Sorge

Nehmt dem Dichter diese irdische Schwere, die Sorge; auf daß er leicht werde und hinauffliege in die Nähe Gottes, und von obenherab euch Belastete betrachten könne und euch so helfen und beraten könne, da er freien Ausblick, Überblick hat und zugleich sein mittönendes Dichterherz – – –. Aber sie sagen: »Nein, dichte unter den schwierigen Umständen unseres eigenen belasteten Daseins! Da werden wir sehen, was du imstande bist! In Freiheit könnten auch wir vielleicht dichten und träumen von besseren, richtigeren und reineren Welten!«

Sehet, nein, das eben könntet ihr nicht! Und das allein ist euer Unterschied! Je freier ihr seid, desto tiefer versinkt ihr in eure eigene irdische Schwere, die niemandem nützt und euch nur belastet – – –. Das Leid der Welt wird euch fremder und fremder, die malträtierten Tiere, die malträtierten Kinder, die malträtierten Frauen sind euch nichts, und gleichgültig hört ihr den Notschrei des Lebens!

Aber der von irdischer Sorge befreite Dichter fliegt auf, übersieht die Welt und lauscht ihrem Jammern! Er sieht, wie man Gänse stopft in dunklen, absichtlich zu engen Käfigen unter Durstleiden, damit ihre Leber sich unnatürlich vergrößere – – –. Er sieht unwissende Mädchen zerstört werden wegen einer Stunde Lust. Er möchte retten und helfen. Er hat keine Waffe als seine helltönende, fanfarenartige, leidenschaftliche Stimme – – –. So beginnt er denn zu sagen, zu klagen, zu warnen, herabzusingen [202] und zu rufen in das dunkle, böse Gewirre von Leidenden unter ihm!

Einige hören ihn und lauschen, lauschen, lauschen – – –.

Nehmt dem Dichter die irdische Schwere, die Sorge, auf daß er über euch Belastete hinausfliege und von obenherab euch zusinge seine Erkenntnisse eurer Not!

Gebt ihm Flügel, auf daß er sich herabsenke, beschwichtigend, tröstend, heilend – – –.

Er allein weiß mit seiner erhöhten Freiheit etwas anzufangen – – – eure Gebundenheiten zu verringern!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Märchen des Lebens. Zyklus »Krankheit«. Sorge. Sorge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DBF6-C