Der Messerheld

Bei irgend einer Gelegenheit hat ein leicht irritierbarer, alkoholisierter, also überimpressionabler, im übrigen gut und solide gebauter Mensch aus den Sphären, die nicht »bedenken«, sondern sich »betätigen« infolge überschüssiger Lebensenergien, sein Taschenmesser gezogen und zu stechen gedroht – –. Von diesem Augenblicke an webt sich ein Nimbus um ihn, ganz von selbst, ganz ohne sein Hinzutun. Die latente Romantik, die in der Volksseele schlummert, erwacht, erschafft sich von selbst ihren Nibelungenhelden! Einen, der zusticht – –. Nun heißt er Karl B., der Gefürchtete, der Gemiedene, der Gesuchte! Einer, der anders ist als die anderen!

Jeder und jede finden ihren eigenen Vorteil darin, ihn möglichst gefährlich, möglichst heldenhaft erscheinen zu lassen. Unfähig dazu, selbständig eine Rolle in ihrer Gesellschaftsklasse zu spielen, werden sie zu Persönlichkeiten durch bloße Anhängerschaft an den Helden! Je mehr er gilt, desto mehr gelten sie!

Ein Börsenmanöver ist es des Lebens selbst!

Der Messerheld wird in eine Position hineingezwungen, die ihm immerhin mancherlei Vorteile bringt, ihm sein Dasein erleichtert! Die »Mädchen« buhlen um seine Gunst, die »Männchen« fürchten sich, ihm eine »Geliebte« abspenstig zu machen – – –.

[112] So wird er von selbst immer »tyrannischer«, vom Schicksale dazu gleichsam ein Ausersehener!

Soll er sagen: »Pardon, ich bin nicht gefährlicher als ihr, ich steche ebensowenig gerne jemanden tot wie ihr?!?«

Niemand würde vor allem er ihm glauben. Denn die Romantik der Volkesseele in bezug auf »Helden« ist starker als das tatsächliche Verhalten des Betreffenden. Er muß sich seinem Nimbus fügen!

Man braucht eben unbedingt einen, der das Messer zieht und sticht! Und im Gefängnis schmachtet!

So einen braucht man in der Phantasie!

Da war einer, lang und mager, den alle Wirte fürchteten, und alle Mädchen und alle Männer. Ich sagte zu ihm: »Halten Sie sich Ihre Position den Idioten gegenüber!«

Er erwiderte: »Brauchen Sie mir das anzuraten?!? I stich nur zu, wann es mein Ansehen erfordert! Daß sie es wissen, i bin noch der Karl B.!«

Messerhelden, wie seid ihr die unschuldigen Opfer der Volkesseele, die »Helden« braucht einfach für die Romantik ihres Herzens! Ein Lamperl wäre er an Gutmütigkeit – – – aber die Volkesseele braucht einen Messerhelden, der zusticht – – –. Nun also, Taschenmesser in der linken Hosentasche, öffne deine Klinge, wenn die »Volkesseele« es erfordert – – –! Messerhelden, ausübende Organe seid ihr einfach des romantischen Willens der Volkesseele! Gutmütig wäret ihr wie Lamperln, aber man zwingt euch zu »Heldenrollen«!

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Märchen des Lebens. Der Messerheld. Der Messerheld. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DC02-8