Luci-fer, Licht-Bringer

Sie sassen direkt da wie Fliegen auf dem Zucker. Eine kleine, dichtgedrängte, schwarze Masse von Kammgarn-Röcken, und bemühten sich, an dem Zuckerstückchen, Baron B., herumzukrabbeln, sich daran festzusetzen, herumzusaugen und mit den zarten Fühlern ihres Geistes über seine Oberfläche hin und her zu tasten, um jene strategischen Punkte aufzufinden, wo der Feind mit Respekt zu sagen zu überrumpeln wäre.

Der Baron B. spielte »Jugendlicher Herausgeber« mit Routine und guter Haltung, Tenue, mit einer feinen Verbindung von Abhängigkeitsgefühl von dem Dichter-Kreise und im Verborgenen befindlichen, aber immerhin sprungbereiten Feldherren-Gefühle. Dabei wogten Verachtungs-Wellen in dem Meere seiner Seele auf und nieder und strandeten hie und da auf seinem Antlitze mit einem Lächeln.

Von Dichter-Waare waren vorhanden, befanden sich auf Lager: Ein Stück österreichische Taschen-Ausgabe von Paul Verlaine, drei Stück österreichische Maupassants mit Stirnlocke, ein Stück Original-Genie [319] ohne Vorbilder und zwei Stück »Sterne der unenthüllten Zukunft.« Dann Einer, welcher eine geheime Ansicht über Musik hatte, die er vorderhand unter Verschluss hielt. Endlich eine junge, rotblonde Dame, welche eine angenehme Verbindung vorstellte von Lassale und Madame de Stael.

Sie fühlte mit echt weiblichem Feingefühle: »Ihr seid Alle Trotteln – – –!«

Plötzlich stieg ein weisses Manuskript wie ein Revenant langsam und feierlich aus einem der Kammgarn – Röcke hervor und wandelte ernst und feierlich in den Kammgarn – Rock des Herausgebers Baron – – –

Alle waren starr. Wie das Gastmahl des Makbeth wurde es – – –!

»Kommt das in die Eröffnungsnummer des Lucifer?!« dachten sie. »Eilig hat er es.« »Wie heisst es?!« »Was für Tendenz?!« »Passt es in den Rahmen?!« »Wieviel zahlt man dafür?!« »Handelt es von Liebe?!« »Gewiss in Dialog-Form, pfui wie fad.« »Eine Causerie?!« »Oder Gedichte ohne Reime, ohne Versmaass, ohne Hauptworte und ohne Beistriche?!« Oder es wird doch nicht – – –?!

Der Herausgeber nahm das Gespenst heraus und blätterte darin herum.

Einer der drei Maupassants sagte: »Pardon, Herr Baron, sind Sie schon bei der Stelle, wo Mechthildis – – –«

Nein, bei Mechthildis war er noch nicht. Er berechnete die Anzahl der Druckseiten des Gespenstes.

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»Drei Meter 50 – –«, dachte er, »ach so, dreieinhalb Seiten – – –«

»Ich glaube nämlich, dass dieser Charakter der Mechthildis – – –,« sagte der dritte Maupassant und neigte sich schief gegen den Baron, von Freundschaft beschwert, gleichsam niedergezogen. Er glaube nämlich, dass, gerade heutzutage, im Hinblicke, unter gewissen Umständen, von einem bestimmten Gesichtswinkel aus, vor Allem mit Rücksicht auf den Titel des Unternehmens, »Lucifer«, aber natürlich er wolle nicht vorgreifen, Niemand würde vorgreifen wollen, wer spreche überhaupt von vorgreifen?! Dieses Wort hatte er! Er trat darauf herum, walkte es hin und her, zog es dünn aus, knetete es wieder zusammen, behandelte es wie den Teig zu einem Apfelstrudel und sagte schliesslich, vorgreifen sei der Tod, einfach der Tod eines Unternehmens – – –!

Die beiden anderen Maupassants erklärten sich solidarisch, was den Tod betreffe.

Die junge Dame fühlte mit echt weiblichem Feingefühle: »Ihr seid geriebene Gauner!«

»Mechthildis,« sagte der dritte Maupassant, »ist nämlich zugleich ein Typus, man würde von nun an sagen: ›Mechthildische Frauen.‹«

Die »Sterne der unenthüllten Zukunft« waren bleich und dachten: »Was kann man Vorschuss nehmen auf Lucifer?!«

Der Musiker dachte: »Soll ich den Hunden in der Eröffnungs-Nummer einen Zipfel meiner Musik-Theorie zum Schnappen geben?!«

[321] Paul Verlaine d'Autriche hingegen schrieb auf die Marmorplatte des Tisches ein Gedicht, eigentlich nur den Titel desselben, »Das Spital.« Dann schrieb er noch einen wunderschönen Titel hin, »Die Dirne,« und dann noch einen, »Absinth.« Alle fühlten, dass es über Ihn gekommen sei. Das Köhlermädchen aus »Talisman« hätte gesagt: »Es sind nur Titel.« Aber dann hätte sie zum Schlusse deklamirt: »Du bleibst ein Dichter auch mit Titeln nur!« Natürlich, der Dichter besteht in seinem Innenleben ganz einfach!

Das »Original-Genie ohne Vorbilder« unterbrach die Stille und sagte: »Wisst Ihr, wie ich einen Essay über Mitterwurzer schreiben würde?!«

Alle wussten es. Aber sie sagten: »Nun wie?!«

»Ich würde schreiben: ›Mitterwurzer ist der Schauspieler Europa's, basta.‹«

Alle stimmten überein, dass es echtester Altenberg sei, eigentlich schon zu echt – – –

Der Baron sagte: »Geben Sie mir den Essay für die Eröffnungsnummer, ich zahle die Zeile ausnahmsweise mit 50 Kreuzern.«

Alle lachten fürchterlich über diesen Witz des Herausgebers und betrachteten es als die Geschäftsspesen. Der dritte Maupassant zerplatzte ganz einfach und gab noch eine Verkutzung zu. Die Stael fühlte mit echt weiblichem Feingefühle: »Tas de Cretins – – –«

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Luci-fer, Licht-Bringer. Luci-fer, Licht-Bringer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DC35-3