Die traurige Bürgerliche
Ich sagte zu Fräulein K.: »Frauen verstehen es zu wenig, ihre brachliegenden Seelenkräfte einfach für Tierattachements zu verwenden, die überschüssigen inneren Liebesfähigkeiten an edlen Hündchen oder Vögelchen ausleben zu lassen!«
Sogleich kamen ihr Tränen in die Augen.
»Nie kann es auf Erden eine zärtlichere Beziehung gegeben haben als zwischen mir und meinem Kanarienvogel. Sechs Jahre lang war es eine unerschöpfliche Zärtlichkeit, Sehnsucht und Beglückung. Er war nicht wie ein Mensch – – – denn Menschen sind nicht so! Alles an ihm war jauchzende Freundschaft und der Süßeste überbot sich in Beweisen und Beweisen seiner allerzartesten Zuneigung. Er konnte sich nie genug leisten, überpurzelte sich in Liebesbeweisen. Bei den Mahlzeiten lag er am Fußboden auf dem Saum meines Kleides, am Rücken, um ununterbrochen zu mir aufschauen zu können. Ich blickte hinab während des Essens, immer sah ich sein treues Auge auf mich gerichtet. Eines Abends, beim Nachtmahle, wollte mir meine Mutter rasch etwas ins Ohr flüstern, näherte sich meinem Sitze und zertrat ihn – – –.«
Pause.
»Ich werde nie heiraten«, sagte sie dann sanft.
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