Das Kreuz von Granit
Eine schwedische Sage.
An den Küsten des Wenersees, im Herzen Schwedens, lebte ein friedliches Fischervolk, das sich durch seine Netze ernährte, und in frommer Einfalt, unbekannt mit dem Geräusch und den Lastern der großen Welt seine einsamen Tage verrinnen sah.
Die Natur lohnet es dem Menschen immer, der ihrer Leitung sich überläßt, und mit den stillen Freuden sich begnügt, die er an ihrem Busen findet. Blühende Gesundheit und Stärke war daher das Erbtheil, das diese Küstenbewohner von ihren Vätern empfingen, um es wieder ihren Kindern zu übertragen, und – obgleich kein anderer Spiegel, als die reinen Fluthen ihres See's ihre Reitze ihnen zurückstrahlte, so war doch als liebliche Zugabe, Schönheit, diese Tochter des Himmels, insbesondere dem weiblichen Geschlecht verliehen, und die Mädchen und Frauen glichen in ihrer tiefen Verborgenheit einem blühenden Blumenbeet, von steilen [37] Mauern umgränzt, und nur den Blicken der Sonne zugänglich, an denen sich ihre einsamen Kelche erschlossen.
Es mußte daher wohl ein ungewöhnlicher Reichthum an Anmuth seyn, welcher Thyra unter ihren Gespielinnen so auszeichnete, wie die duftende Rose in jugendlicher Pracht über niedere Wiesenblumen sich erhebt. Wenn sie unter ihnen wandelte, so war's, als bewege sich eine Göttin im Gefolge ihrer Nimphen, und wenn sie mit ihnen die wirthlichen Arbeiten des Hauses theilte, so wurde auch das niedrigste Geschäft durch die Art, wie sie es verrichtete, geadelt, und es schien, als empfänden selbst leblose Gegenstände den Zauber ihrer Lieblichkeit, denn alles fügte sich leicht, und ohne Widerstreben unter ihre ordnende Hand, die eben so geübt in der Spindel und Nadel, als in jeder häuslichen Beschäftigung war. Mild und freundlich gegen Jedermann war sie in holder Demuth sich ihrer Vorzüge nicht bewußt, und glaubte nur ihre Pflicht zu erfüllen, wenn sie allgemein, und mit Recht als das Muster jeder weiblichen Tugend, und insbesondere noch der kindlichen Liebe galt. Denn sie pflegte Ebba, ihrer Mutter, welche früh Wittwe geworden war, mit einer Sorgfalt und Innigkeit, daß diese durch das Glück, ein solches Kind zu haben, selbst die Trauer um den Verlust des geliebten Gatten gelindert fühlte.
Es war daher kein Wunder, daß Thyra, deren Anblik jedem Auge gefiel, deren Wandel jedes Gemüth erbaute, schon ehe die Knospe ihrer Jugendschönheit[38] sich zur vollen Blüthe entfaltet hatte, das Ziel der Sehnsucht manches Jünglings war, der sie zu besitzen wünschte. Auch entschied ihre Neigung schon frühe, und schloß, indem sie für ihr ganzes Leben wählte, den übrigen Kreis ihrer Bewerber, wollten sie sich nicht in Freunde umgestalten, von ihrer sittsamen Nähe aus. Garnim, einer der edelsten Jünglinge, schön und blühend in unentweihter jugendlicher Kraft, ward ihr Verlobter, und der Tag nahete bereits heran, der sie auf ewig verbinden sollte.
Thyra fühlte ganz die Seeligkeit, welche die Zukunft in den Armen des Geliebten ihr versprach. Aber nicht zu lauter Freude, nicht zu geräuschvollen Ausbrüchen des Entzückens war ihre sanfte Seele gestimmt. Nach Einsamkeit dürstend, suchte sie jetzt mehr als je die Stille der verschwiegenen Felsenklüfte, der Fichtenwälder auf, in denen nur das Säuseln der Luft, gleich leisen Seufzern der Liebe sich regte. Da saß sie oft, um unbelauscht von fremden Blicken ihren Träumen und Ahnungen sich hinzugeben. Süß erbebte dann ihr Busen in bräutlichem Vorgefühl, und manchmal warf sie sich nieder im frommen Gebet, den Himmel um seinen Beistand anzurufen, daß sie rein, wie sie ihr Daseyn begonnen, es auch zu enden vermöge, für Alle ein Quell des Seegens, für Garnim und ihre Mutter der Inbegriff jeglichen Glücks.
Trat sie dann hervor nach solchen Stunden der Weihe, sich den Ihrigen wieder zuzugesellen, und in erhöhter Thätigkeit sie für den Verlust der ihnen [39] entzogenen Zeit zu entschädigen, so schien die Erfüllung ihres Gebets ihr schönes Haupt zu verklären. Mit fast überirdischer Lust schaute der Bräutigam sie an, und jeder Blick der Mutter drückte Dank zu Gott aus, daß er die höchste aller Gaben ihr in dieser Tochter verliehen, während Nachbarn, gute Bekannte und Freunde sich liebevoll hinzudrängten, sich im Glanze ihrer himmlischen Milde und Freundlichkeit gleichsam zu sonnen.
Zwischen den Felsen, an deren dunkle Reihe sich ihre Wohnungen anlehnten, als wollten sich die leicht zu zerstörenden Hütten in ihren mächtigen Schutz vor den oft tobenden Stürmen begeben, wand sich ein einsamer Weg durch eine enge Schlucht in ein kleines Thal, wo in einer von der Natur geformten Grotte eine herrliche Quelle entsprang. Etwas entlegen war der Gang dahin und näher andere Quellen, wenn auch nicht so lauter. Daher füllten nicht täglich die Mägdlein und Frauen dort ihre Krüge, wo dem Kristall gleich, in nimmer ermattender Frische der helle Brunnen rann. Nur Thyra achtete niemals der größeren Mühe, da grössere Erquickung, wie sie wußte, aus seinen reinen Fluthen die Ihrigen labte. Täglich ging sie, aus ihm zu schöpfen, und fühlte sich oft gar wunderbar festgehalten dort, wo sie so gern verweilte, in der dämmerden Kühle des Felsengewölbes sich ausruhend und in süße Träume der Zukunft versinkend, die die Einsamkeit rings um sie her so begünstigte. Dicht neben dem Wasserstrahl, der durch den dunklen Granit [40] sich seine Bahn brach, und in ein breites Becken sich ergoß, lag ein Felsenblock, mit zartem Moos bewachsen, der ihr als Ruhebank diente. Oefters, wenn des Mittags Schwüle sie drückte, hatte hier ein kurzer Schlummer ihr müdes Auge geschlossen, und sie mit neuen Kräften ausgerüstet. Sonderbare Traumgestalten webten sich alsdann wohl manchmal vor ihren Sinn, und versetzten sie in eine unbekannte Welt, deren Bilder noch dann vor ihrer Seele standen, wenn sie sich schon wieder ermuntert hatte, um in die Geschäfte und Freuden des wirklichen Lebens zurückzukehren. Daher war diese Stelle ihr bedeutungsvoll und lieb – das Flüstern des Quelles sprach so harmonisch zu ihrem Herzen – der tiefe Schatten der Grotte, und die von der steten Bewegung des Wassers immer erfrischte Luft schnitt, wenn sie an heißen Sommertagen hineintrat, sie auf eine so ernste und feyerliche Weise von der sonnigen Aussenwelt ab, daß ihr dann zuweilen war, als wehe die leise Annäherung höherer Wesen im kühlen Hauche ihr vorüber, und als sey sie über die geheimnißvolle Schwelle hinüber geschritten, die in das Gebiet der Geister führt.
Es war am Vorabend ihres Hochzeitsfestes, wo sie der Sammlung und der sinnigen Einkehr in sich selbst nöthiger als jemahls zu bedürfen glaubte. Das Haus war besorgt, und nach der Sitte des Landes bereits festlich geschmückt, und mit grünen Tannenzweigen bestreut, den lieben Gast zu empfangen, der Morgen an ihrer Hand als Gatte einziehen, und künftig Freud' und Leid mit ihr und ihrer [41] guten Mutter theilen sollte. Denn Garnim wollte ihr zu Gefallen seine eigne Hütte verlassen, um fortan in der ihrigen zu wohnen, da die zärtliche Tochter sich nicht von ihrer Mutter, und diese nicht von der Stätte ihres ehemaligen Glücks zu trennen vermochte.
Er hatte bereits rüstig und behende seine Geräthschaften und Sachen hinüber geschafft, doch der jubelnde Frohsinn, mit dem dies geschah, verletzte heute Thyras feines Gefühl, ohne daß sie sich eigentlich Rechenschaft zu geben wußte, weshalb? Aber ihr dünkte die nahe Entscheidung ihres zeitlichen und ewigen Schicksals des tiefsten Ernstes und der stillen Betrachtung werth, und ob sie gleich eben so fest als Garnim glaubte, daß der Bund, den sie Morgen am Altare mit ihm zu schließen bereit war, ein reines und vollkommenes Glück ihr gewähren werde, so wechselte doch die mädchenhafte Scheu, mit der sie nun in Gedanken von ihrem jungfräulichen Stande Abschied nahm, mit den Schauern einer unerklärbaren, schmachtenden Wehmuth in ihrer Seele ab, daß sie nach Einsamkeit sich sehnte, um sich, wo möglich, selber zu verstehen.
Ob sich daher die Sonne gleich schon zum Untergang neigte, so ergriff sie dennoch entschlossen den Krug, um ihn noch einmahl an ihrer Lieblingsquelle zu füllen. Sie durfte nicht fürchten, daß die Abenddämmerung sich dichter weben, und vielleicht ihren Rückweg gefährden werde. Denn es war im Sommer, wo in ihrem Vaterlande die liebliche Abendröthe so lange am heiteren Himmel fortglimmt, bis [42] das Morgenroth den Osten färbt, und durch neue Gluten sie verdrängt. Deshalb wies sie, seltsam erschüttert, und fast geängstet von Garnims lieberfüllten Blicken ihn sanft zurück, als er sie begleiten wollte, und bat ihn, sie heute eine Stunde ruhig allein zu lassen. Bescheiden trat der Jüngling, der seine Verlobte eben so innig zu ehren als zu lieben wußte, zurück, und wagte es nicht einmahl, ihr mit den Augen zu folgen.
Aus dem Spiegel des See's, an dessen Ufer sie gedankenvoll dahin schritt, strahlte der Himmel gleichsam verdoppelt durch den schnellen Wiederschein der unmerklich sich regenden Wasserfläche hervor. Kein Lüftchen, nur dann und wann die schnalzende Bewegung einzelner Fische kräuselte in weiten, langsam sich verlierenden Ringen das blaue Gewässer, von der scheidenden Sonne vergoldet. Thyra blieb lange stehen, und überschaute mit Sehnsucht im Blick und in der Seele die ruhige Fluth, und die Küsten, von denen sie umschlossen war, und die jenseits die Entfernung in ihrem undeutlichen Nebel verhüllte. Dann wandte sie sich seufzend ab, als flüstere eine Ahnung des beklommenen Busens ihr zu, sie werde nimmer wieder eines ähnlichen Schauspiels sich erfreuen.
Jetzt schlug sie, immer tiefer in Gedanken versinkend, den Krug auf ihrem Haupte tragend, den Felsenweg ein, der zu dem endlichen Ziele ihrer Wanderschaft leitete. So spät hatte sie noch niemals der Quelle sich genaht – aber auch so ermattet und im Innersten ergriffen nimmer sie erreicht. Ein [43] heimliches Säuseln regte sich urplötzlich in den dunklen Fichten, die den Eingang überschatteten, und ein sonderbar melodischer, aber klagender Ton, als habe er sich von den Saiten einer Aeolsharfe regellos gelöst, schwirrte durch die Vertiefungen der Grotte, als sie eintrat, manch schlummerndes Echo zu leisen Klängen weckend.
Verwundert, hier Laute zu vernehmen, wo sonst die feierlichste Stille herrschte, sah sie sich um, den Ursprung derselben zu erforschen. Aber sie gewahrte nichts, und sie verstummten bald nachher sammt jedem schwachen Wiederhalle, der sie verdoppelt und verdreifacht ihrem lauschenden Ohr vorüber gehaucht hatte. Halb zweifelhaft, ob sie sich nicht vielleicht geirrt, ging sie zur Quelle, deren Rauschen heute wie zärtliches Kosen und Flüstern der Liebe ihr däuchte. Sie füllte ihren Krug, und als sie ihn wieder erheben wollte, war er dem müden Arm zu schwer. Sie fühlte ihre Kräfte erschöpft, und sank auf das schwellende Moos ihres gewöhnlichen Ruhesitzes nieder, um sich zu erholen. Da erklangen die Töne wieder harmonisch, wie von fernen Lüften getragen – ihr war, als ob der Duft köstlicher Specereien mit süßem Athem sie umwehe, ihren Sinnen schmeichlend, und mit mystischer Gewalt sie umstrickend – eine unbeschreibliche Müdigkeit senkte sich auf ihre schweren Wimpern, und wie von einem Zauberstab berührt, schloß sich ihr Auge zu festem, unwiderstehlichem Schlummer.
Als sie erwachte, war es tiefe Nacht um sie her. Thyra sprang auf, und rieb die trüben Augen, [44] sich gewaltsam ermunternd. Aber umsonst – sie schaute nichts als dichte Finsterniß, die sie umgab, und die ihr ein Räthsel war. Ungewiß, ob sie das Licht der Sehkraft verloren, oder ob wirklich eine so schwarze Dunkelheit sie umfange, tappte sie ängstlich umher, bis das eintönige Rieseln der Quelle ihr nach langem Besinnen sagte, wo sie sey. Sie strebte, nach der Richtung derselben den Ausgang zu erreichen, und suchte ihn an der Seite, wo er sonst war. Aber kalte, feuchte Felsenwände traten ihr überall starr entgegen, und ob sie gleich mehreremale sorgsam spähend im Kreislauf sich innerhalb der Grotte bewegt hatte, so wollte doch nirgends ein frischerer Luftzug, nirgends ein dämmernder Lichtstrahl ihr die Pforte verkünden, die hinaus ins Freie führte.
Endlich drang aus dem Hintergrunde des Gewölbes ein bleicher Schimmer durch eine der Felsenspalten. Zwar war er kein Bote des Tages, denn bläulich, gleich einer Schwefelflamme, spielte er um die finsteren Umrisse der grotesken Massen, die hier irgend eine Revolution in der Natur in grauer Urwelt einst aufthürmte. Aber Thyra begrüßte ihn dennoch freudig, da er die Hoffnung der Befreiung aus dieser bänglichen Gefangenschaft in ihr erweckte.
Der Schimmer kam näher, und plötzlich wich mit einem seltsamen Klang der Granit aus einander, und eröffnete ihrem staunenden Blick die Aussicht in einen langen, strahlenden Gang, der sich tief in den Schoos des Gebirges erstreckte, und der, aus [45] dem reinsten Bergkrystall bestehend, und glänzend erleuchtet, aus lauter kostbaren Edelgesteinen zusammen gefügt zu seyn schien.
Eine sanfte Harmonie nahete sich, immer vernehmlicher aus der Ferne hervordringend, und dieselben himmlischen Düfte, die schon früher ihre Nerven ergriffen hatten, schwammen berauschend von neuen um sie her. Doch Angst und Schrecken kämpften mit der Gewalt dieser zauberischen Eindrücke, und hielten jene Nüchternheit in ihr fest, die zum richtigen Beobachten so nöthig ist. Als aber Töne und Schimmer sich verstärkten, und ein Jüngling in überirdischer Schönheit, begleitet von zwei lächelnden Genien, welche köstliche Schaalen mit Erfrischungen trugen, vor sie trat, da erbebte sie im Schauer der verschlossenen Wunderwelt, ihre Kraft verließ sie, sie verhüllte ihr geblendetes Angesicht, und sank betäubt zu des Jünglings Füßen nieder.
Doch nicht lange dauerte dieser bewustlose Zustand, als sie sich sanft ins Daseyn zurückgerufen fühlte. Sie fand sich auf weichen Polstern in der Grotte wieder. An jeder Seite des Lagers kniete einer der Genien, hülfreich um sie beschäftigt, und vor ihr stand der Jüngling, den sie nun erst wagte, schüchtern, aber doch fest, ins Auge zu fassen.
Er war von männlicher Größe, aber von seiner Stirn strahlte eine Hoheit, aus seinen Blicken leuchtete eine Verklärung, die den Stempel einer höheren als menschlicher Abkunft trug. Milde Züge, von goldenen Locken wie von einer Glorie umwallt, gewannen ihm ein Zutrauen, das die unverkennbaren [46] Zeichen seiner Geisternatur in stetem Wechsel in Thyras zagendem Busen wieder zerstörten, und schwankend zwischen Furcht und Zuversicht, zwischen Wohlwollen und Abneigung, hob sie bittend ihre Hände zu ihm aus, und bat ihn um ihre Freiheit, deren sie auf eine so unerklärliche Weise beraubt sey.
Nicht Deine Freiheit, versetzte er, fordere von mir, holdes Kind, aber alles, was für ihren Verlust Dich entschädigen kann. Längst hab ich mich mit Wohlgefallen an Deinem Anblick geweidet, wenn Du kamst, in sittsamer Anmuth Wasser in meiner Grotte zu schöpfen. Je öfterer ich Dich sah, je süßer ward mir Deine Nähe, und manchmal hab' ich unsichtbar neben Dir gestanden, Dir Kühlung zuzuwehen, oder Deinen Schlummer zu bewachen, wenn Du hier niedersankst, von den Mühen des Tages ermüdet. Wie schmerzte es mich dann, Dich unter dem Drucke der Armuth und der Dienstbarkeit zu wissen, Dich, die zu herrschen verdient, und die künftig Niemanden mehr unterwürfig seyn soll, als – der Liebe. Ja, Dich unter allen Deinen Gespielinnen allein wünscht' ich mir stets zur Gefärthin meines unterirdischen Lebens. Und doch wollte nimmer die Stunde schlagen, in der ich Dir verkünden durfte, daß ich Dich liebe. Denn nur, wer sich nach Sonnenuntergang in mein Gebiet verirrt, räumt mir die Macht ein, ihm sichtbar zu erscheinen, und begiebt sich in meine Gewalt. Wenn der Abendthau die Fluren benetzt, und der Mond durch die dämmernden Wolken bricht, dann eilen wohl Sterbliche zur Ruhe, aber dann beginnt erst [47] die Zeit meiner Thätigkeit und Kraft. Denn mein Reich ist nicht ein Reich des Tages, sondern dunkel wie die Nacht, in der ich das eigentliche Element meines Daseyns finde.
Wer bist Du, Furchtbarer? unterbrach ihn Thyra schaudernd, und mit welchem Rechte darfst Du mich zurückhalten, wenn ich zu den Meinigen begehre?
Mit dem Recht des Stärkeren, entgegnete der Jüngling lächelnd, oder – wenn Du freundlich seyn willst – mit dem Recht, das mir die Liebe giebt, das Du aber durch Gegenliebe heiligen mußt. Du siehst in mir den König der Berggeister, der bereit ist, nicht nur seinen Thron, sondern auch seine Unsterblichkeit mit Dir zu theilen. Zwar weiß ich, daß sich Dein Herz nicht mehr frei glaubt – aber ich betrachte Deine Wahl als ein Werk der Beschränkung, die Dich in ihren Fesseln hielt, und segne den Zufall, der Dich kurz vor dem Augenblick, wo ich Dich auf ewig verlieren sollte, in meine Arme führt. Da wirst Du bald Deiner thörichten Neigung wie eines dumpfen Traumes vergessen, aus dem der helle Morgen Dich weckte, und im Glanz Deiner Zukunft soll Dir das Schattenbild einer dürftigen Vergangenheit untergehen.
Thyra fühlte sich durch diese Worte im Innersten beleidigt und gekränkt. Daß man an ihrer Treue gegen den Geliebten zweifeln konnte, dünkte ihr ein Verbrechen gegen diesen, so wie eine glänzendere Lage anzunehmen, sie zu wünschen, ja nur zu denken, ihrem dankbaren und genügsamen Gemüth [48] eine Versündigung gegen den Himmel schien, der ihr ein zwar mühevolles, aber durch manche Freude, und durch das Bewustseyn erfüllter Pflichten gesegnetes Loos verliehen hatte.
Sie drückte dem König ihren Abscheu über die kühne Sicherheit aus, mit der er seines Triumphs schon gewiß zu seyn glaubte, und indem sie im vollen Feuer des empörten und gemißhandelten Selbstgefühls ihn mit bitteren Vorwürfen über seine unwürdigen Vorschläge überhäufte, drang sie fest, und nicht mehr bittend, sondern mit dem ganzen gebietenden Stolz der Verachtung in ihn, die Pforten seines Felsenkerkers zu öffnen, und sie zu den Ihrigen zu entlassen.
Aber auf den Berggeist that ihr Zorn eine ganz andere Wirkung, als sie beabsichtigte, denn er erhöhte ihre Reize nur, und folglich auch sein Verlangen. Mit einem grausamen Lächeln verweilte sein Blick auf ihren Wangen, die in dunkler Glut entflammt waren – auf ihrem blendenden Busen, den der innere Aufruhr in rascheren Wallungen hob – auf ihrem blitzenden Auge, dem heiße Thränen des Unmuths entstürzten.
Beruhige Dich, Thyra! sprach er dann, und lerne die goldene Lebensregel, die du noch nicht zu kennen scheinst, und die gleichwohl über und unter der Erde ihren gediegenen Werth hat: in Unabänderliches ohne Murren Dich zu fügen. – Glaubst Du, thörichtes Kind, da das Glück nach langem Sehnen Dich endlich meiner Willkühr übergab, daß ich seine Gunst zurückweisen, und mich [49] selbst des Gutes berauben werde, nach dem ich so glühend trachtete? Nein, ich habe Mitleid mit Deiner kurzsichtigen Verblendung und werde nicht ablassen, Dich zur Annahme eines besseren Schicksals zu vermögen, als Dir ursprünglich im Schooße niedriger Dürftigkeit bestimmt war. Daher sammele Dich zu einem vernünftigeren Entschluß, als zu dem, mir zu widerstehen, und bedenke, daß die Thränen, die Dein schönes Auge zwecklos jetzt vergießt, für mich nicht nur Symbole Deines Schmerzes, sondern auch Deiner Ohnmacht sind.
Bei diesen Worten verschwand er, und die unglückliche Thyra glaubte sich mit der Verzweiflung allein, die ihre gemarterte Seele zerriß. Doch als sie lange vergeblich unter lauten Ausrufungen des Jammers gestrebt hatte, irgend eine Spalte zu finden, durch welche sie sich hindurch drängen, und so in's Freie gelangen könne, ertönte aus dem Hintergrunde der Grotte eine leis gedämpfte Stimme, die zu der Harfe sang:
Es war einer der Genien, die den König der Berggeister begleitet hatten. Zürnend über die Verheißungen seines Liedes wandte sie nach einer anderen Seite sich hin, doch auch da drang eine zarte Melodie ihr entgegen, und der zweite Genius richtete, [50] im dumpfen Tone der Prophezeihung von der Laute begleitet, folgende Worte an sie:
Schweig, rief Thyra, nicht länger vermögend ihren Schmerz zu gebieten, aus, – schweig, verläumderisches Wesen, das Du, dem Maulwurf gleich, nur die Tiefen der Erde, nicht des Menschenschmerzens, kennst. Nimmer wird es Dir gelingen, meinen Glauben zu erschüttern.
Heftig weinend warf sie sich auf das Lager nieder, und verhüllte ihr Antlitz, sich ganz dem namenlosen Weh dahin gebend, das ihre Brust zerriß. Als sie nach einer langen Pause, durch Seufzen und Thränen ausgefüllt, sich wieder empor richtete, knieten die beiden Genien an ihrer Seite, nur durch stumme Wehmuth in ihren Zügen ihr Theilnahme verrathend, ohne daß sie wagten, durch Worte die tiefe Betrübniß der Unglücklichen zu unterbrechen.
Die symbolische Repräsentation der Unschuld im holden Wesen eines Kindes, spricht stets zu dem wunden Herzen, wenn es auch sonst, von Kummer ermattet, und vielfach betrogen, sich von den Menschen und ihren Täuschungen abwendet. Thyra konnte nicht mehr mit Unwillen auf die Knaben blicken, die – wenn sie gleich vielleicht schon über tausend [51] Jahre zählten – doch in ihrem Aeußeren mit dem unnachahmlichen Ausdruck kindlicher Unbefangenheit und Schuldlosigkeit bezeichnet, um die Gunst warben, ihr tröstlich seyn zu dürfen.
Sanft und kosend, wie das Wehen milder Frühlingslüfte sich in den Busen schmeichelt, bahnte sich ihr freundliches Geschwätz einen Eingang in der tiefbetrübten Thyra Ohr und Gemüth. Denn zart in den Zustand ihrer verletzten Seele eingehend, berührten sie nicht mehr die unbescheidenen Wünsche ihres Herrschers, oder den Wankelmuth irdischer Liebe und Treue. Nur durch liebevolle Bitten, daß sie sich beruhigen und für bessere Tage schonen möge, strebten sie den Sturm des Schmerzes in ihr zu beschwören, und wirklich gelang es auch ihrem wohlthuenden Zureden, Thyra's gewaltsame Aufregung zu besänftigen, und sie dahin zu bringen, daß sie einige Nahrung zu sich zu nehmen, und wenigstens zu schlummern – versuchte.
Ihre tiefe Ermattung, und das einförmige und unwillkührlich einwiegende Murmeln der Quelle lockte endlich den Schlaf herbei, der sonst rothgeweinte Augenlieder zu fliehen pflegt. Doch war er nicht erquickend, denn ängstliche Träume hatten sich mit ihm verbunden, und trübten die kurze Ruhe, die ihr zu Theil ward, durch Schreckensbilder der Gegenwart, und sehnsuchtsvolle Reminiscenzen der Vergangenheit. Nicht der purpurne Strahl der Frühe, vom jubelnden Chorgesang der Vögel begrüßt, weckte sie wie sonst in den goldenen Tagen ihrer Freiheit – nicht der von frischen Morgenlüften aufgeregte [52] See, dessen Wellen sich mit süß melancholischem Plätschern an dem Ufer, unter ihrem Kammerfenster brachen – nicht das muntere Gespräch der Nachbaren und Freunde, die nach ihren Netzen sahen, fröhlich die kleinen Boote abstießen, und dann singend tief hinein ruderten in den flüsternden See, mit anbrechendem Tage ihr harmloses Geschäft zu beginnen. Ach – eine Todtenstille, wie sie im Schoos des Grabes herrscht, umgab sie hier im öden Herzen des kalten Gebirges, nicht vom warmen Blick der Sonne, nur von zahllosen Kerzen, die ihn ersetzen sollten, erhellt. Bloß das monotone Rieseln der Quelle unterbrach diese tiefe Erstorbenheit – aber ihre kranke Fantasie fand nicht mehr wie sonst linde Kühlung und Wohlgefallen an ihrem Rauschen. Es dünkte ihr jetzt das Schlüpfen der Molche und Eidechsen über feuchtem Boden, oder das Winden und Zischen giftiger Schlangen aus verborgener Kluft – dumpf und düster drohten ihr die mit Pracht bekleideten Wände sie zu erdrücken, und heimtückisch schien jede zufällige Vertiefung des blendenden Krystalls sie anzugähnen, als lauschte in ihr ein böser Geist, auf ihren Untergang bedacht.
Sie behielt jedoch nicht viel Zeit, um diesen traurigen Vergleichungen nachzuhängen, denn die freundlichen Genien, die zu ihrer Bedienung angewiesen waren, nahten sich ehrerbietig, nach ihren Befehlen zu fragen, und bald erschien auch der Berggeist, heute wo möglich noch strahlender geschmückt, und noch dringender um sie werbend.
Thyra erneuerte ihre Bitte, ohne auf die seinige [53] einzugehen. Frei zu seyn, und aus der Fülle dieses Glanzes, den sie verachtete, in ihrer Armuth zu Mutter und Geliebten zurück kehren zu dürfen – das war der Inbegriff aller ihrer Wünsche – weiter er bat sie nichts vom Schicksal und von ihm.
Vergebens bemühte sich der König, sie seinen Absichten geneigt zu stimmen. Er verhieß ihr neben unerschöpflichem Reichthum und allen den Annehmlichkeiten, welche er gewährt, ewige Jugend und Schönheit, so wie ewige Liebe und Treue, die er ihr mit tausend Schwüren gelobte. Aber voll kalter Strenge wandte sich Thyra von jedem seiner Vorschläge ab. Es schien ihr Beleidigung ihrer Tugend, Verletzung ihrer Pflicht, daß sie – Garnims Verlobte – ihn auch nur anhörte, und bloß, daß es nicht freiwillig geschah, konnte sie in ihren eignen Augen entschuldigen.
Als Bitten und Verweigern noch lange im unaufhörlichen Cyclus sich folgten, ohne ein Resultat hervor zu bringen, und der König sah, daß an der ächten Treue eines weiblichen Gemüths jeder Versuch der Verführung und der Ueberredung scheitert, ermüdete seine Geduld, und ein heftiger Unwille braußte in seinem Liebe erglühten Herzen auf. Zürnend schüttelte er das lockige Haupt, und die Felsen erbebten im Schauer seines Unmuths – sein flammendes Auge durchzuckte mit Blicken, die dem vernichtenden Blitz glichen, die arme Thyra, die, zitternd zur Erde gesunken, nicht mehr wagte, ihnen mit den ihrigen zu begegnen.
Tödte mich, Herr! sprach sie im Tone der Ergebung. [54] Mein Leben ist in Deiner Macht, und willig bring ichs Dir zum Opfer, wenn es Dich beruhigen kann, denn das ist alles, was ich für dich zu thun vermag.
Den König rührte die sanfte Resignation ihrer Worte, die gelassene Geduld ihres Ausdrucks, und der Schrecken, der die Geängstigte durchbebte, entwaffnete bald seinen schnell vorübergehenden Zorn.
Stehe auf, sprach er besänftigt, Deine Festigkeit hat die meine überwunden. Du sollst wieder frei seyn, wenn Du fortfährst, es zu wünschen; nur sieh Dich erst um in meinem Reiche, damit Deine Beständigkeit noch höheren Werth gewinne. Denn erst die Ueberzeugung, wie viel Du ausschlägst mit meiner Hand, vergrößert das Opfer, das Du Deiner Liebe bringst, ins Unendliche.
Er richtete sich auf – seine Blicke waren wieder hold und lieblich, wie der Strahl der Sonne, von zartem Dunstgewölk mildernd umflort, denn die Schwermuth hüllte sie in ihren Schleier, und eine Thräne, rein wie Morgenthau, glänzte in ihnen.
Dankbar im Innersten bewegt, beugte Thyra jetzt ihre Knie vor ihm. Lieben konnt ich Dich nicht, rief sie entzückt, denn Garnim füllt meine ganze Seele, aber segnen werd' ich Deine Großmuth mein ganzes künftiges Leben hindurch, und den Himmel bitten, daß er eine Gefährtin Dich finden lasse, die die arme Thyra weit, weit in allem übertrifft, was Dir an ihr gefiel.
Aber – wenn Du nun frei würdest über kurz [55] oder lang, unterbrach sie der Berggeist, wenn Garnim – denn das Geschlecht der Menschen vergeht wie Gras auf dem Felde – wenn er vielleicht stürbe – könntest Du auch dann noch Dich mir versagen, Deines Eides selbst von dem entbunden, dessen Rathschluß wir alle verehren?
Thyra erbebte vor dem bloßen Gedanken, aber sie sann auf keine künstlich ausweichende Antwort, sondern ließ nur ihr Herz reden. Ich kann nur einmahl lieben, erwiederte sie, wäre Garnim nicht mehr, so würde ich seinem Andenken die Gefühle widmen, die jetzt ihm selbst gehören.
Nun wohl, sprach der Berggeist, es sey! Möge nimmer die Schlange der Reue ein Herz umwinden, das der Stempel einer so seltenen Beständigkeit ist.
An seiner Seite durchwandelte sie jetzt die Gemächer, die zu ihrer Wohnung bestimmt gewesen waren, und die in immer steigenderem Glanz sich vor ihr aufthaten. Doch ein Auge, das nach dem Wiedersehen des Geliebten schmachtet, hat nur einen vorübereilenden, umwölkten Blick selbst für die herrlichsten Werke der Kunst und der Pracht. Jede Minute, hier verloren im Anschauen eines sie mehr blendenden als rührenden Prunks dünkte ihrer zärtlichen Gesinnung ein Raub an Garnims Leben – und daher faßte sie Muth, und warf sich, selbst auf die Gefahr ihn von neuen zu erzürnen, dem Berggeist zu Füßen.
Verzeihe, bat sie, wenn mein stumpfer Sinn Dir eingesteht, daß er die Größe dieser Kostbarkeiten nicht zu würdigen weiß, und daß er sich hinaus [56] sehnt in die Dürftigkeit der Hütte, die meine Heimath ist, und wo die Meinigen jetzt hoffnungslos um mich trauern.
Auch das, versetzte der König, sey Dir gewährt. Nur noch erst das herrlichste von Allem, was sich in meiner Gewalt befindet, sollst Du sehen, ehe ich Dich entlasse.
Er zog hierauf einen purpurnen Vorhang hinweg, der mit Perlen und Edelgesteinen gestickt, eine der Wände mit reichem Faltenwurf verhüllte, und – ein Spiegel kam zum Vorschein, in welchem die erröthende Thyra – sich selbst erblickte. Verschämt wandte sie sich ab. Du spottest meiner, Herr! sagte sie leise.
Kannst Du den Anblick Deiner eigenen Schönheit nicht ertragen? sprach der Berggeist. Nun wohl, so will ich, statt Deiner holden Gestalt, ehe eine grausame Wirklichkeit sie Dir zeigt, die Bilder Deines Schicksals Dir vorüber führen.
Da erblickte sie im Spiegel die felsige Landschaft, wo ihre Hütte stand, vor ihr den See, in Mondenschein wogend. Aengstlich regte es sich in dem sonst so frühe schlummernden Dörflein – händeringend wandelte Ebba unter den Nachbarn umher, und schien sie um Beistand zu beschwören. Von allen Seiten kamen Bekannte mit muthlosen Geberden wieder – endlich naht auch Garnim, eine brennende Fackel in der Hand, sie erlöschend zu den Füßen der Mutter niederwerfend, und selbst dahin sinkend, erloschen wie sie, in dumpfer Betäubung der Anstrengung und des Schmerzes.
[57] Thyras Busen wallte im qualvollsten Mitgefühl der Sorge, die ihr plötzliches Verschwinden erregt hatte. Sie hätte die Felsenmauern durchdringen, und die Flügel des Adlers leihen mögen, um schnell den Trost ihrer Gegenwart in die blutenden Herzen ihrer Lieben zu senken. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt sie fest, und im Spiegel veränderte sich die Scene.
Ebba, in tiefer Trauer, wankte gestützt auf Garnim in die Felsenschlucht, die zu der unglückseligen Quelle führte, wo Thyra ihre Freiheit verlohr. Fast unkenntlich war die Stelle des Eingangs, denn die colossale Masse, von starker Geisterhand davor gewälzt, schuf die sonst ihr so bekannte Stelle in einen wilden Schauplatz der Zerstörung um.
Alle jungen Leute ihres Dorfes standen – die Mädchen auf der einen, die Jünglinge auf der anderen Seite – dort; doch nicht wie sonst um sich in fröhliche Reihen zu ordnen, oder irgend ein munteres Fest der Jugend zu feiern. Trübsinnig und voll Wehmuth sahen sie, ebenfalls in Trauer gekleidet, die gebeugte Mutter an der Seite des unglücklichen Bräutigams heran schwanken, und alle weinten still, als Ebba von ihrem Schmerz überwältigt, an dem Stein niedersank, der, wie sie wähnte, ihrer Tochter Grab bedeckte.
Nach einem langen Verstummen, einzig durch Schluchzen und Thränen unterbrochen, trat der bleiche Garnim, der lange mit der Verzweiflung gekämpft, und endlich eine Fassung errungen hatte, welche der Ergebung glich, hervor, und alle Jünglige[58] folgten ihm, und trugen gemeinschaftlich in tiefer Stille und Trauer ein hohes Kreuz von Granit, das sie dort, wo sonst die Grotte sich öffnete, zum unvergänglichen Denkmal der Verunglückten, deren Name, und der Tag, an welchem sie verloren ging, von der Hand der Liebe in festen, hohen Zügen eingegraben war, aufrichteten.
Nach der Vollendung dieses traurigen Geschäfts, womit man der so schmerzlich Vermißten gleichsam die letzte Ehre erwies, warf sich Garnim auf seine Knie nieder, und umfaßte das Kreuz mit beiden Armen, sein weinendes Angesicht an den kalten Granit lehnend. Hierauf, langsamen Schrittes, nahten sich die Jungfrauen, jede einen Kranz in der Hand. In leisen Klagetönen begannen sie einen Trauergesang um die früh vom Schicksal ihnen entrissene theure Gespielin, und hingen, indem sie vorüber schritten, die blumigen Gewinde, von Thränen der Freundschaft und der Erinnerung benetzt, als Todtenopfer und als Zeichen ihres treuen Andenkens am Kreuze auf, ehe sie die fast in Jammer aufgelösete Mutter unterstützten, und sie mit sich wegführend, sich wieder entfernten.
Ebenso umgaben die Jünglinge ihren in Gram versunkenen Freund, hoben ihn auf, und leiteten mit sanfter Gewalt ihn von der Stelle hinweg, die, wie er mehreremale mit von Aechzen halb erstickter Stimme ausrief, das Grab seines ganzen, nun auf ewig verlornen Lebensglücks war.
Welch ein erschütternder Anblick für Thyra! Aber der Stolz, sich so geliebt, so betrauert zu sehen,[59] mischte Balsam in das Wehgefühl, mit dem sie die Leiden der Ihrigen ermaß, und die Hoffnung, sie bald durch die selige Ueberraschung eines unerwarteten Wiedersehns zu mildern, trocknete von ihren eigenen Wangen die Thränen, die ihr unwillkührlich entfallen waren.
Doch – ehe sie sich noch aus der halben Erstarrung ermuntern konnte, in die der Wechsel dieser sie so innig bewegenden Bilder sie versetzte, regte sich's von Neuem im Spiegel, und mit Erstaunen, das bald bis zum Entsetzen sich erhöhte, sah sie die nemliche Versammlung, die noch eben ihren Verlust betrauert hatte, in bunten Farben, festlich gekleidet, und mit den Mienen jugendlichen Frohsinns an sich vorüber ziehen. Bräutlich geschmückt führte Garnim ihre liebste Freundin, die er zu ihrer Nachfolgerin erkohren, an seiner Hand, und seine schmeichlenden Liebkosungen, seine zärtlich entflammten Blicke, der unverkennbare Ausdruck der Heiterkeit und des Glücks, der aus seinen noch kurz vorher so kummervollen Zügen leuchtete, gab ihr die unwidersprechliche Gewißheit, daß sie – nicht nur vergessen, sondern auch –ersetzt sey.
Mit einem Schrei, den krampfhafte Angst erpreßte, strebte sie vorwärts, dem fröhlichen Zuge Einhalt zu thun. Aber umsonst! Ohne es hindern zu können, sah ihr starres Auge ihn in die Kirche wallen – sah ihren Verlobten von des Priesters Hand zum neuen Bunde eingesegnet, zurückkehren, und die junge Frau in die geschmückte Hütte führen, die – wie sie gehofft hatte – der Tempel ih[60] res ehelichen Glücks seyn sollte. Ach – in diesen Augenblicken ging ein Schwerdt durch ihre Seele, und selbst das vermochte die Bitterkeit ihrer Empfindungen nicht zu lindern, daß sie wahrgenommen hatte, Garnim ehre demohngeachtet noch die Vergangenheit. Denn als der Hochzeitszug aus der Kirche über den ländlichen Friedhof ging, trat er seitwärts zu dem frischen Grabhügel, unter welchem Ebba ihren Kummer verschlief, und legte den Blumenstraus, den er am Busen trug, auf die braune Erde nieder. Da schien die Errinnerung voriger Zeiten sein Auge mit Wehmuth zu umfloren – aber nur momentan war diese Stimmung, die glücklicheren Gefühlen wich. Denn ihm winkte seine neue Liebe, und er folgte ihr mit seligem, von dem was er verloren, sich abwendendem Herzen.
Siehe, das ist der Lauf der Welt, in die Du Dich zurückzukehren sehnest, sprach der Berggeist, indem er den Vorhang wieder über den unglücklichen Spiegel fallen ließ, und sie mitleidig aus ihrer Betäubung zu ermuntern suchte. Es waren die Hauptmomente der Vergangenheit, die ich an Dir vorüber gehen ließ. Kannst Du noch wünschen, mich zu verlassen, um statt eines unvergänglichen Glücks, das hier Liebe und Beständigkeit, und Ueberfluß Dir bereiten will, Dir die schreckliche Ueberzeugung zu holen, daß Dir auf Erden nichts mehr übrig blieb, als allenfalls – – am Grabe Deiner Mutter zu weinen.
Ein Strahl der Hoffnung drang, als er so sprach, in die von der Verzweiflung umnachtete [61] Seele der unglücklichen Thyra. Er führte diese Schreckensbilder an mir vorüber? dachte sie. Ach, so waren sie gewiß ein Blendwerck der Hölle, hervorgerufen von seinen Zauberkünsten, um meine Festigkeit zum Wanken zu bringen. O Gott sei Dank! ich habe nur geträumt – wie konnt' ich auch zweifeln an meines Garnims Treue, die er so oft mit heiligen Eiden mir beschwur!
Verzeihe, Herr! sagte sie kalt und gefaßt, wenn ich mehr als je auf meinem Entschluß Dich zu verlassen, beharre. Was die Außenwelt mir bietet, kann nicht Dein Spiegel, kann nur das eigene Herz mir sagen – gönne ihm, daß es endlich nach den Beängstigungen, die ich hier gleich einer lebendig Begrabenen erlitten, den Frieden finde, den nur Freiheit ihm gewähren kann.
Beklagenswerthe! seufzte der Berggeist, so willst Du Dein Verderben? Denn ach – ich muß es Dir sagen – Du eilst in eine schaudervolle Oede, wo Du alles verstorben findest, was Du einst kanntest und liebtest, und wo neue Geschlechter seitdem entstanden, und wieder vergangen sind. Denn ein anderes Maas hat die Zeit hier in diesen unterirdischen Räumen, als oben, wo eine wandelbare Sonne sie in kurze Fristen theilt. Oft, öfterer als Du ahndest, hat sie ihren Kreislauf um die Erde vollendet, seit Du hier weiltest, und Du triffst nirgends mehr, was Du verließest. Selbst die leblose Natur ist anders seitdem geworden. Was als schwaches Reis Dich umschwankte, strebt jetzt kühn als Baum in die Wolken, mit verjährter Kraft dem Sturme [62] trotzend – selbst der See, der sonst neben Deiner Hütte rauschte, hat sein Bett verändert, und nach und nach den Grund untergraben, auf dem sie stand. Daher rückten die jetzigen Bewohner Deines Dörfchens höher hinauf, ihre Wohnungen zu erbauen, und Du findest sogar die Stätte nicht mehr, wo Du sonst glücklich warst, denn zur Wasserfläche ist der Boden geworden, der ehemals Dein Eigenthum trug.
Thyra antwortete ihm nicht. Bleibe bei mir, fuhr er fort im Tone der innigsten, schmelzendsten Zärtlichkeit. Ich kann das Geschehene nicht ändern, denn es ist außer meiner Macht, das Rad der Zeit, von einer höheren Hand bewegt, in seinem Fortrollen zu hemmen, denn auch wir Berggeister sind den ewigen Gesetzen unterthan, die ein erhabeneres Wesen über uns verhängt. Daher vermocht' ich es nicht zu wehren, daß bei Deinem Eintritt in mein Gebiet – Dir bewußtlos, welches Maaß sie umfange – die Zeit vorüberfloß, und durch ihren unabänderlichen Gang Dich auf immer von dem entfernte, was Deine Sehnsucht als das Ziel Deiner Wünsche Dir darstellte. Aber Ersatz, reichen, unüberschwenglichen Ersatz für das, was Du verloren hast, will ich Dir gewähren, wenn Du mir die Hand reichst, die sich Garnims längst schon schlummernder Staub doch nicht mehr aneignen kann.
Mit einem bitteren Lächeln wandte sich Thyra von ihm ab; der Stimme vertrauend, die in ihrem Busen ihr tröstlich zuflüsterte, daß er sie täusche. Ich habe keine Antwort mehr für Dich, erwiederte [63] sie, und wüßte außer der Wiederholung meiner Bitte, mich frei zu lassen, Dir nichts mehr im Leben zu sagen.
Ist dies Deine letzte Erklärung? fragte der König, und eine Thräne der Wehmuth brach den hellen Schimmer seines Blickes.
Meine letzte, antwortete Thyra fest.
Nun, so gehab Dich wohl, sprach er mit von Schmerz halb erstickter Stimme. Kehre ungehindert von mir zurück, um Dich selbst zu überzeugen, daß ich Dich nicht hinterging. Und wenn Du bestätigt findest, was ich Dir sagte, und Dich einsam und verlassen auf der Erde fühlst, so wende Dich zu mir – meine Arme sollen auch dann noch Dir offen seyn. Wenn Du zu der Zeit, wo Tag und Nacht sich scheidet, dreimahl mit einem Kieselsteine an diese Felsen klopfest, deren Inneres ich beherrsche, so werd' ich Dich vernehmen, und nicht säumen, Dein tief verwundetes Herz durch Liebe und Innigkeit zu heilen.
Er verschwand, und die Genien, einen Schleier in ihren Händen, nahten sich ihr traurig und leise. Süße Düfte hauchten sie berauschend an – sanfte Harmonien erklangen in der Ferne – eine seltsame Müdigkeit lagerte sich auf ihre Augenlieder – ihre Kräfte ermatteten, und ohne Widerstreben ließ sie von den Knaben bis zum Ruhebette sich geleiten. Da sank sie nieder – die Genien breiteten den Schleier über sie aus, und von den Wohlgerüchen in süße Betäubung gewiegt, und in den Schlummer gelullt von den leise dahin sterbenden Melodien, [64] schwebte dämmernd ihr Bewustseyn ins Reich der Träume hinüber.
Ihr war hierauf, als vernehme sie den Ruf der Hähne – Hundegebell, bald fern, bald nah, gesellte sich zu diesen Tönen – Vogelgesang zwitscherte wirbelnd dazwischen – Glockengeläute drang auf den Schwingen frischer Morgenlüfte in ihr Ohr, und bald ermunterte sie sich, schaute um sich her, und fand sich mit einem unaussprechlich seligem Gefühle im Freien. Ein blauer Himmel wölbte sich über ihrem Haupte – goldene Sonnenstrahlen blitzten wärmend durch die kühlen Schatten, und sie erkannte die Felsenschlucht, die zur Quelle führte, wiewohl etwas verändert. Denn wirklich vermißte sie manche der ihr wohlbekannten Baumgruppen, an deren Stelle jetzt kurzes Gesträuch sproßte, und wiederum hatten da, wo sonst nichts, oder nur niederer Anwuchs die kahle Felsenstirne deckte, himmelhohe Fichten Wurzel geschlagen.
Ein sonderbates Befremden durchbebte sie; doch dachte sie nicht lange nach über diese unbegreiflichen Neuerungen der Natur, die wie ein Wunder vor ihr standen, sondern raffte sich auf, um nach Haus zu gehen. Aber was glich ihrem Erschrecken, als sie jetzt plötzlich das Kreuz von Granit erblickte, das der verhaßte Spiegel ihr bereits gezeigt hatte. Mit grauem Moos bewachsen und verwittert, trug es die Spuren des hohen Alters; doch waren die Züge ihres Namens noch kenntlich und lesbar, und welke Kränze, die von ihm herabflatterten, ließen vermuthen, [65] daß irgend eine fromme Stiftung oder Bedeutung mit seinem Daseyn verbunden war.
Von banger Ahnung und seltsamem Zagen im Innersten ergriffen, setzte sie sich nieder, denn ihre Knie wankten, und schaudernd überflog ihr Auge die ganze Umgebung die ihr fremd und immer fremder dünkte. Eine andere Vegetation hatte unverkennbar die verdrängt, an deren Grün sich ehemals ihr Auge geweidet hatte – nur die Felsenmassen standen unverändert in eherner Dauer, als habe jene unsichtbare Hand, die Welten schafft und zertrümmert, sie für die Ewigkeit gegründet.
Da regte sich's in der Ferne, und im traulichen Wechselgespräch kam ein liebendes Paar heran geschritten, immer mit einander kosend, und nur mit sich beschäftigt. Deshalb gewahrte es die stille Thyra auch nicht, welche seitwärts hinter einem Wachholdergebüsch auf der Erde saß, und Alles beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Vergebens strebte sie, bekannte Züge zu erspähen. Das Pärchen war ihr völlig fremd – auch schien es nicht aus ihrem heimathlichen Dorfe herzukommen. Denn anders genestelt waren die Haare der Jungfrau, als die ihrigen, anders gefaltet der Kragen, anders geschürzt das luftige Gewand. Sie wuste nicht, daß keine Nationaltracht so dauernd besteht, daß nicht selbst im Schooße unzugänglicher Gebirge ein vorüberschreitendes Jahrhundert hie und da eine Eigenthümlichkeit derselben verwischen sollte.
Als die Liebenden das Kreuz erreicht hatten, knieten sie nieder, ihre Arme verschlungen, ihre Blicke[66] zum Himmel gerichtet. Gieb, gütiger Gott, daß wir glücklicher werden, als der Stifter dieses Kreuzes in seiner ersten Verbindung war, betete der Jüngling, und hielt fester die Hand seiner Geliebten. – Ach, es muß hart seyn, sprach die Jungfrau, so in der Blüthe des Lebens zu scheiden, wie die, zu deren Ehren dieser Stein errichtet wurde. Und eines so schaudervollen Todes zu sterben – zermalmt von einstürzenden Felsen, und so tief von ihnen begraben, daß selbst mondenlanges Forschen nicht die zerschmetterten Gebeine an's Licht förderte, um sie bestatten zu können. – Laß uns die arme Thyra beklagen, die so früh dahin mußte, unterbrach sie der Gefährte, und dann den Willen der Stiftung erfüllen, und für die Ruhe ihrer Seele beten. – Sie blieben lange in stummer Andacht liegen – endlich standen sie wieder auf, und das Mädchen reichte ihrem Geliebten einen Kranz, den er am Kreuz befestigte.
Jetzt erhob sich auch Thyra. Wachte oder träumte sie? – sie wußte es nicht – aber um es zu erfahren, trat sie entschlossen hervor.
Ihre tiefe Blässe, ihre fremdartig gewordene Tracht, und die Seltenheit einer unbekannten menschlichen Erscheinung in diesen einsamen Gebirgsgründen erschreckte das Brautpaar. Doch Thyra's sanfte Miene minderte bald die Furcht, die ihr unvermutheter Anblick erregte, und flößte ihnen Zutrauen ein. Die ungestümen Wallungen des eigenen, mit Tod und Leben ringenden Busens bekämpfend, fragte sie nach der Veranlassung dieses Denksteins, und [67] zutraulich ihr nahend, erzählten ihr nun beide, oft sich gegenseitig unterbrechend, ihre eigene Geschichte, so weit ein menschliches Auge nemlich sie zu ergründen vermochte. Ihren vermeintlichen Tod, den die Tradition dem Einsturze einer Felsenwand zuschrieb, Garnims Trauer um sie, die sich, als er endlich in einem hohen Alter, lebenssatt, und von Kindern und Enkeln umringt, starb, noch durch das Vermächtniß aussprach, daß jedes Brautpaar des Orts einen Beitrag zur Aussteuer aus seinem Nachlaß unter der Bedingung erhalten sollte, hier für Thyra's Seelenruhe zu beten, und das ihr geweihte Kreuz zu bekränzen – alles was ihr bereits der Spiegel des Berggeistes gezeigt hatte, und was sich ferner im Lauf des Lebens an diese Bilder reihte, führten die fröhlichen jungen Leute geschwätzig an ihr vorüber.
Aber wer bist Du? fragten sie theilnehmend, als Thyra während ihrer Erzählung immer bleicher und bleicher wurde. Ich bin Thyra, flüsterte sie, mit erlöschendem Ton – grabt mir ein Grab neben diesem Kreuze!
Entsetzen faßte die Liebenden, und scheuchte sie von ihr hinweg. Grausen sträubte ihr Haar empor – sie eilten Hülfe rufend ins Dorf und waren nur mit Mühe zu bewegen, in zahlreicher Begleitung wieder zurück nach der gefahrvollen Stelle zu kehren, wo ihnen, wie sie behaupteten, ein Geist erschienen war.
Da fand man Thyra niedergesunken am Kreuz, und mit matten Armen es umschlingend. Man überzeugte sich, daß sie dem Leben noch angehöre, und [68] wollte sie hinweg bringen, um durch sorgsame Pflege sie zu ermuntern. Allein sie verweigerte es. Denn wie die Lilie vom Sturm zerknickt, sich entblättert, so fühlte auch sie ihr Ende vor der Zeit heranrücken, und segnete die kalte Berührung des Todes, der mit starrer Hand ihr Herz ergriff. Sie theilte den Umstehenden ihre wunderbaren Schicksale mit, und ohne sich in das schimmernde Gebiet des Berggeistes in Glanz und Jugendglück, und all' die Freuden, die er ihr verheißen hatte, zurück versetzen zu wollen, verlangte ihr treues Gemüth von der Erde nichts mehr, als ein Grab – und das ward ihr gewährt unter dem Kreuz, das ihren Namen trug.
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