Liebe und kindliche Pflicht
Am westlichen Ufer des gesegneten Rügenlandes lag einst eine Burg, deren Felsenfuß das Meer umspühlte.
Von ihrer weit umherschauenden Warte überblickte man die blühende Gegend, und die wallende See, und stolz glänzten im Golde der Abendsonne ihre Zinnen fern hinaus, doch nicht gastlich den verirrten Piloten in einen friedlichen Hafen winkend, sondern drohend gleich einer tückischen Klippe, an der die Schiffe rettungsloser noch als an Sandbänken scheiterten.
Denn Ritter Jaromir, der Burgherr, übte nicht freundliche Rittersitte aus. Seeräuberei war sein Gewerbe, und die Quelle der Reichthümer, die er in frechem Uebermuth erwarb und vergeudete.
Wenn kein Segel auf der blauen Wasserfläche ihn blut- und beutegierig hinauslockte, streifte er in [123] verheerenden Zügen an den Küsten umher, um die wehrlosen Uferbewohner zu plündern. Nicht selten führte er auch die Söhne und Töchter des Landes mit sich hinweg, die Aermeren durch das Joch der Knechtschaft festzuhalten, die Reicheren nach einem stattlichen Lösegeld wieder frei zu geben. Denn niemand konnte ihn zur Rechenschaft ziehen, da Natur und Kunst seine Burg gegen jeden rächenden Angriff der geängsteten Landbewohner sicherte. Schattige Haine hüllten sie wie ein dunkler, undurchdringlicher Mantel ein, und gleich Zauberringen umgürteten in weiten Umkreisen sieben tiefe Graben sein Gebiet, und wechselten mit sieben, fast unersteigbaren Wällen. Von der Wasserseite schützte eine Reihe stets dort vor Anker liegender Schiffe mit bewaffneter Mannschaft ihn vor feindlichen Ueberfällen, und wie Todespaniere wehten seine Flaggen dem Seefahrer entgegen, den Sturm oder Unkunde in diese Gegend trieb, oder denen, die es wagen wollten, mit dem Schwerdt der Vergeltung ihn in seiner sträflichen Sicherheit zu stören.
Einsam, mit der Spindel, und mit Träumen der Wehmuth beschäftigt, lebten, während er raubend auszog, seine Gemahlin Jutta, und seine einzige Tochter Alwina daheim, mit Dank gegen den Himmel die kurze Ruhe genießend, die seine Abwesenheit ihnen gönnte. Nicht Liebe, und freie Wahl hatte die sanfte Jutta dem rauhen Jaromir vermählt. Er hatte sie einst auch, wie so viele ihr jetzt dienende Jungfrauen, gewaltsam dem Schoos der Heimath entrissen, und von Leidenschaft entbrannt, sie [124] zu dem traurigen Rang seiner Hausfrau erhoben. Nie hatte sie das verehrte Antlitz ihrer Eltern, nie der Geschwister liebenden Kreis, nie die frohe Schaar der Gespielinnen wieder gesehen, und völlig öde und freudenleer wären ihr die Jahre ihrer Jugend wie ein Traum vorüber gegangen, wäre nicht in Alwinen ein schönerer Frühling ihres Lebens ihr wieder aufgeblüht. An dieses einzige Kind knüpften sich alle ihre Hoffnungen und Freuden. Dem zarten Mitleid und der Tugend weihte sie früh schon ihr weiches Herz, und des Vaters Härte zu mildern, so gut die engen Schranken ihrer Gewalt es verstatteten, dünkte Mutter und Tochter der heiligste Beruf ihres Daseyns.
Daher löseten sie, wenn Jaromir auszog, die Ketten der Gefangenen, und gaben sie dem Sonnenlichte zurück, in dessen tröstendem Schimmer die Hoffnung ihnen wieder nahte, die in der finsteren Kerkernacht aus den Gemüthern der Verzweifelnden zu fliehen drohte. Sie labten sie mit Speise und Trank, obgleich der Geiz ihres Peinigers nur dürftige Nahrung ihnen bestimmt hatte. Freundliche Worte der Theilnahme und des Trostes, und die beruhigenden Klänge der Laute, die Alwina meisterhaft spielte, schufen den bitteren Gram in Wehmuth um, und versüßten ihnen die Schmach der Gefangenschaft, indem sie hellere Stunden in ihre Schwermuth webten.
Bisher bewog Alwinen nur reines Mitgefühl an fremden Schmerz Balsam in die Wunden zu träufeln, die die rohe Grausamkeit ihres Vaters [125] schlug – bald aber nahete die Stunde, wo ein wärmerer Antheil sie schüchtern ergriff, und wo in ihrem Herzen – bisher der Altar des tiefsten Friedens – der Liebe unauslöschliche Flamme sich zu entzünden begann. Denn Adolar, einer der kühnsten Ritter der Insel, hatte längst mit zehrendem Grimm auf die Verwüstungen geblickt, wodurch Jaromir, als eine Geißel des Meers, auch die blühenden Küsten verödete. Tief in dem für das Recht erglühenden Busen hatte er den Plan der Rache gebildet, und als neue Greuelthaten die Küstenbewohner in Jammer stürtzten, reifte plötzlich der Entschluß zur That, und begeistert von dem Unglück der Gemißhandelten, schien's ihm eine Eingebung von oben, die ihm befahl, die Waffen zu ergreifen.
Er raffte eine Schaar ihm Gleichgesinnter zusammen – doch nicht immer steht das Glück mit der Gerechtigkeit im Bunde; Jaromir vernahm hohnlachend die Ausforderung des Muthigen, und schwieg tückisch, der Festigkeit seiner Burg vertrauend. Erst als ihm die Kunde ward, daß Adolar mit seinen Getreuen bereits den dritten Graben durchschifft, bereits den dritten Wall erstiegen, erst da riß er grimmig das noch blutbefleckte Schwerdt hervor, und zog, den Untergang ihm schwörend, dem hochherzigen Jüngling entgegen.
Lange blieb der Streit unentschieden, und tapfer kämpfte das Recht gegen die Gewalt, doch endlich, wie so oft im Leben, siegte die letztere. Ein Schwerdtstreich, von Jaromirs eiserner Faust geführt, schlug eine tiefe Beule in Adolars Helm, und [126] stürtzte ihn, nicht verwundet, aber betäubt, zu den Füßen seines Gegners nieder. Wie das Raubthier brüllend seine Beute faßt, so fielen schnell die Räuber über ihn her, und trugen frohlockend ihn davon. Adolars Gefährten sahen ihren Anführer sinken – mit ihm sank zwar nicht ihr Muth, wohl aber ihre Hoffnung – noch einmahl versuchten sie, mit der Anstrengung ihrer letzten Kraft, ihn zu befreien, doch umsonst. Zu überlegen war die Anzahl der triumphirenden Räuber, und sie fielen Alle, ein vergebliches Opfer ihrer Treue.
Erst in den Hallen der Burg seines Feindes fand Adolar seine Besinnung wieder. Aber welche Besinnung! Lebensmüde, aus dumpfer Bewustlosigkeit sich ermunternd, erhob er das Auge, das sich im Freien, umringt von der Schaar seiner Reisigen, geschlossen hatte, und verlangend suchte er die Bilder des muthvollen Kampfes wieder, die damals die Macht der Ohnmacht so plötzlich in ihm erlöschte. Statt ihrer aber umgab ihn die Dämmerung eines weiten Gewölbes, wo des Tages Schein nur gebrochen und trübe wie ein wehmüthiger Abschiedsgruß der Freiheit durch die düsteren Bogenfenster zu ihm eindrang – Kerkerluft athmete seine Brust, und die bange Ahnung einer ewigen Hoffnungslosigkeit führte Kettengerassel seinem innern Ohr vorüber.
In diesen finsteren Minuten, wo ihm war, als müsse er scheiden von allem Glück der Vergangenheit und der Jugend nahte sich Alwina ihm, Trost bringend, und in himmlischer Milde, obgleich traurig, ihm zulächelnd. Heilenden Balsam in der [127] Hand, doch süßeren Balsam noch im Blicke, beugte sie sich zu ihm herab, und forschte nach seinen Wunden, innig sich freuend, sein lockiges Haupt unversehrt zu finden. Sie reichte ihm hierauf zur Stärkung einen Becher köstlichen Weines, aber erquickender labte ihn der Thau der Thränen, die mitleidig seinem Schicksale flossen.
Beruhigt Euch, Ritter! sprach sie sanft; Uns alle birgt sich auf der Lebensreise wohl zuweilen die Sonne hinter dunklem Gewölk – aber man sagt, sie strahle dann doppelt schön, wenn sie wieder hervorbricht.
Das Geräusch, daß ihre Rede unterbrach, paßte wenig zum Trost ihrer Worte, mit denen sie versuchte, Muth in Adolars umnachtete Seele zu giessen. Es war ihr Vater, der mit seinem Gefolge in die Burg einzog, und prahlerisch seines Sieges sich rühmte. Mit höhnischem Munde ertheilte er den Befehl, den Gefangenen in Ketten zu legen, und ihn in das Burgverlies zu werfen. Alwina durfte den Grausamen, die ihn vollstreckten, nicht Einhalt thun – sie bebte, als man ihn fortschleppte – doch tiefer drückte sich der Pfeil der Liebe in ihre Brust, als sie sah, daß in der unwürdigen Begegnung seine Heldenkraft sich wieder ermannte. Seine Augen schleuderten Blitze um sich her – Trotz mischte sich in das unfreiwillige Dulden, mit dem er unterlag, und selbst überwunden schien er noch Ueberwinder, denn edel war der männliche Stolz, mit dem er sein Schicksal trug.
Als man ihn hinweg geführt hatte, warf sich [128] Alwina heftig erschüttert in die Arme der Mutter. Jutta ahnete, was ihren Busen bewegte, aber sie vermochte nur durch Thränen zu zeigen, daß auch sie von dem dunklen Geschick des feurigen Jünglings ergriffen sey. Hülfe, Rettung ihm zu bringen, war ein vergeblicher Wunsch – doch sein Loos zu lindern, schien ihr möglich und erlaubt. Als daher Jaromir, vom Schlaf bezwungen, auf sein Lager sich streckte, bestach sie durch reiche Gaben den Burgvoigt, in dessen Macht es allein stand, den schweren Riegel von Adolars Kerkerthür hinweg zu schieben.
Von ihrer Tochter und ihren Dienerinnen begleitet, stieg sie die Stufen hinab, den Unglücklichen durch menschlichen Antheil und Trost zu erfreuen. Sie fanden ihn in das dumpfe Hinbrüten der schwärzesten Verzweiflung versenkt, doch – wie eine Erscheinung aus besseren Welten leise den Sturm irdischer Schmerzen beschwören würde – so verklärte Alwinens Anblick das Gewirr seiner melancholischen Träume, und sanft wurden seine Gedanken und Gefühle durch ihre wohlthuende Nähe von den bitteren Leiden der Zukunft abgezogen.
Alwina hatte keine Worte – sein Zustand brach ihr das Herz, und gerne hätte sie an seiner Statt dem goldenen Tageslicht entsagt, und für ihn die Ketten in dieser grauenvollen Einsamkeit getragen. Sie lösete ein Band von ihrem Busen, knüpfte es an die Lampe, die sie ihm brachte, und befestigte sie mit zitternder Hand an der feuchten Mauer. Dann schwang sie das Rauchfaß, um durch Weihrauchduft den giftigen Moderhauch zu verscheuchen, [129] der aus jeder Spalte der finsteren Kerkerwand, einem bösen Geiste gleich, hervordrang. Darauf breitete sie weiche Teppiche auf das dürftige Stroh, das ihm zur Ruhestätte dienen sollte, und als die Mutter ihm indessen freundlich zugeredet, ihm ihren Schutz, ihre fernere Sorgfalt verheißen hatte, folgte sie dem Wink derselben, sich mit ihr zu entfernen. Doch oft noch kehrte ihr liebestrahlendes Auge zurück zu dem Ritter, der ebenfalls nur mit Blicken ihr danken und folgen konnte.
Seidem war es das liebste Geschäft ihres Lebens, für ihn zu sorgen, wenigstens an ihn zu denken – und auch in seiner von Unwillen geschwellten Brust keimte Liebe zur Tochter neben glühendem Haß gegen den Vater. Sonst erseufzte sie schmerzlich, wenn Jaromir auszog zu rauben, denn sie wußte, daß Grausamkeiten seine Spur bezeichneten. Jetzt aber stählte die Liebe eigensüchtig ihr Herz gegen die bangen Ahnungen des Mitleids. Ungeduldig sah sie seine Seegel aufziehen, und freute sich, wenn die Wellen rauschten, von seinem hinwegeilenden Kiel durchschnitten. Dann stieg sie hinunter in die feuchte Gruft, wo er schmachtete, schloß seine Ketten auf, und leitete ihn empor, nicht ohne den verschwiegenen Wunsch in ihrer Seele, ihn so durchs Leben leiten zu dürfen.
Auch ihn ergriff oft dies Verlangen – nur stürmischer und heißer gestaltete es sich in dem männlichen Herzen. Sie erschien ihm, wenn sie in seinen Kerker eintrat, hülfreich ihm die zarte Hand zu bieten, wie ein Engel des Friedens, der gekommen [130] sey, ihn aus den Banden des Schmerzes zu befreien, und in ein besseres Daseyn hinüber zu führen. Und doch war ihr Besitz nicht das nächste Ziel seiner Sehnsucht.Freiheit dünkte ihm erst der Grund, der würdig sey, das Gebäude seines Glücks zu tragen, und mit all' der in sich zurückgedrängten Glut seiner feurigen Jugend strebte er, sich den Gedanken fest zu halten, daß es ihm einst noch gelingen werde, seine drückenden Bande zu zerreißen, und wieder frei die süße Luft seiner Heimath zu athmen.
Wenn seine Fantasie dann in der Stille der Einsamkeit dies Bild sich ausmahlte, dann erst dünkte ihm Alwina innig in sein Schicksal verflochten; denn unzertrennlich von allen Hoffnungen und Träumen seiner Zukunft fand er sie überall wieder, wohin auch der Blick seines Geistes sich wandte.
Nicht er allein sann auf Befreiung. Die Liebe, die in einem weiblichen Gemüth so uneigennützig der Zufriedenheit des Geliebten die schwersten Opfer zu bringen vermag, hatte längst Alwinens Streben auf den Punkt hingerichtet, von dem allein wahres Glück ihm beginnen konnte. Ohne sich selbst zu verhehlen, daß mit ihm der Zauber ihres Lebens entwich, suchte sie durch Bitten und Thränen die muthlose Mutter zu bewegen, sich mit ihr zur Erfüllung seiner Wünsche zu vereinigen.
Ein seltsam gewundener Gang, tief in den Schoos der Erde gegraben, und nur Jaromir und seinen Vertrautesten bekannt, leitete aus dem Burgverlies nach dem festen Lande. Hier barg er die [131] geraubten Schätze, und in jeder möglichen Gefahr, die nur allein von der Seeseite ihm zu drohen vermochte, blieb ihm in diesem unterirdischen Pfad eine rettende Ausflucht übrig. Eine gemauerte Thür, die sich kunstvoll um ihre Angeln drehte, verschloß den Eingang, indem sie ihn täuschend mit der übrigen Mauer verband, und eben so wälzte sich dort, wo der Weg nach vielfachen Krümmungen endlich hinaus ins Freie führte, ein Felsenblock, dem Anschein nach von der Natur dahin gestreut, auf den Druck einer Feder hinweg.
Auf diesen Gang, den Alwina nur selten und nie ohne Schauder betreten hatte, weil die Spuren mancher heimlichen Mordthat in den zerstreuten Gebeinen Erschlagener grausend ihr begegneten, baute sie den Plan, Adolar zu befreien. Mit Gold und Geschmeide erkaufte sie den Burgvoigt, ohne dessen Mitwirkung es ihr unmöglich gewesen wäre, ihren Entschluß auszuführen. Er wollte, den Zorn seines Herrn fürchtend, die Flucht des Jünglings theilen, und reich ausgestattet durch Alwinens Freigebigkeit in der Ferne einen Zufluchtsort suchen, der ihn vor Jaromirs Verfolgungen zu sichern im Stande wäre.
Ohne Adolar zu verrathen, was schon lange ihre Seele liebevoll für ihn mit zarter Sorge beschäftigte, hatte Alwina nur im Allgemeinen die Flamme seiner Hoffnung genährt – endlich, als alles bereit war, und eine stille Mitternacht jeden Laut des Lebens in der Burg beschwichtigt hatte, da empfing sie von Juttas Lippen den Kuß der Weihe zu ihrer muthigen That, und leise schlich sie [132] der Kammer des Vaters vorüber, hinab, wo auf der untersten Stufe der Burgvoigt schon ihrer harrte.
So geräuschlos wie möglich schob er den Riegel hinweg, und öffnete das gewichtige Schloß der Kerkerthür. Bei'm Schein der Lampe, die dort brannte, erblickte Alwina den Geliebten, sanft hingestreckt auf das Lager, das ihre Sorgfalt so weich ihm gebettet hatte. Ein süßer Traum schien seiner Seele vorzuschweben, und seine Züge mit himmlischem Lächeln zu beleben. Einige Minuten stand sie stumm, in sei nem Anschauen verloren. Vielleicht siehst du ihn zum letztenmahl, sprach sie zu sich selbst, und die Handlung, die seine Fesseln zerbricht, schmiedet dich auf ewig in die Ketten einer immerwährenden Hoffnungslosigkeit. – – Es wurde ihr klar, daß ohne ihn die Zukunft ihr öde seyn würde – doch sie schwankte nicht. Ihn zu retten, schien ihr ein heiligerer Beruf, als das Glück des eigenen Herzens zu bauen. – Wach auf, flüsterte sie ihm zu, die Stunde der Befreiung ist gekommen! – Freudig erschüttert richtete Adolar sich empor, und forschte nach dem dunklen Sinn ihrer Worte. Schnell jedoch begriff er sein Glück, und sprang auf, durch die Labyrinthe des rettenden Ganges schweigend von ihr fortgezogen. Vor ihnen her schritt der Burgvoigt mit der Lampe, deren Schimmer nur nothdürftig die grauenvolle Dunkelheit erhellte.
Stumm wandelten sie dahin, bis sie das Ende des Weges erreichten, wo Rettung, und – Trennung – ihrer wartete. Da schob sich der Felsenblock [133] zur Seite. Vor ihnen lag die Gegend frei und ruhig im Schein des Mondes, der aus zerrissenem Gewölk traurig auf sie hernieder blickte. Wir sind am Ziel, sprach Alwina, und Du bist frei! Geh – sey glücklich – und gedenke mein! –
Da warf sich der Jüngling vor ihr nieder, und zog die Zitternde leidenschaftlich an sein Herz. Dein gedenken? rief er aus, ja, hülfreicher Engel, das werd' ich in jedem Augenblick meines Lebens. Du giebst mir die Freiheit wieder, fuhr er fort – o thue noch mehr – gieb Dich selbst mir, damit diese Freiheit erst mir Seegen werde.
Alwina fühlte sich ergriffen von der Innigkeit seiner Rede, doch vergebens drang er in sie, ihn zu begleiten auf seiner Flucht, und in die Halle seiner Väter ihm zu folgen, um die Fluren der Heimath ihm als seine Gattin zum Paradiese umzuwandeln. Seine Bitten, seine Gründe, einem vollen, überströmenden Herzen entquollen, bahnten sich mit süßer Ueberredung den Eingang in ihr Inneres, und qualvoll war der Kampf, den sie in ihr erregten. Doch sie bestand ihn, muthig sich selber überwindend, und so mächtig auch die erwachten Gefühle sie bestürmten, so himmlisch ihr die Zukunft an seiner Seite, fern von den Gräueln des väterlichen Hauses winkte, so hielt doch die Erinnerung ihrer Pflicht, und der Gedanke an ihre Mutter mit eiserner Festigkeit sie zurück.
Ich werde Dir folgen, sprach sie mit abgewendetem Gesicht, aber nur im Geist, wo kein Gesetz es mir verbietet.
[134] So sollt' ich von Dir scheiden, rief Adolar aus, ohne die Hoffnung, Dich wieder zu sehen? Die Liebe war die Sonne, die mein Gefängniß erhellte – soll sie mir untergehen, jetzt, wo sie doppelt schön im Glanz der Freiheit mir zu leuchten vermag? Nein, Alwina! ich ehre Deine Strenge – ich will Dich nicht verleiten die Gebote jungfräulicher Zucht zu verletzen – – aber wenn es mir gelingt, meine muthigen Vasallen zu versammeln, wenn die Gefährten meiner Jugend sich an mich anschließen, und mich unterstützen im Kampf um das heiligste auf Erden, willst Du auch dann noch Dich mir versagen, wenn ich um Dich werbe bei Deinem Vater? Zwar nicht mit der Unterwürfigkeit eines liebenden Sohnes, sondern mit dem Schwerdte in der Hand, da dies allein mir den kostbarsten Preis meines Lebens erringen kann?
Bebend zwischen Angst und Hoffnung antwortete Alwina: ich werde Dir gehören, oder Keinem! Allein wirb mit Schonung um mich. – Ach – es ist mein Vater, Adolar! – wirb mit Schonung um mich, denn keiner blutbefleckten Hand darf ich die meinige reichen! –
Sie an sich reißend im Schmerz des Abschieds gelobte es der Jüngling mit einer glühenden Umarmung. Eile und flieh, flüsterte sie ihm zu, damit die Ueberzeugung, Dich gerettet zu wissen, mir das Weh der Trennung ertragen helfe! –
Langsam schwankte sie zurück, die matt brennende Lampe in der zitternden Hand haltend, und den Busen von stürmischen Vorstellungen bewegt. [135] Da strauchelte sie, und fiel – die Lampe erlosch – grauenvolles Dunkel umgab sie – – und als sie umher tappte, sich wieder aufzurichten, berührte sie die Gräuel und Schrecknisse dieses Orts – –
In Todesschweiß gebadet, und von Fieberfrost ergriffen, erreichte sie ihre einsame Kammer, wo sie sich halb bewustlos auf's Lager warf. Eine schauderhafte Vorbedeutung dünkte ihr in diesem Vorgang zu liegen – noch fühlte sie die furchtbare Kälte des morderfüllten Ganges – noch den feuchten Moder des Bodens, der ihr mit Blut getränkt schien – – ihre Gedanken verwirrten sich – die Hoffnung schwand aus ihrem Herzen, und in wilden Fantasien rasend fand sie am Morgen die zärtliche Mutter, als sie von Jaromirs Seite sich hinweg schlich, um zu forschen, ob es ihr gelungen sey, Adolar zu befreien.
Die Nachricht von Alwinens Zustande wurde dem Vater gebracht, und erfüllte ihn mit Schrecken und Sorge. Er liebte dies einzige Kind, so verschieden von ihr auch seine harte Gemüthsart war, und sie zu verlieren, war ihm ein Gedanke des Entsetzens. Daher wich er nicht von ihrem Bette, und so wurde es möglich, ihm drei Tage lang die Flucht seines Gefangenen und seines Burgvoigts zu verhehlen, da während dieser Zeit nur die Gefahr seiner Tochter seine Seele beschäftigte.
Am Mittag des vierten Tages schien Alwinens Krankheit Hoffnung zur Genesung zu geben. Ein Kräutertrank, von der erfahrenen Jutta ihr bereitet, hatte die Flammen ihres Blutes gekühlt, und [136] beruhigend auf ihre gereziten Nerven gewirkt. Mit dankbarer Rührung erkannte sie, als das Bewustseyn ihr wiederkehrte, den rauhen Vater, der besorgt und hülfreich, gleich einer Wärterin, ihr zur Seite saß, und mit freudigem Jauchzen den ersten Strahl ihrer wieder aufdämmernden Besinnung begrüßte Tief im Innern fühlte sie sich beschämt, gegen seine Wünsche gehandelt, und Adolar seiner Gewalt entzogen zu haben – doch bereuen konnte sie es nicht, und ahnungsvoll richtete sie ihre Sinne in die Zukunft, bald von dem Wechsel der Empfindungen, die ihr Gemüth durchschauerten, geängstigt, bald wieder erhoben. Da drang ein dumpfes Getöse aus der Halle herauf – Schwerdtergeklirr, verworrenes Geräusch, Geschrei um Hülfe, und Siegesjubel mischte sich in furchtbaren Lauten in einander, und sie erbebte, bang errathend, was dieses bedeutete.
Adolar nemlich war durch den unterirdischen Weg, dessen Eingang er sich bezeichnet hatte, hereingedrungen. Eine starke Anzahl Inselbewohner, freudig seinen Aufruf folgend, begleitete ihn vom lodernden Rachegefühl angetrieben. Wie ein mächtiger Strom aus seinen Dämmen tritt, so überschwemmten sie plötzlich unaufhaltsam die Burg, warfen Jaromirs Reisige nieder, und stürmten in das Innere der Gemächer, ihn selbst zu suchen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Wir sind verrathen! Wir sind verloren! hörte Jaromir die Seinigen rufen. Schnell die Betäubung von sich abschüttelnd, mit der des erste Schrecken [137] ihn gelähmt hatte, stürtzte er hinaus, eilig seine Waffen ergreifend. Schon wälzte sich das Gefecht ihm entgegen – immer lauter, immer gräßlicher verwirrten sich die brüllenden Stimmen – immer näher klirrten die sausenden Hiebe – – da verstärkten sich plötzlich alle Töne zu einem furchtbaren Freudengeschrei, und tiefe Stille, wie sie in Gräbern herrscht, folgte darauf, bis nach einer Pause ein düsteres Gemurmel sich wieder erhob, und von neuen zu einem wilden Jauchzen der Freude heran schwoll.
Jetzt vermochte sich Alwina nicht länger zu halten. Die Spannung ihrer Seele gab dem ermatteten Körper Kraft – ihr war, als stehe sie an der Entscheidung ihres Schicksals, und der muthige Glaube, als könne sie helfen, lindern, retten – riß sie hinaus.
Allein welchem Grausen schritt sie entgegen! Ströme von Blut rauchten von dem mit Leichen bedeckten Boden zu ihr auf, und der gebrochene Blick eines Sterbenden, von der Wuth eines rohen Haufens umringt, traf sie wie Gottes Gericht. – Es war ihr Vater. – O meine Tochter! sprach er mit der Wehmuth eines auf ewig Scheidenden, und streckte seine Hände, Mitleid flehend in stummer Gebehrde, nach ihr aus. Rettung – Hülfe kam zu spät. Was hab ich gethan! rief sie mit dem Schrei des Entsetzens, und wie von einem Blitzstrahle des Himmels berührt, sank sie kraftlos zu Boden. Jetzt durchschaute sie mit einemmahle das Grauenvolle der kühn gewagten That, zu der Mitleid [138] und Liebe sie verleitet hatte. An der Befreiung ihres Geliebten hing das Leben ihres Vaters, der für seine längst verübten Grausamkeiten wohl mit dem Schmerze eines gewaltsamen Todes zu büßen verdiente, doch nicht durch seine Tochter. Das Unwiderrufliche war geschehen. – –
Vergebens hatte Adolar sich bemüht, dem tobenden Grimme Einhalt zu thun, der seine Gefährten gegen Jaromir entflammte. Blind und taub gegen alle seine Vorstellungen hörten sie nur auf die Stimme der Rache, die donnernd in ihrem pochenden Herzen von Wiedervergeltung sprach, und er war schon gefallen unter ihren vertilgenden Streichen, als Adolar noch immer strebte, in ihm den Vater seiner Alwina zu schützen und zu erhalten.
Als Alwina nach einer Weile wieder zu sich kam, schwieg rings umher das kriegerische Getöse und die Stille, die sie umfing, frischte leise die durch die Ohnmacht verwischten Bilder in ihrem Gedächtniß wieder auf. Sie befand sich auf einem Ruhebett. Adolar knieete blaß und schweigend zu ihren Füßen.
Keiner blutbefleckten Hand darf ich die meine reichen. War es nicht so, Adolar? fragte Alwina. – Adolar verhüllte sein Gesicht ohne zu antworten.
O könnt ich sie rein waschen mit meinen Thränen, fuhr sie fort, ewig, ewig sollten sie fließen! Aber ich kann nur mein Schicksal beweinen, nicht das verlöschen, was es unabänderlich zwischen uns gestellt hat.
[139] Nicht ich, sprach Adolar, war der Mörder Deines Vaters. Dein kindliches Gefühl zu schonen, hätte ich lieber das eigene Herz durchbohrt, als das Seine, das fremde Hände, nicht die meinigen, rachedürstend durchstießen. Soll ich nun büßen, was Andere verbrachen, da ich schuldlos bin?
In dem fürchterlichen Augenblick, versetze sie, wo meines Vaters blutiges Antlitz auf mich schaute mit gebrochenem Blick, entsagte ich in meinem Innern jeder Hoffnung auf eine selige Zukunft. Doch bereue ich nicht, Dich befreit zu haben – – auch ich werde bald frei seyn – – bis dahin laß mich einsam unser Unglück betrauern – störe mich nicht weiter, und lebe wohl! –
Sie winkte ihm, sie zu verlassen, und er gehorchte nach manchem vergeblichen Kampfe. Wie in eine Klosterzelle versperrt, lebte Alwina abgeschieden in ihrem einsamen Gemach die Tage hin, die ihr noch bestimmt waren, und niemand als Jutta sah und theilte ihre Thränen. Da erschien ihr, gleich einem Engel im Traume, ein freundlicher Genius, sanft senkend und verlöschend die trübe Fackel ihres Lebens. Jutta begrub in stiller Trauer das geliebte Kind, und mit ihm jede Freude ihres Daseyns. Sie suchte die von Jaromir unrechtmäßigerweise erworbenen Schätze unter die zu vertheilen, die er beraubt hatte, und die noch fähig waren, Ersatz anzunehmen – milden Stiftungen widmete sie das übrige, und sich selbst behielt sie nur ein Grab neben ihrer Tochter vor, das bald nach ihren Wünschen sie wieder mit ihr vereinigte.
[140] Adolar trauerte lange um die Geliebte seines Herzens, und um das Schicksal, das ihn sie nur finden ließ, um sie ihm wieder zu entreißen. Ritterlichen Uebungen, und den Geboten der Ehre widmete er seine künftigen Tage; doch die Liebe wand in den Lorbeerkranz, den Heldenmuth und Tapferkeit ihm erwarben, nun keine Myrthen mehr.
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