Emotion

Die Eltern kauften dem zarten, edlen Geschöpfe gute bequeme Sitze zu den Nachmittagsvorstellungen im Burgtheater und echte russische Galloschen für Thauwetter; einen blassrothen wunderbaren langen Theatermantel und ein schwarzes gestricktes Jäckchen gegen den Frost; sie fuhren mit ihr nach Heringsdorf, an die sandige Küste des nordischen Ozeans und nach Mentone, an die steinige Küste des südlichen Ozeans.

Sie lernten einen Offizier kennen und einen älteren Aristokraten und einen Sänger. Die Eltern freuten sich, dass das zarte, edle Geschöpf »Zerstreuung« fände. An »Sammlung« dachten sie nicht natürlich.

Ueber den Offizier sagte sie einmal: »Ich mag ihn nicht besonders –«

Das verstanden die Eltern nicht. Nun gut, niemand dränge ihn ihr auf. Der ältere Aristokrat hatte hie und da eine Thräne in den Augen, wenn er mit ihr sprach. Das verstanden die Eltern nicht und auch nicht das Mädchen.

Der Sänger hinwiederum war tadellos elegant angezogen und schrecklich fröhlich wie eine Lerche. Er repräsentirte gleichsam »Sängers unbefangenes Herz–«. Aber immer süperb aufgelegt?!? Wozu?!?

[202] Das Zimmer des zarten edlen Geschöpfes war im Winter von 7 Uhr Morgens an geheizt und im Frühjahr von 7 Uhr Morgens an gelüftet. Und der edle Teppich wurde mit Kraut gereinigt.

Man gestattete dem zarten edlen Geschöpfe, mit dem Offizier, dem Aristokraten und dem Sänger zu korrespondiren. Man könne sich auf Elise verlassen.

Aber alle Briefe waren wie Eibisch-Bonbons, süsslich fade, einlullend, während sie selbst nur Thatsachen berichtete, wie Kalender-Einzeichnungen. Abends, nach dem Nachtmahle, spielten die Eltern oft mit dem zarten edlen Geschöpfe Roulette, wobei der Vater langsam einen leichten Tiroler Landwein trank. Die grosse Elfenbeinwalze rollte kantig über das weisse Tischtuch, und Alle starrten auf die schwarzpunktirten Flächen, welche wie Emmenthaler Löcher feucht schimmerten ohne es zu sein.

Ein junger exaltirter Mensch von neunzehn Jahren schrieb Briefe mit Citaten, welchen das edle zarte Geschöpf verschiedene Censuren ertheilte: lobenswert, vorzüglich, befriedigend – –.

Er schilderte, wie sein Dasein durch sie einen neuen Aufschwung nehme und alles Schlechte von ihm abfalle. Ja, er wolle es ihr nachthun – –. Aber sie that ja gar nichts. Immerhin.

Manchesmal brachte er Veilchen.

Er sass da wie ein treuer Hund und man hätte zu ihm nichts Anderes sagen können als: »Phylax –!«

Er spielte oft Roulette mit, nach dem Souper, und starrte ebenfalls die grosse Elfenbeinwalze an [203] mit den glänzend schwarzen Punkten. Er war selig, wenn sie gewann, während die Eltern es eher wünschten, dass der Gast einen kleinen Vortheil habe.

Das zarte edle Geschöpf war immer ziemlich blass und begann eine sanfte Milchkur.

Eines Abends aber ging sie in ihrem Zimmerchen, welches gut geheizt war, auf und ab, auf und ab, gleichsam rastlos.

Dann sagte sie. »Dummer fader Kerl, dummer fader Kerl –«, öffnete die Tischlade und zerriss alle Briefe, öffnete den Kasten und warf alle Veilchenbouquets heraus. »Dummer fader Kerl– –!«

Beim Nachtmahle sagte der Vater: »Wie rosig, wie blühend Du heute aussiehst, Elise! Und da musste man Dir so lange zureden wegen der Milch!?!«

Die Mutter aber sagte: »Der junge – hat sich für morgen Abend wieder angesagt.«

»Angesagt –?« sagte das edle zarte Geschöpf.

»Nun, wie immer,« sagte die Mutter,

Der Vater trank langsam seinen leichten Tiroler Landwein.

Dann sagte er: »Dieser junge Mensch ist mir schrecklich fade; wie zerlassene Butter.«

»Gönne doch Elise diese Anregung. Ein schwärmerischer Verehrer sans conséquences.«

Elise ging in ihr Zimmer und begann bitterlich zu weinen.

Worüber, das wusste sie nicht.

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Emotion. Emotion. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DB70-5