Angenehme Reise-Eindrücke

Gmunden.

Abends sah ich im Café einen Gmundener mit seinem Hunde. Der Hund blickte den Herrn mit ungeheurer Zärtlichkeit an. Es war schon eine krankhafte, übertriebene Zärtlichkeit, eine hysterische. Dennoch war es dem Hunde schrecklich, es nur so wenig ausdrücken zu können. Er legte daher die Pfote auf das Knie des Herrn. Aber noch immer sagte sein Blick, dass er noch viel, viel mehr zu vergeben hätte an Liebe, es einfach nicht anbringen könne! Dieser Gmundener Bürger muss wirklich schrecklich lächeln, wenn er im Winter die Wiener Theater-Berichte liest und so, die Attractionen der Metropole, Ronacher, Nachmittags-Concerte, Sarasate kommt, die Landi kommt, Kainz, Kainz, Kainz. Und andere Sachen. Der Hund liegt jetzt da, hingedrückt an den Boden, schielt hin, hinauf; der Herr sitzt friedevoll, raucht. Wunderbares Thier, edelster Geber, Geber! Nichts nimmst du dem weg, den du liebst, giebst ihm, lässest ihn sich selber, seinem Frieden!

Auf eine Ansichtskarte »Blumencorso in Gmunden« schrieb ich geärgert: »Aber den Menschen genügt [253] nicht die stille Natur. Sie müssen lärmende Feste feiern!!« Dieses schickte ich an ein ganz junges Mädchen, um sie zu warnen. Aber die Mama sagte: »Dieser Altenberg ist ein komischer Mensch. Was möchte er denn eigentlich!?« Eine Dame, welche immer mit dem Rücken gegen den See sass, als wenn sie auf ihn böse wäre, sagte: »Er ist nur für reifere Menschen. Denen kann er wenigstens nicht schaden!«

»Nein,« sagte ein Mädchen, »er befreit uns – –.« »Bitte, bitte, Stephanie, rede nicht in alles mit, bitte, ja, bitte – – –!«

Die reifen Menschen, welchen man nicht mehr schaden konnte, besprachen dann verschiedene unaufschiebbare Dinge, besonders das »Einem über den Kopf wachsen« der Kinder, während die Töchter schwimmen gingen und sich schreckliche Anecdoten mittheilten.


Ich kam nach Hallstatt.

Dieser Ort zwingt die Curgäste, sich auf ihn zu stimmen. Sie organisieren sich, werden Hallstätter, See-Anwohner, Primitive! Gar nichts Gekünsteltes ist dabei wie an anderen Orten. In Hallstatt könnte man keine Gespräche führen über Ibsen, die Tetralogie, könnte keine seidenen Unterröcke tragen oder englisch rudern. Stehend rudern die Jünglinge und die alten Herren und führen auf Plätten langsam die Mädchen, welche auf Bänkchen hocken. Ruhig, langsam, bedächtig rudert man die lieblichen Bauerndirnen [254] aus Wien am Hotel vorüber, gleichsam den fremden Gästen mittheilend: »Siehe! So leben wir hier – – –!« Hinter dem kleinen Garten entschwinden die alten Boote lautlos.

Hier organisieren sich die Cultivierten zum Primitiven, während sie sonst es sich aufpfropfen, sich blamieren. In Hallstatt regnete, regnete, regnete es. Die Wolken flossen zu einem Nebelmeere auseinander. Auf dem See lagen Duck-Enten und beim Hotel Papiere und grüner Schlamm und mehrere Bretter. Es war Feiertag. Auf einer Plätte fuhr eine nasse Bauernfamilie ganz bedächtig dahin. Eine Dame sagte: »Die reden niemals miteinander – – –!«

Gott, reden, reden!?

Lenau sprach nie über die Puszta. Endlich aber sprach er sich darüber aus, in einem Liede!

Aber wir sagen: »Die Puszta! Kennen Sie die Puszta?! O, die Puszta!« Und dann stockt es in uns vor lauter Herausbringenwollen. Der Bauer aber ist concentriert, giebt sich nicht aus, macht keine faden Versuche, kann sich nicht selbst auspumpen. Er hat latente Concentrationen. Hie und da explodiert es, gegen seinen Willen, in einem Juchezer, einem Mordsrausche. Sehr viel Aehnlichkeit hat er mit dem Genie. Er glotzt, glotzt, glotzt, lässt sich brachliegen. Plötzlich blitzt es, schlägt ein vor überschüssigen aufgehäuften Spannkräften.

Aber Ihr, Verzetteler!?!

[255] Goisern.

Abends promenierte ich auf der Landstrasse. Rechts und links weite umzäunte Wiesen und Villen mit Holz-Veranden. Auf den Veranden waren Menschen mit der Sommer-Patina auf dem Antlitz, in lichten Gewändern, um Tische herum, auf welchen weisse Petroleumlampen brannten. Ein junges Mädchen sass abseits, dehnte und streckte sich vor Langeweile. Riesige Holzbirnbäume standen schwarz und feucht da. Einmal hörte ich sagen: »Hat jeder drei Karten?! Bitte, Hilda, einzahlen. Spiele mit oder spiele nicht mit! Ja?« Die Mutter sagte: »Lasset die Träumerin!« Aus den Küchen der Landhäuser kam Souper-Duft in die blatt-moderige feuchte Abendluft hinein. Heute sind Schnitzel! Adieu; ich empfehle mich; gebet acht auf der steilen Treppe;

no, Carl, aber, was ist denn das?! – – – –.«

Ich promenierte auf der Landstrasse. Es wurde dunkel. Feuchte kalte Düfte kamen. Irgendwo musste sogar Schnee gefallen sein. Die Veranden wurden finster, die Zimmer hell. Ich promenierte auf der Landstrasse, zwischen weiten umzäunten Wiesen – – – – –.

[256]

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Angenehme Reise-Eindrücke. Angenehme Reise-Eindrücke. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DA34-8