Warnung an Dörtchen.

Wie, Dörtchen, wie? Ein Kind von vierzehn Jahren
ein Stutzerchen mit weichem Kinn,
führt dich zum Born der Liebe hin,
wie, Dörtchen, wie? Dies muß dein Herz erfahren?
Für ihn willst du ein Kränzchen aufbewahren,
nach dem ich längst so lüstern bin? –
Kaum kann er, Kind, ein Blättchen knicken,
ein solches Knäblein ist zu schwach,
an Cythereens heil'gem Bach
den Kranz der Jungferschaft zu pflücken.
[70]
Er gibt allein für himmliches Entzücken
die Sehnsucht, die er nicht erfüllt,
und Täuschung für empörte Sinnen;
sein Bach, der nur in Tropfen quillt,
kann nie in Amors Grotte rinnen,
die heiliges Gebüsch versteckt,
und wo ein Heer von Amoretten,
mit kleinen haargeflochtnen Ketten,
die Weisheit der Platone neckt.
Verscheuche doch den armen Wicht,
er ist's nicht werth – so viel sein Mund auch spricht
was hilft dir all sein todtes Schwatzen? –
in Amors Heilthum zu gehn;
nein, laß mich hübsch an seiner Stelle stehn;
mir ward die Kraft verliebter Spatzen,
ich lohne dich mit immer neuer Lust;
mein feurig Sinken, zitternd Beben
soll deiner weichen Marmorbrust
noch nie gefühlte Freuden geben,
[71]
bald wirst du glühend dich erheben,
bald gibst du lässig wieder nach,
bis meiner Liebe Balsambach
die heil'ge Liebesgrotte netzet,
und die entflammten Sinne letzet.
Mein Pfeil trifft stets das rechte Ziel,
und seine Spitze wagt bei Damen
nie wahrer Wollust Hochgefühl
mit Furcht und Zittern nachzuahmen,
denn er vergißt das schwächre Ziel.
Urplötzlich dringt die weiche Spitze
tief in der Wollust heil'gem Sitze,
bis Ohnmacht seine Kräfte nimmt,
und durch den Strom, der ihm entflossen,
und dunkles Haargebüsch begossen,
die heiße Glut nur heimlich glimmt.
Entsage doch dem schwachen Knaben
und seinem unvollkommnen Spiel,
du sollst ein göttlicher Gefühl
[72]
durch meine Liebeskämpfe haben,
und laß von mir, du Huldgöttin,
dein Kränzlein knicken und begraben,
für das ich ganz geschaffen bin.
Erfüll' mein Fleh'n – o ein Versuch
wird dich zu einem Gott erheben,
ein einz'ger Kampf wird Lust genug
für tausend stille Stunden geben,
dein Auge wird in Thränen beben,
dein Busen mächtiger sich blähn,
dir Sprach' und Athem bald vergehn,
und o dein Schooß sich zitternd heben.
Ein einz'ger Augenblick Genuß
lehrt dich den Knaben dann verachten,
und nach dem wonnevollen Kuß
von einem raschen Jüngling schmachten,
der mit verliebter Spatzenart
sich unaufhörlich mit dir paart.

Ung[enannt]. [73]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Anonym. Gedichte. Nuditäten oder Fantasien auf der Venusgeige. Warnung an Dörtchen. Warnung an Dörtchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DE04-5