Gerichts-Verhandlung

»In welchem Zustande befand er sich denn damals?!« sagte man. »Schrecklich, etwa Absynth?!?«

Durchaus nicht. Der Vertheidiger konnte keinerlei Entschuldigungen aushecken. Er sagte blos einige unangenehme Dinge über die Constitution seines Clienten.

»Nun,« sagte der Richter zu Herrn Serr, »wünschen Sie noch etwas vorzubringen?!?«

Während dessen sass Lisabeta auf der Zeugenbank, in einem wunderbaren seidenen Kleide. Ihre rothbraunen Haare schimmerten und im Auditorium sassen Viele, welche Herrn Serr ziemlich beneideten darum, dass er Lisabeta eines Abends auf dem Spaziergange im Walde brutalisirt habe.

Einer nur sass ganz bleich im Auditorium da, tief krank, rechtete gleichsam mit dem Schicksale, begehrte auf..: »Serr, ich fordere Sie vor meine Klinge, Sie Schuft!«

Herr Serr aber erhob sich auf die Frage des Richters.

»Ich habe zu sagen! Drei Jahre vor diesem Ereignisse sassen Lisabeta und ich einmal nebeneinander bei einem Souper. Da berührten meine [316] Kniee die ihrigen. Sie liess es zu, gab nach, machte mich seelig. Meine Kniee und die ihrigen vermählten sich, feierten Hochzeit!«

Der Richter: »Sie sahen aber das Fräulein nicht wieder seit damals, bis zu dem Tage des Verbrechens!?«

Serr: »Ich sah Lisabeta nicht wieder bis zu dem Tage des Ereignisses. Von jenem Zeitpunkte an jedoch, welchen ich erwähnte, waren die latenten Spannkräfte meines Nervensystemes – – – –«

Der Richter: »Lassen wir die latenten Spannkräfte Ihres Nervensystemes – – –.«

Serr: »Von diesem Zeitpunkte an war Alles in mir, wie die Moleküle eines Eisenstabes durch den Magnet, nach der Richtung dem Fräulein zu verlegt und konnte eine andere Position nicht mehr einnehmen. Mein Organismus schien, gegen die Intentionen meines Gehirnes und meiner Seele, welche denselben zu beschwichtigen und Alles wieder zu applaniren suchten, mein Organismus schien von da an den Besitz des Fräulein als sein unentrinnbares heiliges Recht zu empfinden, wie einen Notariats-Contract der Natur! So ereignete es sich in meinem Leben. Amen.«

Lisabeta war entrüstet und blickte ängstlich auf den bleichen jungen Mann im Auditorium. »So wird man belohnt für Freundlichkeiten!? Pfui!«

Die Geschworenen verurtheilten Herrn Serr. Einer nur verweigerte seine Stimme auf »schuldig«.

Dieser kam nach Hause.

[317] »Was hast Du?!« sagte seine Frau beim Souper zu ihm.

»Nichts – – –« sagte er und blickte auf seine blühende Tochter hin, welcher das Leben und die Jugend auf dem lieblichen Antlitze schimmerten.

Später sagte er: »Lawinen! Was sind Lawinen?! Ein Steinchen kommt einfach in's Rollen – – –.«

»Diese Geschworenen – Thätigkeit ist nichts für Dich«, sagte die Gattin ganz pensif, »bist Du ein Philosoph?! Nun also! Ich werde froh sein, wenn die Session zu Ende ist!«

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Gerichts-Verhandlung. Gerichts-Verhandlung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DB21-A