Zweiter Band
[Aus dem Nachlaß]

[801]

Vorwort [von Bettina von Arnim]

Zum Erstdruck 1854


Der erste Teil endet mit Annens feurigem Gebet um Antons Leben. Indes der Kampfeslärm sich verzieht, die Reisigen aus den Toren fliehen, die Bürger nachdrängen, Verwundete hineintragen und die Toten in lautloser Nacht verlassen sind, heftet sie, aus besinnungsloser Verzweiflung erwachend, ihre Lippen auf die Todeswunde und schließt sie mit ihrem Gebet, ihrem Gram und ihrem Glauben, sie werde zu Grunde gehen oder Anton mit der Sonne erstehen und sie von der Schuld seines Todes befreien. Keine Ahnung mahnt sie, daß ihr Kind durch Faust der Wiege entrissen, von Graf Konrad in raschem Trabe davon getragen wird. Keine Ahnung sagt ihr, daß Berthold von Geistern seiner Ahnen fortgerissen durch dieselbe Gewalt, die ihn heilte, jetzt ihn entseelt, zwischen Leichensteinen auf des Stammvaters Gruft niedergeworfen hat. Kein Donnerschlag erweckt wieder den sanft Hingesunkenen, dessen Armader die fremden Blutwellen entströmen, während der Mönch, der ihn dahin geleitet hatte, nun vor seinem gehörlosen Ohr von dem schwarzen Gedächtnisstein abliest, wie ein Geschlecht gehe und das andere komme, indes die Erde [801] unbewegt bleibe.

Im Eingang dieses zweiten Teils der Kronenwächter deutet alles darauf, daß hier noch kein befruchtendes Gewölk auf ihn niedergeregnet war, um ihn von dem Staub, der auf Pergamente sich senkt, denen der Tatenlauf von Jahrhunderten vertraut ist, zu befreien. Der Geist, der diesen ersten Teil aufzeichnete, war längst entflohen, ehe er den folgenden mit letzter Hand berührt hatte, daher sein Werk nicht völlig mit den Ereignissen des ersten übereinstimmt, obschon ein harmonischer Einklang gefühlt wird, der den Verehrern dieses schönen, feurigen Buchs um so anregender sein muß, weil er sie auch tiefer in die Werkstätte desselben einführt, [801] der noch einmal aus seinem Dichterhimmel unter die rollenden Donnergewölke unserer Zeiten herableuchtet.

In diesem zweiten Band ist das Kind Oswald noch in der Mutter Obhut und Berthold im Grabgewölbe der Waiblinger Bürgermeister beigesetzt, auch tritt Faust als früher noch nicht dagewesen auf, was alles dennoch nur auf Namenwechsel beruht, welche die Überarbeitung des ersten Bandes herbeigeführt haben mag.

[802]

Die Kronenwächter

Anton ist wieder zum Leben erwacht, Anna will aus Mitleid ihn nicht von sich lassen und pflegt ihn in seiner Schwäche, obgleich auch die Mutter ihm das Haus verbietet; das gibt neuen Streit zwischen beiden. Anna bewährt ihren Eigensinn, sie wird das Gespött der ganzen Stadt – niemand will mit ihr zu tun haben, die Geistlichen sogar dringen auf eine bessere Lebensweise, ihr Eigensinn mehrt sich. Anton will fort, sie läßt es nicht zu, denn es kommt die Nachricht, ihr Mann sei auf einer Sendung von einzelnen Plünderern aus Herzog Ulrichs Heer umgebracht worden.

Nach Antons Genesung, als er den ersten Schritt aus dem Bette tun sollte, stand sie vor ihm und winkte aus der Ferne, wie einem Kinde, das laufen lernt, und als das Riesenkind auf sie zu kam, da gab sie ihm einen zärtlichen Kuß und feine Hemden, die besten aus des Mannes Nachlaß. Anton, der vom Liegen doch etwas herabgekommen war, hatte zu viel mit seiner Eßlust zu schaffen, um diese Liebeszeichen nach dem vollen Werte aufzunehmen, er dachte erst an die Bedeutung, als ihn einer seiner Kameraden fragte, ob er bald Hochzeit mache? Nun hielt er aber von unnützen Reden nicht viel, er machte Frau Annen keine weiteren Erklärungen, sondern nach ein paar Monaten, wo die Gesetze weiter nichts gegen eine zweite Vermählung einwenden konnten, sagte er ihr, er habe nirgendwo so gut geschlafen, wie in ihres verstorbenen Mannes Bette, wo er versteckt gewesen, sie solle ihn wieder dahin betten. Sie nannte ihn wohl einen Grobian, einen Esel, hielt ihm auch eine lange Ermahnung, wobei sie ihm die Halskrause in Ordnung legte, letztlich aber sagte sie, wenn er ihr eine gute Aufführung verspreche, so wolle sie sich den nächsten Sonntag mit ihm in aller Stille, wie es einer Witwe gezieme, trauen lassen. Anton war außer sich vor Freuden, tanzte im Zimmer herum und bat sie, seine Ungeschicklichkeit in dem neuen Stande zu verzeihen und ihn zu belehren, er wollte sicher alles nach ihrem Willen tun. Sie machte ihm nur eine Bedingung, daß er seine alten [803] Kameraden und das Weinhaus nicht wieder besuchen solle; sie hätte alles, sogar Hunger und Durst von ihm fordern können, er hätte in dem Augenblicke alles versprochen. Bei der Hochzeit waren nur ein paar Verwandte gegenwärtig, viele waren durch das Gerede und durch die Schnelligkeit dieses Übergangs zur zweiten Ehe beleidigt, doch keiner beneidete Anton, in den Besitz eines so ansehnlichen Vermögens zu kommen; jedermann meinte, wenn es einer hätte sein sollen, so wäre es dem armen Schelm doch eher als einem andern zu gönnen. Der erste Monat war ganz glücklich, Frau Anna war so unerschöpflich in Zärtlichkeiten gegen Anton, daß jeder erstaunte, der sie so kalt gegen ihren ersten Mann gesehen hatte; Anton durfte keinen Schritt ohne sie aus dem Hause gehen, denn ihre Eifersucht war nach Witwenart sehr groß. Anton hatte nun keine Beschäftigung, als mit ihr zu sprechen; er fing deswegen an, was er gelobt hatte, zu erfüllen und den Altar in der Kirche, vor welchem er getraut worden, mit einem neuen Bilde des großen Christophels, dem er geweihet war, zu verzieren, und dazu brauchte er sich selbst als Modell sowie er den kleinen Stiefsohn zum Bilde des Jesukindes brauchte, das jenem so viel Mühe machte über das Wasser zu tragen, weil es die Welt in seinen Händchen trug. Diese Malerei machte Frau Annen so stolz auf Mann und Kind, daß sie eines Abends einige alte Freundinnen zu sich bat, um es ihnen zu zeigen, weswegen Anton Erlaubnis erhielt, in der Stadt nach Farben und Pinsel sich umzusehen. Ohne an etwas anders zu denken, ging er vor dem Ratskeller vorbei, vor welchem alle seine alten Trinkgesellen unter einem frischen Dache von abgeschnittenem Weinlaube zechten; alle grüßten ihn, einer rief ihm, einer sprang auf, faßte ihn beim Arm, er wollte weitergehen, es faßte ihn ein anderer beim zweiten Arm, beide küßten und herzten ihn, fragten, wie er sie so ganz vergessen, ob die Frau ihn unter dem Pantoffel habe; er schämte sich und folgte ihrem Ziehen und Nötigen mit langsamen Schritten. Bedenklich saß er am Tische und forderte keinen Wein, da trank ihm ein Gerber auf seiner Frauen Gesundheit ein Glas zu; dem mußte er Bescheid tun, er forderte Wein, trank, er fand ihn besser als bei seiner Frau, die ihn heimlich bis zur Hälfte mit Wasser mischte, ärgerte sich über den Betrug und verlangte einen Schoppen nach dem andern. Da gingen die alten Lieder auf: »Zu Klingenberg am Maine« und vom Muskateller; [804] sein Baß füllte wieder Keller und Markt, die Frau hörte ihn mit Schrecken bis in ihrem Hause widerklingen. Kaum waren alle recht lustig, so wurde ein Kartenspiel vorgeschlagen; Sixt war jetzt der reichste von allen, er konnte es nicht ausschlagen, es machte ihm auch viel Spaß, sein Glück zu versuchen. Er gewann erst, dann verlor er und wollte wieder gewinnen, er glühte vor Ungeduld, ob ihm gleich die Zeit so schnell verging, daß der Wächter längst abgerufen, ohne daß er es bemerkt hatte; das Singen und Toben im ganzen Keller fing eine eigne Welt an, die sich um jene außerhalb nichts bekümmerte, die Kellner liefen mit aufgeschürzten Ärmeln mit Henkelkrügen, Bechern, Seideln, Kühlkesseln dazwischen, die Mägde brachten geräucherten Schinken, Braten; jeder rief, jeder neckte sich mit ihnen, den stießen sie fort, jenen stießen sie an, besonders aber den schönen Anton, den sie immer am schnellsten und besten bedienten und ihm den Rücken klopften, so oft ihm etwas in die unrechte Kehle war gekommen. Die Wirtin setzte ihm sogar einen Kranz von Weinlaub auf den Kopf und küßte ihn als ihren Bacchus, da schrieen die andern: »Frau Wirtin habt ihr uns nicht gern im Haus, faldrida, so jagt uns nur fein gütlich hinaus, faldrida. Aber zum Sturmwind heißt dies Haus, darum leben wir alle im Saus. Ich muß auch einen kriegen, daß alle Balken biegen!« – Und der küßte sie alle herzhaft. Da rief einer: »Martialis gefällt unsrer Gnaden, der trank so viel Hochbecher aus, als viel seiner Buhlschaft Name Buchstaben innhielt, so muß mein Buhlschaft Be a er bar, te o to barto, el o lo, tolo Bartolo, em e me, lome, tolo me, Bartolome heißen. Alsdann werd ich ihr des öfter gedenken, je öfter man wird einschenken. O ihr lieben Weiber, wie ein guter Fund für euch, auf diese Weise können die Männer beim Wein euer nicht vergessen, lasset nur tapfer einschenken, heißt eine schon Anne, so sag sie heiß Peternellule.« Bei diesem Ruf konnte Frau Anna, die mit einem Regentuche, als Magd, bedeckt ans offene Kellerfenster geschlichen war um ihren Mann zu belauschen, dessen Stimme sie hatte erschallen hören, sich nicht langer halten, sie rief hinein: »Anton, Anton!« Und die ganze Gesellschaft rief Frau Annen ein Lebehoch und Segen; der lustige Wachtmeister, der eben gesungen, sprang hinaus, nahm sie scherzend bei ihrem Arme, achtete ihres Sträubens nicht und zog sie in den Keller hinunter. Durch diese Behandlung [805] war ihre ganze Seele schon aufgebracht, sie mußte sich gegen jemand entladen, und da war niemand mehr geeignet als ihr Anton, der alles das Mißgeschick veranlaßt hatte; sie trat zu ihm und rief, daß er mit ihr kommen solle, aber er sah eben einen Kreuzbuben fallen, der ihm den Stich nahm und gab nicht acht. Sie trat näher und rief nochmals: »Aber Anton!« und winkte ihm, er aber schüttelte ärgerlich mit dem Kopfe, weil es nur an einer Karte noch hing, ob er alles Geld, was er bei sich hatte, verloren; da sangen Seger und Melchior zweistimmig: »Die Weinlein, die wir gießen, die soll man trinken, die Brünnlein, die da fließen, die sollen blinken. Und wer ein steten Buhlen hat, der soll ihm winken: ja winken mit den Augen und treten auf den Fuß, es ist ein harter Orden, der seinen Buhlen meiden muß, und noch viel härter, daß ich dies hohe Glas aussaufen muß.« Während dieses Gesanges war sie dicht an sein Ohr herangetreten und sprach halblaut hinein: »Hörst du nicht, du roter Weinschlauch mit deinem Kranze, ich habe es wohl gesehen, wie dir die Metze den Kranz aufgesetzt hat und einen unehrlichen Kuß dir gegeben, ja lebte noch mein Mann, sie sollte Buße tun; hörst du noch nicht? Da siehst du auf Herzdame, statt deine ehrliche Frau anzusehen, die dich erst zu einem Manne gemacht; was warst du denn, du Tunichtgut, hörst du nicht?« Bei diesen Worten wollte sie ihm den Kranz abreißen, der ihm übers Ohr hing, zugleich sah Anton, daß er von seiner Frau gestört, die Herzdame zu früh ausgespielt hatte, das Spiel, was er gewonnen hätte, war nun verloren, ungeduldig griff er um sich, um seine Ohren frei zu erhalten und schlug seiner Frau ohne Absicht hinter die Ohren. Da war keine Zeit zum Entschuldigen, schon fiel sie ihm in die Haare, er wußte nicht, wie ihm geschah, und da er nicht sehr empfindlich war und in seinem Haupte ziemlich wankte, so ließ er es mit sich geschehen; Seger aber sang: »Fröhlich, so will ich singen, schlage dein Weib um den Kopf, ich muß dir diesen bringen, zieh dein Weib bei dem Zopf, das Lied, das will nicht klingen, ich stopf dafür den Kropf.« Anton ließ alles mit sich manchen, umsonst sagten ihm seine Kameraden, er solle es nicht leiden, er habe zu viel angewöhnte Demut gegen sie; er lachte während ihrer Schimpfreden und Schläge, hob sie endlich, als der Wirt kam und sie beide ermahnte, auf seine Arme und trug sie wie ein Kind [806] die Treppe hinauf nach dem Hause und in ihr Zimmer Hier wirkte der Rausch nach, kaum konnte er sie aufs Bett legen, so taumelte er selbst quer über, das erweckte den Ärger der Frau von neuem, über beide Betten hingesunken, war er eingeschlummert, sie konnte ihn nicht von der Stelle heben und hatte daher nicht einmal ihr eignes Bette frei; bald faßte sie einen Arm, dann ein Bein, es war unmöglich; sie begann ihn zu entkleiden, ob er vielleicht von der Nachtkühle erwachen werde, dabei stieß und schlug sie ihn, so oft ihre Galle überlief, aber alles umsonst; wenn sie ihn eben erweckt zu haben meinte, schlug er unerwartet um sich, daß sie einmal gegen den Kachelofen geworfen wurde, und dann drückte er sich noch fester ins Bette. Sie mußte sich endlich entschließen, ihm eine Decke überzuwerfen und sich selbst gleich ihm quer über beide Betten zu legen, um ihren Gram wenigstens ein paar Stunden zu verschlafen. Anton wachte früh auf, er konnte sich erst nicht besinnen, wo er sei, da fiel ihm denn eins nach dem andern ein, und es reute ihn recht herzlich, er hatte seine Frau ungemein lieb und sah auch Tränen in ihren schlafenden Augen, er küßte ihr die Tränen ab und dann ihren Mund; sie aber, die von dem Schrecken und Ärger sehr ermüdet war, merkte von dem allen nichts, bis er sie zärtlich umarmte und sie seiner Freundlichkeit nicht mehr widerstehen konnte. »Ja sieh nur, wie glücklich wir sein könnten«, sagte sie ihm, »wenn du keine dumme Streiche machtest; ich bin doch wahrlich noch hübscher als das freche Wirtsweib und küsse dir gern einen Kranz statt des Kranzes, den sie dir aufsetzt, und Wein geb ich dir, so viel du magst, alle Tage deine neun Maß und Sonntags einen richtigen Ehrentrunk, was kann dir denn dabei fehlen?« – Der aufrichtige Anton konnte hier nicht unterdrücken, daß er die Wasserverfälschung an dem Weine entdeckt; das ärgerte die Frau, sie fuhr auf und sagte: »Reinen Wein willst du Tagediebe gib mir Geld dazu! mein voriger Mann, der so viel verdiente, trank nie andern als den ich dir gebe; ja, denk nur einer, bald wird dir nichts mehr gut genug sein, und sonst nahmst du mit allem vorlieb.« – Anton, der ein Feind vom Zanken war, beruhigte sie mit Liebkosungen, er war in der schönsten Friedenszeit nie so zärtlich gewesen, wie heute nach dem ersten großen Streit. Das versöhnte die Frau bis zum Nachmittage, wo ihr schon allerlei Gerüchte von dem gestrigen Ereignisse zu Ohren [807] kamen, die sie gar sehr ärgerten. Sie fing von neuem an gegen Anton zu knuttern, der sich zu seinem Altarbilde recht begeistert gesetzt hatte; sie sagte ihm, wie sie gestern bei dem Bilde, als sie es den Frauen gezeigt, ihn vor allen Männern herausgestrichen habe, wie fleißig, wie ordentlich er geworden, wie er nie mehr zu Wein gehe und mitten in der Unterredung habe sie seine Stimme im Keller gehört, und wie ihr das wehe getan, das könne sie nicht verschmerzen, die Frauen hätten sie angesehen und nicht gewußt, was ihr fehle. Als jene aber weggegangen, da sei sie ihm nachgegangen und habe ihren Jammer im Keller gesehen, und nun fing sie mit allen Vorwürfen und Klagen ihm die Geschichte zu wiederholen an, daß Anton nach ein paar Stunden in heller Verzweiflung aufstand und unter dem Vorwande sich Farben einzukaufen, vor dem Tore in frischer Luft sich zu ergehen beschloß. Er kam auf einen freien Platz mit Bäumen, wo er oft mit seinen Kameraden Ball geschlagen hatte, er dachte sich, mit welcher Ungeduld er sonst dahingeeilt und für alle Quälereien seines Vaters hinlänglichen Ersatz mitten im Staube gefunden, in dem sie sich getummelt, wie sie die Gärten listig beraubt, die Kühe auf der Weide ausgemolken und wie sie sich so vielerlei gedacht, was aus ihnen werden sollte, Ritter und Räte mit goldenen Ketten und Spornen, und wie aus allen so wenig geworden. Er dachte des guten alten Bürgermeisters, wie ihn der in aller ritterlichen Übung unterrichten lassen, und wie ihm alles so wohl angestanden; er dachte, wie ihm die Welt sonst so weit gewesen und wie er nun Abends nicht über seiner Frauen Kammerschwelle hinausschreiten solle. In dem Augenblicke kam Seger ganz allein den Weg zu ihm heruntergeschritten und fragte scherzweis: »Nun, hat's noch viel Schläge von der Frau gesetzt, oder hat sie Euch gar weggejagt? Hört«, fuhr er fort, »ich rate Euch als Freund, verliert Eure Hosen nicht in den ersten Momenten, Ihr bringt sie sonst niemals wieder; so einer Witwe müßt Ihr den Daumen aufs Auge setzen, um sie nach der Hand zu ziehen, ich weiß es aus Erfahrung, mein Weib wollt es eben so machen jetzt muß sie kuschen. Ich bin Euch gut, Ihr seid ein Kerl, der überall sein Glück machen kann bei Weibern und bei großen Herren, was wollt Ihr bei dem Weibe verjammern? Kommt mit in das Jägerhaus, es ist jetzt gut Wildbret und Wein dort, Eure Kameraden, an die Ihr gestern so viel Geld verloren, kommen auch, Ihr [808] müßt es ihnen wieder abnehmen.« Anton war durstig und er schämte sich zu sagen, daß er seiner Frau wegen schon nach Hause müßte; er schlenderte mit in das Jägerhaus, kegelte erst einen Stamm ab und beredete sich mit dem Jäger zu einer großen Jagd am andern Tage, dann kamen seine Spießgesellen, und er spielte und trank mit ihnen. Das Glück hielt diesmal zwischen ihm und den andern die Waage, es wurde ihm so behaglich, Seger erzählte gute Schwänke aus dem Kriege, wie er mit Sickingen gegen Köln gezogen, wie sie die Mönche geärgert, dabei fluchte er auf den Papst, mit dem man damals aus allerlei Gründen unzufrieden war; es wurde von Luther erzählt, wie der des Papstes Bullen verbrannt. Anton bewunderte den tapfern Mann und hätte gern sein Bildnis malen mögen. »Seinem Bilde müssen wir folgen«, sprach Seger; »wahrhaftig, die Geistlichen sollen uns hier nicht mehr mit Beichte und Ablaß martern und abschätzen.« Darüber kam es zum Streit, wobei Anton mit seiner Stärke Frieden stiftete. Erst um zwölf Uhr kam er ziemlich bezecht, doch wohl bei Sinnen in sein Haus zurück, wo alles in der größten Verwirrung durcheinander lief, Frau Anna war auf den Gedanken gekommen, weil sie ihm den Nachmittag so viele Vorwürfe gemacht, er möchte in die weite Welt gelaufen sein, und nun fühlte sie erst recht, wie lieb sie ihn hatte; mit großer Ungeduld hatte sie Boten auf alle Straßen abgesendet, an alle Tore geschickt, es war ein Lärm in der Stadt geworden, Meister Anton Sixt sei davongelaufen, und alles, was noch im Hause deswegen auf und versammelt geblieben, war verwundert, ihn so fröhlich und ruhig eintreten zu sehen. Die Frau war ganz elend vom Schrecken, sie lag bleich auf einem Ruhebette; als sie ihn aber so fröhlich ankommen sah, sprang sie doch aus Ärger auf und über ihn her, er aber sah sie groß an, wie ein Adler, der einer Grasmücke die Eier ausgetrunken, die ihm dafür auf den Rücken gesprungen und mit dem Schnabel hackt. Er fragte mit großen Augen, was denn das bedeuten solle, und erfuhr von den Mägden die ganze Geschichte. Diesen öffentlichen Lärmen nahm er ernstlich übel, er schwor, er sei Herr im Hause, und wenn sich noch einer unterstehe, ohne seinen Befehl so etwas zu tun, so werde er ihm Arm und Beine entzwei schlagen. Dabei schlug er so grimmig auf den Tisch, daß die Frau in Angst geriet und ihm gute Worte gab; sie wollte ihn auch liebkosen, aber er wies sie von sich. Alle [809] waren über Herrn Anton verwundert, der bisher kaum etwas im Hause sich zu erbitten erlaubt hatte; schon den nächsten Tag sah er die Wirkung seines Ernstes; während seine Frau noch heftig mit ihm zankte, kam der Hausknecht und fragte ihn, was für Wein er holen solle. Die Frau wollte vor Ärger umkommen, aber er bestellte sich einen teuren Wein und ließ sie toben, daß er ihr alles Geld verschleudere. Wollte sie von nun an ein gutes Wort von ihm haben, so mußte sie ihm Geld geben, so viel er haben wollte, und stillschweigen, wenn er Abends aus den Weinkellern nach Hause kam, nachdem er tagelang mit ihnen auf der Jagd gelegen, die ihm eine unüberwindliche Leidenschaft geworden. Seine Ausgaben überstiegen bald alle ihre Einnahmen, ans Malen hatte er nicht Zeit zu denken, aber ihre Liebe zu ihm nahm immer zu; sie machte ihm täglich Vorwürfe, auch schlug sie wohl zuweilen, aber das half alles nicht; sie schickte deswegen die Geistlichen über ihn, daß sie ihm das Abendmahl versagen sollten.

Anton merkte bald, woher dies stamme, und ärgerte sich über diese Pfaffenwirtschaft, durch die seine Frau ihn regieren wollte, er besprach sich mit Seger und andern in der Stadt, die heimlich Luther zugetan waren und erklärten, daß sie das Abendmahl künftig nur unter beiderlei Gestalt annehmen wollten. Die Geistlichen betrieben die Sache für jetzt nicht weiter, sie waren unter sich uneinig und sahen, wie viele Anhänger die Kirchenverbesserung unter ihnen gewönne; Frau Anna hatte an ihnen keine Hülfe in ihrem Grame, insbesondere, als Anton das neue schöne Altarbild in die Kirche geliefert hatte; sie sagten ihr, daß eine christliche Ehefrau ihrem Manne in allen zeitlichen Angelegenheiten dienen und nachgeben müsse. Das war eine harte Zeit für Frau Anna, insbesondere, da sie sich ihrer zweiten Niederkunft näherte und Anton immer leichtsinniger in allerlei Verschwendung wurde. Sein fröhliches Wesen und gute Lebensart hatte ihn einigen Rittern der Gegend empfohlen, mit denen er jagte, auch ein paarmal zu Fehden mitritt, wobei er sich den Ruf eines sichern unerschrockenen Mannes erwarb. Da er halbe Wochen bei ihnen zugebracht hatte, so besuchten sie ihn wieder in der Stadt, was Frau Anna bei der gewohnten Achtung, die sie im geringen Herkommen gegen den Adel der Gegend hatte, nicht wenig in Verlegenheit setzte. Anton zog sie mit ihrem ängstlichen linkischen Wesen auf, und[810] jedem solchen Besuche folgte ein Strom von Tränen, die sie aus Arger über sich vergoß.

Unter solchen Bekümmernissen wurde sie glücklich von einem prächtigen Jungen entbunden, der fröhlich in die Welt lachte und sie zornig anschrie. Das Kind war aber ein Nimmersatt wie ihr Mann, dessen Namen Anton es auch in der Taufe erhielt; sie gab ihm zwei Ammen. Der große Anton hatte diese Zeit in stetem Jubel verpraßt; er benutzte ihre Schwäche, um einmal alles im Hause durchzusehen, Kisten und Kasten, um zu wissen, ob ihr Jammer über seine großen Ausgaben wirklich einen Grund hätte. Nun fand er freilich, daß manche große Kiste nichts als unbedeutendes altes Gerät enthielt; so fand er auch jenen verrosteten Degen und den durchlöcherten Beutel, den ihr Kurt aufgefunden hatte, doch erstaunte er über die Menge Leinen und anderen Vorräte.

Als eine törichte Pracht erschienen ihm die alten Pokale von des Bürgermeisters Ahnherren, weil niemals im Hause daraus getrunken wurde. Er nahm im Spaß ein Paar mit auf den Ratskeller und bewirtete seine Freunde. Ein Roßhändler, der gerade durchreiste, bezeigte seine Lust, sie zu kaufen, während er einige seiner schönsten Streithengste vorbeireiten ließ. Da war nun ein Apfelschimmel, der die ganze Neigung Antons auf sich gezogen; er konnte die Seligkeit kaum überschlagen, so ein Pferd täglich zu reiten, was alle Ritterpferde in der Gegend weit übertraf; er selbst trat dem Kaufmann mit der Frage entgegen, ob sie tauschen wollten, und der Mann ließ es sich gern gefallen, die Becher anzunehmen, die mit goldenen Denkmünzen bedeckt, den Henkel mit Edelsteinen besetzt, als Hauptschätze des Hauses geachtet wurden. Anton machte diesen Tausch heimlich, so daß keiner seiner Freunde ihn warnen konnte; er war ganz selig darüber, aber er fürchtete gleich, daß die Geschichte seiner Frau zu Ohren kommen möchte, deswegen beschloß er, ein paar Tage bei dem Ritter von Wieringen, seinem liebsten Jagdfreunde, zuzubringen. Er ritt noch den Abend fort und ließ es seiner Frau durch Segen sagen, die bei dieser Veranlassung in bittre Klagen über ihn ausbrach, daß er ihren Mann verführe. Seger meinte, sie möchte sich nur auch verführen lassen, und ihnen wäre beiden geholfen, worüber die Frau in großem Zorne ihm das Haus verbot. Seger ließ einige drohende Worte fallen und sein Fluch ging noch in derselben Nacht in [811] Erfüllung. Viele haben behauptet, er möchte selbst die Ursache des Unglücks sein: das große Vorwerk vor der Stadt, woher Frau Anna ihre Einnahme zog, brannte bis zum Grunde ab. Sie raufte sich die Haare aus und weinte über ihre unglücklichen Kinder; endlich sagte sie aber mit Hiob: der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobet; doch hätte sie gern ihren Herrn im Hause gehabt, um ihm ihre dringende Ermahnungen vorzutragen.

Gegen Mittag kam Anton, aber in welchem Zustande! Er wurde von einem Bauer mit Ochsen herein gefahren, so gelähmt und zerschunden hatte ihn nach mutiger Gegenwehr ein Haufen reisiger Knechte liegen lassen, denen nach seinem Rosse gelustet, die ihn überfallen und es durch überlegene Zahl nach hartem Kampfe ihm abgenommen hatten; er glaubte, den Roßkamm unter ihnen bemerkt zu haben. Seiner Hausfrau Bewillkommnung war nicht so milde, wie sein trauriger Zustand erwarten konnte; kaum sorgte sie für sein notwendigstes Bedürfnis, mit Unwillen gab sie ihm seine gewohnten neun Maße Wein und vier Pfund Rindfleisch, die er zum Mittagessen gebrauchte, und kündigte ihm gleich an, daß er nach dem Brandschaden kein solches Mahl künftig zu erwarten habe. Er war so beschämt, daß er nichts darauf antwortete, sondern seine Frau durch Vorschläge, wie der Schaden zu ersetzen sei, zu zerstreuen suchte; bald meinte er, ob es besser sei, das Vorwerk jetzt zu verkaufen oder es aufzubauen. Die Frau stimmte aber für das Letztere und meinte, daß dazu die silbernen Pokale und Becher aus des Mannes Erbschaft verkauft werden sollten.

Anton wagte die Augen nicht aufzuschlagen, er dachte sich den Lärmen, wenn der Verlust der beiden bedeutendsten Stücke entdeckt würde, und brachte es durch seine Beredsamkeit dahin, sie zum Verkaufe zu überreden. Nach acht Tagen, wo Antons unverwüstliche Gesundheit alle Beschädigung überwunden hatte daran mancher andre gestorben wäre, ging er nach dem Ratskeiler und wurde bei einem Becher Wein mit dem Wirte eines Kaufs einig, der ganz billig war, da Seger sehr lebhaft für Anton gesprochen hatte. Aus Dankbarkeit tat er Seger den Gefallen, ihm das Kapital zu einem gewohnten Zinse auf seine Häuser und Gärten zu leihen, die sehr ansehnlich waren, sowie auch Seger überall für einen wohlhabenden Mann galt. Frau Anna war zwar böse, daß er mit [812] dem schlechten Menschen dadurch in Verbindung bleibe, sie konnte aber das Geschehene nicht ändern; auch war sie jetzt mit ihrem Kinde sehr beschäftigt, das so außerordentlich zunahm, als wolle es den Vater bald einholen. Anton, im geheimen Bewußtsein der Schuld mit den Bechern, wurde in dieser Zeit so demütig wie in der ersten seines Ehestandes; doch begegnete sie ihm mit gleicher Härte, die er während der Zeiten seines wüsten Herumlebens in ihr notwendig gemacht hatte. Er dachte auch wieder an die Malerei und verfertigte einen St. Sebastian und einen St. Petrus, die ihm gut bezahlt wurden. Freilich war diese Einnahme immer nur gering gegen die Ausgaben, die ihm solch Bild machte. Um ruhig und ausdauernd zu malen, mußte seine Weinkanne nie leer werden; es blieb immer nur wenig übrig, um die beiden Becher, wie er sich vorgenommen hatte, früher zu ersetzen, ehe die Frau den Verlust wahrnehmen könne.

Aber ein neues Unglück störte diesen Frieden von neuem: Seger lief davon und hinterließ so viele Schulden, daß seine Häuser und Gärten ihnen nur für ein Zehntel Ersatz gaben. Die Nachricht setzte Frau Annen ganz außer sich; sie schimpfte, sie schlug ihren Mann, wo sie ihn traf, und dieser im Bewußtsein, wie viel mehr er noch verschuldet, ertrug alles geduldig. Sie gab ihm nur noch wenig Wein; er malte desto fleißiger, und die Geistlichen gaben ihm große Bestellungen. In der Not, worin ihn die Frau erhielt, in der Liebe zu seinem Knaben, die ungemein groß war, fing er an, was er so machte und gemacht hatte in handwerksmäßiger Gewohnheit und besondrer Anlage, näher zu betrachten; es kam ihm selbst wunderbar vor, was er hervorbringe; es konnte sich doch nichts von allem in der Gegend damit messen, und seines Vaters Bilder waren neben den seinen kaum zu dulden; insbesondre konnte er nicht begreifen, woher ihm die frommen stillen Gesichter kämen, da er selbst einem lustigen Landsknecht glich, auch nur mit lustigen Leuten gern umging. Da meinte er, das müsse wohl von seiner Frau ihm so vorschweben, die bei aller Härte gegen ihn doch immer ein sehr mildes heiliges Gesicht bewahrte, auch fleißig betete; der Gedanke vermehrte seine Achtung gegen sie; er schlich ihr oft nach, beobachtete sie und fand dann immer, daß seine Marien und andere heilige Frauen natürlicher würden und mehr Beifall erhielten.

[813] Als er sich so mit eigner Gesinnung seiner Kunst widmete und aus dem Handwerke hervorstrebte, griff die von Karlstein verbreitete Bilderstürmerei auch bis in diese Gegenden um sich; der Vorwand, den Götzendienst zu zerstören, brachte eine Menge liederlichen Volkes zusammen, welche die Kirchen beraubte. Mit großer Wut sprach Anton in seiner Stadt gegen die Lehre, ja er verfluchte Luther und alle seine Anhänger, weil durch sie dieser Wahnsinn aufgeregt worden, und wirklich hatte seine Stimme sein körperliches Ansehen die Macht, lange Zeit alle in Ordnung zu halten. Endlich drang aber Seger, als Anton gerade wegen der Überbringung eines Gemäldes abwesend war, mit einer Schar schwärmender Landsknechte in die Stadt und hielt Predigten vom wahren Glauben. Sein Haufe vermehrte sich schnell, und sie wollten eben in die Stadtkirche dringen, die von den Geistlichen stark verriegelt war, als Anton anlangte, von dem Lärmen hörte, sich mit einem Spieße bewaffnete und durch Hülfe der Geistlichen auf geheimen Wegen in die Kirche kam, um sie zu verteidigen.

Der Anlauf gegen die Türe ward immer wilder, endlich hob der Haufe ein Stück Bauholz zur Türe und schwang diese wie einen Mauerbrecher dagegen; die Riegel sprangen und alle, Seger voran, jubelten, daß alles gelungen, als ihnen Anton aus dem Dunkel der Kirche mit donnerndem Fluche und glänzendem Spieße entgegentrat. »Daß eure Augen ausfallen, ihr Frevler!« rief er mit gräßlicher Stimme und stieß Seger, der nicht weichen wollte, nieder. »Du sollst den Herrn nicht betrüben, wie du mir getan«, rief er weiter, »du sollst noch der Arm seiner Gerechtigkeit werden.« Bei diesen Worten ergriff er ihn beim Fuß und schmetterte mit ihm, wie mit einer gebrochenen Keule, auf die rasenden Stürmer los, die von dieser Riesenkraft erschreckt, sich nach allen Richtungen fortflüchteten. »Ihr Wiedehopfen, die ihr euer eigen Nest besudelt«, rief er ihnen nach, »habt ihr so viel Herz euren Herrgott anzufallen, und lauft davon vor einem Menschen?« Segern legte er in einen Winkel vor der Kirche, damit dieses Frevlers Leiche den heiligen Boden nicht besudele; jetzt wartete er noch ein paar Stunden als Wächter und ging dann mit einer innern Zufriedenheit nach Hause, um sich bei seiner Frau zu stärken und zu erfrischen. Hier erwartete ihn ein neuer Kampf.

Ein Haufen hatte ihn erkannt, war in sein Haus gedrungen, [814] hatte mit entsetzlichem Toben der Frau erzählt, wie sich ihr Mann gegen sie vergangen habe, wie sie nur aus Mitleid ihr das Leben ließen, hingegen alles andere rauben wollten. Sie waren in dieser fürchterlichen Arbeit, als Anton vor das Haus trat: einer schüttete Federn zum Fenster hinaus; ein andrer durchtrat ein Christusbild, das ihn in der Zerstörung noch mild lächelnd anblickte; ein dritter hatte einen Teerpinsel gefunden und besudelte das Bild am Giebel, das zu der Bekanntschaft Antons die Veranlassung gegeben; einer aber, ein gewesener Prediger, schrie ununterbrochen eine Stelle aus dem Propheten Michä I, V. 7: »Alle ihre Götzen sollen zerbrochen und alle ihr Hurenlohn soll mit Feuer verbrannt werden und will alle ihre Bilder verwüsten: denn sie sind von Hurenlohn gesammelt und sollen auch wieder Hurenlohn werden.« Diesen Schreier warf Anton zuerst darnieder, dann rannte er schäumend vor Wut, in das offene Haus, und wer ihm nicht auswich, fiel unter seinen Streichen, ungeachtet er seinen Spieß aus Heftigkeit weggeworfen und bloß mit der Faust auf seine Gegner eindrang. Als alle andern geflüchtet waren, legte er zwei Tote und vier Schwerverwundete vor die Tür; da jammerte ihn der Tod dieser Leute, und seine Frau machte ihm harte Vorwürfe, daß er durch seinen törichten Eifer ihnen das letzte zu ihrer Unterhaltung geraubt; es ward ihm zu Mute, als sei nun alles aus. »Sind sie denn auch bei dem Silberzeuge gewesen?« fragte er kalt; er wollte ihr seine alte Sünde mit den beiden Bechern beichten. Da weinte sie statt der Antwort und sagte dann: »sieh selbst zu.«

Er ging hinauf und fand die Schränke leer; jetzt fühlte er, daß er sich und die Seinen auf eine Art ernähren müsse, und seine einzige Geschicklichkeit, auf die er bisher rechnen konnte, seine Fertigkeit, heilige Bilder zu malen, die galt nichts mehr, wo so viele hochheilige alte Bilder an allen Orten zerstört oder nur mit Mühe bewahrt werden konnten, wo alle Opfer und Einnahmen den Kirchen versagt wurden; doch fühlte er in sich eine Art Trost, daß die Geschichte mit den Bechern seiner Frau vielleicht verborgen bliebe und daß er dieser Beschämung überhoben sei.

Er trat stille in ihr Zimmer, wo sie ganz erschöpft mit herunterhängenden Armen auf ihrem Stuhle saß; es war finster, der Mond beschien ihre beiden Kinder, die neben ihr schlummerten; die Kinder kannten ihn noch nicht, und im Herzen der Frau sprach [815] nichts für ihn; er schien ihr ein schrecklicher Riese, der all ihr Glück durch sein Ungeschick zerstört hatte. »Ach wäre nur mein guter sel'ger Mann nicht gestorben!« rief sie endlich, und er wiederholte: »Wär nur der gute Bürgermeister nicht gestorben, da könnte ich mir jetzt schon ritterliche Ehre erfochten haben; was soll nun aus mir werden, wer mag jetzt noch Bilder kaufen!« Dieser neue Kummer war ihr noch nicht in die Seele gedrungen, jetzt aber rief sie: »Wehe dir, du unnützer Mann, so bist du zu gar nichts tauglich.« Dies Wort stach ihm durchs Herz, daß ihm fast der Atem versagte; er hätte sich in Zorn entladen, wenn nicht in dem Augenblicke an die Haustür geklopft worden wäre.

Er sah zum Fenster hinaus, es war ein einzelner unbewehrter Mann; er kannte ihn nicht, machte aber doch auf und führte ihn in seiner Frauen Zimmer. »Ihr kommt von den Geistlichen?« fragte Anton; aber zugleich erkannte er Segern, der sehr bleich aussah, im Mondenscheine, schauderte zusammen und meinte, daß ihn ein Toter besuche. »Ihr erstaunt«, sprach Seger, »Ihr glaubt mich tot, eine Katze läßt sich nicht leicht totschlagen; kaum waret Ihr fort, so sprang ich auf; die Stichwunde und die Beulen haben nicht viel zu bedeuten; seid Ihr denn rasend gewesen, mit einem alten Freunde so umzugehen, wenn er Euch auch um ein paar Taler betrogen hat?« – »Wahrhaftig«, sagte Anton, »darum war ich so giftig nicht, sondern weil Ihr mir das Liebste beschimpfen und zerstören wolltet, das einzige, wovon ich lebe.« – »Ei was«, meinte Seger, »du lebst vom Essen und Trinken; hier findest du beides nicht mehr, denn die Geistlichen schützen dich wahrhaftig nicht, wenn du wegen der Leute in Anspruch genommen wirst, die in deinem Hause erschlagen; du weißt, es sind angesehene Bürger. Komm mit mir heimlich fort, ich war von den Leuten zu ihrer Partei gezwungen, so würde es dir auch gehen; komm mit zu Schärtlin, der sammelt Landsknechte, und du verstehst dich aufs Fechten, du kannst dein Glück machen.«

Anton stand verwundert vor Seger; der Gedanke an ritterliche Taten war ihm oft durch den Kopf gezogen, aber seine Haut als gemeiner Landsknecht zu Markte zu tragen, das war ihm ganz fremd; Weib und Kind aufzugeben, die er so lieb hatte, es war ihm zu hart; und so wandte er sich in der Hoffnung, daß sie es ganz abweisen werde, zu seiner Frau: »Was rätst du mir, Anna, [816] soll ich in die Welt ziehen und im Kriege mein Glück versuchen?« – »In Gottes Namen, Anton«, erwiderte sie; »hier in Frieden hast du nichts getan, als uns arm und elend zu machen, vielleicht geht dein Glück im Kriege auf; meines Vaters Bruder wurde ein reicher Mann durch einen Kriegszug; wo sollte ich dir jetzt Zehrung schaffen.«

Mit einem Schauder überlief Anton diese kalte Abfertigung von seiner Frau; es fiel ihm unwillkürlich ein, wie an dem Tage das Bild am Giebel ausgewischt worden. »Nun«, so sagte er zitternd, »soll es geschieden sein, so sei es schnell; mein Kind will ich nur einmal noch herzen, aber aus dem Schlafe möcht ich es nicht aufstören.«

»An mir liegt dir wohl nichts«, sagte die Frau; »ich glaube, du könntest mich verlassen und wüßtest nicht, ob du mich in Zeit und Ewigkeit wiedersehen würdest, aber darum gäbst du mir kein gutes Wort zum Abschiede; habe ich das um dich verdient, hast du mich darum um Gut und Ehre gebracht?«

»Kommt in einer Stunde vorbei, Seger«, sagte Anton; »die Stunde muß noch vom Kriegszuge abgehen; die Nacht ist lang, und ehe es tagt, sind wir weit genug zu unsrer Sicherheit.«

»Keine Viertelstunde dürfen wir warten«, sagte Seger, »sonst sind die Tore geschlossen, jetzt geht's noch in der Unordnung so aus und ein; was habt ihr euch noch zu sagen, ihr hättet's einander lange sagen können, am Ende fangt ihr doch nur an, euch zu zanken; fallt nicht in Liebestorheit in solcher Blutzeit, küßt euch übers Jahr, wenn die Kriegsbeute im Hause floriert.«

Er hatte nicht nötig ihnen das Küssen mit seinen Worten zu verleiden, in seiner Gegenwart war ihnen alle Lebenswärme abgeleitet. Anton schlug Licht; doch wie ihn kein Unglück um seine Lebenslust bringen konnte, so bat er seine Frau, ihnen aufzutischen, was die Bilderstürmer übrig gelassen. Sie brachte ein Brot und einen Krug Wein; Anton nahm den Krug, setzte ihn an ihren Mund, sie mußte einen guten Zug tun; dann trank er an der Stelle, schenkte auch den beiden Kindern und gab dann das übrige dem Waffenbruder. Das Brot steckte er in seinen Reisesack, dann holte er seine Muskete und seinen Degen, hieb mit dem Degen Pinsel und Paletten zusammen, die im Winkel standen, schluchzte, daß er nicht sprechen konnte, küßte Kinder und Frau, die ihm nachrief: »Sei mir treu, Anton; wenn du wiederkommst, sollst du den Lohn [817] dafür empfangen; behüte dich Gott und unsre liebe Frau im Himmel.« – »Fort«, sagte Seger und trieb ihn wie ein Würgengel vor sich hin; Anton aber klang es in den Ohren: »Ach ihr Berg und tiefe, tiefe Tal, so sah ich meinen Schatz zum letztenmal, zum letztenmal und hab sie nicht geherzt, das schmerzt.« Anton ging still vor sich hin; Seger machte im Walde den Raubvögeln nach, die auf Buhlschaft zogen; es schien ihm recht wohl, und Anton, der in seiner derben Natur viel verschmerzen konnte, hörte seinen Erzählungen von Liebesabenteuern mit ganzer Aufmerksamkeit zu.

Bis Augsburg reichten beide mit dem Gelde, das Sixt noch in seiner Tasche geführt hatte; als sie die reiche Stadt vor sich sahen, da ging diesem das Herz auf: »Da werden wir auch keine Not leiden.« Gleich am Tore erkundigte sich Seger nach der Wohnung Sebastian Schärtlins von Burtenbach, der dort Landsknechte gegen Frankreich warb. Ein bärtiger Landsknecht mit weiten Pluderhosen, der da auf Werbung lauerte, sah sie an: »St. Veit«, sagte er, »ihr seid gute Kerle, ich muß euch gleich zum Obersten führen, der wird große Freude über euch haben, wir wollen die Franzosen diesmal dengeln.« So kamen sie vor das große Haus Schärtlins am Markte, aus welchem eine große gelbe Fahne mit schwarzen Doppeladlern flatterte; viele Landsknechte standen davor, überzählten Geld und sprachen von ihren Kriegszügen. Seger trat voran ins Haus, Anton folgte; da fanden sie Schärtlin, einen Mann von stattlichem Ansehen, langen schwarzen Bartes, langen Oberleibes, wie er auf einem rotgepolsterten Sitze neben einem Tische saß, an welchem geschrieben wurde. Er grüßte freundlich mit dem Kopfe, sah aber mehr auf Anton, denn auf Seger. »Grüß euch Gott«, sprach er, »ich meine euch schon gesehen zu haben, woher des Weges?« – »Herr«, sprach Seger, »wir sind beide aus Waiblingen, mich könnt Ihr wohl gesehen haben, denn ich stand nicht weit von Euch, als wir Rom stürmten.« – Schärtlin sah ihn an: »Je, seid Ihr's, Seger, hab Euch seitdem nicht wiedergesehen, wo waret Ihr so lange, War der Große da auch dabei?« – »Nein, Herr«, sagte Anton, »noch habe ich keinen Kriegszug mitgemacht.« »Das hätt ich Euch nicht angesehen«, sagte Schärtlin, »Ihr scheint mir ein recht versuchter Geselle. Ja, Seger, bei Rom ging's uns gut, da haben wir seltsam hausgehalten, Kirchen und Klöster nicht verschont, einen guten Teil der Stadt abgebrannt, alle Register, [818] Briefe und Kopistereien zerrissen und zerschlagen, war da ein großer Jammer, wurden wir alle reich.« – »Aber wie gewonnen, so zerronnen«, sagte Seger, »ich brachte mehr mit zurück nach Waiblingen als irgend ein anderer Knecht, kaufte viel Häuser und Gärten, verspielte es aber alles in wenigen Jahren.« – Schärtlin lachte und sprach: »Hab einmal auch zu Neapolis 5000 Dukaten in einer Stunde verspielt, brachte doch aus demselben Kriege zurück an 15000 Florenen und gute Kleider und Kleinode; dem Allmächtigen sei Lob, ich hatte es sauer verdient. Doch zur Sache, ihr wollt also Dienste?« – SEGER: »Bei gutem Handgeld, ich bin ein guter Hakenschütze, der auch.« – SCHÄRTLIN: »Ich geb euch jedem vierzig Gulden für den Kriegszug.« – ANTON: »Ist das für mich, der noch nicht gedient, recht und genug, so ist's für den zu wenig.« – SCHÄRTLIN: »Vertragt euch darum, mehr kann ich nicht geben, ihr könnt bei mir was lernen und gut plündern.« – SEGER: »Ich dien bei Euch, auf! lasse uns den Eid ablegen.«

Schärtlin befahl jetzt dem Schreiber, das Geld auszuzahlen. Unter der Zeit traten neun Fähnlein seiner geworbenen Knechte, die noch in Augsburg lagen, vor dem Hause zusammen. Da war ein prächtiger Trommelschlag auf großen Trommeln; die Pfeifer taten ihr bestes, die Hakenschützen sprangen mit zierlichen Schritten voran, die Hauptleute spielten mit den Spießen in der Sonne, die große Fahne wurde herabgereicht vom Hause und in die Mitte gepflanzt; dann bestieg Schärtlin sein Pferd, nahm seinen Streithammer in die Hand und ließ die beiden Neuangeworbenen bei der Fahne schwören, indem er sprach: »Guten Abend, lieben Kriegsleut, also lieben Landsknecht, darum wir versammlet und hier beisammen sind, das geschieht darum, daß unser großmächtiger Kaiser unser bedarf zur Beschützung seiner Land und Untertanen, Witwen und Waisen; derhalben werdet ihr beiden Neuangeworbenen, Seger und Sixt, schwören, unserm gnädigen Herren zwölf Monat getreu zu dienen, auf Zügen und Wachten, gegen alle seine Feinde, zu Wasser und zu Lande, wo uns unser gnädiger Herr brauchen will.«

Hierauf sprachen die beiden: »Wie mir vorgesagt und wie ich mit Worten wohl verstanden habe, das fest und stet zu halten, schwör ich, als mir Gott helfe.«

Nach diesem Schwure ging mit Trommelschlag alles auseinander [819] und drängte sich um die beiden neuen Brüder, um ihnen auf den Zahn zu fühlen. Anton und Seger waren genug mit Leuten aller Art umgegangen, um sich schnell beliebt zu machen, die guten Gesellen wurden gleich mit ihnen bekannt, und Seger machte alle lustig, daß er sie aufmahnte, in das große Frauenhaus zu gehen. Da war unter den jungen Burschen ein Jubel, wohl einhundert zogen mit. Dieses Haus war damals eins der prächtigsten, wenngleich am abgelegensten in der Stadt, ursprünglich ein großes Bad, späterhin durch die Kriegszüge, die viel liederliches Volk in die Stadt getrieben, zu dem neuen Gebrauche eingerichtet. Aus allen Fenstern hingen Teppiche; schöne Frauen saßen daran und winkten mit großen Blumensträußen, oder auch mit Luftfächern aus bunten Federn; unten im Hause waren die großen Säle, wohin sich eine Zahl derselben, je nachdem ihrer bestellt wurden, begab; doch ehe das geschah, versicherte sich erst der Wirt mit seinen Helfershelfern, die mit Peitschen umhergingen, die Mädchen in ihrer Gewalt zu erhalten, ob auch Geld unter den Leuten sei. Wer Geld auslegte, wurde nach Gefallen gebadet und gezwagt und mit allem bewirtet, da klapperten die Würfel, ein Teil tanzte bei dem Schalle von Pfeifen, die Frauen wußten sich in allem recht stolz und freventlich zu zeigen, und es kostete dann noch viel Mühe, Geld und manchen blutigen Kopf, ehe sie sich dem Willen eines jeden fügten. Seger tat, als sei er mit allen seit Jahren schon vertraut gewesen, aber keine mochte ihn sonderlich leiden; er sah so kalt und tückisch aus, daß sie ihn ausschimpften wenn er ihnen zu nahe trat; hingegen drängten sich mehrere um Anton, der bei seinem Schoppen Wein bisher in aller Treue seiner Alma gedacht hatte. Zwei, die eine nannte sich Dido, die andere Semiramis, wollten nicht von ihm lassen, sie drängten ihn, er möchte sagen, welcher er den Vorzug gönne, und dabei zeigten sie so frech ihren stolzen Leib, daß ihm allerdings gar wunderlich zu Mute wurde, aber er dachte seiner Frau in aller Treue. Und wie sie ihn so mit glänzenden Augen unter sich sitzen sahen und doch so ruhig, als habe er gar nichts ihnen zu sagen, da faßte eine gegen die andere Verdacht geheimer Liebschaft mit ihm, und so begann der Schimpf zwischen beiden. Die hochmütige Semiramis schlug aus gegen Dido, die es ihr mit beiden Händen zurückgab. Der Tisch mit Gläsern stürzte um, die alten Landsknechte, die sich am [820] Feuer von einem Weibe Waffeln backen ließen, sprangen so hastig auf, daß die Butter ins Feuer lief. Seger, der schon lange auf Antons Frauenglück eifersüchtig gewesen, sprang zu seinem Degen und drang auf ihn ein, der, staunend über den Anfall und des tollen Menschen wenig achtend, nur nachlässig seine Stöße mit der Hand ablenkte. Von dem verschütteten Weine war aber der Boden so glatt geworden, daß Anton fiel, und Seger hätte ihn in dem Augenblicke durchstoßen, wäre nicht ein junges Mädchen mit fliegenden Haaren, einen Degen in der Hand, aus der offenstehenden Küche gesprungen, die ihn mit großer Geschicklichkeit entwaffnete. Mehrere sprangen jetzt auf ihn und rissen ihn näher zum Lichte, da schwankte er aber und redete so durch einander, daß sie ihn entweder für schwer verwundet oder für trunken halten mußten; das erstere widerlegte sich bald, er war unversehrt, da banden sie ihn an eine Leiter und legten ihn in ein Seitenzimmer.

Jetzt gab man erst auf Anton acht, der vor Schmerz aufschrie, ihm war im Gefechte das obere Glied des kleinen Fingers, woran der Trauring saß, halb abgehauen worden; er behauptete, es müsse gleich im Anfange geschehen sein, denn indem er mit der Hand den Tisch zu halten gesucht, sei er durch einen Hieb darauf schmerzlich aus der ersten Betäubung über das Ereignis geschreckt worden. Seine junge Retterin verband ihm den Finger, aber das war jetzt seine größte Sorge nicht; er suchte den Ring, der von dem Gliede abgehauen worden, der aber nicht aufzufinden war; man scharrte in allen Dielenritzen, aber vergebens; endlich gewann die Vermutung, er sei in das Feuer gefallen, die Oberhand, und da war jetzt nichts zu suchen und nichts zu finden, ohne Feuerschaden zu stiften.

Anton ärgerte sich über diesen Verlust, er kam sich selbst nicht recht vollständig vor; inzwischen suchte er keine Bedeutung in den Vorfällen des Lebens, und das wunderliche Mädchen, das ihn errettet hatte, zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich, er dankte ihr, sie hörte kaum darauf; sie war mit seiner Wunde beschäftigt und fragte ihn, ob er gute Pflege in seiner Wohnung habe. »Wohnung«, fragte Anton, »daran habe ich noch nicht gedacht; wo wohnt Ihr, Bruder?« – »Wir sind bei den Bürgern eingemietet«, sagte einer; »hast du dich bei dem Musterrollenschreiber nicht gemeldet?« – ANTON: »Keinesweges, ich meinte, Seger würde das besorgen, wie steht's mit dem?« – »Der ist in vierundzwanzig Stunden [821] noch nicht nüchtern, es muß ihn einer hier bewachen, bleib du hier, du hast frisches Geld, sie werden dir ein Nachtlager nicht abschlagen.«

Die beiden Frauen, die das Fechten bisher auseinander geschreckt hatte, kamen jetzt wieder aneinander, indem sie beide in seine blonden Locken griffen und ihn zu sich zu ziehen suchten. Das Zerren tat ihm wehe, der Wirt befreite ihn endlich, indem er die Mädchen in entgegengesetzten Ecken des Zimmers an Bänke festband. Jetzt hatten sie Zeit, wie Hähne, die zum Kampfe angeleitet werden, in verschlossenen Behältern einander gegenüber sich gegenseitig zu ärgern; wie eine losgelassene Mühle ergossen sich schäumend die Schimpfreden dieser beiden Zwillingstöchter des Müllers; ihre Schönheit hatte ihm viel Mahlgäste gelockt, bis Dido (der Name war ihr von einigen gelehrten Bacchanten geblieben, die mit ihr verkehrten, gleichwie der Name Semiramis ihrer Schwester) ihrer Lust die Weltfreiheit gewährte und die Schwester aus Liebe zu ihr die Mühle verließ.

Dido machte jetzt ihrer Schwester harte Vorwürfe: »Wie hast du dich verstellt vor mir; wie schienst du kalt gegen die Männer? – wie schienst du allein mich zu lieben?« – Semiramis antwortete: »Was hast du je mir zur Liebe getan? und doch habe ich Jahre lang dir gedient – deinem Eigensinn und deiner Lust; warum habe ich dir Hunderte zugeführt, die sich mir ergaben, und willst mir den einen rauben, den ich liebe.« – DIDO: »Was willst du mit ihm, willst du eine Rose auf Eis betten, du kannst nicht lieben, du hast nur den Schein des Lebens, aber in deinen Adern ist kaltes Blut, du bist eine kalte Schlange.« – SEMIRAMIS: »Und bin ich eine Schlange, so will ich mich um ihn winden, um seinen Hals, mit ewigem Knoten meine Arme in seinem Nacken verknüpfen und seines Mundes Küsse aussaugen.« – DIDO: »Sieh, du Schöngelockter, so denkt sie, so träumt sie; sie kennt nicht die Liebe; ich will dich schützen gegen Sonnenstrahlen wie ein Dach von Weinlaub; deinen Lippen will ich feurigen Trank und süße Speise reichen, und willst du schlummern, da soll dich das Beben meiner linken Seite, in der das Herz schlägt, sanft einwiegen, und dann will Ich mit deinen Haaren den Vögeln Schlingen stellen, daß du beim Erwachen von ihren Gesängen wie die aufgehende Sonne begrüßt wirst.« – SEMIRAMIS: »Ich kann nicht reden wie die Schwester, die verliebt zu allen gesprochen hat; aber sieh dieser Arme Glanz, [822] wo sie von schwarzen Fesseln gebunden; so weich, so voll sind sie, so hart das Band; ach viel weicher und voller ist meine Seele; und viel härter liegt sie in den Fesseln meiner Neigung zu dir.« DIDO: »Sieh mich, ich bin gelblich von dem Feuer des Goldes in mir, ein reiches Bergwerk und die reichen Stufen warten auf dich, dein Licht brennt hell in deinen Augen, sieh, wie das Gestein flimmert und funkelt, sieh meine Spangen mit Granaten umglänzt, sieh die Schnallen meiner Schuhe von gelben Topasen flammend.«

Da fuhr der Wirt, der etwas eingenickt war, auf; »ihr habt die Peitsche wohl lange nicht gesehn, wollt ihr schweigen, wollt ihr wieder Händel anstiften!« – Anton hielt ihn und sagte: er könne so harte Zucht nicht zugeben; darauf führte der Wirt mürrisch die beiden Frauen fort. Anton sah jetzt seine Retterin, das kleine Mädchen, freundlich an und fragte sie: »Wie heißt du?« – »Susanna, Herr!« – »Wohl denn, Susanna, sei die keusche Susanna, so bleibe ich bei dir!« – »Ihr seid sehr gütig, lieber Herr«, antwortete sie, »aber ich bin ein armer Aschenprödel und habe nur eine ärmliche Streu.« – »Mir einerlei, ich bin müde und möchte bald Ruhe haben!« – Susanna führte ihn unter eine Treppe, wo ihre Schlafkammer aufgeschlagen war; sie brachte ihm eine kleine Blechlampe, wobei er das Strohlager erkannte, von einem reinlichen, aber zerrissenen Leintuche bedeckt; eine gemeine gewürfelte wollene Pferdedecke diente zum Kopfkissen, eine andre zur Decke; sie zeigte ihm ein Kruzifix zum Beten und ging dann fort, um noch die Teller in der Küche abzuwaschen. Anton verwunderte sich wohl über das schwarzgelockte Mädchen, das so viel für ihn getan und so gar nichts von ihm zu verlangen schien, dem er aus Dankbarkeit nichts hätte abschlagen können; dann löschte er die Lampe aus und schlief, gegen seinen Willen, schnell ein. Der Hunger weckte ihn Morgens frühe; er hatte Abends mehr getrunken als gegessen, doch strahlte ihm schon der Lampenschein in die Augen, ungeachtet sie mit einer Schürze verhangen war.

Susanne lag vor dem Kruzifixe und betete den Rosenkranz dann stand sie auf, die zierlichste Gestalt im Übergange zur weiblichen Fülle, aber noch unbeendigt und schlank. Es war jene goldene Mädchenzeit, wo sie in doppelter Gestalt zu leben scheinen, in der künftigen und in der gegenwärtigen; aber ihr ganzes Wesen hat eine Freiheit von dem Bedürfnisse und einen Reiz, daß sie [823] mit großer Überlegenheit alle beherrschen, daß sie jede Huldigung anerkennen, aber keine erwidern mögen. O wenn ihr nicht selbst Engel wärt in dem Alter, ihr Mädchen, so würden euch alle Engel schützen, und für alles Gute, was ihr in dem Alter unbewußt tut, könnt ihr nachher lange sündigen.

Nachdem sie mit großer Scheu vor dem Schlafenden sich angezogen hatte, trat sie leise zu ihm, öffnete mit wunderbar leichter Hand den Verband seines Fingers, nahm ihn ab, küßte ihn und legte ihn in eine kleine blecherne Kapsel, die sie sich an einem Schnürchen um den Hals hing. Anton konnte es jetzt nicht lassen, nach seinem Finger zu sehen; er fürchtete, daß nach der Abnahme des Verbandes er sich die Kleider vollbluten würde; ihm war aber, als erwachte er aus einem Traume, wo er einen guten Freund verloren, der nun lebend vor seinem Bette stand, als er den abgehauenen gesund und unversehrt, bis auf einen schmalen, roten Strich, der quer durch wie ein Feuermal lief, an seiner Hand sah. Jetzt glaubte er erst, daß er träume; er bewegte ihn des Versuches wegen, und er war seinem Willen folgsam wie sonst; auch fühlte er damit die Spitzen des Strohs, wo an jener Seite das Bettlaken sich zurückgezogen hatte. Sie schien seine Bewegung nicht zu bemerken, sondern war eben mit der beschwerlichen Arbeit beschäftigt, einige Steine des gepflasterten Bodens auszuheben; sie kam endlich damit zu Stande, öffnete einen Kasten, der dort vergraben, und holte einen männlichen gelben Wams, Pluderhosen, ein rotes Barett und einen Gurt mit dem Messer heraus; das zog sie alles an und erschien dem Lauernden plötzlich in einen schönen Edelknaben verwandelt.

Länger konnte er seine Verwunderung nicht bergen, er richtete sich auf und sprach: »Hast du dich verwandelt, Wundermädchen, bist du Susanne nicht mehr, hast du mich auch verwandelt, bin ich ein Mädchen geworden?« – Sie kniete sich bescheiden nieder und bat ihn um Verzeihung, daß sie ihm nicht früher ihren Plan mitgeteilt hatte, ehe die Ausführung schon so weit gediehen. »Ich bin in diesem Hause geboren und auferzogen; ich kann nicht länger hier verweilen; seit der Geschichte gestern abend würde ich die Neugierde aller auf mich ziehen, ich würde als ein Opfer böser Lust fallen, wie ich so viele fallen gesehen; nehmt mich fort, gnädiger Herr! niemand wird mich in dieser Tracht vermuten; [824] ich gehe Euch nach wie ein Bube aus dem Trosse, der Euch abholen soll; gestern verspracht Ihr mir so viel zum Danke, seht, jetzt fordere ich das einzige von Euch.«

»Alles, liebes Kind, will ich dir gewähren; was brauchst du der Verkleidung, sei es mit Gewalt oder Güte, ich schaffe dich aus diesem Hause der Schande heraus.«

»Und was sollte dann aus mir werden, wer nähme mich hier in seine Dienste, hier kennt mich jedermann, von allen Kindern bin ich ausgeschimpft worden, wenn ich einkaufte am Markte; ich muß fort von hier, von der Stadt, von dem Lande; ich ziehe mit Eurem Fähnlein als Troßbube; zu diesem Gebrauche habe ich mir die Kreuzer erspart, die mir zum Lohne und als Trinkgeld hier gegeben sind. Ein Edelknabe verkaufte mir diese Tracht, der aus einer unsinnigen Leidenschaft zu einer Frau unseres Hauses sich hier, in Mädchenkleidern versteckt, aufhielt.«

»Wie hieß der Knabe, wo ist er geblieben?«

»Kurt hieß er, aus Pforzheim; er ließ sich in nächtlicher Weile mit der geliebten Frau aus dem Fenster an den Bettüchern herunter; am Morgen entdeckte der Herr, was vorgegangen, es war aber keiner von beiden zu erforschen. Der Herr war sehr wild, denn die Frau war ihm viel schuldig geblieben.«

»Nun wohlan«, meinte Anton, »mein gutes Susannchen, so sei denn zum letztenmal so genannt; Kurt heißt du nun, und Gott segne unsern Feldzug; so bring ich dich zu meiner Frau, da sollst du gute Tage leben und wie mein eignes Kind gehalten werden.«

Susanne lachte: »Wie Euer Kind? Ihr kommt mir gar nicht vor wie mein Vater; vielleicht scheint Ihr mir, ob Ihr gleich so groß und stark seid, jünger wie ich; seht, ich möchte Euch immer unterweisen und beraten.«

Anton war durch diese Rede in neue Verlegenheit gesetzt; er glaubte sein Verhältnis zu ihr durch den Ausdruck »väterlich« gut festgesetzt zu haben; er sprach, ohne recht zu wissen warum: »Ich könnte freilich manches lernen von dir, abgehauene Finger in einer Nacht anzuheilen.«

»Ach denkt der Kleinigkeit nicht; es war gut, daß ich mein sympathetisches Mittel brauchen konnte, ich habe wohl größere Kuren damit vollbracht, hier wo selten der Tanzboden ohne [825] Raufereien leer wird; doch es wird schon hell in den Gängen, sie könnten mich erkennen; zahlt Eure Zeche.«

Anton stand jetzt auf, dehnte sich mit allen Gliedern, sah noch einmal in das wunderliche Schlafkämmerlein und weckte dann den Wirt, der entsetzlich das verfluchte Susannchen schimpfte, die noch auf der faulen Haut liege. Er machte ihm eine teure Rechnung; und als er wissen wollte, wofür, sagte er: »Ich habe Euch so hoch aufgeschrieben, als Ihr hereingetreten; Ihr hättet das Doppelte verzehren können, ich hätte Euch nicht mehr abgefordert. Was habt Ihr da für einen feinen Burschen bei Euch?«

»Er ist mein Troßbube«, sagte Anton sehr verlegen und schob ihn zur Tür hinaus. »Da habt Ihr Euer Geld, lebt dafür als ein schlechter Kerl wie bisher, und dann segne Euch der Teufel mit allen seinen Gaben.«

Er wollte unter dem Toben des Wirtes fortgehen, als Seger an der Leiter gebunden hereinsprang, den Wirt umrannte und flink voran zur Tür hinauslief; wie ein tollgewordenes Schaltier schleppte er die breite Wagenleiter, die sich an der Tür festhakte.

Susanna, die jetzt die Hemmung fürchten mußte, kletterte über ihn hinaus, Anton ihr nach; der Wirt wollte wieder aufstehend beiden hitzig nach, er stieg die Leiter hinan, da ließ aber Seger dieselbe los und lief davon, so daß der Wirt sehr unsanft über seine Treppe hinaus auf das Straßenpflaster fiel.

Die drei Flüchtigen hatten nicht Lust abzuwarten, bis der Wirt mit seinen zahlreichen Prügelknechten ihnen nachgekommen; sie liefen schnell vor Schärtlins Haus, wo immer eine Zahl Landsknechte versammelt war. Einige, die gestern bei dem Streite zwischen Seger und Anton gegenwärtig gewesen, fragten ihn, ob er nicht seinen Finger mit dem Degen rächen wollte. Anton zeigte ihnen den Finger, daß er wieder angeheilt, dann ging er aber, weil er sich in seiner Ehre gekränkt glaubte, ganz trotzig auf Seger los und fragte ihn, wie er das gestern gemeint habe. Seger, an welchem ein paar andere gehetzt hatten, meinte, er wäre zwar betrunken gewesen, wenn er's aber so gar ernstlich nehmen wolle, so könne er... und dabei drehte er sich um und bleckte mit seiner langen Zunge aus dem magern gelben Gesichte heraus.

Der Feldwebel nahm jetzt Anton bei Seite, als er eben auf jenen losschlagen wollte, und sagte ihm, daß er ihn auf den Rosengarten [826] vor der Stadt herausfordern sollte. Das sei Gebrauch unter den Landsknechten.

Susanna hatte sich bei diesem Verhalten ängstlich dem Anton angeschmiegt; das rührte ihn, er bat sie, wenn er fiele, nach Waiblingen zu seiner Frau zu gehen und ihr zu sagen, daß er an einer Krankheit gestorben. Susanna versprach es, sagte ihm aber, er möchte nur erst zu Gott beten, so stürbe er selig. Diese Fassung in dem Mädchen, ihn sterben zu sehen, brachte in seine Seele ein ganz neues Gefühl; sein Zorn gegen Seger war längst veratmet, er war zu gutmütig, um ihn länger zu hassen, als die Bewegung im Blute dauerte; er war wohl schon auf einigen Fehdezügen und Gefechten gewesen, aber da waren viele mit ihm, jeder war mit sich auch beschäftigt; so war es auch bei manchem Zusammenlauf in Weinkellern und Gelagen, da war nichts Vorbereitetes, nichts Feierliches. Jetzt aber konnte ihm der Feldwebel nicht genug erzählen von allen Regeln, wie er sich stellen, wie er die Gänge endigen müsse, was er sprechen, wie er um sich blicken sollte; er sah, wie alles auf ihn blicken würde, welches Zutrauen sie dabei auf seine Größe, auf seine Stärke setzten, wie lächerlich es sich ausnehmen würde, wenn er sich feige zeigte, oder nur linkisch erschiene. Vom Gebete hatte ihm der Feldwebel nun gar nichts berichtet; er fragte ihn, ob es im Gebrauch. »Nein«, sagte jener, »das ist abgekommen, aber tüchtig Fluchen, das hilft.«

»Vergiß nicht zu beten«, sagte Susanna; und schon gelobte er sich mit großer Inbrunst, daß er nicht möchte zu Schanden werden.

Es wurde sehr heiß; sie gingen am sandigen Ufer des Wassers, einer nach dem andern, herunter, und Anton sah im Spiegel, daß Seger mehrmals nach Kräutern am Boden griff, nach Kletten und Stechapfel und damit seinen Degen rieb; er fragte den Feldwebel, was das solle. »Fest soll es machen«, sagte er, »aber ich halte nichts darauf; wer sich brav wehrt, ist am festesten.«

Unter solchen Reden kamen sie an das frische Grün des Rosengartens, der mit gar nichts als mit einer dünnen seidenen Schnur umzogen war, die aber keiner von allen Soldaten zu überspringen wagte, vielmehr rückte jeder seine Kleider in Ordnung und trat mit gemessenen Schritten auf den Eingang zu, wo die zwölf alten Ritter, die den Rosengarten in Worms verteidigten, in Stein gehauen standen. Sie grüßten alle ehrerbietig, dann gingen sie vor [827] den weißen Rosen vorüber in den Kreis, wo die roten Rosen in höchster Fülle zu einem hohen Zelte geflochten schattend dufteten. Seger und Anton warfen ihre Mäntel ab; jener bewegte sich ungeduldig hitzig, dieser, wie er ihn so ungeduldig vor sich sah, spürte eine Art Mitleid. Susanna schlich sich in diesem Augenblicke an ihn und flüsterte ihm zu: »Lieber Herr!« – Anton blickte auf und bezeichnete seine Brust mit dem Kreuze; dabei zitterte Seger, dann aber sprang er auf Anton tückisch ein, der seine ersten Stöße, weil er sie noch nicht erwartete, nur mühsam abwenden konnte.

In diesem Augenblicke sprangen die beiden Frauen Dido und Semiramis, die eigentlich an dem Ausbruche des Streites schuld gewesen waren, mit einem lauten »Halt ein!« nicht ohne Gefahr zwischen die Klingen der Kämpfenden. Dido war meergrün und Semiramis kornblumenblau gekleidet.

»Hört«, rief Semiramis, »wie großmütig eine liebende Frau sein kann; ihr wißt, wir haben uns um Anton gestritten, aber sein Leben ist mir lieber als meine Liebe, und so warf ich meine ganze Liebe auf dich, Seger; dich aber Anton, muß ich der Dido überlassen; so seid ihr beide versöhnt.«

Seger umfaßte sie und kniete nieder, hob sie dann auf seine Schulter und rief: daß solch ein Edelmut unerhört sei; sie beide dankten ihnen das Leben.

Anton stand in sich gekehrt und wußte gar nicht, was er sagen sollte. Dido hatte, ohne daß er es bemerkt, ihm den Degen abgenommen, sie küßte ihn, und er merkte nichts. Susanna war von ihm getreten und hielt sich unter den Soldaten versteckt.

Jetzt erscholl ein lieblicher Tanz von gedämpften Trommeln, Pfeifen und Fagotten. Dido ergriff Anton zum Reihentanz, Semiramis führte Seger. Der Tanz verschlang sich immer mehr, und immer tiefer gingen seine Gedanken unter, immer mehr traten die Sinne hervor; bald tanzte er mit einer Anmut, die er sich einst erworben, den einzelnen Locktanz. Dido flüchtete scheinbar vor ihm und von ihm in das dichte Holz; er tanzte trauernd und suchend, daß alle Rosen sich auf ihn niedersenkten und seine Lippen kühlten; er rief, aber sie kam nicht, aber alle wurden durch ein nahes Waffengeklirr erschreckt. Alle liefen nach dem Orte, auch Anton und Seger, aber alle kamen zu spät, um das schreckliche Ereignis zu hindern. O Jammer, daß die Zeit immer umwendet, [828] das Geschehene zu verwandeln nach dem Rate der Klugheit. Über das meergrüne Kleid Didos, über das blaue Gewand der Semiramis flossen zwei rote Ströme zusammen und mischten das feindliche Blut der beiden streitenden Weiber; sie hatten einander mit den abgenommenen Degen der Kämpfer durchbohrt.

Semiramis rief zu Anton: »Siehe, Unglückseliger, zwei Opfer deiner göttlichen Schönheit; ich konnte nichts als sterben, seit ich dir entsagt; o Amor! wie hat deine Flamme mich verzehrt, daß ich mein eignes Haus angezündet habe; wisset, es ist meine Zwillingsschwester, die ich zum Gefechte gezwungen, meine Zwillingsschwester, mit der ich einträchtig zusammen ruhte im Leibe der Mutter, die ich zur ewigen Ruhe niedergestreckt; es ist meine Zwillingsschwester, die mich mitnimmt in die grausenden Lieblichkeiten des Venusberges, in welchem wir bis zum jüngsten Tage schmachten müssen nach dem Genusse, in dem wir hier uns übernahmen.«

»Schweige, du arme Schwester«, rief Dido mit schwacher Stimme, »ich bin deiner Leiden, deiner Sünde Anfang und Ende; das Eis, auf welchem du zu Falle gekommen. Hört es ihr harten Kriegesseelen, und ihr werdet sie jammervoll anblicken und für sie beten; sie war zu stolz, zu edel für die Sünde, mich aber ergriff sie in wilder Lust, doch wollte sie mich nicht verlassen, so war sie geschändet vor der Welt und doch ohne Schuld; sie sorgte nur für mich, freute sich meines Glückes, sie aber empfand keine Liebe.«

»Ach«, seufzte Semiramis, »die Liebe ist ein guter Jäger, sie lädt uns die Freiheit, wie den wilden Vögeln, bis wir erwachsen sind und in voller Schönheit des Gefieders prangen, da schießt sie uns mit Pfeilen des Todes in einer Stunde ungewarnt darnieder; wehe mir des letzten Tages, wo ich dich Anton erblickt; da ging meine Freiheit verloren und mein Edelmut und meine Schwestertreue.«

»Jammer, unendlicher Jammer schlägt an meine Brust mit todespochender Hand«, rief Dido, »du hattest so viel für mich getan, und konnte dir nicht opfern dies eine Glück. O du doppelsinnige Liebe, ich kannte deine Tücke, deine Unersättlichkeit, darum wollte ich dich bewahren, o meine Schwester, vor ihrem ersten Handgelde, denn niemand dient bei ihr aus, immer neue Dienste weiß sie aus den alten zu erzwingen.«

[829] »Reiß nicht so schmerzlich in meinem Hirn, Schauder der Liebe«, klagte schwächer Semiramis, »wie hat dein Hauch alle Rosen des Gartens verwelkt, wie ein giftiger Tau, wie ein glühender Wind der Wüste. Es ist heller Mittag, aber doch seh ich schrecklich rasende Sternbilder am Himmel, greulich wüten die Wesen in einander, Menschen und Tiere vermischt. Geliebter Anton, könnte ich den reinen Himmel nur sehen, wie ich ihn noch gestern gesehen; o halte mich fest, geliebter Anton! wer läßt den Boden unter mir gleich Korn durch den Mühlstein gehen, er sinkt, er sinkt! schon faßt mich der rollende Mühlstein; mein Vater, warum hast du deine Mühle angelassen und deiner Kinder nicht gedacht.«

Und die andere schrie: »Vater, warum hast du den Strom angelassen, er treibt mich in das Rad; das Bad war mir so kühl und lieblich.«

»Ja, ja«, sagte der Feldwebel, »werdet den Vater schon wieder finden in der Hölle; seid doch zu beklagen, was konntet ihr dafür, daß er mit euch sich Mahlgäste lockte, ihm hat's auch nicht geholfen, wie gewonnen, so zerronnen.«

Aber die armen Müllertöchter hörten nicht mehr diese kalte Rede, ihr Jammer endete für diese Welt und ging in jener auf, und Anton lief in seiner Herzensangst, die Ursach ihres Todes zu sein, von einer zur andern; aber die toten Leiber erkannten nicht mehr seine Liebkosungen, die noch vor wenig Augenblicken sie zu tausend Freudensprüngen belebt hätten. So sah er der irdischen Liebe Tod, und wie ein Vogel, der aus dem Nest ausgestoßen, zuerst seiner Flügel Schwingkraft kennen lernt, so wurde es ihm nun zu Mute, als er überdachte, was er in den Gemütern der Menschen gewirkt; sein Gemüt selbst erkannte sich in einer Freiheit von dem Boden des Jammers, und er hörte auf, ein Leibeigner seines Bedürfnisses zu sein; er kam sich vor, als gehöre er zu Susannen, und mit dem Gedanken erinnerte er sich, wie wunderbar sie seinen Finger geheilt.

»Kurt«, rief er, »wenn du mir wirklich treu bist, tue diesen armen Frauen wie du mir getan und heile ihre Wunden.«

»Herr,« sagte sie, »das sind Wunden der Gerichte Gottes, über die vermag alle Sympathie nichts; ich werde tun nach Eurem Befehle, aber ich meine, daß alles vergebens.«

Bei diesen Worten ergriff sie ein Holz und legte es unter Gebeten [830] im Kreuze auf die Wunden, und die armen Mädchen öffneten die Augen; da faltete ihnen Susanna die Hände und betete ein Vaterunser, da verschieden sie, und das Schrecken ihrer Gesichter schien gemildert, als wäre ein Jahrhundert abgebüßt.

Neue Wildheit durchströmte jetzt den Garten, der Wirt des Frauenhauses kam mit seinen Knechten, um die entlaufenen Mädchen zurückzurufen; da er mit Beschimpfungen von den Soldaten empfangen wurde, so hieb er mit seinen Leuten, die in größerer Zahl waren, auf diese ein. Hier zeichnete Anton sich zuerst vor ihnen aus, er tat Wunder; aber Susanna war an ihn gebannt wie ein Waffenzeichen und hielt manchen Hieb ab, der ihn treffen sollte. Von beiden Seiten waren schon mehrere schwer verwundet, als endlich der Wirt durch einen Hieb Antons mit gräßlichem Geschrei fiel, worauf seine Knechte entliefen.

Im Triumphmarsche zogen nun die Knechte in die Stadt; es wirrte Anton im Kopfe. Seger trat zu ihm und sagte, er müsse sich an dem Wirte rächen. Jetzt sprach Anton von nichts als Zusammenschlagen des Frauenhauses; er ging so stolz einher wie ein Hauptmann, so folgte ihm jeder und keiner wußte warum. Es sammelten sich zu ihm noch mehr Soldaten in der Stadt, und sie gingen im Sturmmarsche auf das Frauenhaus, erbrachen die verschlossenen Türen, ergriffen die Feuerbrände am Herde, durchsuchten das Haus und schlugen die Hüter aus allen Ecken heraus. Die Frauen flüchteten jubelnd heraus, ihre Sündenrechnungen waren zerrissen, denn die Flamme wirbelte schon aus einem Fenster heraus, als sie noch Tisch und Bänke und alles Geräte zerschlugen.

Draußen waren indessen durch die Sturmglocken viel Bürger versammelt, die aus Ärger über den Frevler in die Flammen zurücktrieben, aus denen sie sich jetzt auf die Straße zu flüchten suchten. Die Menge dieser Feinde war groß, aber Anton verlor den Mut nicht; er nahm die Muskete eines Soldaten, legte an und schoß los, daß die Kugel über die Häupter der Bürger hinsauste, da wußten die Hintersten nicht, daß ihrer Feinde so wenig nur waren, sie sprangen in Eile über eine Kirchhofsmauer, die ihnen im Rücken lag, die andern sprangen nach, wie wir bei Schafen sehen; wenn eins emporgesprungen ist, so springen da alle nach. Die Vordersten, die hinter sich plötzlich das Geschrei hörten und die Flocht wahrnahmen, meinten, ihnen sei ein unbekannter Feind [831] in den Rücken gekommen, und fürchteten sich vor zwei Feuern und liefen nach allen Richtungen.

Die mächtige Stadt wäre in dieser blinden Furcht vor wenigen Menschen leicht zu plündern gewesen, aber die Landsknechte verachteten das; vielmehr sammelten sie sich in Reih und Glied vor Schärtlins Hause, der sie mit Weisheit und Entschlossenheit sogleich aus der Stadt führte. Anton sah in dem Gerassel der Waffen, in dem gleichen Schritt, von dem die Erde bebte, mit einer wunderlichen Schwermut nach den Feuerwolken, die über der Stadt durch die Nacht schienen; erst jetzt dachte er, wie viele Unschuldige sein blinder Eifer vielleicht in vieljähriges Verderben gestürzt.

Susanna, die still neben ihm gegangen war, seufzte und sagte, daß sie versinke in Müdigkeit. Da nahm er sie in seine Arme, und als der Mond aufging, da schien sie ihm bleich wie eine Tote, und der milde Tau seiner Tränen fiel auf die Schläfe der Müden, daß sie erwachte, die Augen aufschlug und betete: »Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Das Wort drückte sich in das tiefste Gedächtnis Antons; er fühlte, daß er nie gewußt, was er getan, sondern daß der Zufall mit ihm gespielt; und vor dem Mädchen faßte ihn eine heimliche Scheu, wie vor einem Engel.

Sie sprang erfrischt auf den Boden und marschierte an seiner Seite weiter fort, bis der Haufen Halt machte und sich über den grünen Boden streckte; da sank ein hoher Federbusch nach dem andern ins Gras, sie aber sang noch im frischen Morgenwinde:


Herr der Müden,
Herr der Schwachen,
Nach dem Wachen
Schenke uns des Schlafes Frieden;
Daß wir ruhen von Beschwerde,
Daß kein Feind uns mag beschleichen.
Decke uns mit Palmenzweigen,
Decke uns mit kühler Erde.

Während sie so sang, heulte der Wolf im dichten Forst. Anton war der Gesang ganz unbehaglich; er setzte sich zu Seger und fragte ihn: »Wo mag das Feuer eigentlich ausgekommen sein?« – Seger lachte und sprach: »Ich warf einen Feuerbrand in einen Haufen alter Lumpen; das war ein Spaß, anzusehen, wie das alles in [832] die Höhe flammte und das unverbrannte Zeug mit sich riß, als wären es Brandbriefe, die über all ausfliegen sollten; dann schloß ich das Zimmer zu, damit niemand zum Löschen herein konnte.«

»Pfui Teufel!« sagte Anton, »das Zerschlagen habe ich wohl geraten, aber das Verbrennen war schlecht, denn das Feuer hat seinen eigenen Weg, und keiner weiß, wen es erreicht.«

Bei diesen Worten beorderte die Trommel alle in den Ring. Schärtlin sah sehr ergrimmt aus und hielt in der Mitte zu Pferde. Es traten zwei Abgeordnete des Augsburger Rates auf und baten ihn um Bestrafung der Frevler, die Brand in ihrer Stadt gestiftet hätten. – Schärtlin versprach ihnen das und hielt bei dieser Veranlassung eine Rede über das unnütze Gesindel, das ein Verderben ihrer Kameraden sei. »Es gibt«, sagte er, »solche Federhansen, Eisenbeißer und Spitzknechte; die halten sich zusammen, prassen, schlemmen, demmen und verspielen ihre Besoldung bei Zeiten, schlagen sich dann bei andern ehrlichen Gesellen zu. Wo man ihnen den Kragen nicht füllt, suchen sie Gelegenheit durch Spiel oder Balgen andere zu überrumpeln, ziehen im Lager um oder von einem Haus zum andern, schreien Mum, Mum, tragen Würfel in der Hand, haben etwa den Degen oder Wehr am Arm oder Hals hangen, sind gleich bös und freudig mit dem Maul; was sie im Wege sehen, fallen sie an, durchstreichen die Dörfer; da kann kein Armer ein Hühnlein vor ihnen behalten, jagen sie wohl gar zum Hause hinaus, stecken ihnen wohl gar das Haus an; aber solcher Frevel soll gestraft werden.«

Nach diesen Worten gab er Befehl zur Untersuchung. Ein paar Zeugen, des Augsburger Wirts Knechte, sagten auf Anton aus, daß er in das Haus gedrungen; er leugnete nichts, sondern erzählte, wie alles sich verlaufen, daß er aber am Feuer unschuldig sei.

Schärtlin sah ihn aufmerksam an und sprach: »Schade, daß ich dich so bald verliere, aus dir hätte was werden können.«

Die drei Richter waren nach dem ersten Verhöre gleich einig, daß er sein Leben verwirkt habe, doch solle ihm aus besonderer Gnade des Feldmarschalls keine schimpfliche Strafe angetan werden, sondern er durch drei Musketenschüsse seiner Kameraden fallen.

Anton stand da verwundert, aber nicht erschüttert; es kam ihm alles wie ein elendes Spielwerk vor; er fragte: Wie bald er denn solle der Welt absagen.

[833] »In einer Stunde«, antworteten die Richter.

»Wohl denn«, sprach er, »so will ich noch einen guten Trunk tun. Wein her für mich und für meinen Knaben.«

Seger trat jetzt zu ihm und dankte ihm, daß er ihn nicht verraten; zugleich riet er ihm, er wolle ihm heimlich einen Dolch zustecken, damit möchte er nur den Steckenknecht, der ihn bewachte, niederstoßen und davonlaufen; er könne ihm schwören, daß keiner der Landsknechte umher ihm nachsetzen würde, vielmehr wären sie alle schon in Aufruhr, daß einer von ihnen wegen einer Ehrensache des ganzen Haufens zum Tode verurteilt werden sollte.

Anton dankte ihm und nahm den Dolch; jetzt aber redete ihn Susanna an, die den Vorschlag vernommen hatte: »Herr, laßt keinen Unschuldigen Euretwegen sterben.«

Anton ward dadurch ernst und gerührt; er tat nichts zu seiner Befreiung, sondern dachte so in sich, was nun in wenig Augenblicken aus ihm werden würde, wer ihn in der Welt vermissen, und daß sich alle so wohl befinden würden wie vorher; aber da sah er Susanna, die mit jammervollem Blicke betete, und betete auch. Die Gedanken gingen ihm immer höher, als ihn Schärtlin aus seinem Traume erweckte und laut sprach, er wolle doch hören ob er noch was auf Erden zu bestellen. Dann sprach aber der Feldmarschall leise zu ihm: »Ich habe dich lieb gewonnen wegen deines tapfern Angesichts, ich will ein Großes für dich tun, meine Schützen sollen die Kugeln wegbeißen; stell dich, als wärst du getroffen; der Nachrichter soll dich gleich forttragen, lauf dann, so weit du kommen kannst, dein Handgeld sei dir geschenkt.« – Anton sah ihm mit gerührtem Blicke in das große ernste Gesicht, und Schärtlin blieb ihm unvergeßlich; er glaubte noch vor ihm zu stehen, als er längst fortgeritten war.

Die Anstalten zur Hinrichtung wurden gemacht; feierlich nahmen alle Spießgesellen von ihm Abschied und schwuren ihm sie hätten ihn zum Rittmeister erwählt, wäre er leben geblieben. Der Ernst dieser Reden durchzog endlich Anton mit dem Gedanken, was Schärtlin ihm gesagt, habe ihm wohl nur die Furcht ersparen sollen; das erregte seinen Stolz, und mit Kühnheit kniete er auf dem Sandberge nieder, seiner selbst gewiß, uneingedenk des Ausgangs. Als aber der erste Schütze geschossen und er nichts [834] als den Luftzug und die Blendung empfunden, da bereitete er sich umzustürzen, wie Schärtlin ihm befohlen. Der zweite, ein alter Schütze, sah ihn grimmig an, zielte langsam, dann blitzte das Pulver auf, und Anton streckte sich zusammenstürzend über den Sandhaufen. Gleich bedeckten ihn ein paar Steckenknechte mit einem roten Mantel und trugen ihn ins Gehölz. Der Marsch wurde geschlagen, und die Gegend verödete sich mit jedem Schritte.

Anton mußte noch immer tot scheinen, aber fast ertrug er den Zwang nicht länger, als er Susanna mit so beweglicher Stimme um ihn klagen hörte. – »O Vater im Himmel!« rief sie, »was soll ich auf Erden, wo mich keiner liebt, da du ihn zu dir genommen hast, den ich liebte auf Erden; wo soll ich einen Trost finden, da sein fröhliches Angesicht mir nicht mehr leuchtet; wem gehöre ich an auf dieser Welt als ihm, der mich nicht mehr hört; er ist mir Mutter und Vater, Bräutigam und Mann, Vaterland und Unterhalt. Hier will ich bleiben, bis meine Klagen mit dem letzten Atem verseufzen; hier will ich beten und verhungern, denn seines toten Angesichts bleiche Lieblichkeit ist die einzige Nahrung, wonach ich verlange.« Bei diesen Worten zog sie den Mantel hinweg, und Anton hielt sich nicht länger, hätte es ihm auch das Leben gekostet; er umfaßte sie mit beiden Armen, und sie stürzte von dem Erschrecken tot in seine Arme. An seinem Herzen erwärmte er ihr Herz, an seinen Lippen ihre Lippen, in seinen Händen ihre Hände, und als sie erwachte, da füllte die Röte der Scham ihre Wangen; sie gab einen leisen Schlag mit der Hand auf seine Brust, machte ein Kreuz über die ihre und sprach: »Du verdirbst mir die Freude.«

Anton, der das alles in seiner bittersten Not getan, konnte ihren Mißmut nicht begreifen: »Mädchen, du bist zweiköpfig, wie man die Zeit malt; jetzt eben zeigtest du mir das verkehrte Antlitz, was nicht einsieht, wie es voraus in der Welt aussieht!« – Sie aber sprach: »Ich dachte nie, daß mir das begegnen sollte – aber du bist hart wie alle Männer.« – »Was ist dir geschehen«, fragte Anton erstaunt, »wie könnte ich, kaum aus den Klauen des Todes und des Teufels er löst, dir liebes Kind ein Unrecht tun wollen, tun können?« – »Aber wer erlaubte dir mein Wams zu lüften?« – »Die Not zwang mich, du starrtest zum Paradiese hinüber, und was sollte ich hier auf dürrer Heide?«

Susanna ging vor sich und sah ihn nicht an; dabei befiel ihn [835] eine Langeweile, eine Lust zu essen und zu trinken, daß er sich von ganzem Herzen zu seinen Kamera den zurückwünschte. Langsam ging er so übers Feld, als ihm eine bekannte Stimme aus der Ferne rief; er sah sich um, es war Seger, der in vollem Laufe zu ihm eilte und ihm außer Atem herstammelte, wie er es ohne ihn unter den Landsknechten nicht mehr aushalten könne; er habe den Betrug beim Totschießen wohl bemerkt, habe bald unter einem Vorwande der Notdurft sich in einen Graben gesetzt und sei hinter Bäumen immer fort glücklich bis zum Schießplatze gekommen, von wo er seinen Schritten gefolgt. Nach diesen Worten warf er seine Feldtasche und Feldflasche an den Boden, trank Anton eine gute Gesundheit in altem Sekt zu, worauf ihm dieser guten Bescheid tat und die Flasche dann Susannen reichte, die aber alles verschmähte.

»Halt dich hier nicht auf«, sagte sie zu Anton; »die Augsburger sind uns noch nahe, ein Zufall könnte uns in ihre Hände bringen.«

Aber Anton hörte nicht bei der Flasche und bei den Butterbroten. Seger riet ihm, den Kurt zur Wacht in einiger Entfernung in die Tiefe zu stellen, und Anton, indem er Susannen alles aufnötigte, was er eben mit großer Lust zum Munde fahren wollte, bat sie um diesen Liebesdienst. Susanna gehorchte stillschweigend, Seger sah ihr ungeduldig nach. Als sie ihn nicht mehr hören konnte, sprach er zu Anton: »Hört Anton, Euretwegen ist nun schon so groß Unglück geschehen, Mord und Brand haben jeden Eurer Schritte gezeichnet; Ihr seht, daß Ihr zum Unglück geboren seid; Ihr wollt nichts Böses tun, aber das Böse läßt nicht von Euch; seht, so ist's mir auch gegangen.«

Anton stutzte bei dieser Anrede und fragte nach seiner Geschichte; er müsse wohl manches erfahren haben.

»Ich könnte Euch ein paar Jahre davon berichten«, antwortete Seger, »aber Ihr sollt die Zeit nicht verlieren; Ihr seid in Euren besten Jahren, Ihr sollt mir helfen. Ich bin in jenem Fürstenhause geboren, das dort so weiß aus den Tannen hervorsieht; es war ein Jagdschloß der Herzoge von Schwaben und gehört jetzt den Graten von Reck; es hat viel Gelaß, um alle Sünden und Missetaten zu bergen, viel heimliche Eingänge unter der Erde, wo sich das Laster einschleicht; so kam auch ich auf einem Schleichwege in die Welt, denn meine Mutter war eine Nonne, die sich Agathe nannte. Ich [836] habe sie nicht gekannt, denn Niklas, mein Vater, hatte sie umgebracht, weil sie mich durch die Kraft des Grafen in die Welt gesetzt hatte, was mir doch recht lieb war, denn ich hätte sein Sohn nicht sein mögen. Darauf übernahm er meine Erziehung mit großem Ernste; zuerst mußte ich den Leuten, die bei uns einkehrten, die Sacktücher und Handschuhe, wo sie einen liegen ließen, verheimlichen; dann mußte ich ihnen die Geldbeutel, wenn sie beim Weine eingenickt waren, entfremden; ich tat das so im Spiel. Da schickte er aber eine böse Magd mir zu, die mußte sich verliebt in mich stellen und mich in ihre Gewalt bringen; die beredete mich, einem Bacchanten aufzulauern, der oft bei uns verkehrte und von dem sie behauptete, daß er ihr mit seiner Liebe nachstelle. Es ward mir recht sauer; ich lag wohl eine halbe Stunde im Dorngebüsch, und die Spechte hackten so fürchterlich an den Bäumen; auf meine Armbrust, die gespannt neben mir im Grase ruhte, kroch eine große schwarze Waldschnecke und streckte bei der Spitze des Pfeiles, der darauf lag, ihre Fühlhörner in die Weite; ich aber blickte auf und sah den Schüler in seinem weiten schwarzen Mantel einherkommen, wie er einen Apfel aß, den ich noch am Morgen mit Verlangen auf dem Schranke der Magd gesehen hatte. Meine Armbrust war in meiner Hand, ich wußte nicht wie, gezielt und losgedrückt, und der Bacchant schrie, als hätte er Bauchkneifen, und da war's still, ich aber lief hin und sah ihn recht an; eine Seele konnte wohl nie in ihm gewesen sein, denn um das bißchen Eisen, was ihm im Herzen steckte, war sie heraus gefahren. Darauf kam die Magd gelaufen und mein Vater; sie nahmen alles Geld aus seinen Taschen, aber das freute mich nicht ich wollte seinen schwarzen Mantel haben, aber den wollten sie nicht geben, weil es sonst auskäme; darüber schlug ich auf meinen Vater, daß er mich verfluchte. Beim Abendbrote war alles wieder vertragen, da herzte mich die Magd, und mein Vater litt es. Darauf erklärte er mir die ganze Welt und wie es aller Orten zugehe, daß immer einer den andern bestohlen und umgebracht, die Fürsten den Edelmann, der Edelmann die Bauern; weil es denn so artig zugehe, hätten sie sich als freie Leute im Walde auch dazu vereinigt, und ich hätte mein Probstück abgelegt und sei nun auch ein rechter Kerl, der ihn einmal, wenn er alt und schwach und zu nichts mehr gut, aus der Welt schaffen sollte.«

[837] Dem guten Anton wurde bei diesen Worten der Wein kalt, er sah sich mit einer schmerzlichen Sehnsucht nach seiner Susanna um; sie stand aber unter dem Hügel. Der Himmel war rot nach einer Seite und schwarz gestreift; er meinte, daß Augsburg noch brenne, und sah wieder auf Seger, der mit grimmigem Hohn fortfuhr:

»Meines Vaters Segen machte mich herzlich froh; ans Lernen brauchte ich nun nicht mehr zu denken, ich wurde zu allem mitgenommen, lernte meines Vaters Raubgesellen kennen und dachte mir, daß es nicht anders sein könne; ich schmierte meine Haare mit Speck ein wie sie, konnte hungern und saufen wie sie; die Mädchen taten mir schön, obgleich ich dürr aussah wie ein Käfer; ich brachte ihnen immer was mit vom Zuge. So ging ich in meiner Spielerei als Bettelknabe verkleidet gar oft durch den Wald. Da trat ich einstmals an einen schmalen Steg, wo über ein laufendes Wasser ein einziger Baumstamm führte. Als ich darüber gehen wollte, trat mir ein Mann in schwarzem Mantel mit dem Apfel in der Hand entgegen; es war der Bacchant, den ich erschossen hatte, und ich zitterte so entsetzlich, daß ich weder rück- noch vorwärts konnte. Er trat mir aber ganz nahe und zischte mir leise in die Ohren: ›Bring mir deines Vaters Blut, so geb ich dir meinen schwarzen Mantel!‹ In dem Augenblicke tat die Luft einen blauen Donnerschlag neben mir nieder; als ich wieder zu mir kam, lag ich im Wasser mit den Beinen, und es war beinahe dunkel. Als ich nach Hause kam, war ich ganz verwildert; sie brachten mich zu Bette. Immer sah ich den Bacchanten, der auf meinen Vater wies, als wollte er sagen: ›Stoß zu auf den, du hast ja ein Brotmesser neben dir.‹ In dieser Krankheit ward ich ein grimmiger Sittenrichter, denn wenn ich den Bacchanten sah, so fing ich an den Vater zur Tugend zu ermahnen; wenn ich aber nüchtern wurde, machte ich Verse, über die mein Vater große Freude hatte. Weil wir nun eben so lustig zusammen sind, will ich Euch ein Lied vorsingen, was mir nachher die Bauern nachgesungen haben und wußten nicht, was es recht heiße; es schmeckte ihnen aber wie die neunerlei Kräuter am grünen Donnerstag.


Für meinen Vater bettle ich
Den ganzen Tag im Staube,
Belüg die Leute freventlich,
[838]
Wachs auf zu Mord und Raube.
Er hörte nimmer meine Not
Und trieb mich aus wohl in den Tod.
Ich ruf ihn oft in dunkler Nacht
In meine dunkle Kammer,
Wenn blutig mir der Mond erwacht
Und wecket allen Jammer:
›Ach Vater laß vom Raube ab,
Das gibt uns nie ein ehrlich Grab.‹
Da wirft er mich zur Tür hinaus,
Da kann ich ruhig schlafen;
Da spukt es nicht wie in dem Haus,
Weil da die Hunde blaffen.
Dafür soll Vater schlafen auch
Von Sohnes Hand nach Räubers Brauch.
Ich hab am Dornstrauch ihn erharrt,
Die Armbrust ist voll Tücke;
Es scharrt mein Fuß, mein Auge starrt,
Weil ich so lang mich bücke.
Es weht vom Berge her ein Wind,
Der ist so rauh und kalt gesinnt.
Die Zunge lechzt, kein Tropfen sinkt;
Die Zeit ist schier verflossen.
Das Zeichen von dem Berge klingt,
Gleich hab ich abgeschossen!
Doch das traf nur sein Schattenbild,
Der Mond deckt über ihn sein Schild.
Laßt heute nur den Vater fliehn,
Ich krieg ihn doch noch morgen;
Ich will auf seine Fährte ziehn,
Da lasset mich nur sorgen,
Das ist dem Jäger leichte Sach,
Ich schick ihm meine Hunde nach.«

Bei diesem Schlusse sprang Seger auf; – »Anton, Anton! da kommt ein Augsburger über die betauten Spinnweben, könnt ich sie ihm zum Strick drehen; Anton, schieß ihn nieder; da hast du meine Muskete, oder du bist des Todes, sieh, er zielt auf dich.« Anton wandte sich um und sah einen alten Jägersmann, dem die [839] Augen entweder ausgefallen oder tief in den Kopf zurückgetreten waren, mit einer Muskete hinter sich stehen. – »Schieß ihn nieder«, rief Seger noch einmal. – »Fabian, Fabian!« rief drohend der Alte, und bei dem Worte riß ein Vorhang in Antons Hirn; wie eines vergangenen Lebens erinnerlich entfiel ihm alle Gegenwart; er nahm staunend die Muskete Segers und wollte sie gegen den Ankommenden losbrennen. In dem Augenblicke blitzte gegen ihn ein Schuß auf, daß er zu Boden fiel; er glaubte etwas wie eine lange schwarze Schlange von ihm fort über den Boden schleichen zu sehen, und indem er den Windungen so nachsah und ihrer Bewegungen staunte, verlor er alles Bewußtsein.

Während Seger den ersten Schrecken zur Flucht benutzt hatte, war Susanna herbeigeeilt, den geliebten Herrn aus der Ohnmacht zu erwecken. Sie wollte erst den Alten, weil er ihn verwundet, nicht zu ihm lassen, aber der Alte weinte so schmerzlich, daß sie bald an ihn glaubte. Er griff darauf mit rüstiger Kraft den Ohnmächtigen um den Leib, Susanna erhob die Füße, und so schleppten sie ihn mit vieler Anstrengung nach dem weißen Schlosse im Walde. Auf ein dreimaliges Pfeifen des Alten ließ sich die Zugbrücke herunter; es kamen mehrere alte Diener dem Jäger ehrfurchtsvoll entgegen und trugen Anton auf seinen Befehl in eins der geräumigsten Zimmer des ersten Stockwerkes. Hier wollte Susanna ihren sympathetischen Verband wieder versuchen, aber mit Schrecken sah sie, daß die Wunde an der Hüfte, und ihre Schamhaftigkeit gestattete ihr nicht, sich zu der Besichtigung zuzudrängen, insbesondere da ihr der Alte einen Wink gab, seinen Wundarzt nicht zu stören, der in kunstgerechter Art die Wunde untersuchte.

Anton litt dabei sehr schmerzlich, doch seine Stärke ertrug alles; der Wundarzt fand keine Lebensgefahr, sein Inneres war unverletzt, aber in seinem starken Fleische hatte sich die Kugel so vertieft, daß sie nicht herausgebracht werden konnte, darum war nur eine langsame Genesung zu erwarten. Diese Nachricht schlug Anton mehr darnieder als der Schmerz; er sehnte sich nach seiner Hausfrau und beschloß, ihr zu schreiben, sobald er seiner Gesundheit gewiß wäre.

Unter solchen Gedanken schlief er unbemerkt ein, und es träumte ihm wieder, wie ihm so oft schon geträumt hatte, er sei [840] auf den Armen einer schönen Frau, die ihn mit offenem Munde küßte, und halte an rotem Bande ein Lämmchen, das an seine Schuhe beiße, weil sie grün waren, und er könnte der Mutter nicht sagen, was ihn ängstige, weil sie ihn küßte und weil er nicht sprechen konnte; bis endlich der Vater, ein großer ernster Mann, hinzugetreten und das Lämmchen gefüttert. Da wurde ihm so stille und wohl, er sah im Zimmer umher, sah die grünen Vorhänge, das alte Bild, welches der Vater ihm immer zeigte. Es stellte zwei Kramläden neben einander von entgegengesetzter Art dar: in dem einen standen Harnische, groß und klein, Helme, prachtvoll befiedert, Degen und Lanzen, ungeduldig blendend, die rasche Kraft zu wecken, die sie führen und brauchen sollte; in dem andern hingen viele Bilder großer Begebenheiten, mancher Degen in raschem Schwunge, mancher Harnisch zertreten, manche Lanze zerbrochen; vor beiden Kramläden stand aber ein Knabe zweifelnd und hielt sein Geld in beiden Händen; dort waren die Harnische und noch viel mehr, aber es war Täuschung; hier hingen die Harnische wirklich, aber er wußte nicht, ob ihm einer passe, und dann halfen sie ihm nichts. In diesem Bedenken wachte er auf; es war Tag, Susanna war neben ihm auf dem Stuhle eingeschlummert; auf sie fiel sein erster Blick, und er dachte wieder, wie sonderbar es sei, daß er jedesmal, wo er verwundet gewesen, als er das Bein gebrochen, als er von den Rittern niedergeworfen, denselben Traum träume. – Jetzt sah er aber auf und erst wischte er sich die Augen, denn wirklich zierte die Wand ihm gegenüber das beschriebene Bild, auf die Mauer gemalt; die grünen Vorhänge deckten wohltätig die Fenster zu, er fühlte, daß er hier schon gewesen und tausend Freuden als Kind mit erster warmer Frühlingsluft hier eingesogen.

In diesem Aufbrausen alter Zeit trat der hohe ernste Alte ins Zimmer, der ihn vom Felde fortgetragen, ergriff seine Hand und drückte sie kräftig. – »O mein Vater!« rief eine innere Stimme aus ihm, »wie habe ich dich so lange nicht gesehen; wie ist deiner Augen Licht erloschen!«

Der Alte sagte, seine Hand loslassend: »Du schwärmst, junger Mann; zwar bist du ähnlich meiner Jugendzeit, und darum bist du mir lieb, aber meinen einzigen Sohn hat ein Wolf zerrissen und seines Lammes geschont.«

[841] »Ich bin's, Vater!« rief Anton, »wo ist mein Lamm geblieben? ich hatte es so lieb; wo ist Fabian, der mit mir spielte, dem ich meine Kirschen schenkte?«

Der Alte stutzte. – »Fabian, der heuchlerische Satanas! ihn wollte ich niederschießen, als ich dich getroffen habe.«

»Das war Fabian?« fragte Anton; »bei uns hieß er Seger; da sei ihm verziehen, ich hatte ihn so lieb wie meinen Gott.«

Der Alte wischte sich die Augen und seufzte: »O laß mich träumen, harter Gott, der immer seinen armen Knecht Rappolt gnädig ließ erwachen; schenk mir den Glauben, daß der fremde Mann mein Sohn; ich will ihm alles Gute tun, als wär's mein liebes Kind; ich will ihm zeigen seine Herde, die aus den beiden Lämmern ist gezeuget und geboren!« – Bei diesen Worten ging der Alte hastig zur Tür hinaus.

Anton sah starr nach dem Bilde; da hörte er ein Getrappel auf den Treppen, als käme eins der kleinen Völker zu ihm, die nach alten Sagen in alten Schlössern hausen und in gewissen Zimmern und Zeiten ihre Feste feiern sollen. Er hörte die kleinen Ritter gegen die Türklinke springen, aber vergebens, sie war zu hoch. Susanna sprang auf und öffnete sie; aber eine gedrängte Herde von Schafen, die nimmer geschoren in prachtvollen breiten glänzenden Pelzen prangte, riß sie fast nieder. Die ganze Herde schien mit wunderlicher Neigung in das Zimmer und dann zu dem Bette des Verwundeten zu dringen, denn einzelne stiegen über die andern fort, und der Alte konnte sich kaum durch ihre Mitte drängen. Die Schafe stiegen aber mit den Vorderfüßen auf Antons Bett und leckten ihm die Hände und reichten die weichen Schnauzen an seinen Mund.

»Du bist mein Sohn«, rief der Alte, »du bist mein verlorener Anton! sie kennen dich, weil ihre Eltern von dir aufgezogen. Ach, wenn das deine Mutter noch erlebt hätte; aber sprich, mein einziger Junge, wie bist du uns entwendet?«

Anton besann sich; – »Weiß ich es doch selbst nicht, wie es auf einmal anders geworden und wie ich einen andern Vater, Martin Sixt, und eine alte häßliche Mutter, Sybilla, bekommen; aber das weiß ich noch, daß Fabian mir sagte, er wolle mir zeigen, wo bei Tage die Nacht sei; dann führte er mich in eine Höhle, und da ich müde wurde, nahm mich drin ein fremder Mann auf die [842] Arme, und so kam ich von einem zum andern, und zuletzt blieb ich bei dem alten Maler.«

»Fabian!« rief der Alte, »du bist Satanas; denn deine Jugend hat an Lastern die alte Welt überboten. O mein Sohn, was wird es für schwere Zeiten geben, wenn die Teufel so von allen Seiten schon losgelassen werden!« – Bei diesen jammervollen Worten setzte er sich auf einen großen Sessel nieder und sang seinen Schafen:


Schäflein drängt euch dicht zusammen
In der heißen Mittagsstunde:
Einsam steh ich in den Flammen,
Macht der Teufel seine Runde
In der schwarzen Mitternacht.
Schäflein laßt die Glocken klingen,
Daß ihr nimmer euch verirret.
Denn wenn ich muß einsam singen,
Meine Seele sich verwirret
Vor des Teufels stiller Macht.

Der Alte hielt sich nach diesen Versen beide Augen zu, die Schafe flüchteten ängstlich von ihm; Anton erschrak, aber Susanna trat hin zu dem Alten und faßte unerschrocken seine Stirne, die herabhing, und drückte sie mit beiden Händen.

»Du guter Engel«, sagte der Alte, »du hast mir wohlgetan; habe Dank! es sind so Schwindel, die ich der großen Einsamkeit und vielem Kummer zu danken habe. Ach, lieber Sohn, wenn du, wie ich, dein Leben verwacht hättest auf der Kronenburg, starr hingerichtet mit aller Aufmerksamkeit auf nichts, denn du lauerst stets, ob nicht der Verräter nahe, und niemand dringt in die einsame Wildnis, so daß die Vögel zahm mit dir frühstücken, da würdest du nicht mehr wie eine Blume mit deinen Augen in die Welt sehen.«

»Hoher Vater«, sagte Anton, »erzählt mir von dieser Burg.« –

»Es kommt wohl noch die Zeit dazu«, meinte der Alte nachdenklich; »du gehörst dahin, du bist ihre letzte Stütze; sei eingedenk deiner hohen Bestimmung, deiner hohen Geburt; gedenk aber auch deiner vielen Feinde, um deren Willen du deine Abkunft hier noch verheimlichen mußt; ich traue nicht allen meinen [843] Dienern mehr, seit Niklas uns so schändlich betrogen.« – ANTON: »Ich sag mit Frundsberg: ›je mehr Feinde, je mehr Glück;‹ doch sprecht, Vater, welches adligen Namens kann ich mich rühmen; ich sage Euch zu, vor Euren Leuten zu schweigen.«

DER ALTE: »Vernimm mein Sohn, daß du ein Nachkomme des Grafen von Stock bist, der, von Kaiser Konrad mit einer Schlossertochter in Würzburg gezeugt, erst Huf- und Waffenschmidt im Gefolge Konradins wurde, und als solcher die Gnade des unglücklichen Fürsten sich in dem Maße verdiente, daß dieser ihn noch vor seiner Gefangennehmung als seines Vaters außer der Ehe erzeugten Sohn anerkannte und in den Grafenstand erhob.«

Der Alte erzählte von hier an oft abgebrochen; wir müssen seine Rede zusammenziehen. »Nach der unseligen Schlacht, wo Konradin in jugendlichem Übermute, gesiegt zu haben, die Seinen zum Verfolgen zerstreuen ließ und von dem Hinterhalte Karls angegriffen und gänzlich geschlagen wurde, flüchtete er sich mit Friedrich von Österreich, mit Lancea von Calvano, seinem Sohn Galeotto und seinem geliebten Grafen von Stock in die Wälder. Sie zwangen einige Eseltreiber, ihnen für ihre kostbaren Waren und seidnen Kleider ihre groben Kittel zu überlassen. So irrten sie im größten Mangel an ordentlicher Speisung mehrere Tage, bis sie an das Ufer von Astura gelangten. Hier lag ein Schiffer mit seinem Boote und wartete auf die Nacht zum Fischfang; sie segneten ihren Stern, der sie dahin geführt, aber der Fischer sah sie groß an, als sie ihn baten, sie nach Pisa zu fahren, wo ihrer Sicherheit und Freundschaft wartete. Er sagte ihnen, wie sie als arme Leute ihn für eine so weite Fahrt bezahlen könnten. Jetzt faßten sie in ihre Taschen und merkten erst, daß sie bloß eine Kiste mit Kleinodien gerettet, daß sie aber ihr Geld in den vertauschten Kleidern stecken gelassen. Hastig zog Konradin einen kostbaren Smaragden von seinem Finger und gab ihn dem Fischer, daß er sie dafür überfahre. Dieser lachte über den Ring und meinte, weil sie so ärmlich aussahen, er möchte nichts wert sein, sagte es aber nicht, weil er sich vor Schlägen fürchtete, sondern ging bloß unter dem Vorwande, Lebensmittel einzukaufen, nach der Stadt Astura, um sich dort nach dem Werte des Ringes zu erkundigen. Da wurden ihm von einem immer mehr Zechinen geboten als von dem andern; einige wollten ihn festnehmen [844] lassen, um zu erfahren, woher er einen so kostbaren Ring empfangen; er sagte, wie es sich verlaufen, und war endlich froh, eine Summe für den Ring bekommen zu haben. Mit Wein und Brot beladen kam er zum Ufer, wo Konradin mit Ungeduld seiner harrte, nachdem ihm der Graf von Stock vergebens geraten, ohne seiner zu warten, ihr Heil auf dem Meere zu suchen. O hätten sie es getan, denn jetzt nachdem sie mit dem Schiffer bei schönem Winde auf dem Meere schwebten und ihre Hemden als Segel ausgespannt, mit jeder Welle, die sie durchschnitten, das Unglück weiter von sich gestoßen zu haben wähnten: jetzt waren sie schon von den Galeeren aus Astura umkreist, und als am Morgen das Meer heiter erglänzte, da ging Konradins Stern unter. Johannes Frangipani, der Statthalter in Astura, hatte die Erzählung von den armen jungen Leuten, die einem Fischer einen so kostbaren Ring geschenkt, um sie nach Pisa überzusetzen, mit dem Argwohne angehört, ob nicht Konradin, der jetzt aller Orten gesucht wurde, darunter sein möchte, und versprach sich von dessen Gefangennehmung große Vorteile. Er sendete ihnen zwei schnelle Galeeren nach, die auch am Morgen das Boot erreichten und die armen Flüchtigen zu Gefangenen machten und nach Astura in ein altes Schloß als Gefangene einbrachten. Hier sollte Konradin von seinem geliebten Bruder getrennt werden; er übersah, daß dieser ihm allein nützlich werden könnte, wenn er loskäme und seine Anhänger zu seiner Befreiung sammelte, und verpflichtete ihn, wenn sie getrennt würden, seine Freiheit zu suchen und zu seiner Rettung zu brauchen; zugleich sagte er ihm den Ort und die Wege der alten Kronenburg der Hohenstaufen, wo ihre Krone und ihr Schatz noch immer bewahrt wird, bis ein von Gott Begnadeter alle Deutschen zu einem großen friedlichen gemeinsamen Leben vereinigen wird. Sie nahmen mit schwerem Herzen Abschied. König Karl, Konradins Sieger, belagerte Astura wenige Tage vorher, weil Frangipani seine Gefangenen nicht ohne großen Lohn überliefern wollte; er mußte sich bald übergeben; Frangipani wurde hingerichtet und die Gefangenen nach Neapel gebracht. Auf dem Wege machte sich unser Altvorderer, der Graf von Stock, durch die Stärke seines Arms, der einen rollenden mit zwei Pferden bespannten Wagen aufhalten konnte, von seinen Wächtern frei; er drang bis tief in das kalabrische Gebirge und [845] sammelte eine Zahl von Konradins Anhängern, mit denen er durch Bestechung der Wächter, die mehr Konradins edle Tugend als das Geld rührte, einen Versuch machte, ihn zu befreien. Konradin hatte aber sein ritterliches Wort dem Könige gegeben, wenn er ihn ritterlich im Gefängnisse hielte, keinen Versuch zu machen, daraus zu entkommen; er hörte mit unsäglicher Sehnsucht des Bruders Stimme wieder, und wie er ihm sprach von seiner Mutter und der Burg Hohenstaufen, vor allem aber als er ihm sprach von der Kronenburg; doch seine ritterliche Ehre widerstand ihm, er befahl, von ihm zu weichen, daß er ihn nicht für einen Teufel halten möge, der ihm die Herrlichkeit der Welt für seine Seele biete.« Bei diesen Worten schlug der Alte wieder beide Hände über seine Augen und sang noch jammervoller als vorher zu seinen Schafen:


Schäflein lauft nach allen Seiten,
Wenn der Wolf den Hund bezwungen;
Ihr könnt nimmer ihn bestreiten,
Laßt ihm eure zarten Jungen,
Hab es auch also gemacht.
Schäflein fort von meinem Sohne,
Seid ihr Wölf in Schafes Kleide,
Als ich wachte bei der Krone,
Brachte Satanas im Neide
Meinen Sohn in seine Macht.

Bei diesen Worten sprang der Alte auf und trieb die Schafe mit großer Angst von dem Bette Antons fort und zur Tür hinaus; Anton wollte aufspringen, aber Susanna hielt ihn; der Alte, fechtend wie mit einem Doppelschwerte in der Feldschlacht trieb die Herde mit einem großen Zweige nun ungestört zur Tür hinaus; als er hinaus war, bat Anton Susannen, die Fenster zu eröffnen, denn der Duft der Herde machte die Zimmerluft unerträglich Als die Luft so einströmte und die fernen Berge in der Blendsonne rötlich bekleidet ihm erschienen, da fand sich das Gemüt des Kranken von den Entdeckungen des Tages vorbewegt, in einer Sehnsucht aufgelöst, die ihn in gesunden Tagen noch nie übernommen hatte; er dachte, was ist's denn mehr ein Graf zu sein in einer Einöde, oder ein froher Bürger in der Stadt; er wußte [846] sich nicht zu nehmen, sich nicht auszulassen, er bat Susannen, zu ihm zu kommen, faßte ihre Hände, spielte damit, berührte ihre Fingerspitzen und fügte sie wie schlanke Zweige, die er zu einem Kranze flechten wollte, ineinander, und hielt sie dann wieder zusammen und sah nach dem Lichte, das rötlich zwischen den Fingern durchschien. »Liebes Kind«, so brach er endlich das Schweigen, »warum hast du mich heute nicht verbunden, wie du es damals getan? vielleicht wäre ich jetzt schon geheilt und könnte mit dir im Freien die Wolkenzüge beschauen, die hier auf der großen Ebene viel wunderbarer erscheinen, als bei uns, wo sie von den Bergen abgeschnitten.«

»Ich hätte es wohl getan«, sagte sie, »aber ich schämte mich vor den fremden Leuten, da Ihr halbtot waret.« – ANTON: »Wie kommst du zu der wunderlichen Geschämigkeit, da der Ort deiner Erziehung aller Scham und Schande den Kopf hätte abbeißen müssen.« – SUSANNA: »Ich habe viel Böses sehen müssen und ich werde wohl lange darum büßen.« – ANTON: »Büßen, ja Kind, wie meinst du das. Du sollst bei mir büßen, gib mir einen Kuß zur Buße; du wendest dich von mir?«SUSANNA: »Ich schäme mich, daß Ihr dies von mir verlangt; ich bin Kurt, Euer Knappe, der Euch treu dienen wird in Not und Gefahr; ich diene aber nicht um Küsse ich diene um Ehre.« – ANTON: »Hast du dich so in deinen Rock, in deinen Degen verliebt, Liebst du mich nicht?« – SUSANNA: »Nein, Herr, aber es wäre mir lieb, wenn ich Euch lieben könnte.« –

ANTON: »Du meinst wegen meiner Hausfrau.« – SUSANNA: »Von der weiß ich nichts, als was Ihr mir gesagt habt; was würde die mich hindern, Euch zu lieben, der müßte es ja Freude machen.« ANTON: »Ich meine doch nicht; sie möchte wohl eifersüchtig sein, wenn sie wüßte, daß ich mit dir in einem Zimmer geschlafen.« SUSANNA: »Daran habe ich nie gedacht, ich will es nie wieder tun, es geschah aber aus Vorsorge für Euch, daß ich hier blieb.«

Anton dankte ihr für ihre Güte, doch mischte sich ein Ingrimm über ihre Kälte in diese erste nähere Bekanntschaft mit ihr, wie der Pechgeschmack, der das erste Glas von einer frisch entpfropften Weinflasche zuweilen verdirbt, daß wir nicht beurteilen können, ob er edel oder unedel sei; er wünschte sich einen munteren Gesellen von weniger Vortrefflichkeit, der in seiner Fröhlichkeit mitjubelte, der an seinem Halse hinge. Sie diente ihm mit einer [847] Hochachtung, wie einem höheren Wesen, das er nicht sein mochte, dessen Schwungkraft er gar nicht in sich fühlte; so etwas wurde aber niemals in ihm zum Gedanken; er fühlte den Ärger, dann fühlte er, daß er unrecht gehabt, und suchte es gut zu machen. »Liebes Kind«, so sprach er, indem er sich zu Susannen hinwandte, »wie sieht es denn hier im Hause eigentlich aus, lebt mein Vater ganz allein?« – SUSANNA: »Herr, es ist überaus wunderlich hier bestellt mit allen Leuten, doch gefällt es mir; die meisten sind alterschwere Männer, die gar nicht hören können, aber jeder hat sein eigen Geschäft, wie die Vögel sich jeder ein besonderes Nest bauen.« – ANTON: »Hast du sie besucht?« – SUSANNA: »Sie nahmen mich stillschweigend mit; der eine zeigte mir seine Eichhörnchen; die Kammer hatte Drahtfenster und war mit hohlen Bäumen verziert, und drin heckten die Eichhörnchen; kaum trat er ein, gleich kamen sie wie rote Brände aus allen Höhlen und seufzten zu ihm so durchdringend, daß mir wohl ums Herz wurde; er brachte jedem Nußkerne und allerlei Früchte; wie zierlich setzten sie sich auf die Hinterfüße, schlugen den Schweif in die Höhe und wirbelten die Nüsse erst in ihren Vorderpfoten unter den blitzenden Augen umher, eh' sie mit dem scharfen Zahne einsägten. Seht Herr, da hab ich eins mitgebracht, ein Junges.« – ANTON: »Es hat dir die Brust blutig gekratzt, laß dir das Blut abtrocknen.« SUSANNA: »Es schadet nichts, es tat nicht weh; seht nur das artige Tier, jetzt legt es sich in meiner Hand rund zusammen zum Schlaf.« – ANTON: »Du hast doch das hier nicht gestohlen?« – SUSANNA: »Es denkt doch keiner so schlecht von mir, wie Ihr. Der Alte hatte mich lieb, und da er die Mutter von diesem Kleinen nicht sah und sie im Neste tot fand, da holte er das Kleine heraus und gab es mir und weinte dann, als er die Alte schon kalt und steif fand, jetzt geht er herum und ladet die andern zum Begräbnisse.« – ANTON: »Hätte ich nur Farben, ich malte ihm das Tier zum Gedächtnis.« SUSANNA: »Lieber Herr, gleich schaff ich Euch Farben, der eine von den Alten ist ein Maler, und das Tier will ich Euch auch bringen, er hat es auf Moos vor dem Hause hingestellt, bis alle Gäste des Leichenzuges beisammen sind.« – ANTON: »Schnell, schnell, du aufmerksame Seele.«

Susanna brachte in drei Sprüngen das Eichhörnchen, und nach kurzer Unterredung einen alten Mann, den sie Reichenthal nannte, [848] mit allem Malerwerkzeuge, einer ebnen Holztafel mit Kreidegrund, in die Stube gezogen.

ANTON: »Du bist zu ungestüm, Kind; werter alter Herr, wollt Ihr mir Eure Tafel und Euer Gerät leihen, oder malt Ihr selbst vielleicht besser und seid geschickter, dies tote Eichhörnchen zu malen.«

Simon versicherte ihm, daß er nie etwas anderes, als Wappen gemalt nach einem Zeichenbuche, niemals nach der Natur, und war daher nicht wenig verwundert, als Anton mit seiner Sicherheit und Fertigkeit in ein paar Stunden das Eichhörnchen, auf zwei gekreuzten Knochen sitzend, gemalt hatte, wie es an einem Schädel, wie an einer Nuß nagte.

Inzwischen war im Hause, ohne daß die beschäftigten drei es wahrgenommen, ein ängstliches Suchen nach dem Leichnam des Eichhörnchens gewesen; der Leichenzug hatte sich versammelt, das mit Blumen durchflochtene Kästchen sollte die Tote aufnehmen, aber sie war verschwunden; man suchte an allen Orten, aber der trostlose alte Mann fand nirgends seinen Liebling wieder. Susanna mußte sich jetzt mit dem toten Eichhörnchen und mit dem Gemälde wieder zu dem Ehrenbette aus Moos hinschleichen, jenes darin verstecken und dieses aufstellen. Der Alte, der sich müde gesucht hatte, kam endlich, wie alle Leute, die etwas verloren, woran ihnen viel liegt, auf den Platz zurück, wo er es vermißt; seine trüben Augen sahen das Bild für den lebenden Liebling an und ergossen sich in Tränen. »Sie sieht mich an«, rief er, aber jetzt fühlten seine Hände die Täuschung der Farben, und diese Täuschung blieb ihm noch lieb. »Wer hat mir die Freude bereitet«, fragte er, »dem lohne es der Himmel mit gleicher Freude; das Bild ist mein Schatz, mein einziges Spiel und Gespräch, an meinem Bette soll es hängen, meinem Haupte gegenüber, daß es mich begrüße beim Einschlafen und mir begegne im Erwachen.«

Während der Alte, der sich von seinen Lieblingen Eichhorn genannt hatte, also sprach, hatte der alte Graf Rappolt von Reichenthal die Geschicklichkeit seines Sohnes erfahren; er kam zu ihm und sprach: »Lieber Sohn, ich kann dir die Freude nicht ausdrücken, die du mir mit deiner guten Gesinnung schaffst; bei deiner Kunst wirst du ein herrliches Leben auf der Kronenburg führen, wir alten Wächter wußten meist nichts Besseres zu tun, als uns mit [849] ganzer Seele an irgend ein Tiergeschlecht zu hängen, oder an eine Händearbeit, und dabei gehen die Lichter aus im Hirne!«

»Führt mich zur Kronenburg, teurer Vater; ich möchte Euch dienen mit allen Kräften«, sagte Anton.

»Du wirst vielleicht bald dazu reif gefunden werden«, sprach Graf Rappolt, »vielleicht auch niemals, denn nie werde ich dich durch Gunst dazu fördern; kannst du hungern und dursten?«

»Nein!«, rief Anton, »lieber möcht ich mich selbst stückweis verzehren, als hungern.«

»Armer Sohn«, sagte Rappolt, »das hast du von deiner Mutter, da wirst du schwere Lehrjahre ausstehen, ehe du es lernst.«

Susanna brach jetzt in Tränen aus am Fenster, der Alte unterstützte den Sohn, sie sahen die Alten paarweis vorüber ziehen; zuletzt trug der Alte die kleine Leiche auf Moos und Blumen in einem zierlichen Korbe. Sie blieben in einem Winkel unter Tränenweiden stehen, wo mehrere weiße Denkmale schimmerten; hier sangen sie während des Grabens und Einsenkens ein sanftes Lied, das deutlich in das Fenster schallte.


Der Überdruß
Auch weichen muß,
Die Langeweil
Hat nimmer Heil;
Mach dich von allem frei,
So ist dir alles neu.

Das einfältige Lied hatte einen eignen Trost für Anton, der jetzt erst merkte, daß ihn eine Art Überdruß und Langeweile über die Abwechselung seines Geschicks ergriffen hatte. »Lustig wollen wir leben«, rief er zum Vater, »heut will ich meinen Geburtstag feiern, denn mich durstet; laßt mich unten in den Garten tragen, Vater, schafft mir junges Volk, das tanzen und springen kann; die Ankunft des verlornen Sohnes muß gefeiert werden.«

Einem Grafen von Stock, meinte der alte Rappolt, zieme sich wohl eine andere Art der Freude, inzwischen zieme es sich recht gut, daß heute die Hirten herantrieben, um ihre Abgabe dem Schlosse zu entrichten, wobei sie fröhlich zu tanzen und zu singen pflegten. Wirklich ließen sich schon die Feldschalmeien auf den [850] Waldhügeln in Gruß und Gegengruß hören; die Glocken des angetriebenen Viehes richteten die Aufmerksamkeit nach allen schönen Waldgründen, die sonst in dem großen Eindruck des Ganzen leicht übersehen werden. Rappolt befahl einigen Dienern, den Sohn in der Bettstelle herunter zu tragen, wobei Susanna Achtung gab, daß nirgends von den steifen alten Männern angestoßen wurde. Auf dem großen Platze vor dem Jagdschlosse waren schon die jungen Stiere und Kühe aufgestellt, alle mit Blumen und bunten Bändern geschmückt; die Hirten nahmen von ihnen zärtlichen Abschied und übergaben sie den alten Dienern des Grafen, die sogleich Befehl erhielten, einige nach der Kronenburg zu führen. Dann wurden große Fässer mit Bier auf hohe Steine festgelegt, es wurde in große hölzerne Krüge gezapft und von den Mädchen umhergetragen, die zierlich gekleidet in roten Jacken mit silbernen Ketten und kurzen blauen Röcken, die Haare in langen Flechten, erschienen waren. Ein lustiger Tanz vergalt ihnen die Mühe, vier Paare tanzten in bunter Abwechselung, die Einladung und das Geheimnis der Liebe immer zierlicher zu verhüllen, daß es sich endlich ohne Schamröte kund machen konnte, während die übrigen alles spottend aussangen, selbst das, was noch nicht wahr geworden. Da hieß es:


Auf, schwenkt die Mädchen rum!
Es tanzt sich gut im grünen Wald,
Und seid dabei nicht stumm,
Damit es lustig schallt
Ju ja, ju ja!
Lustig wollen wir springen
Allhier im grünen Wald.
Nun waren einige Paare über einander gefallen, da sangen sie weiter:
Das Moos ist gar zu weich,
Das Moos ist gar zu glatt:
Es war ein grüner Zweig,
Der uns zu Fall gebracht;
Ju ja, ju ja!
Auf grünen Zweig wir kommen
Allhier im grünen Wald.
[851]
Wir trudeln uns herum
Auf weichem glatten Moos,
Der Maulwurf ist nicht dumm,
Der wohnt im Erdenschoß;
Ju ja, ju ja!
Wir wollen uns begraben
Allhier im Erdenschoß.
Deck mich mit Rosen zu
Und mit Vergißmeinnicht,
Sonst hab ich keine Ruh,
Wenn mich die Sonne sticht,
Ju ja, ju ja!
Laß mir den Haber stechen
Allhier auf grüner Heid.
Gehört das Laub dem Baum?
Gehört das Laub der Luft?
Es spielt damit der Baum,
Es spielt damit die Luft.
Ju ja, ju ja!
Jetzt will ich dich erst küssen,
Dann küsse mich einmal.

Anton hatte seine Herzensfreude an all dem Jubel, an dem plumpen Schwenken der Mädchen, an dem Stampfen der Knechte; er sprang im Bette hoch auf, wenn der Dudelsack, ein altes Ziegenfell, woran der Kopf mit messingenen Hörnern und Korallenaugen, in eine andere Melodie umsetzte, und ärgerte sich über Susannen, die sich hinter seinem Bette wie ein geängstigter Hund verkrochen hatte und auf jeden schlug, der sie wieder aus dem Zufluchtsorte herausbringen wollte. Der alte Rappolt hingegen meinte seinen Sohn zerstreuen zu müssen; er sprach von manchen ernsthaften Begebenheiten und befahl bald, daß sein Völkchen, welches allmählich in der Erhitzung und Bewegung allzustark nach dem Stalle roch, sich in eine weitere Entfernung begebe.

»Weißt du, lieber Sohn«, sagte er, »daß ich meine Jugendzeit als Kapuziner verbetet habe?«

»Nein«, sprach Anton zerstreut und sah in die Ferne, wo getanzt wurde, »da muß Euch das Hosentragen nachher schwer geworden sein.«

[852] »Die Kapuze lag heiß auf mir, als wär sie von geschmolzenem Blei gewesen, lieber Sohn; wenn du eine hohe Klostermauer erblickst, denk nicht mit den Leuten von heute, daß da lauter Üppigkeit die müßigen Leiber füllt; gemeiniglich ist das nur ein aufgegebenes Leben, das sich in Trunkenheit zu vergessen strebt, nachdem Not und Sünde, und Haß und Bosheit, eigne und fremde, viele Jahre die arme Jugend gegeißelt hat.«

Bei diesen Worten weinte Susanna; der Alte sah sie an und sagte: »Du bist ein schöner Reiterknabe, flennst wie ein altes Weib, geh fort zum Tanz und kriech hier nicht herum wie eine Katze; was ich hier zu sprechen habe, geht dich nichts an; fort, lauf, such dir ein Mädchen und sing ihr zärtlich vor, das andere wird sich finden.«

Susanna aber klemmte sich fester an Anton, den eine Lust zu ihr durchdrang, wie er ihren festen Bau berührte; er spielte mit ihren Haaren und bat den Vater sie zu dulden: der Knabe sei treu, aber schüchtern.

»Nun, so sei wenigstens ganz ruhig«, sagte der Alte, und sie konnte sich jetzt nicht wehren, als Anton sie heimlich umfaßte.


Die Geschichte des alten Rappolt

Der alte Rappolt erzählte nun mit einem schmerzlichen Ernste sein Leben.

»Ich bin das jüngste von drei Kindern, die meine Mutter, Katharina von Blanken, meinem Vater Wolf, als er schon hoch betagt war, geboren hatte. Gott habe sie beide selig und lasse sie niederschauen auf diesen ersten Freudentag meines Alters! Meinem Vater habe ich die Augen auf der Kronenburg zugedrückt; er starb auf der Wacht, nachdem er mich mehrere Jahre in dem Geheimnisse der Krone und der Gänge und des Gebetes wohl unterrichtet hatte. Das alles sollst auch du lernen, mein teurer Sohn Anton, wenn du erst zu verständigen Jahren gekommen und Rinde angesetzt hast auf deine glatte Stirn. Von meiner Mutter weiß ich nichts, als daß ich damals außer ihr nichts wußte; sie spann viel und stand dazu früh auf; von ihrem feinen Gespinst kommen alle die feinen Gedecke, worauf in der Kronenburg am Todestage Konradins gespeiset wird. Wenn sie nun bei einem [853] Kienfeuer im Kamin früh Morgens aufsaß, da ruhte ich nicht mit Schreien, bis sie mich auf ein Kissen an die Erde gelegt; da lag ich auf dem Rücken und spielte mit meinen Füßen, und sah sie wohl stundenlang an und lachte, wenn sie sang. Weiter weiß ich auch nichts von ihr, dabei sog ich an meinem Finger, was sie mir oft verbot, aber außer meinem Kissen und meinem Finger hatte ich gar kein Spielzeug.«

»Vater«, fragte Anton, »weißt du nicht mehr, was Frau Katharina, die Großmutter, gesungen? ich höre gern alte Lieder, denn man weiß doch nicht recht, wo sie herkommen.«

»Ein paar Reime sind mir so geblieben«, sagte Rappolt, »nicht aus der frühen Zeit, sondern weil sie mein Vater immer zu ihrem Angedenken wiederholte:


Mein Mann ist auf der Wacht
Die lange schwarze Nacht,
Und wenn der Morgen graut,
Und wenn der Nebel taut,
Hat er sich müd gedacht,
Da bin ich frisch erwacht.
Gott segne ihn, Gott stärke ihn
Und laß ihn bald zu Tale ziehn.
Ich hab nur kurzen Schlaf,
Weil fern mein lieber Graf;
Noch ruhen Hahn und Kind,
Es geht ein scharfer Wind;
Doch fahr ich in die Schuh,
Ich habe keine Ruh;
Gott segne euch, Gott stärke euch,
Ihr lieben Kinder, allzugleich.
Von grauer Asch bedeckt
Liegt helle Flamm versteckt,
Und dieses Feuers Stärk
Zeigt Gottes Gnadenwerk.
Ich arbeit nicht allein,
Gesellig ist der Schein,
Gott segne ihn, Gott hüte ihn,
In Ruh will ich den Faden ziehn.
[854]
Ist mein Gespinst zu End,
Streck ich zu Gott die Händ
Und harre stille sein
Im Totenhemde fein,
Jed' Kind ein Hochzeithemd
Aus gleichem Stück bekömmt;
Gott segne sie, Gott stärke sie,
Wenn ich zu meinem Heiland zieh.

Sieh, lieber Sohn«, fuhr Rappolt mit ungewohnter sanfter Stimme fort, »was sie gesungen, das ward an ihr wahr, aber nicht an uns; sie starb so weg, kein Mensch wußte wie, ich weiß es auch nicht recht, denn ich lief damals schon meinem älteren Bruder Wolf und der Schwester Gloria nach und hatte die Mutter etwas mehr vergessen. Als sie aber tot war und zur Erde bestattet wurde, da schrieen wir alle erbärmlich; doch, wie es bei Kindern geht, eine alte Magd, die uns alles Gute tat, hatte bald unsre Liebe zur Mutter geerbt; auch wuchsen wir selbst allmählich an, daß wir nach unsrem Kopfe wirtschafteten. Wir hielten alle drei auf strenge Ordnung, da war kein Winkelchen in unserm Zimmer, das nicht zu etwas Bestimmtem benutzt wurde. Ich trieb viel Vogelstellerei und hatte die eine Wand mit ausgestopften Vögeln besteckt; nebenbei war ein Bauer mit lebendigen Vögeln, die ich in allerlei Sangweisen abrichtete, sowie ich auch noch jetzt das wilde Geschrei von allen so genau nachzumachen weiß, daß sie scharenweis zu der Kronenburg geflogen kommen und dort überwintern. Meine Schwester Gloria war sehr geschickt mit der Nadel in allerlei künstlichem Werk; auch spielte sie das arabische Schachspiel besser als wir beide, worüber wir uns oft geärgert hatten, ihr Gerät stand zwischen den Fenstern auf der andern Seite. Mein Bruder Wolf war recht fleißig in aller Art Gelehrsamkeit, und täglich besuchte ihn ein Mönch aus der Gegend, der ihm in allem gelehrten Wesen Unterricht gab; sein Schreibtisch und sein Bücherschrank besetzten die dritte Seite, an der vierten stand der Eßtisch. So lebten wir einen Tag wie den andern, und jeder lernte mit dem andern; wir sagten es uns nie, wußten es auch nicht, hatten einander aber so lieb, daß wir keinen Unterschied zwischen einander zu machen wußten; auch schliefen wir noch, wie in unserer ersten Kindheit, in einem großen Bette zusammen, beteten zusammen und küßten uns, ehe wir einschliefen.

[855] Lieber Sohn, zuweilen haben die Väter groß Unrecht; der Himmel verzeihe meinem Vater, wie er uns einmal des Morgens aufgeschreckt, unter fürchterlichen Schimpfreden und Flüchen, die wir nicht verstanden, aus dem Bette riß und einzeln seinen Leuten übergab. Er hat mir in späten Jahren erst anvertraut, was ihn damals zu dem gewaltsamen Erscheinen gebracht: es war die Warnung des Niklas, Fabians verruchten Vaters, den wir nicht leiden mochten: wir trieben schändliche Sünden, deren Namen meine Lippen verunreinigen würden, zusammen; er möchte nur frühe kommen, so würde er uns in einem Bette finden, obgleich drei andere für uns bereit ständen. Als er uns nun in dem großen Bette angetroffen, hatte er in Wahrheit gemeint, der Teufel habe uns zusammengeknebelt; er brachte uns beide, um Buße zu tun, in zwei entfernte Klöster, und meine Schwester zu einer reichen adligen Witwe ihrer Verwandtschaft in Konstanz. Nicht einmal einen Abschied gönnte er uns Kindern, sondern einzeln schleuderte er uns aus dem Zimmer und befahl seinen Knechten, wohin er jeden von uns auf seinem Rosse führen sollte. Ich war von Kälte halb erstarrt, als ich in dem Waldkloster zu Hirschingen abgesetzt wurde, und wußte meiner Seele keinen Rat; ich sann vergebens die lange Zeit, was ich verbrochen hatte, und wußte mir endlich nichts anderes zu denken, als daß ich unter meinen Vögeln irgend einen verzauberten Ritter gefangen, wie so damals die kindischen Märchen umgingen, der sich an mir hätte rächen müssen. Ein alter Abt nahm mich gutmütig auf und brachte mich zu einem Haufen anderer Knaben, die ihn sehr demütig begrüßten, aber entsetzlich über ihn schimpften, als er den Saal verlassen hatte; auch hörte ich bald von ihnen so boshafte Reden, so schlimme Streiche, wie Heldentaten erzählen, daß ich meiner Unschuld mir bewußt wurde. Nach einigen Tagen, wo mein Vater mit dem Abte mochte gesprochen haben, wurde ich zu ihm gerufen; er fragte mich so sonderbar aus, ich wußte nicht, was er wollte, ich mußte ihm so viel von meiner Schwester erzählen, daß ich ihm endlich den Argwohn nicht verbergen konnte, sie möchte mich verleumdet haben, wie sie uns zuweilen in sonderbarer Laune allerlei vorerzählte, von Zwergen und Zuckerhäuschen, die wir nachher umsonst im Walde aufgesucht hatten. Der Abt bestätigte meine Vermutung, wahrscheinlich aus guter Absicht, um die vom Vater [856] ihm vorerzählte strafbare Neigung zwischen uns gänzlich zu unterdrücken, aber er wußte nicht, daß er den schönsten Funken offener, hingebender Freude und Freundlichkeit für alle Zeit in mir auslöschte; wem sollte ich trauen, da meine liebreiche Gloria mich verlästert. Weh mein Kopf:


Denke ich der Freudenfülle
Meiner ersten Jugendzeit,
Schäm ich mich der leeren Stille,
Und mich faßt ein tiefer Neid,
Und wen kann ich mehr beneiden,
Als mich selbst in Jugendfreuden.«

Der alte Rappolt hielt sich hier den Kopf, dann fuhr er fort: »Von meinen Klosterjahren weiß ich dir wenig zu sagen;« der Ernst, womit alles Feierliche getrieben wurde, die Strenge aller Gesetze bezwangen mich mit den Jahren; außer dem Kloster schien mir bald nichts Herrliches mehr zu wohnen, um uns her lag die große Einsamkeit, wir hörten nichts, als das wilde Geschrei der Bären, Wölfe und Lüchse daher, und in seltenen Tagen kamen Wallfahrten von armen Köhlern und Waldbauern, deren rohe Unwissenheit mich erschreckte; die Anstrengung des Kirchendienstes, das Wachen und Lernen war die kräftigste Buße; alle meine liebe wendete sich zu den gnadenreichen Bildern der Mutter des Herrn, die mir wie ewige Lichter in der Kirche brannten, zu denen ein heiliger Zauber alles schöne Licht aus der unendlichen Luft hinriß. Nachdem ich meine Gelübde als ein Nachfolger des heiligen Franziskus abgelegt hatte, ward ich nach andern Klöstern auf die Wanderschaft gesendet; o der Greuel, die ich anschauen mußte, welche Buhlerei mit der Welt, die sie aufgegeben hatten, welche Üppigkeit mit den Gaben der Armut! Oft saß ich im Beichtstuhl und konnte vor dem Schreien der Chorherren, die in der Kirche saßen und spielten, die Beichte der armen Sünder nicht vernehmen; ich sah die Mönche in die Häuser zu den Frauen schleichen, wenn die Männer zur Arbeit ins Feld gegangen, da tobte ich und ward von vielen übermannt, geschlagen, in Kerker geworfen und ohne Zehrung weiter geschickt. In solcher Armut kam ich eines Abends von Kostnitz die Hügel herunter, und Gottes Herrlichkeit spiegelte mir aus dem See in die Seele; die Berge [857] hatten sich in Feuer gekleidet, und es schien alles wie zum Tage des Gerichts, wo die Toten erwachen und die Lebenden ihnen gleich sind und mit ihnen sich mischen; da schien ich so frei von aller Welt, daß ich bald einzukehren vergessen und mit Verwunderung auf meinem Kopf fühlte, daß meine Locken mir vom Scheitel abgeschoren. Einige Ritter trabten mit Frauen auf mutigen Rossen vorüber, sie sahen mich nicht und sprachen mit einander von süßem Liebesspiel, von der Nacht und von der Jagd; mir ward so weh ums Herz, gern wäre ich als ihr geringster Diener mitgezogen; aber schnell waren sie mir aus den Augen, und ich stand vor einer Klosterpforte, wo ich ohne Nachdenken anklingelte. Mir wurde aufgetan, da es aber zu spät war, um mit den andern Mönchen im Refektorio zu speisen, so wurden mir einige Nahrungsmittel in meine Klause gereicht; ich sprach wenig, und der Mönch, der mir die Gastfreundschaft tat, schien auch nicht zum Reden geneigt; beim Abschiede sagte er mir, ich möchte mich durch keinen Lärm im Schlaf stören lassen, ich sei zu weit gegangen, um die Messe mitzusingen. Aber der Schlaf versteckte sich meinen offenen Augen, die in die Nacht, wie in ein Grab starrten; das erhitzte Blut glänzte in Feuergestalten vor mir, und ich mußte immer meines Bruders Wolf und meiner Schwester Gloria denken, von denen ich so lange nichts gehört hatte; sie sahen mich unendlich traurig an und zerflossen dann in Lichtwolken. Dieser Bilder überdrüssig, wollte ich erst auch den Fackelschein, der bei meinem Fenster, das nach dem Klosterhof sah, vorüberzog, für eine Täuschung kranker Sinne halten, bis ein leises Beten mich überzeugte, daß dort ein Fest gefeiert werde. Das Fenster war der Sommerluft geöffnet, ich trat heran und sah eine Reihe von Mönchen mit Fackeln in den Händen aus der geöffneten Knochenkammer hervorgehen, die leise betend sich im Kreise stellten. Die letzten, die heraus traten, waren ein Mönch ohne Fackel und ohne Kappe über das Haupt, neben ihm ging ein anderer ohne Fackel mit dem Kruzifix, der ihm die Hände faltete und mit ihm betete; ein Laienbruder mit glänzendem Beile folgte beiden. Diese drei traten in die Mitte des Kreises, der Mönch ohne Kappe kniete nieder, betete, legte sein Haupt auf den Block, und der Laienbruder trennte es mit einem Hiebe von dem Rumpfe, das alles in einer Schnelligkeit, daß mir schwindelte; in halber Ohnmacht hörte ich das Lied »Oremus [858] pro fideli defuncto singen; der Körper wurde zurück in die Totenkammer gebracht, der Zug der Mönche ging bei Glockenklang in die Kirche.

War es die Wirkung dieser schaudervollen Erscheinung, oder trug ich die Krankheit schon im Blute, am Morgen lag ich im heftigen Fieber, aus dem ich nur für einzelne Stunden erwachte und bald wahrnahm, daß ich in ein anderes besseres Zimmer gebracht sei, das eine Aussicht auf ein anderes großes Gebäude hatte. Ich wurde sehr gutmütig in meiner Krankheit gepflegt, ich vermied, von jener Nacht zu sprechen, doch endlich brachte mich mein Wärter, Pater Posidonius, selbst auf dieses Gespräch, indem er mir erzählte, daß ich immer von einem Mönche phantasiert hätte, dem der Kopf abgeschlagen worden. Ich erzählte ihm das schaudervolle Nachtgesicht; er hörte zu und versicherte, das habe alles seine Richtigkeit, ihr Kloster habe das Recht über Leben und Tod, und der Hingerichtete sei wegen einer Verbindung mit einer vornehmen Nonne im Kloster gegenüber hingerichtet worden. ›Hier hat er gewohnt‹, sagte er, ›von hier sah er zu der Nonne ins Fenster, hier wurde er auf Befehl des Abtes weggebracht, und die Verzweiflung gab ihm den unseligen Gedanken ein, sich kunstreiche Flügel zu machen; das gelang ihm nicht, er kam nicht zu ihr, sondern in den Himmel, es war eine treue Seele; sie weiß nichts von seinem Tode und wartet täglich, ihn zu sehen, denn dort haben sie kein so strenges Gesetz wie bei uns. Es wäre ihm auch nie etwas geschehen‹, sagte der Mönch sachte, ›aber der Abt hat selbst ein Auge auf die schöne Nonne geworfen.‹

Kaum war der Mönch fort, so sah ich verwildert im Zimmer umher, ich wünschte mich weit fort, ich dachte, der Unglückliche werde mir mißgönnen, durch das Unglücksfenster, was ich bisher nicht der Mühe wert geachtet hatte, hinauszublicken; wenn eine Maus durch die Kammer lief, glaubte ich seinen Geist herschreiten zu sehen. Kaum war ich hergestellt, so wollte ich weiterziehen; aber mir ward angedeutet, daß ich die Mühe und die Kosten, die ich dem Kloster gemacht, durch kirchliche Dienste abverdienen sollte, so blieb ich halbgezwungen zurück. O wäre ich mit Gewalt herausgebrochen, hätte mein Leben selbst nicht geschont!

Es war an einem Sonntag abend, als ich ermüdet vom Beichtstuhl [859] mich an das Fenster setzte, um die frische Luft zu genießen, die, mit Wohlgerüchen aus dem Garten der Nonnen durchdrungen, sich begierig in unsere Zellen ergoß; da sah ich zum erstenmal nach dem Turme mir gegenüber und erblickte in der höchsten Klarheit bei einer Lampe eine Heilige an einem Stickrahmen, denn heilig war sie mir, das schwöre ich im Anblick der Waage, die vor uns am Himmel sichtbar geworden, mag der ewige Richter mein Herz wägen. Mein Auge sah immer weiter und klarer, mir ward, als stände ich unsichtbar neben ihr, so sah ich mich hinein in jeden Zug des hohen jugendlichen Gesichtes; ich fühlte zu ihr alle Liebe, die ich bei meiner Schwester aufgegeben. Sie fuhr plötzlich von ihrer Arbeit auf, versteckte sie unter ihrem Bette und entriegelte die Tür; es trat eine fröhliche alte Nonne mit einem Schachbrette herein, sie küßte meine Heilige, beide setzten sich näher zum Fenster und legten das Schachbrett auf einen kleinen Tisch; die Heilige spielte mit den weißen Schachfiguren, die Alte mit den schwarzen. Das Spiel begann; ich sah die sanfte Aufmerksamkeit der Heiligen, die Bosheit der Alten; jene betete, diese fluchte mit ihren Augen, und beiden wurde gewährt. Die Nachtfalter, die erst vor dem Fenster und an der Lampe sich umhergetrieben, verwandelten sich in Gestalten; rötliche kleine buntgeflügelte Engel umflogen die Heilige und setzten sich auf die Figuren, die sie ziehen sollte; dahingegen kleine schwarze geschwänzte Teufelchen mit Fledermausflügeln die Gegenzüge der Alten bezeichneten. Der Kampf des Guten und Bösen wurde auch in meiner Brust gestritten bis tief in die Mitternacht; endlich sah ich, daß meine Heilige ermüdete, sie sah nicht mehr die Engel, und die Alte ging triumphierend mit dem gewonnenen Spiele fort. Die Heilige sank ermüdet über den Sessel, und die Teufel und der Wind spielten in den Falten ihres Gewandes. O du heiliger Gott, welch ein weltträumender Sinn ging mir da auf, daß ich die Welt hätte verachten mögen; weichliches Gras des Frühlings und glatte Früchte des Herbstes und Sommerquellen und Winterschlaf, alles in erstem Weine des Lebens berühret, erstes Atmen des lebendigen Wortes, worin die Welt sich verklärt; Wunder des Glaubens, das Unmögliches der sehnenden Seele gewährt; Fülle der Freude, die in allem widerklingt, von allem uns wiederkehrt: ihr seid doch geahnt; aber die Liebe in einem kindisch-ernsten Gemüte, die in einem [860] Augenblick Jahre reift, die ist nicht geahnt in den Abgründen ihrer trauernden Wollust, die den Menschen vernichtet, während er mit allem Leben zu prangen scheint.

Lieber Sohn, ich vergesse, daß ich dich nicht zu lebhaft an das menschliche Fleisch erinnern sollte; aber was kann ich dafür, es war eine Aufwallung, von der mir noch jetzt der Mund übergeht; sie wußte nichts von meiner Glut, in der alle Sterne wie glühende Blasen zersprangen und den Morgenhimmel räumten. Sie hatte fest geschlafen, bedeckte sich im Erwachen, sah empor zur blauen Luft und sang sehr traurig:


Als ich im Grase noch spielte,
Sah ich den Himmel nicht an;
Ob er da glühte und kühlte,
Nimmermehr fühlt ich den Bann,
Der über den Bergen und Talen
Wirket in ewigen Zahlen.
Winter war freundlich willkommen,
Brachte der Früchte so viel,
Frühling war nimmer beklommen;
Selig verarmt das Gefühl
In Jahren, die fröhlich vergessen,
Glücklich, wer gar nichts besessen.
Seit ich im Herzen vermählet
Seufz im vermauerten Haus,
Hab ich den Himmel erwählet,
Ahne die Wolken voraus,
In ihnen ist ewig Entstehen,
In mir ist ein irdisch Vergehen.

In dieser Trauer lag mein Mut, ich trat hervor an mein Fenster und nie in meinem Leben hat mich Unwürdigen ein so herrlicher Blick getroffen; alle Adern taueten auf, und mein Leben drang dem Tage vor. So stand ich, und meine Augen sprachen; sie aber ergriff das Blatt einer Pappel, die vor ihrem Fenster zitterte, schrieb mit zierlicher Schnelligkeit darauf, warf es geschickt in den Wind, und der Wind warf es auf meine Lippen, und als meine Lippen sich satt geküßt, da lasen meine Augen unermüdlich, was sie [861] darauf geschrieben: ›Selig jeder Morgen, wo du mir erscheinst, meines Herzens Heiliger, doch selig vor allen der, wo ich dich wieder sah nach langen Tagen; sieh, alles ist grün geworden, und mein Herz geht auf mit tausend Sonnenblumen zu dir, der Himmel ist hell und deine Wangen glühen; wo warst du so lange?‹

Ich las die Worte mit seligem Entzücken, aber wie Kinder die heilige Schrift: sie glauben daran, sie wissen die Worte, aber sie verstehen nichts. Woher kannte sie mich? War ich dem armen Sünder so ähnlich, den die Liebe zu ihr unter das Beil gebracht? Wie sollte ich ihr antworten? Durfte ich ihr antworten? Wollte sie auch mich verderben; Ich fragte es, und doch war mir dies Verderben so schön. Bald schrieb ich zu ihr auf Blättern und vertraute sie dem Winde, ich durfte ihr nichts von dem Unglücke dessen sagen, den sie in mir begrüßte, aber ich klagte ihr mein Unglück, daß ich sie liebte; jedoch der Wind, der uns einmal begünstigte, schien uns jetzt für immer feindlich abgewendet; ich sah jedem Blatte wie einer geflügelten Seele nach, aber sie stürmten alle fort, bis die Zeit kam, die mich in die Kirche rief. Mit welchem Widerwillen begegnete mir jetzt der Weihrauchdampf, seit mich die Gärten der Nonnen mit Frühlingsduft gestillt hatten; wie schrecklich sahen mich die gebräunten Heiligenbilder an, seit ich die blendenden Hügel, in denen der Mondschein weidet, wenn er der Welt versteckt ist, mit allen Herzensschlägen zittern und schimmern gesehen. Dann aber erzitterte der feierliche Gesang des Miserere wie ein Erdbeben durch einen Donnerschlag meine Seele bis zum tiefsten Grunde; mit jedem Worte glaubte ich mich strafbarer und verworfener; ja, als mich dazwischen der Gedanke an die Nonne umschlang, glaubte ich der Teufel selbst zu sein, der sich der Gottseligkeit nur beflissen, um mit erneutem Jubel seine Sündenlust zu empfinden. Aber meine Tränen, die ich in langen Nächten mir zur Buße und in halber Ohnmacht vergoß, löschten nimmer die Wonne des Tages aus, die mir gegenüber in immer neuen Lockungen erschien; und ihre Tränen, die ich mehrmals auf ihren Wangen wie Diamanten in spielendem Sonnenlichte flimmern sah, rührten mich mehr, als alle Blutstropfen des Herrn, wie er von seinen Feinden gegeißelt worden. In diesem Kampfe mit mir vergingen Monate, in denen ich durch die Strenge meiner Buße den vollen Haß aller Mönche auf mich zog, die froh lebten [862] und meine Buße einer eitlen Lust nach frommer Auszeichnung zuschrieben; jeder lauerte mir auf, aber mein Wandel war nur tief in mir strafbar; was vor der Welt erschien, hätte heilig genannt werden können. Immer seltener sah ich mein heilig Sündenbild; sie schien zu trauern.

Es war ein dunkler Freitag, als ich nach langem Kampfe Abends an das Fenster trat und zu meiner Teufelin hinüber blickte; wie erstarrte ich aber, als ich heftig in ihrem Zimmer reden hörte und bald darauf sie selbst, verstört, mit fliegendem Schleier, das Fenster eröffnen sah, hinter ihr den Abt unseres Klosters, der sie mit Angst zurückzuhalten strebte. Wie es mich übernommen, wie ein Stein in meine Hand gekommen, wie ich es gewagt habe, ihn auf den Verführer zu schleudern, der ihr so nahe stand; noch jetzt schaudert mir und schwindelt mir.«

Nach einer längern Unterbrechung, wo Rappolt seinen Kopf gehalten, fuhr er ruhig fort:

»Mein Stein hatte den Abt am Haupte verwundet; ich, ohne mich zu verbergen, stand in drohender Stellung am Fenster, alle dankbaren Blicke aufzufangen, die mir aus den Augen der Nonne strahlten. Der Ruf des Abtes hatte bald die alte Frau herbeigerufen, die an jenem Abende der Versuchung Schach gespielt hatte; er ward fortgebracht, und drohend zeigte ich ihm noch meine Faust, und so stand ich noch mit dem Gefühle eines Befreiers, als ich schon von Mönchen umgeben und gebunden wurde. Ich fluchte dem Abt und seinen Missetaten, aber Posidonius, der bei mir zur Wache blieb, riet, an meine eigene Seligkeit zu denken. Wo war meine Seligkeit? Die Grausamkeit eines Eifersüchtigen hatte mich in der Wohnstätte meiner Liebe gelassen; aber wohin war sie entführt die meiner Augen Lustgarten, Ernteflur und Himmelsplan war. Mein Jammer ging dem harten, alten Mönche zu Herzen: ›O‹ rief er einmal, ›wie wunderbar ähnlich seid Ihr in Eurem Schmerze dem armen Wolf, den gleiches Unglück und gleiche Liebe mit Euch verbunden; oft schon sah ich verwundert die Ähnlichkeit Eurer Züge, ähnlicher können Zwillinge nicht sein; er wollte zu ihr fliegen, die euch verdirbt; von dir sind die Blätter zu ihr geflogen, du bist entlaubt.‹

Bei dem Namen Wolf gewann mein Bewußtsein für alte Erinnerungen Raum: ›Wolf sagt ihr? Wohl hatte ich einen Bruder [863] in meiner Kindheit, den ich herzte und ehrte und von dem ich nichts weiß; aber wenn der Unglückliche geliebt hat wie ich, so war er sicher mein Bruder.‹

›Ich kann Euch sein Geschlecht wohl nennen, er vertraute es mir in den letzten Tagen; sein Vater hatte sich neu vermählt und seine Kinder erster Ehe in Klöster gebracht; er soll ein harter Mann gewesen sein, und darum mochte er wohl heißen der Graf von Stock.‹

›O mein armer Bruder, so wurdest du aus meinen Armen gerissen, daß ich dich sterben sähe als ein unschuldiger Sünder, von der Mörderhand falscher Gerichte; bald grüßen wir uns und tragen zusammen unsere blutigen Köpfe vor den Richterstuhl des Herrn.‹

›Er wird jedem nach seinem Verdienste lohnen‹, sprach Posidonius. ›Wer aber soll seine Ehre verkünden auf Erden?‹ rief ich. ›Und wie soll mein Vater bestehen, wenn er sieht, wie er gewütet hat mit den Gliedern seiner Zukunft, mit den letzten Ästen seines Stammes, auf dem auch er erwachsen?‹

›Sorge nicht für ihn‹, sprach Posidonius, ›denn dir selbst steht noch das Schwerste bevor.‹

Er ließ mich bald allein, und der Jammer über den Untergang meines Geschlechtes strömte in wilden Klängen von meinem Herzen, bis mich das Dunkel des Abends umgeben hatte; da klinkte es sacht an meine Tür, und ein verhüllter Mönch trat leise herein, blickte mich an und fiel dann zu meinen Füßen.

›Du solltest sterben um mich‹, rief eine Stimme, die ich nie in solcher Nähe vernommen, die ich aber kannte, wie wir den Himmel erkennen an Wohlwollen; ›aber ich rette dich, fliehe von hier, kümmere dich nicht um mich, wir sehen uns wieder.‹

›Warum sollte ich sterben, warum sollte ich fliehen?‹ fragte ich. ›Nur bei dir zu bleiben nenne ich leben.‹

›Du bist verloren‹, sprach sie, ›der Abt hat Blätter mit Liebesworten von dir dem Gerichte vorgelegt, die du dem falschen Winde für mich anvertrautest; er hat seine Wunde eröffnet vor dem Gerichte, die du ihm geworfen, als er mich, sein Beichtkind, abhalten wollte, nicht nach dir zu blicken.‹

›Hab ich es darum getan?‹

[864] ›O Himmel‹, sprach sie, ›ich weiß am besten die Beichte, die er von mir verlangte; aber siehe, dein Leben ist sonst nicht zu retten, ich muß schweigen.‹

›Vor einer Stunde‹, so sprach ich, ›wäre ich deinem Willen gefolgt, jetzt habe ich keinen Willen mehr; hier will ich sterben, hier, wo mein Bruder Wolf blutete; dieselbe Sichel soll uns beide abmähen.‹

›O sprich‹, rief sie bestürzt, ›ich ahne und zweifle; wohl hab ich es länger vermutet, es seien euer zwei, die ich gesehen und liebte; du schienest mir größer und bleicher.‹

›Die Sonne ging unter, der Mond ging auf; mein Bruder fiel an dem Abend unter dem Beile, wo ich als ein müder Wanderer hier eintraf; unsere Liebe ist gleich zu dir; er baute sich kühne künstliche Flügel, zu dir zu gelangen, aber die Eifersucht hemmte seinen Flug – auch meine Flügel sinken dem Grabe zu, und ich bin müde des Weges; dich habe ich gesehen, ich fühle deinen Mund an meinem, deine Tränen rinnen auf meinen Backen, und meine Tränen küssest du auf; mit dir hätte ein herrliches Geschlecht hervorgehen sollen, mein Geschlecht sinkt. – Diese Küsse, die ich dir reiche, schenkte mir die vielgeliebte Mutter; begegnet dir auf Erden meine Schwester Gloria, teile sie mit ihr.‹

›Gloria‹, rief sie, ›wer ruft mich, das ist mein Name, aber mein Herz ruft Jammer; sage, wie wandelt sich alles um, das Feuer wird fest und die Erde flüchtig, und das Freudige will ich fliehen und die Leiden mir wünschen; ich fühle dein Herz, und sein mächtiger Schlag sagt, daß du stammest von den Wächtern der Kronenburg, Rappolt, geliebter Bruder!‹

Stirn gegen Stirn lagen wir so im stummen Erstaunen an einander und jammerten, und sie sang mir, wie sie als Kind getan, von den Wellen, die an den Himmel schlagen, und von den Sündern, die an der Himmelstür singen; ich aber, über allen Jammer hingetragen von dem sanften Flügel des Schlafes, besiegt von seiner Macht, sank in seine empfindungsloseste Tiefe; schwarz ward es rings, und kein Traumbild wagte sich in diese Tiefe. Aber allmählich, wie ein Leichnam, der, tief im Wasser versunken, in der Sehnsucht zum Lichte wieder aufstrebt, so fühlte ich ein Erbeben und endlich ein farbig Begrüßen in den schillernden Wellen, in denen die aufgehende Sonne sich spiegelt. Bald lag ich in den [865] Armen der Schwester, und alle Scheu, die mich sonst von ihr geschieden, war vergessen; ich wußte gar nicht mehr, daß sie mir Schwester war und Nonne; ich fühlte nur mit wildentbrannten Sinnen, daß sie ein Mädchen, daß sie mein. Doch als ich ihres Leibes Wonne suche, da meine ich, des Klosters Glocken schreien zu hören; ich fühlte ganz, daß mich ein Traum getäuscht, ich aber wollt's nicht wissen, ich wehrte mich, die Augen zu öffnen, um zu genießen aller Lieblichkeit. Was in jener zarten Welt des leeren Spiels gestört, das lebt nicht mehr; ein Windstoß zerreißt die zarten bunten Flügel, die in einer Nacht sich entfalten und versinken; seit ich die Glocken gehört, drückte ich das Traumbild meiner Lust immer gewaltsamer an mein Herz, daß mich Gloria wie einen Heiligen umschloß, der sich in Strahlen vor der Welt verstecken möchte. Aber immer lauter wurden die Glocken; ich öffnete gezwungen und doch mühsam ein Auge und schloß es dann wieder und wollte fortträumen; ich wußte nicht, wo ich war, als ich es wieder eröffnete; die Erinnerung sammelte sich erst allmählich bei dem Geläute und bei verwirrten Stimmen, die ich hörte; ich wollte aufspringen, aber noch hielten mich die Fesseln, mir war, wie in jener Nacht der Hinrichtung; aber bald sagte ich mir, daß ich schon hingerichtet sei, bald, daß ich hingerichtet werden sollte; alle Vorstellungen liefen über einander und suchten einander auf unendlichen Windeltreppen; nur eins glaubte ich wirklich und jammerte dessen, die Schuld mit meiner Schwester; das Fieber hatte mich durch und durch wieder ergriffen, was mich bei dem Eintritte in das Kloster überfallen hatte. Selige Tage der Krankheit, die Welt liegt abgestorben fern, aber in uns blüht alles und regt sich in seinen Übergängen; die verständigen Stunden wagte ich nicht, durch Fragen zu stören, und wenn ich fragte, antwortete mir Posidonius so unbestimmt, daß ich bald daraus schloß, er dürfe mir nichts sagen; auch sah ich, daß man mich aus meinem Zimmer in ein entferntes Gartenhaus gebracht hatte wo mir mit liebevoller Sorgfalt allerlei Blumen ums Bett gelegt wurden, die ich in der Bewußtlosigkeit des Fiebers gern streichelte und befühlte.

Langsam genas ich und nahm mir endlich vor, was sich im Kloster ereignet, ob ich nur zur Hinrichtung so mühsam aufgepflegt würde, zu erforschen, als ein ernster Ritter mit weißen [866] Haaren und verweinten Augen zu mir eintrat; er stürzte an meinem Bette nieder und sprach nach langem Schweigen: ›Sohn, wenn du wüßtest, wie schwer es einem Vater wird, sein Kind um Verzeihung anzuflehen, du würdest mich aufheben.‹

›Vater‹, sprach ich, ›wenn Ihr es seid, was habe ich Euch zu verzeihen: Aber ich bin zu schwach, Euch aufzuheben.‹

›Darin zeig dein Verzeihen‹, sagte der Vater, ›daß du in Geduld abwartest, bis ich dich stark genug weiß, alle Ereignisse, die uns betroffen, anzuhören; jetzt vernimm, daß du nicht mehr Geistlicher bist; der Papst hat mein Flehen erhört, deine Gelübde gelöst; du ziehest jetzt heim mit mir, um das Geschlecht der Graten von Stock fortzuführen und ihren schweren Dienst zu vollbringen.‹

Das Fieber hatte alle Heftigkeit in mir gelöscht, aber nach Freiheit atmete ich noch, und das Unbestimmte, was mir begegnen und was ich erfahren könnte, stärkte meinen Willen, gesund zu werden. Nach einer Woche war ich stark genug, mich auf ein Pferd setzen zu lassen; erst jetzt wagte ich es, nach meiner Schwester Gloria zu fragen; der Vater drehte sich zur aufgehenden Sonne und wischte sich die Augen, als ob er geblendet wäre, und sprach: ›Keine Frage, lieber Sohn, ihr ist wohl, ein guter Vater sorgt für alle seine Kinder.‹

Als wir so an der Ebene stillschweigend hinuntergeritten waren, wo alles mir wie eine neue Welt schien, da sprach meines Vaters Knecht: ›Herr, jetzt geht es hellauf.‹

›Gut‹, sagte er, ›in der Hölle wird es ihnen heißer werden.‹

Ich blickte um und sah die wohlbekannten Zinnen und Türmchen der beiden Klöster hellflammend; erst glaubte ich im Morgenrot, aber die Mauern wurden durchsichtig, und der irdische Dampf rang mit dem ewigen Lichte; da wandte ich mein Pferd und wollte zurückeilen: ›Gott, meine Schwester!‹ rief ich.

›Sie ist nicht mehr dort‹, rief mein Vater, ›sie ist nicht mehr hier, kein Auge kann sie sehen, kein Ohr sie hören, sie lebt in den Gedanken, sie ist bei Gott!‹

›So will ich bei ihrem Grabe bleiben und wie eine Zypresse einwurzeln‹, rief ich.

›Ihr Grab ist nirgends‹, sagte mein Vater, ›der teure Leib ist zu Asche verbrannt, von der Luft verweht; so soll auch dieses Haus [867] der Grausamkeit und der Schande zu Asche verwehen, denn dieses Feuer habe ich angelegt.‹

›Vater, Eure Worte haben mich wie Stahl gehärtet, sagt mir alles, wie es sich verlaufen, denn trauern werde ich um alles, was mir geschehen, um alles, was ich weiß, und um alles, was ich wissen möchte.‹

›Noch ist es nicht Zeit‹, sagte er, und ritt stillschweigend fort.

Wir kamen nach dem Schlosse Stock; er stellte mich seiner zweiten Frau, mit der er in mißvergnügter kinderloser Ehe lebte, als den Erben seiner Güter und seiner ganzen Liebe vor; die Frau weinte und schien erfreut, ihr einsames Haus durch mich belebt zu sehen; mir aber war das Haus zum Verstummen einsam; das Geheimnis, das mich erdrückte, verschloß mich mitten in Waffenzügen, in denen ich mich jetzt statt am Brevier übte, dem ewig Erneuenden der Tage. Kam ich heim, so blieb ich Tage lang vor den Bildern meiner Ahnen stehen; sie umlagerten mich auch Nachts; ich träumte von ihnen das Abenteuerlichste, und beim Erwachen dachte ich mir schrecklich die Ewigkeit, wenn ich sie immer mit diesen Verwandten, möchten sie auch noch so gut sein, zubringen sollte. Mehrmals erinnerte ich meinen Vater, das Geheimnis mit meiner Schwester aufzuklären; ich sehnte mich selbst nach dem Schrecklichsten, wenn es nur das Geheimnis meines Unglücks aufklärte und mich mit lebendigen Bildern erfüllte. Er aber sagte ernst: ›Erst sollst du ein Mann werden und heiraten, ich habe für dich gewählt, aber du wirst meine Wahl bestätigen.‹ Ich sagte ihm, daß ich nur für den Preis des Geheimnisses heiraten würde; er bewilligte das. Nicht lange nachher traf ich, heimkehrend von einer Fehde, deine Mutter, mein Anton, bei meiner Mutter an sie hieß Mathilde von Amorbach, war ernst, schön und übergroß, fast einem Manne ähnlich an Bildung, aber ihre sanfte, bescheidene Stimme machte sie bald als Weib kenntlich. Wir wußten beide was wir miteinander sollten, man ließ uns allein, wir schwiegen lange, endlich sprach ich: ›Mathilde, seht diesen Ring; sonst saß ein heller Demant in seiner Mitte, aber der Demant fiel durch einen heftigen Schlag des Geschickes ins Meer; da liegt er unversehrt, nichts kann ihm schaden, hell und klar liegt er in der Tiefe, weiß aber nicht, wo er ist. Auch kann ihn kein Mensch herausziehen, mein Herrlichstes ist mir verloren. Dieser Goldring, der [868] ihn faßte, es ist reines Gold, aber er wurde nicht gesehen vor dem Glanze des Diamanten; jetzt ist er mein alles, kann er Euch genügen? Was von mir übrig ist, soll Euer werden.‹

Mathilde senkte die Augen und sprach: ›Ich will mit Euch trauern um alles, was Ihr verloren, ich werde es aber nicht vermissen, denn ich kannte es nicht; was Ihr mir bietet, ist mir aber schon zu viel, denn ich habe nur einen Ring von Zinn, den ich Euch dagegen bieten kann.‹

Darauf sagte ich ernst: ›Weil Ihr denn meint, daß Euer Ring zu leicht sei, so legt die Hand dazu auf die Waage, und ich lege mein Herz darein.‹ Ich drückte bei diesen Worten ihre Hand an mein Herz; unsere Eltern traten ins Zimmer, wir knieten nieder, und sie segneten uns ein.

Nachdem die Hochzeit vollbracht, störten mich nicht mehr die Ahnenbilder in Träumen; die Ebene und die ersten Höhen waren rings in mir fröhlich bebaut, nur auf dem Gipfel lag der alte Schnee. Du warst unser erstes und einziges Kind; dein Gemüt kenne ich noch nicht, aber dein mächtiger Körperbau erinnert mich an deine Mutter, die ohne Prahlerei, nur wenn ich es ihr geheißen hatte, Hufeisen zerbrechen konnte und Zentnerlasten mit einem Finger heben. Als du geboren und getauft, führte mich der Vater auf die Kronenburg; er zeigte mir das große Geheimnis und das künftige Geschäft meines Lebens, den schweren Dienst und die unbestimmte Hoffnung; dann führte er mich nach kurzem Gebet den schwindelnden Gang, auf den er mich schon lange durch Versuche, an hohen Felsen, an Gebäuden anzuklettern, vorbereitet hatte. Der Gang ist fürchterlich; ich schwöre, daß kein Feind, und wenn er die ganze Burg erstürmt, es wagt, auf die Spitze des Turmes zu steigen, wo die Krone liegt; und doch ist dies der einzige sichtbare Zugang. Dieser Turm ist eine zweihundert Fuß über das höchste Gebäude hervorragende Säule, an der die schmalen Stufen, auf denen nur zwei Füße Platz zum Auftritt finden, ringsum in freier Luft ohne Geländer laufen. Der Blick vorwärts geht bald in unendliche Täler, bald in Felsengeklüft, je nachdem sich der Weg windet; unter einem erscheinen da abwechselnd Straßenpflaster, Giebel von Häusern, die Luftbogen der Architektur, in denen die Vögel nisten; die Menschen aber wenden die Augen weg, um nicht nachzusehen; es ist ein Gang, den jede Fliege zum [869] Spaß geht, wohin aber der Mensch nicht gehört, – mein armer Anton, du mußt ihn auch noch gehen. – Der Vater sagte mir, ich möchte nur ein herzerfrischend Lied singen. Ich fing an eine lustige Weise zu pfeifen, aber kaum war ich einmal um den Turm herum und konnte nicht mehr zurück, da sah ich vorwärts alles doppelt; ›Vater‹, sagte ich und klammerte mich an die Stufen, ›ich seh zwei Treppen, die laufen so dicht beisammen, daß ich nicht weiß, auf welche ich treten soll.‹

›Es hat ja keine Eile‹, antwortete er; ›halte dich nur fest, ich will auf meiner Stufe auch ruhen; ich habe mir so vorgenommen, dir endlich ein Geheimnis aufzuklären, was so lange auf dir gelastet hat.‹

›Wo ist meine Schwester?‹ fragte ich.

›Sie ist tot‹, antwortete er.

›Vater, ich sehe jetzt klar‹, rief ich, ›was unter mir ist, reizt und schreckt mich nicht mehr, wir können ruhig ansteigen durch den Saum der Wolke, der meinen Scheitel umhüllt.‹

Das Wort hatte mir Totenruhe gegeben, mit dem Worte war ich von der Erde frei; ruhig ging ich die Stufen hinauf, als wäre ich Jahrhunderte schon wie ein Stern auf und nieder gegangen, kein Schwindel war mir schrecklich; ich sah mich selbst in der Leere über der Erde, ich schwebte und erschien mir in dem bisherigen Verhältnisse zu mir töricht, es war jetzt Ernst geworden. –

›Verkürzt den Weg mit der Erzählung‹, bat ich den Vater, ›ich will warten, wenn Euer Atem zu kurz wird.‹ –

›Lieber Sohn‹, sagte er, ›noch weißt du nicht, warum ich euch in so früher Zeit so hart auseinander gerissen; der gute Niklas war um euch besorgt, daß eure Liebe zu einander sündlicher Art sei, und als ich euch verschlungen in einem Bette fand, da übernahm mich der Zorn; ich verschwor euch Söhne dem Kloster und wollte von einer andern Frau mir Erben gewinnen; die Tochter aber brachte ich zu einer Verwandten nach Kostnitz. Diese Frau lebte mit vielen Menschen in weltlicher Fröhlichkeit, aber Gloria wandte sich zur Einsamkeit und Buße, wo ihr der Herr erschien und mit ihr in Stunden der Entzückung sprach und sie ermahnte, in das Kloster zu gehen. Sie war nach dieser Erscheinung gleich willig dazu, aber alle ihre Bekannten, die so herrlich sie aufblühen sahen, suchten sie mit Liebe und Gewalt zurückzuhalten; dies verzögerte ihren Eintritt, aber veränderte nicht ihren Entschluß; ich [870] mußte ihrem Flehen nachgeben, obgleich es mich schon damals, nachdem ich lange vergebens auf Kinder von meiner zweiten Frau gehofft hatte, schwermütig reute, daß ich meine bei den Söhne von der Welt abgeschieden hatte. Ihr Abschied war ein Zeichen für mehrere junge Ritter, in fernen Kriegszügen Zerstreuung und Ersatz zu suchen. Vor allen schmerzlich war das Scheiden eines Ritters von Lilienfeld, der nach Jerusalem zog; aber auch sie ging nicht in den Frieden ein, auf den sie gehofft hatte. Das Kloster war heimlicher Sünde voll, und die Äbtissin, eine frühe Freundin des Abtes, den dein Wurf verwundete, suchte seine Neigung sich zu erhalten, indem sie ihm die reizendsten ihrer neuangenommenen Novizen opferte. Meine arme Tochter ahnte nichts davon, sie sah den Abt als einen ehrwürdigen Beichtvater, auch war ihr ganzes Gemüt von der Erscheinung deines unglücklichen Bruders Wolf erschüttert, der in dem Kloster, ihr gegenüber, angekommen, ihr das Bild des Herrn, das ihr im Entzücken vorgeschwebt, fest und deutlich vor Augen mit zärtlichen Blicken hingestellt hatte. Sie beichtete diese Erscheinung dem Abte; er legte ihr leichte Buße auf, deinen Bruder aber beschloß er aus Eifersucht zu verderben. Nun trug dein Bruder den geistlichen Stand mit größerem Widerstreben als du; die Leidenschaft zur schönen Nonne raste in ihm; unbekannt mit der Welt, von der er so lange geschieden, suchte er in dem Kreise seiner Beschäftigungen mit mechanischen Kunstwerken seiner Leidenschaft Hülfe und Rat. Unsäglich war die Mühe, sich die Gerätschaften heimlich zusammenzubringen, um sich Flügel zu bilden, die Geliebte gegenüber aus dem Turme fortzutragen. Der Abt hatte ihn schlau umstellt; beim ersten Versuche wurde er gefangen – du hast ihn sterben sehen. Du kamst in gleiche Schlingen des Satans, und meine Tochter wurde von der Äbtissin angeleitet, sich dem Abte für die Rettung deines Lebens zu versprechen. In einem Kampfe, der zuletzt alle Besinnung erschöpfte, ließ sie sich die Mönchskleider anziehen, sie wurde durch einen geheimen Gang zitternd und ohnmächtig in das Zimmer des Abtes geführt. Er versprach ihr dein Leben.‹

Bei diesen Worten waren wir auf der Spitze des Turmes angekommen; die Krone lag vor mir, aber ich sah sie nicht; ich setzte mich nieder, sah in die Weite, wo ein ausgetretener Strom über die Wohnungen der Menschen hinrauschte, daß sie wie Schreckensfrüchte[871] an den dürren Gipfeln der Bäume hingen; dabei biß ich mir auf die Finger, und der Schmerz war mir Wollust. Als mein Vater diese Heftigkeit in mir erblickte, legte er mir Ketten an die Glieder und heftete mich fest; dann fuhr er fort: ›Mein Sohn, daß ich dich so schmerzlich ankette, tue ich dir zur Sicherheit. Gloria ging, dir Lebensrettung anzukündigen, ihr erkanntet einander; jetzt sah sie, daß du ohne ihre schreckliche Aufopferung zu retten gewesen wärest; wer konnte es dir verargen, zu deiner Schwester zärtlich geschrieben zu haben? was du dem Abte getan, erschien jetzt nicht mehr als verliebte Raserei; das aber fühlte sie nur wenig, eins wußte sie nur, daß sie in ihrem Schimpfe nicht fort leben könnte. Du versankst in Ohnmacht und sie in Verzweiflung, aber ihre Rettung und ihr Tod waren nahe. Der Abt hatte seine Lust gekühlt, jetzt blieb ihm nur die Rache gegen dich; er brach sein Wort und sendete die Gesellen seiner Bosheit, dich zum Richtplatze zu führen; die Schwester glaubte er schon zum Kloster zurück. Die Glocken läuteten; sie muß aus den Reden der Mönche erfahren haben, daß sie dich zur Hinrichtung führen wollten, sie ist ihnen entgegengetreten im Dunkel und hat ihnen wie mit erstickter Stimme, wodurch sie getäuscht worden, erklärt, daß sie alle Bande zerrissen, daß sie aber freiwillig sterben wolle. Die Mönche haben sie ergriffen und in stiller Feierlichkeit zum Richtplatz geführt. O mein Sohn‹, rief er hier, ›wie habe ich jahrelang diese Krone bewacht, die ich nie trage! und dieses Kind, das meine Frau getragen in Liebe und Schmerzen, habe ich ohne Wache in der Welt irren lassen!

Erst als sie enthauptet, erkannte der Laienbruder ihr Geschlecht, und diese Herrlichkeit schmetterte sie alle nieder, denn sie wußten nun alle, daß sie getan, was nimmer zu vergüten und mit jeder Stunde, bis zur letzten, immer schwerer auf ihnen lasten, dann aber sie alle in die Gewalt ewiger Glut bringen werde. Der Abt, den das verwirrte Geschrei herbeizog, verfiel in wilde Raserei; er wütete mit dem Beile gegen den schönen Körper und gegen alle, die ihn zurückreißen wollten; endlich wurde er mit Steinen von ihnen darniedergeschmettert, sie bereiteten einen Holzstoß und verbrannten die beiden Leichname; wie eine länderverödende Pestilenz zog der Qualm des Abtes über die Stadt, aber die Leiche der Tochter wollte die Flamme nicht ergreifen, ihre Wunden bluteten [872] noch nach mehreren Tagen frisch wie am ersten. Da erwachte das Gewissen eines Mönchs, er lief in die Stadt und verkündigte die Missetaten; da kam der Ritter von Lilienfeld, der sich einst aus Liebe zu ihr in den Krieg geflüchtet, drang in das Kloster und erkannte ihre Züge. Es drangen die Bürger von Kostnitz in das Kloster, und jeder erkannte sie; da zerfiel sie in Asche, der Wind hob sie empor wie den fliegenden Sommer, von dem wir nicht wissen, woher er komme, noch wohin. Schnell war die Verhaftung der Schuldigen erfolgt, du wurdest gepflegt von Mönchen, die unschuldig erfunden; ich erhielt in Rom meines Elends Kunde, mein Jammer hallte in den Toren des Vatikans, und mir ward gewährt, dich zurückzuführen in die Welt, in dir mein Geschlecht und die schweren Pflichten, die auf ihm ruhen, erfüllt zu sehen.‹

So endete mein Vater, als ginge ihm Atem und Stimme für immer aus; mich aber ergriff ein Schwindel, als hätte alles Blut einen andern Lauf genommen und flöhe mich, – mein Sohn, mein Sohn! stehe mir bei, denn mir wird wieder, als wäre ich ohne Sinne zu früh auf die Welt geboren – mein Sohn, mein Sohn, steh mir bei, denn ich zerfließe wie ein Tropfen, der aus dem milden Auge meiner Mutter hundert Meilen tief auf den harten Scheitel meines Vaters gefallen – mein Sohn, mein Sohn...«

Bei diesen Worten stürzte Graf Rappolt nieder; Anton sprang trotz seiner Wunde auf, aber der Schmerz und die Schwäche des Beines stürzten ihn zurück; Susanna war schon mit liebevoller Sorgfalt zu dem Ohnmächtigen getreten und rief die Diener von dem Feste zu ihrem leidenden Herrn. Die Bestürzung war groß; alle waren um ihn beschäftigt, die Musik schwieg, das Getümmel erstarrte. Nach wenigen Minuten gab der alte Graf wieder Zeichen des Lebens, aber er war schwach und befahl leise, ihn auf sein Zimmer zu bringen. Anton wäre ganz verlassen zurückgeblieben, hätte nicht Susanna jetzt wieder alle Sorgfalt auf ihn gewendet; sie rief bald einige Leute zusammen, die ihn auf sein Zimmer brachten. Erst hier sammelten sich alle zerstreuten Züge der Erzählung; das Schreckenvolle aller Ereignisse, welche die Seinen teils überstanden, teils das Gefährliche des Dienstes, wozu er berufen, drückten ihn nicht nieder, aber nichts von seiner alten Weise stimmte mehr dazu; selbst seine Frau fügte sich nicht in diese Entbehrungen und Anstrengungen, um einen so ungewissen Zweck [873] zu erreichen; daß er nun erreicht habe, wonach er sonst fröhlich gestrebt hatte, ein ritterlicher Mann zu werden, das war ihm noch nicht so nahe und deutlich. Er brütete so in sich, wie er noch nie getan, forderte zuweilen Nachrichten von seinem Vater, der sich besserte, und schlief endlich ein, so tief, so fest, daß er erst erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel gestiegen.

»Susanna«, rief er erwachend, »guten Morgen! Schaff mir ein tüchtig Frühstück, denn gestern abend ist es mir zum erstenmal begegnet, daß ich das Abendbrot vergessen habe.«

»Herr«, sprach sie, »von wem soll ich's Euch schaffen? sie sind alle fort.«

»Was? Wer?«

»Ja, Herr! es mochte Morgens zwei Uhr sein, da ward ein Gelaufe; ich fragte, sie antworteten mir, der alte Herr befinde sich schlechter, sie müßten ihn fortbringen; ich sah ihn vorbeitragen, weiß aber nicht, wohin sie ihn gebracht; sie schlossen mich ein, und ich kann noch nicht heraus aus dieser Reihe von Zimmern.«

Anton seufzte: »Gewiß ist mein Vater tut, oder sterbend; so habe ich ihn gestern zum letzten Mal gehört und seine Leiden, aber nicht das Geheimnis vernommen, das ich bewahren soll. Wo werde ich die Kronenburg finden? Wie werde ich erkannt werden! – Alle Herrlichkeit ist mir wie durch Zauberei gezeigt, aber wie ich hingreifen möchte, so vergeht alles wie Luft.«

Als Anton nun so traurig saß, sprach Susanna: »Lieber Herr, Ihr habt Euern Vater so wenig gekannt, daß Ihr diese Stunden wie einen Traum ansehen könnt; sorgt für Euch, denn ich vermag es nicht, allein für Euch zu sorgen; ich vermag nicht die Türen zu sprengen, die uns einschließen.«

»Sei nicht besorgt um meine Traurigkeit«, sagte Anton, »es ist uns ein Übergang, denn eigentlich schäm ich mich vor jedem traurigen Gesichte, das ich mache, und ich sage dir, du sollst mich noch bitten, daß ich weniger mutwillig sei.«

Mühsam erholte sich Anton und schlich, von ihr gestützt, auf einem Fuße zur Tür, wo ein Druck von ihm das Schloß sprengte; dann ging er zurück zu seinem Bette, und Susanna ging aus, im Hause nach Vorräten zu suchen.

Sie blieb lange aus; endlich kam sie mit kaltem Fleisch, Brot und Butter, auch Weinflaschen zurück; sie war aber sehr bleich [874] und sprach: »Herr, ich habe oft gehört von dem Schrecken großer Unglücksfälle, von Erdbeben, welche die Häuser zerstören und die Bewohner vertreiben, wie da so mancher Unglückliche von seinen sinkenden Glücksgütern niedergeschlagen wird; das mag schrecklich sein, aber viel schrecklicher ist die Leere dieses Hauses, wo noch alles steht und liegt, als wohnten viele darin, und nirgends begegnet einem eine sichtbare Gestalt, in alle Winkel blicke ich und meine die Luft von Unsichtbaren bewohnt, aber nichts bewegt sich, als die verlassenen Lieblinge in den Kammern; die Vögel in den Drahthäuschen schreien ängstlich nach Futter, das Rindvieh brüllt, den gewöhnlichen Weideplatz zu besuchen; ich soll für alle sorgen, so glaube ich mir geboten, und kann mit keinem umgehen; ich habe in der Stadt in unserm Hause nichts als Hunde und Katzen mit dem Küchenabfall gefüttert.« –

»Liebes Kind«, sagte Anton, »gib ihnen die Freiheit, und ihnen ist allen geholfen, und jedes erhält das Seine vom Himmel aus gesäet; nur uns mögen wir bedauern, denn alles was wir brauchen, bedarf menschlicher Vorbereitung, – doch keiner sorge für den andern Morgen; setz dich zu mir, trink ein Glas auf deinen Schreck; erst jetzt weiß ich recht, was mich so trübsinnig machte, mich hungerte; mit dem ersten Bissen, mit dem ersten Trunke fühle ich mich glücklich wie ein König, und mir soll nimmer so Trauriges begegnen wie meinem Vater.« –

»Herr, Ihr seid zu kühn«, sagte Susanna, »wer viel ertragen kann, dem wird viel aufgelegt, denn im Schweiße seines Angesichts soll jeder sein Brot essen.« – Susanna aber holte das kleine Eichhörnchen das sie ihm den Tag vorher gebracht hatte, aus dem Winkel, wo es sich in einem Schuh eingenistet hatte, und fütterte es erst mit einigen Nüssen, die sie noch gefunden hatte, ehe sie sich zu dem Tische setzte. Nachdem die erste Lust der Speise gestillt war, fragte Anton: »Sag, liebes Kind, wer wird mich nun verbinden?«

»Ach Herr«, sagte sie, »daran habe ich schon lange mit Sorge gedacht; wir sind sehr unglücklich, doch hat mir die Mutter Gottes einen Gedanken eingegeben, Euch zu retten, ohne mich vor Euch zu schämen; Ihr bindet mir die Augen zu und führet mir die Hände, daß ich die Wunde mit einem grünen Blatt und feurigen Gebete schließe.«

Anton, dem ein Scherz einfiel, gab ihr recht in dieser Gesinnung, [875] wartete bis sie ein Blatt geholt, verband ihr die Augen und führte dann ihre Hand auf seinen Mund, indem er den Kopf tief heruntergebeugt hatte; sie senkte darauf ihren feinen, sanftgeschweiften Mund seinen Lippen nahe, ihr Atem strömte in Gebeten wie ein Frühlingsregen über ihn; darauf küßte sie dreimal die vermeinte Wunde, die sich so sanft anschloß, legte zwei grüne Rosenblätter im Kreuz darauf und verband den Kopf zitternd, aus Furcht ungeschickt zu werden, weil sie ihn für das Oberbein hielt, mit einem Tuche, dann kniete sie nieder, sprach noch ein stilles Gebet und wartete, bis ihr Anton das Tuch von den Augen nahm. Anton hätte gern gelacht, aber der Verband hatte seine Lippen so fest verschlossen, daß er ernstlich fürchtete, der Mund möchte zur Bestrafung seines Mutwillens zugeheilt sein und allen süßen Speisen verschlossen bleiben. Susanna war ganz versteinert, ihn mit verbundenem Kopfe zu erblicken, und zwar mit demselben rotgestreiften Tuche umwunden, das sie um sein Bein gelegt zu haben meinte. Er machte ihr ängstliche Zeichen, diese Binde schnell abzunehmen, die sie aber nicht gleich verstand, sondern ihm besorgt den Kopf hielt. Endlich löste sie den Knoten, fand die beiden Rosenblätter auf seinem Munde und warf sich beschämt über sein Bett und verhüllte sich in der Decke. Anton brachte mit Mühe die Lippen auseinander, auch bluteten sie, so schnell hatte das Heilmittel sie an einander geheftet; dann lachte er herzlich und schwor jetzt Susannen, sie nicht noch einmal anzufahren; jetzt schmerzte ihn auch die Wunde so heftig, daß er an keinen Scherz dachte sondern eilig die Augen der lieben Retterin verband und die Wunde seines Schenkels von ihr besprechen und verbinden ließ. Die Linderung war augenblicklich, er dankte ihr freundlich und fragte sie, was er ihr als Gegengefälligkeit erweisen könnte; sie sah vor sich nieder und bat ihn, da er jetzt Zeit und Farben habe, ihr sein Bild so klein gemalt zu geben, daß sie es zum Andenken immer bei sich tragen könne. Anton schwor ihr, daß er sich noch nie selbst gemalt und kaum wisse, wie er aussehe, sie möchte ihm indessen ein breites Gefäß mit Wasser bringen, er wolle sich gleich an die Arbeit machen. Susanna schaffe alles in großem Eifer schnell herbei. Anton sah sich im Wasser und mußte lachen; seine großen Augen glänzten so herrlich, sein blonder Bart krauste sich so dicht und zierlich, sein ganzer Kopf hing voll schöner Locken; das Bild [876] gefiel ihm so wohl, daß er auf einem kleinen runden Holztäfelchen sein Bild ganz so wie im Spiegel eines hellen Wassers abbildete, durch seine Locken ließ er ein paar muntere Fische spielen, eine Taube saß an der Seite und trank aus dem Becken; er malte so eifrig, der Einfall war ihm so neu, daß er über sich selbst verwundert war, wie geschickt und schnell er alles herausbrächte; ja er meinte, daß ihm Susanna, die immer eifrig zusah, Farben reichte und Pinsel reinigte, ihm mit besonderen Gebeten beigestanden. Susanna war hingegen immer noch unzufrieden damit, sie fand, es sähe noch immer so tot, so starr und unbeweglich aus. Anton wußte nicht, was sie wollte, er hatte nie ein lebendigeres Bild weder gesehen noch selbst gemalt; sie hätte gern ihn selbst wie das Eichhörnchen so mit sich geführt, lebend aber klein und ihr folgsam; ihr steter Tadel kränkte endlich sogar seinen Künstlerstolz, so wenig er auch davon hatte; er meinte doch richtiger über ein Bild urteilen zu können, als ein Mädchen, das noch kein einziges gutes Bild gesehen. Als sie ihm Abends, da es fast beendigt war, noch einmal sagte, die Augen hätten nicht das volle Feuer, rief er ungeduldig: »So fahr Gott und der Teufel mit allem Sonnen- und Höllenfeuer hinein! Ich hab mich heiß genug dran gearbeitet!« und warf den Pinsel gegen das Bild. Susanna tat einen Schrei, hob das gefallene Bild auf und rief: »Seht Herr, jetzt ist Feuer in den Augen!« Anton sah hin und war verwundert, wie der Pinsel, der mit Weiß gefüllt war, so glücklich auf das eine Auge gefallen war, um ihm einen Ausdruck von Lebensfeuer zu geben, den er nie herauszubringen verstanden; er brachte jetzt den Effekt mit Absicht im andern Auge hervor, glättete und reinigte in jenem, wo der Zufall oder Zuwurf es verdorben hatte, und Susanna sprach leise mit den Augen zu dem Bilde und bewegte fast unmerklich zu ihm die Hände. Anton fragte sie, was sie ihm zum Dank gebe; sie sagte ihm beschämt, daß sie nichts habe. Er wünschte sich einen Kuß und meinte, sie müßte es erraten; seine Lippen waren aufgesprungen seit dem Morgen und schmerzten ihn, er mochte sie nicht zum Kusse darbieten. In diesen Gedanken ließ er sich Wein bringen, er wollte den Wunsch ertränken, aber je mehr er trank, je mehr zog es ihn zu ihren Lippen, er konnte nicht schlafen. Susanna setzte sich neben seinem Bette auf einen Stuhl; er sah sie in allen Beleuchtungen und malte sie schlafend; das Werk fesselte ihn, und er [877] malte, bis Phosphorus schon am Himmel glänzte und Susanna, die an seinem Bette gesessen, schlaftrunken über dasselbe hingesunken war. Da legte er den Pinsel nieder und sang:


Ach Gott, wie tät mir gut
Ein Kuß auf ihren Mund!
Die Lippe wär nicht wund,
Ich wär auf meiner Hut,
Ich wäre dann gesund
Und ruhig lief mein Blut.
Ach Gott, wie tät mir gut
Ein Kuß auf ihren Mund!
Die Liebe wär dann aus,
Ich wollte fleißig sein.
Es fiel mir manches ein,
Ich zöge dann nach Haus;
Mit tausend Gläsern Wein
Löscht sich nicht Phosphor aus;
Er stehet überm Haus
Und zündet Liebesschein.
Er schaut der Erde Rand,
Auf dem ihr Himmel liegt,
Wie hat die Erd besiegt
Der Nacht verschwiegne Hand;
Es schließt die Nebeldeck
Sie beide traulich ein,
Ganz still der Sterne Schein
Zieht über sie hinweg.
Ach Gott, so schließ mich ein
In ihren Lippen dicht,
Im lieblichen Gesicht
Ist nichts so kühl und fein;
Ich brenne hell und licht,
Erlösche mich darein;
Es kann nicht anders sein,
Und ich versag mir's nicht.

Bei diesen Worten küßte er sie; Susanna sprang auf und wußte nicht, wie ihr geschehen; sie schwor, daß sie Seger im Traume gesehen, der dem Vater Antons nachstellte.

[878] »Mein armer Vater ist tot«, sagte Anton, »ich habe wenig von ihm gewußt, als eine lange Geschichte, die er mir erzählt und die ich ihm nicht glaube, wenn er gleich darauf gestorben; laß uns das Vergangene vergessen, ich bin nüchtern geworden, seit ich dich geküßt, und meine Lippen sind geheilt; ich meine jetzt ruhig zu schlafen, und hast du bei Sonnenaufgang ausgeschlafen, so laß dein Bild für dich schlafen.« Susanna sah beschämt ihr Bild und sagte: »Nein Herr, so hübsch bin ich nicht.«

»Hör Susanna«, sagte Anton schlaftrunken, »du tadelst heute zu viel meine Kunst, was verstehst du davon? Du bist nur ein dummes kleines Mädchen, hast nichts Gemaltes gesehen, als deine Puppen und die Wirtshausschilder; ich muß am besten wissen, wie du aussiehst.«

Anton schlief bei diesen Worten ein; der Wein hatte schon lange seine Zunge schwer gemacht und machte noch am Mittag, als er erwachte, seine Augenlider schwer. Er blinkte durch und sah mit Verwunderung, wie Susanna ihr schlafendes Bild mit Epheu, Lilien und Rosen umkränzt hatte und auf den Knieen davor lag und in großer Inbrunst betete; er verstand nur einzelne Worte, sie aber betete zu sich: »O laß mich werden im Wachen wie du bist, heilig im Schlaf; laß deine Engelträume mich schützen und mir gegenwärtig sein; dir ist so wohl, mir ist so weh, was wird aus mir werden?« – Anton hatte Scheu, sie aus dieser Andacht als ein Lauschender mit Spott zu erwecken, vielmehr bewegte er sich erst im Bette, daß sie sein Erwachen ahnen, sich aufraffen und zu ihm setzen konnte; dann blieb er noch einige Minuten ruhig, ehe er sich aufrichtete und nach alter Gewohnheit, als wisse er von nichts, sein Frühstück begehrte.

»Nun«, sagte er, »bist du noch nicht mit deinem Bilde zufrieden? ich sehe, du hast es mit einem Blumenkranz umfaßt.«

»Ach Herr«, sagte sie, »wenn das Bild nur mit mir zufrieden ist, ich habe solche Angst davor; was ich tue und denke, immer meine ich, es möchte dadurch im Schlafe gestört werden; ich habe eine große Angst, daß ich ihm nicht gut genug bin; wie müßt Ihr herrlich sein, daß so etwas Eurer Hände Werk, weniger Stunden Fleiß ist.«

Anton lachte: »Liebes Kind, wenn du so viel Schläge darum bekommen hättest wie ich, du maltest eben so gut, hast du denn [879] gar nichts gelernt?« – SUSANNA: »Ich war zu allem, was sie mir beibringen wollten, zu ungeschickt; ich sollte singen, aber wenn es auch unter uns gegangen war, so blieben mir doch die Worte in der Kehle wie ein Vogel an der Leimrute stecken, wenn ich nun mit einem Kranze oder mit einem Becher heraustreten sollte, die Vorüberziehenden zu grüßen und in das Haus zu locken.« – ANTON: »Kannst du wohl vor mir singen, liebes Kind, Sing etwas, mir ist wüst im Kopfe von der närrischen Nacht.« – SUSANNA: »Wenn Euch mein Gesang nur gefallen wird, gern will ich's versuchen.« Sie ging hierauf im Zimmer umher, fing leise an, bald von Küssen, bald von Rittern zu singen, wie sie in dem Frauenhause unter üppigen Buhlenliedern aufgewachsen war, aber so leise, daß Anton kaum einzelne Worte hervorschimmern sah, denn kaum hatte sie eins ausgesprochen, so schämte sie sich davor.


Erst dreizehn Sommer zählt die Kleine,
Da strich sie durch den grünen Wald
Und sang in seinem Dämmerscheine
Ein Lied, das durch die Wipfel schallt.
Und von den Wipfeln steigt es nieder
Wie Sonnenstrahl, wie Morgentau,
Es wird so eng ihr rotes Mieder
Im Paradies der grünen Au.
Ich trete leise auf die Strahlen,
Die in dem Grase sich ergehn
Und es mit Blumen lieblich malen;
Wird mir denn auch also geschehn?
Es ist ein Frühling wie noch keiner,
Der Atem bebend mir beginnt;
Es sind die Blumen so viel kleiner
Und sind doch alle hell gesinnt.
O Frühlingsliebe, zarte Blume,
Du süße Angst im reinen Sinn;
Im Busen, ihrem Heiligtume,
Versteckt sie scheu ihr freies Kinn.
Und als sie aufblickt, ist verklungen
Das Lied im freudberauschten Wald,
Sie fühlt sich fremd den frohen Zungen,
Wovon ein jeder Baum erschallt.

[880] Anton hatte ihr selig zugesehen; die Angst gab ihrer Stimme ein Leben der Vollendung, er streckte sich auf sein Bette und sang ihr nach:


Dies Liedchen drängte sich zu Ohren,
Die zärtlich lauschten in dem Gras,
Dies Lied ist nimmermehr verloren,
Wenn sie es gleich recht bald vergaß.
In süßer Angst ist es geboren,
Verstoßen in die Einsamkeit,
Ich nahm es auf in meinen Ohren,
In meines Herzens Sittsamkeit.
Ich weiß es mir mit Lust zu deuten;
Es suchet, was es noch nicht kennt,
Es suchet in den blauen Weiten,
Was ihm so nah im Jagdschloß brennt.
Fühlst du der Liebe Ahnung nimmer?
Im Dämmerschein, im grünen Wald,
Da suchet dich der Liebe Schimmer,
Und ihre Sonne scheint dir bald.

»Wie meint Ihr das?« fragte Susanna, und Anton stockte; er wußte nicht, was er sprechen sollte, er hatte sich so in angenehmer Bequemlichkeit gehen lassen; er sah sie jetzt verlegen an, sie wurde rot und ging zur Türe hinaus.

Nach einiger Zeit kam sie ängstlich zur Tür herein: »Herr«, rief sie leise, »er ist da!«

»Wer?« fragte Anton, »hast du einen Geist gesehen? meines Vaters Geist?«

»Nein, der Seger«, sagte sie leise und legte den Finger auf die Lippen, »er hat das Vieh weggetrieben, Ihr könnt ihn noch sehen, da geht er am Walde.«

Bei diesen Worten erwachte eine Wut in Anton, sich an diesem seinem Verderber zu rächen, der ihn der väterlichen Liebe entführt hatte; er griff nach einem Jagdgewehre seines Vaters, das an der Wand hing, achtete nicht seines Übels, sprang ans Fenster, sah Segers hagere Gestalt deutlich bei der Herde und – schoß auf ihn; im Augenblicke vergingen ihm die Sinne. Die Aufwallung war vorüber, er seufzte: »Es wird ihm sein Recht geschehen, aber [881] ich wollte doch, es wäre alles nicht wahr; es war doch Fabian, den ich hier in meiner Kindheit so oft mit Bewunderung betrachtet habe; ohne den schändlichen Niklas, seinen Vater, hätte wohl etwas aus ihm werden können, das ist nun alles aus, sein Dasein mißt die Länge seines Leibes, und um mein Leben könnte ich ihn nicht wieder zum Reden und Gehen, zum Essen und Trinken bringen.«

Susanna, die ihn also traurig sah, seiner eignen Schmerzen uneingedenk, nur den undankbaren Freund bejammernd, bat ihn, daß sie hinuntergehen und ihn ansehen dürfe, ob seine Wunde zu heilen; Anton nickte mit dem Kopfe, sie öffnete die Tür und schrie erschrocken auf: »Jesus Maria!«

Seger stand draußen und trat herein, indem er sprach: »Anton, wir sind quitt, ich habe Euch entführt, Ihr habt auf mich schießen wollen; wir haben nichts mehr gegen einander; wir können jetzt manches mit einander tun, vor allem zechen.«

»Aber sage mir Seger, sag mir mein Fabian, ich erkenne dich jetzt erst ganz wieder, wie hast du so vielfach gegen mich handeln können?«

»Nun, Ihr wißt alles schon«, sagte Seger, »ja seht, in früher Zeit mußte ich es auf Geheiß meines Vaters Niklas tun, den nun schon lange der Teufel geholt hat; was ich zuletzt getan, das war der verfluchten Weiber wegen in Augsburg, und ich frag Euch selbst, ob einem ein Weib nicht den Kopf umdrehen kann, als wär er ein Wetterhahn.«

Anton dachte sich in dem Augenblicke zwischen seine Frau und Susannen, machte eine bedenkliche Miene und bot ihm die Hand: »Es ist gut, will weiter nicht daran denken; es ist mir lieb, daß ich wieder einen habe, mit dem ich von alten Zeiten reden kann, von alten Späßen; von meiner neuen gräflichen Herrlichkeit werde ich wohl so bald nichts erfahren. Wein her, Kurt! Sagt mir nur, warum habt Ihr meines Vaters Vieh weggetrieben?«

SEGER: »Ich brauchte Geld und jetzt haben wir's beide; es kam gerade ein Schlächter vorbei, der hatte eine schwere Geldkatze um und ein Dutzend blanke Messer in der Scheide; der Kerl hatte solche Lust zum Schlachten, wie sein Hund zum Blutlecken, der hatte einen Jubel an all dem fetten Schafvieh.« – ANTON: »Mit den Schafen, das ärgert mich, es war so ein Angedenken aus meiner [882] Jugend; wenn das mein Vater noch erlebt hätte!« – SEGER: »Es geht immer anders nach dem Tode, als die Alten meinen; meinen Vater sollte ich recht reinlich begraben, das hatte er mir befohlen; nun hatte er sich niemals gewaschen, ich zog ihm also die Haut ab und ließ mir ein Paar Hosen daraus gerben, so war uns beiden gedient und geholfen.« – ANTON: »Pfui Teufel! mit solchen Geschichten bleib mir vom Leibe. Wie ist dein Vater gestorben?« SEGER: »Das wird Euch nicht sonderlich gefallen, ich hab's Euch ja damals erzählt, wie ich ihm den Tod zugeschworen; das habe ich auch gehalten.« – ANTON: »Ihr seid ein erschrecklicher Mensch! Ich weiß gar nicht, warum ich Euren verfluchten Reden immer zuhören muß.« –

Susanna brachte jetzt Wein in einer hölzernen Kanne, die mit verschiedenen farbigen Holzarten buntgewürfelt ausgelegt war.

SEGER: »Bringst du auch einen Fingerhut mit? Nein, das gilt nicht; jetzt ziehen wir in den Keller, ich glaub, der Junge will sparen.« – ANTON: »Hör Susanna, du bringst uns wenig.«

Susanna wurde rot und ging zur Tür hinaus; Seger lachte mit hoher Stimme: »Also ist Frau Annas Bettplatz schon wieder besetzt? das nenn ich rasch nach solchem Gesichterschneiden, Mundlecken, Herzdrücken und Tränenquetschen.« – ANTON: »Nichts davon, ich liebe noch meine Frau wie sonst und hab dies arme Kind nicht sonderlich sündlich berührt.« – SEGER: »Da seid Ihr ein Narr gewesen, so will ich's tun.« – ANTON: »Beim heiligen Sixtus, ich spalt Euch das Haupt, wo Ihr sie anrührt; auch dürft Ihr nicht sagen, daß ich ihr Geschlecht verraten.« – SEGER: »Ihr seid verflucht herrisch, seit Ihr den Titel eines Grafen von Stock Euch hinters Ohr geschrieben, denn auf der Stirn dürft Ihr das S doch nicht tragen, sonst lachen Euch die Leute aus; weiß noch kein Mensch, ob an der ganzen Kronenburg etwas ist; mein Vater meinte immer, es sei ein altes Loch von einem Bergschlosse, wo sie einen Schatz drin glaubten, den aber noch kein Mensch gesehen; es ist so wie mit den Reliquien, hab mein Tage viel Geld damit verdient; wo ich irgend einen alten Lumpen, ein Stück faul Holz, ein paar ausgedürrte Knochen am Schindanger finden kann, das schneide ich zu Reliquien, lege Zeugnis und alte Schrift bei; die Leute sind so fromm und so dumm dabei, wie bei den echten.«

Susanna brachte wieder Wein, aber der war schnell ausgetrunken.

[883] Seger schwor darauf, sie müßten in den Keller, bei dem Tragen verdufte die beste Kraft, nahm auch Anton halb auf seine Schulter, halb ging er, und brachte ihn mit Ächzen bis vor die Türe. Hier ließ sich Anton herunter und sagte, daß er wirklich schon allein gehen könne, besah die Wände und seufzte: »Seht Seger, in diesem Saale trug mich meine liebe Mutter oft Huckepack und sagte mir, sie sei ein Streitpferd und ich ein Ritter, wenn ich Abends nicht einschlafen wollte.« – »Meine Mutter sprach immer, ich sei ein schieler Spitzbube, wenn ich Abends nicht schlafen wollte, und wenn sie eins zu viel getrunken hatte, schlug sie mir dabei an die Ohren – das war mein Ritterschlag.«

Sie kamen in den Keller, da lagen viele Fässer, aber wenig Wein; endlich zeigte ihnen Susanna das letzte, worin der heimliche Gott noch wirkte. Anton war von dem Geruche aus dem Spundloche so begeistert, daß er sich hinaufhelfen ließ und mit einem Stechheber selbst in die Gläser füllte. Susanna holte auf sein Geheiß Rosen und Epheu in den Keller und umhing ihn damit; dann mußte sie auch die zahmen Singvögel des einen Alten darin fliegen lassen; die Wände glänzten vom Mauertropfen, es sah herrlich aus. Anton, bei dem der erste Zwang zur Lustigkeit nach seiner Art schnell zur leichtsinnigen Freude übergegangen, legte sein Wams ab und sang ein Lied aus der alten Zeit in Waiblingen.


Weil jetzt die Hundstag hitzig scheinen,
Macht euch im Keller Sitze,
Zieht aus den Wams bei kohlen weinen,
So weicht von euch die träge Hitze.
Ich streich die Hemdesärmel auf
Und reite auf dem Fasse;
Mein Pferd hat einen raschen Lauf,
Es ist gewiß von edler Rasse.
Es dreht sich mit mir um im Kreise,
Das nenn ich recht turnieren;
Reicht mir gesalzen Brot zur Speise,
Dann will ich es noch spanisch führen.
Mit dem Stechheber in der Hand
Sitz ich wie mit dem Schwerte,
Und manchen streckt ich in den Sand,
Der meine hohen Gläser leerte.
[884]
Die Sonne zog viel Wasser heute,
Und ich sog viele Weine;
Das nenn ich eine gute Beute,
Dafür reit ich mir müde Beine:
Ich überwache ganz allein
Den Mond und auch die Sonne,
Wär nur noch drin ein Tröpflein Wein,
Ich stieg nicht ab von meiner Tonne.

Seger war trunken und Susanna ermüdet eingeschlafen; Anton war auch erschöpft, fegte alle Rosen, die er finden konnte, zusammen und legte sich darauf selig fest. Am andern Morgen erwachte in allen dreien die Betrachtung, was sie dort anfangen sollten; kaum war noch etwas zum Frühstock zu finden. Seger riet zum Fischfang und zur Jägerei, bis sich Antons Wunde hinlänglich gebessert hätte, um sich auf den Weg zu machen. Anton lobte den Rat, und Seger machte sich mit dem Schießzeuge auf in den Wald; Anton sah ihm nach; alle Holzschreier krächzten vor ihm her und rauschten in ungeschicktem Fluge durch das Eichenlaub; es war als wenn der Schrecken ihm nachfolgte.

Susanna redete lange kein Wort. »Hör Susanna«, sprach Anton, »es wird mir ordentlich ängstlich hier im Zimmer.«

»Herr«, sagte sie, »Ihr seht auch ganz entstellt aus; seht Euch einmal im Wasserbecken an, vorgestern waret Ihr viel schöner als Euer Bild, und heute viel häßlicher.«

»Sonderbar, aber du hast recht, woher mag das kommen? Ist wohl ein heißer Tag heute?«

»Ja, Herr, es kommt noch ein heißerer Tag am Ende aller Tage, der fragt nach Rechenschaft von allem; ich aber bitte Euch, Eures Leibes zu schonen, denn Ihr zündet das Licht an beiden Enden an, und so verbrennt es bald; denkt wie schön Ihr seid.«

So eindringend hatte Frau Anna ihn nie ermahnt, sie sprach nur immer vom Gelde, das er unnütz verschwende; er sah sie zärtlich an und sprach: »Wärst du nur immer bei mir gewesen, es wäre manches anders.«

»Schickt den Seger fort«, bat Susanna.

»Wie soll ich ihn fortschicken«, fragte Anton, »ich kann ihn jetzt nicht entbehren; er muß mich in Ehren durchdringen bis zu meiner Frau, da will ich ein ganz fleißiges Leben anfangen; [885] wenn ich mäßig lebe, wird mich immer noch meine Kunst nähren.«

Seger kam gegen Mittag zurück, hatte aber nichts als eine Schnepfe geschossen. »Satanas weiß es«, schrie er, »das Wild muß mich auf eine Meile wittern, alles läuft vor mir; was sollen wir mit dem kleinen Braten? Ich will fort in die Gegend, will unter meinen Schandkameraden die alte Freundschaft aufsuchen; Ihr könnt bis Abend ein paar Nester voll Kanarienvögel ausessen, die ich unten gesehen habe, dann komm ich zurück mit Wein und Fleisch.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er fort; Susanna fiel vor Antons Füßen nieder: »Gott sei gelobt, der mein Gebet erhört hat, wir sind befreit; versucht's, gnädiger Herr, Euer Fuß muß heil sein; laßt uns fliehen aus dem Schlosse, ehe er mit seinen Helfershelfern zurückkommen kann, es steht uns nichts Gutes bevor.«

Anton sah sie verwundert an: »Was fürchtest du, hab ich nicht Arme dich zu schützen? Augen, die dich bewachen und nur dich sehen?« – SUSANNA: »Gewiß weiß er, daß ich ein Mädchen bin; ich sah es ihm an, er führt nichts Gutes in dem Faltenlächeln seiner Wangen«

Jetzt kam Anton etwas in den Gedanken, was er oft gemalt, aber noch niemals gefühlt hatte, wie Engel eine Seele durch das Fegefeuer führen; es war keine Furcht, die sich seiner bemächtigte aber eine Überzeugung, daß sie recht habe und daß etwas aus ihr spreche, was er noch nicht gekannt. Er sprang von dem Sessel auf und versuchte den Fuß; er hinkte wohl noch etwas, aber er konnte deutlich merken, daß sich die Gelenkigkeit mit dem Gebrauche herstellte.

»Mädchen«, sagte er und faßte sie unter das Kinn, »was soll das geben? Du machst mit mir was du willst, ich muß dir schon folgen hinkend und hungernd; nun pack ein, was wir haben.«

Er hatte nicht viel mitzunehmen; das kleine Ölbild von Susanna steckte er in eine Jagdtasche, sie hing sein Bild an einem Schnürchen sich um den Hals und ließ es zwischen Wams und Hemde versinken; Anton sah ihm über die angenehme Stelle vergnügt nach. Dann würden die Mäntel umgenommen; Anton hatte die Flinte wieder geladen, sah noch einmal das Bild in seinem Zimmer an und dachte, nun bist du doch den Waffen näher als den Farben, und durchzog das Haus. »Einmal hat mich Fabian aus diesem stillen Hause meiner [886] Jugend weggelockt, heute Susanna; sie wird mir kein Böses wollen; wohin soll ich? Alle Eintracht ist aus meiner Lebensweise gewichen. Aber Susanna!« rief er laut, »wo ist das Eichhörnchen?«

»Es schläft in meiner Tasche; alle andern habe ich heute schon in den Wald, so auch die Vögel in den Himmel entlassen; erst glaubten sie nicht, daß sie fort könnten, sie gingen so langsam wie Ihr; dann aber ging es jubilierend auf und nieder, und jedes suchte sich eine freie Nahrung.«

»Nun so wollen wir uns auch nähren wie die Vögel unter dem Himmel, wie die Lilien im Felde; sieh, an dieser Tür hab ich einmal als Kind mein ganzes Frühstück, und es waren die ersten Kirschen im Jahr, einem Bettelknaben gegeben; wer weiß, wo uns wieder so geschieht.« Ihre Schritte hallten öde im Hause; die Fliegen sogar lagen aus Mangel an Nahrung schon in Haufen unter den Fenstern, durch deren harte Durchsichtigkeit zu entkommen sie vergebens gestrebt hatten; ein paar Schmetterlinge, die erst den Larven in den Winkeln entkrochen, rauschten mit ihren Flügeln noch ungeduldig an den Scheiben; Susanna ließ sie hinaus. Es ward beiden doch recht wehmütig, als sie auf den Platz des Tanzes und der Blumen kamen; Anton und Susanne schmückten ihre Hüte mit dem Schönsten, was noch blühte. Anton, der sich jetzt schon gefaßt hatte, sah sich noch einmal um, schwenkte Hut und Strauß und sang dabei:


Blumenduft dem Hungernden;
Worte wenn ich liebend brenn.
Ritterschaft ohne Pferd und Helm,
Also wird es mir armem Schelm.
Schätze bewachen ist mir Pflicht,
Aber ich finde im Säckel sie nicht,
Leere Fässer im Keller stehn,
Darum muß ich nun weiter gehn.
Der mich führt, weiß selbst keine Straß;
Ob ich gehe, ob ich's laß,
Hinken muß ich doch überall,
Darum lach ich viel tausendmal.

So lustig fing sich die Wanderschaft an. Anton vermied nur die Richtung gegen Augsburg; wo er sonst hin wollte, das wollte er erst im nächsten Orte fragen; aber das weite Feld, das in den [887] letzten Zeiten erst verwüstet schien und noch die Wasserfurchen aus früherer Bearbeitung zeigte, so wenig es von Bäumen beschränkt war, ließ es doch nirgend eine Turmspitze vorscheinen; die Wohnungen der Gegend lagen meist in tieferen Tälern, das Jagdschloß war ihnen auch aus den Augen verschwunden. Zwischen dem offenen Meere, wo alle Küsten schwinden, und zwischen einer Fläche, auf der kein Haus zu finden, ist sehr wenig Unterschied; mühsamer ist es in jedem Falle, über Erdfläche hinzugehen, statt das Schiff unter sich lustig gehen zu lassen, und viel verzweiflungsvoller, wenn ein neuer Hügel hinangeschritten und die Fläche sich immer weiter hinausdehnt; das Verzweiflungsvollste aber, wenn ein Strom jetzt die tagelange Richtung des Weges durchschneidet und einen neuen Weg erzwingen will, weil nirgend an ein Überkommen zu denken ist.

Das alles geschah unsern Wanderern. Susanna hatte ihre Füße so schmerzlich wund gelaufen, daß sie der Tränen sich nicht enthalten konnte; Anton fühlte Schmerz in seinem verwundeten Beine, aber er ließ sich nichts merken und tröstete sie bei jedem Ausrufe mit Küssen, die sie weder merkte noch zurückwies. Sie lagen so am Ufer des Flusses, der vom Schneeschmelzen im Gebirge über seine Ufer ausgetreten war; sie sahen in den Buchten die Wasserspinnen mit ewiger Ungeduld dem Strome entgegenstreben, wenig fortrücken und meist von der nächsten Welle doppelt so weit zurückgetrieben werden und doch ihren Weg nicht aufgeben und endlich doch alle etwas fortrücken. Susanna zeigte still auf die langfüßigen Tierchen, und sie dienten beiden zur Unterhaltung, daß sie nicht merkten, wie sich ihnen ein Mann mit einer Zither genähert hatte. Susanna erschrak, als sie zufällig ihn erblickte; sie meinte erst, es sei Seger; der gütige Blick des Ankommenden vertrieb bald diesen ersten Eindruck, das Zutrauen mußte ihm überall entgegen kommen. »Ihr wartet auf die Überfahrt, ich auch«, sagte der Ankommende, »es wird nicht mehr lange dauern, so besteigt der alte Fährmann seine Fähre.«

»Eine Fähre hier?«

»Seht nur in den Winkel hinter den Weiden jenseits; jetzt ist sie schwer zu erkennen, das Wasser steht hoch, und die Kronen der Weiden treten vor; da liegt sie; alle Abend kommt ein alter Fischer am Ufer herunter und fährt über.«

[888] »Du hast mich gut geführt, Kurt«, sagte Anton, »wahrscheinlich wären wir sonst nirgends übergesetzt worden.«

»Auf zehn Meilen«, sagte der Fremde, »sind alle Fähren, der aufrührerischen Bauern wegen, versenkt; es ist ein fürchterliches Morden und Brennen überall; viele Schlösser sind von ihnen beraubt und zerstört; sie wollen an einem Tage die ganze Rechnung mit ihren Herren abmachen und nichts schuldig bleiben. Ich geriet in ihre Hände, und weil ich ein Spielmann bin, taten sie mir nichts zu leide; aber welche Greueltaten mußte ich mit ansehen und dazu musizieren! da warfen sie mir dann wohl etwas Geld ins Barett, letztlich nahmen sie es aber alles wieder fort. Apollon, mein rechter Vorsteher, sei gelobt, daß ich von ihnen bin; in Marbach wäre ich fast mit ihnen gefangen und gehangen!«

»Was ist da geschehen?«

»Die Bauern wollten das Städtlein ohne Mühe einnehmen und plündern; so kamen sie einzeln mit Jagdspießen vor die Tore und begehrten friedfertig, zur Kirchweih eingelassen zu werden, um ihre Verwandten zu besuchen; die Hüter hatten kein Arg; der Aufruhr war noch nicht in die Gegend der Stadt gedrungen, auch mich brachten ihrer zehn mit, und ich mußte lustig vor ihnen her singen. Auf dem Markte kamen sie alle zusammen; als sie mit einander sich zu beraten anfingen, da sah ich die Zeit ab und ging zum Untervogt und warnte ihn vor ihrer bösen Absicht, die ich erlauert hatte. Er dankte mir und bat, daß ich nun zu ihnen zurückkehre und gelegentlich wiederkäme. Der Untervogt ging darauf zum Obervogt Eitel von Plieningen, der auf dem Rathause einer Sitzung beiwohnte, und fragte ihn, was er tun solle. Da wurde nun lange hin und her geraten, ob man die Bürger bewaffnen oder die Tore schließen solle; unter der Zeit waren der Bauern schon zu viele eingedrungen; man mußte ein gut Gesicht zum bösen Spiele machen. Inzwischen war den Bauern der Kamm gewachsen; sie schickten an den Rat, weil viele unter ihnen keine Freunde in der Stadt hätten, so ließen sie um Wein aus dem herrschaftlichen Keller bitten. Der Vogt schlug es erst ab, es sei gegen seinen Eid; nachher aber, als sie Rat gepflogen und die Bauern drohende Worte ausgaben, wurden ihnen einige Fässer Wein bewilligt. Während die Bauern dabei lustig wurden, sammelte der Obervogt und der Untervogt den Rat und einige sichere Männer [889] auf dem Rathause; als jene das aber merkten, drangen sie zum Teil in das Rathaus, teils blieben sie unter demselben stehen und riefen in voller Trunkenheit jenen zu: ›Stürzet den Rat zum Fenster hinaus!‹ Die Bauern im Rathause wollten auch die Tür des Ratzimmers sprengen, konnten es aber nicht möglich machen. Dann stiegen sie in den Ofen und wollten durch denselben in das Zimmer einbrechen; der Ofen war aber mit einem eisernen Gitter umgeben und die Ratsherren stachen mit ihren Degen durch die Risse des zerschlagenen Ofens; sie mußten zurück. Hierauf, wie es bei Trunkenen geht, wer vom Streit müde, läßt schnell gütliche Verhandlung folgen, beschwichtigte der Obervogt ihren ganzen Unwillen, indem er ihnen mit vernehmlicher Stimme aus dem Fenster des Rathauses zurief, er wolle ihnen noch einigen Wein zukommen lassen. Der Wein wurde mit neuem Jubel empfangen; ich mußte zum Tanze aufspielen; die alten Bauerstiefel trampelten auf dem Pflaster wie eine Ramme, bis sich das Übermaß des Weines Luft machte und einer über sein Mädchen, der andere über einen Misthaufen fiel und sich nicht wieder aufrichten konnte. In solchem Taumel überkam uns die Nacht; ich schlich mich zum Obervogt, da waren schon viel angesehene Bürger bewaffnet zusammen gekommen; er stellte ihnen ernstlich vor, wie sie es ihrer eigenen Sicherheit und dem Eide schuldig seien, den sie der Obrigkeit geschworen hätten, mit allen Kräften ihm beizustehen, das bittere Bauernvolk aus der Stadt zu schaffen. Alle verschworen sich aufs neue, ihm treulich beizustehn, und er befahl ihnen, sich nach dem Schlosse zu begeben und zwei Feuermörser, eine Feldschlange, einen Doppelhaken und ein paar Büchsen, die in den unteren Zimmern des Rathauses standen, dahin zu schaffen. Ein ärgerlicher Umstand war es, daß der Konstabler Marx Spengler, der das Geschütz zu bedienen verstand, mit den Bauern sich vollgetrunken hatte und nur mit Mühe aufgeweckt werden konnte; in demselben Taumel war auch der Stadttrommelschläger, so daß beiden ein paar feste Bürger beigesellt werden mußten, die sie in ihrer Pflicht erhalten oder, wenn sie dagegen fehlten, sie niederschießen sollten. Die Weiber der treuen Bürger mußten in der Zeit siedendes Wasser in Bereitschaft halten, um die Feinde, wenn es zum Treffen käme, damit zu verbrühen, daß ihnen die stolzen Federn ausfielen.

[890] Bei Tagesanbruch rückten wir aus dem Schlosse die Stücke voran, doch nur mit Pulver geladen, ich zuletzt, weil ich gar nichts dabei zu suchen hatte; der Trommelschläger, von den beiden Bürgern immerfort in die Rippen gekeilt, schlug das Kalbfell fast zusammen; die taumelnden Bauern und die mit ihnen einverstandenen Bürger, aus dem ersten Schlaf erwacht, liefen aller Orten gegen einander, und keiner hörte mehr Rat; da wußten sie auf einmal wieder die Namen aller Heiligen und riefen bald diesen, bald jenen an, dessen Bild sie oftmals mit Füßen getreten, er möchte ihnen sagen, was es gebe. Der Obervogt aber schrie mit grausamer Stimme: ›Ihr treulosen, aufrührerischen Bösewichter, heut sollt ihr alle eure Strafe empfangen, hier sollt ihr sterben!‹ Bei diesen Worten mußte der Konstabler die Stücke lösen. Mancher fiel vor Schreck und meinte sich getroffen, oder lag in seinem Unflat und meinte in seinem Blute; die meisten aber bückten sich, daß sie sich klein wie Mäuse meinten, streckten die alten Beine auseinander, als wollten sie sich zerreißen, und sprangen, wo sie konnten, über die Stadtmauern; weiß Gott, wo sie aufgehört haben zu laufen. Die aber von den Bürgern eingeschlossen zurückblieben, streckten die Hände aus und baten, sie herauszulassen und ihnen Gnade angedeihen zu lassen.‹

Der Obervogt sprach zum Untervogt: ›Es ist doch besser, wenn wir den Wolf erst aus dem Schafstall herauslassen‹, und rief dann laut: ›Weil euch leichtsinnige Bösewichter eure Übeltat reut, so soll euch verziehen werden; aber ihr sollt alle durch das Eselstor, wo sonst nur die Mülleresel treiben, hinausziehen zum ewigen Schimpfe.‹

Die Bauern wollten erst jeglicher zu seinem Tore hinausgehen und baten darum, aber der Konstabler machte eine so grimmige Bewegung mit seiner Lunte in der Trunkenheit, und der Obervogt schwor, er wolle sie, so wahr er ein Edelmann, wie Hühner abschlachten, daß sie endlich wohl gar noch Eselsohren sich gemacht hätten, wenn's verlangt worden wäre; sie zogen ab, und ich mußte zu ihrem Abzuge spielen. Als sie fort waten, da ging die Untersuchung gegen die schuldigen Bürger an; da wurde der Schaden Josephs erst besehen; es sollte der Wein wieder in den herrschaftlichen Keller geschafft werden; darüber wurde mein Dank vergessen, ich mußte weiter ziehen und bin nun, wie ihr mich seht, hungernd und durstig und ohne Geld.«

[891] »Was ist denn aber Euer Handwerk sonst?« fragte Anton; »wie heißt Ihr? damit ich Euch künftig nennen kann. Ich heiße Anton und bin ein Maler.«

»Ich habe nur ein Mundwerk«, sagte der andere, »kein Handwerk; ich habe mich viele Jahre mit der Meistersängerei in Nürnberg abgequält, hab Euch in allen Tonarten Wörter zusammenschreiben können, wie die andern, habe selbst die Seidenschwanzweise erfunden, die ihren Kunstbau durch hundertundzwanzig Reime treibt, wurde verliebt, als ich den Gesang der drei Männer im feurigen Ofen darin aufgeschrieben hatte; meine Braut lachte mich aus damit und sang mir ein Liebeslied vom schmelzenden Schnee und grünen Grase, von der Frau Nachtigall, vom Goldring, den sie im Schnabel trägt; das behagte mir so wohl, daß ich allen meinen Narrenkram wegwarf und sang, wie mir's ums Herz war. Da wollte mich niemand mehr in Nürnberg bei festlicher Gelegenheit haben; der gute alte Hans Sachs, die weiße Taube, gab mir aber ein Reisegeld, daß ich nach München gehen solle, um noch singen zu lernen; so bin ich immer weiter gekommen und rücke immer näher an meine Bärbel; ich aber heiße Güldenkamm.«

»Ihr seid ein kühner Mann«, sagte Anton, »daß Ihr den Meistergesang so herabsetzt; habe sonst immer großes Lob davon gehört, weiß aber selbst nichts von ihm; in meiner Stadt hatten wir keine solche Schule und schämten uns dessen; die Nürnberger taten immer bei uns so stolz, wenn einer das Schulkleinod, die Krone oder den Kranz gewonnen, oder wenn einer getauft und gefreiet worden.«

»Das bin ich alles auch«, sagte Güldenkamm, »verkauf Euch aber alles, was ich da gelernt habe, für ein Mittagessen, es ist eine Wortschinderei; mich hungert heute, ich habe nichts gegessen; habt Ihr nichts bei Euch?«

»Nein, mein guter Güldenkamm«, seufzte Anton, »ich habe schon lange Euren Ranzen angesehen, ob nichts Eßbares darin sein möchte.«

»Ihr seht so stattlich ritterlich angezogen aus«, sagte Güldenkamm, »wie seid Ihr in solche Not gekommen?«

Anton erzählte ihm in der Kürze, was ihm begegnet, von seiner Frau, wie er sie liebte; nur von seinem Vater und von Susannen schwieg er. Doch sah der listige Meistersänger recht wohl, daß es ein Mädchen sei und Anton ihr zärtlich die Hand drücke.

[892] Die Erzählung wurde durch die Ankunft des Fährmanns unterbrochen, der mit einigen Leuten über das Feld jenseit des Flusses kam und sie übersetzte.

Anton suchte jetzt in seinen Taschen nach Geld zum Übersetzen und stampfte mit dem Fuße zornig: »Habe meine Geldtasche im Bette vergessen! Wer hat nun Geld zur Überfahrt?«

Traurig sahen sich alle drei an. »Umsonst tut's der Alte nimmermehr, ich kenne ihn.«

Susanna holte jetzt das kleine Eichhörnchen aus ihrer Tasche und sagte sehr trübsinnig: »Unser armer Tucktuck verhungert, er nagt schon meine Finger an, und nirgends, so weit ich blicke, sehe ich einen Ort, wo er was fände, wenn wir ihn frei ließen.«

Inzwischen wurde die Fähre ans Land gestoßen und festgebunden; es stieg ein alter Prälat und zwei Nonnen aus; jener saß zu Pferde, diese gingen zu Fuß. Der Prälat sah gleich auf das Eichhörnchen und sagte zu den Nonnen: »Eure Liebden sehen einmal den Rotschwanz! Gib her Kleiner, ein artig Tier; wie es mir die Nuß aus der Hand nimmt! sehn Eure Liebden, es nagt wie ein Zimmermann mit der Säge in die Schale; ich wollte, es wäre feil, möchte es Eure Liebden zu meinem Angedenken verehren.«

»Was gebt Ihr, gnädiger Herr?« fragte Güldenkamm; »es ist uns zwar sehr lieb.«

»Da sind dreißig Kreuzer«, sagte der Prälat, »es ist teuer damit bezahlt; aber seht nur, wie kraus ihm die Blume steht, ihr lieben Nonnen; möchte mir daraus einen Weihwedel machen.«

Susanna ließ heimlich eine Träne fallen, küßte das Eichhörnchen noch einmal und übergab es dem Prälaten, der ihr die Backen kneipte. Sie übergab das Geld Anton, sah dem Prälaten mit den beiden Nonnen nach, denen er das zierliche Tierchen übergab, sie segnete und in verschiedener Richtung von ihnen fortritt. Jetzt bezahlte Anton zwei Kreuzer für sich und Susannen; Güldenkamm sagte ihm, daß er mit Musika seine Überfahrt bei ihm freispielen wollte, und Anton bezahlte auch für ihn. Susanna aber, wie sie auf der Fähre saß, fing heftig an zu weinen; sie hatte das Tier so lieb gehabt, sie warf sich ihren Unverstand vor, nicht besser dafür gesorgt zu haben. Anton suchte sie zu trösten und vergaß sich darüber, nannte sie bald Susanna, bald Kurt, und küßte [893] sie zärtlich. Güldenkamm hatte das mit allerlei lustigen Liedern schon begleitet, sie hatten es aber nicht beachtet; endlich hörte doch Anton darauf, als er ihnen näher trat und sang:


O tiefer Strom, der alle Welt durchschnitten,
An deinem Ufer ist ein harter Stand;
Der alte Fährmann weiß da nichts von Bitten,
Er fordert Lohn und strecket aus die Hand;
Ihm lohnet für ein schönes Kind der Ritter,
Ein armer Spielmann fleht ihn an mit Schall:
Bezahl für mich, es klingt dafür die Zither,
Sonst kenne ich kein klingendes Metall.
Der Ritter hat bezahlt für ihn die Fähre,
Der Spielmann singt zu seines Ritters Lust,
Von Liebesschmerz und Not und süßer Zähre,
Ihm ist das tiefe Herz im Wort bewußt.
Der Ritter horcht und läßt die Küsse kühlen,
Die auf den Lippen herzlich glühend stehn;
In leerer Luft kann er die Küsse fühlen,
Ein schmerzlich Ende durch den Anfang sehn.
Da kömmt die Fähre zu dem andern Strande,
Das schöne Kind geht fort an fremder Hand;
Der Ritter ruft: »Du sprengst die falschen Bande,
Ich hab mich heim zu meiner Frau gewandt!«
Der Spielmann schlägt mit Jubel in die Saiten:
»Nur einer Liebe folge, der sei treu;
Der Sänger mag dich zu der einen leiten,
Er spielte dich, er spielte sich auch frei.«

Anton hatte diese Worte mit Bestürzung gehört, er fühlte, daß er nicht in dem Sinne an seine Frau denken konnte; noch mehr war er aber verwundert, als der Spielmann leichtfüßig mit Susannen aus dem Kahne sprang, ohne daß sich beide nach ihm umsahen. Susanna hatte nichts von dem Liede vernommen, der Klang der Zither und das Wesen des Fremden hatte ihr gefallen; sie nahm gern seinen Arm, denn er war mit ihr in gleicher Größe, dahingegen sie zu Anton auflangen mußte, der selbst über große Männer um eines Kopfes Länge hervorragte. Anton sah ihnen nach und sah zu gleicher Zeit ein Brot im Kahne liegen; fast mit [894] fortschreitendem Beine und halb aufgehobener Hand fragte er den Fährmann, was er für das Brot haben wollte.

Der Fährmann sagte, es sei Hungersnot im Lande, unter zwanzig Kreuzern könne er es nicht lassen.

»Aber so wartet doch«, schrie Anton den raschen Fußgängern nach; »sind deine Blasen am Fuße schon geheilt, Susanna? Wißt ihr schon, wohin ihr wollt?«

Susanna und Güldenkamm standen still.

»Alter, da habt ihr das Geld, aber sagt mir noch, wie weit das nächste Dorf ist.«

»Kann Er denn nicht sehen?« sagte der Alte; »liegt es ja!«

Anton sah erst jetzt in großer Entfernung ein paar schwarze Dächer, die vom Acker wenig zu unterscheiden waren. Güldenkamm kannte das Dorf; es sei eine Hecke für Wanzen und Flöhe, die allein hätten dort gute Nahrung, meinte er. Anton hatte bei dem Brote seine Verwunderung über Susannen lachend vergessen; er teilte es schnell und war mit dem seinen fast fertig, ehe die andern noch angefangen, die ihm nun zur Ausgleichung von dem ihren aufzwangen; es wollte ihm aber alles nicht helfen, die Lücke in seinem Innern, durch die Zehrung der Bewegung vermehrt, ließ sich nicht füllen; er nahm im Scherz kleine Steine, hüllte sie in Brotkrume und verschluckte sie; das tat ihm wohl. Susanne fand diesen Scherz entsetzlich, sie mußte weinen; aber wie ein unartiges Kind, das die Kirschkerne nicht hinunterschlucken soll, erst tut, als wolle es dieselben aus dem Munde nehmen, sie zeigt und dann doch verschluckt, so hatte er eine eigene Freude an den Besorgnissen der beiden und fühlte sich endlich so wohl gesättigt, wie damals, als er die erste Trappe seiner Frau aufzehrte. Gegen Abend erreichten die Wanderer ein armes, sehr ödes Dorf; die Bauern waren gutmütig gegen sie, aber sie hatten nichts – Hungersnot herrschte überall; das Brot war mit Rinden und Eicheln gemischt, die Hütten übelriechend, dunkel, ohne Fenster und schmutzig. Anton hatte kaum hineingeblickt, so hatte er sich schon über ein Heulager geworfen, um seinen ermüdeten Fuß zu ruhen; Susanna blickte kaum hinein, so wurde ihr von dem üblen Geruche und heißen Dampfe schwindlig; sie mußte zurücktreten, und Anton drang in sie, seinetwegen sich nicht mit dem Elende der Hütte zu plagen. Sie ging also mit Güldenkamm an das Ufer des Stromes [895] und las einzelne Beeren für Anton; dann setzten sich beide der Abendröte gegenüber; der Bach flüsterte so freundlich; alles was am Himmel und auf Erden geschah, war Susannen eine neue Welt. Ihre fremdartigen Fragen ergötzten den Spielmann; sie hatte eine so vornehme Vorstellung von der Welt gehabt und ihren eigenen Zustand in Augsburg so allen andern nachgesetzt, daß sie sich jetzt nicht beruhigen konnte, wie so viel Menschen noch elender lebten als sie; sie redete die Bäuerinnen mit einer Art Rührung an, diese aber äußerten herzliches Mitleiden mit dem jungen Burschen, der so durch die Welt ziehe. Es wurde dunkler; da kamen die jungen Leute, trotz der Hungersnot, so vertraulich Paar und Paar gezogen; mancher sang, viele lachten; da war kein Rückhalt in allem, was sie meinten, und doch war es ein anderes Wesen, als in dem Frauenhause, ein anderes Wesen, als bei den Bürgerfrauen in München; sie schienen so gut wie diese und so schlecht wie jene zu gleicher Zeit zu sein. Güldenkamm, mit seiner gewohnten Träumerei erfüllt, ging unter den Mädchen umher, wie von den rechten Weingegenden erzählt wird, daß durchwandernde Fremde so viel davon essen dürfen, als ihnen gefällt, ohne dafür zu zahlen, aber nichts nach Hause mitnehmen dürfen; jedes Mädchen war ihm eine Traube, die er gern sogleich genossen hätte, aber die Hast, mit der er gewöhnlich zu Werke ging, zerdrückte sie meist früher, und er blieb ohne Genuß. Ohne daß ihm Susanna ein Zeichen ihrer Zuneigung gegeben hatte, glaubte er sich derselben schon versichert; er bildete sich dieses Verhältnis aus; stumm neben ihr sitzend und spielend mit einem Bande ihres Wamses, dachte er der letzten Zeiten in den steten Unruhen, wo er oft mit herzlicher Sehnsucht nach einem Mädchen sich umgesehen hatte, mit der er nur ein vertrauliches Wort wechseln könne; und jetzt saß ein recht wunderbares Mädchen neben ihm und schwatzte von aller Welt Himmels und der Erden so unnachahmlich neu, und ihn beschäftigten jetzt andere größere Anforderungen an sie; er verachtete seine Unbefriedigung, fühlte plötzlich den glücklichen Abend und sang zu ihr in freien Bewegungen mit leichter Begleitung der Zither:


Seliger war ich noch nie als heute,
Nach Tages Müh, an Liebchens Seite;
Spielend an Ufers Rand
Durch ihre Hand,
[896]
Mit ihrem Band,
Umzieht mich ihr süßes Geschwätz
Wie ein Netz;
Darum nenn ich sie Fischerin,
Weil sie mit klugem Sinn
Mich im eignen Element erhält,
Nachdem sie mir Reusen gestellt,
In die mich der Fluß
Immer tiefer treibt im Genuß.
Ich weiß es und setze die Flossen nicht entgegen,
Möcht sie viel lieber ganz dicht an mich legen;
Lasse mich still von dem Strome bewegen,
Es kühlet darin ein heimlicher Segen.
Konnte sonst so listig und mutig,
Und oft mit einem Herzen so blutig,
Mich entreißen der Weiber Gewalt
Und Wohlgestalt;
Und wie ein Kramsvogel aus den Dohnen
Ließ ich zwar Federn ohne Schonen,
Aber ich entriß mich der Schlinge,
Sang fröhlich und guter Dinge.
Eine Reihe Schönen, die meiner spotten
Und mit mir zanken,
Mich fragend, ob ich nun bald gesotten,
Ohne glänzende Schuppen,
Als ein Märtyrer gerieben zur Suppen,
Würde büßen,
Daß ich so fälschlich konnte küssen und grüßen;
Herzinniglich weiden,
Stolz dann zu scheiden.
Ei seht doch, nun bin ich's wohl gar,
Der falsch und untreu und unbestimmt war:
Hab euch alle geliebt,
Ihr habt mich alle betrübt;
Die Kleine dort, weil ich nicht bei ihr blieb,
Die Gute hier, weil sie mir nicht die Zeit vertrieb,
Die Feine daneben, weil sie einem andern gehört,
Die vierte Selbstüberlebte, weil ich sie nicht immer gehört
[897]
Die immer hätte singen sollen,
Ich bin ihr wie ein Lied verschollen.
Eine aber, die tat mir weh,
Die meinte, ich sei zu flüchtig zur Eh'.
Sie starb darüber am Fieber
Und zieht vorüber so mild, so licht,
Und streicht mir die Haare aus dem Gesicht.
Es tut mir vieles leid,
Doch bin ich unschuldig bis heut;
Ich sag's euch derb und trocken,
Ihr schüttelt mit den Locken,
Ich hab euch nie versucht,
Die Gelegenheit hat mich aufgesucht.
Liebliche Kleine in fürstlicher Krone,
Die mein schlummerndes Herz erweckt,
Gabst du mir nicht einen Schlag zum Hohne
Auf die Backen, daß Glut sie bedeckt,
Um mit dem Kusse ihn dann zu vergüten?
Lieblichste, mußtest du also wüten?
Mußte das Glück auf jeglichen Wegen
Uns zusammenführen mit List?
In den Bäumen, ach, welches Erregen,
Wie geschmückt zu dem heiligen Christ;
Wenn du hinter den Stämmen verborgen,
Betest den fröhlichsten guten Morgen!
Doch die Verwirrung des Sinns zu entflammen
Wußten die fürstlichen Brüder mit Lust,
Warfen uns Abends auf Blumen zusammen,
Und du ruhtest an meiner Brust;
Doch da sagte der böse Hofmeister:
»Nehm Er nun Abschied, denn morgen, da reist Er.«
Du ruhst, wo Gold und Silber ruht,
In den Tiefen, –
Viele Tage und Jahre verliefen,
Schnell wie zum Tanze beschuht;
Ich ward Student
Und dachte nur dein liebliches Gesicht,
Und achtete der andern Mädchen nicht,
Und wie ein Berg unübersteiglich uns getrennt,
[898]
Die hohe Felsenwand
Von Rang und Stand;
Verzweifelnd warf ich mich auf meine Bücher,
Und ward, wenn nicht gelehrt, doch siecher;
Der trüben Lampe Licht
Entfärbte mein Gesicht,
Wie in dem Schacht die weißen Moose sprossen,
Und sind doch auch des Lebens Mitgenossen.
Da regte sich der erste Frühlingstanz
Vor unsrer Stadt auf erstem Grün;
Der zarten Blumen erstgeborner Glanz
Verschien, als eine Jungfrau drin erschien;
Ihr Leib war schlank gestreckt, doch voll und rund.
Es öffnete sich leicht ihr roter Mund,
Daß ihre Lippe zeigt der Zähne Bund.
Und dieser Bund stand gleich dem Kriegesheer
Der Tempelherren weiß und gleich im Feld,
Das rings von süßem Blut ein wogend Meer;
Da stand es fest, als hätt es Gott gestellt.
Und dieser Zähne Glanz ward jetzt der Felsenriff,
Den ich für eine sichre Küste hielt;
Mit vollen Segeln lief darauf mein Schiff.
Ich glaubte sie von hohem Geist umspült;
Ich reichte ihr im Tanze meine Hand
Und blieb so Hand in Hand, bis uns das Licht
Den Rücken hatte zögernd zugewandt.
Das gute Kind zu mir kein Wörtchen spricht.
Ich war begeistert wie von jungem Wein
Und sprach zu ihr in manchem lust'gen Wort;
Sie fuhr nach Haus, ich stieg da hinterdrein,
Wo sonst nur der Bedienten schlechter Ort.
Mir war's ein Thron, ich sprang am Haus herab;
Sie sah mich an und lächelte so dumm;
Sie stieg heraus, ich diente ihr als Stab.
Statt alles Danks blieb sie noch immer stumm;
Ich trat mit ihr ins Haus, ich wußt nicht wie,
Und eine Frau begrüßt uns nah am Tor;
Ach, warum beugt ich nicht vor ihr die Knie,
Ich war ein Tor, daß ich den Tag verlor.
Wie jene, hochgeschmückt, mit braunem Haar,
War diese fein und zierlich, blond gelockt;
[899]
Ich wußte nicht, ob ich im Himmel war,
So hat mein Herz bei ihrem Blick gestockt.
Der Blick war blau, so wie Vergißmeinnicht,
Und ihre Worte wie ein Perlenkranz,
Doch war ich treu dem vollen Angesicht;
Es wogte noch in mir der Rausch vom Tanz.
Du bist ein gutes Kind, ich sag's dir hier,
Ich war, bei Gott, dir vierzehn Tage treu,
Studierte mich fast tot, was ich nur sagte dir;
Du sagtest nur ein Ja, ein Nein dabei.
Die blonde Frau hob alles sorgsam auf,
Was meinem frohen Mund mit Lust entfiel,
Und gab ihm Federkraft zum raschen Lauf,
Es traf ihr Witz stets alle neun im Spiel.
Allmählich ward's mir lieb, wenn sie allein,
Ich setzte mich zu ihr, ich ließ dich stehn,
Ich brachte dir den großen Hund, der mein,
Und ließ ihn dir, damit du mich ließt gehn.
Du warst vergnügt und ich war voller Glut,
Wie ein Kamin voll hellem Flammenschein;
So trieb die Schwägerin herum mein Blut,
Ich saß so gern bei ihr – sie war nicht mein;
Die Lieb, die ich mit Sange angeregt,
Die wandte sie zum Mann, kam er nach Haus,
Und hat sich froh mit ihm zu Bett gelegt;
Ich grämte mich und blieb dann doch nicht aus.
Zum guten Glück kam eine Sängerin
Mit kaiserlichem Hofe durch die Stadt,
Die alle Welt bezaubert hat;
Ich war beim ersten Tone hin,
Ich schmiegte mich in ihres Liedes Falten;
Die göttlichen Gestalten
Der alten Helden, die sie schön besungen,
Die hätt ich gerne dargestellt,
Und wie Merkur bin ich gesprungen
Ganz einsam unterm Himmelszelt,
Und wie Apollo hohen Blicks,
Hab ich gewartet meines Glücks.
Du wolltest aber immer essen,
Ich hatt es oft vergessen;
Du wolltest süßen Trank,
[900]
Wenn schier mein Aug in Wehmut sank;
Du wolltest Schmuck,
Ich hatt an dem Gesang genug,
Der in den Ohren ewig tönte;
Da war ich oftmals der Verhöhnte
Und lief davon,
Eh' mich beschien die Morgensonn;
Eh' noch die Schuldner konnten klopfen,
Da saß ich schon, die Schuh voll Tauestropfen
Bei einem schönen Pachtergut
Und sah den großen gelben Hut
Auf einer festlichen Gestalt;
Ich schlich mich näher zu der Schönen;
Es war die Allgewalt
Von allem, was mich konnt verhöhnen
Und mich beglücken konnte,
Als sie ihr Antlitz zu mir sonnte
Und lauschte, ob ein Hase in dem Kraute,
Und mich zuletzt mit großen Augen schaute.
Sie hob die Hände auf,
Als wollte sie in meine Arme fallen,
Und mitten in dem Lauf
Sah sie so stolz auf mich, wie Herrscher auf Vasallen;
Ich ward ihr Knecht,
Und hab gelebt so arm und schlecht,
Früh auf, spät nieder,
Schmale Kost, viele Lieder;
So hat sie mich zu prüfen gemeint,
Ich hab gelacht, geweint.
Nichts weiß ich mehr von der Zeit,
Mit mir, mit ihr ein ew'ger Streit;
Mir war's, als hätt ich einen Schatz gefunden,
Der mir zu schwer;
Ich hätt ihn gerne aufgewunden,
Doch als das Werk bald fertig
Und ich des Danks gewärtig,
Da war die Grube voll und leer.
Wieder lieb ich, da ich dein gedenke,
Wieder leid ich, daß ich dich muß missen,
Nicht zu mir die toten Augen lenke,
Deine bleichen Wangen möcht ich küssen.
[901]
Wieder wähn ich, daß ich dich verkannte,
Wieder glaub ich, daß ich dich noch habe,
Ach ich war's, den dir die Liebe sandte,
Doch der Zweifel sandte dich zum Grabe.

Güldenkamm hatte sich durch die Erinnerung rühren lassen; es war ohne seine Absicht, daß sich sein Lied zum Ernst hin wandte; es liegt das aber meist in der Art einer Tändelei bei einem bewegten Gemüte. Susanna fand sich durch seine Ausdrücke, durch das Gefühlvolle in ihm ergriffen, und sie wußte nicht wozu; es gab nichts zu tun, sie wußte nichts, als ein paar Tränen auf seinen Wangen abzutrocknen und ihn zu streicheln.

Anton hatten die Wanzen nicht lange schlafen lassen, denen sein glatter, saftiger Stamm ein besonderer Leckerbissen zu sein schien; ganz zerstochen sprang er an die Luft und sah die beiden so vertraulich beisammen sitzen. Er konnte es sich nicht sagen, welches Gefühl ihn durchwallte; es wurde ihm so kalt, er schämte sich seiner selbst; er hätte sich gewaltsam von beiden befreien mögen, um dieses Gefühl los zu werden; er wandte sich von ihnen, setzte sich unter eine große Linde, in welche ein Muttergottesbild eingelegt war, und fing an zu beten; während er betete, fiel ihm seine Frau und sein Kind ein; er dachte sich Frau und Kind in dem Muttergottesbilde, das von der Mondnacht zwar beleuchtet, aber von der Linde dünn in schwebender Wallung beschattet war; da ward er wieder Hausvater und Gatte und flehte um die Fortdauer seiner Liebe. Susanna aber ward ihm gleichgültig; er dachte mit Behagen daran, daß er sie vielleicht mit Güldenkamm gut versorgen könnte; alles wurde ihm fertig vor der Seele; er nahm sich vor ein Schmied zu werden; wenn seine Malerei nicht mehr bezahlt würde, da würde ihm seine Kraft nützen; er sah schon in Gedanken die Kohlen in seiner Schmiede glühen, sah die Ritterpferde, die bei ihm beschlagen wurden; da weckte ihn der Hunger und der Schmerz seiner Wunden aus der Betrachtung; nicht bloß die Wunde am Schenkel, sondern auch der Finger, die Susanna ihm geheilt, schienen in den alten Zustand der Verletzung zurückkehren zu wollen; er hinkte des wegen zu Susanna und Güldenkamm, die ruhig, in geringer Entfernung von einander, im Grase eingeschlafen waren. Er fühlte weder Neid noch Eifersucht, vielmehr war er so gutmütig, sie nicht stören zu wollen. Er selbst machte [902] noch einen Versuch, ob er nicht zum Schlafe gelangen könne, aber unmöglich; er wachte, bis die Morgenkälte die beiden andern auch erweckte. Susanna sah ihm gleich nach dem Erwachen an, daß sein Auge getrübt sei; sie fragte nach der Ursache, er schützte Hunger und Schmerzen vor; sie verschaffte ihm durch ihre schmeichelnde Fürbitte bei einigen Frauen etwas Kleienbrot mit Baumrinde gemischt; dann mußten sie weiterziehen, wobei Güldenkamm, der in aller Not an nichts als an seine Liebe dachte, recht wacker voranschritt. Susanna wollte Anton unterstützen und verbinden, er wollte es aber nicht leiden. »Heute werden wir den schlimmsten Tag haben«, sagte Güldenkamm, »denn bis Pforzheim steht kein Dorf mehr; Gras und Laub werden unsere Nahrung sein, und das ist allzu natürlich und paradiesisch.«

In dieser schlimmen Erwartung schon halb ermüdet, gingen sie stillschweigend hinter einander eine Strecke; es zog sich ein Morgennebel über die Ferne, und so hofften sie, wenigstens in eine erfreulichere Gegend einzudringen; als er aber verschwunden, sahen sie eine weite Gegend ohne Merkzeichen vor sich, von Bergen begrenzt, die von der Hitze sehr verbrannt schienen, das Auge hatte kein Maß mehr, um sich Ruhepunkte in gewissen Entfernungen festzuhalten; am Himmel war auch wenig zu sehen, gleichgültige weiße Wolken zogen vorüber, zuweilen schien es dunkler zu werden und regnen zu wollen, aber die Hitze war dann um so drückender. Nach ein paar Stunden, wo sie sich mehrmals ausruhen mußten, um zu gähnen und den kalten Schweiß abzutrocknen, legten sie sich vor einem Tannenwalde nieder. Güldenkamm sang halb lallend, indem er seine Füße streichelte:


Meine Beine, meine Beine,
Ach, ich weine um die Steine,
Daß die Steine ohn Erbarmen
Reißen durch den Schuh mir Armen
In die Haut,
Und die Tränen und der Schweiß
Tröpfeln von der Stirne heiß.
Arme Braut,
Kann doch heut an deiner Seite
Nicht empfinden Lust und Freude.

[903] Anton horchte bei diesen Worten auf und fragte ihn: »Seid ihr schon so weit? Nun wohlan, so muß ich euch wohl einsegnen.«

»Tut das, mein neuer Freund«, sagte Güldenkamm; und Anton nahm mit abgewendetem Gesichte beider Hände und legte sie in einander.

»Was macht Ihr«, fragte Susanna, »ich weiß von nichts, ich will nichts. Was soll mir das Zusammenlegen der Hände?«

»Seid glücklich mit einander«, sagte Anton, sprang auf und schritt mutig voran in den Wald, der vor ihnen lag; die beiden Gesellschafter schritten stumm und langsam ihm nach; sie hatten das Verlöbnis in der Mühe bald vergessen und aufgegeben. Als sie wieder eine Stunde fortgegangen, bemerkten sie über dem Walde einen starken Rauch. Anton rief mit Entzücken: »Feuer! Menschen! Essen!« Er glaubte sich in der Nähe einiger Köhlerhütten zu befinden, aber der Rauch wurde vom Wind herangetrieben, immer heißer und stärker; sie konnten sich diese Erscheinung nicht erklären; endlich kamen sie auf einen freieren Platz mitten im Gehölze, als eben wunderbare leichte Flammen neben ihnen über die dürren Halme und die knisternden Tannenbäume hinaufliefen, bis der Baum, der von der Hitze ausgedörrt, in heller pyramidaler Flamme stand. Dieser freie Platz war ihre Rettung, sie hätten sonst in dem Waldbrande ersticken müssen; aber auch dort litten sie noch von der Nähe des Feuers, das aber zu ihrem Glück nicht lange an einem Orte weilte, sondern, wenn es die Zweige und Rinde aufgezehrt hatte, dem grünen Stamme nur an der Spitze etwas anhaben konnte. Der Weg vor ihnen ward schon wieder gangbar, als das Feuer sich über den zurückgelegten Weg verbreitete; sie sahen jetzt, wie die Vögel, ihres letzten Schutzortes beraubt, sich teils in die Flammen stürzten teils flüchtend von den Dampfwirbeln zurückgerissen wurden. Der gewaltige Anblick hatte ihre Ermüdung geistig unterdrückt; sie schritten dumpf über die rauchenden Zweige fort, die in den Weg gefallen waren; hin und wieder brannten sie noch, und Anton nahm Güldenkamm und Susanna und trug sie, ihres Sträubens ungeachtet, hinüber; er kam in einen Ärger über die Hindernisse, die ihm die Natur entgegenstellte; das erfrischte ihn. Nach zwei Stunden mußten sie sich an einer Stelle niederlassen; sie fanden kein Bächlein, wohin sie auch blickten; die trockene Hitze [904] des Jahres hatte die Quellen in den Schoß der Erde zurückgeschreckt; sie groben mit den Degen eine Höhlung und stießen bald auf dichte Felsmasse. Jetzt warfen sie alles von sich, was den Marsch erschwerte: Anton die Muskete und den Degen, Güldenkamm seinen Reisemantel, Susanna ihren Degen, und schritten erleichtert fort, wie Gefangene entwaffnet, durch die schwarzen geordneten Spieße des feindlichen Heeres, das sie in stolzer Ruhe anblickte; denn also erschienen die verbrannten jungen Tannen. Als die Sonne über den Mittag hinaus in stärkster Hitze gegen drei Uhr brannte, sank Susanna an den Boden, sie hatte den Schmerz der wunden Füße lange bekämpft, sie war erschöpft; Anton kniete neben ihr und hielt ihr das Haupt, sie erholte sich wieder; Güldenkamm hatte auch nicht viel Macht zum Aufstehen, als er sich neben ihr niedergelassen. Susanna sagte sehr matt: »Was mir das Herz abstößt, ist der Gram, daß ich alles dieses Unglück über dich gebracht habe, mein Anton; meine Ahnung hat dich von einem wahrscheinlichen Unglücke zu befreien gesucht, um dich einem gewissen schmerzlichen Hungertode zu opfern, laß mich hier liegen, ich kann nicht weiter; suche aus dem Wald zu kommen, vielleicht bringst du mir zur rechten Zeit noch Hülfe zurück.«

Anton sprach ihr Mut ein, er sei noch stark genug, sie zu tragen; nie würde er sie verlassen. Güldenkamm sagte, daß er voranlaufen wolle, weil er des Weges kundig, um ihnen Hülfe zu schaffen. Dieses Anerbieten wurde angenommen; er lief, nach manchem gerührten Ausdrucke seiner Leidenschaft, ohne sich umzuwenden fort; er war wie ein Schatten entschwunden, und das Elend trat immer deutlicher hervor. Anton fühlte bald, daß nur seine Kraft den Schmerz der Wunden bisher bekämpfte, beide hatten sich geöffnet, und Arm und Fuß waren so entzündet, daß er sie nicht mehr brauchen konnte; vergebens wartete er zwei Stunden, nagte Gras und Wurzeln; endlich, es mochte sechs Uhr sein, hörten sie das Auf treten, dann das Schnaufen von mehreren Pferden, sie rieten um Hülfe; sie sahen mit freudigem Jubel drei kräftige Pferde, von denen nur eins einen gewaffneten Reiter trug, heransprengen; der Reiter machte vor ihnen Halt, sah herab, sie sahen hinauf – es war Seger.

Unwillkürlich wollte Anton nach seinem Degen greifen, da [905] gedachte er, wie er den Degen von sich geworfen. Seger sah ihn verwundert an und sprach: »Welcher Wurm hat sich in Euer Gehirn eingebohrt, daß Ihr so unsinnig in die Welt gelaufen seid? Ihr seid doch ein Querkopf, wie noch keiner mit dem Steiß die Welt angesehen; da liegt Ihr, elend, wie geschundene Vögel zum Braten auf Kohlen, und mir kostet der Streich ein paar brave Kameraden. Hol Euch das Käuzlein! ich komme den Abend mit ein paar Gesellen, bringe Futter für Euch mit; da schrieen mir gleich ein Dutzend alte Kerle entgegen, wo ich des alten Herrn Sohn hingetragen; ich mag sagen was ich will, wie ich Schmächtling so eine dicke Sau wegtragen könnte! sie wollen uns fangen, wir wollen es nicht leiden, sie reißen meine beiden Gesellen vom Pferde, ich muß ausreißen, und die beiden Pferde laufen hinter mir her.«

Anton sah nach seinen Taschen: »Laß gut sein, es war nichts zu fressen auf dem Schlosse. Hast du was bei dir?«

»Freilich, ich werde auch nüchtern ausreiten«, sprach Seger; »einem wilden Eber hab ich eine Kugel durch das alte Fell gejagt, daß er zusammengestürzt ist, und mir die Keulen bei dem schönen Waldbrande ordentlich gebraten; mein Fäßchen ist auch nicht mit Regenwasser gefüllt, um mir die Haut damit zu waschen.«

Er bestätigte diese Rede mit Vorweisung der angezeigten Lebensmittel und warf noch ein großes Weißbrot herunter, das aus dem Korbe herausfiel.

»Potz Vetter Michel«, sagte er, »ein paar Brote und eine gute Wurst hab ich verloren.« Aber Anton hatte schon mit Wut das Brot zerrissen und seinen Teil verzehrt, als er die andere Hälfte Susannen kaum zugeworfen; er konnte kein Wort sprechen, der wilde Schweinbraten war sein Leitgericht und hielt ihm diesmal in aller Wahrheit Leib und Seele zusammen, der Wein netzte seinen Gaumen, aber er wünschte auch Wasser; selbst das schaffte Seger, indem er rings umher in den Wald sprengte, aus einem versteckten kleinen Teiche. Susanna nahm nichts als Wasser; sie zeigte einen Widerwillen gegen Fleisch und Wein und konnte sich nur wenig erholen, während Anton mit feurigem Gesichte neben ihr saß und über das Bein fluchte, daß es sich noch nicht wollte brauchen lassen.

»Marsch! fort jetzt!« rief Seger, »binde deinen Jungen auf das kleine Pferd, ich will dir aufs große helfen!«

[906] »Hätten wir nur den Güldenkamm nicht nach jener Seite geschickt, um uns Hülfe zu erbetteln, wir könnten jetzt zum Schlosse meines Vaters zurückkehren«, sagte Anton.

»Ja, hätten wir nicht«, rief Seger, »da wäre meine Mutter noch eine Jungfer; fort nach Pforzheim, da wird sich der Kerl irgendwo in einer Kneipe vorfinden!«

Sie ritten fort; Susanna, die nie zu Pferde gesessen, ließ ihr Pferd von Anton führen und hielt sich mit den Händen fest; Seger lachte über einen so furchtsamen Burschen. Gegen das Dunkel kamen sie aus dem Walde heraus und in die Nähe von Pforzheim und fanden Güldenkamm, der mit einem alten Hirtenweibe aus einem Topfe aß. Kaum konnte er seine armen Gesellen auf den schönen Pferden wiedererkennen; dann flehte er sie aber an, ihm seine Zither, die er dem alten Weibe für einen warmen Brei verkauft hätte, einzulösen. Seger, ohne ihn zu kennen, sprang ab, nahm stillschweigend die Zither fort, stülpte ihr den Breitopf über den Kopf, half Güldenkamm hinter Susannen aufs Pferd, stieg selbst auf und sagte: »Der alten Vettel soll doch endlich einmal die Lust an der Zither vergehen; sie zittert selbst schon am ganzen Leibe; hört, wie sie in den hohlen Topf hineinbrüllt, sie kriegt ihn nicht ab, ohne ihn zu zerschmeißen oder sich die Nase zu zerbrechen – der soll die Wohltätigkeit auf ewig vertrieben sein.« Susanna beschämte der Vorfall, aber sie waren alle zu schwach, um viel an Edelmut zu denken; also ritten sie zu Pforzheim durch das schöne Tor mit den zwei gespitzten Türmen ein und stiegen bei der Herberge zum Hopfenblatt ab.

Als sie im Zimmer saßen, schwor Anton dem Seger in herzlicher Gesinnung und reiner Dankbarkeit: Für den einen Dienst möchte er sich einmal fordern, was es sei, er wolle es ihm zu Gefallen tun. Seger schlug ein; er wird es nicht vergessen, denn der Teufel vergißt so etwas nicht. Er sorgte mit großem Eifer für die Bequemlichkeit Antons, der nach frohem Mahle sehr bald einschlief; Susanna legte sich ihm zu Füßen auf eine Streu, Güldenkamm wußte nicht recht, was mit sich anfangen, und begleitete noch Seger in die untere Wirtsstube, wo dieser sich mit einigen Wilddieben in erbauliche Gespräche einließ. Am anderen Morgen mußte Anton den Wundarzt der Stadt kommen lassen, der sein Bein und seine Wunde sehr entzündet fand und einen Gulden [907] voraus forderte, um die nötigen Salben und Umschläge anzuschaffen. Seger gab den Gulden sehr bereitwillig her, verlangte aber, Anton möchte sogleich zu seiner Frau gen Waiblingen schicken, um etwas Geld von ihr zu fordern; sie hätte immer noch ein paar tausend Gulden übrig, das wisse er. Anton beredete Susannen, die er in Gedanken dem frohen Güldenkamm schon ganz übergeben, in dessen Schutz nach Waiblingen zu wandeln; Seger gab ihnen Reisegeld, sie sollten nur mäßige Tagereisen gehen; in einem Briefe stellte Anton der Frau seine Not recht eindringlich vor, und seine Sehnsucht, zu ihr zu kommen und dort ein Schmied zu werden, wenn seine Kunst sie nicht mehr ernähren wollte.

Der Zufall führte einen Güterwagen durch Pforzheim, der die Straße nach Waiblingen ging, wo Susanna und Güldenkamm sich für ein Geringes auffrachten ließen; dem Fuhrmanne war Gesellschaft sehr willkommen, insbesondere da allgemein ein Gerede lief, daß Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen wieder gegen den Schwäbischen Bund verfehdet seien, die Kaufleute niederwürfen und die Wagen plünderten. Anton gab beiden Bitte und Befehl, sich in kein Gefecht einzulassen, denn wer jetzt recht hätte in der Welt und wem etwas gehöre, das sei ganz unbestimmt. »Zieht mit Gott!« rief er, als Susanna mit Tränen Abschied nahm. Güldenkamm und Susanna saßen hinten auf der Höhe des stoßenden Wagens, wo eine Kiste mit scharfen Leisten ihnen zum Sitz, eine andere als Rückenlehne diente; wäre die Erinnerung des vorigen Tages nicht so ermüdend in ihren Gliedern gewesen, sie hätten die bequeme Einrichtung des Wagens, der das Nebenherlaufen zuließ, weit vorgezogen; sie mußten mit solcher Kunst die einzelnen Schwankungen und Stöße des Wagens ausnivellieren, um nicht herabgerissen zu werden, daß sie, bis der lange Stadtdamm zurückgelegt war, an nichts anderes denken konnten. Erst dann überlegte sich Güldenkamm, in welches angenehme Verhältnis ihn das gute Glück zu einem lieben, zarten Mädchen geführt; er beschloß, keine Freude, die sie ihm gewähren könnte, aufzuschieben; ja er fürchtete zuweilen, daß sie ihm die schlechte Benutzung jener Nacht am Wasser als einen Mangel an Zuneigung auslegen möchte. Er unterhielt sie mit vielen sonderbaren Liebeshistorien, denen sie ernsthafte Bemerkungen beifügte; er las jeden ihrer Wünsche in ihren Augen, sie war ihm so freundlich; [908] mit welcher Wonne hob er sie in Böcklingen, wo sie die Nacht verweilen wollten, vom Wagen.

In dem Wirtshause war ein großer Lärmen; da lagen viele Handelsleute, kein Mensch kam heraus und begrüßte sie. Nach langem Schreien guckte einer wie eine Schnecke zum Häuschen heraus, der zeigte dem Fuhrmann mit der Hand, wo die Pferde und wo die Menschen untergebracht würden. Sie traten ein; da war eine Hitze, weil trotz des Sommers in dieser Waldgegend eingeheizt wurde, ein Gestank, weil sich da jeder die unreinen Kleider auszog und lüftete, daß Susanna fast umzusinken vermeinte. Güldenkamm fragte nach einem Zimmer, da sagte der bärtige Hausknecht, der wie ein Hauslumpen in allen Winkeln gelegen zu haben schien, wenn sie mit der Stube nicht zufrieden, möchten sie wo anders einkehren.

Was war zu machen! Es gab keine andere Herberge, Susanna suchte Wasser, um sich zu waschen, sie mußte aber zum Brunnen gehen, denn jenes im Zimmer war von den Kohlenbrennern schon so geschwärzt, daß sie zwei andre Wasser nötig gehabt hätte, um sich wieder davon zu reinigen. Sehr schlimm war es, daß die Hitze vielen übel bekam, so wie das viele Essen; da gab's erst Gestank, daß Güldenkamm ein Fenster aufmachen wollte, wie schrie ihn aber der Bartmann an! wenn er in die Luft wollte, möchte er sich hinausscheren. Da sah er nun wohl, daß er unter groben Leuten sei, die von den Nürnbergern noch sehr verschieden waren. Nach langem Harren wurde ein Tuch, grob wie Segeltuch, über den Tisch gebreitet, Teller ausgesetzt, Messer und Gabel beigelegt mit Brot; alle setzten sich heran und schabten beinahe eine halbe Stunde bis die Suppe fertig, an der schmutzigen Brotrinde. Endlich kam dieser ungeheure Kübel voll Suppe, bald darauf ein Gemüse in gleicher Brühe, dann gekochtes Fleisch in eben solcher, endlich nach einer Stunde etwas gebratenes Fleisch und Fisch, nachdem alle satt waren; ein saurer Wein stand dazu auf dem Tische, wovon jeder so viel trinken mochte als er wollte, denn alle bezahlten gleich. Da brachte der Barthans einen Schinkenteller, worauf er einige Ringe und halbe Ringe mit Kreide gemalt hatte, das verstanden viele und legten ihre Zeche auf den Tisch. Güldenkamm verstand es aber nicht, er hatte all sein Geld zum Mittagessen aufgehen lassen; er wußte nichts Besseres zu tun, als den Schalksnarren zu spielen, worauf er [909] sich schon in Nürnberg beflissen hatte. Er stellte sich wie ein blökendes Kalb und machte allerlei lächerliche Sprünge, die aber Susannen herzlich zuwider waren; zuletzt sprang er auf den Tisch, streckte Hände und Beine in die Luft, drehte sich auf dem Bauche herum und wischte sehr geschickt alles auf dem Kreideteller aus. Der Schwank gefiel allen; ein Kaufmann bezahlte für ihn und für Susannen und schenkte ihm noch Reisegeld obenein. Susanna nur empfand von dem Augenblicke gegen ihn einen unerklärlichen Widerwillen, er war ihr einen Augenblick wie eine lächerliche widerliche Spinne erschienen. Als er so wohl aufgenommen, ließ er sich in allerlei Trinksprüchen hören, die um so lauter belacht wurden, je kräftiger der Schmutz sie würzte. Endlich wurde eine Streu über den Boden ausgebreitet, schmutzige Tücher mit Kopfkissen und wollene Decken darauf gelegt; Güldenkamm legte sich zu den Füßen Susannens. Die Lampe wurde ausgelöscht, und Güldenkamm stieg die Glut des Weines ins Herz; er näherte sich leise Susannens Füßen und küßte sie mit einer Inbrunst, daß sie erwachend aus unwiderstehlichem Widerwillen ihm einen Tritt gegen den Kopf gab, der sich für den Augenblick zurückzog. Aber mit erneuter Liebesmacht drängte es ihn zurück, doch ein heftiger Stoß gegen die Nase erleichterte ihn vom Blute und kühlte ihn dadurch.

Früh Morgens ging es davon; der Fuhrmann fluchte, daß die Kinder ein Stück von seiner Peitsche abgeschnitten, Güldenkamm war verstimmt durch seine aufgeschwollene Nase, Susanna konnte ihn gar nicht mehr ansehn, und das Stoßen des Wagens schien ihnen heute so ganz unerträglich, daß sie abstiegen, stillschweigend ihre Straße zu gehen. Sie hatten jetzt den Kamm des Gebirges erreicht und sahen in ein weites reiches Tal, alle auslaufenden Spitzen des Gebirges waren mit glänzenden Schlössern besetzt, in den grünsten Tälern schimmerten ferne Klöster; ein Wohlleben war überall, und ihre Augen schwankten von einem Anblick zum andern wie Füllen, die im Überflusse das Gras durch den Mund gehenlassen, ohne es abzubeißen, und sich lieber drin strecken und wälzen. Die beiden Reisegefährten waren plötzlich versöhnt, und Güldenkamm ließ seine Zither so anmutig klingen, daß der Fuhrmann den Takt dazu knallte, bis sie die Stadt Waiblingen erreicht hatten.

[910] »Das heißt lange geschlafen«, sagte der Wirt, als er gegen Mittag eintrat; »wollt ihr denn nicht heute nach dem Hause des gewesenen Bürgermeisters gehen? das wird heute von den Schuldleuten verkauft.«

Susanna erschrak bei diesen Worten, sie vernahm so unerwartet, daß die Umstände von Frau Annen viel schlimmer ständen, als Anton ihr gesagt hatte; sie beschloß sogleich zu ihr hinzugehen. Als sie vor das hohe Haus trat, da dachte sie ihres Anton recht in Liebe, sie dachte ihn, wie er da aus und ein gegangen; sie hatte eine ungemeine Sehnsucht, sein Weib und seine Kinder zu sehen, da dachte sie, würde ihr recht wohl sein, da wollte sie für alle arbeiten, allen dienen. Die Haustür stand offen, eine harte gellende Stimme tobte im Hause mit höchster Verzweiflung; ein ernster Mann in Ratskleidung führte einen kleinen kräftigen blondgelockten Knaben, den kleinen Anton, zur Tür hinaus. Eine Frau von ernstem Ansehen, von schönem Bau, hohen, etwas starken Leibes, in der Kleidung vornehmer Bürgerinnen, fluchte hinter dem Kinde: »Du Kain, meine Schläge kriegst du nicht, aber das Rad wird dich schlagen, Tunichtgut, wie dein Vater, der Landstreicher, der Dieb. Mein liebes, liebes Kind hast du umgebracht, mein Oswaldchen; Fluch über dich, daß du unstet und flüchtig durch die Welt irrest, daß dich der Teufel besitze und dir in allen Gliedern bis zum jüngsten Tage gichtere, daß deine Knochen noch auf dem Galgen tanzen; ja sieh dich nur um, du Fresser, wirst bald ausgefressen haben!«

Bei diesen erschrecklichen Verfluchungen traten alle Menschen von ihr zurück, und so schlug sie an der Treppe des großen Hausflures hart auf die Erde nieder. Susanna, aus einem Mitleidsinstinkt, trat zu ihr und suchte sie zu sich zu bringen; ein Mädchen trat mit Wasser herbei und sagte: »Ich glaube, sie wacht nicht wieder auf; es wäre gut, da wär ihres Herzeleids ein Ende.« Susanna fragte, was geschehen; da sagte ihr das Mädchen in aller Kürze, der Ratsherr wäre wegen der Versteigerung im Hause gewesen, da sei der kleine Anton voll Blut, aber recht fröhlich ins Zimmer getreten und hätte die Mutter gerufen, sie sollte einmal oben kommen, er habe sein Schwein recht schön geschlachtet und das Blut getrunken. Die Mutter habe erst nicht anders gemeint, als er sei an ihr Eingeschlachtetes gegangen, weil sie den Tag wegen des [911] Umziehens alle Schweine habe schlachten lassen; sie habe ihn gescholten, er aber habe gesagt, sie solle nur kommen, er habe es ganz ordentlich gemacht, das Schwein habe sich recht gewehrt. Mit Zagen sei die Mutter und der Ratsherr hinauf gegangen und habe ihren ältesten Sohn in seinem Bette vom Bruder geschlachtet gefunden; alle Besinnung sei ihr erst vergangen, der Ratsherr aber habe den Anton gefragt: Wie er denn seinen Bruder ein Schwein nennen könne! Der Kleine habe darauf geantwortet, die Mutter hätte ihn immer so genannt, wenn er das Bett verunreinigt hatte, und ihm gesagt, wenn er es wieder täte, sollt er ihn schlachten; da habe er sich nun heut das Schlachten genau abgesehen, und als der Bruder, der krank war, wieder das Bett verunreinigt, habe er mit einem Messerchen ihn abgestochen. Als die Frau dieses Messerchen gesehen, habe sie laut aufgeschrieen und gesagt: mit dem Messerchen sei ihr Anton zur Ader gelassen worden vom Faust, als ihrem Manne das Blut eingezapft worden! – »Das kommt von solchen falschen Künsten«, habe der Ratsherr gesprochen und den Kleinen ernsthaft gefragt, warum er das Blut getrunken. Der Kleine habe geantwortet, der Metzgerhund hätte es ebenso gemacht, und er sei sich wie der Hund auf einmal vorgekommen weil ein großer fremder Mann bei ihm gestanden, der wie der Schlächter ausgesehen. Hierauf habe der Ratsherr mit dem Kopfe geschüttelt, das Kind aber, auf welches die Mutter wütend losgehen wollen, unter seinen schwarzen Mantel genommen und erklärt daß er es im Namen eines hochweisen Rates zur Untersuchung mit sich fortführe.

Die Magd hatte eben diese Erzählung geendigt, oft unterbrochen von Jammer und Verwunderung, als Frau Anna aufwachte und mit neuer Verzweiflung nach ihren Kindern fragte, nichts verschonte ihr Jammer; wie Menschen im heftigen Fieber sich aus den Fenstern werfen, ohne der Tiefe zu achten, in die sie stürzen so rief die Unglückliche den höllischen Geist an, daß er sie tröste und erquicke, da Gott ihr nicht gnädig sein wolle. Bei diesen Worten verließ Susanna sie stillschweigend, ein Grauen trieb sie aus dem Unglückshause fort, die Bürger sammelten sich schon vor demselben, fragten und gaben Sentenz, aber die Glocke rief zu dem großen Ratssaale, wo auch Susanna begierig mit eintrat. Die Ratsherren waren schon in andern Angelegenheiten versammelt gewesen; [912] der Ratsherr Arnold, welcher den Knaben aus dem Hause geführt, hatte im Vorbeigehen das Glockenläuten bestellt, er trat jetzt zur Verwunderung aller in den Ratssaal, öffnete den Mantel und zeigte dann den Knaben, der über alles, was bisher zu ihm gesprochen und mit ihm geschehen, wie ein voller Brunnen in Tränen überlief.

»Kind«, sagte der Ratsherr, »geh jetzt in diese Armesünderkammer, ich werde dich rufen, wenn deine Mutter hier ist, die sehr zornig gesinnt ist gegen dich.«

Kaum war der Knabe in die Kammer getreten, so redete der Ratsherr ausführlich und sehr rührend zur Versammlung, erzählte von dem Unglücke der Frau ihres ehemals hochgeachteten Bürgermeisters, wie sie durch die Verschwendung ihres zweiten Mannes und durch die Verwüstung der Bilderstürmer, in der Meister Anton sein eigenes Haus preisgegeben habe, um das Haus Gottes zu retten, um alles Ihre gekommen und selbst darben müsse, während noch eine blühende Stiftung für die Jugend der Stadt auf ewige Zeiten das Wohlwollen und den Wohlstand ihres würdigen ersten Mannes verkünde. Nun erzählte er das unglückliche Ereignis, das die arme Frau mitten im Schmerz über die öffentliche Versteigerung niedergedrückt habe, das Lieblingskind ihres Herzens, ihren Erstgeborenen, das einzige Pfand der Liebe ihres verehrten ersten Mannes, so gewaltsam sich entrissen zu sehen; der ihm aber ihr entrissen, das sei jetzt ihr letztes einziges Eigentum, ihr letzter Trost. Jetzt entwickelte er, zur großen Verwunderung aller, die wunderbare Geburt dieses älteren Sohnes, nachdem das Blut Antons dem schwachen alten Bürgermeister eingeflößt worden, wie unnatürlich seine Entstehung, wie der jüngere Anton gleichsam sein Eigentum nur zurückgenommen, das der Vater auf leichtsinnige Art verschwendet hatte, als er das Blut seines Bruders getrunken; dabei beschrieb er die völlige Unbefangenheit des Knaben, seinen festen Glauben, daß er recht getan habe, dabei sein gutmütiges Wesen, das ihn bei allen Kindern beliebt gemacht hatte; er rief die Kindern der Versammlung auf, die alle ein gutes Zeugnis für ihn ablegten, wie er oft durch seine ungemeine Stärke den Bruder geschützt habe.

Diese Erzählungen der Kinder hatten alle bewegt; jetzt trat der Ratsherr mit seinem Vorschlage heraus: »Ich sehe, liebe Mitbürger, ihr seid alle gerührt; ihr habt die schwere Sünde des Brudermordes, [913] die auf dem Kleinen ruht, als eine kindische Unwissenheit euch erklärt, ihr würdet vielleicht ohne weitere Beweise den Kleinen begnadigen; aber ich glaube, daß der Ernst unserer Gerichte einen öffentlichen Beweis dieser kindischen Unwissenheit fordert, den Beweis, daß dieses Kind, über seine Jahre körperlich stark und groß aufgewachsen, doch geistig noch unentwickelt sei und nicht etwa eine versteckte Tücke gegen den Bruder, eine verstellte Unschuld es habe leiten können. Was ist aber der Prüfstein der Unschuld, wenn das, was den Wunsch eines Kindes unmittelbar befriedigt, von ihm alle dem, was denselben Wunsch in größerem Maße, aber auf einem Umwege befriedigen kann, vorgezogen wird; ich will mich deutlicher erklären: wenn das Kind diesen Apfel, den ich aus der Tasche ziehe und in meine rechte Hand nehme, diesem Vierundzwanzig-Kreuzerstücke vorzieht, das ich ihm zur Wahl mit der linken Hand zeige, wofür es sich einen Scheffel Äpfel kaufen könnte.«

Die Ratsherren gaben seinem Vorschlage ihren Beifall, manche Bürger aber baten laut für das Kind aus Mitleiden, weil es das Geld leicht als etwas Blankes vorziehen könne, ohne von seinem Werte etwas zu wissen; der ernste Bürgermeister aber wies sie zu rück mit den Worten: »Hier ist schon große Gnade für Recht ergangen; ihr Bürger, betet für den Knaben. – Gerichtsdiener, öffnet die Armesünderkammer!«

Viele beteten schon, als die schwere eiserne Tür in ihren Angeln aufknarrte, niemand eifriger als Susanna; als aber der schöne Knabe mit seinen großen Augen verschüchtert wieder heraustrat und langsam auf den Ratsherrn zugeführt wurde, da hätte man die Herzen schlagen hören können.

Der Ratsherr sprach zu dem Knaben: »Die Mutter hat dir verziehen; sie weiß, daß du nicht mit Willen dein schönes weißes Kleidchen so blutig gemacht hast, sie schickt dir hier zu deiner Freude zweierlei, worunter du dir eins wählen sollst; komm her, liebes Kind, eins kannst du nur bekommen, willst du den schönen Apfel oder das Stück Geld?«

Der Knabe sah verwundert erst nach der rechten Seite, wo der Apfel ihm vorgehalten wurde; alle jubelten im Herzen; dann aber wandte er sich zur linken, und keiner enthielt sich, ihm verstohlen zuzuwinken, wie manche beim Kegelspiele die geworfene Kugel [914] mit dem Beine nachzulenken trachten; aber ein heller Himmelsschein strahlte jetzt durch die staubigen Fenster auf den roten Apfel, und das Kind wendete sich hin zu ihm, faßte ihn und biß gleich recht tief hinein. Der Ratsherr wurde blutrot vor wallender Freude, er hob seine Hände zum Himmel und dankte stumm; manche in der Versammlung schluchzten. Der Bube aß recht vergnügt seinen Apfel, und als er beinahe damit fertig, rief er bittend: »Geld auch haben!«

Der Ratsherr wurde bedenklich und fragte betreten: »Was willst du denn mit dem Gelde machen?« – Der Kleine antwortete: »Bruder Oswald geben, da lacht er.« – Die Antwort befriedigte alle Gemüter; der Bürgermeister und die Ratsherren sprachen Gnade und ließen das Kind in das Haus des Ratsherrn führen, der dessen Unschuld so scharfsinnig bewährt hatte.

Nachdem das Kind fortgeführt worden, beratschlagten die Herren lange Zeit, was aus dem Kleinen werden sollte, daß er nicht sobald zur Mutter zurück dürfte, bis der tränengenäßte Schwamm der Zeit alle alte Rechnung ausgelöscht habe; darüber waren alle einig, daß es besser sei, ihn ein paar Jahre aus der Stadt zu entfernen, das gab jeder zu, aber in der unruhigen Zeit war es schwer, einen bequemen Ort für ihn auszumitteln; endlich beschlossen sie, ihn in den vom alten Bürgermeister zu einem Waisenhause und zu einem Kinderfeste vermachten Hofe vor der Stadt unterzubringen. Nachdem Susanna diesen Beschluß vernommen hatte, ging sie fort; sie hatte schon vorher einige Bürger vernommen, die sich beschwerten, was so ein fremder Junge in ihrem Ratssaale zu tun habe. Im Vorbeigehen am Ratskeller hörte sie Güldenkamm, der die ganze Geschichte mit dem Knaben in Reime gebracht hatte und sie den Fremden mit großem Beifalle vorsang; es war den Leuten über die vielen Religionsstreitereien etwas ganz Neues geworden, klar und lustig singen zu hören; auch erbosten sich manche, wenn er alte lustige Schwänke von einem Brunnen sang, über dem ein Mädchen gestanden; er nötigte Susanna herein, sie mußte mit ihm ein Glas Wein trinken und von dem Ausgange der Sache erzählen, den die meisten noch nicht wußten. Sie sprach wenig, nur wenn eine heftige Bewegung ihr ganzes Gemüt füllte, da durchbrach es die Eisrinde, die eine harte Erziehung ihr aufgebürdet, dann sproßten Blumen, wo es gezogen, und das Wider [915] strebende riß es mit sich fort. Alle horchten ihrer Erzählung, alle sprachen ihr nach; Güldenkamm, so künstlich er singen mochte, wurde nicht mehr gehört, alle Gäste tranken ihr zu; die Wirtin brachte ihr eine herrliche frische Festbrezel, sie konnte sich nicht genug über den artigen Jungen verwundern, der so schön erzählte und nun so geschämig wie eine Jungfer mit hochroten Backen dasitzen tät, als ob er nicht fünf zählen könnte.

Erst nach dem Mittagsmahle konnte sich Susanna von der lustigen Gesellschaft losmachen, um ihren Brief und Auftrag an Frau Anna zu bestellen. Im Hause mußte sie wegen der Versteigerung noch einige Zeit warten; sie sah mit Teilnahme allen zu, wie ein paar Hundert mit heißer Begierde und wenig versteckter Absicht den wohlfeilen Verkauf aller der Geräte wünschten, die Frau Anna bald mit einem Seufzer, bald mit einem hervorhebenden Lobe, manche selbst mit Tränen dem Versteigerer darreichte. Sah Susanna, daß ein paar bärtige Hebräer sich mit einander heimlich beredet hatten, auf etwas nicht zusammen zu bieten, so kam ihr die Lust, sie in die Höhe zu treiben; ein paarmal verschluckte sie das halb ausgesprochene Wort, dann aber, als Frau Anna mit einem Seufzer einmal bei einem Schranke dazwischen redete, die Beschläge wären ja mehr wert und es sei ihr Brautschrank gewesen, worin ihr erster Mann ihr die Ausstattung vor der Hochzeit verehrt, da bot Susanna einige Kreuzer höher, und mit einem Schrecken durch alle Glieder schlug der Hammer ihr diesen Schrank zu. Das Zahlbrett wurde ihr gereicht, voller Verzweiflung faßte sie in ihre Tasche, und mit Verwunderung fand sie mehr darin, als zur Zahlung nötig. Erst wendete sie zu Gott den Blick, dann zahlte sie und gedachte, wie die Wirtin im Ratskeller ein paarmal ihr wie zum Scherz, ob sie auch reich sei, in die Tasche des Wamses gegriffen; wahrscheinlich hatte sie ihr aus Gutmütigkeit das Geld eingesteckt.

Die Versteigerung ging gegen die Zeit, wo man hätte Licht anzünden müssen, zu Ende; da gab es aber noch ein Besehen und Bereden über alles Erkaufte. Endlich verlief sich die Menge, und Susanna ließ sich von der Magd, die sie vom Morgen her gleich wieder kannte, zu Frau Anna führen. Frau Anna stand in einem Zimmer, wo die weggenommenen Sachen noch ihre Schatten, wo sie gestanden und wo das Licht nicht hindringen konnte, [916] zurückgelassen hatten; sie hatte ihrem toten Oswald ein weißes Hemde reinlich angezogen, sein Haupt mit einer Myrtenkrone besteckt; sie wartete auf den Schreiner, der den Sarg bringen sollte, und sah stumm auf das bleiche Gesicht hernieder. Die Magd sprach im Hereintreten: »Der junge Mensch, der heute Frau Bürgermeisterin gehalten, als sie in Ohnmacht gefallen, will gern einen Brief abgeben.«

Frau Anna sah auf, als wüßte sie wenig von allem, was mit ihr vorgehe. »Wer bist du?« fragte sie.

»Ich heiße Kurt von Pforzheim!« antwortete schüchtern Susanna.

»Da kenn ich dich schon«, sagte sie; »du willst wohl gut machen, daß wir einmal in Unfrieden geschieden, mein guter Kurt? Du bist in der Zeit gewachsen, mit mir ist aber alles den Krebsgang gegangen; da waren noch gute Zeiten bei meinem seligen Herrn, wo wir alle Tage was Neues fanden, ja gestern fielst du mir wieder ein beim Ausräumen der Kasten, da kam mir der lederne Beutel und der Degen wieder in die Hände, den du aufgefunden hattest und durchaus behalten wolltest; weißt du noch, wie du mir eine Faust gemacht und mich bedroht hast, nie wieder zu kommen wenn ich dir das beides nicht ließe; damals war's wohl genau von mir, daß ich's aufbewahrte, jetzt kommt's mir zu Gute; sieh, da liegt der Degen und da der Beutel, ich löse doch wohl einen Kreuzer daraus.«

Susanna war bei dieser Anrede in heißer Verlegenheit, sie meinte, es könne nicht fehlen, daß sie sich bald verreden müßte; stammelnd sagte sie: sie möchte an die Zeiten nicht denken, das würde sie nur traurig machen, sie habe ihr eine kleine Freude machen wollen, indem sie ihr den Schrank, worin die Ausstattung sich befunden wiedergekauft hätte, und sie bäte, ihn wieder in Besitz zu nehmen.

Frau Anna war außer sich vor Dankbarkeit, sie lief gleich hinunter und befühlte jede Leiste, ob auch nichts davon losgebrochen; dann trug sie ihn, er war leicht und zum Aufsetzen auf einen Tisch eingerichtet, wieder in das Totenzimmer und legte mit großer Hast ihr totes Kind hinein. Susanna verwunderte sich, aber Frau Anna sprach mit großer Heftigkeit: »Du lieber Schrank, du hast all mein Glück so viele Jahre bewahrt, nun sollst du auch das Liebste, was mir noch übrig ist, zu Grabe tragen!«

[917] Der Schreiner trat jetzt herein und sagte, daß der Sag nicht fertig geworden. Frau Anna sagte ihm: es sei ihr ganz recht, so sollte es sein, sie wolle ihr Kind in dem Liebsten, was ihr übrig sei, begraben. Der Schreiner äußerte sich nicht undeutlich, als er diesen Sarg gesehen, die Frau müsse aus Gram den Verstand verloren haben, inzwischen fügte er sich in alles. Frau Anna sang und betete nun mit ihm und Susannen noch eine Stunde; kein Geistlicher kam zu ihrem Troste, sie waren alle wegen der Unruhen geflüchtet; dann schloß sie, von unzähligen Seufzern unterbrochen, das Schloß und warf den Schlüssel in den Mühlbach, der an dieser Ecke des Hauses durch die Stadt floß. Der Meister Schreiner nahm den Schrank mit dem Kinde und ging langsam die Treppe hinunter; Frau Anna folgte, von Susannen und der Magd unterstützt.

Es war dunkle Nacht, und ein nahendes Gewitter erhellte ihnen die Straßen, die ganz verlassen schienen; schweigend zogen sie in die Kirche, wo ihnen der Glöckner eine Nebentür öffnete und mit einer Fackel vorleuchtete. Gleichgültig führte er sie durch die wunderbare Nacht des Gebäudes, wo Adams Fall durch den Apfel in dem flammenden Blitze durch die hellfarbig gebrannten Scheiben leuchtete; Susanna machte ein Kreuz und gedachte des Apfels wie eines wiedergewonnenen Paradieses, der heute ein gutes unschuldiges Kind von einem schmachvollen Tode errettet hatte; sie fühlte in ihrer ganzen Seele Gottes Herrlichkeit, vor dem alles gut wird, was auf Erdenge schieht.

Sie kamen jetzt an das hoch vergitterte Grabgewölbe der Bürgermeister von Waiblingen. Die schwere Türe wurde eröffnet, da standen in einer langen Reihe mit schönen metallnen Handgriffen und Zieraten die Särge aller Verstorbenen dieses edlen Hauses dessen letzten Sprößling sie dem Vater zu Füßen setzten. – Der Glöckner fragte, ob das Wappen im Siegelring dem Kinde mitgegeben sei; da beseufzte die Mutter, daß sie den Schlüssel zu dem Schranke in den Mühlbach geworfen, sie trug den Siegelring noch in der Tasche. Der Glöckner stellte ihr vor, daß er mit demselben Rechte dem Vater, Ihrem verehrten Bürgermeister, in den Sarg gelegt werden könnte, und hob bei diesen Worten den Deckel jenes Sarges auf, der ihn verschloß. Frau Anna stürzte bei seinem Anblick mit den Worten nieder: »Heilige Mutter Gottes, er hat sich umgedreht!« – Susanna sah hin, und wirklich lag das graue Haupt [918] gegen das Kissen, worauf es ruhte, hingewendet, als ob er seinen Schmerz darin ausweinte. Der Glöckner wagte ihn nicht zu wenden, er steckte ihm den Siegelring über die Handschuhe und verschloß den Sarg. Frau Anna hatte sich jetzt aufgerichtet und wollte ihren geliebten Mann noch sehen; das verweigerte ihr aber der Glöckner, vielmehr trieb er sie das feuchte Gewölbe zu verlassen, weil es der Gesundheit verderblich sei. Susanna führte die Unglückliche hinaus, sie sah nicht mehr die leuchtenden Blitze, die durch das Kirchengewölbe schimmerten, sie sah immer das graue Haupt des alten Mannes vor sich und konnte es nicht aus den Augen verlieren. Frau Anna wollte im Herausgehen aus der Kirche dem Glöckner einiges Geld in die Hand drücken, er aber weigerte sich es anzunehmen, denn, sagte er, wir hätten ja alle nichts ohne Meister Antons mutige Verteidigung gegen die ketzerischen Hunde, die unser wohltätiges Marienbild verbrennen wollten.

Diese Erinnerung brachte Susannen darauf, der Frau endlich zu eröffnen, sie habe einen Brief von Anton an sie zu überbringen, aber mit diesen Worten weckte sie schon den ganzen Eifer der armen Frau gegen ihn; sie verfluchte die Stunde, wo sie ihn zuerst gesehen, nannte es eine geile Lust, was sie dazu getrieben, ihn zum Manne zu machen; sie war unerschöpflich alles aufzuzählen, worum er sie gebracht, was sie aber vor allem ihm nicht verzeihen könne, das sei die Lüge und der Betrug mit dem silbernen Pokal, den er heimlich ihr entwendet, um ein Pferd zu kaufen, davon ihn die Ritter herunter geschmissen und wovon er ihr nachher erzählt daß es die Bilderstürmer gestohlen. Diesen Wunderbecher konnte sie nicht satt loben und beschreiben, sie schwor, daß er nicht ein Dritteil dafür bekommen, was er gekostet und wert gewesen. Susanna wollte die Geschichte von ihrem Freunde nicht glauben sie fragte, wer ihr so boshafte Dinge weis gemacht habe.

»Weisgemacht?« fragte sie; »hat mir nicht der Seger den Becher den andern Tag, nachdem sie beide weggezogen, durch seinen Helfershelfer wieder anbieten lassen? ja was hatte ich da zu bieten als tausend Flüche für jeden, der daraus trinken würde.«

»Glaubt mir«, unterbrach sie Susanna, »Anton mag darin gefehlt haben, aber er meint es recht ehrlich und gut mit Ihr.«

»Mag er's meinen, wie er's vor Gott verantworten kann«, rief sie, »mich hat er um all mein Glück gebracht durch seine Großtuerei, [919] durch seine schnöden Gesellen, durch sein Fressen und Saufen; die ganze Welt hat in dem Kerl Platz, so hat er mir Haus und Hof hinuntergeschluckt und ist davon nicht einmal satt geworden; daß ihm die Pest in den Magen schlage!«

Unter so heftigen Reden und bei den gewaltigen Wetterschlägen kamen sie an Frau Annens Haus. Der Schreiner hatte sich stillschweigend fortgeschlichen, und Susanna wäre gern weit weg gewesen und hätte lieber nackt und bloß bei einer Herde die ganze Nacht gewacht, als in so schlimmem Handel Anton verfluchen zu hören. Sie trat mit ins Haus und bat Frau Anna den Brief zu lesen, sie reise den andern Morgen früh fort und der Brief sei dringend zu beantworten.

Kaum hatte Frau Anna den Brief durchlaufen, so riß sie die Augen auf und lief heftig auf und nieder. Sie schrie: »So ist der Taugenichts auch nicht einmal zum Landsknecht gut, das sei Gott geklagt, daß er solch Ungeheuer geschaffen. Andre Kriegsknechte, der Nachbar, brachte erst gestern seiner Frau einhundert Mark Silbers nach Haus, und meinem Mann soll ich noch Geld nach schicken, denkt er denn, daß ich Geld machen kann? Sicher hat er sich auf die faule Haut gelegt und geschmaust statt zu fechten. Geh mein Sohn nur schnell aus meinen Augen, daß ich nicht wild werde; wie kannst du dich unterstehen, mir solche Briefe zu bringen!« – Susanna stellte ihr mit rührenden Worten seine Not vor, sie möchte ihm doch etwas schicken, er werde alles wieder verdienen, das Glück werde ihm schon günstiger werden. – »Er mag sich auch durchschlagen, wie ich mich habe durchschlagen müssen«, sagte Frau Anna trocken, »Gott verzeihe ihm, was er meinem seligen ältesten Knaben angetan hat!« – »Je, was denn Frau?« – »Seit meines Mannes Abreise wurde er vom Teufel geplagt; wenn er kaum eingeschlafen war, überfiel ihn ein großer Schrecken, er rang sich die Hände zum Erbarmen, und war alsbald wie in Schweiß gebadet; mit offenen Augen hielt er sich fest an mir, aber kannte mich nicht; wenn ich ihn nun durch vieles Rütteln, selbst durch Schläge erweckte, da wußte er nichts zu sagen, als von Seger, dem schwarzen Teufel, der den Vater in die Hölle führte, dann schlief er wie ein toter Mensch ohne aufzuwachen wohl zwölf Stunden ununterbrochen, am andern Morgen wußte er nicht, was mit ihm geschehen, er wurde aber von Tage zu Tage matter und hinfälliger, daß [920] er zuletzt beständig zu Bette bleiben mußte. Das war aber der Teufel, von dem meine beiden Kinder besessen waren und der kam nicht aus meinem ersten Manne, der war fromm und gut, aber der zweite hatte den Teufel im Leibe, von seinem Blute kam es auch beim ältesten.«

Susanna verstand das nicht, sie mochte aber nicht mehr davon hören, vielmehr kam sie mit erneuten Vorstellungen für Anton Frau Anna wieder sehr unrecht. Heftig rief diese: »Und könnte ich ihn mit einer Stecknadel loskaufen, ich stieß sie ihm lieber ins Herz! Geh Kurt, hüte dich vor dem Menschen, er borgt dir sicher was ab; er soll sich was verdienen, dann mag er sich vor mir sehen lassen, sonst will ich ihn beim Rat verklagen. Du bist ein guter Junge, Kurt, dir schenkte ich gerne was, aber sieh, ich hab nur noch wenig; etwas mußt du aber von mir nehmen zum Angedenken wenigstens, wenn's dir sonst auch nichts hilft. Da hast du den Degen und den Beutel, oder willst du ihn nicht behalten und willst recht gut sein, so gib es meinem Mann; mit dem Degen sollte er auf Beute ziehen, und wenn er mir den Beutel voll Geld bringe, dann solle er auch einmal wieder in meinem Bette schlafen.«

Das alles hatte sie mit einer Härte gesprochen, die Susannen erschreckte; sie wäre ohnedies bald fortgegangen, außerdem ermahnte sie aber noch eine bekannte Stimme zur Rückkehr nach dem Wirtshause. Güldenkamm sang vor der Türe zur Zither:


Von Wein und von Scherz
Entfliehet mein Herz
Durch die drückende Hitze.
Durch die blendenden Blitze
Hab ich umsonst ihr gesungen:
Wohin, ach wohin ist mein Liebchen entsprungen?
Ein lieblicher Duft
Erfrischet die Luft,
Herrlich segnen die Gluten,
Sterne spiegeln in Fluten,
Schmerzliche Glut, die ich leide:
Dahin, ach dahin ist die liebliche Freude!
Und wär sie nun nah,
Und wär sie nun da,
[921]
Sähen Sterne sie wieder,
Säng ihr Nachtigall Lieder;
Ich nur allein, ich müßte dann schweigen.
Vorhin, ach vorhin war Liebchen mir eigen!

Susanna wußte kaum, wie sie Abschied genommen und wie sie zur Türe hinaus gekommen, sie horchte, und das ganze Haus schien ihr in schmerzlicher Bezauberung; sie ergriff Degen und Beutel, der ihr verehrt war, grüßte kaum und sprang die Treppen hinunter zur Tür hinaus zu dem Sänger, dem sie ihre Trauer erzählte, von der hartherzigen Frau. »Der arme Anton!« sagten beide; dann aber griff Güldenkamm in die Saiten und sprach ergriffen mit großer Lebendigkeit von allerlei Plänen, wie sie sich künftig durch Schauspielerei ernähren könnten, sie wären gerade vollständig drei, um alles Traurige und Lustige der ganzen Welt darzustellen.

Hätten sie gewußt, wie bedrängt ihr armer Anton zu Pforzheim in der Zwischenzeit lebte, sie würden sich nicht so leicht beruhigt haben. Seger war gleich nach ihrer Abreise fortgewandert, indem er Anton versicherte, er habe kein Geld, er wolle auf Wilddiebere ausgehen; die Pferde, erzählte er ihm, habe er in der ersten Nach im Brettspiel verloren. Anton war nun ganz sich selbst überlassen ohne Geld und nicht ohne Mißtrauen wegen seiner Landsknechtskleidung von dem Wirte angesehen, der für alles gleich bar bezahl sein wollte. Die wenigen Kreuzer, die Seger zurückgelassen, waren bald verzehrt; er wußte sich keinen Rat, als unerwartet ein Jud zu ihm eintrat um alte Kleider von ihm zu erhandeln. Es schien ihm ein Himmelsbote, denn gleich fielen ihm seine Pluderhosen ein, die wohl vierzig Ellen gutes Tuch enthielten; er fragte der Juden, was er ihm zu einem Paar anderer zugeben wollte. Er mußt sie ausziehen, der Jude besah sie inwendig so lange, daß Anton ihn mit der krummen Nase hineinstieß, dann hielt er sie gegen das Licht; endlich sagte er, sie wären schon sehr dünn, er wolle ihr aber doch ein Paar andere Hosen dafür geben. »Verfluchter Jude« rief Anton, »was gibst du aber zu? sonst behalte ich sie.«

»Nun«, sagte der Jude, »ich will noch ein Paar Handschuhe zu geben.«

Anton warf ihn über diese unbequeme Rede zur Tür hinaus [922] »Wer solche Hände hat, braucht keine Handschuhe.« Als er seine Hosen kaum wieder angezogen hatte, klopfte der Jude wieder an die Tür und bat sehr demütig, er möchte den Handel ihm nicht versagen, er wolle die Hosen noch einmal besehen. Anton in seiner Not mußte die Hosen wieder ausziehen, der Jude besah sie und sagte, er wolle sie nur einem Tuchhändler zeigen, weil er nicht wüßte, ob das Tuch auch in der Wolle gefärbt wäre. Anton gestattete ihm das Gesuch. Der Jude ging fort, es läutete zum Essen, aber er kam nicht wieder, Anton rief den Wirt und erzählte ihm den Vorfall, der aber faßte einen Argwohn, er möchte die Hosen schon verkauft und das Geld ausgegeben haben, denn er hätte keinen Juden bemerkt, er wurde deswegen zornig und drohte ihm, daß er nicht länger bei ihm wohnen dürfte. Anton war in großer Not, er ward um so hartnäckiger gegen den groben Wirt, setzte ihn auf sein Bett, zog ihm die Hosen aus, die er dann gemächlich anlegte und zu der Frau ging. Der Wirt schämte sich, wie er bezwungen worden, und bat ihn flehentlich, ihn nicht in seiner Blöße zu verlassen, da er kein Hemde zu seiner Bedeckung trug, sondern nur ein kurzes Wams und Brusttuch. Anton machte demnach den Vertrag mit ihm, daß er ihn ohne Schererei bis zur Rückkehr seiner Freunde wolle in seinem Hause wohnen und zehren lassen, dafür wolle er ihm jetzt von der Frau ein Paar andere Hosen holen. Die Frau war verwundert, Anton in ihres Mannes Hosen, die er mächtig aufgeplatzt hatte, hereinschreiten zu sehen, sie leistete ihm in Vorzeigung dieses Hausregimentzeichens, Gehorsam und überlieferte ihm für den Mann ein Paar weite Staatshosen. Anton brachte sie hinauf, er tauschte sie aber noch gegen die alten Küchenhosen, und der Wirt empfing wieder seine Gäste, wie sie ihn immer zu sehen gewohnt waren. Eine Not war nun abgemacht, aber eine zweite war ihm dadurch erwachsen. Die Wirtin hatte solche Hausverehrung gegen ihn durch seine neue Tracht gewonnen, daß sie ihn erst mit allen guten Brühen, Markknochen, fetten Brustknochen überlief, die er nicht verschmähte, bis sie sich ihm selbst auftrug, die er nicht anrühren mochte. Der Mann durfte zu dem allen nichts sagen, er war des Gehorsams gewohnt und hatte genug im Hause zu tun; aber der Frau war nichts recht, was Anton im Hause beginnen mochte, es sei denn, daß er sich zu ihr setzte ans Fenster, wo sie Mohrrüben schabte, und ihr gute Worte vorsagte.

[923] Die Frau verlor aus Liebe zu ihm alle gesunde Vernunft; sie kam in den abenteuerlichsten Trachten, halb entblößt angezogen, mit einem Fächer von Pfauenfedern, die Röcke schnitt sie ganz kurz und schwenkte trefflich damit im Gehen; Anton sah mit Verwunderung ihr zu, er konnte sein Unglück nicht begreifen, daß er allen Weibern so zu Herzen gehe, ohne daß er es wolle. Der Frau war aber mit solchen Betrachtungen nicht gedient.

Antons Wunden besserten sich wirklich sehr schnell in der Ruhe deren er sich hier erfreute, wenn nicht seine Sehnsucht nach Frau und Kindern, nach dem Vater und nach Susannen ihn ewig im Hause umhergetrieben hätten, denn hinaus ließen ihn weder der Wirt noch die Wirtin.

Eines Mittags kam ein gelehrter Mann mit einem Diener angeritten, er trug ein rotsamtenes Barett auf dem Haupte und einer grünen Mantel; sein Gesicht war sehr groß, bleich und abgezehrt sein Auge wild, auf seinem Degenknopfe standen geheime Zeichen Kaum war er abgestiegen, so forderte er vom besten Wein, sagte aber, daß er ihm nicht schmecke; als die Wirtin dies übel vermerkte, sagte er, daß er den Wein bald reif machen wolle, goß aus einer kleinen Phiole einen gelben Tropfen hinein und kostete ihr dann. Hierauf gab er ihn am Tische herum, und jedermann erkannte in dem Neckarwein einen spanischen Sekt. »Das ist Kleinigkeit« sagte er, »aber Blei in Gold zu verwandeln, das ist etwas wert.« Darauf ließ er sich jedoch nicht weiter ein; er sprach nur zuweilen von allen Hauptstädten der Welt, wenn darauf die Rede kam, mit einer Ausführlichkeit, doch ohne Prahlerei, als wenn er aller Orter zugleich gelebt habe, zeigte einzelne kleine Merkwürdigkeiten, die er daraus mitgebracht, geschnittene Steine, die heidnische Götter darstellten, meist von so schändlicher Art, daß die Wirtin lau lachen mußte und Anton gar herzhaft auf den Fuß trat. Nach Tische kramte er sein Felleisen aus und brachte Spielkarten heraus dabei versicherte er Anton, daß er durchaus Nachmittags etwa spielen müsse, er möge doch ein Solo mit ihm versuchen. Anton sagte ihm ohne Umschweife, er habe jetzt kein Geld, er sei wie ein Fisch im Trocknen; der Fremde versicherte ihm, daß er bloß zum Vergnügen spiele und das Geld nicht so eilig brauche, er wolle bar bezahlen und wenn Anton verlöre, so möge er ihm nur ein Handschrift darüber ausstellen. Anton spielte mit Eifer, weil er [924] nicht gern verlieren mochte; es war ihm zuweilen, als ob Susanna ihm zurufe, er solle aufstehen, doch blieb er sitzen. Abwechselnd ging das Spiel, wie es überhaupt im Schlechten geht, bis das Verderben einen ganz umstrickt, das Blut wallend, die Zeit flüchtig, Gott und die Welt wird vergessen. Anton stampfte mit den Füßen bei jeder Summe, die höher angeschrieben wurde, er biß sich auf die Finger und merkte es nicht; endlich dachte er, es ist doch nur Papier, was du verlierst, und ganz unmöglich zu bezahlen, frisch gewagt ist schon gewonnen. So verlor er über tausend Gulden; hier hielt sein Gegner inne und sagte, er sei heute des Spieles überdrüssig, auch habe Anton allzuviel Unglück an diesem Abend. Anton schwieg und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gegner hatte unterdessen einen Schuldschein mit Bleistift auf ein Blatt Papier geschrieben, den Anton, ohne den Inhalt genauer zu prüfen, unterzeichnete; doch erfuhr er daraus, daß sein Mitspieler sich Doktor Faust nenne. Nachdem das Spiel geendigt, machte Faust Kunststücke mit Karten, die unerhört waren, er zeigte das ganze Spiel Anton und befahl ihm, eine Karte sich zu merken. Er dachte den Eichelbube; nach kurzer Frist zeigte ihm Faust diese Karte. Anton erschrak vor dieser Allwissenheit; nichts, was jener noch vorbringen mochte, schien ihm mehr unmöglich; so zeigte er ihm, wie er sich Messer ohne Verletzung durch die Hand schlug, wie ihm Wasser, das er aus einem mitgebrachten Trichter eben getrunken, wieder aus dem Ellenbogen durch den Trichter herauslief. Anton fand sich durch diesen Wundermenschen so angezogen, daß er seiner Einladung gern folgte und ihn auf sein Zimmer begleitete. Hier empfing ihn Faust besonders zärtlich, er drückte ihm die Hände und fragte zu Antons großer Beschämung, wie er, der so ritterlich aussähe, zu einem Paar seidenen schwarzen Ratsherrnhosen komme. Anton meinte in der Verlegenheit, sie seien kühl und leicht für seine Wunde. Faust wünschte diese Wunde zu sehen und versprach ihm sichere Hülfe, da er seit frühen Jahren aus der Wundarzneikunde sein Hauptgeschäft gemacht habe. Anton zeigte keine Neigung dazu, da ihn die Wunde jetzt nicht schmerzte, vielmehr dachte er mit inniger Sehnsucht an seine Frau und an seine Kinder und fuhr heraus: »Doktor, Ihr könnt so viele Künste, könntet Ihr mir doch meine Frau zeigen, was sie und die Kinder eben tun und denken!«

[925] Faust sah ihn ernsthaft an: »Könnt Ihr schweigen und mir danken, so soll es geschehen, es ist eine schwere Arbeit; geht in das Nebengemach, ich werde hier meine Kunst treiben.«

Anton trat nicht ohne zagen in ein Nebengemach, er hatte ein Buch erstanden, was ihm den Verstand verwirren konnte, er ahnete es, aber die Begierde ließ nicht davon ab. Schon war er im Begriff den Handel aufzusagen, und trat gegen die Tür, als er seine Frau, wie sie leibte und lebte, doch mager und mit verweinten Augen zu sehen glaubte, wie sie vor dem ältesten Sohne Oswald hingestreckt lag, der entseelt und blutig den kleinen Tisch vor ihr einnahm. – Der Jammer überwältigte in diesem Augenblicke allen Schrecken im Herzen Antons, er wollte die geliebte Frau erwecken und sich über sie hinstürzen; indem er sich zu ihr bewegte, geschah ein heftiger Schlag, als flöge eine Mine auf, er sank nieder; als er erwachte, stand Faust neben ihm, der ihm mancherlei Essenzen eingeflößt hatte. Anton fragte verstört: »So ist es doch alles wahr, was ich gesehen?«

»Ihr habt uns alle in große Gefahr gesetzt«, sagte Faust, »durch Euren gewaltsamen Eingriff ins Geisterreich; wohl mag ich staunen, daß Ihr so unverletzt zurückgeschleudert seid.«

Mehr brachte Anton erst weder mit Drohungen, noch mit Bitten aus ihm heraus, als er aber endlich, da es schon spät geworden, so dringend flehte, nur noch einmal die geliebte Frau zu sehen, da sagte ihm Faust, er könne es nur mit großen Kosten, durch die teuersten Kunstmittel erreichen, er solle ihm also bis zu einem gewissen Tage hundert Florien oder seine Seele versprechen. Anton bestimmte den Tag der Rückkehr Susannens und unterschrieb fast blindlings. Mit trauriger, doch gefaßter Seele wartete er jetzt im Nebengemache; endlich fing die Wand an zurückzuwanken, Dämmerlicht blickte durch eine lange Grabeshalle, viele Särge standen in einer Reihe. An dem Sarge seines geliebten Bürgermeisters erkannte er das Grabgewölb der Waiblinger Bürgermeister, er sah es geöffnet, sah wie sich sein graues Haupt schmerzlich umgewendet hatte, sah den Schrank, worin seine Frau ihre erste Ausstattung immer sorgsam hegte zu seinen Füßen, und seine Frau ohnmächtig daneben; doch stärkte ihn Susannens Anblick neben ihr, die mit helleuchtenden weißen Schwanenflügeln ihre Tränen wegzuwischen schien. Er sah wie sie Frau Annen erweckte, [926] in dem Augenblicke schwand die Erscheinung. Erst jetzt, wo Faust mit einem Lichte eintrat, bemerkte er, wie er mit beiden Händen tief in den morschen Stuhl eingegriffen, worauf er sich festgesetzt hatte, um diese Erscheinung in keiner Art zu stören; sein tiefstes Innere war erschüttert, er ahnete tausendfaches Unheil, was er sich nicht zu sagen und zu klagen wußte, vor allem ängstigte ihn das Wunderbare seines Geschicks. Er fragte jetzt auch Faust nach seinem Vater, nach dem Grafen von Stock; jener aber wies ihn höhnisch ab, ob er ihn auch mit solchen alten Lügengeschichten äffen wolle? – Ihn habe auch einmal dieser wahnsinnige Alte im Jagdschlosse am Walde für seinen Sohn erklärt, von Burgen erzählt, die nirgend anzutreffen, von Kronen, die nimmer wieder zu gewinnen; »der Alte sitzt voll Schwindelei, sagt, ist Euch je recht wohl geworden bei ihm?«

Das konnte Anton nicht behaupten, er hatte immer eine Angst bei dem alten Rappolt empfunden, doch hätte er gern die Ehre des Alten verteidigt.

Faust fuhr fort: »Ich sage Euch, ist der Alte kein Schelm, so ist er ein Narr!« –

Bei diesen Worten rief eine ferne Stimme: »Es ist nicht wahr!«

»Wenn du sprichst, muß ich wohl schweigen«, sagte Faust. Anton aber führte eine unsichtbare Hand des Schreckens aus dem Zimmer, vor welchem er den Wirt und die Wirtin in heftigem Streite antraf. »Was willst du hier«, sagte sie, »du hast mich hier belauschen wollen, nicht wahr, du Simpel?«

»Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr«, rief er mit derselben Stimme, die Faust eben so mächtig zum Schweigen gebracht hatte. »Es ist nicht wahr«, hallte es in Antons Seele wider, »alles nicht wahr, die Stimme des Hohnes hat mich erschreckt und die Stimme des Zauberers belogen; Rappolt ist mein Vater, Oswald lebt, meine Frau lebt, und statt aller Särge will ich von der ersten Freudennacht nach der Wiederkehr träumen.« Er versank bald in dem Pfühle, sah sich auf einer freundlichen alten Meierei, die dem Jagdschlosse seines Vaters Rappolt glich. Unter einem hellen Himmel zog ein hellgrüner Kastanienwald in Frühlingsblüte die Berge hinauf, er dachte seiner Tagesarbeit und ging an den hohen Ruinen vorüber, welche den Weg bezeichneten, und auf jedem fand er [927] einige alte Münzen, Henkeltaler, Denkmünzen, die er zu sich steckte und der Frau brachte, die mit ausgebreiteten Armen auf ihn zueilte. Indem er sie an sich drücken wollte, fühlte er sich von einem Paar Armen umschlungen, er meinte seinen Traum wirklich, aber leider hatte sich im Erwachen die schöne Gestalt in die der Wirtin verwandelt. Anton wußte seinen Verdruß nicht anders zu verbergen, als daß er heftig über seine Wunde schrie. Die Wirtin fürchtete ihn bei ihrer Annäherung verletzt zu haben und suchte ihn zu beschwichtigen mit den zärtlichsten Umhalsungen. Da trat Doktor Faust mit einer Nachtlampe herein und schimpfte mit einer Wut, die schwer zu erklären war, auf die Hauswirtin und gebot ihr sich augenblicklich zu entfernen. Die Wirtin verstand keinen Spaß, sie fiel schimpfend den heftigen Doktor mit der Schärfe ihrer Nägel an und verwickelte sich bald so grimmig in seinen Haaren, daß er seinen Diener Mephistopheles zu Hülfe rief. Der Diener trat mit einer Ofengabel herein, setzte die Wirtin mit wunderlicher Geschicklichkeit darauf und führte sie von dannen, worauf der arme Doktor nach seinem Zimmer sich zurückzog, um die Nägelmale auszuwaschen und mit Zündschwamm zu verbinden. Anton konnte nun wieder schlafen, aber sein schöner Traum kam nicht wieder, denn es war ein Traum der Liebe.

Am andern Morgen war jedermann so verstört im Hause, als wäre in der Nacht Feuer gewesen und jeder hätte beim Retten seine Sachen verlegt. Doktor Faust hatte ganz frühzeitig schon den Wirt zu sich gerufen und ihm das schlechte Betragen seiner Frau mitgeteilt; der Wirt konnte sich vor Bosheit kaum fassen, daß seine Frau sich an einen Menschen hänge, der ihn nicht bezahle und seine Hosen auftrage, »Sakrifingerhut«, schrie der kleine Knirps, »sie soll es mir heute bekommen!« Indem er dies gesprochen, trat die Wirtin scheltend herein: »Fauler Esel, will Er hier schwatzen, will Er sich gleich herunterscheren, es ist der Junker Blaubart ganz betrunken angekommen und ich habe heute keine Lust einen Schritt zu tun für die Fremden.« »Gleich, gleich«, sagte der Mann; sie drehte sich um und er schlug leise ein Schnippchen hinter ihr, daß es Faust sehen konnte. In dem großen gewölbten Wirtszimmer wurde bald ein ungemeiner Lärmen, als würde ein Turnierrennen darin gehalten. Der Junker hatte sein Pferd mit hereingezogen, weil er den Stall zu schlecht gefunden hatte. Der kleine Wirt war [928] auf die Fensterbekleidung vor Angst gesprungen, der Junker aber hatte sich auf sein Roß geschwungen und ließ sein Pferd die Schule machen. Die Gasse stand bald voll Menschen, die diesem außerordentlichen Schauspiel zusehen wollten und darüber die blinden Fenster einschlugen; der Junker gefiel sich immer mehr in seiner Pracht, je mehr die Wirtin und der Hausknecht dazu in die Jammerposaune stießen. Anton war erst von diesem Augenblicke herzlich ergötzt, insbesondere als der Junker mit seiner Lanze die Henkelkrüge sehr geschickt herunterturnierte, die in feierlicher Ordnung auf einer Seite des Saales an der Wand gereihet standen; doch als er sie in dieser Kunstübung meist zerschmissen hatte, da tat es Anton leid, wie manchen guten Zug er damit getan, und befahl dem Junker, der Krüge zu schonen. Dem Junker kam dieser Zuspruch sehr ungelegen, er legte die Lanze gegen Anton an, der sie aber sehr geschickt mit der Hand packte und zerbrach. Als der Junker sich noch nicht zufrieden geben wollte, sprang Anton mit großer Gewandtheit unter den Gaul, packte die Vorderbeine zusammen und drängte ihn gegen die Tür, daß der Gaul die Stufen mit ihm herunter in den Torweg stürzte und der Junker vom Bogen der Tür aus dem Sattel gehoben auf dem Kampfplatze einsam zurückblieb. Gleich stürzte die Wirtin auf den Junker, der erst sehr betäubt vom Falle sich nicht wehren konnte, der Hausknecht faßte seine Hände, der Wirt holte einen Strick und so wurde er schnell geknebelt, worauf Anton ihn wie ein grimmiges Wickelkind auf das Rathaus trug, um die ganze Angelegenheit zu den Akten zu legen. Der Aktuarius sah mit Schrecken, wie er den Junker einheften sollte, doch machte er sich unnütze Mühe; ein Vetter des Junkers, der im Rate saß, befreite ihn mit einem derben Verweise und nahm ihn in sein Haus zu einer großen Gastierung. Hier wurde von des Ratsherrn Tochter der ganze Vorfall dem Junker Blaubart, der sie eben heiraten wollte, so hart vorgerückt, daß er sich an dem vierschrötigen Kerl, – so nannte er Anton – ernstlich zu rächen beschloß. Dieser saß eben beim Nachtische, der in einigen Rettichen bestand, und schnitzte in Gedanken Taler, als ihm durch des Junkers Knaben ein Ausforderungsbrief für den morgenden Tag, wo er sich schon der Wirtin, den Schuldnern und dem Teufel verschrieben hatte, abgegeben wurde. Er versprach sich einzufinden und bat den Doktor nachher ihm Waffen [929] zu leihen, der aber durchaus nichts davon wissen wollte, sondern ihn zärtlich küssend an seine Gesundheit und an die Verpflichtungen erinnerte, die er gegen ihn übernommen. Die Not bestürmte jetzt Anton von allen Seiten, von Seger erhielt er keine Nachricht, die Wirtin scherzte schon mit widerlicher Zärtlichkeit von der Nacht, die der nächsten folgen solle; der Wirt sah so spöttisch auf seine Hosen, als ob er selbst schon drin zu stecken hoffe. Faust verfolgte ihn mit abgeschmackter Freundlichkeit und selbst der Knecht Mephistopheles erlaubte sich widrige Scherze gegen ihn, als ob er seine Not durch und durch kenne, er sah kein Mittel, seinen Mut dem Junker zu zeigen und zu bewähren; er saß trübsinnig in einem Winkel des Zimmers, wo er am Morgen triumphiert hatte, und spielte mit den Hunden, die von allen sonst gestoßen und getreten nur an ihm einen Schutz fanden. Faust war mit seinem Diener, zierlich geschmückt, in das Haus des gastierenden Ratsherrn gegangen, wo er sich durch reiche Verlobungsgeschenke den Eintritt verschafft hatte. Anton sah ihn mit der ganzen Gesellschaft nach einem Garten vorüberziehen; zur Zerstreuung wäre er ihnen gern nachgefolgt, der Abend blickte so herrlich über die Dächer, und die Weiber ließen ihre Augen wie Pfauen ihren vieläugigen Schweif herrlich glänzend darin umhergehen – aber die Wirtin hatte sich in die Tür gesetzt, und ihre Zärtlichkeit zu durchdringen war ihm ein schweres Werk, er blieb also ruhig auf seinem Schemel und wartete, daß der Sohn der Wirtin aus der Schule komme und ihm mit Geschwätz die Zeit vertreibe.

Der kleine Georg setzte sich zu ihm und erzählte ihm von allen Gästen, die im Hause wären. Gegen den Doktor hatte er einen besondern Haß, ungeachtet ihm dieser allerlei süße Kuchen geschenkt hatte, er mochte sie nicht essen. Georg erzählte, wie er von seiner alten Wärterin von einem Wolfe gehört habe, der vor einem dunklen Walde in einem weißen Zuckerhäuschen wohne er meinte, der Wolf sehe so aus wie der Doktor, der Wolf habe auch eine Menschenstimme und rufe den Kindern, die hinter der Stadt spielten, alle Tage zu: »Bübchen, willst du Zucker?« Endlich ging der eine kleine Bube und ein kleines Mädchen hin nach dem weißen Hause, wo sie die Stimme gehört hatten, sahen den Zucker so recht sternig blinken und leckten daran und knusperten was ab. Der Wolf lag ruhig drin und sah sie recht gut, fragte aber, als wenn [930] er sie nicht sähe: »Wer nagt an meinem Zuckerhäuschen?« – »Das ist der Wind«, sagten die Kinder, waren etwas still und nagten dann wieder ein Stück ab. – »Wer nagt an meinem schönen Zuckerhäuschen?« fragte der Wolf noch einmal. – »Es tut der Regen«, antworteten die Kinder, waren wieder eine Weile ganz stille, dann aber brachen sie noch ein gut Stück ab, um es den andern Kindern zu bringen. Da fragte der Wolf zum dritten Male: »Wer nagt an meinem wunderschönen Zuckerhäuschen?« – Da wußten die Kinder nicht, was sie antworten sollten, und der Wolf sprang heraus, packte sie mit seinen scharfen Klauen und drohte ihnen zornig: »Wenn ich euch gleich wie ein Huhn in der Suppe zerrisse, das wäre mir leicht, aber ihr seid mir noch nicht fett genug zur Suppe, ihr habt nach Zucker gelüstet, der soll euch werden; da seht, ich sperre euch in meinen Zuckerkasten, und hier aus dem Gitterchen streckt ihr jeder euer klein Fingerchen, daß ich sehe, ob ihr recht zugenommen habt, auf daß ihr mir wohl schmeckt.« – Und da mußten die Kinder in den Kasten, das Bübchen saß beim Zuckerkandis, der glänzte prächtig wie ein großer Edelstein, und das Mädchen saß beim Kanarienzucker, der war so weiß wie Schleier, und sie konnte gleich singen wie ein Kanarienvogel, als sie kaum davon gekostet hatte, und wenn sie genug gegessen, da kamen sie beide zusammen und tanzten vor dem Gitter und sahen heraus, wie die schönen Blumen blühten, und alles bekam ihnen so gut, daß sie schnell gemästet waren. Da kam der Wolf und rief vor dem Gitter: »Bübchen zeig dein Fingerchen, daß ich sehe, ob du fett bist«, und der Bube steckte in der Angst das Stöckchen heraus, worauf der Zuckerkandis gesessen, daß der Wolf mit dem Kopfe schüttelte und sprach: »Eßt nur und seid lustig, daß ihr bald fett werdet.« So ging es zweimal recht gut. Sie hatten den Wolf ganz vergessen; als er nun aber kam und wieder sagte: »Bübchen, zeig dein Fingerchen, daß ich sehe, ob du fett bist.« Da konnte das Mädchen den Stock unter ihrem Zucker nicht finden; da mußte das Bübchen sein Fingerchen herausstrecken und der Wolf lachte: »Bübchen, wie bist du fett geworden, das soll mir schmecken.« Darauf schloß der Wolf den Zuckerkasten auf und führte die beiden zitternden Kinder an den Fluß, ließ sie da stehen und wetzte seine Zähne an einem Kieselsteine, daß die Funken davon flogen. Die beiden Kinder standen ganz blaß am Ufer und sahen viele Enten, [931] die zusammen schwammen, zu denen sang das Bübchen in großer Angst: »Entchen, baut ein Brückchen, daß ich kann hinüber, kriege sonst das Fieber.« Die Enten sprachen: »das soll geschehn« und schwammen dicht zusammen in einer doppelten Reihe verkehrt, daß Steiß gegen Steiß zu schwimmen kam, und die Kinder gingen trocknen Fußes über ihren Rücken hinüber. Kaum sah das der Wolf, so wurde er grimmig und wollte ihnen nach; als er aber mitten auf der Entenbrücke war, da schwammen sie mit großem Geschnatter aus einander und der Wolf fiel plumps ins Wasser, worüber dem kleinen Mädchen vor Lachen der Bauch platzte.

»Den werde ich wohl zunähen müssen«, sagte ein fremder Mann mit aufgestreiften Hemdsärmeln, der in das Zimmer trat. »Herr«, sagte er zu Anton, »das Bad ist fertig, wie mir die Frau befohlen.«

»Wer hat's befohlen?« fragte Anton.

»Mutter hat's befohlen«, sagte Georg. Es ist der Zuckerkasten des Wolfs, worin ich mich noch einen Tag pflegen soll, bis ich fett bin, dachte Anton für sich, was aber geschehen mag, das Bad ist darum nicht zu verschmähen, mag ich auch das Weib verschmähen, mein Haar ist mir fast zu krausig, es liegt mir auch noch genug alt Pflaster von den Wunden auf der Haut.

So folgte er ziemlich heiter dem Bademeister, der ihm in einem engen Zimmerchen den Bart und das Haupthaar abschnitt, ein feines Badehemde anlegte und ihn dann durch einen langen Gang in das große Stadtbad führte, das hochgewölbt, herrlich mit Blumen verziert, von hellfarbigen Lampen dämmernd erhellt, die vornehme Jugend der Stadt in abwechselnden Kreisen umspannte in einem Teich. Rings umher lief ein Gang für die Zuschauer, welche mit Blumenkränzen, die sie herabwarfen, die schönsten Mädchen begrüßten und dafür von ihnen mit Gesang belohnt wurden, sich auch häufig eingefunden hatten, unter denen auch der Ratsherr mit seiner Gesellschaft und Doktor Faust zu bemerken waren. Ein schönes Mädchen, nach deren Saitenschall sich erst mehrere andere im Wasser tanzend umgedreht hatten, wandte sich jetzt zu den Zuschauern; ihr Badekleid hatte sich etwas erhoben und schwamm auf dem Wasser, daß sie in einer Muschel zu schweben schien, sie bat scherzend um eine Gabe bei den Zuschauern und im Augenblicke war sie mit herabgeworfenen Blumenkränzen wie eine Wiese im Frühlinge bedeckt, sie dankte [932] artig und warf dann die Blumenkränze auch den übrigen Frauen zu, dann aber sang sie zu einer Reihe Frauen, die dieses Bad besuchten, um sich des himmlischen Segens der Kinder zu erfreuen, und die in einem Kreise unter frischem Weinlaube saßen, das seinen grünen Schein dem Wasser mitteilte:


In den laulich blauen Wellen
Schwimmt die Hoffnung unsichtbar,
Jedem mag sie sich gesellen,
Und umschließt die ganze Schar,
Doch die Kränze, die da fallen,
Und die Lieder, die da schallen –
Wer sie auch gespendet hat –
Nicht bezahlen sie das Bad.
Nur die gute Hoffnung lohnet
Reichlich aller Herzen Gunst
Und die Hoffnung gerne wohnet
In der Bäder warmem Dunst.
Gar verschieden sind die Gaben
Guter Hoffnung unsichtbar,
Jede möcht ihr Abbild haben
Und sie stellt sich keiner dar.
Jede muß die Freunde denken
Als die Hoffnung unsichtbar,
Eilt nach Haus mit den Geschenken,
Kehrt zurück im nächsten Jahr.

Anton stand bei diesem Anblick wie versteinert in einem Winkel; alles, was er aus heidnischen Dichtern in der Schule von Meernymphen und Bacchanten gelesen hatte, das alles kehrte ihm in diesem reizenden Bade versinnlicht wieder, es war ihm ein Anklang frohen Lebens, den sein Ohr nie vernommen hatte, Unglück, was ihn bedrohte, war aus seinen Gedanken gewichen, als ihm eine mit Luft gefüllte und mit Schellen besetzte Blase plötzlich mit hellem Geklingel auf den Kopf fiel. Es war ein neues Spiel, das auch ihn mit fortriß; die Mädchen hatten eine besondere Geschicklichkeit im Auffangen dieser schelmischen Bälle, ihm ward so leicht in dem Bemühen danach, daß er sich einer der Mitgötter wähnte, als er plötzlich im Durchschreiten des Wassers auf die Wirtin zukam, die jetzt sich unter die Badenden gemischt hatte.

[933] Sie konnte ihm aber seine Lust nicht verderben, vielmehr nahm er den Rosenbusch, den er in seinen Händen trug, und schlug damit lachend auf die Entblößte; seinem Beispiele folgten die andern im Scherze, und die Frau, welche das immer noch für eine Ehre anzunehmen geneigt war, mußte sich doch endlich zurückziehen, weil nach den entblätterten Rosen sehr scharfe Dornen blieben, die ihre Leidenschaft anspornten.

Sie war nicht lange fort, so wurde Anton von dem Bademeister herausgerufen; alle seine neuen Bekannten grüßten ihn zärtlich, er stieg traurig ans Land, auf welchem seine Sorgen ruhten, das Wasser der Vergessenheit wirkte kaum so lange, als er darin geschwommen hatte. Als er in das Wirtszimmer zurückgekommen war, dachte er sich zuerst einen sehr unfreundlichen Willkommen von der mit Rosen gepeitschten Wirtin, sie hatte sich aber die große Aufmerksamkeit, die sie erregte, gänzlich zum Guten ausgelegt und küßte ihn als den Bringer und Geber dieser Ehre. In diesem Augenblicke wünschte sich Anton lieber dem Teufel in die Arme und Faust und Mephistopheles traten herein. Faust hetzte gleich die Wirtin hinaus, nahm Anton bei Seite und sagte ihm, daß er das Geld morgen notwendig brauche, um seine Spielschulden in der Ratsgesellschaft zu bezahlen, seine Ehre sei verloren, wenn er sie nicht am andern Tage abtrage. Anton gab ihm die besten Hoffnungen; morgen ist die Sündflut, dachte er in sich, da ist alles ein Aufwaschen, aß und trank ohne Unruhe und erzählte so viele Historien, daß der Diener des Faust mehrmals hinter dem Stuhl des Herrn zu lachen anfing, ohne den Befehl seines Herrn ihm Wein einschenkte und mit seinen Zusätzen die Gesellschaft erheiterte. Halb selig taumelte Anton zu Bette, er erwachte am Morgen ziemlich spät, dann setzte er sich ans Fenster und sah die Straße nach Waiblingen hinunter. »Herr«, sagte Mephistopheles, der leise zu ihm getreten, »was starren Eure Augen wie ein Wegweiser die eine Straße hinunter? Wolltet Ihr mich nur sorgen lassen, Euch sollte niemand etwas anhaben.«

»Was kannst du mir helfen?« sagte Anton, »der Teufel und ein altes Weib haben mich in ihrem Rachen.«

»Grämt Euch nicht, mein lustiger Herr«, sagte noch einmal Mephistopheles, »ich sehe nach nichts aus, aber ich gebe Euch doch vielleicht noch einen Rat, der Euch angenehm ist, nur wünsche ich, [934] daß Ihr mir aus Gefälligkeit für die Dienste, die ich Euch noch leisten werde, einen Brief an meine Geliebte schreiben wollt, denn seht, ich kann nicht schreiben und bin darum doch nicht weniger verliebt.«

Anton versprach's ihm und der Diener drang auf schnelle Erfüllung; »schreibt alle Perlen, Samt, Edelsteine in den Brief«, sagte der Diener, »daß er nur recht zärtlich wird.« Anton sah den zerbröckelten Kerl an und konnte sich so etwas wie Liebe gar nicht in ihm denken; halb lachte er, dann aber dachte er in sich an Frau Anna und Susanna abwechselnd und so wogte sein Herz in voller Zärtlichkeit, und seine Feder jagte wie der Helmbusch eines frohen Ritters über das Papier.

»Meine Geliebte – die süße Straße, die zu Dir führt – auf die mein Auge Tag und Nacht blickt, wird mit den Augen nicht befahren – meine Seele aber wandelt sie blind und versenkt sich darein und hat keine Rast und kann an keiner Stätte weilen, bis ich sie vollbracht haben werde. – Schaudernd in Lust denke ich aber in die Weite, fern von Dir festgehalten, und bin ein fröhlicher Knecht, wenn ich nur der Fahrt zu Dir gedenke und derer, die darauf wandeln; die beiden, die bei Dir sind gewesen und mit Deinem liebreichen Troste bald zu mir heimkehren, lieben werde ich sie, weil sie Dich gesehen; bald bin ich Dir nahe wie sie, und dann will ich Dich festhalten wie meine Feder, die ich sonst beiße mit meinen Lippen, mein Bart soll Dich wärmen, denn es wird bald Winter, bewahre Dich, Du geliebter Abgrund aller Zärtlichkeit, vor allem Fremden und bleibe rein und bleibe mein.«

Anton fragte, ob es so richtig und wie er unterschreiben solle. »Sie nennt mich kurzweg Anton«, sagte Mephistopheles, und Anton schrieb seinen Namen ruhig unter das Briefchen, das er dem armen Kerl einhändigte.

»Was will der verliebte Racker wieder hier?« erhob sich plötzlich vor der Tür ein Geschrei, »an die Tür will ich dich annageln, wenn du bei deinen Gästen horchen willst.«

Dieses war Fausts Stimme, dagegen gellte ein Strom von Flüchen aus dem Munde der Wirtin, die von seiner Seite mit grimmigen Nasenstübern beantwortet wurden; er schien schlagfertig und sie war wirklich im Unrecht, da sie gehorcht hatte, sie fing nach den Nasenstübern an, ein paar Worte Französisch zu reden, dann sehr [935] vornehm etwas Spanisches, was sie aber nicht endigen konnte, denn der Doktor hatte sie sehr geschickt die Treppe hinuntergleiten lassen, ohne großen Schaden, doch zur großen Beunruhigung ihres Sitzfleisches, indem er sich vorne wie ein Einspänner an ihren Unterrock angespannt hatte. Nach diesem Geschäfte trat er zu Anton herein und erinnerte ihn an sein Geld. Anton antwortete aus dem traurigen Schicksale der Welt, daß es sich gewissermaßen auf Geld reime, zugleich konnte er sich diese Einrichtung nach Gottes Weisheit nicht erklären. Faust lachte hochmütig und sprach: »Da seid Ihr weit zurück, wenn Ihr Gott als den Schöpfer der Welt anbetet, die Welt ist dem viel zu klug, sie hat sich selbst am besten zu machen gewußt; so wie ein paar Nachbarn es bald einsehen, daß es ihnen beiden besser sei, ihre Gärten durch einen Zaun zu trennen, als gemeinschaftlich auf demselben Fleck Landes bauen zu wollen, so merkten auch bald die Erde und das Wasser, wenn sie beide etwas eigen haben wollten, so müßten sie einander gewisse Strecken abtreten; in Hinsicht der übrigen blieben sie zweifelhaft und sind noch bis jetzt streitig, im Menschen haben sie aber beide ihren Anteil, und Erde und Wasser scheidet sich auch in ihm.«

Bei diesen Worten führte sich Mephistopheles so unanständig auf, daß sie das Zimmer verlassen mußten, aber eben dadurch auf die Schöpfung der Luft und des Feuers geführt wurden. Ihr Gespräch setzten sie beim Mittagessen fort, wo diesmal die verliebte Wirtin nicht erschienen war, wogegen der Wirt eine ganz andere Rolle spielte. Bei der mindesten Nachlässigkeit des Hausknechts fuhr er heftig auf, auch mischte er sich sehr weise in alle Gespräche der Gäste. Zu der Weltschöpfung sprach er: »Eine Welt ist immer gegen die andere, wenn die eine lacht, muß die andre weinen, darum sollte man sich über beides nicht sonderliche Gedanken machen, sondern die Tränen laufen lassen und das Lachen nicht verbeißen, denn die Welt bleibt Welt, so lange sie sein wird.«

»Der Herr Wirt versteht sich auf Politik, wie ich sehe«, sprach Faust, indem er sich ernsthaft stellte; »sind derselbe vielleicht im Rate angesessen?«

WIRT: »Ich habe die Ehre, ein Ratsfreier zu sein, der bei wichtiger Gelegenheit zugezogen wird, und da habe ich bemerkt, daß Bileams Esel oft schärfer sieht, als sein Herr.«

[936] FAUST: »Das wird Ihre Familie dem Hofe sehr empfehlen.«

WIRT: »Des Herrn Gunst ist stets die größte Tugend, der Teufel aber ist der beste Hofmann.«

FAUST: »Sagt mir, werter Ratsfreund, wie seid Ihr bei so vieler Klugheit zu der dicken Sau gekommen?«

WIRT: »Sie ist bei mir gefallen.«

FAUST: »Ja heute die Treppe herunter; es hat ihr doch nichts geschadet? Aber seht, das Horchen kann ich von Eurer Frau nicht leiden.«

WIRT: »Von wem sprecht Ihr, mein gelehrter Herr?«

FAUST: »Ich sprach von Eurer Frau; ohne Umstände, sagt mir Freund, wo habt Ihr so viel höllische Courage gewonnen, solch ein Stock Euch aufzuhalsen?«

WIRT: »Weil ich nicht danach frage, wo dieses gebrechliche Schifflein meines Fleisches hinkomme, wenn ich nur diejenige, die darin überfährt, sicher durchbringe.«

FAUST: »Aber gedenk doch auch an die dicke Seele des Dreimasters, dem Ihr als eine kleine Schaluppe angebunden seid.«

WIRT: »Das Nein ist nicht Nein in eines Weibes Mund, so mag auch die meine selig werden; übrigens ist der meisten Weiber Leben nichts anderes, als der Zustand derjenigen, die im Schlafe gehen und reden.«

FAUST: »Ist denn gar nichts Gutes an Eurem Rhinozeros von Frau?«

WIRT: »Ein Weib ist immerdar ein Mittelding zwischen Mann und Teufel, denn beide können sie brauchen und machen sich lustig mit ihnen.«

Die Frau war hereingetreten und fragte den Mann, was er da wieder geschwätzt habe. Er sagte ihr liebreich: »Engelskind, ich sagte eben, daß mancher Esel draußen sucht, der Pferde daheim hat.«

WIRTIN: »Solch töricht Zeug hat er immer im Munde, was sollen dazu die Gäste sagen?«

FAUST: »Eine aufgeweichte Semmel schmeckt nicht sonderlich dazu.«

WIRTIN: »Mit Ihm rede ich gar nicht, denn Er ist grob; wenn du ein Mann wärst, Mann, du gäbst ihm eins an die Ohren, statt mit ihm lange zu reden.«

[937] WIRT: »Wer eins gibt, bekommt zwei wieder, es ist leichter Krieg anfangen, als ausführen.«

WIRTIN: »Du hast recht, Herzensschatz!« Dabei tat sie, als ob sie sich ihm nähern wollte und kniff ihn in ein Ohr, daß der kleine Mann vor Angst tanzte.

Anton hatte dem allen ruhig zugehört, als wenn es ihn weiter nichts angehe, er dachte an den nächsten Tag und da grauste ihm, besonders vor der Wirtin, die ihm heimlich auf den Fuß trat und in den Seiten kitzelte. Nach Tische sehnte er sich nach der Kirche, aber die Wirtin hatte schon wieder die Haustüre besetzt und wickelte Wolle. Er ging auf sein Zimmer und fühlte ein Bedürfnis sich ein frommes Bild in der Zerknirschung seines Herzens zu malen, das seine Versuchung ausdrücken könnte. Er nahm eine Kohle und verzierte erst ein Feld an einer Bogenseite seines Zimmers, worauf die Abendsonne schien; er zeichnete sich selbst verwundet, wie er kleine Steine aus Hunger ißt, zwei Engel, Susanna und Güldenkamm, die vor ihm wandeln; rings umgeben ihn die Wirtin, die ihm einen hohen Becher bietet, der Faust, der ihm die Füße hält, während er vom Teufel gefesselt wird und sich deswegen auch gegen den Junker Blaubart nicht wehren kann, der mit eingelegter Lanze gegen ihn anreitet. Als das Bild so vor ihm stand, fühlte er ein so heftiges Mitleiden mit sich selbst, daß er sicher meinte, es müsse Gott auch zu Herzen gehen. Er warf sich nieder und betete so außer sich, so inbrünstig und gewaltig, daß er einen Rollwagen nicht hörte, der vor dem Wirtshause angefahren war.

Susanna und Güldenkamm, die von einem Kaufherrn mitgenommen waren, traten ins Zimmer, als er noch auf seinen Knieen lag; sie knieten stille neben ihn hin und als er endlich aus seiner Gottesnähe zurückkam in die scheue Ferne und aufwachte und umblickte, da waren seine guten Engel ihm nahe, er umhalste sie und konnte keine Worte finden. Endlich sprach er außer Atem: »Nun, was macht mein Weib? Wie geht's meinen Kindern? Was schreibt meine Frau? Wie hat sie euch aufgenommen?«

»Herr«, sagte Susanna, »betet noch einmal, wie uns Gott gelehrt hat in Not und Trübsal, dann will ich Euch berichten«

Anton betete und wußte nicht, was er betete, seine Freude war ihm in alle Glieder zurückgetreten. »Lebt meine Frau nicht mehr? ist mein Anton tot?« fragte er endlich.

[938] SUSANNA: »Beruhigt Euch darüber, sie leben beide, aber der Oswald ist gestorben.«

ANTON: »Zwei leben für einen, den ich misse, Gott sei gelobt! Der Oswald war nur ein kränkliches Kind. Wie geht's meiner Frau? Hast du ihr meine Not geschildert und meinen guten Willen, wie ich künftig still und fleißig leben will?«

SUSANNA: »Ich habe ihr alles gesagt, aber sie schilt über Euch, sagt, daß Ihr die silbernen Pokale verkauft habt.«

ANTON: »Gott ist mein Zeuge, das hat mich oft gereut, aber meiner grimmen Not wird sie sich darum doch erbarmen, sie hat doch noch Geld und Gut genug für mich und sich, wenn sie das viele Hausgerät verkaufen läßt.«

SUSANNA: »Lieber Herr, ich war dort zur Versteigerung, aber die arme Frau war so verwirrt, so betrübt über den Tod ihres Söhnleins, daß sie mir alles versagte; sie meinte, andre Soldaten brächten von ihren Zügen Geld heim, Ihr aber brauchtet immer mehr Geld dazu, sie könnte Euch nichts schicken als dies Andenken.«

ANTON: »Zeig her, liebe Seele, was ist's? Was, diese rostige Klinge und dieser zerrissene Beutel!«

SUSANNA: »Es mag wohl ein Geheimnis darin sein; sie schwor, daß sie erst, wenn Ihr diesen Beutel gefüllt mit Gold zurückbrächtet, Euch in ihrem Bette wieder aufnehmen wolle, das schwor sie mir und da mußte ich gehen.«

ANTON: »So sei verflucht...«

SUSANNA: »Flucht nicht im Unglück, denn das reuet im Glücke.«

ANTON: »Was bliebe mir, wenn ich nicht fluchen dürfte, fluchen aus ganzer Seele meinem...«

SUSANNA: »Für einen Fluch ist des Menschen Mund zu klein und seine Stimme zu schwach.«

ANTON: »Ich aber kann Steine zermalmen mit meinem Munde und Gläser zersprengen mit meiner Stimme, fluchen will ich, daß die Erde verdorrt, wo sie hintritt, das gottlose Weib, für das ich tausendfach mein Leben gegeben hätte, das verbunden mit mir durch alle heilige Gewalt mich aller Not, allen Teufeln und Hexen überantwortet, gleichgültig höhnisch, vergangener Lust mich erinnert, des Bettes meines Glückes, verflucht sei die Stunde...«

SUSANNA: »Haltet inne, ich halte Euren Mund zu.«

ANTON: »Fort von mir, ich ersticke in meiner Wut, verflucht [939] sei der Tag, die Nacht, der Augen blick, wo ich ihr Bett besteige, und flehte sie Voll mir die Liebe wie ein Almosen, ein Schlag soll meine Glieder lähmen, die sich ihr überlassen, und wie ein glühendes Eisen soll mir ihr Mund auf den Lippen glühen, verflucht sei der Glanz ihrer Brust, daß er Schnee trage statt Liebesfeuer, – ach, wer ist ärger verflucht als ich.«

SUSANNA: »Herr! Wie ist Er so schrecklich, so verwandelt.«

GÜLDENKAMM: »Laß ihn doch austoben, da wird ihm wohl.«

ANTON: »Wohl soll mir werden, das schwör ich! – will leben wie ein Gott, freudig in jeden Genuß wie ein Meer, das nimmer auszutrinken ist. Wie sah das Weib aus?«

SUSANNA: »Schön, aber traurig und blaß.«

ANTON: »Ja so sah sie gewiß aus, schön aber traurig, ich weiß, daß sie schön ist, aber traurig soll sie werden, daß sie alle Spiegel zerschlagen muß, ich will ihr zeigen, wie ich bin, im Glücke wohl zu gängeln, aber das Unglück mag jahrelang mit mir ringen, ich bin glatt wie ein Fisch und will ihm doch entschlüpfen, will aufziehen vor ihr in ritterlicher Pracht und meinem Überflusse soll sie zum Auffangen ihren Schoß ausspannen, mich aber empfängt sie nimmer. Wie ist der Oswald gestorben?«

SUSANNA: »Der Anton hat ihn in kindischem Spiele geschlachtet.«

ANTON: »Das tat wohl der Mutter wehe? der Oswald war immer ihr Liebling; er hätte es nicht tun sollen, aber er versteht's doch schon, seinen Vater zu rächen, – jetzt sehe ich wohl, Faust hat in allem recht gehabt. Ist Oswald in einem Sarge begraben?«

SUSANNA: »Nein Herr, in einem Schrank von Nußbaum, worin die Ausstattung des ersten Mannes bewahrt gewesen.«

ANTON: »Richtig, du wunderlicher Doktor, du hast einen Arm wie die Könige, du kannst weit greifen und die Seelen aus dem Körper wie einen Splitter herausziehen, wie sticht diese Seele, so lange sie in uns, und ist sie von uns, dann schmerzt sie doch; du und dein Teufel, ihr mögt mir vom Leibe bleiben, habe nichts mit euch zu tun. – Nun euch wird dursten nach der Reise, mich auch. Heda Wein, vom besten!« –

So tobte er fort und brachte den Hausknecht an den Haaren gezogen, der ihn zu langsam bediente, schenkte ein und trank selbst wild hinein, jetzt klopfte es und der Wirt trat mit einer Rechnung herein. Anton lachte ihn an, biß in sein Glas, zerkaute [940] das Stück zu weißem Schaum und bespie ihn damit; »wer das verbeißen kann, der schluckt Eure Rechnung noch dazu.« Bei diesen Worten hatte er die ganze Rechnung zerkaut und heruntergeschluckt; dem armen Ratsfreunde verging aller Rat, er zog sich fort und wußte nicht warum.

Der Doktor Faust war der zweite, der seine Rechte bei ihm geltend machen wollte; Anton empfing ihn artig und entließ auf sein Begehren die beiden Gesellschafter. Faust hielt ihm seine Rechnung vor, Anton zeigte ihm seine flache Hand: ob da wohl ein Bart säße. Als Faust darauf ein scharfes Nimmermehr antwortete, so fuhr Anton fort, »eben so wenig wachsen mir hier hundert oder tausend Gulden und Euer Teufel, der ist ein übermäßiger Zinsfuß mit seinem Pferdefuß, ich mag ihn nicht anerkennen.« Faust lächelte dazu und sprach, es sei ja nicht so arg mit dem Teufel gemeint, es wären nur einige Stücke, die er nicht ohne einen Mann ausführen könne, der nackt in seinen Kreis träte und einige unschädliche Zeremonien über sich ergehen ließe, dann sei der Schatz gehoben. Anton dachte einen Augenblick nach, dann sprach er: »So gescheh es gleich, will heute alles abtun und Feierabend machen, geht nur in die dunkle Kammer, zieht Eure Kreise, ich komme entkleidet zu Euch, will Euch so viel Zentner Schätze ausheben, als der Hort der Nibelungen nimmermehr gewogen.« Mit diesen Worten trieb Anton den erhitzten Faust, der die Verschreibung ihm übereilt wieder zustellte, in die dunkle Kammer, denn er hörte schon die nahenden Schritte der Wirtin, die mit dem ersten Dunkel zu ihm bestellt war, er fiel ihr um den Hals in scheinbarer Zärtlichkeit, dann bat er sie, sich zu entkleiden und in die Kammer zu gehen, wohin er durch den Gang kommen wolle, wenn er die Sicherheit der Gänge erst belauscht hätte. Sie schwor ihm zwar, die Vorsicht sei unnütz, sie wisse im Hause ihren Befehlen Nachdruck zu geben. Anton ließ sich nicht abhalten, sondern sprang fort und verschloß die Tür hinter sich. Die Wirtin hatte kaum ihres Schmuckes sich entledigt, so rief schon Faust, der Kreis sei beendigt, sie glaubte Antons Stimme zu hören und schwebte mit offenen Armen in die dunkle Kammer, aber welcher Schrecken dämpfte ihre süßen Erwartungen. Faust entdeckte schnell, er sei getäuscht, und schmetterte sie in einen Winkel; sie schrie nicht, sie brüllte Rache und Verzweiflung und hätte ihn vernichtet, hätte er nicht gleiche Wut [941] ihr entgegengesetzt. Das Geschrei wurde bald so furchtbar, daß Anton ungescheut Mord aus dem Gange auf die Gasse rufen konnte, die Masse Volk drang mit Licht in die verschlossenen durchtobten Zimmer, aber die beiden Streiter, uneingedenk ihrer Blöße benutzten die ersten Strahlen nur allein um sich noch fester zu fassen und zu verbeißen; die Hunde des Hauses wollen ihrer Frau beistehen, aber der Pudel Fausts biß so grimmig um sich, daß sie bald heulend den Kampfplatz verlassen mußten. Der Wirt allein von allen hatte genug kaltes Blut, ein zweckmäßiges Mittel zur Beschwichtigung dieses sonderbaren Religionsdisputs verschiedener Konfessionen, er brachte die Handspritze des Hauses gefüllt in eine richtige Entfernung und ließ auf die Streitenden den Wasserstrahl fallen; das erkältete ihre letzte Wut und sie wendeten sich verschüchtert und verwundet von dem Kampfplatze fort.

Susanna hatte die Zeit schnell benutzt, um den Beutel und den Degen, welchen sie mitgebracht, vor aller Gefahr zu retten, sie zog Anton und Güldenkamm fort und so gingen sie mit der Menge ungestört nach dem Wirtshause zum Anker, wo sich Güldenkamm durch sein Lied von dem Tode des kleinen Oswald bald ein Unterkommen verschaffte, während er Anton und Susannen zu Tränen rührte. Die Abendgäste, die dort ihren Schoppen zu trinken gewohnt waren, kamen jetzt nach einander von dem sonderbaren Vorfalle mit der Wirtin zum Hopfenblatte, der fremde Doktor sei mit entsetzlichen Drohungen gleich fortgeritten, auch sei von dem Augenblicke aller Wein im Keller verdorben, die Wirtin rase und sei auf Befehl des Rats in Verhaft genommen, worüber der Mann sehr vergnügt scheine.

Anton fühlte sich sehr erschöpft von dem Tage, oder vielmehr war ihm das Wachen so überdrüssig, daß er ewig hätte schlafen mögen, er eilte auf einen Heuboden, wo ihm zuerst ein weiches Lager vorkam, und entschlummerte sehr sanft. Es mochte in der Mitte der Nacht sein, da weckte ihn eine Hand, er wachte auf und meinte noch zu träumen, doch hörte er unter sich die Pferde an den Halfterketten sich umlegend bewegen; der Mond schien durch die Luke in das Angesicht einer Gestalt, die ihn bis zum gänzlichen Verstummen verwunderte. Zwei Gestalten, die einander so wenig glichen, wie Anna und Susanna, jene hochgewachsen mit blondem Haar, diese klein und mit dunklen Locken, schienen einander [942] durchdrungen zu haben, um diesen Bund alles Reizenden, was Antons Sinne erregen konnte, zu errichten. Freimütig trat dieses Gemisch seiner Liebe zu ihm und sagte, daß sie auf seinen zärtlichen Brief, den ihr Mephistopheles übermacht habe, weite Wege gegangen sei, sie zeigte ihm dabei den Brief, jetzt sei sie erschöpft und müsse einige Stunden ruhn. Schon krähten die Hähne und die Fledermäuse flatterten pfeifend in die Winkel. Bei diesen Reden sank sie müde in seine Arme; er sah im Mondschein den Brief, den er für Mephistopheles geschrieben, er sah im Mondschein ihrer Reize Fülle, die süße Unwissenheit von Susannens Lippen, den erfahrnen Scherz von Frau Annen, er hielt sich nicht, er wünschte sich, recht bald Frau Annen untreu sein zu können, aber seine Freude war nicht gleich seiner Begierde, denn einer Toten gleich schlummerte sie, er mochte sie nicht berühren. Bald – so hoffte er, werde der Morgen ihm alles für einen törichten Traum erklären, und schlief darüber endlich ein.

Die Knechte holten Heu für die Pferde am frühen Morgen, das erweckte ihn, er sah sich um, halb in der Furcht, daß sein Schlafgesell verraten sein möchte, halb in der Hoffnung, daß er nie und niemals vorhanden gewesen; mit einiger Beruhigung sah er nichts, doch wie er so in das Dunkel des Heues blickte, sah er einen dünnen Schatten, der ihm die Erinnerung jener reizenden Nachtgestalt wieder ganz lebhaft zurückführte, sie erfüllte alle seine Sinne, aber sie erfüllte nicht sein Verlangen und er wendete sich trostlos von ihr und stieg herunter zu Susannen und Güldenkamm, die Abends ihn gesucht und schlafend gefunden hatten; aus ihren Reden schloß er, daß sie eine fremde Gestalt bei ihm gesehen hatten. Güldenkamm scherzte darüber und Susanna sah still vor sich nieder. Mit Umschweifen suchte sich Anton zu unterrichten, was sie gesehen hätten. Er gab vor, daß es ihm in der Nacht vorgekommen als ob sich ein Mensch, wahrscheinlich ein Trunkener, zu ihm aufs Bett gelegt, am Morgen habe er aber niemand gesehen. Güldenkamm meinte, es wäre sonderbar, wer es aber wohl möchte gewesen sein, der ein so schönes Mädchen in solchem Zustande von sich entließe. Anton brach hier ab und fragte, was sie zu ihrem Unterhalte beginnen wollten, denn er sah wieder den wunderlichen Schatten im Dunkel des Zimmers, der ihn von den Gegenwärtigen fort hin zu sich locken wollte, er drehte sich deswegen gewaltsam nach dem Fenster.

[943] Güldenkamm sprach: »Ihr habt in der Not unterwegs eine Kunst erfunden, die ich mit höchster Verwunderung angesehen, Ihr habt so viel Steine heruntergeschluckt, daß ich meine, Ihr müßtet ein Bergwerk im Leibe haben, doch hat es Euch nichts geschadet bei der Ausfuhr, darum dächte ich, Ihr könntet diese Beschaffenheit Eures Leibes als ein silberhaltiges Bergwerk ernstlich benutzen und Euch für Geld damit sehen lassen, auch seid Ihr so riesenhaft stark, wie ich oftmals bemerkte, daß auch dieses Aufsehen erregen wird. Meine Singerei kennt Ihr, ich will Euch verkündigen, Susanna mag recht artig das Geld einfordern; schade, daß wir den Seger nicht bei uns haben, da ließe sich auch zuweilen allerlei tragieren.«

Anton seufzte bei diesem Vorschlage, er dachte mit einem tiefen Ausrufe der Kronenburg und seiner großen Ahnen, und seiner Bestimmung in der Zukunft und seines jetzigen Elends, und er meinte gewiß, wenn er so etwas treibe, müsse es jenem Alten im Grabe bittern Schmerz machen, aber wieder sah er den zärtlichen Schatten im Dunkel des Zimmers und freute sich durch diese Beschäftigung den wunderlichen Gedanken entrissen zu werden. »Gut«, sprach er, »der Vorschlag mag gelten, ich will Steine fressen, daß sich die Steine erbarmen, mach's nur schnell bekannt, doch muß ich dir sagen, wir dreie sind noch zu vornehm zu solchem Unternehmen; wir müßten den Seger haben, der gäbe erst dem Dinge einen gemeinen Beigeschmack, daß es allen gefiele.«

»Da ist der Seger«, rief dessen bekannte Stimme, die seinem haarigen Körper voreilte, »was soll er wieder? er ist doch zu allem gut und keiner dankt ihm, da habt Ihr Fasanen und Rebhühner, heut soll es ein Fressen geben.«

»Steine werd ich fressen sollen«, sagte Anton traurig.

»Meinetwegen auch Haare und Karbatschenstiele«, sagte Seger, »jetzt aber laßt uns zusehen, es wird auf dem Markte ein großer öffentlicher Zweikampf gehalten werden!«

»Da müssen wir gleich hin«, sagte Güldenkamm, »wer will fechten?«

»Der Ritter Blaubart«, sagte Seger, »mit einem unbekannten Ritter, der ihn in unserm alten Wirtshause gebunden hat.«

»Das bin ich«, rief Anton, »bei allen Heiligen, den Lumpenkerl hatte ich ganz vergessen. Schnell gebt mir Waffen, verflucht daß [944] wir unsre guten Degen im Walde weggeworfen, die Meisen pfeifen jetzt darauf, und mir will der Tod dafür auf seinen alten Knochen flöten. Her da, gebt her das alte Schwert, das mein schändliches Weib mir spöttlich zugesendet hat, es ist wohl unansehnlich, es mag aber geheime Kraft führen.«

Vergebens suchten ihn Güldenkamm und Susanna abzuraten und zurückzuhalten; Seger trieb ihn mit kaltem Spotte in die Schanze. Die Tore waren schon geschlossen, der Markt mit Sand bestreut und die Schranken, die von alter Zeit her standen, mit Grießwärteln besetzt; an einer Seite stand eine Totenbahre mit Kerzen und Bahrtüchern. Der Junker stand mit seinen Freunden an einer Seite und ließ ausrufen, daß dem Fremden, der ihn beleidigt habe, vom Rate ein freier öffentlicher Kampf, mit welcher Art gleicher Waffen es sei, zugesagt worden, es sollten sich deswegen alle Weiber und Knaben unter dreizehn Jahren entfernen; bei Lebensstrafe solle aber niemand durch Wink und Zuruf sich in den Kampf mischen. Ritter Blaubart hatte diese ganze Festlichkeit seiner Braut zu Ehren durch den Schwiegervater anrichten lassen, der gegen die Meinung der andern Ratsherren das alte Recht der Stadt, solche Kämpfe und Gottesgerichte, das seit einem Jahrhundert nicht in Ausübung gebracht worden war, geltend machte, der festen Überzeugung, daß sich niemand einfinden werde und daß diese schnöde Flucht des Gegners, den er mit Faust verwechselt hatte, der fortgeritten, seines Eidams Ehre in der Stadt herstellen werde.

Die erste Viertelstunde war schon verlaufen und der Herold wollte eben zum dritten Male ausrufen, als Anton mit seinem alten Degen in seinem Soldatenwams und Ratsherrenhosen in Begleitung des rauhen Seger, des feinen Güldenkamm und seines schönen Knaben in die Schranken trat. Der Junker lachte verächtlich über den wunderlichen Aufzug, doch bebte ihm heimlich das Herz. Der riesenhafte sichere Mensch stand da so fest, als ob er wie die steinerne Rolandssäule zum ersten Gericht hingepflanzt sei. Der Junker wollte erst seine Ahnen wissen, worauf Seger beschwor, es sei ein ehelicher Sohn des Grafen von Stock, dann verlangte der Junker, daß er in gleichen Waffen wie er mit Brustharnisch und Schienen sich darstellen solle.

Anton sprach: »Schmeißt Eure Rüstung ab, so sind wir gleich [945] gewaffnet, hab ich gleich nur einen alten rostigen Bratspieß, glaube ich doch gegen Eure Strahlenklinge zu bestehen.« Dem Anton war ungemein behaglich; wenn er den Degen ansah, dachte er an seine Frau und es war ihm, als könne er sein ganzes Gift gegen sie damit auslassen, er lag ihm so leicht in der Hand wie sein Pinsel und er wollte sein Bild heute rot anlegen. Der Junker hatte ihm noch mancherlei gesagt, aber er hörte nicht darauf, sondern versuchte für sich die Klinge; der Anhang des Junkers wurde selbst ungeduldig, was daraus werden sollte, und ermahnten ihn dringend, so viele Umstände und Kosten nicht umsonst angewendet zu haben. Seger besonders erhitzte das junge Gemüt dieses Helden, indem er sanft von einem Hundejungen etwas fallen ließ, der Männer herauszufordern wage. Der Junker warf endlich mit einem Fluche seine Rüstung weg und um sich aus dem Froste in die Hitze zu bringen, ließ er einen Strom von Schimpfreden gegen den Stocknarren los, so nannte er den Grafen von Stock, der es wage, sich mit ihm zu messen; er schwor, die Leute sollten etwas sehen, daß sie die Augen wegdrehen möchten und doch nicht könnten, und schwor, so gewiß ein Teufel in der Hölle, so gewiß wolle er auf dem Flecke in Antons Jacke, sie war am Herzen, ein Loch stoßen, das kein Mensch zustopfen solle.

Die Trompeter stopften ihm den Mund, er ging auf Anton mit großer Heftigkeit, die aber nach den ersten Wendungen und Stößen immer mehr abnahm. Anton begriff sich selbst nicht, er war kaltblütig und führte seinen Degen fast bloß verteidigend aber der Degen zog seine Hand zu den ungeheuersten Stößen fort Stöße von so seltener Geschicklichkeit, wie er sie in der Zeit bester Übung nicht ausführen konnte, auch ließ er sich nicht hemmen und halten. »Gott sei mir und dir gnädig«, rief er einmal über das andere, wie Unglückliche, die von scheuen Pferden dicht an einem Abgrunde fortgerissen werden, und zwar bisher ihren Weg schneller gemacht haben als sie es erwartet, aber darum doch diese Art der Beschleunigung in keinem Fall loben mögen. »Gott sei mir und dir gnädig«, sagte Anton wieder, da steckte seine Klinge, die den Koller des Junkers schon mehrmals gefärbt hatte, in dessen Herzen, daß er niederstürzte und mit dem letzten Worte jammernd bekannte, er sei schuld an diesem unseligen Streite gewesen. Die Seinen sprangen zu seiner Hülfe herbei. »Ade Gertraud, süße [946] Braut, ade mein geliebtes Rotroß, ade mein Leibhund Waidewund, das ist meine letzte Stund.« Mit diesen Worten verschied er und Anton stand neben seiner Tat wie ein Kind, das mit ängstlicher Neugierde ein schauerliches Märchen hört, es wünscht es bald zu Ende und darum horcht es desto aufmerksamer. Aber nicht lange dauerte seine Unempfindlichkeit. Ein schönes adliges Fräulein, prachtvoll rot gekleidet, ihr Hals mit goldnen Ketten behangen, in ihren Haaren eine hohe mit Karniolen besetzte Heftnadel, stürzte sich durch die Menge der Staunenden auf den Entseelten; ihr Jammergeschrei mischte sich mit dem Gurren der Tauben, die sich eben auf einem hohen Rathausturme niedergelassen hatten. »Rächen will ich dich«, seufzte sie, »rächen soll ich dich« – zog die Nadel aus ihren Haaren, daß die Locken wie die Tränen bis zur Erde herunter fielen, und warf sich mit Wut gegen Anton, der sich von dem Jammer weggewendet hatte, aber Güldenkamm hatte mit seiner Zither so schnell zwischen beide gehauen, daß die Nadel in einem klirrenden Zusammenklang durch die Saiten fuhr und im Holze stecken blieb.

»Auch deine Adern sind verzaubert und klingen wie Erz«, rief sie in Verzweiflung, »aber leben will ich nicht, wenn ich den Geliebten nicht räche, will mich allen Fürsten zu Füßen werfen, daß sie mich rächen, dem will ich mich verloben, der mich rächt, den will ich lieben, der mich rächt, dem bin ich ewig eigen, der mich zu rächen sein Schwert in diesen verruchten Zauberer stößt.« Aber keinen der vielen Ritter schien die Liebe, die er nach dem Tode genießen sollte, zu einem Kampfe mit Anton zu reizen; ein jeder flüsterte seinem Nachbar einen andern Grund zu, warum er in diesem Augenblicke mit dem Riesen nicht kämpfen möchte, die meisten aus Mißtrauen, daß so ein Versprechen aus Not nicht gehalten werden dürfte. Als keiner für sie streiten wollte, warf sie sich wieder bei dem Toten nieder. »Hier will ich sterben, an deiner Seite ruhen bis ich am jüngsten Tage Rache schreien kann.« Güldenkamm hatte jetzt die Nadel aus seiner Zither gezogen und sang zur Trauernden hingeneigt:


Mit dem Dolch reg ich die Saiten,
Daß sie in den Sonnenstrahlen
Flammen von der Liebe Qualen,
Tönen von dem harten Streiten,
[947]
Rächend seiner Jugend Glanz,
Decken mit dem Lorbeerkranz.
Leben nehmet an für Leben,
Der gefallen unterm Schwerte,
Soll sich in dem Lied erheben
Und bestehn auf weiter Erde.
Wie auf einem Demantschild
Trag ich hoch sein herrlich Bild.
Ehre diesem tapfern Knaben,
Der dem Mächtigsten entgegen
Schwang den hellen Ritterdegen,
Denn sein Ruhm wird nicht begraben,
Der Geliebten Klagelied
Rächt durch Ruhm, der nicht verblüht.
Held, du lebst in ihrem Herzen,
Strahlst aus ihren Augen mächtig,
Und es zieht die Nacht so prächtig
Nun herauf zu ihren Schmerzen,
Deines Ruhmes ew'ge Glut
Brennt in ihrer Adern Blut.

Der junge Ritter war jetzt auf die Bahre gehoben und wurde von den Grießwärteln fortgetragen, ihm nach ging Gertraud, von andern Frauen gehalten, dann folgte der trauernde Ratsherr, ihr Vater, dessen stolze Eitelkeit dieses Unglück zugelassen hatte; hart sah er in die Welt und die andern Ratsherren in Besorgnis bedenklicher Folgen, die dieser Vorfall für sie und für die Stadt haben könne, hatten sich von ihm abgewendet, die Bürger folgten paarweis. So gingen sie bei Anton vorüber, der sich nicht verdammen konnte und doch fühlte, daß er zu allem Unglück verdammt sei.

Als der Markt leer geworden, zog ein Sturmregen herauf, der das Blut auszulöschen von raschem Winde hinübergetrieben wurde. Anton trat unter den Bogengang des Rathauses mit seinen Gesellen, und wie er gegen das Dunkel sah, erschien ihm wieder die zärtliche Gestalt, die aber jetzt auch von dem unglücklichen Fräulein Gertraud eine Beimischung zeigte. Er stach mit Wut gegen die Mauer, wo er dieses Bild gesehen, aber es wich ihm so geschwind aus und zeigte sich wieder so freundlich in einer andern [948] Ecke, daß er hätte verzweifeln mögen, seine Begleiter glaubten, er habe den Verstand verloren; die Gerichtsdiener hingegen, die schon wegen des Kampfes eine Gelegenheit suchten, an ihn zu kommen, nahmen dies für einen Angriff gegen den Rat und die Stadt, er weigerte sich nicht; als sie ihn fangen wollten, gab er seinen Degen an Susanna, die vergebens flehte mit ihm zusammen eingesperrt zu werden. Er wurde in einen Turm am Markte gebracht, sein Fenster hatte die Aussicht auf den Kampfplatz, seine Freunde konnten an den Gittern mit ihm reden und fragten ihn, ob er etwas bedürfe. »Ihr habt ja nichts mir zu geben, könntet Ihr Steine in Brot verwandeln wie ich, da könntet Ihr noch zufrieden sein«, so sprach Anton, und Güldenkamm schwor ihm, daß er für ihn noch heute etwas verdienen wolle, und so ging er beratschlagend mit Seger und Susannen ins Wirtshaus zurück.

Dort fanden sich ein paar aufgeweckte Bettelmönche, die sich mit Seger sogleich in ein lustiges Gespräch einließen, der ihnen den Vorschlag auseinandersetzte, für einen Freund, der in den Narrenturm gesetzt sei, einen lustigen Schwank aufzuführen; die beiden Mönche schlugen aus Vergnügen mit den Händen zwischen den Füßen zusammen und hoben sich während des Vortrags auf den Zehen, als ob sie überfallen wollten. Seger ging gleich umher und schrie in der Stadt das schöne Schauspiel von dem Kriege auf der Wartburg aus. Die Tische waren unterdes schon an einander gerückt und die Anzüge zusammengelumpt; ein sehr gemischtes Völkchen füllte bald den großen Wirtssaal. Fräulein Helena von Eschilbach, von Susannen in den Kleidern der Wirtin, die sie über die eignen gezogen, dargestellt, erschien zuerst und betrauerte, daß die Ungeschliffenheit ihres Bruders alle Menschen von ihr zurückschrecke, sie sprach sehr zärtlich von ihrem vielgeliebten Heinrich von Ofterdingen und erzählte, daß er jetzt zu ihr komme, die Bekanntschaft mit dem rauhen Bruder zu machen. Güldenkamm kam nun als Heinrich von Ofterdingen mit seinen zärtlichsten Liedern aufgetreten, so daß Helena ihm ihre Hand fest verlobte. Diesen schönen Augenblick störte die Ankunft Segers als Wolfram von Eschilbach, er brach sogleich in erstaunliche Schimpfreden gegen die Gesangsweisen Heinrichs aus, worüber dieser sehr entrüstet ihn zum Kampfe forderte. Der Landgraf von Thüringen, einer der Bettelmönche, der auf diesen Lärmen aus [949] seiner Regierungsstube heraustrat, erkundigte sich nach der Ursache des Streites und als er vernommen, daß die beiden Edelleute mit einander kämpfen wollen, so hatte er Mitleid mit der zierlichen Schwäche Heinrichs, über den der ungeschliffene Wolfram kopfhoch hinausragte, und befahl ihnen, sie sollten den Streit mit den Waffen ausmachen, die ihnen besser als die kriegerischen anständen, mit der Geschicklichkeit ihrer Rede, sie sollten Helenas Schönheit preisen, und wer besiegt werde, solle gehangen werden. Beide nahmen den Vorschlag an; der Landgraf hoffte, daß Wolfram, den er haßte, unterliegen müsse, da jener in dessen Schwester verliebt sei. Der große Kampf wurde angeordnet, Helena saß auf einem hohen Sessel, daß beide sie sehen konnten, aber Heinrich wurde von ihrem Anblick so wonniglich durchdrungen, daß ihm die Worte wie eine überreife Saat früher entfielen, ehe der Saitenklang sie ernten konnte; wenn er nicht singen sollte, sang er leise zu ihr sein feuriges Lob, sollte er aber vor allen auftreten, da verstummte er. Wolfram und alle Kampfrichter verdammten ihn deshalb zum Galgen, ehe sie ihn aber ergreifen konnten, hatte er sich unter den Mantel Helenas geflüchtet und der Landgraf erkannte ihn als sicher in diesem heiligen jungfräulichen Schutze. Heinrich unterhandelte nun hinter der Schürze seiner Helena mit dem Gegner, er wolle seinen Freund Klingsohr für sich stellen; wenn auch der überwunden würde, wolle er sterben. Wolfram nahm spottend den Kampf an und der andre Mönch, ein lächerlicher runder Kerl mit doppeltem Kinn trat mit einem Gesange auf, den er in der Dreiteufelweise gesetzt hatte und worin er Wolfram aufforderte fortzufahren. Wolfram fand diese Forderung unchristlich, er wolle nur in christlicher Weise singen, und da jener nicht abstehen wollte, so rühmten sie sich beide des Sieges und Klingsohr drohte jenem beim Abschiede, er wolle ihm in der Nacht so viele Teufel zusenden, daß er ihm doch den Sieg einräumen müsse. Deswegen ging Wolfram in die Kirche und hinderte also die Trauung Heinrichs mit Helena, die für die Nacht festgesetzt war; inzwischen gab ihnen der Klingsohr, der Heinrichs Bedienter war, einen geschickten Anschlag, durch allerlei Schrecken den Wolfram in der Kirche also zu betörkeln, daß er von dem Trauaktus gar nichts bemerkte und doch nicht leugnen könnte, als Zeuge gegenwärtig gewesen zu sein.

[950] Es ward nun dunkler und das Theater sollte eine Kirche darstellen, Wolfram schlief und Klingsohr kam und gab ihm einen derben Schlag auf den Hintern, gleich fing jener an die Schwanenweise zu singen, aber sowie er sich umzudrehen wagte, wurde er auf alle Art von Klingsohr mißhandelt, während Heinrich und Helena nicht fern von ihm getraut wurden. Beide kamen jetzt und umarmten den Bruder und Schwager, der in großer Angst, daß sie der Teufel wären, vor ihnen in alle Winkel flüchtete. Nachdem Wolfram also abgeängstigt worden zum großen Vergnügen des stinkenden Volkes, da erklärte der weise Landgraf die ganze Geschichte und Wolfram konnte gegen die Heirat nichts einwenden, da alle, die zu widersprechen das Recht hätten, bei der Trauung aufgerufen worden, er aber gegenwärtig gewesen war und geschwiegen hatte, alles endigte sich in einen Tanz, ans Hängen wurde nicht weiter gedacht. Wolfram Seger ließ zum Brautkranz künstliche Blumen aus dem Tisch wachsen, die Helena Susanna mit Freundlichkeit annahm. Nach dem Ende des Stückes mußte Helena Susanna in ihren weiblichen Kleidern herumgehen, um die freiwilligen Gaben der Zuschauer einzusammeln; da sie in weiblicher Kleidung, ungeachtet ihres verbrannten Gesichtes, doch eigentümlich schön erschien, so gab jeder eine Kleinigkeit, die sie sehr verschämt in dem ledernen Beutel empfing, den Frau Anna ihr verehrt hatte, das Loch darin hatte sie vorher sorgsam zugebunden, daß ihrem verehrten Herrn nichts verloren gehe. Kaum hatte sie den Umgang mit ihrem Beutel gemacht, so schlich sie sich, ohne den Mitschauspielern etwas zu sagen in ein Nebengemach, warf die weiblichen Kleider ab und sprang hin zu dem Turme, worin Anton lag, und blickte durch das Gitter zu ihm hin, ehe sie ihm aus Rührung das Mitgebrachte reichen konnte. Nur nach vielen Bitten hatte Anton eine Lampe erhalten, nachdem ihn das zärtliche Gespenst im Dunkel wohl zwei Stunden mit zärtlichen Liebesworten versucht hatte; jetzt saß er bei einem groben Brote und einem Kruge Wasser und sang, indem er Susannen, die am Fenster stand, wieder für das Gespenst hielt:


Zärtliche Gespenster,
Weicht von meinem Fenster,
Liebe mag nicht hausen
In der Erde Grausen,
[951]
Treue mag nicht dauern
In den kalten Mauern.
Mich schmerzt der süße Blumenduft,
Der lieblich atmet in die Gruft,
Was soll mir flücht'ge Frühlingsgabe?
Ich lieg versteinert in dem Grabe.
Der Wächter rief die neunte Stunde vor dem Fenster ab und sang:
Wie trat ich, Herr, so oft vermessen
Vor dein allgütig Angesicht,
Ich hab dich Herr so oft vergessen,
Doch du vergaßest meiner nicht,
Du ließest deine Sonne scheinen,
Als schwarze Blindheit mich bedeckt,
Nun ich will reuig vor dir weinen,
Hast du die Sterne angesteckt,
Du stellst die Wächter meines Lebens
Auf deiner hohen Zinne aus,
Kein Flehen ist bei dir vergebens,
Bewachest auch mein kleines Haus.
Ich ziehe aus mit meinem Horne,
Bewache diese Christenstadt,
O Herr, du strafst mich nicht im Zorne,
Läßt mich nicht werden müd und matt.
Will dir im Schlaf mein Aug erschließen
Du hast die Furcht mir zugesellt,
Der Wächter muß so vieles wissen,
Die Nacht ist eine eigne Welt.

Susanna stand zwischen den beiden Schreckenstimmen noch voll von dem Tumulte des Schauspiels und wußte nicht, was sie tun sollte, der Blumenstrauß und das Geld schienen ihr eine jämmerliche Gabe für die Größe der Zeit, die vor ihr auftrat, sie riß unwillkürlich den Beutel auf, wo sie ihn zugebunden, und das Geld fiel klingelnd in das dunkle Gefängnis, der Wächter rief sie an und sie mußte sich von dem Fenster fortflüchten.

Anton sah das Geld am Boden und war gleich aufgesprungen, um den unbekannten Geber zu entdecken, er trat ans Fenster, wo ihm der Wächter eine ernste gute Nacht bot und weiter nichts sagen konnte, als daß jemand am Fenster gestanden und rasch [952] davon gelaufen sei. Jetzt las er das Geld auf und erkannte alles für echte Goldgulden, es war eine Summe, wie er sie in glücklichen Zeiten nicht besessen, was sollte er jetzt damit in unglücklicher Zeit? Berauschen wollte er sich vor den Nachgedanken, die auf ihn eindrängten, er hatte noch nie über sich selbst nachgedacht wie heute, und sein Wesen, was es sei und wie es mit den andern sich verhalte, wenn er im Kerker durch die Rache des Ratsherrn untergehe, ob ihm die Versprechungen der Mönche im ewigen Leben gehalten würden, das war ihm sonderbar umhergegangen und er hätte es vergessen mögen.

»Wach auf«, rief er dem Gerichtsdiener, »ich will Wein haben!« – »Hat Er Geld?« – »Ja, alles mit Gott!« – Und so brachte ihm der schwarze Gerichtsdiener für einen der Goldgulden mehr Wein, als er vertrinken machte. Er setzte die Flaschen in eine Reihe neben sein Strohlager und leerte in hastiger Eile ein paar, da ward ihm das Öde und Zweifelhafte in seinem Leben bald verbunden, er glaubte sich ein Strudel, der alle Schiffe an sich gezogen und verderbt, er selbst mußte sich drehen, ob er gleich lieber in einer schönen Fläche geruht hätte. »Es ist ein eigner Zauber an mir«, dachte er, »es macht sich alles von selbst, und wird alles anders als ich meine, bin ich etwa der Zauberer, der seine Kräfte nicht kennt? Jetzt will ich sie versuchen.« Scheu wendete er sich nach dem Dunkel und erblickte die zärtliche Gestalt in großer Nähe, sie sprach auch zu ihm, als er sein Auge nicht abwendete: »Zauberer, warum ziehst du mich aus meiner Seligkeit und stößt mit Degen und Blicken gegen mich und verachtest mich? Deiner Macht muß ich gehorchen, aber du gebietest mir nicht und mein Dasein wird ein ewiges Warten.« – »Bringe dich selbst um«, rief er wild, »opfere dich mir, daß ich deiner Dienste froh werde, indem ich dich verliere.« Die zärtliche Gestalt wendete sich um und sprach: »Ich bringe mich um alles, wenn ich dich nicht mehr sehe.« – »Vernichte dich«, rief Anton, »hänge dich.« – Mit einem Sprunge hing sie an seinem Halse: »Hängen will ich mich an dich, vernichten will ich mich in lauter Zärtlichkeit.«

Er hatte sich nur hart gestellt, sein Herz klopfte, seine Wangen brannten, sie aber schlief in seinen Armen ein und mitten im Taumel seiner Wünsche, denen er nicht mehr gebot, die er nicht zu hemmen wünschte, machte ihn der Anblick ihres müden [953] sinkenden Auges so schlaftrunken, daß er eingeschlafen war, ehe er es ahnte. Durch eine wilde Verwirrung von Schrecknissen aller Art wandelte er träumend und kam zu einem sicheren behaglichen Leben auf hohem Schlosse, er hieß der große Zauberer, aber er mochte nicht mehr zaubern. Nun kommen viele Gäste bei ihm zusammen, darunter auch alle, mit denen er in diesen Tagen zusammen gewirtschaftet, er sah Seger und den Junker Blaubart unter andern neben sich und jener bat ihn, an diesem seine alte Kunst zu beweisen, Köpfe abzubauen und wieder anzusetzen. Ihm ist bei dieser Rede, als ob er die Kunst wirklich verstehe, aber, so wie einen gefährlichen Sprung, der doch einmal mißraten könnte, gänzlich abgeschworen hätte, aber alle dringen in ihn, er möchte es nur einmal noch versuchen. Sicher seiner Sache, aber doch ängstlich, weil es das letzte Mal ist, wo er sich damit zeigen will, haut er den Kopf mit eben dem Degen ab, den ihm Frau Anna gesendet hat, er wirft ihn spielend in die Luft und setzt ihn dann wieder auf, aber die Muskeln wollen einander nicht anpassen und der Kopf sieht ihn starr an. Gleich merkt er, daß einer der Gäste ihn daran behindert, er bittet flehentlich ihn nicht zu stören, versucht wieder das Aufsetzen jenes Kopfes, aber es ist durchaus, als wäre ein Stück verloren, es fügt sich nicht zusammen. Er warnt und droht dreimal, der Kopf fügt sich nicht zusammen. Da bricht ihm der Verstand auf, er zieht aus einem Fenstergitter eine weiße Lilie auf, der hieb er die Blume ab, im Augenblicke stürzte Seger neben ihm tot nieder, aber der abgehauene Kopf fügte sich von selbst dem Rumpfe, der Junker stand frisch vor ihm und schmähete auf Seger als auf einen verruchten Zauberer, der ihm nach dem Leben getrachtet habe. Darauf folgten Hochzeiten und hohe Freuden, es lagen aber viele erschlagene Bauern unter den Tischen.

Seger hatte während dieser Nacht, wo Anton also träumte, wenig Ruhe gehabt, er war bald zu Güldenkamm, bald zu Susannen gekommen und hatte ihnen unter grimmigen Klagen versichert, daß ihm am nächsten Tage der Tod bevorstehe, sie möchten doch für ihn beten, vielleicht könnte es ihm noch helfen, er wolle selbst sein Geld zum Messelesen tragen. Der Wirt, den er deswegen weckte, versicherte ihm aber, daß seit der Bilderstürmung keine Messe mehr in der Stadt gelesen werde, Seger schlug sich vor den Kopf und hatte im Zimmer keine Ruhe, er lief durch [954] die Gassen in grimmiger Angst und schrie ein so entsetzliches Wehe, Wehe, Wehe durch die Stadt, daß viele ehrliche Bürger, die davon erwachten, heftig erschreckt wurden, doch schrie er so fort bis an den Morgen, wo ihn die Scharwache nach langem Kampfe festhielt. Er wurde auf den Platz geführt, wo gestern das ritterliche Gefecht gehalten worden war, und stand auf dem Flecke, wo das Blut vergossen, da klagte er grimmig über Brand, aber die Wächter ließen ihn nicht von der Stelle. Anton erwachte von seinem Geschrei, halb taumelnd noch von seinem Traum sprang er ans Fenster, nach der Ursach umzuschaun, da liegen die Blumen, die Susanna am Abend hatte fallen lassen, und eine Lilie legt sich an das Gitter, als ob sie daraus erwachsen wäre. Anton, halb noch im Traume, vor sich den Platz überschauend, wo er gestern den Junker niedergestreckt hatte, reißt ohne Nachgedanken, bloß in Erinnerung seines Traumes das Haupt der Lilie ab, ein grimmiger Schrei erhebt sich jetzt auf dem Platze, die Wachen laufen auseinander, so schrecklich hat Seger sie angeblickt, jetzt liegt er bleich an dem Boden und scheint entseelt.

Anton wendet sich fort vom Fenster und sieht im Dunkel die zärtliche Gestalt, seine Gedanken laufen zusammen, die Angst ergreift ihn, mit einem Drucke seiner Hand reißt er die eisernen Stäbe seines Fensters aus der Mauer und steht in einem Schwunge frei vor dem Turme. Keiner bemerkt ihn, denn eben geht ein größeres Wunder die gemauerten Stufen zum Marktplatze herunter, des Junkers bleiches Angesicht blickt aus seiner Rüstung, in der ihn die Seinen in der Kirche niedergelegt hatten, verwundert auf die Menschen herab, die vor ihm wie vor einem Geiste flüchten. Anton weiß alles aus seinem Traume, aber er kann es nicht ausdrücken, sein Auge ist schon auf einen neuen Zug geheftet, der von der andern Seite der Kirche die Stufen herab kommt. Fräulein Gertraud und ihre jammernden Freundinnen, die den Leichnam des Ritters bekränzen, rufen in alle Winde den Frevel aus, der dieses trauernde Denkmal jugendlicher Schönheit ihnen entführt hat, ihr Schritt ist immer heftiger; wie sie aber den Markt betreten, sieht zu ihnen der Ritter mit ausgebreiteten Armen, die Liebe des Fräuleins weicht jetzt der Furcht, sie kann nicht fliehen, aber sie wendet sich von ihm und schließt ihre Augen mit beiden Händen. Es ist ein Augenblick, wo alles stille steht, daß die Ratsuhr [955] über den vollen Markt zu hören ist, dann aber hat die Seele aus ihrer innersten Tiefe einen Lebensmut getrunken. »Gertraud, ich lebe«, ruft der Ritter, »geliebte Gertraud, sieh, mein Waidewund kennt mich und legt sich mir zu Füßen, wende dich nicht fort von mir.« Kaum ruht sie selig in seinen Armen, so eilt Susanna auf Anton zu und spricht zu ihm: »Herr, waffnet Euch, oben in der Stadt, im Wirtshause wird heftig gefochten, viel fremdes Volk ist in der Stadt, die sie verbrennen wollen, alle rufen nach Seger, der muß ihr Anführer sein.«

Nach diesem Zuruf reichte sie ihm den Degen der Frau und einen Helm, den sie gefunden. Schon stürzen die Ratsherren herbei und einzelne bewaffnete Bürger, viele sprechen von Gegenwehr. »Nieder mit den Mordbrennern!« schreien sie, aber keiner führt sie, keiner weiß die Macht zu richten.

Da tritt Anton in ihre Mitte und schreit: »Wer die Stadt lieb hat, der folge mir!« – Die Gewalt seiner Stimme und seines Ansehens unterwirft sich alle, Ritter Blaubart selbst stellt sich an seine Seite, keiner kennt ihn und doch trauen ihm alle, denn mit rascher Einsicht teilt er die Männer ab, läßt die Halbbewaffneten zurück, teilt die Bewaffneten in drei Rotten, die eine führt er, die andere der Ritter, die dritte Susanna. Diese drei läßt er durch drei verschiedene Straßen gegen das Wirtshaus andringen, wo die fremden Mordbrenner Seger suchen. Wo sie ziehen, geben sie den guten Bürgern Mut sich ihnen zu gesellen, ihre Zahl vermehrt sich um das Doppelte, ehe sie an dem Ort des Kampfes ankamen wo die Bürger eben nach allen Seiten vor den Fremden zurückwichen, aber auf allen drei Seiten, wo sie fliehen wollten, von den frischen Rotten aufgenommen und in den Kampf zurückgedrängt wurden.

Der Kampf war über alle Erwartung heftig, die Gegner wohl bewaffnet und so entschieden auf Sieg oder Tod gefaßt, daß alle Anerbietungen von Gnade bei ihnen abgleiteten; sie selbst hatten hinter sich die Häuser angezündet, daß keiner der Ihren im Wahne sich zu retten, den Kampf verlassen konnte, dabei schien eine Religionswut sie zu begeistern, denn sie riefen grimmig den Bürgern »Ketzer! Ketzer!« entgegen, auch teilte das ausbrechende Feuer die Aufmerksamkeit des Rats und der herbeieilenden Bürger. Anton half nach, wo er irgend einen Kampf zweifelhaft sah, ihn selbst [956] scheuten die Verräter, er aber schonte sie nicht und sein Degen arbeitete in seiner Hand, daß er es selbst nicht begreifen konnte. Sein Mut drängte ihn vor, und er war fast von den Feinden umringt, als ihm die bekannte Stimme Fausts zurief: »Komm, flüchte in meine Arme, ich weinte mich blind, wenn dein Leib durchbohrt wäre.« Aber mit grimmem Zorne, den er nicht bewältigen konnte – es war ihm, wie in der Kindheit, wenn ihn große Mädchen verspotteten – schlug er auf den Doktor ein und streckte ihn nieder. Jetzt aber trat ein fahrender Schüler gegen ihn auf, der einen festen Degen hatte, keiner mochte da nahe treten, viele aber ruhten einen Augenblick, denn solche Künste hatte noch niemand geschaut, aber wie zwei Ärzte, welche mit ihrer Kunst bei einer Frau, die beide lieben, gegen einander wirken und beide nichts ausrichten können, weil sich ihre Mittel und Liebestränke einander aufheben, so fochten auch diese festen Degen gegen einander ganz vergebens, bis Güldenkamm, der bisher unter den Fremden versteckt gewesen war, mit des Fräuleins Nadel, die er in seinem Busen bewahrt hatte, den fahrenden Schüler von hinten durchstach, daß er umsank. Jetzt konnte Anton erst wieder auf die Seinen sehen, da war aber alles rückwärts gewichen, ja alles wäre verloren gewesen, wenn nicht die, welche am Markte von ihm zurückgelassen worden, jetzt verstärkt ihnen zugezogen wären. Unter diesen waren endlich auch gute Schützen, die ihre Musketen geladen hatten und den Kampf entschieden, da gab es ein Bücken, ein Schreien zu allen Heiligen, ein Fluchen und Würgen; die Fremden wurden endlich in den brennenden Hof des Wirtshauses getrieben, nachdem sie ihre größte Zahl verloren hatten. In dem Jammer dieser Glut suchten sie wieder hinauszudringen, da stürzte aber das Gebäude zusammen und die letzten schrieen mit großer Wut, aber unerschütterlicher Festigkeit Rache und Trotz gegen die ketzerische Stadt.

Jetzt ließ Anton den Bürgern noch nicht Zeit ihre Gefallenen zu betrauern und ihre Gefangenen auszuforschen, dem Feuer mußte erst Einhalt getan werden, das mit unermüdlicher Tätigkeit um sich griff und zerstörte. Anton befahl, einige kleinere Häuser, die den brennenden Teil mit dem übrigen Teile verband, niederzureißen, er selbst stieg voran und half mit seiner Stärke; als diese Arbeit beendigt, ließ er die Spritzen an diesen Übergangsorten [957] sammeln, jenen Teil aber dem Feuer Übergeben, das ihn auch in einer Stunde nach dem Kampfe bis zu den Kellern ausgebrannt hatte. Die Wachen blieben noch immer an ihren Stellen; jetzt aber, wo man mitten in dem Jammer und in der Freude der Bürger, die siegend viele der Ihren verloren hatten, zu der Untersuchung schreiten wollte, verkündeten die Hörner aller Turmwächter die Ankunft eines Heeres. Das Zutrauen zu Anton hatte sich bis zu einer göttlichen Verehrung durch den Erfolg vermehrt, jeder wußte von seinem wunderbaren Kampfe mit dem fahrenden Schüler zu erzählen, der allerdings ein Erzzauberer gewesen sein mußte; jeder fragte jetzt um seine Befehle und er ließ schleunig die Tore schließen, die Brücken aufziehen und die Bürger, die endlich alle bewaffnet waren, den Wall besetzen, die Ermüdeten mit Wein aus den Ratskellern stärken, auch Speisen durch die Weiber herbeitragen.

Der anziehende Haufe wurde an seiner unordentlichen Bewegung, an dem unbestimmten Blinken mannigfaltiger Waffen, an den Feuersäulen, die hinter ihm aller Orten aufgingen, für ein Bauernheer erkannt, das sich unter Anführung des armen Konrad schon seit einem Monat versammelt hatte. Bald trieb der Wind den hohen Staub über die Stadtmauer, auch klang das alte Spottlied: »Der Schwäbisch Bund kummt, die Gurr gumpt, da drunten, da droben, da kummen die Schwoben mit der kleine Gillegeia, mit der großen Gunggung.«

Anton vertrieb ihnen dieses Zutrauen, indem er auf einen Wink erst alle kleine Gewehre, dann alle großen Stücke gegen sie losbrennen ließ. Diese unerwartete Anrede wendete sie in einem Augenblick allesamt um, die Getroffenen ausgenommen, die jämmerlich am Boden schrieen; sie zogen sich in eine Entfernung, wo sie vom Geschütz nicht mehr erreicht werden konnten. Kurz darauf ritt ein Trompeter bis nahe ans Tor und begehrte eine Unterhandlung, Anton mußte auf Begehren der Ratsherren zu ihnen heraustreten. Der Abgesandte bei dem Trompeter war der arme Konrad selbst, er bot der Stadt Friede und Schonung ihrer Dörfer an, wenn man ihnen alle Freunde, die wahrscheinlich bei ihnen gefangen seien, ausliefern wolle, insbesondere erkundigte er sich nach Seger, der über alle Haufen den Oberbefehl führte. Anton sagte ihm, daß er tot sei. Da wollte Konrad schier aus der Haut fahren, er schlug sich gegen die Stirne und weinte die hellen Tränen, ein paar seiner [958] Leute begehrten von ihm Rat, er aber sprach: »Ich bin nicht Konrad, sondern kein Rat. Der arme Konrad heiß ich, bin ich, bleib ich!« -Anton erzählte ihm alle Greuel, wie es in der Stadt ergangen, ehe sie der Fremdlinge Meister geworden seien, Konrad redete granzend dazwischen: »Ja wär Seger nur nicht so früh gestorben, da wären wir diesen Morgen schon in der Stadt gewesen und hätten gewirtschaftet; da er uns kein Zeichen mit dem Tuche an der Mauer gab, so schlichen unsre Kundschafter zurück und meinten alles bis morgen aufgeschoben; was mag dem guten Bruder angekommen sein, ach gnädiger Herr, es ist mit der Mutter Maria gar nichts mehr, sonst wär es uns besser gegangen, sagt guter Herr, was habt Ihr in der Stadt für einen Patron, wir wollen uns auch darunter begeben.«

»Hör du arme Seele«, sprach Anton, »du bist auch wohl zum Heerführer geworden, du weißt nicht wie?«

»Ja Herr, woher wißt Ihr das?« sprach Konrad, »seht Ihr's mir an der Nase an? ja verflucht! – meine Nase hat mich immer verraten, seht nur, ich war ein armer Knecht des Herzogs von Württemberg in Beutelsbach und da sagte mir einmal der Seger, der Herzog sei ein Mensch wie ich; das kam mir gar wunderlich in die Gesinnung, ich fragte den geistlichen Herrn, was jenen zum Herzog und mich zum armen Konrad gemacht habe, der sagte mir, der liebe Gott, und weil wir beide, der zum Herzog und ich zum Konrad geboren, so seien wir auch höchsten Orts dazu gewählt und müßten wir dabei bleiben. Damit war ich ruhig und wurde bald darauf von einem hitzigen Trunk sehr krank und der Geistliche sagte, ich solle mich nur drein ergeben, ich müsse sterben. Ich sagte ihm aber kecklich: ›Nein Herr, so geb ich mich noch nicht‹, und er mußte unverrichteter Sache abziehen, ohne daß er mich zum Tode vorbereiten konnte. Da wurde ich bald darauf wieder gesund, saß einen Monat nachher auf meinem Kirschbaum und pflückte mir Kirschen der geistliche Herr ging darunter weg und sah mich nicht, da ließ ich ihm ein Dutzend Kirschen auf die Nase fallen. ›He Konrad‹ sprach er, ›seid Ihr's, wie geht's Euch?‹ – ›Recht gut‹, sprach ich ›ich bin auf einen grünen Zweig gekommen, aber sagt Herr, wo wär ich jetzt, wenn ich Euch gefolgt wäre und mich ins Sterben begeben hätte.‹ – Seht Herr, seit dem Tage kriegte ich einen festen Mut; was mir nicht recht war, das sagte ich und litt es nicht, wo etwas auszufechten war, da sprach ich...«

[959] »Sprech Er nur nicht zu lange«, sagte der Trompeter zu dem Feldherrn, »ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen!«

»Was ist Er?« sprach der arme Konrad; »Er ist Trompeter, also schweig Er, wenn sein Kriegsoberster redet, wie soll ich Krieg führen, wenn jeder Schliffel drein spricht.«

»Recht so«, sagte Anton, »Ihr versteht's, das ist Kriegsordnung.«

»Nun hört Er wohl«, sprach Konrad, »der Herr sagt's auch, immer soll ich unrecht haben, sie sehen es mir alle an, daß ich nur ein dummer Bauer bin. Sie hören mich doch noch an, was ich so in meiner Dummheit rede, aber die Ochsenpantoffel lachen mich immer aus.« Nun gnäd'ger Herr, da kam die neue Pfennigsteuer und die neuen Maße in unser Land, das fand ich ganz unrecht, Maß ist Maß, und was wir zu geben hatten, das gaben wir lange; als wir so zusammen waren, sprach ich darüber und alle gaben mir recht; da nahm ich meinen Stock, machte einen Kreis und sagte: ›Wer den Pfennig nicht geben will, der komm in diesen Kreis.‹ Da gingen sie alle hinein und so weit war es recht gut mit dem Spaß, aber da war gleich der Geißhirte und der Hammelmann, die sagten, ich solle ihr Feldoberster werden, oder der Teufel sollte mich auf der Stelle holen. Es waren ein paar starke Kerls, rechte Knochenbrecher, was sollte ich mich wehren, ich sagte ihnen: ›Meinetwegen, wenn's nicht anders sein soll‹; wenn unser Herr Treibjagen hielt, hatte ich oft schon die Jungens angestellt. Da war alles richtig.«

Ein Bauer kam jetzt mit großem Zorne: »Oberster, wir hauen Euch das Fell lederweich, wenn Ihr nicht bald den Kram abschließt.«

»Bedanke mich für eure Dienste«, sagte Konrad, »mag nicht mehr euer Feldoberster sein, alle Tage Prügel zu kriegen, man mag tun, was man will, das hält kein Mensch auf die Länge aus; wenn es Euch recht ist, gnäd'ger Herr, so gehe ich mit Euch in die Stadt, Ihr braucht doch wohl einen Hausknecht, ich bin fleißig und diese Geschichte soll meinem Vorwitz eine rechte Warnung sein.«

Die andern Bauern und der Trompeter wollten über den armen knickbeinigen Kerl mit derben Fäusten herfallen, aber Anton schmiß sie zurück, versicherte ihn seines Schutzes und ließ den Bauern durch den Trompeter sagen, wenn sie nicht liefen, daß ihnen die Beine ausfielen, so möchten sie wohl nimmermehr gesund nach Hause kommen, dann ging er mit seinem armen Konrad [960] in die Stadt, den er sogleich als Knecht in seine Dienste einsetzte und bestallte mit dem Amte eines Stallknechtes.

Der Übergang ihres Oberfeldherrn Konrad, die Nachricht von Segers und der Seinen Tode hatte schon gewirkt, noch ehe Anton dem Rate Bericht über seine Sendung abgestattet hatte, die Bürger sahen mit Jubel den schnellen Rückzug der Bauern und sangen Schandlieder hinter ihnen her: »Vor einem Knall sind sie geflohn, gelobt sei unser Herr Anton.« Alle dankten ihm jetzt feierlichst für seinen Heldenmut und Klugheit, die Tochter des Ratsherrn, die ihn gestern erstechen wollte, überreichte ihm mit einem zärtlich verwirrten, beschämten Blicke einen Kranz und einen herrlichen roten Mantel mit Gold gestickt. Beides mußte er anlegen, um zu dem Rate hinauf zu gehen, der ihn in einer ernsten Rede begrüßte und den Ritterschlag durch des Kaisers hohe Hand ihm zusicherte. Anton achtete wenig auf diese Rede, denn hinter dem Redner im Dunkel begrüßte ihn die zärtliche Gestalt mit solcher Heftigkeit, daß er erhitzt vom Kampfe sich kaum bemeistern konnte; alle lieblichen Jungfrauengestalten, die ihn mit Gertraud umgaben, unter denen auch viele waren, die er im Bade gesehen hatte, verschwanden gegen den glühenden Reiz, die schamlose Lockung der zärtlichen Gestalt, alles, was zu seiner Ehre gesprochen war, schien ihm zum Ärger gesagt, denn seine ganze Sehnsucht strebte nur nach dem Augenblicke mit der frechen Schönen allein zu sein. Neue Qualen hinderten ihn, als jetzt noch die verwundeten Gefangenen, nachdem die Frauen entlassen, in seiner Gegenwart zum Verhöre geführt wurden, aber die Lichter, die jetzt den Saal erhellten, verdrängten den zärtlichen Schatten, er gewann der Fassung und Überlegung genug, die Entwirrung alles Rätselhaften in den Begebenheiten der letzten Tage mit Ruhe abzuwarten und abzuhorchen. Der fahrende Schüler, welchen er niedergestreckt, wurde noch lebend hereingetragen; er litt fürchterlich in den Qualen seines Gewissens, mehr als an seinen Wunden, und erklärte, daß er in Rom von Mönchen mit Seger und vielen hundert andern, die sich nur aus Zeichen kannten, ausgesendet worden sei, die Länder, in denen sich ein Anhang Luthers zeigte, durch Brand und Aufruhr zu verwüsten. Ihm wurde ein Geistlicher gerufen, dem er sein Bekenntnis schwer atmend in abgerissenen Sätzen ablegte, die Reihe seiner Brandstiftungen übertraf seine Kräfte; durch geheime [961] Zeichen, die nur den Seinen bekannt waren, heftete er das Verderben an friedliche Wohnungen, deren Bewohner sie sahen und als kindische Spielerei duldeten, wo bald das Feuer zu ihrem Verderben eingelegt wurde; selbst den Vögeln, deren Schutz sonst Segen über die Häuser bringt, den frommen Schwalben, hatten sie oft brennenden Zündschwamm an die Füße gebunden, womit sie in ihre Nester geflogen sind und ihre Jungen zuerst dem Tode und ihre Schützer dem Verderben übergeben haben. Hier erfuhr Anton, daß der Brand in dem Frauenhause zu Augsburg, der heimlich sein Gewissen beschwerte, ein längst beschlossener Bundesstreich dieser Rotte war, der ihnen aber durch Antons Händel und die dadurch erweckte Besorglichkeit der Bürger weniger eingetragen hatte, als sie erwartet. Daher der plötzlich wieder erwachte Ingrimm in Segers Herzen, dessen ganzes Verhalten zu Anton, wie der Schüler meinte, noch besondere Gründe haben müsse, er sei zuweilen sehr ängstlich um ihn besorgt gewesen. Der Schüler fieberte dann allerlei Geschichten unter einander, endlich kam er auf den Anschlag gegen die Stadt, nannte die Orte, die von Seger zum Feuereinlegen bezeichnet gewesen waren, welches Feuer schon in der Nacht hätte auskommen sollen, um die Bürger am Morgen in der größten Verwirrung zu überfallen, er bezeichnete den Ort der Mauer, wo er mit seinen Gesellen eingeschlichen war. Er habe im Wirtshause das erste Feuer einlegen sollen und sei fast damit fertig gewesen, als er in der Kammer von einem fremden Knaben ein Gebet vernahm, der sich und die ganze Stadt in die gnädige Vorsorge Gottes befohlen und bekreuziget habe; die Stimme habe aber auf eine Stelle in seiner Seele getroffen, die er hart zugefroren gemeint und jetzt so weich gefunden, daß sein ganzer Vorsatz darin versunken. Gleich habe er das eingelegte Feuer gelöscht und einige Häuser weiter eingelegt, er habe sich erkundigt, wer der Knabe sei, und man habe ihn Kurt genannt, er sei mit Seger gekommen; was ihn aber über alle Beschreibung geärgert, denselben Knaben habe er am Morgen im Gefechte überall gegen sich gefunden und ihm doch nichts anhaben können, er wisse selbst nicht, wie ihn das so wild gemacht, daß er darum auf Anton so unermüdlich losgestoßen.

Dieses war seine letzte Erzählung, seine Notseufzer verkündigten sein Ende, ein Kinnbackenkrampf schloß ihm den Mund, durch [962] den nur ein dumpfes Schlucken hervorscholl. – Die allgemeine Ermüdung machte der Sitzung ein Ende, die nötige Vorsicht für die nahende überschattende Nacht auf den Wällen und bei der Brandstätte beschäftigte Anton noch einige Zeit, dann führte ihn der Ratsherr Ehinger, der Vater der schönen Gertraud, nach seinem Hause, um ihn dort zu bewirten und zu betten. Vergebens weigerte sich Anton aus einer Bescheidenheit, die ihm im Glücke immer eigen war, bei ihm zu nachten, doch drang er sehr ernstlich darauf, erst von seinen beiden Gefährten, Güldenkamm und Susanna Nachricht zu bekommen.

»Für die ist längst bei mir gesorgt«, sprach der dienstfertige Mann, »was werdet Ihr aber sagen, werter Ritter, wenn ich Euch versichere, daß jetzt die Zeit gekommen, wo die Schmetterlinge aus ihren Larven fliegen und in der Sonne glänzen.«

Anton verstand ihn nicht, jener fuhr fort: »Ihr werdet sehen, daß ich eine neue Tochter gewonnen, da mein Sohn verloren und meine Tochter durch Heirat mir entfremdet wird, und einen Sohn wohl zugleich, wenn ich die jungen Leute recht verstehe. Ihr seht mich groß an und legt den Finger an den Mund, ich will's Euch erklären, der Kurt von hier, der in früheren Jahren zu Waiblingen bei einem reichen Vetter sich aufhielt, von dem nach Augsburg geschickt wurde auf die Stadtschule und dort durch böse Lust verführt, mit einem öffentlichen Mädchen flüchtete, jetzt hört, leise, denn mein Schmerz kann es Euch nicht laut sagen: ist eben der fahrende Schüler, der durch Euch und Güldenkamm gefallen ist; macht keine Entschuldigung, ich lese sie auf Eurem Gesichte; Ihr tatet ein herrlich Werk, ich hätte es selbst vollbringen müssen, wärt Ihr nicht gewesen, es war ein Ausbund von Verderben in diesem Knaben. Der Himmel hat ihn mir schon reichlich in Eurem Kurt ersetzt, der Susanna heißt, und in edler weiblicher Tracht alle unsre Mädchen an Ausdruck und edlem Leben übertrifft, ein Hieb hatte den Wams gelöst, ich erkannte ihr Geschlecht und gebe sie ihrem Geschlechte zurück, Güldenkamm ist zum Vergehen in sie verliebt und verläßt sie keinen Augenblick.«

Mit diesem Gespräche hatten sie sich dem Hause des Ratsherren genähert, Anton, von allen Gefühlen bestürmt, nahm doch mit tiefem Schmerze wahr, daß ein Jammer über den nahen Verlust Susannens diese alle überwältigte; schweren Herzens trat er in den[963] Saal und mit einem freudigen Rufe sprang ihm Susanna entgegen, die auf einem Ruhebette eingeschlummert war. Er staunte, als er sie jetzt anschaute, und vergaß darüber, Güldenkamm für die Kühnheit zu danken, mit der er dem Gefechte zwischen ihm und dem fahrenden Schüler ein Ende gemacht hatte; er sah sie in vollendeter weiblicher Reife vor sich stehn, so schnell hatte das tätige Leben, worin er sie gestürzt, ihre Entwickelung beendigt. Ihre verbrannte Haut, im Antlitz und an den Händen, wie eine fremde Färbung neben dem weißen Schnee ihrer Arme und ihres Halses, erinnerte an einen Übergang aus einem sehr verschiedenen Lebensklima; in aller Bewegung erschien sie sonst in dem Ebenmaße und der geschickten Verbindung einer Frau, die lange in den besten Gesellschaften ihres Geschlechts gelebt hatte; der Anstand war ihr etwas Eingebornes, kein Angelerntes, sie konnte ihn nicht lassen, also konnte sie auch nicht dagegen sündigen. Bald erhoben sich noch andere befreundete Hausgenossen; Ritter Blaubart, der an seinen früheren Wunden litt und an diesem Tage wieder ein paar leichte Wunden erhalten hatte, bat Anton zu ihm zu treten und bot ihm seine Hand, um damit allen vergangnen Streit auf ewig aus seinem Herzen auszulöschen. Anton gab ihm mit freundlichem Entgegenkommen beide Hände und schwor ihm, daß er sich auf ihn verlassen dürfe, wo er ihn irgend brauchen könne. Fräulein Gertraud war bei dieser ganzen Verhandlung in einer wunderlichen Bewegung, die aber Anton wenig beachtete, weil er innerlich ganz mit Susannen beschäftigt war; sie wandte sich mit einer Unruhe, mit einer fliegenden Röte so oft zu ihm, schien um ihren Bräutigam so gar nicht mehr unruhig, und während sie jenem mit steter Aufmerksamkeit Wein und Früchte und was die Küche vermochte darbot, ließ sie diesen mehrmals nach einer Labung bitten, die sie ihm dann eilig darreichte, um von Anton etwas Neues zu vernehmen. »Mein Kranz hat sich auf Eurer Stirn verrückt«, sagte sie plötzlich, als nichts seine Aufmerksamkeit gewinnen wollte, stellte sich vor ihn, rückte an dem Kranze und drückte ihm zuletzt einen bekämpften Kuß auf die Lippen, von dem sie aus Verlegenheit überlaut lachend, sich zu ihrem Vater umdrehte und sagte: »Lieber Vater, den Kuß war ich unserm Befreier noch für alle jene schuldig, die ich gestern auf meinen Knieen verschwendet habe, um ihn schnell hinrichten zu lassen.« – Der Vater lachte und[964] sprach: »So seid ihr Mädchen, so war auch meine Frau selig; wenn ich an einem Tage alles getan hätte, worum sie mich gebeten, sie hätte mir dafür am nächsten Tage die Augen ausgekratzt; was wird aber der fremde Ritter dazu sagen, von einem Mädchen geküßt zu werden.« – »Ihr seht ja, daß ich schweige«, sagte Anton, »denn im Grunde küßt das Fräulein in mir nur ihren Ritter, weil sie ihn nun ungestört besitzt und mir etwas Verdienst darum zuschreiben will.«

Fräulein Gertraud schien mit dieser Auslegung nicht zufrieden und durfte es sich doch nicht merken lassen; als sie aber Antons Seite beim Nachtessen besetzt hatte, da drückte sie ihm zärtlich die Hand, und er mußte es erwidern, weil er überhaupt niemand leicht etwas abschlagen konnte. Doch beschäftigten ihn diese Zeichen wenig, er sehnte sich nach einem Augenblicke mit Susannen allein zu sein, und doch fand sich keiner durch die stete Gegenwart und Gesprächigkeit des Fräuleins, die immer lebhafter in ihn drang, alle kleinen Umstände dieser Tage zu erfahren. Anton erzählte endlich den ganzen Vorgang ausführlich, vergaß auch der Goldstücke nicht, die in sein Gefängnis geworfen worden und die dem Ratsherren durch ihre Jahreszahl als äußerst selten bekannt waren, er behauptete, daß niemand in der Stadt einer solchen Freigebigkeit fähig sei. Anton erzählte dann auch von seinem wunderbaren Traume und von den Blumen, die er am Fenstergitter gefunden, dabei bemerkte er, daß sich Susanna entfärbte, er brach also ab, weil er eine weibliche Gespensterfurcht in ihr voraussetzte, und ging zu der fröhlichen Unterredung mit dem Obersten der Bauern über, den er zu diesem Zwecke ins Zimmer kommen ließ, nachdem er sich einen Teller voll kleiner Kieselsteine bestellt hatte. »Konrad«, sagte Anton, als jener besorglich eingetreten und an der Türe stehen geblieben war, »Konrad, wie geht es dir?« – »Den armen Konrad hungert«, antwortete Konrad, »und da sage ich immer, ein Mensch ist doch immer ein Mensch und alle Menschen sind Sünder, ich bin freilich ein Sünder, aber ein Mensch muß doch immer essen.«

ANTON: »Konrad, möchtest wohl gern mit deinem Herrn an einem Tische essen.«

KONRAD: »Und aus einer Schüssel noch lieber.«

ANTON: »Meinst du denn, wir essen mehr als ihr armen Leute?«

KONRAD: »Ihr eßt doch, so viel Ihr wollt und was Ihr wollt.«

[965] ANTON: »Das weißt du nicht, sieh Konrad, wenn ich so feste Bauernklöße sehe, womit Ihr Euch die Köpfe einschlagen könntet, da hab ich immer große Eßlust, aber die sind zu schlecht auf einem Herrentische, die darf ich nie fordern, komm einmal her, ob dir unsre Kost schmeckt und ob sie dir wohl bekommt.«

Konrad setzte sich ohne Umstände Anton zur Seite, der einige Kieselsteine vom Teller nahm, mit einer Brühe übergoß und herunterschluckte; der arme Konrad war freilich schon von dem Geklapper dieses Gerichts überrascht, meinte aber, es seien indianische Eier, nahm sich eine tüchtige Portion und biß sich darauf einen Zahn aus.

Anton fragte, ob er sich den Backenzahn ausgebissen hätte.

»Ich bin der arme Konrad«, sagte er und ging unter dem Gelächter der Ratsherren heraus, »und will der arme Konrad bleiben, Hoffart will Zwang haben, von solcher Speise kriegt unser einer Zahnweh.«

Anton warf ihm einen Braten zu, der stehen geblieben war; Konrad vergaß den Schmerz und rief: »Heida, hier ist's besser unterm Tische als an dem Tische sitzen.« Anton sehnte sich jetzt nach Ruhe, es wurde seine Gesundheit getrunken und die Stadtpfeifer ließen sich mit einer Musik vor den Fenstern hören, er nahm ein Licht und dankte allen, da nahm ihm Susanna nach alter Gewohnheit das Licht ab und wollte vorleuchten, Anton sah sie traurig an. »Seit du in diesen Kleidern umhergehest, kannst du mir nicht mehr als ein dienender Knabe vorgehen, Kleider machen Menschen!«

»Lieber Herr«, sprach sie züchtig, »ich möchte mit Euch ein Wort allein sprechen, ist mir das auch nicht vergönnt?«

»Nicht zu aller Zeit und an jedem Orte«, sagte er, »führe mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich vom Übel.«

SUSANNA: »Lieber Herr, es ist etwas sehr Gutes, was ich Euch sagen möchte.«

Anton wollte sie eben mitnehmen, als Fräulein Gertraud dazwischen trat und Susanna mit der Bitte an sich zog, sie möchte bei ihr schlafen, der Ritter sei müde und bedürfe der Ruhe. Susanna schien sich ihr ungern zu fügen, Anton ging auf sein Zimmer, schlaftrunken und von Susannen erfüllt, vergaß er aller Zärtlichkeit des Gespenstes, dann wollte er einschlafen, aber die zärtliche Gestalt stand wieder mit unendlich freundlichen Reden vor ihm.

[966] »Wer lohnt deine Mühe, wer preist deinen Ruhm«, sprach sie, »ich allein, alle andern denken nur an sich, wenn es dunkel wird, ich sehe dann, ob du schläfst, und wache, wenn du von der Welt nichts weißt, bei deinem Lager; wer ist dir treu? ich allein; wer ist schön? ich allein, denn in mir sind alle, die dich lieben.« – »Schön bist du«, sagte Anton, »ich möchte dich malen, wart, daß ich dich anschaue und in mein Gedächtnis präge.« – Kaum blickte er sie so fest an, so war sie verschwunden und er schlief ruhig bis zum Spätmorgen. Kaum war er angekleidet, so klopfte es mehrmals furchtsam an seine Türe, er öffnete und es trat Susanna in der Kleidung eines Mannes zu ihm herein. »Sollte mich der Schmuck von Euch trennen«, sprach sie, »lieber wollte ich in Lumpen umhergehen, verwundert Euch nicht; bis ich in den Kleidern einer Frau für Euch sorgen kann, bleibe ich so, ich habe Euch viel zu erzählen, gewährt mir Aufmerksamkeit. – Jener Unbekannte, der Euch die Goldgulden verehrt hat, war ich, denn ich hatte auch die Blumen an Eurem Fenster zurückgelassen, wie aber die Kreuzer und Heller, die wir im Wirtshause mit Komödienspielen erworben haben, sich in Goldgülden verwandelt haben, weiß ich nicht, so wenig, wie die Blumen, die Seger auf dem Tische künstlich hatte wachsen lassen, ihm selbst so gefährlich werden konnten. Seht hier den Beutel, derselbe den ich von Eurer Frau empfing, ich meine, daß in ihm die goldmachende Kraft heimlich verborgen sei, Ihr müßt ihn versuchen, denn wahrhaftig, in dem Degen, der so unscheinbar ist, müssen auch geheime Kräfte wirken, da er in so vielen Angriffen glücklich bestanden ist.« – Sie versuchte jetzt den Beutel und warf ein paar kleine Münzen hinein; wie sie diese umschüttelte, fielen ein paar Goldstücke heraus. »Bei Gott«, rief Anton, »das ist ein Fortunatussäckel, nun bin ich für immer ein gemachter Mann, will mich aber in acht nehmen, daß ich nicht so schändlich darum komme, wie die alte Historie von jenem berichtet. Gleich, Susanna, laß einen Goldgulden in Kreuzer wechseln, ich will mir so viel Geld in dieser edlen Münze prägen, daß ich meiner verfluchten Frau ein Geschenk mache, das mehr wert ist als ihre alten Becher und alle alten Klappern ihres Hauses zusammengenommen, bei Gott, sie soll eine Achtung gegen mich bekommen, als wäre ich ein Dukatenmacher, und wenn sie sich vor mir auf die Knieen wirft, so will ich stolz vorüberreiten und mein Pferd soll ein Paar [967] goldne Hufeisen fallen lassen, die sie begierig hinter mir aufnehmen wird und wenn auch Pferdeäpfel darauf lägen; mach schnell und wechsle, es ist die einzige Lust, die ich kaum erwarten kann, dann will ich auch dem Ratsfreunde seine Hosen wieder schicken und meine Schuld dreifach bezahlen und ein Bündel Ruten, womit die Frau zu ihrer Beßrung wie ein Sandland bepflanzt werden muß, dabei legen, auch den andern Wirt will ich bezahlen und dann Almosen geben, daß Pforzheim in einem halben Jahre schöner aufgebaut ist, als es je gestanden.« – Heiter ging er in diesen Gedanken auf und nieder, von Würden zu Würden hob er sich empor, erkaufte Länder, erweiterte durch Eroberung, und die Krone auf der Kronenburg, die das vereinigte Deutschland beherrschen sollte, fühlte er schon auf seiner Stirne, ihm ward so wollüstig, da stand die zärtliche Gestalt in dem Dunkel des Zimmers vor ihm. »Und dir«, rief er wütend, »dir werf ich diese Handvoll Dukaten an den Kopf, damit du kommst, wenn ich dich rufe, und wegbleibst, wenn du mich störst.« – Sie verschwand, Susanna trat mit einem Beutel voll kleiner Kupfermünzen herein, die sich schnell in einen Schatz von Golde verwandelten. Er verfuhr damit, wie er beschlossen, ein angesehener Kaufmann schaffte ihm ein Paar viel prachtvollere Becher, als die er damals seiner Frau heimlich verkauft hatte.

Güldenkamm, der von dem Kampfe kaum ausgeschlafen hatte, mußte die Wirte bezahlen und necken, dann ließ Anton in der ganzen Stadt die Armen, die beim Brande das Ihre verloren, nach dem Rathause vorfordern, um dort eine Unterstützung zu empfangen. Welcher Jubel von allen Seiten, als die Goldgulden so leicht wie die Kreuzer verschenkt wurden, der Beutel mußte den ganzen Tag ununterbrochen arbeiten.

Sehr verlegen trat aus der Menge sein erster Wirt im Hopfenblatte, der kleine Ratsfreund, zu ihm: »Die sich zuerst verkennen, erkennen einander späterhin am besten, wer zuletzt lacht, der lacht am besten, meine Frau ist durch Gottes Fügung verbrannt, ich heirate in meinem Leben nicht wieder, herzlichen Dank für die gnädige Zahlung, ich habe viel verloren in diesem Brande, aber meiner Frauen Tod macht aus einem geschlagenen einen reichen Mann, ich und mein Georg wissen vor lauter Vergnügen nicht, wo uns der Kopf steht; was von Gott kommt, das gedeiht durch Gott, was aber vom Teufel kommt, das geht mit dem Teufel unter, [968] meine Frau ist wie ein Feuer in mein Haus gekommen und mit dem Feuer hinausgezogen, ich verlang nicht selig zu sein, wo sie es ist.«

»Ja«, sagte Anton, »es ist erschrecklich, wie leichtsinnig wir Männer zu den Weibern kommen, hütet Euch künftig davor, wenn Ihr Eure Hosen behalten wollt, Ihr habt der ganzen Stadt immer so gut geraten, aber die ganze Stadt ist dafür an Eure Frau geraten und das taugt nicht.«

So schieden sie mit weisen Sprüchen auseinander, Güldenkamm kam wie aus einem Triumphzuge aus allen Kneipen der Stadt zurück; ganz behangen mit Kränzen und Bändern wie eine Festtagskerze, schüttelte er sich sehr ärgerlich, als Anton ihm anzeigte, daß er Rüstung und Pferde gekauft habe, um mit dem anderen Morgen nach Waiblingen zu ziehen. Desto froher war Susanne, ein geheimer Kummer mußte sie in der Stadt beschwert haben, ihre Freude war heftig, sie sprang gegen ihre Gewohnheit hoch auf und rief: »Nun wird alles gut, Ihr kehret heim zu Eurer Hausfrau, lebet treu und ehrlich und ich kann ungekränkt in Eurer Nähe mich in allem unterrichten lassen.« – »Nein liebes Mädchen«, sagte Anton, »du hast meinen Fluch gehört, jenes Glück ist für mich kein Wunsch mehr, es liegt hinter mir, aber ich will seine Grabstätte noch überreiten, um seiner zu spotten, es liegt mir wie ein Balken auf meinem Haupte, daß mein Weib noch immer in sich triumphiert, wie ich in Not schmachte, als ein armer Wicht und meint mich bestraft für den unschuldigen Leichtsinn, der mich erheitert hat, sie soll es sehen, daß das Glück mir ewig treu ist, ich will ihr nichts schuldig bleiben, reichlich will ich ihr ersetzen, was sie mir geschenkt, aber wenn sie dann mich verlangt, da soll sie mich suchen und nicht finden, wie ich sie nicht gefunden habe, als ich sie suchte.« – Mit diesen Gedanken legte er sich auch ins Bette, er sah sich schon in stolzer Rüstung über den Markt reiten, ließ sein Pferd auf den Hinterfüßen tanzen, und vergaß darüber der zärtlichen Gestalt zu achten, als ein leises Pochen seine Tür erschütterte und Fräulein Gertraud zu ihm ins Zimmer trat, in einer Hand eine Blendlaterne, in der andern einen schön geschliffenen Degen. Anton glaubte im ersten Erwachen, sie komme in der Absicht ihn zu ermorden, aber ihr freundliches Niederknieen an seinem Bette, der Kuß, den sie auf eine Hand drückte, ließ ihn eher [969] einen Liebesgruß hoffen, wozu sein Herz auch nicht unwillig sich regte. Er hoffte ein Wort von ihr zu hören, aber sie schwieg, sah ihn zärtlich an und reichte einen Degen mit dem etwas ungeduldigen Ausrufe: »Da, da!« – »Soll der mein sein, soll ich ihn zu deiner Ehre führen?« – Sie nickte und fing an ihn zu küssen, einerlei was sie von ihm wegriß, was Antons Begierden nicht bloß entflammte, sondern auch seine Ehre gewissermaßen, die sie in Zärtlichkeit zu überwältigen strebte. Dieser Wettstreit von Höflichkeit verwirrte ihre Lage immer mehr, war ein Kuß ungewöhnlich vertraulich, so wurde der Gegengruß frei und der dritte unzüchtig, der vierte hätte Anton zur Schändung der Ehre der schönen Verlobten veranlaßt, wenn sie nicht zurückgesprungen wäre und geweint hätte. Anton schauderte wie ein armer Sünder darüber zusammen. »Was begegnet Euch Fräulein, welch ein Unglück schwebt Euch wie ein Gespenst vor!« – Sie aber antwortete: »Ich will allem mich unterwerfen, aber schenke mir den Degen, womit Ihr meinen Ritter überwunden habt, er wird ihn und seine wilden Launen in meine Gewalt geben, wisset, daß schon zwei Frauen durch seine Heftigkeit gestorben sind.« – »Mein Fräulein«, sagte Anton, »der Degen ist mir lieber als das teuerste Glied meines Leibes, Ihr fordert zu viel und es ist Torheit von Euch; was der Degen wirkt, das wirkt er nur in meiner Hand, in Eurer Hand ist er eine Gerte.« »Bitte, bitte«, sagte sie kindisch, »ich brachte Euch dieses prächtige Schwert, dessen Knopf in Italien von Benvenuto Cellini in Stahl so herrlich geschnitten des Herkules Taten darstellt, seht ihn bei der Lampe, wie wunderbar, und Euer Degen dagegen, halb verrostet, der Korb zerbrochen und klappernd, wie könnt Ihr mir diese Kleinigkeit versagen, und daß ich ihn führen kann, bei Gott, das solltet Ihr gleich sehen; wenn Ihr ihn mir geben wolltet, ich würde Euch zeigen, und damit nieder strecken und mit tausend Küssen züchtigen, macht die Probe!«

Anton konnte aus ritterlicher Gesinnung nichts dagegen einwenden, er reichte ihr seinen rostigen Flederwisch und bewaffnete sich mit dem neuen Degen. Gertraud drang lustig auf ihn ein, er vermied es erst sie zu berühren und wendete nur ihre Hiebe von sich ab, deswegen ging er einigemal zurück, der wunderliche Geist des Degens hatte sie besessen und wäre er nicht durch Zufall in sein Bette gestürzt, er möchte verloren gewesen sein. Er schämte [970] sich und wütete in sich, mochte sich das aber nicht merken lassen; der Befreier der ganzen Stadt von einem Mädchen überwunden, das schmerzte ihn, er suchte dies hinter Liebkosungen zu verstecken und seine Siegerin beantwortete diese in den abenteuerlichsten Abirrungen einer Romanphantasie, wollte er aber seiner Lust gemäß sich an ihr erfreuen, da drohte sie ihm mit dem Degen. Ergrimmt darüber wollte er sich in den Degen stürzen, aber sie wich vor ihm und flüchtete sich mit dem Zauberdegen von ihm fort. Seine Wut war entflammt, er ging in Konrads Nebenzimmer und fragte, warum er nicht ihm zu Hülfe gekommen sei, er sei von einem Fremden überfallen worden. Konrad kam schweißtriefend unter der Decke heraus und sagte: »Herr, das war unmöglich, erst hörte ich Degen klingen, da verkroch ich mich unter der Decke, davon kriegte ich solche Hitze und solchen Schweiß, daß wenn ich aufgestanden wäre, ich mich sicher erkältet hätte, die Nächte werden wahrhaftig schon kalt.« Anton konnte über den armen Teufel nicht lachen, er hätte sich gerne Luft gemacht, seine Unruh ließ ihn nicht zum Schlaf kommen, gern hätte er den Schimpf vergessen, aber er durfte nicht laut schimpfen; er hoffte auf das zärtliche Gespenst, um seine Galle dagegen auszuspeien Aber auch das blieb aus und nachdem er die Stunden auf und nieder schreitend in seinem Zimmer gemessen hatte, wurde es hell, da wurde es ihm wehmütig in seinem Herzen, er ließ sich auf ein Knie nieder und betete zu dem Gestirn, das in alle Naturen Klarheit gösse, ihn von diesen grauenvollen Wunderlichkeiten, die ihn umdunkelten, zu erheben, in die Arme der einen ewig einigen Liebe zu legen, die einst im gemeinsten Leben ihn so sicher und fest, so erfüllt von einem, so erheitert von allem in ruhiger Tätigkeit geduldet hatte, »vorher aber«, rief es in ihm, »räche mich an dem Weibe, das mich in diesen Abgrund von Zweifeln durch Geiz und Zank gestürzt hat, laß sie erblinden, daß du der Welt nicht dein strahlendes Auge entziehen mußt.«

Susanna trat jetzt zierlich gerüstet herein, sie sagte, daß alles auf sei, und eine Schar der edelsten Bürger habe beschlossen ihn zu begleiten. Anton sah sie nicht an, er mußte die Augen niederschlagen, ein Ekel vor der Nacht schlug ihn selbst nieder und als sie nach dem Zauberdegen fragte, da wußte er kaum, was er antworten solle. Er zwang sich zum Lachen und sprach: »Sieh, ich [971] habe gut getauscht, was hältst du von dieser damaszierten Klinge, von dem herrlichen Gefäße?«

»Recht schön«, sagte Susanna, »dieser trägt seine Schönheit außerhalb, jener hatte sie in sich.«

Anton schwieg, er fühlte, daß sie recht habe, er hätte heute den ganzen Tag schweigen mögen und still und einsam seinen Weg fortreiten, aber nun mußte er noch so viel Grüße, so viel Feierlichkeiten ausstehen, schon stand der Haufen reitender Bürger in einer Reihe vor dem Hause, die Trompeter schmetterten lustig in die Morgenluft, die Pauker wirbelten und ließen ihre Paukenhämmer durch die Luft spielen, die Fahne wehte und die Glocken läuteten. Jetzt gab ein Schießen mit kleinen Gewehren das Zeichen der Feierlichkeit, die Bürgerschaft rückte von allen Seiten an, der Ratsherr trat in sein Zimmer und bereitete ihn auf ein feierliches Lebehoch, das ihm von den Einwohnern, verbunden mit den fremden Badegästen gegeben werden sollte. Er trat mit ihm ans Fenster, der Ratsherr wollte das Fenster ausheben, konnte aber damit nicht fertig werden, Anton griff zu und hob es mit einem Drucke aus den Angeln, welche Freundlichkeit der ganzen Bürgerschaft ungemein wohlgefiel. Jetzt begannen die Zünfte mit ihren Ehrenzeichen den Zug vor dem Fenster; da trugen die Zimmerleute ein gezimmertes kleines Haus mit bunten Bändern geziert, die Maurer alle Säulenordnungen in großen Modellen, die Bäcker ließen ihren weiß angezogenen Fahnenschwinger durch eine große Brezel springen, kurz jedes Gewerk trug sein eigenes Zeichen mit Pracht und Zierlichkeit, jedes machte ein eigenes Geschenk und jedermann nahm an dem geretteten Wohl stand der Stadt einen gemeinschaftlichen Anteil, einen Ausdruck mit allen, der allen ein neues Band gegenseitigen Vertrauens wird. Nachdem sich alle Zünfte im Kreise gestellt, rief der Ritter Blaubart, wegen des ausgezeichneten Mutes, den er am Tage der Bestürmung bewiesen, dem tapfersten und weisesten Führer, Ritter Grafen von Stock, sein dreifaches Lebehoch, alles rief dreimal mit, daß Pauken und Trompeten kaum zu hören waren. Alle waren entzückt, nur Anton sah mit innerer Scham seinen guten alten Degen in den Händen des Ritters, und seufzte in sich nach Gelegenheit ihn mit offener Gewalt wieder zu gewinnen. Seine Pferde wurden jetzt vorgeführt, sowohl die mit eignem Gold und Geschenken aller Art [972] beladenen, als auch die Ritterpferde, da gab es ein Anstaunen der Pracht, er nahm einen herzlichen Abschied von seinem Hausherrn und hing ihm eine goldne Kette um, auch Gertraud zeigte sich ihm ganz unbefangen und fröhlich, als sähe sie ihn zum ersten Mal, aber es war ihr noch eine Beschämung zugedacht und die blieb nicht lange aus.

Der arme Konrad hatte ihre Stimme in der Nacht recht wohl vernommen, er meinte einen seiner bäurischen Späße an ihr vollbringen zu können und hatte ihr im Vorbeigehen, wo er ihr den Rock zu küssen schien, einen Faden hindurch gezogen, den gab er so geschickt über seine Schulter mit den Zügeln in Antons Hand, daß dieser, indem er sein Pferd anspringen ließ, die Röcke des Fräuleins emporhob, die jetzt als ein Bild der Unzüchtigkeit allgemein verlacht wurde. Dabei tat er aber so eifrig, diesen Faden abzureißen, daß er das Übel noch vermehrte, ehe er es fortschaffen konnte. Ritter Blaubart, unentschlossen, ob er selbst zuspringen und den Vorhang herunter lassen sollte, oder ob dies die Verwirrung nur vermehren möchte, vielleicht auch etwas angezogen von dem Anblicke, bewegte er seinen Degen aus Verlegenheit in derselben Art, wie er mit den Trompetern verabredet hatte, wenn er ihnen das Zeichen des Tusches geben wollte, die Trompeter gehorchten im Augenblicke und der Tusch wurde hellaut geblasen und erstickte und vermehrte das Gelächter. Wütend schrie der Vater des Fräuleins, indem er seinen Mantel über die Tochter deckte, zu den Trompetern: ob jetzt der Tusch sein sollte. – Das ward zum Sprüchwort unter den lustigen Gesellen und jeder feierliche Schimpf wurde seitdem ein Tusch genannt. Der Faden war nun gerissen. Anton drehte sich um, den Vorfall gut zu machen, aber der Faden seiner Rede schien ihm auch gerissen, er mußte lachen, das Fräulein lag in Ohnmacht und die Gesellen riefen einander zu, wenn sie nun weiter wanderten, kennten sie doch wenigstens das Wahrzeichen der Stadt; der Zunftmeister ließ auf ihr Begehren den Vorfall in Stein gehauen an dem Hause des Ratsherrn aufstellen, der nach glücklicher Verheiratung seiner Tochter ebenfalls seine Freude daran hatte.

So fröhlich war nun der Austritt Antons; vor dem Tore hatten ihm die Badegäste noch eine kleine Überraschung gemacht, da die Bäder in der Stadt abgebrannt waren, so mußten sich jetzt alle in [973] dem großen Weiher vor der Stadt baden, er mußte nahe vorbei, alle waren hinter einem hervorragenden Ufer versteckt, plötzlich rauschten sie zu ihm hin wie eine Schar Enten, vom Hunde aus dem Rohre gejagt, sein Pferd scheute sich, er hielt es. Zwei Jungfrauen erhoben sich jetzt auf künstlichen weißen Flügeln und setzten ihm, indem sie vorüberstreiften, einen Perlenkranz auf sein Haupt, dabei sangen sie sehr anmutig:


Den Nymphen der Gewässer hast du beigestanden
In ihrem Kampfe mit dem Feuer,
Du führtest sie, entlöstest sie den Banden,
Du wurdest ihrer Macht Befreier,
Und siegend drückten sie die Flammen nieder
Und brachten sie zurück zur Unterwelt,
Dich sanft zu kühlen schwingt sich ihr Gefieder,
Du hast noch weiten Weg, du kühner Held!

Anton dankte ihnen anständig und freundlich. Georg kam noch zu ihm, streichelte sein Pferd und konnte sich nicht trösten, daß er schon fortritt, und wollte ihn durchaus begleiten, er beschenkte ihn mit schönen Früchten und tröstete ihn damit, dann ging der Zug munter weiter, die gute Stadt verschwand hinter ihm, Güldenkamm ritt mit Susannen neben ihm, alle wunderlichen Abenteuer ihm zu berichten, die ihnen während ihrer ersten Reise hier begegnet waren. Es wurde beiden leichter, als sie sich so aussprachen. Die ungeheuren Dinge, die Güldenkamm auf seinem Herzen drückten, wie er sich mit Susannen stehe, was aus ihnen beiden werden solle, schwanden auf einmal in ihr Nichts.

Anton sprach nachdenklich: »Wenn ich diese mancherlei Hindernisse überdenke, so meine ich, daß ihr auf diesem Wege nicht zusammenkommen solltet, ach wäre ich so gestört worden, so aufgehalten, ehe ich meinen alten Drachen geheiratet, da wäre ich jetzt noch ein freier Mann und könnte dich heiraten, Susanna.«

»Das wäre recht schön«, sagte sie. – Güldenkamm entflammte von Eifersucht, aber er versteckte sich, er wollte beide erforschen, ob sie vielleicht einander schon näher verbunden seien, als er in seinem zutraulichen Sinne niemals geahnt hatte. »Wäret Ihr lutherisch gesinnt«, sagte er und sah vor sich nieder, »da könntet Ihr rasch von Eurer Frau geschieden sein, sie hat Euch ihr Haus und Bette versagt und Susannen könntet Ihr dann heiraten.«

[974]

»Sonderbar ist's«, sagte Anton, »daß es in einer Lehre eine Sünde sein kann, was gleichsam die ganze Seele fordert, und die andre Lehre für recht erklärt; überhaupt seit mir selbst so viel Wunderbares begegnet ist, denke ich über das Wunderbare in unserm Glauben anders, ich bin allen den Wesen, vor denen ich in scheuer Entfernung selig in ihrem kleinsten Blicke wandelte, näher gezwungen, das Wunderbare in ihnen liebe ich nicht mehr, sondern ich meine es ein großes Unglück, womit sie behaftet sind, aber das Herrliche, rein Menschliche in ihrem Wandel schwebt mir in unerreichlicher Höhe und käme ich wieder zu meinen Farben, das würde ich auszudrücken streben; was kümmert mich jetzt die gnadenreiche Mutter Maria, die an den geheiligten Orten manchem Leidenden geholfen hat; die herrliche Mutter und Frau, deren weiser Unterricht ihr Kind so früh gereift hat, daß es im Tempel jugendlich auftreten konnte, die alten Graubärte zu beschämen, die ist mir ehrwürdig, weil Millionen zu ihr anstreben und keiner sie erreicht.«

»Herr«, sprach Güldenkamm, der seit den letzten Ereignissen sich zu einer Art von ernstem Verhältnisse gegen ihn gebunden fühlte, »Herr, Ihr seid schon ein Lutheraner, wenn Ihr so sprecht, wenn Ihr so frei forscht über das Religionswesen, wenn Ihr nur das ehren wollt, was Euch ehrwürdig scheint.«

»Da bin ich gar schon weiter«, sprach Anton, »das lange Beten unverständlicher lateinischer Worte mag ich gar nicht mehr ertragen, selbst das Gebrümmle eines solchen Beters kann mich erzürnen, immerhin mag es gut sein, wenn Menschen mit Gewalt einem Glauben unterworfen sind, die nichts anerkennen als die Gewalt, daß sie so einen Betlärmen bei einander machen, wie jede Art Vieh sich an solch Geschrei und auch die erkennt, die sie füttern; die Menschen aber, die in ihrer Erkenntnis aus den übrigen hervorgerissen sind, denen genügt kein solches auswendig gelerntes Plappern.«

»Herr, Ihr seid schon weit über Luther«, sprach Güldenkamm, »Ihr könnt Euch immer scheiden lassen.«

»Aber hört«, sprach Susanna, »wenn unsrer Inbrunst nun kein Wort genügt und die Stummheit unsern Herzen widerspricht, sind uns da nicht Worte willkommen, bei denen das Gefühl stets mit Heiligkeit verweilte, die von uns nie gemißbraucht sind, weil [975] sie uns nicht verständlich sind, während in unserer Sprache selbst die frommsten Redensarten gar oft fluchend und spottend vor unsern Ohren mißbraucht sind, darum bete ich mein Ave Maria.«

»Ihr würdet Euch also niemals scheiden lassen?« fragte Anton erleichtert.

»Ich verdamme keinen, der es tut«, sprach Susanna, »ich habe in Pforzheim viel fromme Leute gesehen, die sich in großer Ehrbarkeit haben scheiden lassen, ich aber, wem ich mich verlobe, dem ergebe ich mich für Zeit und Ewigkeit, seine Tugend und sein Laster soll mein werden, kein Geschick kann mich von ihm trennen, mir scheint eine Ehe wie das Leben von Zwillingen, die ohne daß sie es selbst wissen, zusammengewachsen sind, nur in diesem Glauben der vollkommenen Einigung könnte ich mich einem Manne ergeben.«

Anton drückte ihr die Hand, es dämmerte ihm eine Aufklärung seiner wunderlichen Schicksale aus diesen Worten, er aber wußte sie nicht zu deuten. Nicht lange blieb ihnen Frist von diesem innern Leben in ihnen zu verhandeln, die Reiter, welche mit ihren Pferden bisher sie nicht hatten einholen können, ritten jetzt in ihre Nähe und der Ritter Blaubart dankte Anton in den freundlichsten Worten, daß er ihm durch das Geschenk des Degens, womit er ihn überwunden, den vergangnen Schmerz zu einer angenehmen Erinnerung habe umschaffen wollen; er schwor, das Schwert bis zu seinem letzten Atemzuge zu bewahren, es solle ihm den Ernst und die Würde verleihen, die er bisher, von einem gütigen Vater verzogen, oft vergessen habe. Was konnte Anton so großen Vorsätzen entgegenstellen, um den Degen wieder zu erhalten; sollte er ihn wegen seiner Zauberkraft rühmen, so verlor sein Kampf und alles sein Bemühen den Wert, im Grunde war er auch froh wieder von einer der schrecklichen Gewalten frei zu sein, die ihn bisher getrieben hatten.

Den Ritter Blaubart trat jetzt ein Haufe Zigeuner an, die mit schußfertigen Gewehren, in Vortrupp und Lauscher verteilt den Weg herunterzogen, sie hatten nichts Bösartiges im Sinn, suchten ihm aber ihre Kunst gleich deutlich zu machen, indem sie ihn als blanken Bräutigam anredeten. Er mußte ihnen die Hand zeigen und ein altes Mütterchen fahr zurück, sie sagte ihm, er werde fünf Frauen haben und viere davon würden gewaltsam umkommen.

[976] »Wie geht es mir aber dann?« fragte er lachend. Die Alte sagte: »Buch zu!«

»Diese Alte müssen wir doch etwas näher betrachten«, sagte Güldenkamm, »ein bedeutenderes Gesicht ist mir nie begegnet, nicht die Zauberzeichen, womit ihr Kragen und Hemdärmel gestickt sind, erzwingen von mir einen gewissen Glauben an sie, diese Stirn, dieses Auge unterwerfen mich, laßt Euch weissagen von ihr, Graf Anton.«

»Frau«, sagte Anton, »laßt Euer gelbes Ungeziefer von Gesellen zurücktreten, die Kerle mit ihren sonderbaren Fellen, närrischen Waffen und unverständlichen Reden stören mich, da ist meine Hand.«

»Ei«, sagte die Frau, »Eure Hand ist so breit, blanker Herr, daß sie ein Land bedecken könnte, und sie wird nicht hart darauf ruhen, ja das wäre nun alles recht gut, blanker Herr, aber Ihr werdet noch heiraten, das wäre alles gut, aber Ihr werdet ein junges Mädchen heiraten, das nicht bis fünf zählen kann.«

Susanna ward rot und Anton sah auf sie mit dem Gedanken, es könne sie wohl betrüben, daß sie es nicht sei, und fragte, um einen übereinstimmendern Sinn zu bekommen, wessen Tochter seine Frau sein werde.

»Eines Kaisers Tochter«, antwortete die Frau.

ANTON: »Wann soll ich sie erkennen?«

ZIGEUNERIN: »Wenn du niemand liebst als sie.«

Susanna reichte jetzt die Hand, die Zigeunerin schlug ihr leicht darauf, gab sie ihr dann, drückte sie und sagte: »Bist bald zu groß zum Hosentragen, blanke Schwester, trag die Hosen über dein Gewissen sorgsam, daß dir nichts genommen werde, was du nicht wieder bekömmst.«

Güldenkamm war auch schon mit der Hand bereit, die Zigeunerin lachte: »Ihr werdet noch allen aus der Not helfen ohne selbst einen Rat zu wissen, Ihr seid ein Mann des Zufalls, seid zufrieden mit allem, was er Euch beschert, ein verständiges Weib täte Euch not.«

»Das ist infam«, schrie Güldenkamm, »das Weib macht mich zum Narrn.«

»Nein«, sprach sie, »du wirst nur zum Narrn gehalten, aber du bist keiner, der aber dort auf einem Pferde sitzt, das er immer mit dem Zügel anzieht, wenn es still stehen soll, der hat einhundert [977] Narrenkappen in seinem Wappen und wird Euch so gut bedienen, wie irgend ein Narr vornehme Herren bedient hat.«

Jedermann sah sich um, der arme Konrad pfiff in die Luft, und merkte nichts.

Anton wollte schon weiter ziehen, indem er der Zigeunerin einen Goldgulden überreichte, sie aber trat noch zu ihm und sprach: »Sorgt für Susanna, ich werde sie einmal von Euch zurückfordern.«

»Wer seid Ihr, warum könnt Ihr sie von mir fordern?«

»Schweigt davon«, sagte sie, »denn keine Springwurzel öffnet mein Herz, wenn ich nicht sprechen darf, gedenkt, daß Ihr von der Krone auf hohem Turm auch schweigen müßt. Gott behüt Euch, blanker Bruder.«

Die Zigeuner zogen mit ihrem wunderlichen Kram von tanzenden Bären, Murmeltieren und abgerichteten Vögeln fort. Anton zog tief in sich versenkt seinen Weg, da öffnete Güldenkamm, indem er lustig zujagend seinen Gram gestoßen und verschaukelt, seinen Mund und die andern sangen ihm sein frohes Reiterlied nach.


GÜLDENKAMM:
Flüchtig Dasein auf den Rossen,
Kühnes Buhlen mit dem Winde
Schaut die Erde fortgestoßen,
Rollet unter uns geschwinde.
CHOR:
Schaut die Erde fortgestoßen,
Rollet unter uns geschwinde.
GÜLDENKAMM:
Brausend strecken sich die Rosse
Schmal wie einer Jungfrau Leib,
Was auf Erden ich genossen,
Dies ist schnellster Zeitvertreib.
CHOR:
Was auf Erden wir genossen,
Dies ist schnellster Zeitvertreib.
GÜLDENKAMM:
Grüne Äste überstreifend,
Treiben fort die läst'gen Fliegen,
Durch die grünen Wiesen
Gleiten wir in Wolkenzügen.
CHOR:
Durch die leichten Wolken schweifend
Teilet euch in gleichen Zügen.
[978]
GÜLDENKAMM:
Unser Hufschlag schallet doppelt
An des Waldes grüner Wand,
Und die Sonne scheinet doppelt
Bebend an der Erde Rand.
CHOR:
Seht, die Sonne scheinet doppelt
Vor dem Auge froh entbrannt.
GÜLDENKAMM:
In den Zügen, welch Geschreie,
In den Mähnen, welch ein Hauch,
Über uns kommt eine Weihe,
Eine Träne in das Aug.
CHOR:
Über uns kommt ein Geschreie,
Holla ho nach Reiterbrauch.
GÜLDENKAMM:
Wir vergessen schon der Stunden,
Wo wir zwischen Mauern wohnen,
Sind vom Abendglanz gebunden
Freier Lieb zur Nacht zu fronen.
CHOR:
Abendglanz, wer dich gefunden,
Wird bei seinem Liebchen wohnen.
GÜLDENKAMM:
Lange drückte schweigend Bangen
Meines Herzens tiefen Grund,
Seit mein Roß ist durchgegangen,
Füllt mit Jubel sich mein Mund.
CHOR:
Uns erfasset doch ein Bangen
Auf dem glatten Wiesengrund.
GÜLDENKAMM:
Weggeworfen sind die Bügel,
Schwebend hält mich Gleichgewicht,
Freies Roß, zerreiß die Zügel,
Jage nach dem Sonnenlicht.
CHOR:
Fallet ihm nur in die Zügel,
Daß er sich den Hals nicht bricht.

Die gute Laune der Reiter endete das gefährliche Spiel Güldenkamms, der in einer frevelnden Begeisterung diesen Abend fortphantasierte, wunderliche, oft freche Liebesabenteuer anderer als seine eigene Geschichte erzählte; indem er in verkehrter Überzeugung eines heimlichen Einverständnisses zwischen Anton und [979] Susanna seine Liebe zu ihr auszulöschen suchte in angenommenem Stolz, entfernte er sie ohne Willen von sich zu einer Zeit, wo sie ihre Freundlichkeit mehr als je zu ihm hingewendet hätte, da sie vor mancher Eitelkeit Antons zurückschreckte. Auf einer warmen Bergseite, wo in der Wiesennähe große Haufen des schönsten frischen trocknen Heues dufteten, beschloß Anton diese Nacht zu rasten, alles stieg ab, die Knechte sorgten für die Pferde, die sie mit verbundenen Füßen auf die schöne Wiese führten und ihrer Freßlust überließen, die Herren hatten unterdessen schon das Heu unter dem Laubdache großer Buchen ausgebreitet und Decken darauf gelegt. Sie suchten nach Holz und fanden Bretter, die sie als Tisch in die Mitte des Lagers zur Sicherstellung der Becher auflegen konnten, das Brennholz mußten sie aus dem häufigen Reisig zusammenlesen, alles brach man übers Knie, was vorgefunden wurde, und Anton, indem er Feuer angeschlagen hatte, legte den brennenden Zündschwamm in einen großen Büschel trockner Blätter, die von Papier festgehalten waren, und bewegte sie dann heftig in der Luft herum. Erst rauchte es, dann fing es an, rötlich durchzuleuchten, dann brach die helle Flamme durch seine Hand, womit er schnell die angebrannte Blättermenge unter das trockene Reisig steckte, ein Wind erhob sich, und alles loderte mit Eile empor, daß sich die Bäume plötzlich in herrlicher Beleuchtung gleichsam verwandelt wie Säulen eines Tempels mit grüner Wölbung um ihn her ordneten, herrlich knatterte mit Wohlgeruch das grüne Laub des Wacholders, an welchem die Beeren fast schwarz gereift waren; die Vögel in ihrem Blätterdickicht erwachten und glaubten den Tag zu begrüßen, Güldenkamm bestärkte sie darin, denn mit wunderlicher Geschicklichkeit wußte er ihren Morgengruß nachzumachen, daß Finken und Häher, Meise und Specht getäuscht wurden. Ehe die Speisen bereitet waren, wurde das Weinfaß aufgerichtet, Susanna als erwählter Mundschenk mußte die Becher füllen, da gab's ein Gesundheittrinken, ein Singen aus allen Kehlen, von Klingenberg am Maine, von dem guten Heu, Güldenkamm schrie seine Späße dazwischen, daß mancher ehrliche Pforzheimer sich wälzen mußte. Als er alle lustig geschwatzt hatte, machte er plötzlich einen ernsten Zug mit der Hand übers Angesicht, sah auf einmal ganz anders aus und sang mit recht bitterm Ernst:


[980]
Grimmig ist der Gott verwandelt,
Der im weine lächelnd haust,
Hat mit Schlägen mich behandelt,
In den Haaren mich gezaust.
Keiner trink vom Freudenwein,
Der ein traurig Herz verschließt,
Denn er öffnet uns allein,
Was in Tränen sich ergießt.
Wein verwandelt sich in Weinen,
Wie er lang den Namen äfft,
Denn die Traurigen erscheinen
Während Lust sich selbst verschläft.
Trauer sitzet auf zur Wacht,
Liebe schließet ihr das Tor,
Und die kalte feuchte Nacht
Weilet sausend ihr im Ohr.

Die lustigen Seelen waren aber noch nicht hinlänglich verschlafen, um von dem Schreckensgesange nicht aufgeweckt zu werden, ein paar fielen über ihn her, um ihn zum Tanzen zu bringen, er wehrte sich, aber es half nicht, der Zwang verdroß ihn, aber es half nicht, er schlug um sich, es half nicht, ein paar knollige Bursche hatten ihn gepackt, ein paar ludelten dazu, Anton gönnte ihm den Unterricht in dem, was sich beim Trinken schickt. Endlich riß ihm die Geduld und er riß sich los, die andern mit Holzbränden hinter ihm her, das war eine Jagd, er lief so eilig, daß er einem wilden Eber beinahe in die Rippen trat, der dann mit seinen Hauern den Verfolgern den Weg zu verhauen Lust bezeugte. Der Anblick war den unbewaffneten Verfolgern nicht willkommen, sie waren noch gescheit genug davon zu laufen, wobei es leicht begreiflich war daß sie im allmählichen Erlöschen aller ihrer Feuerbrände den rechten Weg verfehlten, nur ein paar kamen zu Anton zurück, der mit Konrad und Susannen beim Weine geblieben war. Vergebens war jetzt das Rufen nach ihnen, die vielen Stimmen, die verwirrend einander zuriefen, der Widerschein, der sie weiter lockte, Irrlichter, die sie in falsche Richtungen führten, Moräste, die sie vermeiden mußten, zogen sie immer weiter von dem schönen Lager ab, an dem sich jetzt die Knechte ergötzten, die über einander genug zu lachen und zu erzählen hatten, was jeder erlebt, wie er sich endlich [981] wieder zurecht gefunden, um sehr lange bei der unglücklichen Ursache dieser Zerstreuung zu verweilen. Noch waren keineswegs alle vollzählig, wohl aber waren manche Jäger und Bauern durch das Lärmen herbeigezogen worden, auf die man ein wachsames Auge haben mußte.

Unter diesen Fremden zog ein Hirtenmädchen Katharina die Aufmerksamkeit aller auf sich, sie ging stolz neben ihrer Ziegenherde, ihre Größe war männlich, ihre Hüften hoch, ihr langes schwarzes Haar trug sie frei aufgebunden, ihre gebogene Nase hatte einen Adlerstolz und die aufgeworfene Lippe verleugnete diesen weder durch Ansehen, noch durch Rede. Einige junge Leute machten ihr leichtsinnige Anträge, sie wirft alle hochmütig von sich und wenn sie um die Ursache dieses Stolzes fragten, antwortete sie höhnisch: »Weil ich eine Jungfrau bin.« – Als die Bauern sahen, daß die Fremden sie neckten, fingen sie auch an sich in etwas sehen zu lassen, der eine fragte: »Was macht der Herr Vater Edelmann auf der Burg?« – Sie erwiderte stolz: »Er prügelt euch Bauern!« – Güldenkamm, der ein Gefallen am Ungewöhnlichen vorgab, nahte sich ihr mit vieler Artigkeit, wodurch er ihr Zutrauen schnell zu erwerben wußte, daß sie von ihm Wein und Speisen annahm, ihm auch erlaubte ihre Ziegen an sich zu locken, die er herzte und küßte, als hätte sich alle Zärtlichkeit von Susanna plötzlich auf diese Tiere geworfen, er trug sie und schüttelte sie, neckte sie, bis sie gegen ihn anliefen, dann fing er den Stoß mit seinen Händen auf. Katharina schien das mit Wohlgefallen zu bemerken, sie saß dabei in ernster Ruhe und sang ein Hirtenlied, das sie auf sich gemacht hatte:


Die Schäferin
Mit Rittersinn,
Die Jungfrau rein
Geht ganz allein,
Der Bauernknecht
Ist ihr zu schlecht,
Aus edlem Blut
Erwächst ihr Mut.
Des Kaisers Jagd
Zieht übers Feld,
Des Kaisers Macht
[982]
Sich ihr gesellt,
Der Kaiser spricht
Ihr ins Gesicht.

Der Kaiser

Vom Schloß ich zieh,
Zu dir ich flieh,
Lieb Schäferin,
Nach deinem Sinn.
Mein Zepter wird
Ein Hirtenstab,
Und was ich hab,
Dich Schäfrin ziert. –
Die Schäfrin spricht
Vor sich ins Gras,
Ihr im Gesicht
Der Kaiser las.
Schäferin

Ich Schäferin
Mit leichtem Sinn
Sing ruhig fort
Mein sinnig Wort:
Ein jeder bleib
Bei seiner Herd,
Den König ehrt
Kein Schäferweib.

Der Gesang entzückte Güldenkamm, er glaubte einer vertriebenen Kaiserin begegnet zu sein, er sagte ihr entzückt, daß ihr Wesen ihre hohe Abkunft beweise, und sie nahm diese Worte mit sichtbarem Wohlgefallen auf, auch sprach sie gern mit Susannen, die sehr bald aus ihr herausbrachte, daß sie sich für die Tochter eines Grafen halte. Die Bauern aber versicherten, es sei nicht wahr, der Vater habe sie oft darum geschlagen, es sei daher gekommen, daß eine Gräfin in früher Zeit sie einige Zeit zu sich genommen habe, bis ein eignes Kind die Lücke gefüllt hätte, da sei sie im Schlosse nicht mehr wie sonst geliebt und verzogen worden, das habe sie gekränkt und sie sei fortgeflüchtet. Das sei schon sehr lange und Katharina gar nicht so jung, wie sie aussähe. Die Gräfin fand diese Aufführung so undankbar, daß sie das Mädchen nie wieder gesehen [983] hat, Katharina hingegen lebt in ihren Gedanken noch immer auf dem Schlosse, sie verrichtet ihre Geschäfte, dann aber nimmt sie alle vornehme Leute, die sie dort gesehen, in Gedanken zum Besuche an, spielt mit ihnen wunderliche Abenteuer, wobei ihre Tugend und ihr Leben oft in schrecklicher Gefahr zu sein scheinen, die sie aber alle glücklich überwindet.

Anton bat die Leute, Güldenkamm von diesen Einbildungen der stolzen Hirtin nichts zu sagen; da er doch wegen einiger vermißter Reisegenossen den Tag noch im Walde gelagert bleiben wollte, so versprach er sich davon einige Unterhaltung. Sehr bald ging Güldenkamm mit der Hirtin in tiefen Gesprächen den Berghang hinunter; als er zurückkam, schien er in besonders heitrer Laune ganz in der Art, wie er in den ersten Tagen mit Susannen gewesen, er drückte jeden an sein Herz und lächelte, als würde er von schöner Hand gekämmt.

Allmählich kamen die Verlorenen wieder zusammen, Ritter Blaubart war einer der letzten, er wurde ganz erschöpft und gebunden von einem Köhler herbeigeführt. Nachdem er befragt, erzählte er seine Abenteuer, daß er durch ungeheure Sümpfe sich gearbeitet habe, wo Molch und Schlangen sich um ihn hergeschlängelt, daß er endlich vor der Hütte eines armen Kohlenbrenners liegen geblieben sei, der ihn gespeist und erquickt habe; derselbe Mensch habe ihn auch zurückgeführt, sei aber unterwegs so still geworden, habe sich einen gewaltigen Stamm als Spazierstock abgebrochen und so fürchterlich mit allen Muskeln geknackt, daß er jeden Augenblick gefaßt gewesen sei, ihn gegen sich als Mörder umdrehen zu sehen. Dieser Gedanke hatte den Ritter endlich so durchdrungen, daß er sich über den Führer von hinten hergeworfen und ihn geknebelt hatte. Nachdem er dies vollbracht, hatte er erst die Klagen des alten Mannes vernommen, der ihm alles Gute vorwarf, was er ihm getan, er hatte sich über eine so schlechte Vergeltung geärgert und den alten Mann losgebunden; kaum aber ist der Köhler in Freiheit gewesen, so hat der die Gelegenheit benutzt, als er es am wenigsten erwartet, ihn zu binden, der Ritter hatte seinen Tod für gewiß gehalten, der Alte aber hatte ihn stillschweigend an den Platz geführt, wo er die Fremden vermutete.

Anton fragte den Köhler nach der Ursach seines Betragens, der Alte brummte ganz ruhig: »Einmal war der Herr nicht recht klug, [984] da konnte er es wohl öfter sein.« Dagegen war nichts einzuwenden, alles Zutrauen ist doch nur die Folge davon, daß es niemals gebrochen; Anton suchte mit einem frohen Trinkgelage alle zu versöhnen, wozu er ein nah gelegenes verlaßnes Schloß erwählte, dessen Rittersaal, mit wilden Rosen reichlich geschmückt, die große Menge stattlich und bequem umfing.

Güldenkamm war unterdes mit der stolzen Katharina beschäftigt, sie kam häufig zu der Gesellschaft zurück, er aber suchte sie auf allerlei Art davon zu entfernen, besonders von Anton, dem sie nicht abgeneigt schien. Als sie wieder allein war mit Güldenkamm, fing sie an ihn milder anzublicken und versicherte, sie wolle ihm in der Nacht etwas vertrauen, er möchte nur zu ihr schleichen, sie würde sich unter der hohen Eiche nicht weit vom Schlosse finden lassen. Sie sprach so ernst bei dieser Einladung, daß Güldenkamm erst an ein Liebesabenteuer gar nicht denken wollte, sie aber sah ihn zuweilen so schelmisch an und sang dann mit leiser Stimme:


Auf den Berg bin ich gezogen,
Hab den Vögeln zugeschaut,
Wie sie da gespielet haben,
Daß die Federn sind geflogen,
Und ich nahm die kleinen Gaben,
Hab ein Häuschen draus erbaut.
Auf die Wiesen sah ich nieder,
Und die Lämmer, mit Gespött
Jagten sich in Rosenhecken,
Wolle blieb da hin und wieder
An den Dornenzweigen stecken
Und ich machte draus ein Bett.
Als der Erntewagen kommen,
Zog er auch am Rosenzweig,
Weil er war zu breit geladen,
Hat der Zweig davon genommen,
Wär's verloren, war's ein Schaden,
Was ich sammle, macht mich reich.
Haus und Bett und Winterfutter
Hab ich mir nun angeschafft,
Einsam lieg ich in dem Bette,
[985]
In dem Haus befiehlt die Mutter,
Wenn ich einen Liebsten hätte,
Wär ich frei aus dieser Haft.

Güldenkamm war von dieser Annäherung sehr überrascht, doch ging er gleich zur näheren Untersuchung dieses gepriesenen Heiratsguts mehr aus Neugierde, als daß sein Herz darnach verlangte. Katharina erzählte ihm nun ausführlich, daß sie lange Gänse gehütet habe und Schafe und alle verlorne Federn und alle hängen gebliebene Wolle sich aufgesammelt habe, nun sei daraus ein schönes breites Bette geworden, auch habe sie mit Ährenlesen eine kleine Scheuer gefüllt, das alles sei ihr Eigentum und wenn sie nun erst den Grafen, ihren reichen Vater, gefunden, da werde sie in Überfluß leben. Güldenkamm fragte nach dem Namen dieses Grafen, sie verwies ihn auf die Nacht, wo sie ihm alles sicher erzählen könne. »Seht da«, sprach sie, »ich werde schon wieder gescholten werden von dem alten Niklas, der sich ganz trotzig für meinen Vater ausgibt, aber Ihr braucht ihn nur anzusehen, so werdet Ihr finden, das sei unmöglich.«

Der alte Köhler kam jetzt vorbei und befahl ihr mit grimmigen Gebärden ihn nach Hause zu geleiten, es sei finster und er werde bald nicht mehr recht sehen können. »Alter, bleibt hier«, sagte Güldenkamm, »es ist für Euch reichlich gesorgt mit Speise und Trank!« – »Ich kann nicht«, sagte der Alte, »die Mutter wartet mit dem Essen.« – »Die wird was Schönes zugekocht haben«, sagte Katharina, »kein Mensch mag mit der essen, heut ist so ihr Tag, wo sie Rattenschwänze statt Nudeln in die Suppe tut.« – Der Alte ward böse und wollte Katharinen mit Gewalt fortreißen, aber Güldenkamm warf sich dazwischen und nötigte ihn mit Ernst in das Schloß zurück, wo er ihn der Aufsicht der Knechte übergab, damit er ihm sein nächtliches Abenteuer nicht durchkreuze. Als er das veranstaltet, fühlte er selbst, wie zerschlagen er war durch die Anstrengung vergangener Nacht, durch den Tritt des Ebers in seine Rippen, er konnte sich kaum regen, wenn er sich einmal niedersetzte, und mußte vor sich selbst lachen, wie er so eifrig einem Vergnügen auflauere, das er wohl gar verschlafen müsse, doch fühlte er dabei, daß die Lust ihren eigenen Kopf hat, und an den Leib nicht gebunden ist.

[986] Im Schlosse ward es immer unruhiger, auf dem Hofe tanzte und schlug sich das Bauernvolk bei dem Biere; da hatten sie bunte Federn auf ihre Kappen gesetzt, da hatte einer schon seinen alten rostigen Degen gezogen, weil der Nachbar seine Frau in einen Winkel gezogen, dort hatten ein paar Weiber einander bei den Haaren und die Männer gossen ihnen ruhig kaltes Bier über die Köpfe; der Dudelsack ging nicht schlecht. Im großen Schloßsaale ging es beim Weine noch etwas still zu, das ganze Zimmer war mit wilden Blumen aller Art gestreut, Anton und die meisten seiner Gesellschaft lagen umher und schienen in der Behaglichkeit zur Träumerei übergehen zu wollen. Endlich sprang Anton auf und sang, indem er sich an die Spitze des langen Tisches setzte:


ANTON:
Wälzt ihr träumend euch auf Rosen,
Wecken sie mit spitzem Dorn,
Laßt beim Wein der Liebe Kosen,
Denn das gärt ihn auf zum Zorn.
GÜLDENKAMM:
Kitzelt die Lust,
Witzelt die Freude.
Mir ist bewußt
Himmlische Weide.
ALLE:
Springt zum Weine, muntre Füllen,
Alle Pfropfen sollen springen;
Jeder Becher soll sich füllen
Und am andern widerklingen.
GÜLDENKAMM:
Springet in Lust,
Klinget in Scherzen,
Mir ist bewußt
Heimliches Scherzen.
ALLE:
Eitle Lichter sollen zittern,
In der Tonflut hohen Wellen,
Alle Tische ungewittern,
Trommeln mut'ge Trinkgesellen.
GÜLDENKAMM:
Trommelt in Lust,
Stürmet den Himmel,
[987]
Mir ist bewußt
Zärtlich Getümmel.
ALLE:
Höret alle Scheiben beben,
Höret alle Wände dröhnen,
Wenn die Stimmen sich erheben,
Muß der Donner uns versöhnen.
GÜLDENKAMM:
Bebet in Lust,
Tönet in Fülle,
Mir ist bewußt
Liebender Wille.
ALLE:
Überall ist frohes Leben,
Wie noch keiner je erhörte,
Alle Lustigkeit von oben
Wieder zu der Erde kehrte.
GÜLDENKAMM:
Lebet in Lust
Jauchzender Stunden,
Mir ist bewußt,
Wer sie empfunden.
ALLE:
Saget, unter welchem Zeichen
Stehen wir an diesem Tage?
Schwört, daß keiner soll entweichen
Ohne Spitz vom Festgelage.
GÜLDENKAMM:
Fraget in Lust,
Suchet die Zeichen,
Mir ist's bewußt,
Sie ist mir eigen.
ALLE:
Einer schwanket nach der Türe,
Daß wir andern fester sitzen,
Schwacher Bruder, laß dich führen,
Mußt dich nicht so schnell bespitzen.
GÜLDENKAMM:
Bleibet in Lust
Angeführt sitzen,
Mir bebt die Brust,
Sie zu besitzen.
[988]
ALLE:
Einer fiel, es fallen alle,
Doch in Reih und Glied wie Krieger
Harren wir mit Jubelschalle,
Wer zuletzt erst fällt als Sieger.

Alle glaubten, Güldenkamm mache einen seiner gewohnten Scherze, eine Heimlichkeit sich einzubilden, diesmal war es aber ernst, er schlich nach der hohen Eiche, an der Katharina, mit ihrem Schäferstab gelehnt, wie eine Bildsäule stand. Der Meistersänger beschleunigte seine müden Beine und wollte ihr um den Hals fallen, sie wies ihn mit dem Schäferstabe zurück. »Höre«, sprach sie, »nicht zu schnödem Liebeswerk hat dich die schuldlose Schäferin bestimmt, nein du edler Sänger, ein größeres Werk ist dir beschieden, mich sollst du führen auf des Vaters Schloß, zur Kronenburg, die mir verheißen.«

»Kronenburg?« fragte Güldenkamm, »und wenn ich mein Gedächtnis wie eine Tasche umdrehe, so fällt mir nicht ein, wo der Ort gelegen sei, Mädchen laß das jetzt.«

»Drei Schritt von mir«, spricht sie, »sonst straf ich deine Frechheit; gedenke, daß ich eine Jungfrau bin, wohl aus dem herrlichen Geschlecht der Grafen Stock.«

»Gut gesprochen«, sagte Güldenkamm, der durch alles Feierliche in den Gegensatz des Spottes gesetzt wurde, »den Stock scheinst du führen zu können, daß ich dich immerhin als Gräfin von dem Stocke anerkennen möchte, wenn du ihn nur bei Seite stellen wolltest, aufrichtig gesagt, es kommt nichts dabei heraus.«

KATHARINA: »Es kommt heraus, daß ich des Grafen Schwester bin, dem du als Sänger zugesellt; zwar nicht im Ehestand geboren, doch aus der Liebe, sieh diesen roten Strich um meinen Hals im Mondenscheine, dies wird dem Herrn mein edles Blut versichern.«

GÜLDENKAMM: »Der Strich ist mit den Augen nicht zu leugnen, doch möcht ich ihn auch mit dem Munde mir bestätigen.«

KATHARINA: »Des braucht es jetzt noch nicht, doch biet ich dir die Wange heut zum Kuß, wenn du zur Ehe dich mir heut verloben willst, doch ohne meiner Liebe zu begehren.«

GÜLDENKAMM: »Ich könnte das Versprechen immer wagen, denn nicht umsonst blick ich durch deine Feueraugen in dein Herz.«

KATHARINA: »Was ich gebiete, kann ich selbst halten, doch ehe [989] du leichtsinnig diesen Bund willst eingehen, höre, was ich dir von den Meinen sagen muß.« Sie redete leiser, »ich habe Schreckliches dir zu verkünden, der Niklas, der mein Vater wird genannt, der ist der Teufel und meine Mutter hat er zur Hexenkunst verführt. Sie hat es mir vertraut, als sie mich ihm mit Leib und Seele übergeben wollte, er könne sich verwandeln, erscheine oft ein stattlich junger Jäger mit einer Hahnenfeder, wenn sie ihm wohlgedient, mit Zärtlichkeit zu lohnen. Ich tat ihr meinen Abscheu kund, da lachte sie und sprach: ›Vergnügen ist nicht viel dabei, das muß ich selbst gestehen, doch manche Kunst, die gar sehr künstlich ist!‹ Bei diesen Worten hatte sie die Stirn sich eingesalbt und setzte sich auf eine Ofengabel und schwankte bebend um den Feuerherd, dann sank sie tot zu Boden, daß ich sie nicht erwecken mochte, doch plötzlich krachte schwer das Dach, da wachte sie aus ihrer Ohnmacht auf und erzählte vergnügt von tausend Dingen, die sie auf ihrer Reise nach dem Blocksberg wollt gesehen haben, wohin der böse Geist sie in der kurzen Zeit entrückt hatte, sie sprach von der Musik, vom Tanz, vom Glanz der großen Herren, als ob ich noch in meines Vaters Schloß gewesen, und sicher hätte sie mich in das Garn gelockt, wenn sie mir nicht von dem Konfekt geboten hätte, was sie dort eingesteckt, das war...«

GÜLDENKAMM: »Ein Dreck.«

KATHARINA: »So eine fremde Losung mocht es sein. Seitdem vermied ich sie und suchte mir im Dorf Bekannte und mancher Freier kam, mich zu besuchen, doch wenn sie sich bei uns zum Tisch gesetzt und sahn die Schlangen in der Suppe und den Salat von Spinnen und gebackene Frösche, was sie als Leckerbissen ihnen vorgesetzt, da liefen sie mit großer Übelkeit vom Hause fort und ich ward bald verlacht. Seht Herr, mit solchem Haus wollt Ihr Euch kühn verbinden.«

GÜLDENKAMM: »Es macht mich eifriger nach deiner Liebe, weil sie dir nützlich ist und mir nichts kostet als die Keuschheit, die ich doch gegen dich bewahren müßte, wenn ich dich nicht besäße; wohlan, nimm meine Hand, ich will dich führen zu dem Bruder.«

Sie gingen beide auf das Schloß zu, und wie Katharina den Schatten der Bäume am Boden so zuschaute, winkte sie Güldenkamm mit einem Drucke der Hand auf einige Schattenbilder von Menschen zu achten, die in den Zweigen versteckt an mehreren [990] Bäumen hervorsahen. Güldenkamm sah mit einem heimlichen Herz- und Händefrost diese sonderbare Erscheinung, wären es Geister gewesen, die jene Bäume bewohnt, so hätten sie keine Schatten geworfen, es mußten versteckte Mörder sein, denn die leben wollten, fanden es herrlich lebend im Schlosse, wo jedermann gut aufgenommen war. Stillschweigend gingen sie in das Schloß, immer in der Sorge, daß der Druck eines Fingers eine Kugel oder die Spitze einer Lanze gegen sie aussende, doch kamen sie unverletzt in den Rittersaal, wo alles in tobender Freude durcheinander sang und lag. Anton goß durch eine Trompete den Wein an die Erde und blies abwechselnd hinein, dabei sang er:


Trompete, du willst lustig sein,
Und gießt den Wein von oben rein,
Und unten läuft er wieder aus,
Da bleibt das liebe Gut im Haus,
Du blecherne Trompete,
Du willst ein rein Gelöte.
Trompete, du willst lustig sein,
Ich blase dir von vorn hinein,
Du bläst von hinten gar nicht fein,
Du grunzest wie ein wildes Schwein,
Du blecherne Trompete,
Was spricht von dir die Flöte?

Nur mit Mühe konnte Güldenkamm Anton in diesem Gesang stören, um ihm die sonderbare Erscheinung auf den Bäumen zu melden, die Anton weiter nicht achten mochte. Aber der Zufall hatte ihm besser gedient als seine Klugheit, der Schall seiner Trompete hatte die Knechte geweckt, daß sie die Pferde gesattelt herausführten; die Bauern, die auf den Bäumen versteckt die müde Frühheit zum Überfalle erwarteten, wurden über die Trompete, über das Lärmen im Schlosse bedenklich, ein paar glaubten, der alte Niklas, der sich aus dem Hause weggeschlichen, werde sie den Herrn verraten, fielen über ihn her, banden ihn und brachten ihn mit großem Geschrei ins Schloß, wo jedermann ihn noch in festem Gewahrsam vermutete. »Er hat uns allein verführt«, rief einer, »die gnädigen Herren heute auf den Kopf zu schlagen, ich verstehe,[991] daß wir es haben tun wollen, er hat uns viel Geld dafür versprochen.« Alles fuhr auf und sprach untereinander, nur Anton blickte ihn ruhig scharf an und fragte ihn, warum er das habe tun wollen.

»Ihr habt meinen Fabian umgebracht«, sagte der Alte, »meinen lieben Fabian.«

»Bist du Niklas?«

»Ich bin es, Herr!«

»Hab ich dich, du Verruchter«, wütete Anton, »wie hast du meinen armen Vater verfolgt; wie kann ich das je genug an dir rächen.«

»Herr«, sprach er, »er hat Euch wohl nicht gesagt, daß wir ausgeglichen sind, er ist ein Sünder wie ich, hab ich ihm wehe getan in der Jugend, so hat er mich in späteren Jahren vernichtet; o du mein Himmelchen, meine Barbara, die hatte ich mir für meine alten Tage ganz allein für mich geheiratet und als er von seiner Frau erst keine Kinder hatte, da hat er mir Hörner aufgesetzt, – und da seht Ihr sie stehn, Eure Halbschwester.«

»Dem Teufel Hörner aufzusetzen, das ist ein liebes wertes Stück«, sagte Güldenkamm; Anton aber sah den roten Streifen um Katharinens Hals, der sein Geschlecht bezeichnete, er faßte seines Vaters Ähnlichkeit in ihrer hohen Gestalt, stürzte in ihre Arme und nannte sie Schwester. »Niklas«, sagte er, »Euch sei verziehen um dieser Schwester willen, die Ihr mir auferzogen habt, aber sagt mir Bescheid, Ihr seid nun ein alter Mann, Euer Haar fällt vom Haupte und Eure Knieen beben, könnt Ihr nicht endlich zum Guten kehren? – seht diese geliebte Schwester, da so viel Herrliches neben Euch bestanden hat, so muß Gottes Kraft groß sein, entsagt dem Teufel und allen seinen Werken.«

»Hört Niklas«, sprach Katharina, »seht nur, wie so ein Mann noch gutmütig zu Euch reden kann, für Euch sorgen möchte, den Ihr ewig verflucht habt, wendet Euch aus des Teufels Ringen, reicht uns die Hand.«

Niklas schien weinen zu wollen, er wollte auch die Hand ausstrecken, die Rührung in beiden, aus dem ersten Genusse verschwisterter Gesinnung hervorgequollen, strömte ihm aus einem Himmel, den er nie gekannt hatte; zum erstenmal rief ihm eine innere Stimme zu: ich wollte, daß ich wäre wie diese! Da warf ihn die Macht des Teufels an die Erde nieder; wie der Jäger seinen [992] Hund, der aus Mitleid einen Hasen laufen ließ, und schlägt ihn mit scharfen Dornen, so zerschlug ihn der Teufel unsichtbar und er wand sich fürchterlich, seine Lippen wurden blau, sein Gesicht weiß, seine Kleider zerriß er, seine Hände zerrang er. So tobte er schon lange – als ein armer Einsiedler aus dem Walde geholt wurde, der in solchen Dingen erfahren war; der kräftige Fromme kniete neben ihn, packte ihn fest und schrie ihm die kräftigsten Gebete in die Ohren, besprengte auch seine Schläfe mit Weihwasser und brachte ihn dadurch allmählich zu einem tiefen Schlafe, währenddessen ihm der Einsiedler eine Tonsur schor und eine Kutte überzog. Als Niklas nun wieder erwachte, wollte der Teufel in ihm lostoben, als er aber das Kleid betrachtete, erschrak er und auf des Einsiedlers Gebet ging nun wie eine Flamme aus seinem Rachen, in welcher ein schwarzer Geist sich bewegte. »Amen«, sagte der Einsiedler, »Amen«, rief Niklas ihm weinend nach, so sprach er ihm jetzt auch willig alle Gebete nach.

Niklas wollte jetzt alle jämmerlichen Ereignisse seines Lebens in frommer Gesinnung beichten, der Einsiedler erlaubte es ihm aber nicht, es möchte den Teufel wieder locken, er müsse jetzt in strenge Aufsicht genommen werden. Die Neugierde Antons entschied, ihn, den Einsiedler, der sich Rautenstrauch nannte, mit dem armen Sünder nach der Einsiedelei zu begleiten, um das Leben eines Einsiedlers näher kennen zu lernen. Der Aufbruch aus dem wüsten Schlosse wurde durch die Trompeten verkündigt, die Reisigen stiegen zu Pferde, die stolze Katharina ritt an Antons Seite, so kamen sie vor den Bauern vorbei gezogen, die sie gnädig begrüßte, endlich zu der Herde, die sie einem jungen Hirten übergab, der ihr oft behülflich gewesen war, die verlaufnen Ziegen zusammen zu treiben.

»Liebe Katharina«, sagte der schöne Schäfer, »sonst gibst du mir nichts zum Abschiede, dachte ich doch einmal deine Hand mir zu gewinnen.«

»Einfältiger Bauerkerl«, antwortete Katharina, »wie hat Er sich so etwas einbilden können; erst wenn dein Holzschuh mit einem güldnen Sporne geziert ist, will ich dich als meinen Herrn anerkennen.«

»Geb Er sich zufrieden«, rief ihm Güldenkamm, »wer das Glück hat, führet die Braut nach Hause.«

[993] »Vergeßt nicht die Bedingung«, sagte Katharina ernsthaft zu Güldenkamm.

Eine andre wunderliche Unterredung zog aber in diesem Augenblicke alle Aufmerksamkeit zu dem Einsiedler, der einen alten Bauer heftig ausschimpfte, daß er ihm keine Vögel gebracht, da er doch wisse, daß dies sein Vögelmonat sei. Der Bauer entschuldigte sich, er sei krank gewesen, aber der Einsiedler nannte ihn einen eselhaften Knollfinken, ohne Andacht, den er bis ins dritte Glied verfluchen wolle, die Vögel sollten ihm nicht nur die Saat auf dem Felde, sondern auch alle Haare aus dem Haupte ausraufen, der Geier seine Lämmer wegtragen und seine Kinder dazu.

Anton wollte ihm Einhalt tun, aber Rautenstrauch versicherte, daß er längst wisse, wie man mit solchen Ochsenpantoffeln und Sauschwänzen umgehen müsse.

Güldenkamm hatte noch ein schönes Bild vom Einsiedlerleben in tiefster Seele, er hatte auch diese Unterredung nicht gehört, er brachte den Einsiedler darauf, was er denn Abends in seiner Einsamkeit tue, wenn die frommen Pilger weggezogen wären und der Schlaf seine schwarzen Flügel noch nicht über die Augen breite.

»Herr«, sagte er, »da hab ich erst noch genug mit meinem Fressen zu tun, denn was einem die albernen Bauern bringen, ist immer entweder versalzen oder verschmolzen, und habe ich gefressen, da muß ich mich lausen, wer tut mir das, wenn ich es nicht selbst tue, es kriecht einem immer so etwas an von den Bauernpudeln; die Knochen muß man sich doch auch waschen, ja Herr, es ist ein hart Leben, was ich so im Walde führe und nun ich alt werde, kommen die Leute nicht mehr wie sonst zum Besuche.«

Güldenkamm fuhr entsetzt vor ihm zurück und ergoß gegen Anton sein Mißbehagen über die verfluchte Natur dieses Teufelbeschwörers; dagegen hatte sich Rautenstrauch das volle Zutrauen des armen Konrad erworben, der sein Pferd an Katharina hatte abtreten müssen und sich als Fußwanderer leicht zu ihm gesellen konnte. Konrad machte ihm eine ungeheure Beschreibung von allen seinen Geschicklichkeiten, wie er kochen, backen, fischen, schießen, alles aus dem Grunde verstehe und seinem Pfarrer häufig bei der Messe gedient habe, so daß sie zusammen einen großen Gottesdienst anstellen könnten. Der Einsiedler sah den rüstigen Kerl an, der schien ihm vortrefflich, er wollte ihn zu allem brauchen, [994] wozu er sich selbst nicht mehr recht tüchtig fühlte, er machte schnell alles richtig und Konrad mußte noch unterwegs von Anton seinen Abschied begehren, der ihm auch ohne Umstände bewilligt wurde. Jetzt näherten sie sich der Einsiedelei, die wie in einer Wolfsgrube erbauet war, man sah sie nur, wenn man dicht davor stand; damit aber kein Wasser sich an dem Boden sammelte, so hatte der Regen einen Ausfluß nach dem tieferen Tale aus der gemauerten Zisterne an der Seite des Hauses. Konrad gab sich das Ansehen, als wisse er vollkommen schon mit der Einsiedelei Bescheid, er ging mutig darauf los und fiel plötzlich durch Strauchwerk, daß er vor allen Augen wie ein Schatten verschwand.

Rautenstrauch sagte ernsthaft: »So wollte ich doch, daß ihm alle Gebeine verdürrten, wenn er mir heiligem alten Manne, mein bißchen Vorrat von Lagerbier zerbricht.«

»Nicht so übereilt geflucht«, sagte Anton.

RAUTENSTRAUCH: »Herr, warum soll ich nicht fluchen, ich weiß es doch, daß Gott solch einen Lümmel mit Strafen heimsucht, wenn er mich gottseligen Mann in seinem bißchen Armut stört. Vermaledeiter Schlingel, Konradus, Laienbruder, hast du mir mein Lagerbier in den Krügen zerbrochen?«

KONRAD: »Herr, ich koste eben, ob es zerbrochen ist, es scheint mir aber alles noch gut, ich bin jetzt beim dritten Krug.«

Kaum hatte der Einsiedler das Wort mit den Ohren gekostet, so sprang er in unwiderstehlicher Wut dem armen Konrad in den Keller nach, da gab's ein Schreien, ein Fluchen in der Tiefe, als wäre ein Dutzend Dachshunde eben in einen Dachstau gelassen, und die versammelten lustigen Seelen stimmten ein frohes Jagdlied an:


Hatz, hatz, hatz,
Ein jeder auf seinem Platz,
Ein jeder auf der Lauer,
Den fetten Dachs, den Einsiedler,
Den treibet jetzt der Bauer,
Den treibet jetzt der Bierfiedler
In seinem Bau herum:
Fluchet ihn lahm und krumm,
Prügelt ihn taub und stumm,
Haltet das Loch nur zu,
Sonst kriegt er Ruh.

[995] Nachdem sie beide in ihrer Grube Frieden versprochen hatten, wurden sie herausgelassen, der alte Niklas äußerte aber jetzt seine Bedenklichkeit, wie er bei so wüsten Händeln sein Leben bessern könne, seine Frau brauche nur hinzuzukommen, so wäre der Teufel ganz los. Anton fand diese Bedenklichkeiten gegründet und gab ihm vorläufig die Aufsicht über seinen eignen Teufelsbeschwörer, worauf ihm dieser in aller Heiligkeit die Schwerenot anfluchte. Die Gesellschaft fing schon an, ihren Ritt in diese wüste Waldgegend zu mißbilligen, der Einsiedler kam vor lauter Ärger gar nicht dazu ihnen die Bequemlichkeiten seines Hauses zu zeigen, die sich endlich elend genug fanden. Es war sein Vögelmonat und er hatte durchaus nichts vorzusetzen, als ein Faß mit kleinen und großen Vögeln, die eigentlich schon zu lange seinen totenrichtenden Augen zur Besichtigung vorgelegt waren, er befahl Konrad die Vögel am Spieße zu braten, während er einigen Bauerweibern, die sich in der kleinen Kapelle eingefunden, die Beichte abnehmen mußte. Konrad hatte eben kein Arges dabei, daß er die Vögel nicht rupfte, es war ihm nur zu langweilig, er steckte sie mit den krausen Federn lustig an den Spieß und dachte, es könne sich jeder schon selbst den Gefallen tun, die Federn abzunehmen beim Essen. Mitten in der Beichte kriegte aber Rautenstrauch ein Gelüsten, so einen Vogel, wenn er recht frisch gebraten, zu verzehren, er gebot also den Frauen ein paar Dutzend Paternoster zu beten und ging indessen zu seinem Vögelkameraden, der eben, als er die Butter mit dem schönsten Geknister darüber gegossen, neugierig geworden war, wie die Bauerweiber dort in der Beichte wohl aussehen möchten, denn seit er von seiner Grete fort in den Krieg gezogen, hatte er kein Bauerweib in der Nähe gesehen und die Stadtjungfern waren ihm allzu schnippisch. Der Einsiedler zog sich einen großen Dompfaffen vom Spieß und freute sich recht, wie knusprig er anzufühlen, biß auch mutig hinein, aber die Zähne blieben ihm zwischen den rauhen Federn stecken, die sich wieder aus einander taten. »Daß dir doch alle Zähne ausfallen mögen, Bruder Konradus«, seufzte er vor sich, »daß dir ein Reiher im Hals niste und ein Wiedehopf dazu! – mich heiligen Mann so in der Andacht zu stören, o das ist jämmerlich, ach daß du doch eine Katze mit Haut und Haar und allen ihren Jungen aus Hunger fressen müßtest, ach Gott, du bist ungerecht gegen deinen treuen Diener!« Bei diesen Worten ging er in [996] wildem Ekel sich den Konrad aufzusuchen, den er aber in der Kapelle schon unter viel schärferen Klauen fand, als alle seine gebratenen Vögel aufweisen konnten. Eine der beichtenden Frauen war Grete, das Eheweib des armen Konrad, die eben ihr Bekenntnis abgelegt hatte, daß ihr Mann aus Ärger über ihr Hausregiment den Krieg möchte angestiftet haben; nun kam der unschuldige Kerl, der eine fremde Frau zu necken meinte, indem er den Weihkessel über sie ausschüttete, mit einem Eimer Wassers frisch gefüllt, jetzt in ihre gewaltigen Arme fiel und die Nägelmale sehr bald aufweisen konnte.

»Gnädiger Gott«, rief der Einsiedler bei diesem Anblicke, »du bist allwissend, du bist die Hand deiner Getreuen, du schlägst, wem wir fluchen, darnieder, schlage noch recht tüchtig, auf daß dieser ungeratene Diener deines Wortes zum Nachdenken und zur Buße gelange. Nur sechs Nasenstüber und drei Ohrfeigen fluche ich auf dich – da hast du sie – noch drei, noch vier.«

Anton, durch Konrads Geschrei herbeigelockt, mußte bei diesem Verfluchen mit einem reuigen Gefühle jenes Fluchs gegen seine Frau gedenken, seit welchem ihm die zärtliche Gestalt so überlästige Besuche machte, doch drängte das Mitleid gegen den armen Geschlagenen, dem die andere Frau Greten zur Gesellschaft diente; ihre Schwester, die Frau Niklassen, hatte sich nicht minder über den armen Teufel mit Faustschlägen erbarmt. Anton schmiß sie auseinander, das Weib aber so heftig gegen den Beichtstuhl, daß dieser alte baufällige Sessel umfiel und das Ansehen eines zweischläfrigen Ehebettes gewann. Der Einsiedler war dabei nicht müßig im Fluche, er rief alle Engel Gottes, daß sie Anton alles Inwendige auswärts sollten kehren, doch blieb Anton unversehrt, vielmehr setzte er sich auf die alte Bundeslade und ließ sich den Fall ordentlich vortragen. Da fand es sich, daß Frau Grete ihren Mann gerichtlich hatte vorladen lassen, wegen der Gläubiger, die er ihr als Nachlaß vermacht hatte, er war nicht erschienen, sie war von ihm gerichtlich geschieden, der Hof war verkauft und sie hatte ihr weniges Eingebrachte bei sich, um nach Dünkelspiel zu ihrem Bruder, dem Schleifer zu gehen. Nachdem Anton vernommen, daß sie geschieden, da schalt er heftig, was sie sich noch für eheliche Erziehungsrechte gegen ihren Mann anmaße, oder ob sie ihn etwa dadurch bewegen wolle, sich ihr wieder anzutrauen. Frau Grete [997] verschwor sich hoch und teuer, das Schlagen sei nur eine alte Angewohnheit, sie hätte in der ersten Hitze vergessen, daß der nicht mehr ihr Mann sei, Gott sei ihr Zeuge, daß sie ihn nimmermehr wieder verlange.

Ein evangelischer Geistlicher aus Pforzheim, der sich auch in der Gesellschaft befand, die Anton begleitete, ein stiller Mann, der bloß um zu heiraten die neue Lehre angenommen hatte, sprach sehr erbaulich zu ihr aus den Worten der Bibel: »Besser heiraten als Brunst leiden.« Er geriet darüber in so augenscheinliche Begeisterung, daß der alte Rautenstrauch heute an der funfzigjährigen Jubelfeier seines Einsiedlerlebens zugleich den neuen Glauben und Grete zur Frau annehmen wollte. Konrad saß ganz bestürzt unter einem Bilde des heiligen Hubertus, von welchem die Geweihe und das Kreuz ihm über den Kopf sahen, Anton sah mitleidig zu ihm, er wußte nicht, was er unter den Umständen raten solle, zwar war er der neuen Lehre nicht mehr wie sonst abgeneigt, aber sie war doch nicht die seine; dem verruchten Leben des Einsiedlers machte sie freilich ein Ende und das mußte er loben. Der Geistliche, wie es denn überhaupt damals während der Bauernkriege in ganz Schwaben etwas ungleich zuging, examinierte den Einsiedler in größter Kürze über die Hauptlehren des neuen Glaubens und nahm ihn mit einem Handschlage darin auf, Frau Grete sprach dem Einsiedler alles nach und so wurden mit ihr auch weiter keine Umstände gemacht. Jetzt hatten sich allmählich alle versammelt, der Einsiedler stellte sich in die Mitte der kleinen Kapelle und beichtete seinen ganzen sträflichen Lebenslauf; der sei ihm, von dem vorigen Einsiedler in aller Frömmigkeit auferzogen, so in den funfzig Jahren, die er nach dessen Tode die Einsiedelei verwaltet, zu einer unschuldigen Angewohnheit geworden, mit Rührung sähe er die große Ähnlichkeit und Anhänglichkeit aller Kinder zu ihm, doch habe er keine lieber gehabt, wie Konrads Kinder, die er auch künftig ganz als die seinen anerkennen wolle, er schloß mit einem Fluche, wer da meine, daß er nicht die Wahrheit gesprochen. Alle waren verwundert über seine Rede, nur Niklas konnte sich nicht enthalten, über sein Schicksal zu weinen, das ihn aus der Gewalt eines Teufels in die Gewalt eines viel ärgern übergeben habe; »seht da meine verhexte Frau«, rief er, »es ist das Weib, Gretens Schwester, die sich hinter dem Beichtstuhle verbirgt, wie kann ich hier meinem Seelenheile leben?«

[998] Die Frau Niklassen kam ganz schmeichelnd hervor und gab zuckersüße Worte, sie sagte ihrem Manne, daß sie mit ihm weiter nichts zu schaffen haben wollte, denn wenn der Rautenstrauch sich vereheliche mit ihrer Schwester, so könne er es auch mit ihr tun.

Der evangelische Geistliche entsetzte sich über diese Schlangenbrut und verweigerte seinerseits alle Einsegnung diesem höllischen Bunde, der Einsiedler verlachte ihn und sprach in großer Freude die Trauungsworte über sich und seine beiden Weiber, keiner mochte ihnen Glück wünschen, als aber ein kleiner gelber hinkender Hirte in rotem Mantel erschien, man wußte nicht, zu welcher Türe er eingegangen, und auf seinem Dudelsack ein sehr schrecklich Gerumpel begann, da zogen sich alle aus dieser Teufelsgrube von Einsiedelei zurück. Da kam der Einsiedler mit beiden Frauen auf den geräumigen Platz vor der Kapelle, der Rotmantel spielte in der Kapelle so schnell, so schnell, und sie tanzten so wild, so wild, daß ihnen die Kleider stückweise vom Leibe fielen, dabei fluchten sie auf alle, die den Ehrentanz nicht mit ihnen machen wollten, aber jedermann hütete sich wohl bei dieser teuflischen Musik. Lange sahen ihnen die Reisenden zu, was das werden solle, sie hatten sich schon drei Schuhe tief in die Erde getanzt, waren ganz nackt und zermagert, ein schändlicher Anblick, sie mochten es nicht mehr sehen, wendeten sich weg gegen den Wiesenplan, der im Mondschein schimmerte und wo ein Fest begangen wurde von lauter zarten Gestalten, die schwebten auf Schmetterlingsflügeln, in ewigem Wechsel vor einem Kinde, das da im Grünen ruhete, bald näherten sie den Mund es zu küssen, bald wiegten sie es in den Händen, als ob es schlafend fliege, bald hoben sie es, als regierte es ein ritterlich Roß, bald machte sich eine ganz klein, wie das Kind, kreuzte die Hände auf der Brust, indem sie ein Veilchen im Munde ihm bot; es gab kein seligeres Kind, keiner mochte es stören, keiner kannte es, bis am Morgen der Wilhelm, Katharinens Schäfer und seine Eltern gelaufen kamen, als aber die Gestalten in Tau zerrannen und das Kind nach ihnen schrie, es mit tausend Tränen begrüßten weil sie es von einem Wolfe fortgetragen glaubten.

Das Kind erzählte, wie es so neugierig gewesen, ob im Walde keine Pflaumen wüchsen, und da wäre es hierher gerannt, wo es von lauter schönen Fräulein geliebkost und eingeschläfert sei. Diese zierlichen Bilder, diese rührenden Ereignisse hatten allen die Teufelsgrube [999] fast aus dem Gedächtnisse verschlagen, als sie die Musik wieder leise vernahmen, sie blickten hin und konnten von den drei verteufelten Seelen nicht mehr sehen, als eine Bewegung in der Erde, in die sie sich hinein getanzt hatten, die über ihren Köpfen sich bewegte, als wenn ein Maulwurf eben aus der Erde sich herausgraben will. Als sie die Teufelskinder also in des Teufels Macht selbst vernichtet sahen, da warf Anton die erste Handvoll Erde in die Grube, alles folgte ihm, und in wenigen Stunden war diese Lasterhöhle, die lange Zeit eine Zuflucht der Frommen geschienen, dem Boden gleich gemacht, auf daß der Same des allgemeinen Weltlebens sie bald mit grünem Grase bedecke, auf welchem unschuldige Lämmer weiden.

Die stolze Katharina hatte ihrer Mutter Untergang ohne ein Zeichen des Mitleidens zugeschaut; ihr Wilhelm stand in weiter Entfernung von ihr und schien es wagen zu wollen, mit ihr zu reden, aber, lange von ihren Blicken zurückgehalten, faßte er sich doch endlich ein Herz, nahete sich ihr, indem er den wiedergefundenen Knaben auf seinen Armen trug und sprach: »Auch Eurem Kinde wollt Ihr keinen Abschiedskuß geben, Katharina, denkt doch, daß es Fleisch von Eurem Fleische ist.«

»Aber nicht von einem Geschlechte, dummer Bauer«, antwortete sie kalt, »ich habe für den Knaben gesorgt, so viel ihm nötig, mit mir kann er nie sein, denn es fließt ein gemeines Blut in ihm, auch würde es mir nach den Sitten des neuen Standes, dem ich jetzt angehöre, nachteilig sein, wenn man vernähme, daß ich als Jungfrau schon ein Kind gehabt habe, man würde es eine unanständige Herablassung nennen, mich mit einem Bauern abgegeben zu haben, darum geht nach Hause mit dem Balge, gebt ihm gute Lehre, daß er der Mutter eingedenk, wie eine Sonnenblume das Haupt zur Sonne richte.«

Anton war hinzugetreten und erkundigte sich, was beide verhandelten, er war nicht wenig verwundert, die stolze Jungfrau schon als Mutter begrüßen zu können, seine Gutmütigkeit sprach aber gleich drein; den kleinen Wilhelm wollte er den jetzigen Unruhen im Lande, der Hungersnot und der Pest nicht aussetzen, er selbst nahm das Kind auf sein Pferd, es seiner Frau statt des verstorbenen Oswald zu bringen, beschenkte Wilhelm reichlich und munterte ihn auf, da der Kriegssturm jetzt lustig durch die [1000] Welt ziehe, der manchen hoch erhöhe, der klein gewesen, er solle sein Glück suchen und für seinen Kaiser werben, wer könne voraus sagen, wie viel oder wie wenig ihm das Glück bestimme.

Wilhelm dankte ihm mit Tränen; weil er nicht oft weinte, so ließ es ihm gut. Niemand machte bei dieser Veranlassung ein verlegneres Gesicht als Güldenkamm, die Stirne schien ihm zu jucken, er wollte von seiner Braut Auskunft, sie aber fragte ihn, was ihn das angehe; wenn er wegen dieses kleinen Ereignisses ihre Vereinigung aufgeben wolle, so möge er es ihr im Augenblicke sagen, dann dürfe er ihr aber nicht mehr vor Augen kommen. Güldenkamm mochte das unreine Wasser nicht ausschütten, ehe er frisches hatte, mit Susanna war nun doch alles vorbei. Er nahm den weinenden Wilhelm auf die Seite und suchte ihm zu entlocken, wie er es eigentlich angefangen habe, diese stolze und spröde Schöne zu verführen. Wilhelm versicherte, daß er es aus eignem Willen nimmermehr gewagt haben würde; immer ferne von ihr, doch nur sie beachtend, habe er sich gehalten, da sei aber eines Tages die schöne Katharina von andern Mädchen der Herzenskälte und der Leibesunfruchtbarkeit beschuldigt worden, was bei allen Gebirgshirtinnen der schimpflichste Vorwurf sei, worauf sie verstummt und, zu bewähren, daß Gott ihr nicht den Segen, den er im ersten Buch Moses den Menschen erteilt hat und wodurch sie fähig werden, über die Vögel in der Luft und über die Fische im Wasser zu herrschen, von ihr zurückgenommen habe; »dazu schenkte sie mir die nächtliche Zeit, wo ich zu ihr in ihre Sennhütte schlich:


Gejagt von allen Sonnenstrahlen,
Spring ich wie's Eichhorn fessellos,
Bis ich am Abend von den Qualen
Mich flüchte in der Jungfrau Schoß,
Sie könnt mit Spinngeweb mich fangen,
Doch ließ sie mich am Morgen los.
Ich blieb in Augenwimpern hangen,
Doch sie die süßen Augen schloß,
Öffnet euch wieder
Augen der Nacht,
Tauet hernieder
Schimmernde Pracht,
Kürzere Tage,
[1001]
Längere Nacht,
Mindert die Plage,
Daß ich erwacht.«

Güldenkamm hörte ihm mit Wohlbehagen zu, er konnte es endlich mit Katharinen nicht mehr so genau nehmen, außerordentliche Umwälzungen hatten seine Gedanken von der Liebe so oft erfahren, daß er bald mit Stolz auf die andern Menschen herabsah, die nicht wie er gewürdigt worden, ein Ehrengemahl des stolzesten Mädchens zu werden, das ihre eigne Mutter und ihr eignes Kind verschmäht hatte. Statt Katharinen aufzugeben, sprang er vielmehr in großem Eifer zu ihr, als er in ihrer Nähe einen Streit hörte. Sie hatte sich auf einen Schecken des Zunftmeisters gesetzt, der ihr besser gefiel wegen seiner Höhe als der kleinere, aber viel kostbarere Rappe, den ihr Anton gegeben. Der Zunftmeister konnte nun nicht anders widersprechen, als indem er heftig zankte; nun wollte er ihr recht sanft beweisen, daß es sein Pferd sei, konnte aber nichts anders herausbringen, als Beispiele von Spitzbuben, die ehrlichen Leuten das Ihre genommen, weswegen ihn Katharina sehr stolz anblickte und, ohne sich stören zu lassen, auf seinem Pferde davon ritt. Der Zunftmeister sprach hinter ihr her allerlei in guter Gesellschaft unzünftige Worte, weswegen ihn Güldenkamm eben angreifen wollte, als Anton dazwischen trat und mit einer Hand voll Gold den Tausch mit seinem Rappen zu Stande brachte, so daß sich endlich der Zug fortbewegte. Anton ritt an Susannens Seite, die durch alle diese Erscheinungen verwirrt und erschöpft, wenig gesprochen hatte. »Hör«, sagte Anton, »wenn ich denke, daß ich nun auch ein Kind der Frau wiederbringe, das viel schöner und herrlicher als der kleine Oswald gebildet ist, den sie verloren hat, da läuft es mir kalt übern Kopf vor lauter Vergnügen, sie soll mich kennen, was ich vermag, sie soll nach mir verlangen, aber ich – ich bin durch tausendfachen Fluch von ihr geschieden.«

»Den Fluch nehmen Gottes Engel von Eurem Haupte!« sprach Susanna.

»Wenn er nur in meinem Herzen verlöschen wollte«, sprach Anton, »aber er treibt mich unaufhörlich und gibt mir wunderliche Anschläge. Sieh, es koste mir Leben und Ehre, ich kann es nicht lassen, vor meiner Frau in großer Pracht zu erscheinen, um ihr meinen Verlust recht bitter ins Herz zu graben, um ihre Reue zu [1002] schärfen, daß sie mich so spöttisch abgewiesen, als ich in elender Not mit ganzer Seele zu ihr flüchtete.«

SUSANNA: »Aber denkt doch daran, daß diese ihre verächtlichen Gaben Euch zu so großer Segnung geworden sind, das Schwert und das Säcklein. Vielleicht wußte sie das voraus.«

ANTON: »Meinst du das wirklich, kannst du das ernstlich und treulich behaupten?«

SUSANNA: »Nein, – aber der Himmel hat es doch Euch zum Besten gefügt.«

ANTON: »Ich bete zu ihm meinen Dank, – konnte er mir nicht die Zunge lähmen, als ich meine Frau verfluchen wollte.«

SUSANNA: »Habe ich Euch nicht den Mund geschlossen? Was hatte es denn damals geholfen; Ihr hättet sie auch dafür noch in Gedanken verflucht.«

ANTON: »Weh mir, ich liebe sie noch und du hast recht.«

Sie hätten wohl noch länger gesprochen, aber mit großem Getrappel, ausschlagend nach allen Seiten lief der Scheck, welchen Katharina geritten hatte, vorbei, mit den Vorderfüßen im Zaumzeuge verwickelt, die Reiterin lag am Boden. Der Scheck war bald gefangen, da er wegen des starken Zaumzeuges nicht weit laufen konnte; schwerer war es aber, die stolze Katharina zu einem Entschlusse zu bringen, sie blieb verächtlich gegen die Pferde und gegen alle Arten des Reisens am Boden liegen; ihr ganzes Unglück, erklärte sie, sei daher entstanden, daß sie das elende Lederzeug nicht habe so lange in ihren Händen halten mögen. Ihr zu Gefallen mußten sich alle bequemen bis zum Nachtquartier, das sie auf einer Höhe vor Waiblingen einrichten wollten, zu Fuß zu gehen; sie hatte etwas Bezwingendes in ihrem Wesen und so ging sie mit ihrem Schäferstabe kühnlich voran, während ihr Güldenkamm in großer Bescheidenheit die Wege zeigte. Durch diese Zeichen von Aufmerksamkeit fand sie sich sehr behaglich, daß sie für sich ein hohes Lied sang, während die Sterne über ihr aufgingen:


Sterne, die mich krönen,
Und der Mond auf meiner Stirn,
Strafen alle, die mir höhnen
In dem eitlen frechen Hirn:
Wer von hohem Stamm entsprossen,
Flammt in hohem Weltgeschick,
[1003]
Über alle die Genossen,
Die sich heben durch Geschick,
Mich erhebt des Himmels Glück.
Keine Sterne euch bescheinen,
Ordnen eurer Taten Lauf,
Denn die Sterne sind die meinen,
Meine Ahnherrn stehn darauf,
Dort der Ahnen Schwerterblitzen
Stärken mich mit Ahnungsblick,
Daß ich höher werde sitzen,
Daß mir kommt ein hoch Geschick,
Mich erhebt des Himmels Glück.

Hier unterbrach sie Konrad, warum sie von dem Scheck heruntergefallen sei, wenn sie so vortreffliche Ahnung über ihre Erhebung gehabt habe? – Statt der Antwort schlug sie ihm so kräftig mit dem Schäferstabe über sein dummes Angesicht, daß er zu Boden fiel. Konrad blutete recht stark, Anton wollte ihr Vorwürfe machen, aber er war es nicht im Stande. Der Konrad sagte ihr aber ungeachtet seiner Schmerzen, sie möge gedenken, wer ihre Mutter, und daß sie doch nur so eine unerlaubte Frucht sei. Ohne ihm anzusehen, doch ohne sich zu erzürnen, sang sie:


Kind der Liebe, Kind der Kraft,
Kind der höchsten Leidenschaft,
Also mag mich jeder nennen,
Jeder soll an mir erkennen,
Liebe, – Kraft, –
Hohe Leidenschaft.
Kind des Himmels, Kind der Welt,
Bin ich über euch gestellt,
Mit dem Himmel zu beraten
Daß ich lenke eure Taten,
Himmel, – Welt, –
Sind in mir gesellt.

Sie blieb bei diesem Schlusse stehen und Anton er kannte in den Lichtern, die vor ihnen im Tale leuchteten und bewegten, sein gutes Waiblingen; es überfiel ihn eine Rührung, was er gewesen, [1004] als er ausgegangen, einsam vom Teufel Seger geführt, jetzt durch die Geburt an hohe Geschicke geknüpft, schon durch Taten mächtig und bekannt, reich an Freunden und Geld, mit ihm ein guter Engel und eine wunderbare Schwester, und indem er so im Gedanken einige Schritte vorgetreten war, fühlte er sein Gemüt in einer Erhebung, die ihm sein altes Wesen entfremdete; da schlug ihn eine Hand auf den Rücken, da grüßte ihn eine bekannte Stimme mit den Worten: »Ha Anton, Lumpenhund, liebster Herzensbube bist du wieder hier? na was hast du geschossen?«

Es war der Jäger, wo Anton sonst halbe Nächte verspielt hatte, der ihn also begrüßte; wie sich aber Anton herumdrehte, daß ihm das frische Wachtfeuer in die Augen leuchtete, da trat der dürre Jäger zurück und meinte, er sei es wohl nicht, er habe ja ein ernstes Angesicht wie der Kaiser. Aber Anton nahm ihn freundlich bei der Hand, sagte ihm, daß über sein Gesicht in der kurzen Zeit so mancher Wind gegangen, sein Herz sei noch dasselbe, des wolle er ihm bei gutem Weine Bescheid sagen. Aber der dürre Jäger konnte nicht mehr in seine rechte Laune kommen, immer wollte er noch etwas aus alter Zeit fragen, aber da blieb er mitten inne stecken und sagte: »Ei, das gesteh ich!« Zuletzt stand er ganz ab vom Reden und wendete sich zum Weine, der ihm noch nie so gut vorgekommen war, dabei gefiel er sich bald mit Konrad ganz vortrefflich, der auch lange keinen so geistreichen Mann wollte gesehen haben, fast brannte ihm der Geist zum Halse hinaus.

Güldenkamm hatte die Anordnung dieser letzten Abendtafel übernommen, er hatte die Gäste auf den Hügeln verteilt, schöne Wachtfeuer wirbelten in die Luft und Trompeter verkündigten von einem Tische zum andern, wenn Gesundheiten ausgebracht wurden.

Diese kriegerischen Töne, womit kriegerische Seelen gern ihre Lust würzen, damit jede Art der Begeisterung sich verbinde, schien im Widerhalle an den Mauern der Stadt seine Natur zu verwandeln; was jenen auf waldiger Höhe das Blut erwärmte, erkältete es diesen in den Mauern der Stadt Eingeschlossenen, die schon seit länger als vierzehn Tagen eine Belagerung von den Bauern fürchteten. Niemand erschrak aber so verdrießlich, als die Eltern aus den Betten aufstanden und sie weckten, als die Kinder, die zu dem großen Herbstfeste, das nach des seligen Bürgermeisters Stiftung [1005] mit Tanz und Geschenken aller Art im Frühling und im Herbste gefeiert werden sollte, aufsprangen und jetzt von nichts hörten, als wie sie in Kellern und Bodenkammern versteckt werden sollten. Die Kinder lärmten so unerschrocken, widersetzten sich so ungestüm, griffen ohne sich abhalten zu lassen, nach den weißen Feierkleidern, nach den roten Mäntelchen und blauen Baretten, die ihnen aus der Stiftung verehrt waren, daß viele von ihnen, während die Eltern in großer Verlegenheit mit einander beratschlagten, schon auf dem Markte versammelt waren, als eben das erste Morgenlicht erschien. Der gute Arnold, der Ratsherr, der damals mit seiner Weisheit das Leben des kleinen Anton gerettet hatte, ging in seinen Amtskleidern vorüber und der kleine Anton, der zum Feste zum erstenmal wieder in die Stadt gekommen war, hing sich an ihn und sagte, daß er bei ihm bleiben wolle, die Mutter, die jetzt eine kleine Wohnung im Keller ihres Hauses bezogen, krame schon die halbe Nacht an ihren Habseligkeiten und habe ihm gedroht, sein neues Kleid auszuziehen. Der gute Arnold suchte ihn und die andern Kinder möglichst zu trösten, blickte auf gen Himmel und sagte: »Hört Kinder, mir kommt ein Gedanke von oben, betet fromm, daß er sich erfülle, bleibt still zusammen, bald komme ich vom Rathause zurück und sage euch, was ihr zu tun habt.« Die Kinder knieten in der Morgensonne in Reihen auf den Stufen der großen Treppe, die zum Münster hinaufführt, nieder und beteten ein jeder, was er wußte und was seinem Gemüte recht demütig klang, daß der Herr ihnen die Lust des Jahres beschütze. Der Glöckner sah die Betenden und öffnete die Tore des Münsters, da strahlte die Sonne durch das Goldglas über dem Altare, die Türen, welche die heilige Mutter Gottes verschlossen, sprangen auf; da glänzte sie mit silberner Krone und ihr Kind hatte segnend zwei Finger aufgehoben; eine Taube, die auf dem Altare eingesperrt worden, flatterte in sanften Kreisen über beiden und schwebte dann empor. Die Kinder schrieen bei diesem Anblicke auf, sie hätten Gewährung ihres Gebets erhalten und zogen nach dem Rathaus, wo ihnen Arnold mit den Worten entgegentrat: »Ihr Kinder, habt ihr Mut, für eure Vaterstadt, die ihr länger als wir bewohnen sollt, einen demütigen Gang zu dem wilden Feinde zu wagen, der mit Mord und Brand seinen Weg bezeichnet? – Vielleicht könnt ihr uns und euer Herbstfest retten, hat doch Jesus Christus die liebreichen [1006] Worte verkündet: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; seht, das Wort wird sich behalten von Ewigkeit zu Ewigkeit, auch das Blut wird es nicht auslöschen im Herzen der wilden Krieger.« – Der kleine Anton trat mutig hervor und sprach: »Gottes Wille geschehe im Himmel wie auf Erden, ich gehe voran den Feind um Schutz für meine liebe Mutter, für meinen lieben Herrn Arnold anzuflehen und für die kleinen Buben alle, die unter meinem Fähnlein dienen.« Gleich sammelten sich diese Spielkameraden um ihn her und riefen, daß sie ihren Feldhauptmann nicht verlassen, und dabei erhoben sie ihre kleinen hölzernen Spieße, die sie nimmer von sich ließen, wie er ihnen befohlen.

Nachdem Arnold den Zug der Kinder, die dem Feinde entgegen gehen sollten, angeordnet hatte, war ein unerwartetes Hindernis zu bekämpfen; die Mütter, denen es in keiner Art deutlich gemacht werden konnte, daß die wütenden Bauern doch keine Hussiten wären, die selbst in Naumburg durch einen Haufen Kinder, die ihnen entgegen gegangen, von Mord und Brand abgehalten worden, es seien Landsleute, einer Sprache und gleicher Sitte. Fast mit Gewalt mußten die Weiber von den Kindern losgerissen werden, bis Frau Anna hervortrat und sie alle feigherzig schalt, daß sie ihre Kinder höher als das Wohl der Stadt achteten und als ihrer aller Vermögen, dagegen rief sie ihrem kleinen Anton zu, er solle sich nicht vor ihr blicken lassen, wenn er nicht Friede und Freiheit der Stadt erbeten habe. Als die andern Frauen diese Gesinnung vernahmen, schämten sie sich ihrer Feigherzigkeit und segneten ihre Kinder und ließen sie im Namen Gottes gegen den Feind ziehen der sich auf den Hügeln schon regte und sich zu einem Sturme anzuschicken schien.

Dieser anscheinende Sturm war das frühzeitige Aufschmücken der Pferde und Panzer zum prachtvollen Einritte in Waiblingen, Anton selbst half dabei seinem Diener, daß nichts gebrechen solle er trug wie sein Pferd einen stahlblauen Panzer, auf welchem der Sündenfall durch ein Weib dargestellt war, Susanna hatte einen kurzen silbernen Brustharnisch auf Purpurunterkleidern, Katharina hatte sich einen vergoldeten Harnisch angelegt, doch wollte sie ihr weibliches Unterkleid aus gewürfeltem grün und roten Wollenzeuge, das sie als Schäferin trug, nicht auslassen, und der lutherische Geistliche, der seiner Studien wegen in Frankreich gewesen war, [1007] versicherte ihr, sie gleiche dem Bilde der Jungfrau von Orleans. Sie erkundigte sich nach den Taten der Jungfrau und nach ihrer Abkunft und sagte dann verächtlich, daß derselben schon recht geschehen, als sie verbrannt worden, weil sie aus so niedrer Abkunft in die hohen Ereignisse der Welt eingegriffen habe; der Geistliche fragte spottend, ob sie denn durch Taten ihre Abkunft beweisen werde? Sie antwortete, daß die Welt ihrer Taten noch nicht wert sei, da sie ihrer Worte noch zu wenig achte.

Während dieses Gesprächs nahete sich der wunderliche Zug der Kinder, die wie ein Mohnfeld mit Weiß, Rot und Blau, wie der Wind ging, abwechselten, keiner konnte sich den Zug erklären, doch erkannte Anton, wie er sich näherte, seinen Sohn an der Spitze, verhüllte sich in seinem großen grünen Mantel und wartete ab, was sich ereignen werde. Der Kleine konnte seinen Vater, der sein Gesicht halb bedeckte, indem er vortrat, nicht erkennen, denn er erwartete ihn nicht und hatte ihn nie in so fremder Tracht gesehen, er beugte vor ihm ein Knie, hob die Hände auf und sprach sehr gefaßt: »Feldhauptmann, ich komme nicht für uns Kinder zu bitten um Schirm und Schutz, denn wir werden alle einmal als gute Landsknechte ritterlich in die Welt ziehen und müssen alle früh oder spät auf grüner Heide unser junges Leben lassen, aber Herr, wir flehen für die Mütter, die uns ernähren.«

Anton konnte sich hier des Lachens und der Tränen zugleich kaum erwehren, er unterbrach deswegen die feierliche Rede des Kleinen, indem er ihn mit verstellter Stimme fragte: »Gibt dir die Mutter auch etwas Gutes zu essen?«

Der kleine Anton sah ihn verwundert an und sprach: »Sonst als der Vater noch zu Hause war, da gab's immer was Gutes, jetzt aber kocht sie Klöße einen Tag und alle Tage.«

»Das soll untersucht werden«, fuhr Anton fort, »ihr andern bleibt hier, du aber Kleiner, gehe flugs hin und hole deine Mutter, sage ihr, daß ich die Stadt an allen vier Ecken anzünden wolle, daß kein Schwalbennest übrig bleiben soll.«

Die stolze Katharina freute sich über die gedemütigte stolze Stadt, die mit ihren Wällen und Wachttürmen, voll Menschen, die den Ausgang erspähend, sich regten, vor ihnen ausgebreitet lag, in der kein Schornstein rauchte, kein Wagen fuhr, sie mußte ihren Bruder umarmen, es schien ihr die neue Saat der Zeit aufzugehen; [1008] sie gebot den guten Pforzheimern, die aus Mitleiden den Kindern ihren Irrtum deutlich machen wollten, Stille und Ergebenheit, sie glaubte sich hinein, daß sie als feindliches Heer vor den Mauern dieser Stadt ständen und ordnete, daß jeder bei seinem Pferde bleibe, um vor jedem Überfalle sicher zu sein.

Unterdessen kam Frau Anna, die aus den Reden des Knaben, der Klöße und Feldhauptmann, Friede und Fastenspeisen, und Kraut und Lot zusammen mischte, nicht hatte klug werden können, sie kam in ihrer häuslichen Kleidung, ihre Tasche und ihre Schlüssel an der Seite, und als Anton sie erblickte, hielt er sich nicht mehr, er ließ den Mantel fallen, er trat in der Pracht seiner Rüstung vor sie hin, die Wut machte ihn stumm; sie aber nach Weiberart immer beredt, rief ihm zu: »Anton, du Tunichtgut, du Geldverschwender, du liederlicher Landschweifer, so muß ich dich hier noch als Ruhestörer wiederfinden, du gehörst ja an den Galgen, wem hast du die schöne Rüstung ausgezogen, in Gold gehst du, aber deine Frau und dein Kind müssen darben; dir soll ich noch gute Worte geben, hab ich dich nicht verflucht, so fluche ich dir jetzt, daß deine Arme verdürren, mit denen du mich an dich gedrückt, das die Lippen dir vergehen, mit denen du mich geküßt.«

»Halt inne Weib«, rief Anton, »ich habe dich längst verflucht, du gibst mir zurück alle Blitzstrahlen, die ich auf dein Haupt zusammenbeschworen, als du mich hilfsbedürftigen Kranken, der sich von ganzer Seele nach dir sehnte, der ein ehrlich Leben fleißig und fromm mit dir zu führen begehrte, mit Spott von dir wiesest, jetzt will ich dich bezahlen, wie du es verdient hast.« – Bei diesen heftigen Worten ergriff er seinen großen Sack mit Geld und warf ihn der Frau hin, daß die Gulden daraus umherflogen; »da hast du deine silbernen Becher und allen Plunder, den ich mit dir erheiratete, zehnfach wieder, kauf dir, was dein Herz wünscht.« – In diesem Augenblick kam ihm der Gedanke, er möchte den wundertätigen Beutel mit dem Geldsacke verschenkt haben, doch konnte er sich nicht zu der Demütigung entschließen, auch das Kleinste von dem zurückzunehmen, was sein Übermut ihr geschenkt hatte; »mag alles hin sein, ich bin gerechtfertigt und gerächt«, tobte seine Leidenschaft, und mit schneller Heftigkeit ergriff er den kleinen Wilhelm, den Susanna getragen hatte, reichte ihn seiner Frau und sprach: »Sieh Anna, daß dir nichts durch mich genommen sei, was [1009] ich nicht herrlicher dir erstatte, nimm dieses Kind, sieh wie viel herrlicher es in die Welt lacht als das kümmerliche Altmannskind, der Oswald, das sei dein, es ist meiner Schwester Kind, du wirst es lieben mehr als dein eignes Kind, ziehe es auf nach deinem Gewissen, es wird eine Zeit kommen, wo ich es von dir zurückfordre!« – Das liebevolle Angesicht des fröhlichen Kindes hatte Frau Annens ganze Liebe gewonnen, sie drückte es an ihr Herz, seufzte, weinte und sprach zu Anton: »Herr, du hast alles herrlicher vollendet, als ich armes Weib gedachte, der Mund, der dir fluchte, kann dich auch segnen, Herr, ich werde nimmermehr froh als in deiner Nähe.«

Als Anna diese Worte sprach, erstarrte Antons Angesicht; in wohliger Erfüllung seiner Wut, gedemütigt vor ihm sollte die stolze Frau erscheinen, er aber konnte nicht bleiben, und daß der Huf seines Rosses sie zerschmettert, wenn sie dessen Hufen umklammert hätte, um es festzuhalten; er riß seine Sporen durch ihre Hände, die seine Beine umklammerten, er stieg auf sein hohes geharnischtes Roß, es erhob sich und ließ die goldnen Hufbeschläge fallen, die Frau Anna in Verzweiflung aufhob, während der Zug in rascher Eile ihr vorbei in die Stadt jagte, viele ihrer lachten, und nur Susanna ihr einen milden Blick und ein Gebetbuch zuwarf; einsam blieb sie im Staube liegen, denn die Kinder, selbst ihr eigenes, folgten jubelnd der Reiterschar, vor der die Herden im Felde nach allen Seiten flüchteten und die Bürger, die aus ihrer geringen Zahl ihren guten Willen erkannten, die Tore öffneten. Da saß sie, wie ein Stein am Wege in eigner Schwere noch alle Lasten, die jeden drücken, ertragen muß, damit alle sich erleichtern, sie konnte nicht empor sehen zu Gott, denn sie hatte geflucht wie kein Frommer, aber da sah sie nieder ins Gras und sah in die Blumen und sah in die Augen des kleinen Wilhelm und es schwand ihr Wut und Fluch, Gram und Herzeleid, und das Kind war mit diesem Blicke an ihr Herz geknüpft durch ein Band fester als jenes im Mutterleibe, sie legte es sanft wiegend an ihr Herz und ihr Herz hatte Freude und – der dürre Jäger, der sie hohnlächelnd durch das Gebüsche belauscht hatte, trat jetzt zu ihr und brachte ihr einen Brief von ihrem Mann, es war derselbe, den er dem Mephistopheles geschrieben, der Jäger bestellte ihr dabei, sie möchte ihm das Geld übergeben, er wolle es ihr nachtragen. Sie war so selig in dem [1010] Augenblicke, sie hätte es ihm übergeben, aber ein Lärmen erschreckte ihn, er ging zähneknirschend in den Wald, daß die Tannenäste ihm ins Gesicht schlugen. Eigentlich vertrieb ihn von seinem Posten, wo er einen Teil des Geldes zu rauben hoffte, das aus dem großen Sacke fallend zerstreut lag, eine Schar von Zigeunern, die den Reisenden nachgezogen war, dieselbe die Anton und Susannen unterwegs wahrgesagt hatten. Die Zigeunerkönigin trat zu Frau Anna heran und riet ihr, das Geld, das sie um sich liegen habe, besser zu bewahren, es sei jetzt schlimme Zeit in aller Welt und wer nichts habe und wer viel habe, beide suchten mehr zu bekommen. Frau Anna erwachte wie aus einem Traume, sie kehrte zu ihrer häuslichen Art zurück, sagte Dank für den guten Rat und sammelte das Zerstreute, es wurde ihr sogar Angst vor den wunderlichen gelben Leuten, die rings mit allerlei Waffen standen. Die Zigeunerin aber hatte ein zutrauliches Wesen, fragte sie erst nach dem Kinde, dann nach ihrem eigenen Namen, verwunderte sich über beide und erbot sich, sie nach der Stadt zu begleiten, um ihren Schatz in Sicherheit zu bringen. Dieser Mühe brauchte es aber nicht, der gute Ratsherr Arnold hatte nicht sobald den Verlauf gehört und Anton wieder erkannt, als er schon mit einigen Ratsfreunden hinauseilte, der glücklichen Frau Anna mit Rat beizustehen. Ihnen übergab Frau Anna sowohl die goldnen Hufbeschläge als auch das Gold, doch verlangte er es auf der Stelle zu zählen, um jeden Verdacht von sich abzulehnen. Indem sie nun die Gulden aus dem Sack herausschütteten, fiel auch der lederne Beutel heraus, der Geber aller dieser Reichtümer. Die Zigeunerin sah ihn zuerst und bat Frau Anna darum, sie wolle einige Wurzeln hineintun, die sie eben eingesammelt und die ihre Kraft verlieren machten. Frau Anna in ihrer Sparsamkeit, ungeachtet die Frau ihr so redlich beigestanden, verweigerte es ihr, aber Herr Arnold meinte, das Beutelchen sei einer reichen Frau ganz unwert, auch versprach die Zigeunerin, dem Kindchen eine Violenwurzel zu schenken, auf die es beim Zahnen beißen könne. Frau Anna nahm diese Wurzel und gab das Beutelchen der Zigeunerin, die sie noch fragte, ob sie ihr auch aus der Hand wahrsagen solle und sie dabei an der Hand faßte. Zwar hörte Frau Anna mit dem Zählen beschäftigt wenig zu, aber die Zigeunerin mußte es ihr sagen: »Ihr haltet gut Haus, aber Ihr gebt das Beste weg, das ist gut, und weil Ihr's Beste [1011] nicht achtet, wird es Euch abtrünnig und das ist gut, Ihr kriegt noch einen Mann, ja das ist gut, er kriegte sonst keine Frau und das ist auch gut.«

Während sie noch so weiter dahlen wollte, kam schon der fröhliche Herbstzug der Kinder über das Stoppelfeld, Frau Anna eilte sich mit Zählen und da viere zugleich dabei beschäftigt, war alles beendigt und Herr Arnold mit seinen Gehülfen trug alles in die Stadt. »Also Frau, meinen Mann kriege ich wieder«, fragte Anna, die der Zigeunerin nur halb zugehört hatte. »Werdet's schon sehen«, sagte die Zigeunerin, »wenn einem Glück gesagt wird und einer hört nicht zu, da vergeht's ihm wie verfrorne Knospen.«

So zogen die Zigeuner fort in den Wald, Frau Anna aber lief mit dem Kinde dem Zuge entgegen, der in allerlei Vermummung das Schneiden des Weines feierte, sie war die einzige ohne Larve, wenn gleich viele andere ebenfalls zu erkennen waren, ein jeder rief sie an wegen ihres Glücks, sie aber fürchtete sich, daß jeder nun von ihr etwas begehren werde, und war ent schlossen nichts, gar nichts abzugeben.

Der ganze Zug war unendlich fröhlich zu beschauen, die gleich und ernsthaft gekleideten Kinder, die in einer Kriegsordnung vorüber zogen und als Panier große Blumenkronen hoch erhaben trugen, umgeben von den vermummten wunderlichen Gestalten der älteren Leute, machten einen Eindruck wie ein kleines kunstreiches Zwergenvolk, das in ein wildes Riesenland siegreich eingedrungen ist, der Himmel schien ihnen hold, die Sonne glänzte ungetrübt auf dem blauen Grunde, kein Zugvogel ließ sich in der Luft mit mahnendem Geschrei vernehmen, vielmehr schien ein verspäteter Herbst dem Jahre zulegen zu wollen, was von dem Sommer in den Schrecknissen der Zeit untergegangen war. Die neuangekommenen Pforzheimer folgten dem lustigen Zuge in Gesellschaft der ernsten Ratsherren und der bejahrteren Bürger, an ihrer Spitze ging Katharina, die ihren Harnisch nicht ablegen mochte, ihr hatte Anton seine Stelle übergeben, während er selbst in die von den Kindern geöffnete Kirche eingetreten war, der Einsamkeit sein Herz auszuschütten, das allmählich die harte Wut mit weicher Wehmut vertauschte. Seine Frau schwebte ihm erst vor den Augen, daß er sie nicht bannen konnte, bald aber ging diese Gestalt in das freischwebende zärtliche Nebelbild über, die [1012] ihn allen Heiligen zum Trotz freundlich begrüßte, und diesmal lieblicher als je ein Inbegriff alles Schönen war. Ihr Wesen war diesmal unausstehlich, sie suchte ihn sogar eifersüchtig zu machen, indem sie den alten bärtigen Heiligen schmeichelte und doch nebenher zu ihm hinschielte.

»Ach«, seufzte Anton, »Christus, hab ich deinen Tempel errettet vor der Zerstörung, kannst du den kleinen zärtlichen Teufel nicht von mir verjagen, der mir deinen Tempel verunreinigt, gedenke, wie du die Krämer daraus vertrieben, ein größeres Unheil ist dies zu nennen, Herr zeige, daß du lebst!«

Bei diesen Worten verschwand das zärtliche Bild und er hatte Muße, seine Vorzeit sich zu vergegenwärtigen, er sah die Bilder, die er mit Fleiß und Lust geschaffen, sie waren ihm aber alle nicht recht, er zog das kleine Bild Susannens heraus, wie viel Heiligkeit, Leben und Segen gegen alle Marien, Katharinen und Cäcilien, womit er die Altäre der Kirche geschmückt hatte; es ergriff ihn eine Wut gegen sich, gegen seine Arbeit, er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß diese Arbeiten einst seinen Namen tragen sollten, einen Namen, dem so große Geschicke anvertraut waren, es drängte ihn in den Fingern, seine Glieder zuckten ihm zum Zerstören, wie Kranken, die den Tod in sich tragen, die Sehnsucht sich zu vernichten, sich zu zerstören, alles dient diesem Wunsche, mit einem Zuge hatte sein Degen drei der größten Altarbilder, die auf Holz gemalt waren, zerspalten; noch aus den Trümmern sah ihn der verspottete Christus unter der Dornenkrone mitleidig an, aber das vermehrte nur seinen Gram und seinen Zorn, die Blitzesschnelligkeit seines Degens, der rasch den heiligen Christophorus niederhieb und die heilige Katharina. So wütete er, bis kein Stück seiner Arbeiten mehr kenntlich war, und wohlgefällig sah er auf die Trümmern, niemand hatte ihn gestört, denn alle, bis auf wenige Wächter der Häuser, waren dem Feste nachgezogen; mit kühnem Blicke stand er auf diesen bunten Brettern und dachte, wie er mit seinem unversieglichen Reichtume, was er nicht selbst besser leisten könne, durch das Herbeirufen der gepriesensten Maler in Verherrlichung ersetzen wolle, da erst gedachte er wieder, ob er nicht den wunderbaren Beutel mit den Schätzen seiner Frau in den Schoß geschüttet habe, er fühlte in die Tasche seines Wamses, wo er ihn sonst zu tragen pflegte, die Tasche war leer und so jede andere [1013] Tasche und sein Verstand lief wie eine Sanduhr aus. Da war kein Geschehenes zu vergüten, kein Zukünftiges zu beschließen, Gründe und Gegengründe schaukelten ihn hoch in die Luft und senkten ihn in die Meerestiefe seines wogenden Unmutes. Er flüchtete wie aus dem Paradiese von einem Engel mit feurigem Schwerte getrieben, aus der zerstörten Kirche, unbemerkt erreichte er den Wald, er wollte seinen Schmerzen und seiner Verzweifelung entlaufen, indem er sie ermüdete; wie ein Kain lief er umher, der seinen Bruder erschlagen, und lechzend blieb er endlich hinter einem Rebenhügel liegen.

Das große Herbstfest hatte während dieser Zeit immer mehr Stimmen in seinen Jubel und Strudel hineingerissen. Die Kinder waren mit einem andächtigen Ernteliede in den Hof gekommen, wo die Geschenke ihnen ausgeteilt werden sollten und wo die Bürger sich eine Mahlzeit hatten bereiten lassen. Der kleine Anton hing nach kurzer Einsegnung durch einen Geistlichen die Blumenkrone vor dem Muttergottesbilde auf, der Geistliche betete dann in einer der Feierlichkeit angemessenen Rede für diese Jugend, daß sie der milden Gesinnung treu bleiben möchte, in der dieses Fest von dem Bürgermeister war gestiftet worden, daß keine falsche Deutung das freudige Wesen desselben lieblos herabwürdige und daß die Kindheit mit der Wunderwelt, die sie erzieht, beschützt bleibe wie die Pracht der Kirche, durch Meister Antons Standhaftigkeit in jenen Schreckenstagen der Bilderstürmerei bewahrt worden sei. Bei diesen Worten suchte er Anton in der Versammlung, weil er seine Rückkehr erfahren hatte und ihn gegenwärtig meinte, da er ihn indessen nicht ersehen konnte, rief er den kleinen Anton zu sich auf die erhöhten Stufen, ermahnte ihn, dem Beispiele seines Vaters in allem Guten zu folgen, der Knabe weinte über die hohe Auszeichnung, die ihm wurde, nachdem er von allen auf dem Pachthofe, wohin er nach dem Tode Oswalds untergebracht, als ein Missetäter angesehen worden; allgemein verbreitete sich die Rührung und das stille Gebet für den Kleinen, der die ganze Stadt an jenem Tage für sich eingenommen hatte. Der Geistliche glaubte nach diesem Augenblicke allgemeiner Teilnahme nichts Bedeutendes mehr sagen zu können, er schloß daher, indem er zum Frieden im fröhlichen Genusse ermahnte; eine Warnung, die in dieser Gegend besonders notwendig war, wo die Bauerfrauen, die[1014] aus entfernteren Gegenden zu Kirchweihen zogen, gern das Totenhemd für ihre Männer ihrem Sonntagsstaate beipackten, um für alle Fälle gesorgt zu haben; das Volk wollte Blut sehen, um nüchtern zu werden.

Nach der feierlichen Rede wurde wieder ein angemessener Dank für die reiche Ernte aus einem alten Kirchenliede gesungen, dann wurden die Kinder auf den grünen Bleichplatz geführt, wo Bretter als Tische, und Decken zum Sitzen gelegt waren, die Milchsuppe wurde in großen Braukesseln herbeigetragen und auf die Teller gekellt, die Weizenbröte wurden ausgeworfen, die irdenen Weinkannen ausgeteilt, der Schweinebraten nach den Einschnitten seiner harten knupprigen Schwarte in breite Stücke zerlegt, deren weißer Glanz mit brauner vieläugiger Brühe bedeckt, den Kindern ungeduldig in die Augen leuchtete; dann der Äpfelkuchen, reichlich mit Honig bestrichen, das Mahl und den Mund der Kinder schloß.

Nach feierlichem Gebete standen sie auf und durften sich selbst in den Gärten die reifen Frühäpfel abschütteln. Da gab's ein Leben, als sie die Mäntel und Barette und aus Schonung ihre neuen Wämser und Hemden abgelegt hatten, jeder Baum schien ein volles Nest von Engeln, ein Adler schwebte lange über ihnen und senkte sich nieder, weil der kleine Anton, auf den höchsten Ästen immer voran, und der kühnste, obgleich einer der jüngsten, ihm winkte, aus sehnlichem Verlangen auf ihm zur Sonne zu reiten. Da ließ sich der Adler bis nahe über dem Haupt des Kleinen herab, der ihm freundlich einen Apfel reichte; der Adler nahm ihn mit seinem Schnabel, und sei es, daß ihm die Gabe genügte, oder daß ihn das Geschrei der andern Kinder erschreckte, er stieg mit rastlosem Fittich der Sonne zu und verlor sich dem geblendeten Auge in ihrer rollenden Scheibe.

Frau Anna saß halb träumend auf dem Ehrenplatze des bezahlten Gasttisches, ihr zur Seite war ein Platz für Anton leer, sie wurde durch die Erzählung aus einem Taumel erweckt, in welchen sie das Außerordentliche der Begebenheiten verzaubert hatte, sie freute sich über dies Ereignis, aber dieser kleine Anton, wenn sie ihn auch nicht mehr haßte, war ihr gleichgültig, sie trank kaum seine Gesundheit mit, die ihm gebracht wurde, und fragte nur zuweilen nach dem kleinen Wilhelm, den sie der Verwalterin im Pachthofe [1015] übergeben hatte, um ihn zu ihrem Kinde in die Wiege zu legen.

Katharina sah sie mit großer Verwunderung an, sie konnte nicht begreifen, daß diese Frau, deren Wesen ihr so gemein und niedrig erschien, die Frau ihres Bruders sein könne, und wie Frau Anna die Versicherung des Ratsherrn Arnold, daß es nichts koste, dazu benutzen wollte, sich einmal ganz satt zu essen, so stieg der Hochmut in Katharinen so gewaltig, daß sie über den Geruch der Speisen, die reichlicher gewürzt waren, als es in der Hexenküche ihrer Mutter herkömmlich, die Nase rümpfte, ja wohl gar darauf nieste, daß keiner den Teller anrühren mochte und alle nur aus Rücksicht, weil sie mit den Fremden gekommen, es beim Zischeln bewenden ließen. Als der Hunger aber so mächtig in ihr wurde, während die meisten andern schon den Käse schabten, daß sie die fortgeschobenen Teller einen nach dem andern vornahm und mit dem Brote bis zum letzten ausputzte, da konnten sich viele nicht mehr des Lachens enthalten. Sie wollte trotzig die Ursache wissen eine dreiste Frau vertraute es ihr, da wurde sie so beleidigt, daß sie mit so elendem Volke gar nicht mehr ausdauern mochte und die Gesellschaft verließ. Kaum war sie fort, so legten die Pforzheimer mit allen sonderbaren Geschichtchen los, die sie von ihr unterwegs erfahren, wie sie ein Kind gehabt und doch Jungfrau sei, daß sie ein unehelich Kind und ihre Mutter eine Hexe.

Zum Unglück war Güldenkamm und Susanna bei diesen Erzählungen nicht gegenwärtig, sie hätten ihnen sonst Einhalt getan, beide waren gleich nach der feierlichen Rede in die Stadt gegangen ihren Anton aufzusuchen, den sie im Ratskeller oder sonst bei alten Bekannten vermuteten und dem Feste zuführen wollten.

Nach Tische begann die Traubenlese, freilich an diesem Tage mehr zum Schein als des Nutzens wegen, denn jeder durfte essen was er brach, jeder durfte sich die reifsten Trauben auslesen und sich damit nach der großen Weinlaube begeben, wo ein Faß Wein auf gemeinschaftliche Kosten ausgetrunken werden sollte.

Beim Weine fiel es dem unbescheidnen Junker Blaubart ein, dem Waiblinger Burgemeister einen Pforzheimer Mut zuzutrinken, wenn die Bauern einmal wirklich vor die Stadt zögen und nicht ihre arme Kinder so voraus zu schicken.

Der Burgemeister rief Arnold, er möchte einmal hören, was [1016] der Pforzheimer spreche, ob es auch nicht ihrer Stadt zum Nachteil gereiche. Da gab es harte Worte von beiden Seiten; eben sollte es zum Losschlagen kommen, als eine große Schar Winzer mit verdeckter Trage und großem Geschrei zur Gesellschaft heranzog.

Es war nämlich die Sitte des Landes, daß die Winzer gegen Abend auszogen und Mädchen, die etwa müßig umherliefen, auf ihre Trage legten, um sie unter dem Namen der Herbstsau zum Gelächter aller in die Gesellschaft der Fleißigen zu bringen, solch ein Mädchen mußte sich mit allerlei Geschenken loskaufen.

Welch eine Verwunderung, als jetzt die stolze Katharina aus der geheimnisvollen Verhüllung hervorkam und mitten im Geschrei und Gelächter wie eine Königin sich gebärdete. Da sie den Gebrauch nicht kannte, weil im Gebirge kein Weinbau getrieben wurde, so hielt sie die Winzer für Abgeordnete, die sie auf eine recht ehrenvolle Art als Königin des Festes der Gesellschaft zurückführen sollten und war natürlich jetzt verwundert, von allen als Sau! Sau! Sau! sich anrufen zu hören und die Neigen aus aller Gläser wie einen Regensturm auf sich fallen zu fühlen.

»Güldenkamm!« rief sie mit lauter Stimme; der war aber mit Susanna im Ratskeller so gutmütig festgehalten von der Wirtin, daß er seiner Geliebten nicht gedachte, »ach«, seufzte sie, »wäre mein Wilhelm hier, er ließe mich nicht ungerächt, warum habe ich die treue Seele verstoßen – nun macht's nur nicht gar zu grob«, fahr sie fort, als ihr Brot und Käserinde an den Kopf flogen. Dies war das Ziel ihrer Demütigung, denn mit einigen kräftigen Schlägen lagen plötzlich die Winzer, die sie auf dem Schandsitze festgehalten hatten, am Boden; »Katharina – Wilhelm – dein – mein – mein Leben um deine Ehre!« – mehr konnten sie nicht mit einander reden, Wilhelm wütete gegen die Menge und wäre sicher verloren gewesen, wenn nicht die Waiblinger in der Meinung, er sei ein Pforzheimer, der den alten Streit erneuern wolle, gegen diese Gäste losgeschlagen hätten.

Da gab's ein Schlagen, Junker Blaubart hatte bald auch blaue Augen, und hätte er nicht ein Messer gehabt, so war er verloren; vielleicht wäre alles nicht so schlimm geworden, wenn nicht, sonderbar war es anzusehen, die Weinlaube, deren Stützen zum Schlagen ausgerissen wurden, endlich über die Fechtenden zusammenstürzte, die in ihrem grünen verflochtenen Netze die Drohenden [1017] festhielt. Manche Traube kühlte den zornigsten Mund, indem sie sich auf ihm zerdrückte, und es schien, als ob sie der Freude erzogen den Streit nicht leiden wolle.

Aber Katharinas beleidigter Stolz litt keine Hemmung, sie verhöhnte die Waiblinger mit bittern Reden, indem sie alle weibische Männer nannte, welche die Ehre einer Jungfrau nicht zu achten wüßten.

Wilhelm und die Pforzheimer, die bessere Messer und ein paar Degen hatten, arbeiteten sich zuerst von dem Flechtwerke los; da sie nun auf vielen hart herumtrampelten, die darunter vergraben lagen, so erweckte ihr Geschrei Furcht in den andern, als erst einige flohen, wuchs die Zuversicht der Pforzheimer ungeachtet ihrer geringen Zahl, dazu kam, daß in der Dunkelheit die halb berauschten Waiblinger, die sich unter der Laube allmählich erhoben, einander verkannten und mit Faustschlägen sich einander gegenseitig traktierten. Nach einer halben Stunde waren die Waiblinger, so viele deren noch gehen konnten, außerhalb der Mauer des Hofes, der aus alter Zeit her noch wie eine Burg befestigt war und nur einen Zugang hatte. Wilhelm zog die Brücke auf und sah jetzt als der einzig ganz Nüchterne nach den Verwundeten auf dem Schlachtfelde.

Katharina kam ihm mit einem goldnen Sporne entgegen, den sie einem verwundeten Ritter Landschaden abgenommen, auch nahm sie ihr Schwert wieder, das sie hatte in der Laube stehen lassen, und schlug ihren Geliebten zum Ritter mit dreimaligem Ausrufe: »Besser Ritter als Knecht!« erst dann durfte er sich den Sporn anschnallen, erst dann durfte er sie umarmen, dann wechselte sie im Beisein aller Pforzheimer die Ringe mit ihm, die sie dem toten Bürgermeister abgezogen hatte, als Zeichen ihres Verlöbnisses. Als er sie an seinen Mund, an sein Herz gedrückt hatte, da fühlte er erst seine Wunden und sank auf seine Knie und küßte ihre Hände. Sie ließ es geschehen, sie sah den Sieger, den Ihren gern zu ihren Füßen, sie fragte ihn, welcher Zufall ihn in ihre Nähe geführt. Er sprach, wie er ihr noch recht lange habe nachsehen wollen, ihr und dem Zuge, so sei er von Hügel zu Hügel hinter ihnen hergegangen, er habe aber nicht gewagt sich ihnen zu nähern, er habe sie mit Herzensjubel zuletzt auf dem Felde belauscht, wie sie die Feldzwiebeln neben sich geköpft, auch sei er schon bereit [1018] gewesen ihr zu Hülfe zu eilen, als die Winzer sie ergriffen, doch ihm habe es geschienen, als sei es mit ihrem Willen. Leise sei er endlich dem Zuge der fröhlich mit Weinlaub Geschmückten gefolgt, bis er ihren Ruf nach Hülfe und Rache vernommen. »Mir ist alle Seligkeit geworden auf Erden«, so sprach er, »du hast zum Ritter mich geschlagen, dein hohes Blut mit mir verlobt, und wie ein Pferd bei einer vollen Krippe, nachdem es seines Lebens satt und froh mit seiner Halfterkette spielt, so will ich mit dem Ringe spielen, wenn mich die Kraft verläßt noch die geliebten Hände festzuhalten.«

Bei diesen Worten sank er um, erst jetzt sah Katharina, daß er an zwei starken Stichwunden in der Seite verblutet war, o du armer Stolz der Erde, jeden Tropfen des gemeinen Blutes hätte sie gern mit ihrem hohen Blute erkauft, ihre Hand, die ihm den Himmel aufschließen konnte, hatte keine Macht ihn auf der Erde festzuhalten und ihre Augen, die ihm sonst in steter seliger Nähe vorschwebten, versanken in die unendlich tiefen Brunnen voll Tränen wie fallende Sterne am Todestage der Welt. Rings um den Sterbenden waren alle Lebenden auf ihre Sicherheit bedacht, sie gedachten aber nicht, welches Pfand der Unverletzlichkeit ihnen geblieben, die Kinder der Stadt, die sich in dem Garten beim Spiele eben so rauften wie ihre Väter beim Weine, erst bei den Klagen der Weiber, die aus dem Felde heimkehrend das Schrecken erfuhren und um ihre Kinder fleheten, daß man sie ihnen zurückgeben solle. Aber Blaubart erkannte schnell seinen Vorteil, er versprach ihnen Schonung der Kinder, wenn sich alle Bewohner von Waiblingen während der Nacht in die Stadt zurückzögen, daß sie sicher vor jedem Überfalle den Morgen erwarten könnten.

Herr Arnold, der glücklich entkommen war, ging diesen Vertrag ein, nur sagte er, daß sie Güldenkamm und Susanna, die von dem Lärmen aufgeschreckt ihrem Herrn zu Hülfe eilten und den ergrimmten Flüchtlingen in die Hände gefallen waren, zur Sicherheit des Vertrages, als Unterpfänder bewahren wollten.

In dieser schrecklichen Nacht, wo jeder für die seinen bebte, sich aber gern vergessen hätte, stieg zum erstenmal der große Komet aus dem Schoße der Nacht auf, der nachher noch so viel Blutvergießen über die Welt gebracht hat; das traf in das schönste Wohlleben Deutschlands. So ist uns oft das Leben eines einzelnen [1019] Menschen ein Bild von den Schicksalen seines Volkes, oft voraus warnend, oft zu spät. – So mögen wir auch wohl erwägen, was sich zwischen Anton und Frau Anna in dieser Nacht ereignete. Er war erschöpft an einem Rebenhügel liegen geblieben, dort hatte ihn die Zigeunerin gefunden und mit einem brennenden Getränke, das damals nur den Kranken gegeben wurde und das aus der Gärung der Kirschen in künstlicher Destillation erhalten wird, wieder zu seinem Verstande gebracht, er kannte sie wieder, sie gab ihm Speise und brachte ihm einen Gruß von seinem Vater Rappolt, der da noch lebe und ihn zu sich rufen lasse, ihm im schweren Dienste seine jugendlich wachenden Augen zu leihen, weil er allmählich erblinde. Diese Nachricht beruhigte Anton, er sah wieder ein Ziel, wonach er streben konnte, einen Schatz, durch den er den Waiblingern die Verwüstung ihrer Kirche vergüten könne, eine Rache gegen seine Frau, wenn er ihr seinen Überfluß und sein Erspartes zusenden konnte.

Die Zigeunerin versprach, seiner im Walde zu warten, um ihn zum Vater zu führen, er eilte die Seinen von dem Feste abzuholen. Es dunkelte, als er wieder in die Nähe des Pachthofes kam, und wie er über die reiche Gegend sah, die abgeerntet wieder neu beleben den Stoff den himmlischen Strahlen ausgelegt hatte, da regte sein Herz wieder die Nähe des zärtlichen Gespenstes, es war ihm diesmal nicht unwillkommen, doch schien es scheuer vor ihm hinter jedem Busche sich zu verstecken, er lockte es sanft wie ein Schäfer das Lamm, das einem Abgrunde nahe steht, er gab ihm schmeichelnde Worte, pflückte weiches Laub von den Weinreben und mochte den Vorübergehenden wohl töricht vorkommen wenn nicht der Weg an diesem Festtage den Verirrten nur gehört hätte. Zärtlich bewegte sich das geliebte Bild vor ihm, umsonst mahnte er es, sich ihm zu verbinden, er sei ein Neugeborner aller Fesseln frei, seit er die Stunde verflucht, die ihn wieder mit seiner Frau verbinde, aber die liebliche Gestalt, bald seiner Frau, bald Susannen ähnlicher, schien den Spaß wie ein törichtes Kind allzuweit zu treiben, er zürnte in seinem erhitzten Gemüte, zog sein Messer und rief: »Teufelin, ein Wort, du bist mein oder bist des Todes, du teilst mein Lager oder wir sind auf ewig geschieden wie zwei Felsen durch einen Wasserstrom!«

Da regte sich die Gestalt, da schien sie zu verschwinden, trat [1020] aber dann den Weg hinauf ganz in der Gestalt seiner Frau, nur war sie, wie der Sternenschein aussagte, in ihrem Angesichte frischer, sie trat auf ihn zu, umfaßte ihn und konnte nicht reden. Wenn aber der Wolf seinen Fang sucht, da ist er still, daß seine Stimme nicht erschrecke, so still zwang Anton die Gestalt seinem Willen und sie schien dem Zwange mit zögerndem Wunsche zu begegnen, sie entschliefen beide in Lust und der Wind, der auf Blumenrädern, und der Sturm, der auf Eisnadeln über sie hin fuhr, konnten sie nicht erwecken. Als aber die Sonne aufging, da träumte Anton, er falle in eine Höhle, die bis in den Kern der Erde gehe, er wollte sich helfen und erwachte, der Zaubertrank der Zigeuner war verraucht, er sah die Frau an seiner Seite, um die er sich und die Stunde verflucht hatte, in der er sie wieder berühre, und die Stunde hatte schon lange ausgeschlagen und der Fluch brannte in seinem Haupte wie brennender Zunder, der einem Pferde in das Ohr gesteckt ist, daß es durchgehe; es schauderte ihm, daß das Messer in seiner Schale zitterte, das am Gürtel hing, er zog es und rief: »Du oder ich!«

Das Messer war in Frau Annas Brust, sie war es gewesen, sie selbst, sie war vom Weine in Gedanken verwirrt, von dem Zuge der Frauen abgekommen; unbekannt mit der Gegend war sie ihrem Mörder in die Arme gelaufen, den sie mit ihrer Gunst stillschweigend zu versöhnen trachtete, denn sie kannte ihn sonst zwar heftig, aber ohne Falsch und was er sonst küßte, das war ihm heilig dadurch auf immer und ewig.

Jetzt zogen die grauen Wolken über ihr und sie wußte nichts davon, die Zugvögel flüchteten vor dem neuen Wetter, sie aber war schon weiter gezogen, der dürre Jäger stand aber hinter dem erstarrten Anton und fragte ihn: »Bruder, ein Wildbret, du fällst mir in meine Jagdgerechtigkeit, soll ich dich auf einen Hirsch schmieden und durch den Wald jagen, was hast du geschossen, was so schweißt, deck deinen Mantel auf, wir wollen teilen!«

»Nimm uns beide«, rief endlich Anton und schlang die goldne Halskette, die er zum Geschenke erhalten hatte, um seine beiden Hände, daß er festgebunden war, »diese gib der Erde, mich aber übergib dem Richter, der an Gottes Stelle auf Erden richtet, mich bringe als Mörder nach Waiblingen, so will ich dich zum Erben setzen von allem, was noch auf Erden mein ist.«

[1021] »Nicht also, guter Bruder«, sprach der dürre Jäger, »haben wir gewettet; ich habe auch mein Weib umgebracht, wir kennen uns nun besser einander und keiner hat dem andern was vorzuwerfen, sei kein Tor, dich den Gesetzsprechern auszuliefern, die doch keinen Armen vor Mord und Totschlag in dieser Zeit schützen können und viel tausend Landsleute um eine Frage, die keiner versteht, niederhauen lassen, ich meine, du bist eines vornehmen Herren Kind, ich habe auch vom Grafen Rappolt gehört, zieh ab, hier ist kein Boden für uns beide, was hält dich noch hier?«

»Mein Kind!« seufzte Anton, »und diese Leiche.«

»Fort mit ihr in den Strom, der sich hier durchquält, er mag sie tragen, wohin er will!«

So tat der Jäger, eh' er's sprach, und als Anton sich ihm nach werfen wollte, trug er nur noch den Brief auf seiner Fläche, der aus Frau Annens Busen gefallen war, und legte ihn dem Erstarrten zu Füßen. Der Anblick hielt ihn zurück, er trat in das Bewußtsein eines größeren Geschickes, dem nicht zu entfliehen sei, seine Augen weilten auf der ewig wandelnden, ewig gleichen Fläche des Stroms, der jetzt Katharinens verweintes Angesicht ihm abspiegelte, wie sie den kleinen Wilhelm auf dem Arme, den kleinen Anton an der Hand mit Güldenkamm und Susanna über die Wiese aus dem Pachthofe fortzogen, während die Pforzheimer, die sich alle Pferde der Sicherheit wegen zugeeignet hatten, über das Feld fortjagten, daß sie der Grenze entkämen. Nimmer war eine Sehnsucht nach dem Tode in Antons Seele erwacht, jetzt aber war seine Seele in den Worten: »Mir wäre besser, daß ich tot, als daß durch mich solches Unheil in die Welt gekommen.« – Katharina ihm gegenüber seufzte in den Wind, der gleichgültig über alles hin das Tal mit dem Flusse hinabgleitete: »Mir wäre besser die Schande, als eine Ehre, die mir den Geliebten entrissen!«

Beide standen so von einander getrennt und achteten nicht, was rings geschah, da pfiff es aus allen Büschen, und wie in einem Wirbelwind auf einen Kreis aller bewegliche Staub und gelbe Blätter zusammengedreht sich vereinet, so standen sie plötzlich zu beiden Seiten von den gelben bestaubten Scharen der Zigeuner umgeben, die Anton wieder erkannte, mit der Hand von sich fortwinkte, die Hände dann faltete und von sich fort zu beschwören schien. Die Zigeuner versammelten sich aber, mit der Begleitung [1022] vieler Maultrommeln und Querpfeifen singend, immer näher um Anton und Katharinen, daß ihr Hauch im Aufschreien die blonden Locken durchschauderte:


Zigeuner

Betet nur kein Vaterunser,
Ihr seid unser,
Stehet auf der Wegesscheide,
Euer Weg, der führt zum Galgen
Und der unsre führt zum Balgen,
Ihr seid auch von unsern Leuten,
Uns hilft Streiten und Erbeuten.
Sehet euch nicht um und weinet,
Ihr versteinet,
Eure Stadt seht ihr nicht wieder
Euer Haus geht auf in Feuer,
Werdet frei von dem Gemäuer,
Laßt euch nirgend wieder nieder,
Maurer, Zimmerleut sind Feinde
Und die Welt ist die Gemeinde.
Die Zigeunerkönigin

Einer seh nicht nach den andern,
Ihr müßt wandern.
Wo kein andrer ist geboren,
Überm Stroh geschorner Felder,
Überm Besenreis der Wälder,
Wo der König steht verloren,
Von der Erd löst euch die Schuld,
Steigt durch Tat zu Himmelshuld.
Zigeuner

Springt das Grün aus Frühlingstrieben,
Sollt ihr lieben,
Sind verguldet alle Saaten,
Müßt ihr ernten ohne Säen,
Scharfe Schwerter können mähen,
Haun aus jedem Schwein die Braten;
Graben wir nach fetten Dachsen,
Knarren bald die Wagenachsen.
[1023]
Betet nur kein Vaterunser,
Ihr seid unser,
Müßt mit uns auf Felsen klimmen,
Ihr seid nirgend mehr willkommen,
Wollt ihr zu einander kommen,
Müßt ihr wie die Fische schwimmen,
Wer noch durch die Luft gezogen,
Hat den Teufel drum betrogen.
Die Zigeunerkönigin

Hunger lehrt euch prophezeien,
Laßt euch weihen,
Sagt erst Kindern, was sie wollen,
Jungen Mädchen sprecht vom Knaben,
Heimlich kommen euch die Gaben,
Klebt ihr nicht an Erdenschollen,
Ahnen euch der Wittrung Taten; –
Helden kann ein Held erraten.

[1024] Propheten sprechen oft zu uns aus unserm eigenen Munde, an das Unbedeutende heften sie den Blick mit Ahnungen und wir fühlen ein gemeinsames Leben mit aller Welt. O ihr Ahnungen, wunderbare Seher der Zukunft, eure Sternzeichen leuchten in der unerschöpflichen Tiefe unsres Herzens, ihr seid das Licht, ihr seid das Auge zugleich und darum seid ihr nicht zu erkennen und zu begreifen mit der Vernunft. Mit wechselnder Schnelligkeit hebt überfließend der Eimer des neuen Lebens, daß sein herabfallender Überfluß im Brunnen uns erst hörbar wird, wenn der geleerte Eimer schon in leerer Gegenwart schwankend niedersinkt. Das Herrlichste erkennt sich erst, wenn es vorbei, und darum begrüße ich euch dankbar und locke euch liebevoll, ihr viel verschmähten Ahnungen; aus euch atme ich hoffend und leicht in die Welt, durch euch schlägt jede Ader mächtiger und freut sich ihrer unendlichen Verflechtungen, die ein Vorbild sind, wie die unendlichen Geschlechter der Erde aus einem Blute stammend auch an ein Blut glauben sollen, das für alle vergossen, alle zur Seligkeit führen wird. Wie sehen wir ahnend so anders in die Welt, und in dem Himmel sehen wir, wie ein allumfassendes Blau die verbrennenden Gestirne ernährt und herstellt, woraus wird uns in Ahnungen so wohl? – O könnten wir doch auch rückwärts unsern Blick in eurer Kraft wenden und die Welt verstehen lernen, die unsere Erinnerung belastet, könntet ihr das Vergessene und Verborgene uns wiederbringen, erst dann wäre unsre Welt unendlich und dazu möchte ich euch zur Stunde meiner Geburt hinwenden, das Gefühl zu wissen, mit dem der Mensch sein Auge zum erstenmal öffnete, zu wissen, wie er dann in der Wiederkehr des Jahres, nachdem er den großen Kreis das erste Mal durchwandert, den Jahrestag seiner Geburt feierte, ja dann wüßte ich, wie die Erde fühlt mit ihren Saaten und Wäldern in jeder Jahreszeit, ob die Tiere ihr Leben rühmen, das auf einen Jahreslauf beschränkt ist, oder ob sie neidend den überlebenden Geschlechtern, sich vor der Luft verkriechen, [1025] die sie erweckt hatte, und entschlummern. Dann wüßte ich, wie jedem Geschlechte der Tiere zu Mute ist, wenn der Tod des Jahres, der Winter, alle Blätter abstreift; – was die Vögel singen, wenn diese gleich ihnen durch die Luft fliegen, was das Gewild schreit, wenn sie ihnen das Gras bedecken und die Fische, wenn sie wie unzählige kleine Nachen auf der Wasserfläche umhergaukeln bis sie versinken. Eine schwerere Decke überzieht aber bald mit gleichem Weiß die vielfarbige Erde, wie mögen die Ameisen erschrecken auf ihren weiten Wanderungen, wie mögen die Bienen trauern, wenn sie ihren Vorrat, die goldene Erinnerung unzähliger Blumenküsse in der Not angreifen, was mögen die Fische träumen, wenn eine harte, trübe Eiswölbung sie in härterer Gefangenschaft hält als die Netze, denen sie so oft entschlüpft sind, und sie von der Oberfläche bannt, an der sich das Wasser erneut, in der sie so oft fröhlich des Sonnenscheins rauschten, wie sie erschrecken, nun der Hirsch, den der Teich so lange tränkte, verwundert über ihr Haupt hintobt und mit hartem Hufe anklopft, bis er die Eisdecke eingeschlagen und dann selbst erschreckt den Kopf zurückzieht, wenn ihm die scheuen Bewohner des so spiegelnden Elements ungeduldig entgegentreten, weil sie schon erstickt sind in der kalten Nacht und verkehrt oben aufsteigend kaum noch die Flossen zu regen vermögen. Wie sich in der Liebeszeit des Jahres die Tiere über einander fröhlich verwunderten über alles, was jedem besonders verliehen, wie die Krähen da sich Flöckchen Wolle zu ihrem Neste von der Fülle des Schafs abrissen und der treue Hund, der es nicht leiden wollte, ihnen kaum eine Feder ausreißen konnte und den sichern Fang erstaunt in die Luft emporsteigen sah und vergebens danach emporsprang, wie der ergrimmte Hahn die Enten auf dem Wasser nicht weiter verfolgen konnte, die seinen Hühnern das Futter weggefressen, so beneiden einander alle in der Schreckenszeit, die Krähe sieht von ihrem dürren Ast den dichten Pelz des Schafes mit Neid und möchte sich darin kleiden, Enten und Hühner sehen mit Neid die fröhlichen Zugvögel fortziehen, alle Tiere macht der Winter ernst und boshaft und der Mensch, der alle beherrschen sollte, verkriecht sich furchtsam vor ihnen und liest in dem Fluge, in dem Geschrei der Tiere abergläubische Zeichen einer höhern Gewalt.

Du armer Mensch, wärst du doch wie jene Murmeltiere einem [1026] Winterschlafe wenigstens unterworfen, wenn du nicht mit den Zugvögeln dich in die Gegenden ewigen Frühlings flüchten kannst oder wie die Wasserlilien nur zum Blühen an die Oberfläche kommst, o daß du ihnen nicht gleichtun kannst und schlafend, oder wandernd, oder versinkend dem Winter entkommen magst; keiner von uns mag so schnell ziehen und versinken, um der Kälte zu entkommen, die in einer Nacht halbe Weltteile überfliegt, und wer schliefe so fest, daß ihn der Frost und der Sturm nicht weckten, so schlafen nur die Toten. Die Lebenden aber wie das Grün, das noch aus dem Schnee wunderbar hervorblickt, strecken ihre Arme von ihrem Lager in die Welt, der Sonne entgegen, aber sie wärmt nicht mehr, sie erschrecken vor ihr wie vor einer alten Freundin, die in einem Augenblicke ihnen fremd geworden ist. Aber die Trompeten schmettern in allen Straßen, gedämpft von den Schneelagen, doch hörbar, der Feind ist nahe, der Freund ist in der Not, Not und Ehre rufen ihn, doch der die ganze Welt vergessen möchte, die Schüsse fallen immer näher, das Laufen der Flüchtenden hallt immer schneller, er fühlt keinen Frost mehr, ihm ist heiß wie in Frühlingsluft, die Ahnung, hier müsse er kämpfen, durchlebt ihn, ob der Himmel hell oder dunkel, nur eine Tätigkeit in ihm und um ihn her, nur ein Bestreben, denen, die ihn vom traurigen Tode des Erfrierens erweckt haben, sich anzuschließen, ihre Feinde sind seine Feinde und wäre es die ganze Welt.

Mit solchem Herze voll Ahnungen des Mutes sprang Anton unter der Schneedecke hervor, die ihn während des festen Schlafes am Waldabhange unsichtbar gemacht hatte, das grüne Gras sah gedrückt, doch hell an der Stelle hervor, wo er gelegen hatte, und dampfte von seiner Lebensglut, die zu ihm übergegangen war, er sah es noch, so träg und trüb war seine Seele, trotz der dringenden Gefahr der Seinen, die ihn anriefen, mit seinem Zigeunernamen: »Huty, Huty, wenn nur unser Huty bei uns wäre.«

Auf der andern Seite sahen ihn die Juden und riefen ihm zu: »Komm zu uns Simson, du sollst unser Führer sein, zieh aus dein Schwert!«

Der dürre Jäger weckte ihn und rief: »Komm zu uns, denn bei uns ist deine Schwester, deine Kinder, Susanna und Güldenkamm!«

Diese Worte hätten Anton entschieden, sein Schwert gegen die Zigeuner zu wenden, da erschienen ihm die Seinen wie goldne [1027] Morgenflammen, wie sie am Berge fortzogen und nach ihm riefen, weil sie ihn überall vermißt hatten. »Anton! Anton!« schallten ihm die teuren Stimmen, die nach ihm riefen, und er wandte sich zu ihnen zurück, sie sahen ihn und sprangen noch bleich vom Schrecken auf ihn zu. »Steh Katharinen bei«, rief Güldenkamm, »sie ist mit ihren Jungfrauen im stärksten Kampf beim schmalen Wege am Sumpfe.«

Anton eilte mit einer allmählichen Erwärmung sei nes Gemüts nach jener Seite, es war ihm, als hätte er nach einem Vierteljahre Kerkernacht wieder die Sonne erblickt; ihm war, als ob er noch zu etwas tauge, und eine Rührung durchschnitt ihm das Herz, als dränge ihm ein blankes Schwert hindurch und machte es der Last seines Lebens frei; die Reue war ein Greuel in diesem Leibe gewesen, der sich nicht beugen konnte, weil er zu stark war, der sich nicht vor der Welt büßend im Staube verkriechen konnte, weil er zu groß gewachsen. Es war ihm ein Bewußtsein geworden und er sah sich in der Tat, wie der volle Mond das erleuchtete Viertel sieht und auch in klarer Nacht an seinem Rande gesehen werden kann, er handelte, er wußte, daß er handelte, und so riß ihn nichts mehr unwissend fort. Zwischen Klothilden, die mit ihren ergebnen Zigeunermädchen die Brücke besetzt hielt, und zwischen den Juden, die sich zum Angriffe mit Jagdspießen anschickten, war noch ein gegenseitiges Zuschrein und wildes Unterhandeln; die Juden meinten sie durch Überredung von ihrem Passe zu vertreiben und schickten sich nur ungern dazu an sie anzugreifen, die ihnen mutig mit gutem Degen unter die Augen trat. Der dürre Jäger trat endlich zwischen beide und suchte beide zu besänftigen, sein Anblick aber mehrte so gewaltig die Wut der Jungfrauen, daß sie mit dem Geschrei »Tod dem Verräter« auf ihn eindrangen, eben als Anton ganz in ihre Nähe getreten. In diesem Augenblicke schwärzte sich der ruhelose Nachthimmel und hoch in den Lüften erschallte durch die schwarze Luft ein kriegerischer Marsch in harter Tonart, scherzend in Wildheit. Die Juden schrieen auf: »Das wütende Heer, werft euch nieder!«

Alle warten sich nieder wie schwarze Garben auf der weißen verschimmelten Flur, auch die Jungfrauen warfen sich nieder und schimmerten wie Blutstropfen in dem weißen unschuldigen Lammfelle der Erde, Anton aber beugte sich nicht, sondern hob [1028] drohend über sich sein Schwert. Und bald sahen die wütenden Scharen auf ihn und zogen doch weiter wie Kriegsvölker, die vor der Bildsäule eines feindlichen Helden lobend vorüberziehen und in sich denken, daß die Lebenden recht behalten. Welch ein Gewirre von Trachten, aber alle mit Blut bezeichnet, leicht und flatternd in ihren Hemden liefen in fröhlichem Gesange; die an Wunden gestorben, ihre Rüstung war ihnen abgenommen und ihr Fähnlein war aus zerschossenen Hemden zusammengepflastert, darauf stand geschrieben, gegen welches Volk sie gestritten, gegen welches sie um Rache schrieen; ein trockenes Lazarett, das aus dunklen Kasematten auf eine grüne Wiese ausgeführt wird, wo ihre Geliebten ihnen volle Becher alten Weines reichen, so daß sie in Licht, Wein und Liebe zugleich ersoffen sich alle gesunder fühlen, als da sie noch gesund waren, so zog dieser mutwillige Haufen, jeder mit seiner Geliebten, mit Blumen und bunten Bändern geschmückt, und wüteten hinkend auf den verstümmelten Gliedern. Zwischendurch drang die rührende Tonart des Kriegsgesanges der Gerüsteten, die mit den Waffen in der Hand vor dem Feinde gefallen; ihre großen Fahnen aus allen Zeiten, hatten sie mit hinübergenommen, teils die eigenen, teils feindliche, sie ließen Anton ihre Zeit erraten, sie forderten keine Rache; denn ihnen war geschehen, wie sie gewollt; aber ein feierlicher Ernst, eine Gewißheit ihrer selbst, erhielt sie in einer wohlwollenden Rührung, sie wären gern gnädig gewesen aller Welt und wollten für die Ihren am jüngsten Tage reden.

Diesem Heldenzuge des wütenden Heeres entgegen, zog der wilde Jäger aus Osten, ein herrlicher Mann auf hohem Rosse, vor ihm her ein Wolkenzug von ähnlichen weißen Jagdhunden, die suchend liefen, in ewiger Dummheit bellten und am Himmel kein Gewild erspüren konnten, hier roch einer an die Spitze einer Tanne, daß die Nacht ein Hase in ihrem Schatten geschlafen hatte, gleich kamen alle im Kreise, und rochen und bellten, bis der wilde Jäger sie mit starker Jagdpeitsche heulend in die Weite trieb. Die beiden Züge drangen gegen einander und wie sie einander berührten brannte ein Blitzstrahl nieder, daß die Welt in einem Feuerabgrund zu versinken schien, dann war es schwarz vor Antons Augen, er fühlte um sich und fühlte nichts, er wußte nicht, wohin er entrückt war, es war still um ihn her, weder Jagd noch Krieg, aber ein tiefes Atmen, als sei er ein Früherwachter unter vielen Langschläfern.

[1029] Endlich berührte seine Hand eines Menschen Mund und mit einem Schrei hörte er wieder die Stimme seiner Schwester: »Anton, du lebst, nun so laß uns zu Gott beten, der uns erschüttert hat.«

Anton aber fragte: »Katharina, wo sind wir, in welcher Tiefe büßen wir unsre Sünden?«

KATHARINA: »Wir allein stehen aufrecht, wie wir standen, um uns her liegen Freunde und Feinde im Grase hingestreckt und wagen nicht aufzublicken. Aber sprich Anton, was berührst du so stillschweigend meine Augen?«

ANTON: »Siehst denn du mit deinen Augen, warum deckst du mir die Augen zu.«

KATHARINA: »Herrlich glänzen deine Augen, wie ich nimmer sie gesehen, weithinleuchtend über die erschreckte Flur und die Feinde, statt zu streiten, beten demutvoll zu dir und bitten dich um Frieden.« – Anton fühlte, er sei vom Blitzstrahl geblendet, aber er schämte sich, es zu gestehen, so verlassen von Gott und von der Welt hatte er sich nie gefühlt, als die Feinde ihm den Jäger gebunden überschickten, daß er und die Zigeuner ihnen Frieden und Freundschaft schenken möchten, nachdem der Blitzstrahl ihren alten Anführer Niklas erschlagen habe, der unter ihnen Manasse geheißen.

Anton befahl, den Gefangenen wohl zu bewachen, und die Seinen, die sich jetzt allmählich um ihn versammelt hatten, hoben Geiseln aus, um ihre kleinere Zahl gegen die Übermacht dieser Höhlenbewohner zu sichern. Aber alle diese Bewegungen, diese Vorsicht, alles schien noch durch die betäubende Erscheinung verwirrt, es war als ob ein Menschenfuß durch ein paar Heere streitender Ameisen geschritten, ihre Wut ist in der allgemeinen Zerstörung erloschen und die ergrimmten Feinde suchen gegenseitig bei einander Zuflucht. Da die Herzogin der Zigeuner nicht gegenwärtig war, so hatte das allgemeine Zutrauen Anton als Führer emporgehoben, er aber starrte in eine ewige Nacht und wenn er es ihnen auch zu verbergen trachtete, und jeden Augenblick das Licht der Welt erwartete, so konnte er doch nur nach langsamer Ausfrage gebieten, was der Augenblick erheischte. Aber der Friede war den Menschen aufgedrungen in dem gemeinschaftlichen Schauder vor größeren Ereignissen, die sich der Welt nahten und die jeder vorerst in seinem Kreise sich zu deuten suchte.

»Den wilden Jäger kennen wir wohl«, sagte ein Bewohner der [1030] Höhlen, »es ist der Hackelnburg mit der Tut Ursel, sie ziehn vor allen großen Festlichkeiten aus ihrem Gebirgswinkel heraus; – wie mögen sie aber heute sich entsetzt haben, als ihnen das wütende Heer in den Weg getreten ist, denn das bedeutet großen Krieg, und wo die alten erschlagenen Landsknechte herziehen, daher kommt es über Deutschland, das wilde Kriegswetter.«

»Wie ist die Geschichte mit dem Hackelnburg?« fragte Susanna, die Anton wieder traurig auf den Boden hinstarrend erblickte, wie er oft getan, seit dem Tode seiner Frau.

Ein alter Jude antwortete: »Wir haben viel von dieser Geschichte im Lande gehört, in unsern Büchern steht nichts davon. Er soll ein gewaltiger Jägersmann gewesen sein, der Hackelnburg, die Tut Ursel aber eine Nonne, die in ihrer höchsten Andächtigkeit die andern Nonnen mit ihrer schrecklichen grunzenden Stimme gestört hat, Hackelnburg hat ihre Stimme im Chore gefallen, weil sie der eines wilden Ebers ähnlich, er entführte sie, verließ sie aber im Walde wegen eines Traumes, der ihn warnte, er werde durch einen großen Eber umkommen. Als er sie verlassen, durchstreifte er wieder das Jagdrevier und traf auf einen großen Eber, zwar entsetzte er sich erst vor ihm, doch fing er ihn ab und als er ihn so vor sich liegen sah, da stieß er verächtlich mit dem Fuße gegen einen der großen Hauer und sagte: ›Nun, du sollst es mir auch nicht getan haben.‹

Das war sehr unvorsichtig von dem Manne, das hätte er lassen sollen, er stieß sich den Hauer durch den Stiefel ins Fleisch und starb bald an einer Entzündung dieser Wunde. Nicht wahr, das hätte er lassen sollen? Die Leute sagten gleich, es sei mit dem Eber nicht richtig gewesen, sie begruben ihn mit dem Hackelnburger zusammen, bald zeigte es sich, daß er mit seinen Hunden umziehe, wenn Feste im Lande, und die Tut Ursel vor sich herjage. Ja was ist dagegen zu sagen?«

Der dürre Jäger, der gebunden und grimmig am Boden lag, rief hier: »Ja das weiß ich und habe es erfahren, wie eine menschliche Seele in ein wildes Tier einfahren kann, und sich austauschen mit der Seele des Tieres, die in den menschlichen Leib mit Vergnügen übergeht, das ist des Teufels höchster Spaß und macht ihm seinen Tiergarten voll und lustig, ach ihr Leute mögt wohl über mich reden und mich vielleicht umbringen und wißt nicht, wie sich [1031] alles mit mir ereignet hat und wie ich so gern anders gewesen wäre, als ich geworden bin. Den der Blitz vor einer halben Stunde erschlagen hat, Niklas, der alte böse Niklas, ich muß jetzt darüber lachen, warum der mein Vater gewesen ist, aber er war es wirklich, ich war als Euer Untertan geboren, Anton, ich mußte auf sein Geheiß Euch zu Trunk und Spiel verführen, als Ihr durch Eure Frau zu Würde und Ansehen kamet.«

Anton sagte finster: »Also Feinde, immer mehr Feinde, immer weniger Freunde, sprich, was konnte Euch mein fröhlich Leben schaden? Meine Augen sahen nie über die Stadtmauern hinaus und so wäre ohne Euch, ein Tag wie der andere mir in stiller Arbeit unverloren vorüber gegangen und in mir mit Segen eingekehrt und versunken!«

»Anton«, sprach der Jäger, »ich schwöre es Euch, nicht aus Gaukelei, wie ich oftmals getan, daß es mich schmerzte, als ich um Euch mein Netz geworfen, aber ich konnte nicht anders, der grimmige Teufel hatte mich so lange angehetzt, daß ich um alles in der Welt ihm nicht hätte ungehorsam sein mögen.«

»Welcher Teufel«, fragte Anton, »und was wollte er mit mir gerade, ich habe ihm doch nur eine gemeine Lastertat geliefert und tue ihm keine mehr zu Gefallen.«

»Wisset«, sprach der Jäger, »daß in Italien noch jetzt zwei Parteien sich gegen einander in den Ringmauern derselben Stadt durch hohe Häuser mit Türmen befestigen, von denen die eine jetzt unterdrückte noch von Eurem Vorfahren, der zu Waiblingen geboren, den Seinen den Namen der Waiblinger oder Ghibellinen verliehen hat, es war Konrad III., der lange mit Wolf, dem Bruder des geächteten Heinrich gestritten hat. Von diesem Wolf kommen die Welfen, die sich unserm heiligen Papste unterwerfen, es geht aber eine alte Sage, daß ein neuer Waiblinger die Unsern unterdrücken werde, darum ward mein Vater Niklas nach Deutschland gesendet vom Papste, um Euer Geschlecht zu unterdrücken, bald war es ihm mit Eurem Vater gelungen, auch Euch glaubte er im vergessenen armen Leben untergegangen, als Ihr plötzlich durch Eure Heirat erhoben ihn erst aufmerksam machtet, wie er Euch durch seine Entführung gerade zum rechten Waiblinger gestempelt hatte. Nun war Euch mit Gewalt nicht viel beizukommen, denn Ihr standet wohl ein paar Männer, und in Wahrheit, wenn der[1032] Teufel nicht mich und meinen Bruder Seger so unablässig geplagt hätte, wir waren Euch zu gut, Ihr seht mich darauf an, es ist aber doch wahr.«

»Nein bei Gott«, rief Anton, »wenn Ihr nicht ein Gesicht habt, wie eine Sonnenfinsternis vor einem berauchten Glase, so kann ich Euch nicht sehen.«

»Nun wie Ihr wollt«, sprach der Jäger weiter, »seht Ihr die aufgehende Sonne an und überseht mich, mir ist es lieb, ich aber muß Euch erzählen, wie ich von meinem Vater dem Teufel bin übergeben worden. Ganze Tage ließ er mir von einem Jäger von der Ehre vorerzählen ein wildes Tier zu schießen, einen Fuchs, einen Wolf, einen Bären! Was nicht genießbar den Menschen, ihnen aber gefährlich sei.«

[1033]

Nachtrag

Antons Vermählung mit Susannen

Wie beide der Erde schon abgewendet, vor dem Lichte ihrer Gedanken die Sterne erlöschen. – Geistesverklärte haben keine Planeten. – Auf der gläsernen Säule ist ihr Ehebett, der Alte hat sie eingesegnet, eh er sich in die Luft hat sprengen lassen. Anton findet beim Erwachen Susannen nicht mehr und glaubt sie aufgeküßt zu haben, sie spricht in ihm, aus ihm. Preis der Liebe des Alters, der reinen geistigen und ihrer ewigen Lust. In ihrem Lobe, im Vertrauen auf die Krone stirbt er. Der Hunger ist ihm nicht schmerzlich – er hat kein Verlangen nach Speise, selbst die Luft ist ihm zu schwer.

Das Rätsel der Krone

Sie hat die Eigenschaft zu verschwinden, wenn ein Böser sie tragen will; sie besteht aus zwei in einander steckenden Kreisen und Gewölben, beim Bauernaufruhr will Seger sie führen, da ist sie verschwunden.

Das Rätsel der Krone soll sich lösen, wenn die in einander gewundenen Kreisgewölbe, den letzten Stamm darstellend, als zwei, die in eins zusammen gehen, und aus diesem einen wieder dreie von verschiedenen Namen hervorgehen. Dies trifft ein: Anton und Seger, verwechselte Zwillinge, gehen in eins zusammen, und aus dem einen stammen drei von verschiedenen Namen: Antons erster Sohn Anton; der Sohn seiner Schwester Katharina, Wilhelm, den er seiner Frau zum Ersatz für den Sohn des Berthold übergab, dann sein jüngster Sohn, den er unter dem Namen Fortunat mit Frau Anna gehabt.

Nach Antons Tod steigt der Älteste mit seinen Brüdern hinauf und findet die Krone neben dem Leichnam des Vaters, er teilt sie zwischen beiden, indem er die gewölbten Kreise auseinander hebt, den einen Bruder sendet er nach Norden, den andern nach Süden er selbst setzt sich den eisernen Reifen auf, worauf die Krone gestanden, es ist die Mauerkrone, er ist Burgherr.


Güldenkamms, oder wie er in letzter Bearbeitung des ersten Bandes umgetauft wurde: Grünewalds Geschichte.


[1045] Er hat sein Leben verwettet in einem Gedichte und dann hat er nicht den Mut, sich ins Wasser zu stürzen, nun schämt er sich seines Lebens; er hat die Furcht in sich entdeckt und ist nun in allem gehemmt. Will in ein Kloster flüchten, kommt vom Glockengeläute fortgezogen zum Trauerzug des letzten Stammherrn von Hohenstock, gedenket der Zeiten und Abenteuer, die er mit Susannen bestanden, und an die hingerichtete Katharina. Seine Erschütterung, da man die Särge in die Gewölbe nieder gelassen:


Tiefster unendlicher Schlaf, bei dir nur findet das Senkblei
Ruhe inmitten der Sorgen, tief in die Erde versenkt.
Selber der Träume strahlendes Licht verschwindet da unten,
Und die durchsichtige Flut, scheinet da über mir schwarz.
Ach und so schwer mein Herz – Senkblei kann ich's wohl nennen,
Hoffnung zum Himmel entstieg, blieb nur Erinnerung drin.
Hier verlorne Liebe – dort die verlorne Geliebte! –
Ja der gedoppelte Schlag wecket unendliche Ruh!
Hier verlöschen die Kerzen am Sarge erträumeter Liebe,
Dort am gemordeten Leben gehen sie glühender auf.
Bin ich denn noch nicht gestillt? – erziehn mich nicht schmerzliche Tage!
Jagen Geschütze nicht lange, ernst den flüchtigen Puls? –
Sah ich Zerschmetterte doch mit Gleichmut in zückenden Haufen,
Warum erschrecket mich denn, was mir so fern und vorbei? –
Denn ich suche dein Grab, Susanne, – es liegt mir so ferne.
Was dem Herzen so nah, lieget doch immer so fern.
Löwen, die möchte ich senden die heilige Stätte zu hüten,
Seit du bei Menschen nicht mehr, scheinen mir Menschen zu schlecht,
Güte und Schönheit such ich fortan bei Tieren des Waldes,
Eigen waren sie dir, sie bewährt ewig dein menschlich Geschick,
Bricht der Morgen heran, dann trinken die Tränen
Vöglein mir von der Wimper und sie singen davon
Traurig ein trauriges Lied.
Zwiefach seh ich dich dort, auf schwebender Grabstätte weilen
Über der Berge grünenden Flur wie ein Wölklein am Fels:
Nemesis einmal, sternenumtanzt im Glanze der Jugend
Scheidend vom Unrecht das Recht, im eignen Busen versenket den Blick.
Kriegrische Muse dann – ewig grünender Lorbeer
Umschlinget das Haupt dir von Geisterflammen beleuchtet.
[1046]
Schrecklich sind Menschen, denn sie neiden ums Licht
Geistige Flammen am Grab. Ach was leuchten die Gassen,
Während kein ewiges Licht brennet auf Gräbern mehr. –
Ha was finde ich hier auf diesen Klippen zerstreut,
Die ich in tosender Nacht, meiner vergessen erstieg,
Hier das Purpurgewand, noch warm vom Dufte des Lebens –
Hier die Sohlen gelöst – hier der Eindruck im Fels
Von beiden Füßen so deutlich, zeigt, – ein gewaltiger Sprung
Hat sie beflügelt zur Höh. – Ach du schwebest wohl noch –
Es schwebten dem Wagen der Sonne, manche Gestalten zuvor,
Sie erblicke ich nicht! – Ach zu spät – schon kommen
Die Schmetterlinge ermüdet, abgeschwirret zurück,
Die dich führten hinauf – setzen sich mir um das Haupt
Wie leiser Klage Liederkränze,
Wohl weiß ich, warum die sonnenvertrocknete Quelle
Mühsam das Wasser bewahrt unter den Steinen am Busch,
Weiß warum sich das Grün des Erlengebüsches erfrischet,
Wo ich lange nicht mehr hoffend auf Liebe geweilt,
Nüchtern trinke ich jetzt aus dieser heiligen Quelle
Opfernd den Toten zuerst aus der gekrümmeten Hand.

Grünewalds gelehrte Unterhaltung mit dem gelehrten Bruder in der Bücherei des Klosters: Dieser zeigt ihm das erste Schauspiel in Deutschland, deren Urheber Reuchlin war, von dem edlen Johann von Dalberg – Bischof von Worms, mit großem Frohlocken, daß ein Deutscher etwas solches geschrieben, hochgehalten. Heut zu Tage, wenn Homer und Demosthenes oder Euripides selbst käme, würde man ihn schier nicht achten. Es fängt den Leuten schier an zu ekeln vor guten Künsten und Wissenschaften. Man geht darin wie eine Kuh in der Streue. Gelehrte Leute werden jetzo um ihrer Menge willen verachtet und ist zu befürchten, es möchte die Gelehrsamkeit, wenn sie aufs Höchste gestiegen, wieder auf eine Barbarei herauskommen. Und gewiß erst vor kurzer Zeit affektierte man eine neue Schreibart aus altem und dunkeln Gepräge und aus unlautern und trüben Pfützen, und hatte einen Ekel an Ciceronis heller und lauterer Reinigkeit. – Die Religionsstreitigkeiten mehren sich und überwuchern den ganzen Boden der Gelehrsamkeit. Grünewald auf Zureden des gelehrten Bruders bleibt im Kloster. – Macht Sonette auf Antons Bilder.

[1047]
Waiblingen an der Rems

Bei Waiblingen im Dorfe Brießen war ein altes Schloß, Konradin hatte es seiner Gemahlin errichtet.

Im Jahre 1429 haben die beiden Brüder Graf Ludwig und Ulrich, an einen Bürger zu Waiblingen namens Berchthold Müssiggänger das dortige Haus verkauft, in welchem vor Zeiten die Fürsten von Waiblingen gewohnt und aus welchem Friedrich Barbarossa entsprossen war. Dieses Haus stand nah am Markt und hatte einen Garten und eine Scheuer hinter sich – sonst stehen die Häuser fest aneinander gebaut. In diesem Hause sollen die drei heiligen Leiber der Weisen aus dem Morgenland, welche das Christkind beschenkt haben, über Nacht geblieben sein, als sie vom Morgenland durch Köln vom Kaiser Barbarossa geschickt wurden.

Die Marienkapelle, wo die Gattin Armins begraben, sie vermachte einen gülden Becher dahin. – Koschhorn, Lidhorn, Geiersberg, Wolfhardt, sind noch alte Familien daselbst. Die Sattlerische Familie und die Härpische hatten eigne Kapellen.

Johann von Ulm fing 1488 den Turmbau in Waiblingen aus Quadratsteinen an.

1529 wurden die Bilder erst in Basel und St. Gallen weggeschafft. 1530 die Wiedertäufer.

Herzog Ulrich

Herzog Ulrich, sechzehnjährig, kommt 1503 zur Regierung ein dicker dickköpfiger Bengel, bauchig, lernte nichts als Latein, heiratet 1510, nachdem er einer brandenburgischen Prinzeß, die sich zwei Meilen von Stuttgart bei der Witwe Eberhards des II. aufhielt, durch Trompeter den Hof gemacht hatte; er liebte Hans von Huttens Weib, des Erbmarschalls Tochter, es war eine vertraute Freundschaft zwischen Sabine und Huttens Frau, was den Herzog in Eifersucht setzte. Kanzler Lamparter. Erbmarschallstum. 1512 machte er das Nest kleiner bei Schorndorf. Der eine der Edlen war von seinen Gütern zu Nirgends, der andre hatte sie beim Hungerberg.

Beutelsbach, Probe der Gewichte im Wasser, die Bauern hatten kein Zutrauen zur Lastung. Durch kaiserlich pfälzische und bayrische Gesandte der Tübinger Vertrag.

[1048] Jagen in Schönbuch 1515, 8. März. Ulrich schrie Hans von Hutten an, sich seines Leibes und Lebens zu wehren, stößt ihn nieder, löste ihm den Gürtel und knüpfte ihn an die nächste Eiche. Glaubte er sich vielleicht als Freigraf des heimlichen Gerichts dazu berechtigt, – Seine Gemahlin flüchtet nach Bayern, 2. Okt. Der Kaiser nimmt sich seiner Schwestertochter an, erklärt die Acht, Mathesius Lang vermittelt alles in Blaubeuern. Der Trompeter, der dem Herzog die Nachricht brachte, widerruft. – Er versprach, die nächsten sechs Jahre eine Verwaltung von Landhofmeister, Kanzler und Räten anzunehemn. Bei der Rückkehr fiel ein Schuß aus dem Schlosse Helfenstein, er verheerte das Land. Die Gräfin fiel ihm zu Füßen.

Alle, die den Blaubeurer Vertrag zur Anordnung eines Regimentsrats benützen wollten, wurden gefoltert, ein Teil an Kohlen gebraten.

1519 kam die Nachricht, die Reutlinger hätten den Vogt zu Achalm erschlagen, er eroberte die Stadt. 1520 wurde er vom Schwäbischen Bunde verjagt unter Wilhelm von Bayern. Er kam wieder mit Schweizern, konnte sich aber nicht halten. 1520, 6. Februar, wurde das Land Karl V. überlassen. 222 000 Gulden den Bauern bezahlt. Vierzehn Jahre blieb es unter österreichischer Herrschaft, er litt alles, Briefe durften nicht nach Paris, verpfändete Mompelgart, Hohentwiel machte Kosten. Selbst Landgraf Philipp von Hessen bot ihm an, fremde Höfe zu besuchen.

Die österreichische Hofhaltung war kurz, alles ward zum Schuldenzahlen bestimmt.

1533 trennte sich der Schwäbische Bund, Landgraf Philipp gewinnt sein Land durch die Schlacht bei Lauffen am Neckar 1534, 13. Novbr. 1547 mußte Ulrichs Pferd die Knie vor dem Kaiser beugen, er war hart und karg gegen seinen Sohn Christoph.

Ulrich ward wieder eingesetzt 1534.

1535 wurde die Reformation in Württemberg nach Vorschrift der Augsburger Konfession von Ulrich eingeführt. Erhardt Schnepf von Wimpfen und Ambrosius Blaurer von Konstanz waren die Führer. Leonhard Verich von Schnapf ordiniert; als er seine erste Predigt hielt in Waiblingen und das Lied anstimmen ließ: »Es ist das Heil uns kommen«, so sprangen die päpstlichen Priester und Kapläne im Aufruhr empor.

[1049] Die Waiblinger waren gute Komödianten. In Waiblingen hat ein Mönch das Osterlied: »Christ ist erstanden« dem anzustimmen befohlen, der Herr im Hause sei, darauf haben alle geschwiegen, dann hat er unter den Frauen die aufgerufen, welche Herr im Hause – da haben alle angefangen.

1487 war das letzte Turnier in Waiblingen.

Waiblingen führt drei Hirschhörner im Wappen.

Von Klodwig stammen die Staufen, die Waiblinger stammen daher. Das Kriegsgeschrei war bei der Armee: »Dirs belf, hin Wölf.« Bei der Armee Konrads, des Königs Sohn, schrieen spöttisch die Waiblinger: Wo er den Winter erst gefangen, um ihm zu zeigen, daß er auf dem bloßen Bauch für Landsleute gekämpft habe.


Frundsberg, der erste ritterliche Staatsmann in Deutschland, fest und stark in seiner Meinung, spanische Heimlichkeit und italienische List durchschauend und verachtend, innig überzeugt, daß bei Herrschern wie Maximilian und Karl V. nichts Großes für Deutschland gedeihen könne, mit Luther allein zufrieden, das Heil Deutschlands von seiner allgemeinen Reformation erwartend. Darum wollte er den Papst stürzen, da ließ ihm der Papst die Krone anbieten, wenn er den goldnen Strick um Luthers Hals gelegt habe. Anna von Württemberg liebte ihn und sucht seinen Aufenthalt auf alle Weise zu erheitern.

Vorsätze zum Anton

Unmittelbarkeit in allem, Ausführlichkeit. Meiden aller grellen Effekte. Das Ende soll bestimmt sein, ehe die neue Bearbeitung angefangen wird, eine Zeit, welche durch ihr Bestreben zum Allgemeinen alle besondern Ansprüche aufhebt. Anton zerstört Hohenstaufen und die Kronenburg.

Die Kinder des Fuchs haben sich überzeugt, der Stamm lasse sich nicht durch Gift und Mord unterdrücken, so wollen sie ihn durch Verführung verderben. Um sich nicht gegen Gott zu empören, muß der Mensch einen innern geheimen Feind auf Erden suchen. Diese Geheimnisse entwickeln die neue Zeit; als sie gebildet, erlöschen jene wie Mondschein am Tage.

[1050] Trennung von Deutschland – Schmalkaldischer Bund, hier entsteht der große Streit zwischen wahren und falschen Deutschen, sie trennen sich. – Die Auflösung ist endlich, daß die Krone Deutschlands nur durch geistige Bildung erst wieder errungen werde. So löst sich die Frage: Ein Teil des Menschengeschlechts arbeitet immer im Geist, bis seine Zeit gekommen.


Zum Seestaate. – Von den Bibern.

Die Namen der Schiffe, dabei die Geschichte aller deutschen Helden.

Eberhard der Gelinde, der den Adel in Heinsheim fing, der machte, daß sie sich ergaben und allen verzieh.

Georg von Ehingen, der Sieger über die Züricher.

Die Verbindung mit den Meergeusen wird angedeutet.

Politisches Interesse im Bauernkrieg

1. Die Grafen von Stock und die übrigen Edelleute suchten auf diesem Wege ihre Ansprüche gegen die größeren Fürsten und den Kaiser geltend zu machen.

2. Seger oder Baader, wie er in der Umarbeitung heißen soll, hatte mit der Dienerschaft der Kronenburg das Interesse eine völlige Gleichheit hervorzubringen und Schweizerverfassung.

Bauernkrieg – der Bundschuh bei Speyer 1503.

1514 Der arme Konrad im Rheintal – hier kann die Veranlassung sein, daß Anton fortgeführt worden, Cras. VI 181.

1519 wurde Württemberg an Karl V. verkauft. Die Bauern sagten, daß sie die Knechtschaft abschütteln wollten, die seit Klodwig sie belastet.

1526 werden im Württembergischen allerlei Zeichen wegen des Bauernkriegs gegeben und den Bauern die Waffen genommen, auch die Leute von bestellten Reitern untersucht.

1536 wurden alle Bilder weggeschafft, gleichzeitiges Auftreten der Jesuiten.

In der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Bauernaufruhr hat sich alles geändert, im ersten waren sie noch fremder Absicht untertan, beim zweiten arbeiten sie schon für sich.

Zeitgenossen von Anton.

[1051] Peter Vischer der ältere, im Jahre 1519 brachte er das Sebaldusgrab mit seinem Sohn zu Stande; 1540 das Gitter. Sein Monogramm, zwei Fische. Sein Sohn war ein Ungeschickter, eigentlich ein Handwerker, sein Ruf gering. Das Haus jetzt Bierschenke zum goldnen Bären. Pfarrhaus zu St. Sebald mit dem Chorerker; die bunten Fenster gemalt von Veit Hirschvogel.

1513 Melchior Pfinzing, Verfasser des Theuerdank, kaiserlicher Rat, war Probst zu Sebald, nachher zu Mainz.

Der Taufstein in der Sebaldkirche ist sehr schön von einem unbekannten Meister.

Adam Kraft, Steinhauer: Die Begebenheiten Christi 1492 und das Sakramentshäuslein zu St. Lorenz, 1500 fertig.

Veit Voß, ein Bildschnitzer, 1518.

Nach den Statuten der Malergilde mußten die Gesellen wandern. Hans Schorel 1495 bei Altmar geboren, 1512 studierte in Augsburg bei Cornelius, in Utrecht bei Mabuse, ging nach Venedig, wo Daniel von Bomberg aus Antwerpen eine Druckerei hatte, ging nach dem heiligen Grabe – Cypern, Kandia – kehrte über Rhodus zurück 1520 nach Venedig, mit Aussichten, aber arm. Rhodus wurde drei Jahr später von den Osmanen erobert. – Der Einzug Christi in Jerusalem von ihm mit dem wirklichen Jerusalem im Hintergrund, war sehr ausgezeichnet.

Hemling soll aus Konstanz sein, 1439 geboren, seine Gemälde von 1479, 80, 84 und 87; – kam als Krieger von Damaskus nach Brügge. 1529

Zum Leben Luthers
Am Tag, als Doktor Luthers Hand
Das Kirchenrecht im Feuer verbrannt
Vor Wittenberg am Elstertor,
Als es gar heftig auf Erden fror,
War Nachts sein Herz so wach und gequält,
Ob auch das Feuer nicht heimlich noch schwelt,
Das ihm dazu vor dem Elstertor
Entzündet hatte der Studentenchor,
Es kann der Wind wohl gar zur Stadt
Noch tragen des Feuers schreckliche Saat.
Er wirft den neuen Mantel sich um,
Die Sterne golden ihn anschaun so stumm,
[1052]
Er tritt hinaus ganz einsam und sieht,
Wie mancher Funke in der Asche noch glüht,
Das Tor steht offen, weil niemand wacht,
Denn jeder schwärmt in dieser Nacht
Und Kinder spielen und schreien daher,
Ihm wird das Herz im Busen so schwer:
»Was seht ihr den Funken so eifrig nach, –
Die in den Papieren noch blieben wach?« –
»Ach«, sagte zum Doktor da einer der Knaben,
»Die größte Freude wir daran haben,
Wenn hier die Funken in der Asche laufen;
Fast sieht es aus wie der volle Haufen,
Der aus der Kirche geht, wenn's vorbei,
Sehn wir, wer der letzte in der Kirche sei.«
»Ihr lieben Kinder«, sagt der Doktor gerührt,
»Seht oben die Funken, die der Himmel regiert,
Sie gehen wohl unter, sie gehen nicht aus,
Sie strahlen ewig im himmlischen Haus.
In jener Kirche ist kein Vergängnis,
In dieser herrschet ein wechselnd Verhängnis.«
Der Knabe sieht ihn verwundert an
Und spricht in sich: »Was will denn der Mann,
Wie sollen wir mit den Sternen spielen,
Wer sich denn finden unter die vielen,
Wer kann sie im Auge deutlich bewahren,
Bald kommen die Wolken, bald sind sie im Klaren,
Wir bleiben bei unseren Freuden auf Erden,
Sie werden auch einst wohl Sternlein noch werden.«
»Hast recht mein Sohn«, spricht Doktor Luther,
»Ein jegliches Alter braucht eignes Futter,
Mit leichter Milch ernähren sich Kinder,
Der Wein ist erwachsnen Männern gesünder,
Und für die Kinder soll stehen bleiben,
Womit sie die goldne Zeit sich vertreiben,
Am Morgen glaubt ich ein Großes zu leisten,
Am Abend, da lern ich von Kindern am meisten,
O wie so viele Blinde sind große Kinder
Und auch die Ernsten spielen nicht minder,
Wenn ihre Stunde geschlagen hat,
Daß sie vom Ernste sind steif und matt;
Wir auch müssen lernen lieblich zu träumen,
Wer würde die Hälfte des Lebens versäumen.«
[1053]
Und seit dem Tage, da hemmt er den Zorn
Gegen Äußerlichkeit, auch wenn sie verworrn,
Nur falsche Lehre bedroht er mit Eifer.
Gegen die sündigen Ablaßverkäufer,
Die in den Tempel des Herrn gedrungen,
Da hat er die Geißel mächtig geschwungen,
Was bleiben konnte von äußeren Zeichen,
Das brauchte nicht vor ihm auszuweichen,
So blieben die Bilder alle bestehen,
Die überall sonst im Feuer aufgehen,
Sie sind die Freuden auf niedrer Erde,
Die einst zu Sternen des Himmels noch werden,
Und ruhig duldet er allen Hohn,
Daß er der äußeren Pracht verschon,
Die Nachwelt gibt einst ihm dafür den Lohn
Und bei den Kindern hat er ihn schon.
Zum Leben Luthers [1]
Zum Leben Luthers

Wer vom flachen Lande her in Eisleben einreitet und die ansteigende Kirche und den niedersteigenden Bergbau wahrnimmt, findet die Vorstellung seiner Kindheit: daß der Ort, wo so ein Mann wie Luther geboren und gestorben, auch dem Auge schon ausgezeichnet sein müsse, überraschend erfüllt; neben der festen dauernden Sitte, welche die kleineren Städte von Sachsen vor dem übrigen Deutschlande schon im Äußeren durch ordentliche Erhaltung und Reinlichkeit kenntlich macht, hat die Umgebung der Kirche noch etwas besonders Ernstes und Feierliches; älter als Luther, scheint sie doch seinetwegen erbaut, daß Gottes Wort lauter und klar darin gepredigt werde; sein Haus ist nicht erneut, aber altertümlich genug, um die neugierigen Reisenden in die ernstere Gesinnung einer früheren Zeit unseres Vaterlandes zu versetzen.

Beschreibung und Stellen

Sein Famulus Wolfgang Sieberger, mit dem er viel Gelehrtheit trieb, den er um Gotteswillen nährte, scheint bei allem Guten doch ein Langschläfer gewesen zu sein und sich mit seinem Finkenherde viel abgegeben zu haben. XIV. B. Seite 1358. [1054] Klageschrift der Vögel an Luther über seinen Diener Wolfgang Sieberger. Beschreibung seines Wappens.

Abteilungen der Briefe: I. Weltliche Angelegenheiten, die ihn nichts anders als durch seinen guten Willen angingen, (hier war er zuweilen in aller Gutmütigkeit Hofnarr). 2. Äußerliche Lebensverhältnisse. 3. Innere Beziehungen seines Lebens ohne Verhältnisse zur allgemeinen Geschichte. 4. Charakteristische Äußerungen. 5. Verteidigungen gegen Vorwürfe.

[Anmerkung von Bettina von Arnim]

Dies Wenige wurde aus der umfangreichen Sammlung der Notizen gewählt, zum bessern Verständnis der Kronenwächter, nach deren ursprünglichem Plan, Geschichte, Sitten und Gebräuche von ganz Deutschland in vier Bänden umfaßt werden sollte.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Romane. Die Kronenwächter. Zweiter Band. Zweiter Band. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0B51-4