Walküre

Sie sass da, auf dem rothen kleinen Sammet- Sitze, in der Oper, in einem ganz schlichten aber schweren seidenen schwarzen Kleide, welches ohne Falten und Büge gleichsam in zwei Abtheilungen fiel, als ob darunter sich nichts befände als zwei schlanke Beine. Eine schwere goldene Kette, gedrehte Arbeit wie Hanf-Schnur, um den Hals zum Gürtel hinab. Wie in einer Leere sass sie, in einem Hohlraume von Musik, ganz unbedächtig, Tonwellen an sich vorübergleiten lassend wie ein Wanderer an einem müden Strome Stromeswellen. Fahret dahin! So sass sie, gleichsam ausruhend, in Frieden, auf dem kleinen Sammet-Sitze. Aber plötzlich sagte Frau Paulina Dönges-Siegelinde: »Dieser Heerd und ich sind Herren Hunding zu eigen!«

Wie die Kreideperiode der Seele ist es: »Ich bin zu eigen!!«

»Ich bin zu eigen – – –« fühlte die Dame.

Stille. Schweigen. Sammlung – – –.

Aber plötzlich ertönen die Silber-Posaunen der Seele, welche die Mauern Jericho's in Trümmer legen, und Siegelinde feierte innere Siege und wusste, dass[235] sie nun niemandem mehr zu eigen sei als ihrer eigenen Seele!! Da lächelte sie – – –. »Sieg-Mund!«

Die Dame in schwarzer Seide horchte auf –. Sie rückte ein wenig wie verlegen auf ihrem Sammet-Sitze.

Dunkel war es in des dunklen Herren Hunding dunklem Gemache – – –. Da ging die dunkle Thüre auf und die Frühlingsnacht hellte herein. Die Dame fühlte: »So gehen Thüren auf und Frühlingsnächte hellen herein??!«

Ja, so!

Dann kam das Wort aus Siegmunds Herzen in das Herz Sieglindes; »Schwester – Geliebte – –!«

»Oh – –« machten viele Zuhörer in ihrem Innern, »was ist das?!« Dann dachten sie; »Nun freilich, in der Musik ertrinkt es, Gott sei Dank,« – –

Die Dame betete innerlich: »Richard Wagner! Mein Gott! Ich höre Dich! Wie einfach ist es! Wie evangelisch! Jawohl, der brüderlichste Bruder seiner Frau sein! Das ist es. Die schwesterlichste Schwester seines Geliebten! Was braucht man da zu grübeln?! So ist es. Amen – – –.«

Gleich hüllte sie sich wieder ein, verliess die Kirche ihrer Seele. Dann kamen wieder Tonwellen, die vorüberglitten wie Stromeswellen an müdem Wanderer, vorbei – – –. Furchtbares Getöse. Des Schwertes Nothung Knauf erglüht. Was kümmert sie das Schwert und sein Erglühen?! Sie hört das Wort: »Schwester – – Geliebte!!«

[236]

Blut-Schande?! Nein, Blut-Ehre! Schwesterlich geliebte! Was kümmert sie das Schwert?! Der Vorhang fällt – – –.

Zehn Minuten Pause.

Der Gatte brachte Nüsse in Kaffee- Crême eingeschlossen.

Zweiter Act; Tonwellen, Wellen, Brandung, Wirbel, Schäumen, Gebrause, Gischt, Rückstauungen, Auflösung, Friede, Hingleiten ohne Hindernisse –. Und Bedrängnis! Und wieder Friede – – –.

Dann sagte Frau Sedelmayr-Walküre deutlich zu Wotan: »Dein Wille nur bin ich! Sonst nichts. Deine verwandteste Verwandte! Der ›Weib gewordene‹ Wille deiner selbst! Und darum göttlich, weil dein Gott in dir, dein besseres Selbst! Ausserhalb irdischer Weiblichkeiten, die Mannes-Willen schwächen und bekämpfen! Dein wahrster innerlichster Wille bin ich. Das was Du wünschest ohne es zu wünschen, wie wenn der Knabe Goethe wünschte, den zweiten Theil des ›Faust‹ bereits zu dichten! Dein tiefstes Selbst, in Dir gefesselt und vielleicht verrammelt, halb gestorben, Dein Selbst in Dir, entrückt dem Tages-Sehnen und der Tages-Hoffnung, Dein Ich, erlöst vom Ich, bin Ich!!«

Die Dame fühlte: »So soll es sein! Sein wahrster innerster Wille müssen wir dem Manne sein, entrückt dem Tages-Sehnen [237] und dem Stunden-Wun sche! Nicht seiner Wünsche nächtliche Leidenschaft! Nicht seines Tagesphlegma Schützerinnen! Nein! Der Wille seiner eigenen Ewigkeiten!! Der Wille seiner Seele, den er selbst im Drange der Geschäftigkeiten missachtete und überhörte, der heilige unentrinnbare Gotteswille in ihm selbst, »Ganzer« zu werden aus seinen Halbheiten, Wal-Küren, wählend, kührend gegen ihn selbst, den Irrenden, den Müden! Führende, wie Führer im Gebirge, für kargen Taglohn, unverdrossen zum Wege seiner Kraft und seiner Gipfel! Wir aber sind noch nicht die trauten Schwestern, noch nicht Walküren, wir sind – – – Geliebte!«

Dann versank sie wieder auf ihrem schmalen rothen Sammet-Sitze. Tonwellen kamen, wie Wasser, die über grosse, runde Steine rauschen, böse über die Störung ihres Laufes und dann vergurgelnd, in sich kehrend, allmählich sich beruhigend über die Störungen der runden Steine und ihre düsteren Wasser-Falten glättend und in Sonne schimmernd –. So hörte sie Musik. Jedoch die Dichtung?! Diese war Musik. Verständlichkeit in Unverständlichkeiten! Und die Walküre verkündigte dem Helden seinen nahen Tod und hehre Auferstehungen in Walhall! In des Helden Schoosse aber ruhte seine Schwester, sein Weib, die entführte Gattin Hundings, Siegelinde, [238] welche noch »irdische Lüfte« athmen musste. Und er sagte ruhig zur Walküre: »Nein! Grüsse mir Wotan! Grüsse mir Walhall! Grüsse mir Ehre und Ruhm und alle Seligkeiten! Ich bleibe – – – bei meinem Weibe!!«

Das seidene schwarze einfache Kleid der Dame erbebte und die goldene Kette schimmerte ein wenig. Aber sie rückte nicht auf ihrem Sammet-Sitze. Und die Walküre mit dem unirdischen Herzen hielt inne.

Dann sagte sie sanft: »Dieses armseligen blassen elenden schwangeren Geschöpfes wegen gäbest Du die Seligkeiten Walhall's auf?!«

»Ja, deshalb – – –.«

Die Dame in schwarzer Seide neigte das Haupt zu ihrem Textbuche. Tonwellen kamen und verrauschten – – –. Schreckliche Kämpfe im Gebirge gab es und die Helden fielen.

Der Vorhang senkte sich.

Der Gatte dachte: »Eine wunderbare Frau habe ich. In solchen Momenten erst spürt man es. Wirklich ein höheres Wesen. Freilich, im Tages-Leben?! Jetzt aber spüre ich, was ich an ihr habe. Bei Wagner müsste sie immer sein. Allein geht es?! Forellen im Küchenschaffe. Ich selber möchte sie dorthin stellen, in Bäche. Allein es geht nicht –.«

Dritter Act.

Furchtbares Gebrause. Grässliche Regengüsse auf Oceane schäumender Wellenkämme. Was kümmert es die Dame?! Tobt euch aus! dann kommt Sieglinde,[239] Hundings Gattin und des erschlagenen Sieg-Mund Weib und Schwester. Nach Walhall musste er!

Mit herabhängenden Armen steht sie da, will sterben.

Da verkündet ihr die herrliche freundschaftliche Walküre: »In Deinem Schoosse, Weib, lebt Sieg-Mund. Lebe, auf dass er lebe! Seines gestorbenen Seins Erweckerin bist Du! Nie stirbt ein Mann, der mit der schwesterlichen Geliebten, der zweiten Form des eigenen Ich, sich selbst erzeugt zum Sohne! Auferstehung seiner selbst feiert er! Und zeugt, jedoch nur hier, ein Licht aus seinem Dunkel«

Die Dame fühlte: »Jeder Mensch kann zeugen ein Licht aus seinem Dunkel, wenn ein Brüderlicher Eine findet, die schwesterlich! Einen Sieg-Fried zeugen! Doch unsere Knaben?!«

Und Sieglinde, die sterben wollte, will nun leben! Auf dass er lebe, Sieg – Mund, der brüderlichste Gatte, der erschlagene Held. In ihrem armen Schoosse trägt sie ihn, sein zweites höheres Leben, seinen Sohn! Sieglinde will leben, um Siegmund zu gebären zu seinem höchsten Sein, zu Siegmunds Sohn!! Das sind des Weibes Wünsche! Und sie flüchtet ins Dickicht, zu leben, zu sterben, zu gebären – – –.

Hier schloss die Dame in schwarzer Seide das Textbuch und öffnete es nicht wieder [240] Tonwellen kamen und verrauschten – – –.

Viele Zuhörer fanden den »Feuerzauber« göttlich und wurden ganz gepackt. Zu ihrer Melodie kamen sie endlich, die sie fassen konnten. Jedoch die Dame blieb kalt. Denn sie vernahm das Unvernehmbare! Vernehmbares lässt kalt. Wie wenn man sagte: zwei und drei macht fünf.

Wie wenn sie nicht mehr vorhanden wäre, war die Dame, und Sieglinden gefolgt wäre ins Dickicht, um zu sterben, zu gebären den Siegmunds-Sohn! Mit dieser bleichen Frau ging sie dahin – – –.

Tonwellen kamen und verrauschten – – –.

Ende – – –.

[241]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Walküre. Walküre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DA3B-9