Rufaldino

Es lebte einst in Welschland ein geistlicher Herr, der Rufaldino hieß, und seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit wegen allgemein verehrt, und zu hohen Ehrenstellen befördert war.

Der Schein der Tugenden aber, der mit einem lichten Nimbus ihn schmückte, war nur einem blendenden Mantel zu vergleichen, der um so sicherer die wahre Gestalt seines lasterhaften Lebens verbarg, je täuschender er seine Vergehungen zu umhüllen wußte. Denn, während er, geübt in den Künsten der verworfensten Heuchelei, nach einem fleckenlosen Ruf trachtete, gestattete er sich im Stillen alle Ausschweifungen, die den Menschen überhaupt und zwiefach den Geistlichen entehren, der nicht nur durch das Wort der Lehre, sondern auch durch das Beispiel seines eigenen Wandels würdig auf den Kreis weltlichen Treibens zu wirken, berufen ist.

[170] Die geistlichen Aemter, die er verwaltete, gaben ihm Gelegenheit, sich zwanglos an jede Familie anzuschließen, deren Seelsorge ihm vertraut war. Allein er mißbrauchte dieses ehrwürdige Vorrecht, indem er die Frauen und Töchter der Häuser, die sich ihm gastfrei öffneten, verführte, und – wenn Ueberdruß an die Stelle seiner wilden Leidenschaft trat, oder er Verdacht, und Rache zu befürchten glaubte – so schloß ein kunstvoll zubereitetes Gift den unglücklichen Opfern seiner Begierde die Lippen, und sandte die, oft durch teufelische List Betrogenen in das dunkle Land, aus dem keine Anklage mehr den Sünder hienieden erreichen kann.

So hatte er die Jahre seiner Jugend, und seines männlichen Alters erreicht, und – weit entfernt, Reue zu empfinden – sich seiner schändlichen Thaten auch noch im Nachhall der Erinnerung mit einer solchen Behaglichkeit erfreut, daß – da er sich Niemanden mittheilen durfte – er ein Tagebuch hielt, in das er mit den kleinsten Umständen jede seiner lasterhaften Handlungen verzeichnete, um dereinst seinem Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen, und sich an dem Schattenbilde genossener Lust noch zu weiden. Dieses Buch, kostbar in schwarzen Sammet gebunden, und mit Gold und funkelnden Edelsteinen verziert, ruhete stets auf seiner sündlichen Brust, und wer es sah, hielt es für ein Brevier, dessen der heilige Mann sich in den Stunden seiner Andacht bediene.

Da begab es sich, daß eine Mutter mit ihren Töchtern nach Rom zog, wo Rufaldino lebte, und[171] – schon vor ihrer Ankunft von dem Rufe seiner Tugend und Weisheit wie von dem milden Strahl durchglüht, den die Sonne aus ihrer Höhe auf die niedere Erde herab sendet – nichts sehnlicher wünschte, als seine Bekanntschaft. Hohen Standes – sie war aus einem alten, gräflichen Geschlecht – hatte der Wittwenschleier ihr die Freuden der Welt alle mit seinem düsteren Flor umhüllt, und nur durch ihre Kinder, zwei zarte unschuldsvolle Mägdlein, hielt sie sich noch an das Leben gebunden, das seit dem Verlust des geliebten Gatten ihr verödet schien. Wunderbare Schicksale, Ungerechtigkeiten der Menschen und Täuschungen seiner Hoffnungen und Wünsche hatten vor der Zeit sein blühendes Daseyn dem Grabe zugeneigt, und kein irdisches Verlangen loderte seitdem mehr in ihrer, dem Glücke abgestorbenen Brust, als das, ihm zu folgen, nachdem es ihr gelungen seyn werde, ihre Kinder vor den Fallstricken der Arglist und der Verführung zu sichern, die um so furchtbarer ihnen drohten, da Schönheit, Unerfahrenheit und Reichthum ihre Mitgift waren.

Welche Beruhigung mußte es daher nicht dem liebenden Mutterherzen gewähren, in Rufaldinos gepriesenem, und bald durch das Zutrauen, das er ihr einzuflößen wußte, bewährtem Charakter einen Schutz und Schirm ihrer Lieblinge in den Stürmen der Welt zu erkennen, denen sie nun bald die Hülflosen Preis geben sollte. Als sie auf ihre Bitte sein Versprechen empfangen hatte, sich mit väterlicher Treue der Verlassenen annehmen zu wollen, zog diese Zusicherung die letzten Dornen aus ihrem [172] Sterbelager, und ruhig schied sie aus einem Leben, an welches nur noch diese Sorge sie gekettet hatte.

Beatrice und Bianca, so hießen die zarten Blüthen, welche der reinsten ehelichen Liebe entsprossen waren, standen gefaßter neben der Leiche der so unaussprechlich geliebten Mutter, als Rufaldino bei ihrem tiefen kindlichen Gefühl vermuthet hatte. Denn schon früher durch das Leiden der Verehrten zu Ernst und stiller Einkehr in sich selbst gewöhnt, war ein Plan in ihren jungen Seelen gereift, dessen Ausführung ihnen den willkommensten Hafen einer ungestörten Ruhe zu erschließen schien.

Sie wollten nemlich dem Klosterleben ihre künftigen Tage widmen, und in gottseliger Einsamkeit sich zu dem höheren Berufe vorbereiten, dem ihre Eltern so frühe gefolgt waren. Rufaldino hörte, als er sich über ihre Zukunft mit ihnen beredete, voll geheimer Freude diesen Ausspruch über ihr Schicksal, den sie mit Kraft und Festigkeit ihm kund thaten. Innerhalb der klösterlichen Mauern schienen sie ihm ein sichereres Opfer seiner Lüste zu seyn, als im Gewühl der Welt, wo gefährliche Nebenbuhler sich um ihre Gunst hätten bewerben, und sie durch die Magie der Liebe in den Zauberkreis einer glücklichen Ehe bannen können, den zu überschreiten es weit mehr Mühe und Anstrengungen kostete, als die Schwelle der geweihten Stätte, die seiner Willkühr stets offen stand, ohne das dadurch der mindeste Argwohn erregt ward.

Er billigte daher vollkommen ihren Plan, und da sie es seiner besseren Einsicht überließen, das Kloster [173] zu wählen, das er für ihre Wünsche am angemessensten hielt, so erkor er eines, dessen geheime Sittenverderbniß seiner sträflichen Absichten begünstigte, da die Bewohnerinnen desselben ihm durch das Einverständniß einer lasterhaften Vertraulichkeit sämmtlich unterthan, und aus Furcht vor der gerechten Strafe gezwungen waren, ihm bei neuen Ankömmlingen in Allem was er wünschte, Beistand zu leisten.

Noch einmahl besuchten die jungen Gräfinnen den Grabhügel ihrer Mutter, ihn mit Blumen schmückend, und mit Thränen benetzend – – sahen sich noch einmahl weit umher in der freien, herrlichen Natur, die sie nun bald mit der Beschränkung enger Mauern zu vertauschen gedachten – athmeten mit vollen Zügen noch zu guterletzt den Balsam der Luft unter säuselnden Pinien und duftenden Orangen ein, und sagten dann, Hand in Hand sich an den Ort ihrer Bestimmung verfügend mit ruhig ergebenem Sinne der Welt und ihren trügerischen Freuden auf ewig Lebewohl.

Aber ach, statt dort, wo die Palme des Friedens ihnen zu winken schien, dies Kleinod eines höheren Lebens wirklich zu finden, wartete nur Schmerz und Schmach der Unschuldigen, bis eine grausame Todesart ungerechter Weise das reine Morgenroth ihrer kaum erst angebrochenen Jugend in allzufrüher Nacht erlöschen ließ.

Kaum hatten sie sich selbst die Rückkehr in des. Kreis bürgerlicher Geselligkeit verschlossen, wo die Gesetze sie vor den Verfolgungen eines heuchlerischen [174] Bösewichts gesichert hätten, als er die Maske der Scheinheiligkeit abwarf, und in seiner wahren Gestalt sich ihnen zeigte.

Die holden Neulinge in den Künsten der Verführung, unbekannt mit dem leisesten Schein der Unsitte, verstanden nicht, welche widrige Absichten sein lüsternes Begehren sich vorgesetzt hatte; aber die unentweihte Scheu heiliger Unschuld in ihnen wandte sich dennoch schaudernd von seiner Freundlichkeit ab, die ihnen kein Zutrauen einflößte, und an die Stelle ihrer kindlichen Hinneigung zu ihm trat Schüchternheit, und späterhin, als er immer zudringlicher ward, Verachtung. Gleichwohl ehrten sie in ihm immer noch dir Vergangenheit zu sehr, um ihn durch eine Anklage seiner Unwürdigkeit ins Verderben stürzen zu wollen. Ihre sterbende Mutter hatte sie seiner Obhut anempfohlen – freilich, weil sie ihn nicht kannte – aber das letzte Gebot ihrer nun verstummten Lippen, ihn als ihren Vater zu betrachten, war ihnen demohngeachtet zu heilig, um ihn der Strafe der wahnsinnigen Verirrung Preis zu geben, für die sie sein Benehmen hielten.

Indeß, weder die Festigkeit, mit der sie sich den Versuchungen entzogen, durch welche er sie theils zu bezwingen, theils zu überlisten strebte, noch der schonende Edelmuth ihres tiefen Schweigens konnte den Verworfenen anderen Sinnes machen, und er versuchte zuletzt noch das einzige Mittel, das ihm übrig blieb, durch Drohungen nemlich ihren Muth zu erschüttern. Hindeutend auf seine Macht und seinen Einfluß lies er sie die schrecklichsten Gefahren [175] für sich ahnen, wenn er auftreten werde, sie der Zauberei und mancher ihnen nicht einmahl dem Namen nach bekannten Laster zu beschuldigen. Er betheuerte ihnen mit den vermessensten Schwüren, daß der ganze Convent, statt ihnen Beistand zu gewähren, sich – völlig abhängig von ihm – mit ihm vereinigen werde, seiner anklage Glauben zu verschaffen, und daß sie, falls sie ferner sich weigerten, ihn zu erhören, unvermeidlich einem schmählichen Tode als Opfer fallen würden.

Die beiden Schwestern sahen sich an, und jede las den Ausdruck ihrer eigenen Gefühle, ihrer eigenen Gedanken in den Blicken der anderen. Da reichten sie sich, einverstanden in himmlischer Duldsamkeit und Ergebung, die Hände, lächelten getrost der dunklen Zukunft entgegen, und erwiederten einstimmig: Gottes Wille geschehe; wir weichen nimmer von seinem Wege!

Da steigerte sich Rufaldinos Leidenschaft bis zur Wuth, und mit den schauderhaftesten Verwünschungen der Unschuldigen verließ er sie, ihnen den Untergang verheißend.

Die Schwestern blieben mit einander allein. Jede blickte schweigend seitwärts, und mochte den schwer beladenen Busen nicht durch Worte seiner Bürde entladen, bis ein tiefer Seufzer Beatricens Bianca bewog, nach ihr hinzuschauen, sich ihr zu nähern, und sie in die Arme zu schließen.

Graut Dir vor dem Sterben? flüsterte sie in das Ohr der Weinenden. – – Nein, o nein! erwiederte diese. Ich weiß, das Grab ist nur ein [176] Ruhebettlein, auf dem wir schlummern, um seliger zu erwachen. Aber mir graut vor den Qualen, die vielleicht unserer harren – vor dem Flecken der auf unserem Namen haften – vor der Schande, die so unverdient uns in die Gruft begleiten wird.

Da erhob die stärkere Bianca den stillverklärten Blick zu jenen Höhen, wo der Mensch ein unsichtbares Auge ahnet, das selbst in das Verborgenste der Herzen eindringt. Dort, sagte sie leise, und deutete hinauf, dort werden wir nicht mißverstanden, und seldst in den Flammen des Scheiterhaufens, den wir vielleicht als Märtyrerinnen der Tugend betreten müssen, wird das Gefühl, recht gehandelt zu haben, uns Kühlung zuwehen.

Eine dumpfe Stille herrschte um sie her, und – Hohn und Schadenfreude in ihren Mienen – näherten sich ihnen die Nonnen, die zu verdorben waren, um nicht zu wünschen, daß sie sich ihnen hätten gleichstellen mögen, und in boshaften Anspielungen strebten sie, das grauenvolle Bild des Schicksals, das ihnen bevorstand, früher noch vor ihren Blicken zu entrollen, als die zögernde Wirklichkeit es that.

Denn es dauerte mehrere Tage, ehe selbst Rufaldinos mächtige Stimme sich den Eingang zu bahnen vermochte, der zu seinem schauderhaften Zwecke führte. Endlich war es ihm gelungen, seine Verläumdungen in eine öffentliche Anklage zu sammeln. Es erschien eine geistliche Commission im Kloster, die Schwestern zu verhören, und als sie demuthsvoll, aber unerschütterlich fest beharrten, die [177] Unwahrheiten, mit denen man sie lästerte, abzuläugnen, traten entflammt von Neid über die längst verlorne Reinheit der Seele, welche sie mit ihrem stillen Heiligenschein schmückte, die Nonnen sämmtlich als Zeuginnen gegen sie auf, und behaupteten einstimmig, durch Rufaldino vorbereitet, auf das was sie sagen sollten, daß sie den Teufel leibhaftig mit Pferdefuß und Klauen gesehen, wie er vertraulich bei den Schwestern aus und eingegangen sey, und wie es nicht zu bezweifeln stehe, daß er mit beiden in einer strafbaren Gemeinschaft lebe.

Es hätte kaum in jenem barbarischen, verfinsterten Jahrhundert, in welchem sich diese Geschichte zutrug, dieses allgemeinen Zeugnisses bedurft, um die gräflichen Jungfrauen zum Feuertode zu verdammen.

Als sie sahen, daß die Lüge über ihre gerechte Sache triumphirte, sagten sie nichts mehr zu ihrer Vertheidigung. Blicke und Arme emporgehoben zu dem, der mit der Unschuld ist, auch wenn tiefes Leiden hienieden ihr die Dornenkrone des Märtyrerthums reicht, fanden sie sehr bald den Muth und die würdige Fassung, deren sie zu ihrem letzten Gange bedurften, und Hand in Hand traten sie ihn an, ohne zu beben.

Es war auf einer weiten Ebene ein hohes Gerüst erbaut und mit Holz und Strauchwerk umgeben worden. Pech und Schwefel hatte die dürren Reiser noch brennbarer gemacht, und rings umher standen die Schergen mit lodernden Fackeln bereit, den Scheiterhaufen anzuzünden, sobald die vermeinten [178] Verbrecherinnen an die Pfähle befestigt seyn würden, die aus seiner Mitte hervorragten.

Rufaldino stand im engsten Kreise der Zuschauer, sein Auge mit teuflischer Rachgier und Schadenfreude an den Qualen derer zu weiden, die seine unreinen Triebe verschmäht hatten. Da erschienen die holden Jungfrauen, gleich zweien Engeln, denen nur die Flüglein fehlten, um dieser unvollkommenen Erde zu entschweben, und die durch Schmerz und Marter erst den Kelch des Lebens bis auf die Hefen leeren sollten, um zu dem Himmel zu gelangen, der ihre wahre Heimath war.

Ruhig und furchtlos standen sie da, und schauten hinab auf die Menge, die sich heran drängte, ihr Leiden und Sterben zu sehen, und statt die Flüche, mit denen man sie lästerte und verunglimpfte, sprachen ihre betenden Lippen den Segen der Verzeihung aus. Herr! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun, seufzten Beide einmüthig aus voller Brust. – Da leckten die Flammen mit blaulichen Zungen an dem trockenen Gerüst, und das Gesträuch entzündete sich, und vermählte die schwarze Rauchwolke mit der purpurnen Glut, die der Rache geweihten Opfer zu verzehren. Beatricens Lockenfülle – denn noch standen sie im Noviciat, das den klösterlichen Jungfrauen bis zum Tage der Einkleidung den Schmuck der Haare erlaubt – ward zuerst von der Gewalt des Feuers ergriffen. Gleich einem goldenen Strahlenschein, zur Heiligen sie verklärend, flatterten die reichen Locken brennend um ihr liebliches Angesicht, bis die Bande, die sie an [179] die Marterstätte fesselten, in Asche zerfielen, und sie dem Tod in die glühend nach ihr ausgestreckten Arme sank.

Bianca aber stand noch unversehrt; es war, als ob die Lüfte mit kühlem Athem die Schmerzen des Feuertodes von ihr abwehrten, oder wenigstens linderten. Denn lange nachher, als schon die Schwester gleich einer welken Blume vor der Schwüle dahin gesunken war, blieb ihr Sprache und Bewußtseyn, bis Rufaldinos teufeliches Grinsen ihrem Auge begegnete, und sein Hohngelächter, wie aus der Hölle schallend, zu ihrem Ohr drang. Da erhob sie ihre Stimme, und rief ihm zu mit Tönen, die bereits aus höheren Sphären hernieder zu klingen schienen: Gehe in Dich, Rufaldino, und demüthige Dich vor Gott, den Du beleidigt hast, und der dem Verläumder nur dann verzeiht,wenn er sich bessert. Uns hast Du die Pforten einer schöneren Welt aufgethan, und den Weg uns abgekürzt, der zum Ziele führt. Daher scheiden unsere Geister nicht zürnend von hinnen, und mein letzter Hauch soll für Dich beten, daß der Himmel Dir Kraft verleihe, durch Reue und Buße Deine Seele vor der ewigen Verdammniß zu bewahren.

Als sie dies gesprochen hatte, hüllte der Rauch gleich einem grauen Schleier, ihr blühendes Antlitz ein, und sie neigte es sterbend, gleich der Lilie, die der Sturm in ihrer Schöne zerbricht.

In Rufaldinos Herz aber warf ihr Scheideblick die ersten Funken einer Reue, die keine weltliche Lust mehr zu übertäuben vermochte. Er zog sich in die[180] Einsamkeit zurück, aber allenthalben umschwebten ihn die Schatten der Hingemordeten – in jedem Säuseln der Luft glaubte er ihre letzten Seufzer – in jedem Traumgesicht, das ihn ängstete, die ernste Warnung zu vernehmen, mit der Bianca für immer ihre Lippen schloß. Alle seine früheren Verbrechen wachten in seinem Gedächtniß von dem Schlummer auf, in welchen Zügellosigkeit und stets wechselnde Zerstreuung sie gewiegt hatte, und überall, wohin der innere Blick sich kehrte, forderten die gräßlichsten Bilder seiner begangenen Handlungen ihn auf, in sich zu gehen, um weltlicher und ewiger Strafe zu entrinnen, und – da die Vergangenheit nicht mehr ungeschehen zu machen war – wenigstens eine minder lasterhafte Zukunft zu beginnen.

So heilig auch die Verschwiegenheit der Beichte ist, so wagte Rufaldino doch nicht ihrem Siegel seine schwarzen Geheimnisse anzuvertrauen. Denn er hatte – auch hier sträflich handelnd – oft die gränzenlose Offenheit gemißbraucht, welche die Religion dem Beichtenden zur Pflicht macht, und manches, auf diese Weise in sein Ohr niedergelegte Bekenntniß zu frevelhaften irdischen Zwecken benutzt, oder auch verrathen. Noch war er, ob er gleich schon anfing vor sich selbst zu schaudern, nicht zerknirscht genug, um die mit Demüthigung und Verachtung verbundene Buße, die die Kirche ihm ganz gewiß auferlegen würde, ehe sie ihm Absolution zu ertheilen ermächtigt war, Angesichts Roms zu tragen, das bisher bewundernd zu dem hohen Glanze seiner geistlichen Würden und zu der scheinbar unbefleckten [181] Moralität seines Charakters emporgeschaut hatte. Er entschloß sich daher zu einer Wallfahrt nach Loretto, um dort das schreckliche Verzeichniß seiner Uebelthaten, das er, es sein Tagebuch benennend, auf der Brust trug, irgend einem frommen Priester zur Durchsicht zu geben, um – als sey er nur der Abgeordnete dessen, der jene chronologisch aufgeführten Verbrechen wirklich begangen habe – erst zu hören, ob und in welchem Grade ihm geistlicher Trost und geistliche Strafe zu Theil werden würde, und dann, von dieser drückenden Sündenlast im Namen eines anderen absolvirt, erleichtert zurückzukehren, und – wie er sich vorzunehmen glaubte – ein besseres Leben zu beginnen.

Als er nun ankam, dort, wo die Mutter aller Gnaden schon so manchen Schuldigen und Bedrängten, der sich in wahrer Reue zu ihren Füßen demüthigte, getröstet und aufgerichtet entließ, um künftig einen reineren Weg zu betreten, da wollte auch ihm die Hoffnung dämmern, daß es möglich sey, von der Schwere seiner Schuld entbunden zu werden. Aber feige, wie das Laster stets ist, wenn ihm Gefahr droht, folgte er seinem Vorsatz, sich nicht selbst zu den Unthaten zu bekennen, deren gräßliches Register er dem Priester übergab, sondern behauptete, er sey von einem römischen Fürsten abgesandt, in seinem Namen die Pönitenz zu thun, die er ihm auferlegen werde.

Der Priester las; doch je mehr er sich in die schändliche Heimlichkeit dieses Büchleins vertiefte, je mehr bemächtigte sich Entsetzen und Grausen seiner, [182] und je unglaublicher kam es ihm vor, daß ein Mensch in dem so kurzen Zeitraum vergänglicher Jugendblüthe alle diese Sünden habe begehen können.

Ihr thut sehr übel, sprach er entrüstet zu Rufaldino, daß Ihr der tiefste Verworfenheit Eure Mitwirkung leiht, denn, so groß auch die Gewalt der Kirche ist, den Gefallenen wieder zu erheben und zu entsündigen, so liegt es doch außer ihrer Macht, ein solches Scheusal, wie der ist, in dessen Namen Ihr erscheint, durch den Segensspruch der Vergebung wiederum in ihren Schooß zurückzuführen. Hierauf warf er das in jeder Hinsicht schwarze Buch mit Abscheu zur Erde, und entfernte sich.

Wenn mich die Menschen verlassen, seufzte Rufaldino aus zerrissener Seele, ach so wirst Du Dich meiner doch annehmen, Du Hochgebenedeite! deren Mitleid ja die ganze Welt, folglich auch mich umfaßt.

Tief gebeugt an Leib und an Gemüthe nahte er dem Hochaltare, um dort, zu ihren Füßen in feurigen Gebeten seine Reue, und seine besseren Vorsätze für sein künftiges Leben auszusprechen. Aber als er sich niedergeworfen hatte, und das zur Erde geneigte Antlitz erhob, am Anblick der Himmlischen sich zu stärken und zu ermuthigen, da ergriffen ihn plötzlich die Schrecken der Verzweiflung, denn es schien ihm, als habe die Mutter Gottes ihr leuchtendes Antlitz von ihm gewandt, und kehre ihm den Rücken, wie wenn sie seiner verpestenden Nähe sich entziehen wolle. Diese entsetzliche Wahrnehmung entriß ihm im wüthenden Schmerz die [183] Hülle der Verborgenheit, unter der er seine eigentliche Gestalt bisher zu verstecken strebte, und indem er unter gräßlichen Verwünschungen seines lasterhaften Gemüths bekannte, daß er es selbst sey, der alle diese Gräuel begangen, blieb er ohne Nahrung und ohne Trost an den Stufen des Altars liegen, bis nach dreien Tagen der von Höllenangst gemarterte Körper zu Tode ermattete, und seine schwarze Seele entfloh.

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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Erzählungen. Gesammelte Erzählungen. Zweiter Band. Rufaldino. Rufaldino. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D742-D