Das Jahrfest des ersten Kusses.
Schön, wie die blühende Natur jetzt ist,
Da sie der Frühling lächelnd grüßt,
So schön warst Du, mein Mädchen, an dem Tage,
Als mir Dein Kuß auf meines Kusses Frage
Die schönste Antwort gab – Dort schlägt die Nachtigal
Im Weidenbusch im bachdurchschlung'nen Tal:
Ihr unnachahmlich Lied singt Freude und Entzücken
In's Herz, und doch dringt keiner Nachtigal Gesang
So tief in's Herz, wie der Kuß drang.
[221]Verschämt, um einer Saat von Küssen auszuweichen,
Bogst du, für mich zum größern Glück,
Mit Mädchenheuchelei den Nacken schlau zurück –
Doch konnten gleich den Mund die Küsse nicht erreichen,
So fiel doch keiner auf ein undankbares Feld –
Sie trafen in das Tal, wo Venus Courtag hält,
Und auf die Hügel, die der Liebe Segen schwellt.
Ein allgewaltiger's Entzücken
Durchschau'rte mich, als ich in deinen Blicken
Ein »auch ich lieb' dich« schmeichelnd las.
Ha, Mädchen, deine Wangen blühten
Roth, wie die Lippen, die vom Kusse glühten,
Der Perlenreihen traf, die, wenn Dein Mund mir lacht,
Und Amor dir in's Kinn ein Grübchen macht,
Der Lippen Röthe herrlicher erheben
Dem Lächeln neuen Reiz, den Küssen neu Kraft,
[222]Und deiner Huldgöttinnenschaft
Das Meisterdrückchen der Vollendung geben.
Schön ist der Mai in seinem Veilchenkranze,
Wenn er für Grazien zum Reihentanze
Gefilde schmückt, warm die mondhelle Nacht,
Und liederreich den Morgen macht!
Doch himmlischer, wenn er in Mädchenbusen
Die Saat der Liebe streut, zum Keimen treibt,
Und wenn des Jünglings Aug' an diesem Busen,
So wie sein Herz gefesselt bleibt,
Wenn er die weiße Brust dann wallen
Und sympathetisch fühlen lehrt
Und bei dem Brautgesang der Nachtigallen
Des Jünglings Muth, des Mädchens Sehnsucht mehrt. –
Hör', wie er träufeld rauscht, der Frühlingsregen,
[223]Sanft zittert unter ihm der Büsche neues Kleid;
So, Mädchen, zittern deine Locken, wenn der Segen
Entzückender wollüst`ger Zärtlichkeit
Das Haargespinst des Rosenthals erfrischet,
Und mit dem eig'nen Thau des Rosenthals sich mischet.
Wenn mild der Wolken Schooß die Hügel übergießt,
Dann wird der Rand der Thäler blumenreicher,
Und auf dem Klee, der dichter sprießt,
Ruht dann der Wanderer erquickender und weicher:
Wenn auf den kleinen Höh`n in deines Thales Schooß
Der Regen Amors fällt, so wächst das Moos
Duftreicher, krauser um die heil'ge Grotte,
Und wird zum netten Myrthenhain,
Den nackte Grazien dem Liebesgotte
Zum Vorhof seines Tempels weih'n;
Und wo die ganze Schaar, wenn sie sich satt gegaukelt,
[224]Und wo Cytherens loser Sohn,
Wenn ihn in seiner Mutter Phaeton
Die muntern Spatzen müd' geschaukelt,
Viel sanfter schläft und sich zum neuen Spiel
Viel eh`r erholt, als auf dem federweichsten Pfühl.
Himmelvolle Augenblicke,
Wenn die Wärme heit'rer Blicke,
Jüngling, deine Adern schwellt!
Himmelvoll're, wenn der Segen
Amors wie ein Perlenregen
Auf's gespalt'ne Erdreich fällt.
Wie aus dem tiefsten Schlaf und süß`stem Traumgesicht
Des Jünglings Kuß sein Mädchen wecket,
Wie dann, wenn's schönste Aug' halb Schlaf halb Wollust bricht,
Er ihr den Arm sanft um den Nacken flicht,
Das Nachtgewand verschiebt und Schönheiten entdecket,
[225]Die einst Romano's Kunst so lebhaft traf;
So küßt der Frühling auf den Winterschlaf
Jetzt die Natur. Den dichten weißen Schleier
Hat er ihr längst vom Busen abgestreift,
Er athmet jetzt im blumichten Gewande freier:
Der Mai, der sie mit Küssen überhäuft,
Spielt mit dem Reiz, der ihm entgegen blühet,
Und Zephyr, den ein gleich Gefühl
Magnetischstark zur Blumengöttin ziehet,
Mischt tändelnd sich mit in ihr Spiel.
Steht denn der Natur und dem Mai
Nur allein das Tändeln frei?
Darf nur dies Paar zärtlich küssen,
Busen sanft an Busen schließen,
Und in Zärtlichkeit zerfließen?
Mädchen, nein, die Tändelei
Holder Glut steht uns auch frei,
Auch wir dürfen zärtlich küssen,
Busen sanft an Busen schließen,
Und in Zärtlichkeit zerfließen.
[226]Hurtig komm in meinen Arm,
Schlüpf sie ab, die Nachtgewänder,
Schleif sie auf die seid'nen Bänder,
Komm und werd' in meinem Arm
Wie die Sommerlüfte warm,
Und laß uns ganz in Zärtlichkeit zerfließen.
Ich bin dein Lenz, ich bin dein Mai,
Du mein Gefild' und meine Wunderblume1
1,
In Deinem Götterheiligthume,
Auf Deinen Marmorhöh'n steht jede Tändelei
Und jede Art des zärtlichsten Genusses
Mir heut', am Fest des ersten Kusses,
Unwidersprechlich frei.
[227]Hurtig komm in meinen Arm,
Schlüpf sie ab, die Nachtgewänder,
Schleif sie auf die seid'nen Bänder,
Komm und werd' in meinem Arm
Wie die Sommerlüfte warm,
Und laß uns ganz in Zärtlichkeit zerfließen.
Anonym [= Johann Georg Scheffner].