Die beiden Ratten.

In jener alten Zeit, wo noch die Thiere sprachen,
wo noch manch Mädchen fleißig spann,
hat sich die folgende Geschichte zugetragen,
die man auf's Wort nicht glauben kann. –
Ein junges Bäckerweibchen machte
des Abends ihren Teig – es hüpft ein Floh herbei,
der blutbegier'ge Bös'wicht brachte
ihr einen Stich an jenem Orte bei,
aus dem – wie Bruder Lucas wollte,
und wie er es dem Mädchen auch versprach –
ein Papst zum Vorschein kommen sollte. –
Die Bäckerin, nicht faul, ließ eh'r nicht nach –
bis sie ih fand, und – knicks den Hals ihm brach.
Sie legte sich zu Bett, doch von dem Teige,
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der an den Händen kleben blieb,
war an dem Rand des Orts, den ich verschweige,
als sie den Floh daraus vertrieb,
die Spur geblieben, und zwei Ratten
mit feinen Näschen, die dies herrliche Gericht
von weitem schon gerochen hatten,
versäumten diese Mahlzeit nicht.
Sie schlichen sich in's Bett und jede hielte
sich brav dazu. – Der Mann der Bäckerin,
der seinen Teig jetzt aufgegangen fühlte,
macht sich bereit, um in den Ofen ihn
zu schieben. – Als die beiden Ratten hörten,
daß er sich regt, stürzt eine, ganz betäubt
von Furcht, zuerst hinein; die andre bleibt
nur noch dabei – und Angst und Schrecken mehrten
sich jeden Augenblick. – Nach dem, was er gethan,
legt sich der Mann nun wieder auf die Seite. –
Zu der Gefangnen großen Freude,
die, als sie sich in Freiheit sahn,
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sogleich hin auf den Boden eilten,
der eigentlich ihr Wohnsitz war –
wo sie, entgangen der Gefahr,
von jedem Umstand Nachricht sich ertheilten. –
Mir ist's gar sonderbar ergangen, – sagte
die erste dann – durch eine Oeffnung kroch
ich wo hinein, – ich weiß nicht, welch ein Loch
das war, – versteckte mich und dachte
mich sicher da – doch der verdammte Kerl
von Bäcker stieß ganz über alle Maßen –
wer weiß womit – es war ein dicker Querl –
auf mich hinein, und war so ausgelassen,
daß, wenn er mir ein wenig Raum jetzt ließ,
ihm zu entfliehen und ich's wagte,
er desto härter auf mich stieß,
und mir gewalt'ge Schmerzen machte;
mein armes Näschen fühlt's mehr als zu sehr –
der Narr ward endlich doch der Possen müde,
das lange Ding zog ab und ließ mir Friede,
doch dies geschah nicht eh'r, bis es vorher
verächtlich in's Gesicht mir spuckte;
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ich ward fast blind, doch nun entwischt' auch ich. –
Ich, sprach die andre dann, war ganz bestürzt und duckte
im Winkel eines Schenkels mich.
Ich hielt mich da ganz stll, und sah dem tollen Spiele,
von dem du sagst, sehr ungeduldig zu,
denn während er mit seinem langen Stiele
dich so zermalmt', hatt' ich auch keine Ruh'.
Zwei Kugeln hatt' er dicht am Hintern,
die wackelten stets hin und her,
zerstießen mir – ich konnt' es nicht verhindern –
mein Näschen auch nicht weniger.

***. [77]

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TextGrid Repository (2011). Anonym. Gedichte. Nuditäten oder Fantasien auf der Venusgeige. Die beiden Ratten. Die beiden Ratten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DE66-9