ja, das müßt ihr thun, fügte die Mutter hinzu; wer weiß, wie bald ihr nun zum letzten Mal am Sonntag Abend bei uns gewesen seid; denn vom Kirchhof seid ihr nicht mehr so weit weg. O wie werden wir euch vermissen, wenn der liebe Gott einmal eure Augen zugedrückt hat zur ewigen Ruhe! Da müssen wir etwas haben, was uns an euch und euren treuen guten Rath erinnert. Drum schreibt uns das goldene ABC auf ein großes Blatt, so gut ihr's noch könnt mit euren zitternden Händen, das hängen wir dann auf, und wenn wir's anschauen, so denken wir an euch, wie ihr so manchmal unter uns da auf der Ofenbank saßet in den weißen Haaren und mit der alten Brille, und aus eurem Weisheitsbuch uns vorlaset, und manches gute Wort von euch wird uns dann wieder lebhaft in Erinnerung kommen.

Das will ich von Herzen gerne thun, liebe Base, sagte der Schulmeister hierauf; aber schön kann ich's nicht mehr;das waren andre Zeiten, als ich noch einen Zweifelstriche)machen konnte in einem Zug so verwickelt und so verschlungen, daß Niemand weder den Anfang noch das Ende D die Kniee zittern mir und die Finger und das Gedächtniß ist auch nicht mehr niet- und nagelfest, das bekümmert

) Eine Verzierung am Schlusse eines Abschnitts [15]mich am meisten; da werd' ich wohl den Frühling nicht mehr erleben. Wenn Gott ruft, so bin ich bereit, kann doch nichts mehr nützen in dieser Welt; aber wenn ihr mich im guten Andenken behaltet, so wird's mir im Grabe noch wohlthun. Ich meine damit nicht meine Person; von der wird in zehn Jahren Niemand mehr viel reden, ich meine die Worte der Wahrheit und der Erfahrung, die ich so lange unter euch ausgestreut habez ich weiß es,wenn ihr dabei bleibt, so wird's euch wohl geh'n. Dich Melcher und dich Liseli, euch mein' ich auch; bei euch muß sich's noch erst entscheiden, was aus euch werden sollz aber für euch besonders wäre es ein Gewinn, wenn ihr jenes goldne ABC nicht bloß läset, sondern recht zu Herzen nähmet. Versuchet nur darnach zu leben, es soll euch nicht gereuen.

So sprach der Schulmeister noch weiter zu der Großmutter innigem Wohlgefallen; es war, als hielte er seinen Schwanengesang, als wollte er noch sein geistliches Testament niederlegen im Leuenhof, so kam er in mächtige innere Bewegung, und Ernst und Freude strahlte ihm dabei feierlich vom Angesicht. Bald wendete er sich an die Großmutter, mit welcher er in Kurzem in einer gröͤßern Familie über den Sternen zusammenzukommen DV0 Gottes Gnade und Hülfe während ihres bisherigen Le [110] bens erinnerte, bald an deren Kinder, denen er mit aller Gewißheit eine schöne Zukunft weissagte, wenn sie den Sinn und Geist bewahrten, der bisher im Leuenhof gewaltet habe. Unter solchen Reden und Gesprächen, während welcher sie dem wärmenden Ofen immer näher zurückten, flossen die Stunden des Abends ernst und freundlich dahin. Endlich stand der ehrwürdige Dorfschulmeister auf, trank sein Glas aus, wünschte dem ganzen Hause,besonders dem Sohne und der Tochter, Heil und Gottes Segen und gute Nacht und wankte an seinem Stabe nach Hause. Im Leuenhof betete der Hausvater noch den Abendsegen und Alle legten sich zur Ruhe mit Dank für das Gute, was an diesem Sonntage dem Hause widerfahren.

Achtes Rapitel.

UNach zehn Jahren.Alles Ding währt seine Zeit,Gottes Lieb' in Ewigkeit.Paul Gerhard.Viel Zeit ist vergangen seit jenem Novembersonntag voll Schneegestöber und Sonnenschein z zehnmal ist seit [111] dem der Pflug über die Stoppeln gegangen, zehnmal hat der neue Wein im Fasse gegährt; aber der Leuenhof steht noch am alten Platze, doch neue, schöngemalte Fensterladen zieren das Haus; es ist renovirt von unten bis oben, in welchem Jahr, das ist am Hause selbst in großen Buchstaben und Zahlen zu lesen, und oben unter dem Giebel sind deutlich die Worte gemalt und in einen Kranz eingefaßt: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läässet ihm genügen. Wir kehren wieder an einem Sonntag zur Kaffeezeit in der großen Bauernstube mit dem grünen Ofen ein und sehen uns zuerst um nach der alten Großmutter. Aber sie ist nirgends mehr zu finden, weder auf der Ofenbank, noch an ihrem Ehrenplatz am Raffeetische; sie ist schon längst zu ihres Herrn Freude eingegangen, und ihr alter Freund, der Schulmeister, auch;ihre irdische Hülle ruht auf dem nahen Kirchhof, und manche Rose ist schon drauf gewachsen von dankbarer Enkel Hand gepflegt. Aber in der Stube regt sich's und bewegt sich's gar lebhaft; ein Mädchen von acht Jahren stellt mit Sorgfalt die Tassen um den Tisch herum; zwei jüngere Brüderchen sitzen auf der Treppe hinter dem Ofen und spielen mit Nüssen; ein ganz kleines Mädchen spielt mit der alten Katze, die neugierig zum Fenster hinausschaut und zu des Kindes Liebkosungen freundlich schnurrt,es ist ein heller Wintertag und die Sonne schaut freund [112] lich wie ehemals zu den Fenstern herein. Die Kleine ist fertig mit ihrem Geschäfte und ruft ihrer Mutter, die in der Küche am Heerde beschäftigt ist. Eine stattliche Bauersfrau mit verständigem Gesichte, von hohem Wuchs,in ihrer einfachen, aber malerischen Tracht ein Bild ländlicher Schönheit, trat herein, überzeugte sich davon, daß Alles wohlgeordnet auf dem Tische stehe, hieß die Kleinen ihre Plätze einnehmen und sagte zu dem ältesten Töchterchen: Geh', ruf' dem lieben Vater, er ist im Stalle und füttert, und dann geh' in die obere Stube zu Großvater und Großmutter und frage sie, aber recht artig, ob sie nicht heute bei uns den Kaffee trinken wollten, weil's Sonntag sei; es sei Alles für sie bereit. Die Kleine sprang fröhlich zum Vater und dann die niedere Treppe hinauf in den obern Stock zu den Großeltern und richtete wörtlich ihre Botschaften aus.

Unterdessen trat ein kräftiger Bauersmann mit starkem Tritt zur Stube herein: es war der Melcher, der jetzt als der Leuenbauer im ganzen Dorf in gutem Ruf und Ansehen stand; er hatte in seiner Marei eine treffliche Hausfrau mit ordentlichem Vermögen gefunden und mit U Kränzlein von Kindern erblühn, die ihm alle gesund und wohlgezogen entgegenschauten. Seine Eltern hatten ihm den Leuenhof übergeben und sich selbst in die Altersruhe []I2 gesetzt und in den obern Stock zurückgezogen, wo sie ihren eignen Haushalt hatten; einige Felder und einen Weingarten bearbeiteten sie noch selbst; den Haupttheil der Güter aber hatten sie dem Sohne übergeben; er verwaltete sie musterhaft und zog gesegneten Ertrag daraus.Er galt im Dorf für einen Bauer, der gut dran sei, und seine Stieren und Kühe hatten sich vor keinen andern im Dorfe zu schämen, wenn sie zur Tränke an den Brunnen kamen.Das kleine Töchterchen, Anneli hieß es, seiner Großmutter zu Ehren, brachte halb athemlos die Nachricht, der Großvater und die Großmutter würden bald kommen,und die Base Liseli auch, und die würde noch etwas Gutes zum Kaffee mitbringen. Ueber das Letztere war die junge Schaar einstimmig hocherfreut, und der kleine Melcher,der älteste Knabe, sagte pfiffig seinem Brüderchen ins Ohr, doch so, daß es Alle hören konnten, er wisse wohl,was die Base Liseli bringe, es seien Eierküchli, er solle es aber Niemand sagen. Und wie war es denn dem Liseli gegangen in den zehn Jahren? Warum wohnte es zu Hause bei seinen Eltern und stand nicht auch als Hausfrau einer glücklichen Familie vor, wie seine Großmutter gehofft hatte? Es ist traurig zu erzählen, es sei so kurz als möglich gesagt. Wohl hatte es sich vorgenommen,anders zu werden an jenem Sonntag und von der Hof

Zehender, der Leuenhof. 8 [114]fahrt sich loszureißen; aber seine Reue hatte nicht Bestand;das Geld und der Leichtsinn und die böse Lust waren stärker als die Bitten und Rathschläge der Seinigen.Der Webstuhl wurde wohl fortgeschafft aus dem Hause;aber alle seine hübschen Kleider wegzugeben, konnte es nicht über sich bringen, und an das stille häusliche Leben mochte es sich nicht mehr recht gewöhnen, und mit seinen leichtsinnigen Freundinnen wollte es den Verkehr auch nicht ganz abbrechen; da geschah, was stets geschieht,wenn man mit der Reue und dem Bekämpfen des alten Menschen nicht ganz Ernst macht; es wurde mit ihm ärger als zuvor, und der letzte Betrug war ärger als der erste. Alle Bitten und Ermahnungen der bekümmerten Eltern halfen nichts. Bald ward es auf dem Tanzboden gesehen, bald auf dem Jahrmarkt im Wirthshaus; endlich,da es mit den Eltern nicht auskommen konnte, zog es aus dem Haus, warf ihnen den Sack vor die Thür und fing auf eigene Rechnung wieder das Seidenweben an.Nun kam es gar in ein ungezogenes und liederliches Leben hinein; es durfte sich im Dorfe kaum mehr blicken lassen,und als es gar bekannt wurde, es habe ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, da hätten die armen Eltern sich die Haare aus dem Kopfe reißen mögen vor Kummer,und der Vater sprach acht Tage lang fast kein Wort mehr,und der Melcher, dessen ehrenwerther, kräftiger Sinn in [118]der ganzen Gemeinde bekannt und hochgeschätzt war,mußte sich schämen, wo er hinkam, um seiner ehrlosen Schwester willen. Das waren Jahre des tiefsten Herzeleids für die Leute im Leuenhof; alle die Freude, welche Melchers Heirath gebracht hatte, wurde getrübt durch diese Schande, welche das Liseli dem Haus angethan. Die Großmutter starb darüber hin; ihre düstern Ahnungen waren in Erfüllung gegangen. Dem Liseli starb sein Kind, dessen sich kein Vater hatte annehmen wollen; es hatte mit fast krankhafter Liebe an demselben gehangen,da es sich sonst von Jedermann verlassen sah; sein Tod ging ihm tief zu Herzen und brachte eine heilsame Veränderung in ihm hervor. Nach langem Kampfe mit sich selbst kam es, seine Eltern um Verzeihung zu bitten; es wolle in Alles sich schicken, die härtesten Geschäfte verrichten, wenn sie's nur wieder in's Haus aufnehmen wollten. Sie konnten seinem innigen Flehen nicht widerstehen; denn jetzt waren es wahrhafte Thränen der Buße.So wohnte es bei den Eltern im obern Stocke und wollte sich lange nicht blicken lassen im Dorfe; aber unermüdlich war es, wenn es den Eltern eine Mühe abnehmen, eine Freude bereiten oder in des Bruders sich vergrößernder Haushaltung thätige Hülfe leisten konnte. Nun war ihm keine Last zu schwer, keine Mühe zu sauer. Einen Widerwillen hatte es gegen allen unndthigen Putz Alles war []

4.

4.

18 ihm recht, wenn es nur ordentlich, sauber und nicht zerBibel vor; die Kleinen im untern Stock lehrte es Sprüchlein und Verse auswendig. Sein harmlos fröhlicher Sinn von früher war verschwunden; sein freundlicher Sinn aber kehrte doppelt zurück; drum hingen des Bruders Kinder an ihm mit der größten Anhänglichkeit. Wenn die Base Liseli herunterkam, ihnen eine Geschichte erzählte,Bilder zeigte, oder gar etwas Gutes auf den Zahn brachte, so war der größte Jubel unter dem jungen Volk.In diesem hülfreichen Wirken wurde ste innerlich wieder allein war, den Seufzer von ihren Lippen hören: Hätt'ich doch früher dem Spruche geglaubt: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen, wie glücklich könnte ich jetzt sein! Aber sie zwang sich,vor Vater und Mutter nicht düster zu erscheinen, und als ihr wieder einige Zeit verflossen war im väterlichen Hause,ließen weder der Bruder noch die Eltern ihr mehr etwas fühlen, worin sie einen Vorwurf hätte erblicken können;sie wurde als willkommnes, hülfreiches und geschäätztes Glied der Haushaltung betrachtet. J

Also kamen Größvater, Großmutter und die geliebte Base Liseli zum Sonntags-Kaffee in die untere Stube,und die Letztere brachte mit sich einen hochgethürmten

[117]

Teller mit Eierkuchen, wie ste ehemals ihrer Großmutter Lieblingsgericht gewesen waren. Da zupfte der Melcherli seinen Bruder am Ermel und sagte: Hab' ich's nicht errathen, und ein Freudenstrahl flog über die kleinen Gesichter. Die Großeltern mußten obenan sitzen, und Liseli nahm seinen Platz in der Mitte der Kinder, und als die Muiter jedem sein Schüsselchen mit Kaffee und Milch gefüllt hatte, theilte ste der Ordnung nach die schönen braunen Kuchen aus. Da schnabulierten sie lustig mit frohen Geberden, es war eine Lust ihnen zuzusehen, und sagten dazwischen, wie brav die Base Liseli sei.

Wißt ihr auch, Vater, sagte nun der junge Leuenbauer,stolz das Häuflein seiner Kinder überblickend, daß es heute zehn Jahr sind seit jenem Sonntag, da ihr mir so ins Herz geredet habt? Noch dank' ich euch von Herzensgrund für jedes Wort; was wäre aus mir geworden, wenn ihr mich damals nicht von meinen thörichten Gedanken auf den guten Weg gelenkt hättet!

Ja, sagte der alte Vater, ich habe heute schon Gott gedankt für den Segen, den er damals meinen schwachen Worten gab. Das kann ich dir sagen, nie ist mir im Leben ein Wort so schwer geworden wie jenes, aber es war als ob Gott selbst mich dazu triebe, und ihm kann Niemand widersteh'n. Danken wir ihm, daß er Alles so gelenkt hat, und du dank' ihm besonders dadurch, daß du []II deine schönen, frischen Kinder da erziehst in seiner Furcht und in der Einfachheit und Genügsamkeit unserer Väter,und deine Frau wird dir daran helfen, und das Liseli wird auch das Seinige treulich thun, auch wenn wir Alten einmal dorthin abreisen, wohin die liebe Großmutter uns schon lang vorangegangen ist. Ihr habt ihr eigentlich Alles zu danken, was ich euch Gutes gelehrt habe; im Stillen ging sie ihren Weg einfach und schlicht; aber gerade dadurch hat sie unserm Hause den Segen gebracht,der jetzt auf ihm ruht. Drum denkt an die liebe Großmutter, so oft dieser Sonntag wiederkehrt.

Und zu ihrem Andenken, sagte jetzt des alten Leuenbauers Frau, wollen wir, wenn der Tisch abgeräumt ist,den schönen Psalm mit einander lesen, den ste damals vor zehn Jahren uns so feierlich vorlas; mir ist's, als wär's erst gestern gewesen.

Alle freuten sich des Vorschlages. Unter vielen Erinnerungen an die sel. Großmutter verging die liebe Kaffeestunde; flink half das kleine Anneli der Base beim Abräumen des Tisches; dann holte Melcher die alte Familienbibel vom Gesims, schlug drin den 103. Psalm auf und legte sie vor seine Mutter hin; die Kinder rund um den Tisch bis auf's kleinste falteten ihre Händchen, wie ste's gewohnt waren, wenn jenes Buch auf den Tisch kam.Der Abendsonne letzte Strahlen spielten freundlich an der [119]Wand, und bewegt begann die Mutter: Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mirist, seinen heiligen Namen; lobe den Herrn, meine Seele,und vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat!und so fort bis zu Ende, und noch manches Jahr erklangen am gleichen Sonntag im Leuenhof jenes Psalmes trostund freudenreiche Worte.


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TextGrid Repository (2023). Swiss German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-gsw). Der Leuenhof. Eine Erzählung für das Volk von F. Zehender: ELTeC Ausgabe. Der Leuenhof. Eine Erzählung für das Volk von F. Zehender: ELTeC Ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001D-470A-7