Nach Paris, Nach Paris

»Paris – – –« sagte der Student Kodjo, »welch' eigenthümlicher Name!«

»Wie meinst Du es?!«

»Wie, nun wie?! Berlin Nichts, Kopenhagen etwas Unverständliches, Wien eine Silbe, sogar New-York und wenn man es noch so Nüiiiii-York aussprechen möchte, eine Hieroglyphe.

Paris! Dieser Name ist Victor-Hugo'isch!«

»Lutetia Parisiorum« sagte M. bescheiden, weil das Lateinische schon für sich selbst wirkte.

»Lutetia, ich fahre nach Lutetia!« sagte Kodjo und legte sich in diesen Namen hinein wie in ein warmes Bassin. »Les Quatre Poules, da bedienen splitternackte Mädchen. Man berührt sie dennoch nicht wie unsere Kellnerinnen. Man betet sie an.«

»Man betet sie an?!«

»Jawohl man betet sie an. Was ist dabei?! In Paris?!«

»Absynth wirst Du trinken, welcher, wie Opal schimmert!«

»Wie Mondstein schimmert Absynth. Hast Du keine Beobachtungsgabe?! Du wirst einmal gut[242] schreiben?! Opal bricht die Farben zu sehr. Nun, wie brasilianischer Opal vielleicht.«

»Paris – – –. In Paris werden die Provinzialen erdrückt, einfach erdrückt. Giebt es eine Stadt in der Welt, in welcher die Provinzialen erdrückt werden?! Nun also. Es kommt mir vor wie eine Traubenpresse der Menschheit. Der edle Saft fliesst in das Fass Paris. Die Trebern werden nicht durchgelassen. Sie faulen in den Provinzen, erzeugen sauere Gährung. Dort hingegen wird Alles zu Champagner.«

»Immerhin fahren die Einspänner dort auch über die Taxe und die Mädchen verlangen die ihre im vorhinein. Pissoirs sind da, wie bei uns, mit gewundenen Eingängen, welche nach Carbol ziemlich riechen und im Sommer werden Insektenpulver und Lawendel angepriesen.«

»Spiele Dich nur nicht auf Heine hinaus – –.«

»Auf Heine, auf Heine. Wenn man Deine Begeisterung nicht theilt, ist man gleich Heine.«

»Lutetia Parisiorum. Wie wenn die Welt ihre Thore endlich öffnen würde – –!«

»Sind die Kellnerinnen ganz nackt?!« sagte M. bescheiden.

»Provinziale!«

Einer sagte: »Für Paris braucht man mindestens einen Frack – Anzug, einen Gehrock, ein dunkles Jaquet, drei Paar Lackschuhe und eine Sortie de Théatre ohne Ärmel. Man dürfte es übrigens auf Raten bekommen.«

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Kodjo: »In Lutetia kannst Du in der Arbeiter-Blouse überall erscheinen. Was meinst Du?! Es ist die Stadt der Erlösungen, der Wiedergeburten. Der zweite Danton geht bereits in's Gymnasium, wartet auf seine Zeit!«

»Wirst Du Berichte senden an die Blätter?!«

»Jawohl. Natürlich. Aber ganz einfache. Nicht wie ich bin. Keine berauschten. Wie ein Welten Bürger!«

»Schreibe lieber Deine Räusche – – –.«

Ich weiss eine sehr schöne Einleitung für Deine Berichte: »Paris ist die Traubenpresse der Menschheit, in welcher die Provinzialen sauer gähren.«

Kodjo: »Keine Dummheiten! Es ist vielleicht nicht zum Lachen. Haben wir Schwimmkraft?! Mein Ich wird versinken, nicht mehr zum Vorschein kommen in Paris. Für Jesus Christus wäre es eine Stadt, für Mark Aurél. Wenn man mit sich fertig geworden ist! Aber wir wollen uns erhalten, wir Nietzscheaner, nicht durch Geben reich und mächtig werden, innere Könige! Wir würden versinken im Welten-Lärme. Zu klein sind wir, um das Maass verlieren zu dürfen. Immer wollen wir uns messen an Etwas, unser Sein controllieren, Bilanz machen. Deshalb kommen wir nicht fort von uns, bleiben an uns hängen wie an unserer eigenen Kinderfrau, springen nicht in die Unendlichkeiten, können nicht frei werden von uns selbst! Absynth werden wir daher trinken, die angemessenen Räuschchen erleben, nackte Mädchen in Tavernen aufsuchen, [244] die Elbogen auf den Tisch aufstützen und ein erlösendes Wort für uns suchen, Bohême, Décadent, Fatalité. Wir dürfen uns nicht verlieren an Etwas! Zu schwächlich sind wir. Können wir wieder herauskriechen?! Ein umgekehrtes Drama. Erster Akt: Sich verlieren; Fünfter Akt: Sich wiederfinden! Das wäre es! Bei den Rennen müssen wir setzen, um unsere Aufregung zu geniessen und unseren Scharfblick. Ich habe auf »white Rose« gesetzt. Hohoho white Rose ist eingetroffen! Mit Berühmtheiten müssen wir conversiren. Ich habe mit Maurice Bouchor gesprochen, ein nicht uninteressanter Mensch. Ich habe ihm gesagt – – –. Du ihm?! Jawohl, ich ihm! In Paris?! In den Hallen habe ich gefrühstückt. Ich. Ich. Ich. Paris, ich schlürfe dich in mich ein wie eine Auster. Ich pölze mein mauerrissiges Selbstbewusstsein mit deinen grandiosen Stützbalken, Paris! Ich. Ich. Ich. Ich. Ich siege über dich wie der Floh über den Menschen. Irgendwo setze ich mich an und sauge. Die Stelle ist gleichgiltig. Zum Teufel, mein Selbsterhaltungstrieb ist stärker als eine Weltstadt. Auf white Rose habe ich gesetzt. Bei mir bin ich wieder angelangt! Ebenso aufgeregt bin ich wie Lord Stocthurne Charlie. Dem Jockey drücke ich im Geiste die Hand. Lasset white Rose striegeln, sage ich, frottiren. Der Lord spricht mit einigen Damen. Ich sehe mich um. Ich habe keine Dame. Ich versinke. Dort aber steht Elvire. Elvire, ich bin es, ich, der Student, dem die Welt gehört! Eine [245] fliegende Telegraphenleitung lege ich zwischen ihr und mir. Elvire, ich bin es! Die Telegraphenleitung ist unterbrochen im Kriege des Lebens. Meine Freunde, lächelt nicht! Ich versinke. Ich bin ein Unglücklicher. Paris wird mich verschlingen, verdauen, die Reste von sich geben in die Cloaken – – – Lutetia Parisiorum, Lutetia!«

Alle schwiegen.

M. sass ganz bescheiden da und fühlte, dass er ein rechter Provinziale sei, ohne »Complications de l'âme« wie der grosse Kodjo, der Welten-Bürger, der künftige Pariser, welcher sich selbst bereits aus der Vogel-Perspektive betrachten konnte, von vorne, von hinten, von allen Seiten, lächelnd und weinend zugleich über dieses grandiose Mysterium seines Ich!

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Nach Paris, Nach Paris. Nach Paris, Nach Paris. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DC5F-7