Dunkle Stunden

Novemberwind! Novemberwind! Der Himmel so grau und die Wälder entlaubt,
Und die Luft so kalt, die Luft so schaurig! Stumm lag an meiner Brust dein Haupt.
Dein Haupt, du, deren Namen nie mein Lied, mein Mund niemals bekennt,
Obwohl mein Herz doch alle Zeit für dich in Feuern der Liebe brennt.
Dein Antlitz blaß wie das fahle Licht, wie der scheidenden Sonne kalter Strahl,
Und ich hörte des Herzens dumpfen Schlag, wie Grabeslaut voll banger Qual.
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Und immer und immer bei Nacht und Tag, und immer und immer in Lust und in Schmerz
Tönt in mein Ohr deiner Stimme Klang und greift mit Dornen in mein Herz:
»O wende von mir dein Auge ab und küsse mich nicht mit dieser Gluth,
Du weißt ja nicht, wie bitterweh mir all' deine heiße Liebe thut.
Schaust du mich an, erschauert mir das Herz vor Angst und dunklem Weh,
Und meine arme Seele zittert, wenn ich in deine Augen seh'.
Nein, geh' hinfort, und wende nicht dein Angesicht zu mir zurück,
Ich hab' auf all' und ewige Zeit verloren die Liebe, verloren mein Glück.
Wohl fühl' ich hier, wenn's mich bedrängt, und lieg' ich ohne Schlaf und Ruh',
Daß ich ohne dich vergehen muß, denn all' meine Liebe – das bist du!
Meine Arme möcht' ich schlingen wohl und halten dich und küssen dich,
Doch längst vergang'ne Tage drängen sich dunkel zwischen dich und mich!
Vor meiner Seele steigt es auf – verflossen ist schon Jahr um Jahr,
Doch hebt sich's auf vor meinem Geiste so schaurig und so düster klar.
Meine erste süße Jugendzeit, licht wie der Frühling im Blüthenschein,
Und mein erster, mein erster Liebestraum hüllte mit Zaubern die Seele mir ein.
O frage mich nicht, wie's einst geschah, – o wende dich ab, sieh mich nicht an,
Ich kann nicht schauen, wie du weinst, du herzgeliebter theurer Mann.
Wie die Nacht einst kam von Rosenduft berauscht und trunken von Mondesglanz,
Und die Nachtigallen schluchzten süß, und die Elfen wiegten sich im Tanz.
Die Winde wallten die Straße hinab und fernher zitternd die Geige klang,
Und die Wasser rauschten träumend hinab den schattendüst'ren Waldesgang.
Da lag sein Haupt an meiner Brust, und wildes Sehnen in mir schwoll,
Und er küßte mich ... und er küßte mich ... und mein Herz ward weit und mein Herz ward voll.
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Und vor mir sank die Welt dahin ... Es schwanden in Nebel Zeit und Raum
Und über mich kam's wie süßer Schlaf, wie ein todesschwerer bittrer Traum.
Doch als der Morgen in Osten sich hob, – o wie grau und schwer und wie kalt der Tag,
Und er nahm mein Glück und ließ mir nichts zurück als Schande und bitt're Schmach.
Nein, fluch' ihm nicht! Schwer fiel die Hand des Himmels auf sein schönes Haupt,
Seines Herzens Glocke hat ausgetönt, und sein Gebein ist längst verstaubt.
Der Wahnsinn fiel in sein Gehirn mit heißer und versengender Gluth,
Gras wuchert an dem stillen Ort, wo meine erste Liebe ruht.
Doch ich! Doch ich! nein, wende nicht dein Antlitz einmal noch zurück,
Ich hab' auf all' und ewige Zeit verloren die Liebe, verloren mein Glück!
Du bist meine Sonne, du bist mein Tag und meiner Zukunft süßer Schein,
Doch geh' hinfort, du darfst nicht länger bei mir Unselig-Armen sein.
Mir bleibt nur Buße und bitt're Qual, meine Tage sinken in Dunkel und Graus,
Leb' wohl! Leb' wohl! Und mein Gebet führ' dich aus Nacht und Schmerzen hinaus!«
O wie schwer und bang' ward mir das Herz, und wie bitterweh thut doch dein Wort,
All' Sonnenlicht und Sonnenglanz zieht trüb' aus meiner Seele fort.
Was ich gehofft und heiß ersehnt, liegt wie ein wüstes Trümmerfeld,
Der Tod schleicht durch die wundenkranke, falsche, sündenverfallene Welt.
Von Seufzern schüttert deine Brust, als wollte sie zerspringen dir,
O wie arm und elend, mein Liebling du, wie elend sind nun Beide wir.
Es kommen die Nebel, die Wasser ziehn, und Finsternisse dräuen mit Macht,
Licht! Licht! O säh ich nur ein Licht in dieser todesdüst'ren Nacht!
[61]
Was soll ich thun, was soll ich thun? Du führe mich sicher, ewiger Geist,
Führ' meine Seele, die durch alle Himmel und Zeiten und Räume kreist.
Trage auf Adlers Flügeln mich gewaltig zu den Sternen hinauf,
Auseinander wehen die Wolken, golden thut der Himmel sich auf.
In die bebende Seele fällt mild eine Thräne aus Gottes Aug',
Um die glühende Stirn weht's leise wie ein Frühlingsrosenhauch.
Nun hebe die Augen, mein Liebling du, die voll von bitt'ren Thränen steh'n,
Ich fühl's, ich fühl's im tiefsten Busen, nun darf ich nimmer von dir geh'n.
Siehe, die Welt steht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,
Trock'ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns ist die Liebe, mit uns ist Gott.
In Feuern lodert die Seele auf, auf flammendem Wagen fährt sie empor
Weit über der Erde düsternde Nacht, und durch der Wolken schattendes Thor.
Hoch über des Tempels Zinnen schwebt sie stark auf mächtigem Flügelpaar,
Von den Schwingen tropft die Sonne, flammenregnend, leuchtend und klar.
Tief liegt die Welt von Schatten bedeckt, und Thränen und Schmerzen umhüllen sie dicht,
Und ein Schrei voll wilder Qual aus tausend blassen Munden schrecklich bricht.
Elend und schwach und krank und siech, wie Wasser stürzend von Fall zu Fall,
So sinken die Menschen fahl dahin – die Sünde jubelt überall.
Und was aus Staub geboren ist, und was gezeugt vom Weibe lebt,
Wer ist so rein, daß wider dich den ersten Stein er zornig hebt.
Doch sieh im Osten glüht es auf, und Palmen wehen im Sonnenlicht,
Heilige Lüfte wandeln und fließen um dein blaßes Angesicht.
Blüthen flattern und schweben im Winde und der sonnengeküßte Quell
Gießt durch duftende Rosenbüsche seine Wasser wolkenhell.
Ueber die Blumen, über die Palmen fliegen Engelschaaren empor,
Und es jubelt mit hellem Munde durch die Lüfte ihr heiliger Chor:
[62]
»Lass' die Thränen und deine Schmerzen ausgieß' in der Liebe mitleidigen Schooß,
Die Liebe allein knüpft deine Seele aus den Banden der Sünde los.
Aus Nebeln und dunkler Finsterniß und durch der Qualen blutige Nacht,
Die Liebe führt dich auf Adlerschwingen, führt dich zum Lichte leise und sacht.
Sanftsegnend über die kranke Welt ausströmt der Liebe goldener Schein –
Nur aus der Liebe fließt Gnade und Leben! Und die Liebe ist Gott allein!«
Drum schlage die Augen empor, mein Liebling, die voll von bitt'ren Thränen steh'n,
Ich fühl's, ich fühl's im tiefsten Busen: Nun darf ich nimmer von dir geh'n!
Siehe, die Welt steht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,
Trock'ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns ist die Liebe, mit uns ist Gott.

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TextGrid Repository (2011). Arent, Wilhelm (Hg.). Gedichte. Moderne Dichter-Charaktere. Julius Hart. Dunkle Stunden. Dunkle Stunden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-00B0-6