Die Familie Lohberg
Baron Lohberg, ein reicher Privatmann, hatte aus zwei verschiedenen Ehen zwei Söhne, die der Stolz und die Freude seines Alters waren.
Alexander, der Aelteste, vereinigte mit dem festen Sinne seines Vaters das südliche Feuer seiner Mutter, die eine Italienerin war, und die auch im rauhen Norden, wohin die Liebe sie verpflanzte, das Gepräge ihrer Nation rein und treu in sich bewahrt hatte, um es sterbend auf ihren Sohn zu übertragen.
Aus der zweiten Verbindung des Barons, die mehr ein Werk ruhiger Ueberlegung als der Leidenschaft war, war ihm ebenfalls ein Sohn herangewachsen, der seinem Bruder in der Gestalt, und in vielen Eigenschaften ähnlich, sich jedoch durch den stilleren Gang seiner Empfindungen und eine mildere Besonnenheit von ihm unterschied.
In dem Hause des Barons, das sowohl durch Eintracht und Familienliebe, als durch äußeren Glanz[70] sich auszeichnete, hatte Fräulein Emilie von Hohenholm, seine Mündel und die Nichte seiner zweiten Gemahlin, den Morgen ihrer Kindheit aufdämmern sehen, ohne zu fühlen, daß sie früh vereinzelt, als eine Weise, allein in der Welt stand, an die kein näheres Band der Verwandtschaft sie mehr knüpfte. Schönheit, Jugend, Reichthum, und eine seltene Vortrefflichkeit des Charakters, erhoben sie zu einer der ersten Parthien des Landes, und der Wunsch ihres Vormundes, sie dereinst als die Gattin seines Alexanders zu sehen, war um so natürlicher, da sie schon als Kind eine entschiedene Vorliebe für ihn zeigte.
Auch Alexander schien eine Innigkeit für sie zu empfinden, die auf eine zärtliche Neigung hindeutete, und die sich schon damals aussprach, als sie, noch unentwickelt, einer schönen Knospe glich, die nur in leisen Umrissen die herrliche Blüthe ahnen läßt, zu der sie sich entfalten wird. Seinen auflodernden Sinn wußten ihre kindischen Schmeicheleien oft zu besänftigen, und ohne daß sie noch die schwärmerische Tiefe seines Wesens zu fassen vermochte, hatte doch ihre einnehmende, mit einem so richtigen Tact verbundene Lieblichkeit eine gewisse Gewalt über ihn erlangt, die ihr mehr Rechte über ihn einräumte, als den übrigen Mitgliedern seiner Familie, ob er gleich an allen den Seinigen mit warmer Liebe hing. Auf dieses ihnen gleichsam angeborne Einverständniß ihrer Gemüther gründete sich die Hoffnung seines Vaters, daß die Zeit es noch mehr [71] befestigen, und einst in einer Verbindung auf ewig das Glück ihrer Herzen sicheren werde.
So hatte Emilie ihren sechszehnten Frühling erreicht. Alexander war sieben Jahre älter, und schien in der Fülle seiner blühenden Kraft, der Welt, über deren Gemeinheit er sich so weit erhob, das Ideal eines vollendeten Jünglings darzustellen.
In leichten Anspielungen hatte ihm der Vater schon oft das Verlangen verrathen, daß er sich nun zur Uebernahme seiner mütterlichen Güter entschliessen, und dann das Band noch fester schlingen möchte, das durch Emiliens Besitz ihm eine frohe Zukunft versprach. Allein Alexander gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen, und als der Vater sich endlich deutlicher erklärte, gestand er, daß er diesen Zeitpunkt noch einige Jahre weiter hinaus zu schieben wünsche, weil er den ruhigen Gleichmuth noch nicht in sich fühle, den das ernsthafte Verhältniß als Hausvater von ihm fordere.
»Mit unwiderstehlicher Allmacht, sagte er, zieht mich die Fremde an. Weite Reisen sind die Bedingung nur, unter der mein Inneres mir verspricht, mir selbst einst klar zu werden. Lange habe ich gekämpft gegen den unaufhaltsamen Trieb, der mich in ferne Länder lockt, aber ach, ich weiß nun keinen Wiegengesang mehr für diese ungestüme Sehnsucht, die in mir brennt, und für diese quälenden Wünsche, die auf Befriedigung dringen, und Haus und Stadt mir zu enge machen.«
»»So reise, mein Sohn, antwortete der Baron gütig, indem er ihn umarmte. Aus diesem [72] heftigen Begehren nach neuen Gegenständen wird allmählig das stillere Verlangen nach Heimath, und nach häuslichem Glücke hervorgehen, das Du bedarfst, wenn der friedliche Kreis Deiner künftigen Bestimmung Dir nicht beschränkt und drückend erscheinen soll. Reise einige Jahre, denn Emiliens Jugend gränzt ohnehin noch an zarte Kindheit. Schöner ausgebildet, und Deiner Liebe noch würdiger in ihrer Vollendung, wirst Du sie wieder finden, wenn Du zurückkehrst, um sie nie wieder zu verlassen.««
Mit allem Feuer der ihm eigenen Lebhaftigkeit ergriff Alexander den väterlichen Vorschlag, und betrieb die Ausführung desselben mit ungeduldiger Hast. Emilie vernahm die Nachricht seiner nahen Abreise mit einer Bestürzung, in der sie erst die Größe ihrer Neigung erkannte. Es regte sich in ihr ein dunkles Gefühl von Empfindlichkeit, daß sein Wille ihn von ihrem treuen Herzen weg zu den ungewissen Freuden hintrieb, die in der Ferne ihm winkten. Schon daß es außer ihr etwas gab, was ihn mächtiger anzog, als ihre Nähe, that ihr schmerzlich wehe, denn sie kannte kein größeres Glück als seine Gegenwart, und alle ihre Wünsche beschränkten sich auf seinen Anblick, auf sein Gespräch, und auf den seligen Gedanken, ihm werth zu seyn.
Mit welcher Trauer dachte sie sich daher das lange Entbehren seines Umgangs noch zu der kränkenden Entdeckung hinzu, daß nicht sie, sondern der Hang zu reisen, der Gegenstand jener unruhigen Sehnsucht war, die sie schon längst an ihm bemerkt[73] hatte. Doch eben daher, weil sie so ganz und einzig in ihm lebte, wurde es ihr durch die Stärke ihrer Gefühle leichter, in stiller Resignation die Trennung zu ertragen, die ihm einen unbekannten, schön geahneten Genuß zu gewähren versprach. Diesen Wunsch, den er so glühend im Herzen trug, ihm vereitelt zu sehen, hätte ihr fast noch weher gethan, als ihn so lange zu vermissen, denn ächte Liebe trägt weit leichter eigenes Leiden, als das des Geliebten. Darum verbarg sie die Betrübniß, mit der des Abschieds bitteres Vorgefühl sie erfüllte, und indem sie freundlich theilnehmend die Anstalten zu seiner Abreise betreiben half, brachte sie ihm ein stummes Opfer in der Verhüllung ihres Schmerzes, den sie unter einer mühsam erkämpften, ruhigen Aussenseite versteckte. Gefaßt sah sie ihn ziehen, und erst als er weg war, lösete sich die Beklommenheit ihres Innern in Thränen auf, die nach und nach den tiefen Kummer über seine Entfernung in eine sanftere Wehmuth verwandelten.
Jahre vergingen indessen; und obgleich die Zeit auch die schärfsten Umrisse unserer Gefühle allmählig mildert, so war doch in Emiliens Busen das Bild ihres Freundes nicht erloschen, nur sanfter unter dem Schleier einer langen Abwesenheit in ihrer Vorstellung geworden. Mehreremale hatte der Baron seinen Alexander freundlich an den Verlauf der Zeit gemahnt, die zu seinen Reisen bestimmt gewesen war; oft die Schilderung von Emiliens aufblühenden Reizen, und ihrer leisen Sehnsucht nach ihm mit dem Wunsche vereinigt, ihn wieder bei sich zu [74] sehen – aber Alexander hatte immer den Zeitpunkt seiner Heimkunft weiter hinaus gerückt, und es lag nicht in der Denkungsart des zärtlichen Vaters, ihn mit Strenge aus der Fülle des Genusses zurückzurufen.
Theodor, sein zweiter Sohn, strebte indessen mit dem glücklichsten Erfolge, dem häuslichen Kreise die Entfernung seines Bruders zu ersetzen. Seine Gefälligkeit, und sein anspruchloses, bescheidenes Wesen hatte einen zu günstigen Einfluß auf die Annehmlichkeiten des Familiencirkels, als daß man ihm nicht gern verziehen hätte, daß ihm das Feuer und die mächtige Fantasie Alexanders fehlte, die auch in leere Wüsten Glanz und Leben, und in die verblichenen Bilder der Alltagswelt bunte, glühende Farben zu zaubern wußte. Zwischen Emilien und ihm waltete jene ruhige Vertraulichkeit, die unter liebenden Geschwistern Statt findet. Nur mit mädchenhafter Schüchternheit berührte sie ihr Verhältniß zu seinem Bruder, das ihre Zukunft mit dem milden Rosenschimmer glücklicher Liebe übergoß. Aber die Innigkeit, mit der er ihre hoffnungsvollen Träume errieth, und ihre dämmernden Gefühle aus der Tiefe ihres ahnenden Herzens zu lichter Klarheit emporrief, machte ihr seinen Umgang lieb und nothwendig, da Niemand so wie Er verstand, den Ton zu treffen, der ihrer Stimmung das wohlthätige Gleichgewicht zwischen Heiterkeit und Wehmuth erhielt.
Einst kehrte Theodor in ungewöhnlicher Bewegung von einem Spazierritte zurück. Auch ihn zog [75] eine hingebende Anhänglichkeit näher zu Emilien, als zu seinen übrigen Verwandten, und er hatte ihr immer mit gewissenhafter Treue die wichtigsten Ereignisse seines bisher sehr ruhigen Herzens anvertraut. Ein dringenderes Bedürfniß der Mittheilung als jemahls schien ihn heute zu ihr hinzuführen, und als er sie nicht allein in ihrem Zimmer fand, wechselte eine so auffallende Zerstreuung mit einem so wunderbaren Tiefsinn in ihm ab, daß er, der sonst einen so gefälligen Antheil an jeder Unterhaltung nahm, diesmahl für alles verloren schien, was außer ihm vorging.
»Was ist Ihnen, Vetter? fragte Emilie erstaunt, als endlich die störende Gesellschaft sich entfernte. Etwas Ungewöhnliches muß Ihnen begegnet seyn, denn so sonderbar gespannt, so in sich gekehrt, und mit sich selbst beschäftigt sah ich Sie noch nie.«
»Ja! versetzte er mit Lebhaftigkeit, Sie haben ganz Recht, Emilie! Es ist mir wirklich etwas Ungewöhnliches begegnet, denn der Himmel hat sich vor mir auf gethan – – wenigstens hab' ich einen seiner Engel erblickt.«
Seine Augen glänzten, seine Wangen brannten, seine ganze Seele schien nur von dieser Erinnerung bewegt. Es kostete Mühe, ehe es Emilien gelang, ihn zu einer zusammenhängenden Erzählung zu bringen.
»Ich ritt – beantwortete er endlich ihre dringenden Fragen – meinen gewöhnlichen Lieblingsweg, die breite Landstraße, die mit Pappeln eingefaßt, durch grüne Wiesen und fruchtbare Felder am [76] Fuße der Weinberge sich nach Süden hinzieht. Der schöne Morgen lockte mich weiter und immer weiter, und unvermerkt erreichte ich ein Wirthshaus am Wege, das von dunklen Linden beschattet mir vor der Sonne, die jetzt höher heraufgestiegen war, einen willkommenen Zufluchtsort bot.
Ich setzte mich vor die Thür des Hauses und ließ mir ein Frühstück geben. Nach einiger Zeit rollte ein Reisewagen heran. Ohne besonders auf ihn Acht zu haben, sah ich ihn halten, und eine Dame aussteigen, die verschleiert, und von einem Kammermädchen begleitet, auf das Haus zukam, und an der anderen Seite der Thür auf der steinernen Bank Platz nahm, während das Mädchen bei der Wirthin einige Erfrischungen bestellte. Ein alter Bedienter war mürrisch bei dem Wagen geblieben.
Vielleicht hätte die Höflichkeit erfordert, mich der Dame zu nähern: aber ich unterließ es – ich weiß selbst nicht aus welcher innern Scheu, die bei'm genaueren Anblick ihrer schlanken Nimphengestalt mich faßte. Sie wandte ihr Gesicht zu mir, und schien mich mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Ein Spitzenschleier wallte wie ein zarter Nebel über das blühende Antlitz, und ein schwarzes Reisekleid schmiegte sich eng und sittsam an die edle Form ihres schönen Körpers, den bei aller Fülle der Jugend gleichwohl eine fast ätherische Leichtigkeit schmückte.
Eine reizende Gestalt! dacht' ich noch ziemlich gleichgültig vor mich hin, aber als das Mädchen nun mit dem Frühstück herbei kam, und sie [77] den Schleier zurück schlug, der – wie Wolken den Glanz der Sonne hemmen – mir bisher den Anblick einer nie geahneten Schönheit verborgen hatte, dv verwirrten sich meine Gedanken, und wie in einem Meere voll unbeschreiblicher Seeligkeit ging alle Ruhe meines Herzens in dem Schimmer der großen göttlichen schwarzen Augen unter, mit denen sie mich ansah.«
»Vetter! Vetter! mit Ihnen ist es weit gediehen! rief Emilie lächelnd aus. Sie sind begeistert, wie ein Dichter in den Stunden der Weihe, wenn sein Ideal ihm vor der Seele schwebt.«
»Auch verrieth das kühnste Ideal das ich mir jemahls träumte, nicht die Hälfte der Anmuth – fuhr er fort – die über die harmonischen Züge meiner Unbekannten, über ihren zarten, lieblichen Wuchs, und über jede ihrer holdseligen Bewegungen ausgegossen ist.
Die unwillkührliche Ehrfurcht, die eine vollendete Schönheit immer einflößt, trieb mich empor von meinem Sitze. Ich stand ihr gegenüber wie im Traume, und wagte kein Wort; aber alles was ich fühlte, mußte in meinem Auge sich ausdrücken, denn sie schlug das ihre in süßer, lächelnder Verwirrung nieder, und erröthete tief.
Komm näher, Jakob! rief sie endlich dem alten Bedienten mit einer Stimme zu, die melodisch durch alle meine Nerven bebte. Frühstücke ein wenig: wir haben noch anderthalb Meilen bis zur Stadt. – Ich danke, gnädige Frau! antwortete Jakob finster – ich habe keinen Hunger. Das: [78] gnädige Frau, erschütterte mich schmerzlich. Im reinen Anschauen ihrer Liebenswürdigkeit verloren, hatte ich noch gar nicht daran gedacht, daß es Verhältnisse giebt, die ein solches Kleinod zum Eigenthum eines Einzigen weihen dürfen, statt ihm Altäre der Anbetung zu errichten. Und indem ich's dachte, durchdrang mich glühend die Ueberzeugung, wie beneidenswerth das Loos seyn muß, eine solche Frau zu besitzen.
Der Postillion hatte sich von seinen Pferden entfernt, um im Wirthshause alte Bekannte zu begrüßen. Die Fremde benutzte diese Zeit, da ihr vielleicht mein stummes Anstarren lästig fiel, um den Garten zu besehen. In der Hoffnung, etwas Bestimmtes über sie zu erfahren, näherte ich mich dem alten Diener, der jetzt die Zügel der Pferde hielt, und durch eine gewisse strenge Ehrlichkeit der Miene mir wohlgefiel. Aber es bedurfte manches lästigen Umweges, ehe ich die Frage nach dem Namen seiner Gebieterin auf eine schickliche Art einleiten konnte, denn seine ernste Einsylbigkeit war ganz geschaffen, die Neugierde unbefriedigt zurück zu weisen. Endlich gelang es mir doch, aus ihm heraus zu locken, daß sie die Wittwe eines Herrn von Brunnen sey, der nur kurze Zeit mit ihr verheirathet gewesen wäre.
Das Wort: Wittwe, an das sich der entzückende Gedanke ihrer Freiheit knüpfte, durchschauerte mich wie ein elektrischer Schlag. Halb ohne zu wissen, was ich that, ergriff ich eine Hand voll Geld, den Alten für diese theuere Nachricht zu belohnen: [79] aber er schüttelte unwillig das graue Haupt, und drehte sich von mir weg, ohne zu nehmen, was ich, so innig erfreut, ihm darbot. Jetzt hörte ich hinter mir ihr seidenes Gewand rauschen – dicht stand sie neben uns, und mit einer Lieblichkeit ohne Gleichen beugte sie sich im Gruße des Abschieds vor mir, und stieg ein.
Sie hatte im Garten einige dunkele Nelken gepflückt. Eine derselben war ihr entfallen. Ich hob sie auf, und drückte sie an mein Herz, und so sah ich ihrem Wagen nach, so lange, bis die Krümmung des Weges ihn meinen sehnenden Blicken entzog. Eine öde Leere schien mich jetzt mit einemmahle zu umfangen – ach, mir war zu Muth, als sey jede Möglichkeit eines künftigen Glücks mit ihr verschwunden. – Als ich nachher mein Pferd bestieg, und in fliegender Eil ihr nachsprengte, erreichte ich bald ihre Spuren wieder; aber ich hatte nicht die Kühnheit, mich ihr zu zeigen. Nur von Ferne folgte ich dem Wagen, und als sie plötzlich den schönen Kopf herausbeugte, um einem Bettler eine Gabe zuzuwerfen, durchzuckte mich das Wehen ihres Schleiers, wie die Nähe einer Gottheit, mit einem wunderbaren Gemisch von Anbetung, Sehnsucht und Entzücken.«
Emilie – die ihren Freund noch nie von einer ähnlichen Glut der Empfindung entzündet gesehen, ja, die ihn bisher bei der stillen Mäßigung seines Charakters nicht einmahl derselben fähig gehalten hatte – wußte nicht, ob sie sein Zutrauen mit Scherz oder ernster Theilnahme erwiedern sollte. Doch [80] bestach die Rührung, die sein feuchtes Auge verrieth, viel zu sehr ihn Mitgefühl, als daß sie ihm den kargen Trost hätte versagen mögen, sich herzlich über den Gegenstand vor ihr auszusprechen, der jetzt so einzig sein Gemüth erfüllte. Sie hörte ihm also mit Aufmerksamkeit zu, als er noch lange fortfuhr, in entzückten Ausrufungen die Schönheit seiner neuen Bekanntschaft zu preisen, und mit Vergnügen vernahm sie, was er erforscht hatte, daß nemlich die reizende Wittwe in einem Gasthofe der Stadt abgestiegen sey, und sich nach einer Wohnung in einem Privathause erkundigt habe, weil sie einige Monate daselbst zu bleiben gedenke.
Emiliens Neugier war rege geworden, und vermittelst der Gabe der Combination fühlte sie sich durch manche aufsteigende Erinnerung an Alexander fest mit dem Interesse der Leidenschaft seines Bruders verbunden. Denn nie hatte sie die Aehnlichkeit zwischen ihrem Geliebten und ihm in schärferer Bezeichnung wahrgenommen, als eben jetzt. Bisher erschien ihr Theodor nur wie der schwache Nachhall einer göttlichen Melodie, wenn sie ihn mit Alexander verglich, oder wie der matte Schattenriß einer hohen, herrlichen Gestalt – denn er war nur warm, wo jener brannte, nur innig, wo Alexander im höchsten Enthusiasmus schwärmte, nur gerührt, wo den Anderen ein wüthender Schmerz ergriff. Diese engeren Gränzen der Empfindung, welche die Natur ihm angewiesen hatte, dünkten ihr oft Beschränkung, und mit Erstaunen sah sie ihn jetzt aus ihr heraustreten, und mehr wie jemals mit dem geliebten [81] Bilde verschmolzen, das in ihrer Seele herrschte. Sie gelobte ihm freudig, Antheil an seinen Bemühungen zu nehmen, um die nähere Bekanntschaft der Frau zu machen, die er ihr als so liebenswürdig geschildert hatte. Denn wenn sie gleich einen großen Theil seiner Aeußerungen über sie auf Rechnung der partheyischen Verblendung schrieb, die eine schnell entstandene, aufbrausende Liebe zu begleiten pflegt, so blieben doch noch genug Reize an der lieblichen Gestalt übrig, die er vor ihren Geist hingezaubert hatte, als daß sie nicht erwartungsvoll hätte wünschen sollen, sie mit eigenen Augen zu erblicken. Auch waren die Umstände, die bei näherer Ueberlegung beiden mit Schwierigkeiten drohten, nicht so schwer zu überwinden, wie es in der Ferne schien. Im Gegentheile vereinigte sich Alles auf eine überraschende Weise, um ihren Wünschen zuvor zu kommen; denn nach einigen Tagen, in denen Frau von Brunnen eine sehr elegante Wohnung bezogen hatte, schickte sie an den Baron einen Brief seines Bruders, der Gesandter in Wien war, worin sie ihm auf das dringendste empfohlen wurde.
»Sie ist – schrieb der Gesandte – die höchst interessante Wittwe eines in dem letzten Kriege gebleibenen Offiziers, mit dem sie nur wenige Monate verheirathet war. Dieser Verlust, und Mangel an Liebe und Antheil in seiner Familie, gegen deren Willen er sich mit ihr verbunden hatte, bewogen sie, eine Gegend zu verlassen, die ihr nur Kummer und bittere Erinnerungen darbot, und ich hoffe mich nicht verrechnet zu haben, wenn ich [82] ihr den freundlichsten Empfang in Deinem Hause versprach, als ich ihr rieth ***** vor läufig zu ihrem Wohnorte zu wählen.«
Sobald der Baron diesen Brief gelesen hatte, ging er hin, die Bekanntschaft der Fremden zu machen. Ungeduldig sah Theodor seiner Zurückkunft und seinem Urtheil über sie entgegen, und es kostete ihm Mühe, sein Entzücken zu verbergen, als sein Vater, der sonst sehr karg in seinem Lobe war, mit ungewöhnlicher Wärme von der Liebenswürdigkeit der jungen Wittwe sprach. Die Nach richt, daß sie noch denselben Abend kommen werde, seine Mutter und Emilie kennen zu lernen, bewegte ihn mit alle der Unruhe, die eine keimende Leidenschaft mit sich bringt, und obgleich nur wenige Stunden ihn von dem Augenblicke ihres Wiedersehens trennten, so dünkten sie seiner ungestümen Erwartung doch zu lange, und zögernder als sonst ganze Tage zu verschwinden.
In Träumereien, von denen er sich selbst kaum Rechenschaft geben konnte, saß er den ganzen Tag im Gesellschaftszimmer, um ja den Moment nicht zu versäumen, wo sie herein treten werde, und jedes leise Geräusch, jeder Schlag der Uhr erfüllte ihn mit einer süßen Beklommenheit, die aus der Hoffnung ihrer Annäherung entsprang.
Emilie – die Vertraute seines zwischen Sehnsucht und Bangigkeit schwankenden Zustandes – belächelte ihn gutmüthig, denn begreifen konnte sie ihn nicht. Ihre Neigung zu Alexander war nur nach und nach in sanften Uebergängen entstanden, ohne [83] von den Schauern begleitet zu seyn, den der erste Eindruck der Liebe im menschlichen Herzen bewirkt, wenn er in den Jahren der vollsten Empfänglichkeit wie ein Blitz des Himmels trifft und zündet.
Unvermerkt und leise war das Gefühl, das sich jetzt so erschütternd der Seele ihres Freundes bemächtigte, in ihrem ruhigen Busen gereift, wie eine schöne Frucht, die im Sonnenschein des Jugendglückes aus der herrlichsten Blüthe des Lebens sich gestaltet. Daher konnte sie sich, wenn sie in ihr Inneres blickte, die Liebe nur als theure Nothwendigkeit und Nahrung ihres Daseyns denken – nicht despotisch, als gewaltsame Ueberraschung, wie sie Theodors unerwartetes Herz ergriffen hatte.
Sie wollte ihm eben ihr Befremden über die verschiedenen Wirkungen derselben Empfindung mittheilen, als das Rollen eines Wagens die Ankunft der schönen Fremden verkündigte. Neugierig, und mit prüfenden Blicken sah sir ihr entgegen – doch nicht die frische Gestalt, die ihr Theodor geschildert hatte, trat von allen Grazien der Gesundheit und der blühenden Jugend umringt, herein. Das Zögernde, Ungewisse ihres Ganges, die tiefe Blässe ihrer Wangen, und die matt gesenkten, durch dunkle Augenwimpern halb verschlossenen Augen sprachen, obgleich ihre bleichen Lippen schwiegen, mit rührender Beredsamkeit ein tiefes Leiden aus.
Der Baron führte sie zu seiner Frau, um sie ihr vorzustellen; er nannte ihr auch Emilien, welche sie mit holder Freundlichkeit begrüßte, aber Frau von Brunnen erwiederte nichts auf ihren zuvorkommenden[84] Empfang. Ein schmerzlicher Seufzer hob ihre Brust – ihr Blick schien zu brechen, und eine Ohnmacht streckte sie leblos auf den Teppich des Fußbodens nieder.
Die allgemeine Betroffenheit, die dieser unangenehme Zufall erregte, hinderte weder die Baronin, noch Emilien, ihr sogleich allen möglichen Beistand zu leisten. Auch Theodor erhielt schnell durch die Gefahr, in der ihm die reizende Frau zu schweben schien, so viel Unbefangenheit wieder, als möglich war, um zu ihrer Hülfe auf das eiligste Leute, und einen Arzt herbei zu rufen.
Man brachte sie in Emiliens Zimmer und legte sie auf das Sopha. Auch jetzt noch, dem Anschein nach von allem Leben verlassen, fand Emilie, daß die schwärmerische Begeistrung, mit welcher Theodor von ihrer Schönheit gesprochen hatte, keine Uebertreibung gewesen war, wie sie ihn vorher in Gedanken wohl beschuldigte.
Nur wenig Versuche hatte man gemacht, sie wieder ins Bewustseyn zurück zu rufen, als ein zartes Roth ihre Wangen färbte, und ihr stillstehender Puls sich wieder zu regen begann. Sie schlug die Augen auf, und sah Emilien, die hülfreich vor ihr kniete, mit einem Blicke an, der tief in ihre Seele drang. Traurigkeit, Dank und Verwirrung war der Ausdruck desselben, und eine himmlische Güte und Reinheit des Herzens leuchtete aus ihm hervor. Die Baronin, noch immer besorgt, beugte sich theilnehmend, nach ihrem Befinden forschend, zu ihr nieder.
[85] »Wie beschämt bin ich, Ihnen so viel Unruhe zu machen, sagte Frau von Brunnen mit leiser Stimme. Wohl habe ich den ganzen Tag befürchtet, dieser Zufall werde mir bevorstehen, aber da ich mich immer bemühe, mir nicht nachzugeben, traute ich mir Kraft genug zu, um wenigstens einen augenblicklichen Besuch bei Ihnen abstatten zu können. Und jetzt, da die Dumpfheit der Ohnmacht glücklich vorüber ist, und ich mich besser fühle, möchte ich ihr danken, denn sie hat die lästigen Schranken hinweg geräumt, die neue Bekannte von einander trennen. Ich bin Ihnen keine Fremde mehr, seit Sie Gelegenheit fanden, so freundlich für mich zu sorgen, und Sie erscheinen mir wie theuere, oft gesehene Verwandte, seit ich Ihren warmen Antheil so thätig empfunden habe.« – Sie reichte bei diesen Worten mit unwiderstehlicher Anmuth die eine Hand der Baronin, die andere Emilien, die sich liebevoll ihr entgegen neigte.
»Es hätte nicht dieser angstvoller Veranlassung bedurft – erwiederte die Baronin – um Ihnen zu zeigen, wie gern wir Sie in unserem Hause und in unsren Herzen aufnehmen.«
»Böse Frau! – setzte Emilie lächelnd hinzu – so sollten wir durch Sorge und Betrübniß gewahr werden, wie herzlich schon der erste Anblick Sie uns empfohlen hat? Sie müssen viel wieder gut machen, und nur durch Liebe läßt sich die Angst vergelten, die wir um Sie gehabt haben.«
Constanze, so hieß die Wittwe, richtete sich empor. [86] Sie war in tiefer Bewegung und sanfte Thränen glänzten in ihren großen, seelenvollen Augen.
»Wie rührt mich jedes ihrer Worte – rief sie aus – und wie wohlthätig ist ihre Freundlichkeit meinem furchtsam zagenden Gemüthe. Ach! mein Schicksal ist so sonderbar! Bei der Fähigkeit, ja, sogar bei dem Bedürfniß, mit allen Kräften meiner Seele zu lieben, hat es mich immer einsam in dem Gewühle der kalten herzlosen Welt gelassen, bis zu der seligen Zeit, wo ich das theure Wesen fand, das mein Alles ward. – Jetzt bin ich wieder allein – doch indem Sie mich so innig unter sich aufnehmen, erscheine ich mir nicht mehr isolirt, und ich sehe schon die Ahnung in Gewißheit verwandelt, daß jeder Tag, den wir zusammen verleben, uns fester mit einander verbinden wird.«
Auch in der Baronin und in Emilien regte sich die ser Glaube mit aller Kraft der Ueberzeugung, und vorzüglich fühlte sich die Letztere zu der holdseligen Frau hingezogen, da der Frühling des Lebens, in dem sie noch beide waren, durch die Uebereinstimmung jugendlicher Empfindungen und Ansichten noch nähere Bande um sie schlang, als um die Baronin, deren reiferes Alter ihrem Wohlwollen nicht den Anstrich zutraulicher, auf Gleichheit gegründeter Freundschaft, sondern einer mütterlichen Zuneigung lieh.
Theodor und sein Vater, die sich bescheiden zurückgezogen hatten, näherten sich jetzt, als sie erfuhren, Constanze befinde sich besser. Zwar schwebten zuweilen Wolken, wie der Schatten einer inneren, unbezwinglichen Trauer über ihren schönen Zügen –[87] zwar wollten sich ihre Augen oft mit Thränen füllen, die sie mühsam zurückdrängte, aber selbst unter dem Drucke des Leidens, und von Mattigkeit gebeugt, bezauberte sie die ganze Familie durch die stille Jungfräulichkeit und Würde einer reinen, gefühlvollen Seele, deren Spiegel ihr herrliches, jeden unverwahrloseten Sinn entzückendes Antlitz war.
Sie erinnerte sich, Theodor bei ihrer Ankunft schon begegnet zu haben, und bezeugte ihm mit verbindlichen Worten ihr Vergnügen, ihn wieder zu sehen, und ihn näher kennen zu lernen. Theodor wollte antworten – stockte – erröthete – und konnte nur wenig erwiedern. Doch drückte sich in der leidenschaftlichen Regung, die ihn durchschauerte, deutlich aus, daß jenes Zusammentreffen ihm nicht als flüchtiges Spiel des Zufalls, sondern als Wink einer höheren Bestimmung erschien, die dadurch über das Geschick seines ganzen Lebens entschieden hatte.
Constanze schien seine Verlegenheit zu übersehen, und nahm Abschied. Denn obgleich sie sich völlig erholt hatte, fühlte sie sich doch noch angegriffen, und bedurfte der Ruhe. Emilie begleitete sie nach ihrer Wohnung, und als sie sie dort der Pflege ihres Kammermädchens übergeben hatte, kehrte sie mit dem Versprechen von ihr zurück, sie künftig täglich zu sehen.
Sie fand, als sie nach Hause kam, ihre Verwandten in einem lebhaften Gespräch über Constanzen, an dem sie um so lieber Theil nahm, da ihr [88] Gemüth ganz von dem Eindrucke erfüllt war, den diese holde Erscheinung auf sie gemacht hatte.
Nie war, weder bei'm ersten Anblick einer neuen Bekanntschaft, noch bei einer genaueren Anneigung derselben ihr Herz, das sich sonst nur langsam, und bedingungsweise hingab, so eingenommen, ihr Auge so bestochen und ihr Geist so angezogen worden, als hier. Der edle Stolz in Constanzens Haltung, der aus ihren Blicken leuchtete, und auf ihrer freien Stirne thronte, gebot Achtung, denn er bezeichnete – sanft von Bescheidenheit umschleiert – das Bewustseyn ihres Werthes, und die Milde, die, auf Güte und Wahrheit gegründet, ihr Lächeln verklärte, flößte unwiderstehlich Liebe und Vertrauen ein.
Freudig bemerkte Emilie, wie übereinstimmend ihr Urtheil mit der Meinung der ganzen Familie war, und ohne einen störenden Mißlaut in ihrem Innern zu empfinden, hörte sie, über allen kleinlichen Neid erhaben, die Aeußerungen des ungetheilten Beifalls, mit welchen man die seltenen Vorzüge ihrer neuen Freundin erhob, bis auf einmahl ein düsterer Gedanke sie ernst in sich selbst zurückscheuchte, und sie verstummen machte.
Sie zog sich zurück in ihr einsames Zimmer, um ihm nachzuhängen. Ohne ihr noch recht klar geworden zu seyn, faßte er schon mit tiefer Angst ihr innerstes Leben. Unruhig ging sie auf und ab – sie schien sich selbst zu ermangeln – – der süße Frieden war gestört, der ihr sonst in der festen Zuversicht, mit der sie an Güte und Treue glaubte, überall nur den reinen Widerschein ihres eigenen [89] Sinnes zeigte. Zum erstenmahl ergriff ein schmerzliches Vorgefühl von Eifersucht ihre Seele, wenn sie bei Alexanders naher Zurückkunft sich Constanzen ihm gegenüber dachte.
»Wird er, der mich nie leidenschaftlich geliebt hat, dieser Anmuth widerstehen können? sagte sie zu sich selbst. Wird er Kraft genug haben, durch Zeit und Entfernung noch ruhiger in seinen Gefühlen für mich geworden, sein Auge diesen blendenden Reizen, sein Ohr der Melodie dieser Stimme zu verschließen, die – ach, ihrer Wirkung so gewiß – Liebe athmend, und Liebe erweckend in jede Seele dringt? –«
Die trübe Ahnung, die dieser bange Zweifel in ihr aufrief, verstärkte sich bei näherer Betrachtung in ihr zur Möglichkrit, ja, sogar zur bittersten Gewißheit; doch in dem Schmerze der Besorgniß, Alexandern vielleicht zu verlieren, fand sie endlich die Kraft wieder, zu handeln, um sich seinen Besitz zu erhalten.
Demungeachtet fühlte sie sich verstimmt durch die Einsamkeit, in der sie sonst immer mit jedem kleinen Zwiespalt in sich fertig wurde. Sie ging daher in den Sallon ihrer Tante zurück – nicht um unter Menschen zu seyn, denn sie wußte, daß jetzt niemand dort war – sondern um an Alexanders Bilde ihren gebeugten Muth zu erheben, und mit einem Blick in seine theueren Züge, jede Vorstellung in sich zu vertilgen, die den Charakter einer thörichten Furcht annehmen wollte.
Gerade der Thür gegenüber, in der vollen Beleuchtung [90] des Tagelichts, das von oben herab wie eine Glorie sich ergoß, schimmerte ihr in täuschender Aehnlichkeit die schöne Gestalt entgegen, die die Liebe so tief und fest in ihr Herz geprägt hatte. Alexander war in Lebensgröße von einem der geschicktesten Künstler seines Vaterlandes gemahlt. Stehend lehnte er, in leichter Jagdkleidung, das Gewehr in der Hand, der treue Hund zu seinen Füssen, an einem Baume, dessen halb verstorbener Stamm nur einzelne, mit falbem Laube geschmückte Zweige herab senkte. Auf dem verblichenen Grase des Fußbodens schienen die gelben, abgefallenen Blätter im Morgenthau zu glänzen, und die dichteren Gruppen des Waldes, so wie die ferne Prospective, die sich zwischen ihnen öffnete, kündigte in bunten Schattirungen den Herbst an.
Mitten aus dieser ernsten Darstellung des Welkens und des Vergehens, erhob er sich in männlicher Schönheit, ausgerüstet mit feuriger Kraft, als wolle er durch den Frühling seiner frischen Jugendblüthe einen erfreulichen Contrast mit der herbstlichen Jahrszeit bilden, welche in stiller Feier, fast schwermüthig aus der Gegend sprach, die ihn umgab. In seinem emporgerichteten Auge brannte die Flamme jener hohen Begeisterung, die auch alltägliche Gegenstände zu verklären weiß, und die stolze, edle Stirn schien eine Welt von Gedanken zu verhüllen.
Wie gern verlor sich Emilie im Anschauen dieser beseelten Leinwand, vor der sie schon oft ganze Stunden zugebracht hatte, mit Sehnsucht und [91] Trauer des Entfernten gedenkend. Süße Worte, aus der Tiefe des Herzens quellend, dünkten ihr, wenn sie ihn lange ansah, von seinen Lippen zu strömen, und sie legte ihnen dann ihre eigenen Empfindungen als Text unter, und träumte sich den Klang seiner Stimme hinzu.
Auch heute ging Friede und Freude aus seinen lächlenden Mienen auf sie über, und hell erleuchteten der Hoffnung Sterne ihr wieder den Himmel der Zukunft, der noch kurz vorher so umwölkt war. Sie erinnerte sich der Güte, mit der er ihre Kindheit gepflegt und erfreut, und der Vorzüge, die er ihr eingeräumt hatte, als sie, zu einem bedeutenderen Alter heran gewachsen, tieferen Sinn als allgemeines Wohlwollen in der Aufmerksamkeit ahnen durfte, die er ihr bezeugte. Zwar hatte sich seine Liebe nie mit der stürmischen Gewalt geäußert, mit der andere Leidenschaften ihn oft ergriffen; aber in der Ruhe seines Gefühls für sie schien ihr die Bürgschaft einer ewigen Dauer enthalten, und sie dankte dem Himmel, daß seine Neigung nicht einem flüchtigen Rausche, sondern der ernsten Besonnenheit glich.
Sie besuchte Constanzen den andern Tag, und fand sie völlig wieder hergestellt. Strahlen eines heiteren Geistes schimmerten zuweilen durch den duftigen Nebel, mit welchem eine innere Wehmuth ihre Seele umgab; doch war sie immer gleich liebenswürdig, in welcher Stimmung sie sich auch zeigte, und sie kam Emilien eben so anziehend in dem Nachhängen trüber Gedanken, als in den Ausbrüchen des [92] kindlichen Frohsinns vor, der der Grundton ihres Wesens schien, ehe Welt und Schicksale ihn verstimmt hatten.
Sie unterhielten sich lange und herzlich mit einander; doch berührte Constanze ihre ehemaligen Verhältnisse nicht, und eine leise Anspielung Emiliens, die einer Frage ähnlich war, ergriff sie zu schmerzhaft, um nicht deutlich auszudrücken, wie willkommen ihr die milde Schonung war, mit der Emilie von diesem Augenblicke an sorgfältig vermied, sie an die Vergangenheit zu erinnern.
Seitdem sahen sie sich täglich, und mit immer verstärkter Innigkeit und Liebe. Constanze beschränkte sich in ihrem Umgang ganz allein auf die Familie Lohberg, und wußte sehr bald sich jedem einzelnen Mitgliede desselben unentbehrlich zu machen. Die Trauer, die sie trug, war ihr eine Ursache der Entschuldigung, sich nicht in größere Zirkel einführen zu lassen, und ihre Talente, die, von Geist und Gefühl unterstützt, die Unterhaltung mit immer neuer Anmuth belebten, schufen eine freundliche Welt aus dem engen häuslichen Kreise.
Theodors Neigung, die gleich einem electrischen Funken beim ersten Anblick ihn erschüttert hatte, dauerte fort, und wurde um so fester, da die Vernunft die raschen Wallungen seines Herzens rechtfertigte. Doch umhüllte blöde Bescheidenheit seine Gesinnungen noch mit tiefem Schweigen, denn er fühlte, daß er nur durch treue, stumme Hingebung um Constanzens Gegenliebe werben dürfe, bis eine nähere Bekanntschaft ihr zeigen werde, daß er ihrer [93] würdig sey. Nur in Emiliens Herz legte er mit brüderlichem Vertrauen die Empfindungen des seinigen nieder, und sie nährte durch den Trost der Hoffnung die heilige Flamme seiner Liebe, indem sie Constanzens wohlwollende Gefälligkeit gegen ihn beobachtete, und auch für sich selbst Beruhigung aus dem Glauben schöpfte, sie werde nicht unempfindlich gegen so viel Güte und Anhänglichkeit bleiben.
Ob sie gleich Constanzens Verschlossenheit ehrte, so meinte sie doch, was ihre eigene Lage betraf,offen seyn zu müssen, um von den duftenden Rosen dieser Freundschaft jeden Dorn abzustreifen, der sie künftig verwunden könnte.
Als sie daher Constanzen bei ihrem nächsten Besuch aufmerksam auf Alexanders Portrait gemacht hatte, und diese mit stillem Antheil es betrachtete, sagte sie erröthend: »Durch das Original dieses Bildes werde ich einst diesem Hause noch näher angehören.«
Constanze schwieg, und wandte ihren Blick nicht weg von den schönen Zügen, die die Kunst mit allem Zauber des Lebens beseelt hatte. Emilie glaubte, sie habe sie noch nicht verstanden, und strebte, ihr deutlicher zu werden. Sie sprach von Alexanders Vorzügen mit frohem Stolze, und gestand freimüthig, daß es ihr höchstes Glück ausmache, mit ihm so gut als verlobt zu seyn.
Jetzt sah Constanze sich um; ihr Auge schwamm in Thränen. »Wie rühren mich die Hoffnungen eines liebenden Herzens, rief sie aus. Ach – so selten [94] sah ich sie erfüllt – und in ihrem Umsturze oft die schönsten Blüthen des Lebens begraben!«
Emilie wurde betroffen durch diese Worte, die ihr als ein zweifelnder Einwurf an der Gewißheit ihres künftigen Glückes erschienen.
»Wenn die Hoffnungen der Liebe, antwortete sie, wie bei Alexander und mir, sich auf tiefe Kenntnisse der Gemüther, auf gegenseitige Achtung und schon früh entwickelte Neigung gründen, und von allen äußeren Umständen begünstigt werden, läßt sich dann ihre Erfüllung nicht mit Zuversicht erwarten?«
»Ach, versetzte Constanze, der fromme, kindliche Glaube eines noch ungetäuschten Herzens zeigt uns unsere Wünsche immer im Spiegel der Möglichkeit: aber die Erfahrung lehrt – und oft so bitter – daß sie den bunten Seifenblasen gleichen, die spurlos in der Luft zerplatzen. Daher möchte ich Schillers ernste Worte: wer im Besitze ist, lerne verlieren! zum Wahlspruch eines jeden jugendlichen Sinnes machen. Denn die ahnungslose Ruhe, mit der man seinem Schicksal entgegen geht, erinnert mich stets an die Sorglosigkeit des Kindes in der griechischen Anthologie, das fröhlich unter Blumen spielt, während sich der Fels schon senkt, der es zerschmettern wird.«
»Und würde, um Ihr Gleichniß weiter auszuführen, erwiederte Emilie mit einiger Empfindlichkeit, eine schreckende Warnung den Felsen aufhalten können in seinem Laufe? oder würde sie nur in das letzte, heitere Spiel des Kindes das Beben der Angst [95] mischen, dem es, freudig dem Leben entgegen lächlend, entgeht, da es nicht ahnet, daß es schon dem Tode geweiht ist?«
»Wen die Warnung nicht mehr retten kann, dem würde sie allerdings mehr schaden, als nützen, sagte Constanze. Aber müssen wir dem Kinde gleichen? Müssen wir nicht vielmehr beklagen, daß keine hülfreiche Hand sich ausstreckte, es der Gefahr zu entziehen? und sollten wir nicht erschüttert durch sein Beispiel, uns selbst, und andere waffnen gegen die Härte des Geschicks, die uns begegnen könnte? – Auch wenn wir uns unter die wenigen Lieblinge des Glücks zählen dürfen, denen die Hoffnunghält, was sie verspricht – wird nicht die Fähigkeit, zu dulden und zu tragen, wenn wir sie in uns erwecken, den Genuß dereinst verschöneren, so wie sie allein vor dem Erliegen uns bewahren kann, wennVerlust oder Entbehren unser Loos seyn sollte? Und wem ist sie nöthiger zu erlangen, als einem Herzen, das noch im Morgentraume der ersten Liebe schwärmt? Sie allein, diese göttlichste der Leidenschaften, erhebt uns ja auf die Stufe der höchsten Vollendung, und zeigt uns den Umfang unserer inneren Würde, unserer Kraft, zu leiden und zu handeln, und der Fülle des Muthes, der alles durchsetzen kann, was er will, und – – was er muß.«
»In welches Nebelmeer hat ihre Fantasie meine heiteren Aussichten versenkt! sagte Emilie lächelnd. Beinahe hätte ich mich auf einige Augenblicke verirrt – allein welch ein Chaos von Melancholie [96] und Finsterniß umfing mich strafend, als ich von der hellen Bahn des Hoffens abwich. Gewiß, liebe Constanze! wollten Sie mich nur prüfen, ob ich auch fest genug bin, beharrlich dem Glücke zu vertrauen, da es mir eimahl die Hand geboten hat. Wohl sagt man, daß das menschliche Leben ein immerwährender Kampf mit Klippen ist, an welchen unsere liebsten Wünsche scheitern. Aber geht denn niemals Sieg aus dem Kampfe hervor? Ist jede Freude nur ein Pfand ihres künftigen Verlierens? Und wenn es so wäre – wie ich doch nicht glauben kann – ach! so möcht' ich lieber wie jenes ahnungslose Kind fröhlich spielend unter meinen Blumen sterben, als mich aufschütteln lassen aus dem goldenen Frieden seliger Unbefangenheit, um mich einem öden Daseyn ohne Blüthen und ohne Freuden zu erhalten.«
»Sie gehen in die Gedanken des Kindes ein, erwiederte Constanze. Aber hätte ein rettender Genius es auch unsanft aus seinen Spielen gerissen, so liegt doch in der Natur der Sache, daß es ihm gedankt haben würde, wenn späterhin sein Verstand sich entwickelt, und ihm zugerufen hätte, daß noch andere Blumen blühen, als die, die ihm damals zu Grunde gingen.«
»Lassen wir die Allegorieen! unterbrach sie Emilie. Sie verwirren nur den Begriff vom einfachen häuslichen Glücke, der vor meiner Seele schwebt, wenn ich an die Zukunft denke. Nicht romantisch, und unerreichbar ist das Ideal meiner Hoffnungen. Für Alexanders Zufriedenheit zu sorgen, [97] mich seines Zutrauens, und seiner Liebe zu erfreuen, und mich nach allen Eigenthümlichkeiten seines genialen Sinnes nachgebend zu richten – das wird das Geschäft und das Entzücken meines Lebens seyn – und warum sollte die Wirklichkeit es mir nicht gewähren?«
»Gutes Mädchen! seufzte Constanze, noch haben keine herben Erfahrungen Dir die rosenfarbene Binde vom Auge genommen, die in den Blüthenhainen der ersten Jugend Allem ihre liebliche Farbe mittheilt. Möge, wenn sie Dir entrissen werden soll, einesanfte Hand sie hinweg ziehen, und möge keine andere Sehnsucht Dein reines Herz schwellen, als die, die Dein Schicksal zu stillen vermag! Sehr oft aber – und weise ists, sich mit dieser Wahrheit bekannt zu machen – sehr oft reicht uns der Lauf der Welt Wermuth, wenn wir Honig erwarten, und was uns unser eigener Glaube oft wie eine glühende Sonne darstellte, ist zuweilen nur ein kaltes Nordlicht, das an den Polen der Erde schimmert, ohne zu wärmen.«
Sie war sehr bewegt, als sie dies sagte. Die stille Wehmuth ihres Tones und ihrer Worte durchdrang auch Emiliens Busen mit schmerzlichen Regungen, und sie bedurfte einiger Augenblicke, sich zu fassen, ehe sie weiter reden konnte.
»Muß ich das von Ihnen hören, Constanze! sprach sie alsdann, und blickte mit nassen Augen zu ihr auf. Ist diese Hoffnungslosigkeit, die Sie in mir erwecken wollen, nur eine trübe Ahnung meines Looses, oder das Resultat des Ihrigen? – [98] Sie haben zwar Ihre Vergangenheit in ein undurchdringliches Dunkel für mich gehüllt, und ich forsche nicht nach Geheimnissen – aber die vollendete Harmonie ihres Gemüths, und selbst einzelne Aeußerungen, die oft um so mehr Licht über die Tiefe des Inneren verbreiten, je unwillkührlicher sie hervorbrechen, schienen mir in schöner Klarheit darzulegen, daß Sie das höchste Glück des Daseyns gekannt und genossen haben. Warum zweifeln Sie, daß auch ich es erreichen kann?«
»Ich zweifele nicht, antwortete Constanze nach einigen Momenten des Nachdenkens. Ich möchte nur veranlassen, daß Sie nicht in der erträumten Sicherheit des ungewissen Glücks sich berauschen, da sie wie ein lähmendes Gift unsere inneren Kräfte fesselt, wenn wir sie bedürfen. Was meine individuellen Verhältnisse betrifft, o so ist es nicht Mangel an Liebe und Vertrauen, weshalb ich vor Ihnen schweige. Einst wird jeder Schleier fallen, der sie jetzt verbirgt, und gewiß, meine Emilie! Sie könnten in diesem Augenblick nichts bei der Mittheilung mannichfaltiger Familienbedrängnisse, Verwickelungen und Katastrophen gewinnen, die gute und böse Sterne oft über mich herauf führten. Sie glauben einmahl an mich. Meine Individualität – wenn auch nur undeutlich ausgedrückt – hat Ihr Wohlwollen erregt, und ihre Freundschaft erworben. So fasse ich Sie denn bei'm Worte, und die erste Probe derselben sey die Gewährung der Bitte: werden Sie niemals irre an mir.«
Sie umfaßte bei diesen Worten Emilien mit [99] Zärtlichkeit, und eine lange Pause, die ihre gegenseitige Rührung ausfüllte, endigte dies Gespräch.
Emilie hatte Theodor versprochen, nach und nach Constanzens Meinung von ihm zu ergründen. Ihr Herz war durch die vorige Unterhaltung noch zu bewegt, um auf einen gleichgültigen Gegenstand übergehen zu können. Sie wollte also jetzt von Theodor anfangen, aber Constanze blieb, in halber Selbstvergessenheit versunken, seitwärts bei Alexanders Büste stehn, und verglich sie mit seinem Bilde, das von der hohen Wand herab auf sie beide lächelte.
»Die Werke der plastischen Kunst haben freilich den Vorzug, daß man sie von allen Seiten betrachten kann, sagte sie nach langem Schweigen; aber dennoch ziehe ich die Malerei unendlich vor, denn nicht allein in der Bestimmtheit der Umrisse – auch in den Farben – spricht die Macht der innigsten Erinnerung zu unserem Herzen. Sehen Sie selbst, Emilie! der kalte, leblose Marmor hat sich in die Form Ihres Freundes gefügt; es sind seine Züge, es ist seine Haltung, nicht wahr? Es ist der kühne Schwung des Nackens, den kein Joch jemals gebeugt hat, noch beugen wird – aber dies geisterbleiche Weiß gießt Schauer in jede freundliche Täuschung, und der Hauch des Todes scheint uns aus den leeren Augenhöhlen anzuwehen, denen das Seelenvolleste des Menschen: der Blick mangelt. –
Wie ganz anders ist es hier – fuhr sie fort, indem sie auf das Bild zeigte – hier, wo uns warmes volles Leben entgegen strahlt. Starr und [100] nichts sagend ist dort das Auge, und hier schließt er uns flammend den ganzen Himmel einer schönen Seele auf, und vertieft uns mit sich in die innere, reiche Gedankenfülle, die sich sinnend in ihm ausspricht.«
Emilie hörte etwas beunruhigt ihr zu. Es that ihr wohl, daß Constanze Alexanders Liebenswürdigkeit anerkannte, ohne ihn noch selbst gesehen zu haben – aber neben der leisen Sorge, wie erst sein wirklicher Anblick auf sie wirken werde, dünkte ihr, als hätten ihre Worte durch die gefühlvollste Modulation der Stimme noch gehoben, die zarte Gränze jener Maßigung überschritten, die, ihrer Meinung nach, dem weiblichen Lobe eines Fremden gebührte. Sie verbarg indeß ihr leises Mißbehagen, und suchte die Unterredung nach ihrem Vorsatz zu lenken.
»Auch ich, sagte sie, ziehe dieses Portrait allen übrigen Abbildungen Alexanders vor, weil es mir ihn so ganz und treu darstellt, daß mir nichts ihm gegenüber zu wünschen übrig bleibt, als allenfalls – seine Zurückkunft. Aber auch die Büste hält mich oft fest, wenn ich flüchtig an ihr vorüber streifen will, und selbst auf seinen einfachen Schattenriß ruhen meine Blicke mit Liebe. Denn jede Aehnlichkeit mit ihm,wo sie mir auch begegnet, zieht mich an, als wäre es seine eigene Nähe. So hat Theodor, außer seinem unverkennbaren eigenthümlichen Werth für mich noch das besondere Interesse, daß er seinem Bruder so auffallend gleicht.«
»Ja, er gleicht ihm, versetzte Constanze, aber [101] auch hier muß ich wieder den Einfluß bemerken, den der Zauber der Farbe auf die ersten Eindrücke hat, die wir empfangen. Denn sind es nicht dieselben Züge, die gleichwohl eine ganz andere Bedeutung so verschieden belebt? Dieses männlich gebräunte Colorit, dies in kunstloser Anmuth gelockte Haar, das, dunkel wie die Nacht, Alexanders Haupt umkränzt, diese ernste Tiefe in seinem schimmernden Blicke – läßt sie nicht auf Energie, Kraft und Kühnheit einer hohen Seele schließen, während bei Theodor das helle Blond seiner Locken, und seine blauen, sanften Augen ihm nicht den Charakter der Stärke, sondern der Milde, beinahe der Weiblichkeit verleihen?«
Emiliens Gesicht überzog eine brennende Röthe. Trübe Furcht verschob den dichten Flor der Zukunft, und die Tage ihrer Wiedervereinigung mit Alexander, nach denen sie sich oft so innig gesehnt hatte, schauten jetzt aus der Ferne, wie drohende Gespenster, sie an, und erfüllten sie mit Grauen. Ihr war, als flüsterte eine untrügliche Stimme, wie die Stimme ihres Schicksals ihr zu, daß sich eine Neigung zu ihrem Geliebten in Constanzens Seele bildete, und sie sah schon im Geist den glühenden Funken derselben, durch seine baldige Gegenwart, zu hohen, unauslöschlichen Flammen angefacht.
Sie fühlte zwar mitten unter den Beängstigungen dieses Gedankens, daß jetzt der Zeitpunkt nicht sey, zu Theodors Vortheil zu sprechen. Doch wenn eine innere Erschütterung uns aus dem Gleichgewichte bringt, verfehlen wir oft – selbst mit dem richtigsten Tacte im Busen – den Gegenstand, so [102] wie den Ton, der dem Augenblicke am angemessensten ist.
»Es sind nicht nur dieselben Physionomien, sagte sie, es ist auch dieselbe Seele, die aus den Zügen der beiden Brüder spricht, und ihre innige Verwandschaft verkündet. Daß sie anders, und weicher motivirt bei Theodor erscheint, beweißt noch nicht, daß es ihm an jener Energie fehlt, ohne welche Sanftmuth nur Charakterlosigkeit seyn würde. Und wüßten Sie, Constanze, mit welcher Herzenswärme er schon im ersten Momente von Ihrem Anblick sich ergriffen fühlte, wie er rastlos strebte, Sie aufzusuchen, um Sie wieder zu sehen, ehe wir noch glauben konnten, Ihre Bekanntschaft auf einem geraden, sicheren Wege machen zu dürfen, und welch eine Höhe sein Gefühl seitdem für sie erlangt hat, so schüchtern es sich auch verbirgt, Sie würden einsehen, daß Sie ihm Unrecht thaten, wenn Sie an der Kraft seines Gemüthes zweifelten, und – – um ihn für diesen lieblosen Verdacht zu entschädigen, der sich so wenig mit ihrer Güte und Billigkeit verträgt – würden Sie mir vergönnen, ihn in Ihrem Namen ein Wort der Aufmunterung, und der Hoffnung zu sagen.«
Wie zuweilen die ruhige Klarheit des Himmels sich plötzlich verdunkelt, so umwölkte ein Ausdruck von Trauer Constanzens Gesicht, während Emilie sprach.
»Es würde mir wehe thun, antwortete sie, wenn Theodors Wohlwollen, daß ich so arglos erwiedert habe, nur ein versteckter Anspruch auf eine [103] höhere Neigung wäre, die nicht in meiner Macht steht, ihm zu geben. Ich schätze ihn hoch. Sein reiner Sinn, sein klarer Verstand und seine freundliche Gefälligkeit, haben ihn mir werth gemacht, und gern möcht ich ihn unter meine Freunde zählen; aber die unendliche Welt voll Glück und Hoffnung, die sich einst in meinem Herzen bewegte, ging aus einer Liebe hervor, wie sie nur einmahl im Leben empfunden werden kann. Die finstere Kluft der Trennung hat sie verschlungen – doch ihr Abglanz blieb wie eine ewige Morgenröthe in mir zurück, und erklärt meine innere Existenz durch die Erinnerung, die an die Stelle des Genusses getreten ist. Aber sie trennt mich auch zu gleicher Zeit von dem Kreise der wirklichen Welt, und macht es mir unmöglich, irgend eine Hoffnung zu gestatten, die sich vielleicht auf meine Gegenliebe, und den Wunsch, mich zu besitzen, gründen könnte.«
Emilie athmete leichter, als sie diese Worte, im Tone des entschlossensten Ernstes ausgesprochen, vernahm. Ob sie gleich mit Schmerz in ihnen fand, daß Theodors sehnliches Verlangen umsonst sey, so lag doch für sie das tröstende Bekenntniß in ihnen, daß Constanze, tief durchdrungen von dem Verluste des geliebten Gemahls, jedem Gedanken an die Möglichkeit eines neuen Verhältnisses entsagt hatte, und daß daher ihre Aeußerungen über Alexander nicht der Ausdruck einer keimenden Liebe, sondern einer für alles Schöne und Große empfänglichen Seele waren.
Sie beschloß, Theodor noch in der glücklichen [104] Unwissenheit zu lassen, in der die Hoffnung mit goldenen Versprechungen ihm zur Seite stand, denn sie wußte ihm keinen Ersatz für das gestörte Glück derselben zu gewähren, so innig auch die Theilnahme ihrer Freundschaft an jeder guten oder bösen Laune seines Schicksals war. Auch erwartete er nicht mit stolzem Selbstvertrauen Constanzens Besitz schnell als den Preis der Liebe zu erhalten, die er so warm und zart im Innersten seines Herzens nährte; nur das Recht, sich um sie bewerben, und ihre Neigung verdienen zu dürfen, strebte er zu erringen, und der gränzenlose Raum der Zeit schien ihm von rosigen Schranken umbaut, wenn er in der Ferne nur die Möglichkeit erblickte, dereinst zum Lohne seiner treuen Anhänglichkeit die Geliebte zu erlangen. Daß es seiner beharrlichen Ausdauer gelingen werde, vielleicht einst Constanzens Gesinnungen zu ändern, bezweifelte Emilie um so weniger, da sie es wünschte, Daher beruhigte sie ihn, indem sie ihm bewies, daß es nothwendig sey, nichts zu übereilen, und jene entscheidende Erklärung aufzusparen, bis er mit Zuversicht glauben könne, sie günstig aufgenommen zu sehen.
Theodor unterwarf sich völlig ihrem Rathe, und es genügte ihm einstweilen, sich in Constanzens Umgang selig zu berauschen, und die leisen Eigenthümlichkeiten ihres Charakters zu studiren, um allmählich den Weg zu finden, auf dem das Wohlwollen, das sie ihm bewies, sich in Gegenliebe verwandeln ließ.
So vergingen einige Monate, und Constanze wurde immer einheimischer in dem Hause, so wie in der Familie Lohberg, als ein Brief Alexanders unverhofft[105] seine Zurückkunft ankündete. Welch einen fröhlichen Aufruhr erregte diese Nachricht nicht in Emiliens Herzen! In wenig Tagen sollte sie ihn wiedersehen, ihn, an dessen Bild sich alle ihre geheimen Wünsche, alle ihre verschwiegenen Forderungen an Lebensglück und Freude knüpften! Sehnsuchtsvoll schwebten ihre Gedanken wie Schmetterlinge um die mannigfaltigen Blumen der Zukunft, die ihr schon im Geiste lieblich dufteten, und ihre Fantasie schmückte den Augenblick ihrer Wiedervereinigung mit ihm durch all' den Zauber der Liebe, die aus dem Meere der Hoffnung ihren Glauben schöpft.
Verändert, neu belebt und muthig blühte jede vorher leise trauernde Empfindung in ihr wieder auf, und nur daß Constanze ihr fehlte in der Zeit des nahenden Genusses, sie, die im trüben Entbehren die Leere ihres Herzens so oft, so liebevoll gefüllt hatte – nur dies allein raubte dem Glücke, in dessen Fülle sie ahnend schwelgte, den Kranz der Vollkommenheit. Denn Constanze war krank, und mußte fast seit einer Woche schon das Zimmer hüten, ohne daß ihr Zustand sich zu bessern schien. Zwar umwölkte Rückkehr trüber Melancholie ihre Seele mehr, als physisches Leiden ihren Körper ermattete, aber sie erklärte sich für unfähig, auszugehen, und die Vorstellung, jetzt durch die Angelegenheiten ihres eigenen Herzens verhindert zu werden, ihr alles das zu seyn, was sie ihr so gern gewesen wäre, mischte einen trüben Schatten in die helle Aussicht der kommenden Tage.
Endlich schlug die Stunde, die Alexander nach[106] einer fast vierjährigen Abwesenheit in den Kreis der Seinen zurückführte. Freudig, und doch voll inneren Bebens, liebend, aber nicht ohne Verlegenheit, empfing ihn Emilie, und seine erste Begrüßung, durch die Gemüthsbewegung eines jeden wie in einem Rausche hingenommen, ließ sie noch zu keiner klaren Erkenntniß gelangen, ob sie eben so warm und treu in seiner Seele fortgelebt habe, als er in der ihren. Als er aber in den ruhigeren Stunden, die auf diesen Freudensturm folgten, nur die herzliche Theilnahme und Aufmerksamkeit des nahen Verwandten und Jugendgenossen, nicht die innigeren Ansprüche, zu denen der Bräutigam gegen die künftige Gefährtin seines Lebens berechtigt ist, ihr zeigte, glaubte ihr argloser Sinn die schüchterne Bescheidenheit, die in ihr selbst jede ihrer leisen Annäherungen verschleierte, nicht das Aufgeben dieser Ansprüche wahr zunehmen. Die brüderliche Innigkeit, durch die er ihr gleichsam einen Ersatz für höhere Gefühle zu bieten schien, dünkte ihr der Vorbote einer näheren Erklärung, und unbesorgt sah sie dem Augenblick entgegen, wo seine eigene Zusicherung ihre Hoffnung erfüllen, und ihn auf ewig zu dem Ihrigen weihen werde. Daß er viel ernster, in sich gekehrter von seiner Reise zurückgekommen war, befremdete sie allerdings, doch geneigt, alles in Gedanken hinweg zu räumen, was ihrem innigsten Wunsche in den Weg zu treten schien, hielt sie für die Reife eines seitdem männlicher gewordenen Charakters, was der Tiefsinn eines schmerzlich beschäftigten Gemüthes war.
Der Baron, der an Constanzens schwankender [107] Gesundheit den lebhaftesten Antheil nahm, und sie oft besuchte, fand es nöthig, ihr jetzt auch seinen ältesten Sohn vorzustellen. Alexander machte einige Schwierigkeiten, doch gab er den Gründen der Schicklichkeit nach, die sein Vater ihm entgegen setzte, und begleitete ihn zu der schönen Wittwe, auf deren Bekanntschaft ihn schon die günstige Beurtheilung eines jeden einzelnen Mitgliedes seiner Familie hätte neugierig machen müssen.
Gern wäre Emilie Zeugin dieser ersten Zusammenkunft gewesen, um zu beobachten, welchen Eindruck zwei so ausgezeichnete Menschen auf einander ma chen würden, aber ihr Oheim forderte sie nicht ausdrücklich auf, an diesem Besuche Theil zu nehmen, und sie war halb und halb unzufrieden mit sich selbst, da sie ihre innere Spannung für eine Regung unbefugter Eifersucht hielt. Deshalb bestrafte sie sich, indem sie ihren Wunsch unterdrückte; doch nicht ohne Beklemmung sah sie Vater und Sohn weggehen, nicht ohne ungeduldige Erwartung sie wiederkehren.
Sie war zu befangen, um nach Alexanders Urtheil über Constanzen zu forschen, aber leise dankte ihr Herz es Theodor, der diese Mühe übernahm, und als sie sah, wie er mit unverkennbarer Wärme sowohl ihrer Schönheit, als der Anmuth, die aus ihrem Geist und Gemüth hervorging, Gerechtigkeit wiederfahren ließ, erinnerte sie das tiefe Weh, das sie empfand, wie sehr sie Ursache hatte, auf diese Schwäche ihres Herzens aufmerksam zu seyn.
Mißvergnügt, und unentschieden, ob sie es mit[108] sich, oder mit Constanzens Vollkommenheiten war, suchte sie die Einsamkeit auf, sich die schmerzliche Unruhe zu verweisen, mit der schon die leise Ahnung sie erschütterte, der Geliebte könne fremden Werth tiefer empfinden, als ihren eigenen. Wenn es wäre – sagte sie zu sich selbst – wenn diese Bekanntschaft, in der ich durch den nie vorher gekannten Genuß der Freundschaft meines Glücks Vollendung sah, die Zerstörung desselben bewirkte – – was bliebe mir übrig zu thun, oder zu hoffen? – –
Sie fand keine Antwort in sich auf diese Frage. Trostlos schien es rings umher im Leben sich für sie zu verdunklen, und nur aus Constanzens ihr so fest scheinendem Charakter, aus ihren Aeßerungen, die auf eine, selbst noch den Manen ihres Gatten geweihte Treue schließen ließen, entwickelte sich ihr der Glaube, sie könne wohl zu rasch, wie andere hoffen, in ihrem Fürchten gewesen seyn.
Als sie Constanzen wieder sah, war ihre Absicht, freimüthig zu fragen, wie Alexander ihr gefallen habe, aber sie fand sie so niederschlagen, so erschöpft an Kraft, daß Theilnahme an diesem Zustande jedes andere Gefühl in ihr verdrängte, und bange Besorgniß um sie sich ihres Herzens bemächtigte.
Mit Zartheit, aber doch mit der ganzen Wärme ihres liebevoll um sie bekümmerten Gemüths drang sie in sie, ihr das Leiden anzuvertrauen, das so sichtbar an ihrem Inneren nagte. Constanze brach in Thränen aus. »Eine schwere Schuld, wiewohl unwissentlich mir aufgeladen, lastet auf meiner [109] Seele, antwortete sie. O Emilie, schonen Sie meiner, und forschen Sie nicht weiter. Jetzt erfreue ich mich noch Ihrer Liebe, Ihres Antheils – – wüßten sie das Geheimniß, unter dessen Bürde meine Lebensblüthe dahin welkt – ach vielleicht würde selbst der Schmerz Sie nicht mit mir versöhnen, mit dem begangenes Un recht sich an mir rächt.«
»Begangenes Unrecht, eine schwere Schuld – ein Geheimniß, an dem ihre Lebensblüthe dahin welkt« – diese Ausdrücke erregten Emiliens Erstaunen, aber zu gleicher Zeit auch ihr zärtliches Mitleid. »»Sie sind zu hart gegen sich, Constanze! sagte sie. Denn wie könnte dieses reine Herz eine andere, als unwissentliche Schuld tragen, wie sie so oft die unvermeidliche Folge menschlicher Irrthümer ist? Was als innerer Vorwurf Sie zu quälen scheint, ist gewiß nur eine leicht verzeihliche Schwäche. Ich ehre zwar die geheimnißvollen Schranken, mit denen Sie ihr Innerstes umbauen, aber richten Sie sich auf, geliebte Freundin! und beruhigen Sie Ihr Gemüth, sonst erstürmt sie meine zudringliche Liebe doch, und zwar einzig nur, um Sie zu trösten, und um Ihnen zu zeigen, daß Sie das Unrecht, dessen Sie sich anklagen, nur gegen Sich selbst begehen.« – Constanze drückte Emilien dankbar die Hand und schwieg.
Wenige Tage nachher befand sich Emilie in einem wenig besuchten Zimmer ihrer Tante, wo eine feine weibliche Arbeit sie aufmerksam und still in einer der durch lange seidene Gardinen umschleierten Fenstervertiefungen fest hielt. Die Thür öffnete sich, [110] und ihre Tante trat mit dem Arzte herein, der als vieljähriger Hausfreund fast täglich einzusprechen pflegte, und auch Constanzen bei ihrer jetzt erschütterten Gesundheit, von der Familie Lohberg empfohlen worden war.
»Nicht um meinetwillen wünschte ich Sie zu sprechen, lieber Doctor – sagte die Baronin – denn ich befinde mich wohl. Aber um einmahl recht offen und ausführlich ihre Meinung über unseren lieben Fremdling zu hören, bat ich Sie, zu mir zu kommen. Schon zu lange für unsere Wünsche, entbehren wir den Umgang der interessanten jungen Frau, und der sichtbare Verfall ihres Aeußeren, das von tiefen Leiden zeigt, macht mich recht ernstlich besorgt um sie.«
»Es freut mich, diese Besorgniß, wo nicht völlig heben, doch mindern zu können, antwortete der Doctor. Es hat, wie ich hoffe, nichts mit Frau von Brunnen zu sagen.«
»So gern ich diese Versicherung auch glaube, versetzte die Baronin, so widerspricht doch ihr bleiches Ansehen, ihre tief liegenden Augen, und ihr Nachttisch, mit Arzneigläsern besetzt, nur allzu sehr Ihrer freundlichen Behauptung.«
»O, die Arzneigläser sind bei weitem nicht so wichtig, wie sie aussehen, entgegnete er lächelnd, denn sie enthalten nur unschuldige, der Seele durch den Anschein körperliche Hülfe wohlthuende Mittel, die ohne diese Beruhigung, welche sie gewähren, recht gut ungebraucht bleiben können.«
»Was soll ich davon denken? erwiederte Frau [111] von Lohberg mit Erstaunen. Seit wann verordnen Sie Medirin, ohne die volle Ueberzeugung, daß sie nöthig ist? und wie kommt es, daß Sie, der sonst so theilnehmend das geringste Leiden lindert, jetzt so gleichgültig das Daseyn eines größeren ableugnen, das sich so wahr und rührend in dem ganzen Wesen der lieben Kranken ausspricht?«
»Als wir neulich, unterbrach sie der Doctor mit einem satyrischen Lächeln, in Ihrem Garten den jungen Apfelbaum bewunderten, der, mit Blüthen bedeckt, wie eine Morgenröthe glühte, freuten wir uns alle seiner Schönheit. Nach einigen Tagen fanden wir ihn verändert; die Blüthen waren abgefallen – nur noch durch seine Blätter geschmückt, stand er da, nicht mehr ein Bild des Frühlings, sondern eine Hoffnung des Herbstes.«
»Sie sprechen in Räthseln für mich, fiel ihn die Baronin halb ungeduldig ins Wort. Was soll der Apfelbaum, wenn ich hören will was Frau von Brunnen fehlt.«
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Räthsel löse, und mich dazu Ihrer eigenen Worte bediene, sprach der Doctor. ›Aus der abgefallenen Blüthe entwickelt sich die Frucht – das ist der Lauf der Natur.‹ – War dies nicht ihre Bemerkung, gnädige Frau, als Sie uns anderen über die so schnell verschwundene Blüthenpracht klagen hörten? Nun – ich wende diese Worte auf Frau von Brunnen an – der Keim eines neuen Lebens, der sich mir nach allen Umständen unter ihrem Herzen zu regen scheint, hat für jetzt die rosigen Wangen gebleicht, [112] und dem strahlenden Auge seinen Glanz genommen. Aber sie wird wieder aufblühen in Jugendfrische und neuer Kraft, wenn aus ihrer jetzt welkenden Blüthe die Frucht dem Lichte entgegen reift, die jetzt schmerzlich und ahnungsvoll ihren zarten Busen bewegt.«
»Was sagen Sie, Doctor!« rief die Baronin auf's tiefste erschüttert, indem sie, unfähig sich aufrecht zu erhalten, sich in einen Stuhl warf.
»Nichts weiter, als daß die Kränklichkeit der Frau von Brunnen in der Aussicht besteht, Mutter zu werden,« war die Antwort. Er rechnete ihr hierauf mit der ganzen Umsicht und dem Scharfsinne eines erfahrenen medicinischen Beobachters eine Menge Kennzeichen vor, die seine Vermuthungen bestätigten, fügte ihr muthloses Hingeben in die Unbehaglichkeiten ihres Zustandes, ihr Schweigen auf manche seiner Fragen, ihr stummes Erröthen bei seinen, leise ihr durch Anspielungen verrathenen Beschuldigungen hinzu, und die Baronin fand keine Gründe ihm entgegen zu setzen, als ihren festen Glauben an Constanzens Sittenreinheit, den schon fast Jahre langen Tod ihres Gemahls, und die innige Liebe, mit der sein Bild noch in ihrem Andenken zu leben, und daher sie eben so mächtig, als die Unschuld, deren Abglanz ihr ganzes Wesen umstrahlte, für jeden Fehltritt auf der gewiß unbefleckten Bahn des Lebens zu schützen schien.
Der Doctor wurde abgerufen – die Baronin entfernte sich mir ihm, und halb erstarrt von der schrecklichen Neuigkeit, die sie im gleichen Grade heftig fürchtete, und wiederum bezweifelte, kam Emilie [113] aus ihrem Schlupfwinkel hervor, sich im Nachsinnen zu verlieren: ob es möglich sey, oder nicht.
Sie konnte es nicht über sich gewinnen, Constanze wieder zu sehen, ehe sie mit sich selbst einig geworden war, ob sie über das Gehörte schweigen, oder sich durch eine offene Erklärung Berichtigung der wie eine bange Ahnung in ihr Gemüth gedrungenen Vermuthung, verschaffen wolle. Endlich – bei der Offenheit ihres Herzens, das nicht gewohnt war, seine tiefsten Bewegungen zu verhehlen – erschien es ihr als heilige Pflicht, keinen erniedrigenden Verdacht gegen ihre Freundin in ihrem Gemüthe zu dulden, und betrübt, daß eine solche Unterredung nöthig war, doch noch voll Glauben, daß sie sich rühmlich für Constanzen enden werde, ging sie zu ihr.
Sie fand sie auf ihrem Sopha liegend, bleich, an Kräften erschöpft, das matte Auge von einer rührenden Wehmuth umwölkt, doch, wie immer, ein freundliches Willkommen ihr entgegen blickend. Sie legte ein Buch neben sich nieder, in dem sie geblättert hatte. Es waren Schillers Gedichte.
Verlegen um einen Faden, an den das, was sie sagen wollte, sich leicht und natürlich knüpfen könne, ergriff Emilie nach den ersten Begrüßungen das Buch, und der Zufall ließ sie – die Kindesmörderin aufschlagen.
Sie las einige Strophen laut, und mit bewegtem Gemüth, doch dann unwillkührlich von einem Schauer ergriffen, legte sie es weg, und sagte sehr erschüttert: »Unter allen Schicksalen, die das weibliche [114] Daseyn physich und moralisch zu untergraben im Stande sind, ist meinem Mitgefühle immer das Loos einer Kindesmörderin das schrecklichste gewesen. Wenn ich bedenke, welch ein Grad von Verzweiflung dazu gehören muß, die sanfte Empfindung zu vernichten, die die Natur in den Busen jeder Mutter für ihr Kind gepflanzt hat; welch' einen entsetzlichen Abschied auf ewig von dem Gebiete der Hoffnung und des Glückes es verkündet, wenn sie selbst mit zitternden Händen die Knospe vernichtet, aus der, durch eine gesetzliche Verbindung geheiligt, nur erhöhte Wonne ihres Lebens sich entfalten würde, o dann muß ich die Unglücklichen bedauern, die als Opfer eines gränzenlosen Jammers sich selbst und ihre bessere Existenz in dem ihnen anvertrauten Pfande zerstören, wenn auch mein Innerstes vor ihrem Fehltritt zurückbebt.«
»Ich halte den Seelenzustand, der zu einem solchen Schritte führt, stets für eine Art von Wahnsinn, antwortete Constanze, aber sie haben Recht, Emilie, die Verzweiflung muß gräßlich seyn, aus der er seinen Ursprung nimmt.«
»Und bis der Schmerz diesen Gipfel erreicht, fuhr Emilie fort, bis jede Hoffnung erlöscht, die so lange wie möglich in der menschlichen Brust sich erhält – bis jede Aussicht verschwindet, und keine andere mehr sich öffnet, als die in eine unabsehbare Hölle des Elends, wo Schande und Verachtung wie Furien dem unglücklichen Schlachtopfer entgegengrinsen – ach bis dahin, wo endlich der letzte, schreckliche Entschluß in der zerrissenen Seele reift[115] – – welche Ewigkeit von Quaal ist wohl in einem solchen Zeitraume enthalten?«
»Ja, unterbrach sie Constanze, keinem männlichen Loose, wie verzweifelt es auch sey, ist wohl noch je ein so unendlicher Jammer gefallen.«
»Daß die Meinung auch so unbarmherzig richtet, sprach Emilie weiter. In einem Zustande, den bange Ahnung und körperliche Leiden gleich beunruhigend machen, den Trost der Liebe, die Theilnahme der Freundschaft entbehren zu müssen; in trostloser Verschlossenheit der Entwickelung seines fürchterlichen Geheimnisses entgegen zu gehen, und kein Ziel vor Augen zu haben, wo Erleichterung der Lohn namenloser Sorgen würde – o es ist zu viel, zu viel für die zarten Nerven, und die reizbaren Gefühle eines Weibes!«
Constanzens schönes Gesicht wurde bleicher und bleicher. »Nicht die Gefallenen allein, sagte sie, leeren den bitteren Kelch, den Sie da schildern. O Emilie, die Stunde ist gekommen, in der ich Ihnen mein ganzes Herz aufschließen muß. In Ihren Händen liege denn die Entscheidung meines künftigen Schicksals.«
»Was werd' ich hören müssen!« rief Emilie aus.
Mit der ganzen Würde der Unschuld, verschmolzen mit jener Demuth, die selbst unwissenlich begangene Fehler mit Reue büßt, richtete Constanze sich empor.
»Sie sehen in mir, sagte sie, nicht die Wittwe, sondern die Vermählte des Mannes, der meine [116] erste Liebe war, und ewig meine einzige bleiben wird. Frühzeitig wurde ich zur Waise, und lebte, unter dem Schutze eines Vormundes, der mich väterlich liebte, die fröhlichen, unbefangenen Jahre der ersten Jugend dahin. Mehrere Männer warben um meine Hand, und manchem hätte mein Vormund gern mich gegeben, doch für keinen sprach meine Neigung, und er verhieß meinem Herzen eine freie Wahl mit dem einzigen Vorbehalte, daß seine Vernunft sie billigen müsse.
Da, Emilie! erschien der Augenblick, der mächtig und entscheidend in mein Daseyn eingriff. Ein Verwandter meines Vormundes berührte auf einer Reise, auch Wien. Er wollte einige Tage bei uns zubringen – es wurden Monate daraus. Als ein freier fessellosser Jüngling nahte er sich mir zuerst, um bald als mein Gemahl sich und mir die süßen Fesseln der Liebe zu schmieden.
Wenn ich der seligen Zeit gedenke, die wie eine aufgehende Sonne damahls meinen Lebensfrühling zu vergolden schien – wenn ich die süße Sicherheit mir zurückrufe, in der ich nun mein Schicksal befestigt glaubte – das dankbare Gefühl gegen Gott, den ruhigen Hafen meiner Bestimmung erreicht, ohne noch vorher die Stürme des offenen Meeres gekannt zu haben – ach – dann möcht' ich diese Träume zurückfordern, um mich von neuen ihrer holden Täuschung hinzugeben!
Nicht lange dauerte sie, als eine bittere Wirklichkeit sie verdrängte. Denn als ich einst zärtlich nach der Familie meines Gatten forschte, als ich [117] mit Innigkeit in ihn drang, sie mir alle zu schildern, die durch Bande des Blutes und der Liebe seinem Herzen eng verbunden waren, und denen auch ich anzugehören hoffte, da gestand er mir, daß er ohne Wissen der Seinigen mir seine Hand gereicht – ja daß sogar eine von ihm gewählte Braut Rechte auf seinen Besitz gehabt habe, und noch zu haben glaube, da er über seine Verbindung mit mir das größte Geheimniß in seinen Briefen beobachtet – ja um seine Verwandten über seinen langen Aufenthalt an einem Orte zu täuschen sie aus Florenz, Rom und Neapel datirt, und die meinigen, durch die ich kindlich mich ihnen zu nähern strebte, alle unterschlagen habe.
Auch meinem Vormund hatte er auf eine ähnliche listige Weise seine eigentliche Verhältnisse verborgen, und späterhin jede schriftliche Mittheilung desselben an die Seinigen unterdrückt. Mit mir zugleich erfuhr auch er, daß es der Verlobte eines Anderen gewesen war, der es wagte, mir die Hand zum ewigen Bunde zu reichen.
Lassen Sie mich schweigen, Emilie! von dem Schrecken, der mich faßte. Hätte ich Kirchenraub mir angeeignet im unwissentlichen Frevel – ich wäre nicht entsetzlicher vor mir selbst zurückgebebt, als jetzt, wo ich fand, daß das Glück, in dem ich mich so beneidenswerth und reich gefühlt, ein unrechtmäßiger Besitz, und mir vom Himmel eigentlich nicht bestimmt war. O hätte die so unverdient Hintergangene, die sich wohl noch in den goldensten Träumen der Hoffnung wiegte, als diese Hoffnung schon [118] zerstört war – hätte sie meinen Schmerz, meine Verzweiflung gesehen, sie würde mir vergeben haben, daß ich als unschuldiges Werkzeug berufen wurde, ihr Glück zu vernichten.
Doch sobald ich dies traurige Geheimniß erfahren, und nur einigermaaßen so viel Fassung, als zum Handeln nöthig ist, errungen hatte, beschloß ich, durch eine freiwillige Buße den Himmel und die Betrogene zu versöhnen.
Nur dann, sprach ich zu meinen Gemahl, wenn es mir gelingt, das Vertrauen Deiner Verlobten zu gewinnen, und mit diesem Vertrauen den Muth, ihr zu gestehen, das ich in ihre Rechte trat, nur dann, wenn die Deinigen mir vergönnen, den Namen zu führen, den Dein Unrecht mir gegeben hat – nur dann bin ich wieder Dein, denn nicht mehr ein Raub, sondern geläutert und geheiligt ist dann mein Glück.
Vergebens bemühte sich mein Mann, mein aufgeregtes Gemüth zu beruhigen, und die Zweifel meines Gewissens durch die ganze Fülle seiner Liebe zu lösen; vergebens redete auch mein Vormund, von allem unterrichtet, mir zu, und bot sich zum Vermittler des nun einmahl Geschehenen an: ich nahm keine andere Einmischung an, als einen Empfehlungsbrief, der mir unter einem anderen Namen Zutritt zu der Familie meines Gatten verschaffte. Denn ich fühlte, daß die Ruhe meines Herzens nur aus dem Entsagen meines Himmels hervorgehen könne, und daß in diesen Himmel mich nur die Einwilligung [119] der getäuschten Braut, und der Eltern meines Mannes zurückführen dürfe.«
Mit gespannter Aufmerksamkeit, die zuletzt fast dem Erstarren glich, hatte Emilie zugehört; doch kein Laut ihrer immer bleicher werdenden Lippen unterbrach die Sprechende. Als aber Constanze, in Thränen zerfließend, sich aufraffte, plötzlich vor ihr niedersank, und ihre Knie umfassend ausrief: »O Emilie, vergieb mir! vergieb, daß Alexander mein Gemahl ist! vergieb es um des unschuldigen Kindes willen, das ich von ihm unter meinem Herzen trage.« Da umhüllte eine tiefe Ohnmacht ihr Auge, und entzog sie auf eine Zeitlang dem schrecklichen Erkennen ihres Schicksals.
Als sie wieder zu sich kam, waren Stunden verflossen; sie lag auf Constanzens Ruhebett, ihre Familie um sie her versammelt, und vor ihr knieend Alexander neben seiner Gattin, die in der Demuth ihres Schmerzens einer Heiligen glich. Die Nachricht, daß das Fräulein erkrankt sey, hatte sich bei der langen Dauer ihrer Bewustlosigkeit verbreitet, und besorgt um den gemeinschaftlichen Liebling des Hauses, waren ihre Verwandte herbei geeilt, sich von ihrem Zustande zu überzeugen.
Ihr erster Blick ruhte lange auf Alexander, der tief beschämt das Auge senkte, und die glühende Wange von ihr abwandte. Ruhiger begegnete Constanze, durch ihr Geständniß erleichtert, diesem Blicke, der nach einigen Momenten, von Thränen geschwellt, sich empor hob, als wolle er von oben herab Linderung ihres Schmerzes, und Kraft erflehen. Gewährung [120] dieser stummen Bitte schien sie zu stärken; sie richtete sich auf, faßte die Hand des so treu und heiß Geliebten, und führte ihn hin zu seinen Eltern, die ahnungsvoll, doch noch ununterrichtet, einer sonderbaren Crisis aller Verhältnisse entgegen sahen.
»Von Ihrem Seegen begleitet, sprach sie zu ihrem Oheim, sollte ich einst diese Hand empfangen, um freudig an ihr durchs Leben zu gehen; mir zum Eigenthum geweiht durch Ihre Liebe, Ihr Zutrauen zu mir, war Alexander längst, nicht wahr, mein zweiter Vater?
O dieser Seegen, fuhr sie fort, als der Baron schweigend ihre Fragen bejahte, dieser Segen, den sie mir versprachen, gehe über auf ein anderes Haupt, näher Ihrem Alexander, als das meine.« Sie winkte Constanzen herbei, welche niederknieete, ihr Gesicht verhüllend. »Hier zu Ihren Füßen, sprach sie weiter, liegt seine Gattin, die Mutter seines Kindes, die reine, würdige Gefährtin seiner Vergangenheit und seiner Zukunft, und fleht um Elternliebe, um Aufnahme in den Familienkreis, den sie schmücken wird – um Verzeihung für Alexander, der ihr verschwieg, daß Ihre Wünsche ihm ein anderes Loos bestimmten.«
Die Wirkung dieser Erklärung auf die Gemüther der Anwesenden läßt sich nur fühlen, nicht schildern. Lange noch empfand Alexander im leisen Vorwurfe, der für ihn in der stillen Zurückgezogenheit der Seinigen von ihm lag, die gerechte Strafe seiner Verstellung; und wenn sie auch Constanzen, der Billigkeit gemäß, um ihrer Liebenswürdigkeit [121] und Unschuld willen, zärtich als Tochter aufnahmen, so konnten sie doch nur schwer vergessen, daß dieser Platz Emilien gebührt hatte, die durch die heroische Kraft, mit der sie ihren Schmerz trug, immer klarer bewies, wie werth sie der würdigsten Auszeichnung gewesen sey.
Ob die alles lindernde Zeit auch ihr endlich den heilenden Balsam reichte, der so manche blutende Wunde schon schloß, ob die Gleichheit ihrer Schicksale, ob Achtung und Vertrauen – die so oft die schönen Stufen sind, die zu wahrer Liebe führen – ihr, wenn auch erst spät, in Theodor, und Theodor in ihr einen Ersatz für zertrümmerte Hoffnungen finden ließen: darüber schweigen meine Nachrichten; doch habe ich alle Ursache es zu vermuthen.
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