[442] Nachschrift an den Leser

Herr Kapellmeister Reichardt hat einen Tlieil des vorstehenden Sendschreibens in seiner geachteten musikalischen Zeitung bekannt gemacht; er forderte bei dieser Gelegenheit von mir den Abdruck des Ganzen. Wie erfreulich ist es mir, etwas zu thun, was ihm lieb und würdig schien, indem ich zugleich für den Zweck dieser Betrachtungen der Volkslieder durch die Sammlung aus dem Wunderhorne mitwirke. Von dieser unsrer Sammlung kann ich nur mit ungemeiner Neigung reden, sie ist mir jezt das liebste Buch, was ich kenne, nicht was mein Freund Brentano und ich dafür gethan, ungeachtet es gern geschehen, sondern was innerlich darin ist und weht, die frische Morgenluft altdeutschen Wandels. Wär ich ein Bienenvater, ich würde sagen, es war der lezte Bienenstock, er wollte eben wegschwärmen, es hat uns wohl Mühe gemacht, ihn im alten Hause zu sammeln, bewahrt ihn, stört ihn nicht, genießt seines Honigs wie recht. Unrecht ist es, für die einzelne Schönheit einer Gegend aufzuwecken, den sie in schönere Träume vertieft, darum kein näheres Wort über die bedeutende Schönheit jedes einzelnen dieser Lieder, blos literarische Merkwürdigkeit ist meines Wissens keins, jedes athmet, pulsirt in sich, lauter frische, spielende, ringende Kinder, keine hölzerne Puppen, die selbstechte Dichter, aus Angewohnheit des Bildens, ihren echten Kindern nachmachen. – Dem verständigen Leser wird dies zum aufmerkenden Lesen genügen; was die Recensenten anbelangt, sie lesen dies so wenig als das übrige, wir lesen sie dafür eben so wenig, so sind wir miteinander im ewigen Frieden.


Heidelberg im Juli 1805.

Fußnoten

1 Ich verstehe hier unter Sentimentalität das Nachahmen und Aufsuchen des Gefühls, das Schauspielen mit dem Edelsten, was nur im Spiele damit verloren gehen kann, nicht verstehe ich darunter jene Sentimentalität, das menschliche Gefühl wie es im Einzelnen sich ausdrückt, wogegen die Neuntödter, die philosophischen Schüler wohl schreiben (auch wohl wirken, wenn kein lebendiger Volksgeist es aufhebt), und darinn zusammen kommen, mit der ersten schimpflichen Sentimentalität zu demselben Mittelpunkte, zur Seligkeit eines Steins in Unempfänglichkeit und Unfruchtbarkeit der Lust. Keine Schule ist hiemit besonders bestimmt, sondern alle, denn wie die Begeisterung der Pythia mit Ermattung verbunden, so den Philosophen die Schüler. Die Philosophen sind ewige Nilmesser einer entwichenen Gottesfluth und Erhebung, ihre Schüler wollen aber das Unmögliche leisten, zu messen was nicht mehr vorhanden ist.

2 Ich kann mich nicht enthalten die wunderbar herrliche Vorrede Georg Forsters zu seinen frischen Liedlein, Nürnberg 1552., als eines meiner liebsten Herzblätter zur Erläuterung des Gesagten mitzutheilen.

»Freundlicher lieber Singer, und der edlen Musik Liebhaber. Es sind in einigen Jahren unter andern Gesängen so bisher gedruckt worden, mancherley Teutsche Liederbüchlein durch den Druck ausgegangen, wie aber die zum Theil seyn, will ich denen, so des Gesanges einen Verstand haben zu bedenken geben.

Ich übergebe mein Liederbüchlein, damit alte Teutsche Lieder, so doch noch, wenn ich sagen dürfte, schier die besten sind, sammt ihren Meistern, welche mit der Musik auferzogen, umgegangen, und ihr Leben damit beschlossen haben, nicht ganz und gar vergessen, und an ihrer statt nicht viel ungereimte neue Kompositionen, die doch gar keine rechte Teutsche liederische Art haben, gebraucht würden; sondern daß ich auch die mit solchen schlechten Liedern zerstörte, schöne und liebliche Kunst der Musik, welche bey den Alten ehrlich, und in großen Würden gehalten, möchte erhalten und fördern. Insonderheit dieweil bey allen Fröhlichkeiten und Kurzweilen, frische gute Teutsche Lieder zu singen, oder auf den Instrumenten zu brauchen gebräuchlich: Durch welches denn viel unnützes Geschwätz, unflätisch Zutrinken, darzu zänkisch und haderlich Spielen, und andere Laster möchten verhindert werden. Wie ich denn oft von einem trefflichen theuren Manne gehört habe, als er sagt, daß unter allen Kurzweilen, damit man die Zeit zu vertreiben führt, er kein göttlichere, ehrlichere, und schönere Kurzweil wüste, denn die liebliche Musik, daß alle andere Kurzweile, als Spielen, Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht wären, daß sich ein jeder nur aufs beste befließe, damit er dem, mit welchem er solch Kurzweil übet, möchte überliegen, angewinnen, und zu bevortheilen, daraus denn mancher Unrath und Zank und Hader entspringe. Die Musik aber hat kein andres Fürhaben, denn daß sie gedächte, wie sie nur die Einigkeit der Stimmen mit allem Fleiß möchte erhalten, und aller Mißhellung wehren.«

Der schönen Auswahl dieses Mannes dankt unsre Sammlung mehrere der besten Lieder, woraus zu ersehen, daß Verdienst nicht untergehen kann.

3 Lorenz Medicis (Life of Medicis by Roscoe I. 296.) der in der Welt zu Hause, wie ein andrer in seinen vier Wänden, verstand den Werth des Dialekts und schrieb zuerst in der Bauernsprache seines Landes.

4 Herr Koch, dem ich bey dieser Gelegenheit für manche literarische Mittheilung meinen Dank abstatte, bemerkt den Einfluß der Flagellanten auf den Untergang vieler weltlicher Lieder in seinem schätzbaren Handbuche. Sie entstanden während der großen Pestzeiten. Merkwürdig ist, daß in zwey sehr verschiedenen Chroniken, in der Straßburger und der Limpurger, immer dasselbe ganz schlechte Lied von ihnen angeführt wird. Vielleicht stammen aus den damaligen Gesinnungen die allgemein verbreiteten Todtentänze.

5 Es würde angenehm lauten, alles durchzugehen, was zu verschiedenen Zeiten genialisch genannt worden, wo aus dem zersplitterten Geiste der lebende Baum entwickelt wurde: Kennen doch viele erst seine Festigkeit aus dem Gewichte, wodurch es zerreißt. Dem Takte nach sezte man Genie in schnelle, stoßweise, wenn gleich noch so unbedeutende Produktion, in pralende Schwatzhaftigkeit, und unvermögende Planmacherey, sein Boden schien der Schmutz jeder Art, den Vorüberziehenden muste es seine Früchte auf den Kopf fallen lassen, in allem Sturm seine Blätter schlaff und jämmerlich senken, in der Ruhe immer rauschen, als wenn ein Sturm ginge. Die Vögel die zutraulich darauf nisteten tückisch hinunter werfen, schnell empor in falsches unbrauchbares Holz muste es schießen, um schnell zu fallen. Wer verwundert sich nach solchen Antichristen Talent verhaßt, Nichtigkeit geehrt zu finden. Die Wortspielerey unsrer Zeit hat Kunst und Genie einander entgegengesezt; viel Kunst und wenig Genie, wird von den elendesten Nachahmereyen gesagt. Keiner ist ohne Genie, wenn gleich manche Werke der Kunst ohne sind, der eine kann die Tropfen zählen, dem andern ists ein Platzregen, der eine steht im Nordlichte, der andre siehts in der Ferne. Wenn Genie das Schaffende genannt werden kann, so ist Kunst die Art der Erscheinung dieses Geschaffenen. Genie ohne Kunst, wäre Luft ohne Beschränkung, Kunst ohne Genie wäre ein Punkt ohne alle Dimension.

6 Die verkehrten Versuche einiger Gutgesinnten zur Herstellung und Ermunterung des Volksliedes durch Sammlungen, die weder den niedern Ständen gefielen, noch die höheren befriedigten, übergehe ich, meine Achtung in gleichem Sinne ihrem Sinne zu bezeugen.

7 Sie tragen viele vortreffliche Instrumente bey sich, warum verachten sie Landesinstrumente, wie den Dudelsack: den Hochländern nahm man das Schwerdt, weil sie gewöhnlich das Gewehr wegwarfen und damit fochten, auf den Schiffen weiß man es jezt wieder zu gebrauchen.

8 Otmars Volkssagen. Bremen 1800. S. 327. Eine Sammlung aus einem kleinen Flecken von Deutschland, die bis auf einzelne Zusätze und Wortüberfluß als Muster ähnlicher aufgestellt werden kann. Es ist wie eine neue Welt schöner Erfindung, aber von den meisten vergessen, weil es weder Veilchensyrup noch Teufelskost, sondern weil es uns führt zu den Veilchen, auch wohl in die Behausung des Teufels.

9 Ihr Lehrling war Paracelsus.

10 Wenn ich es verkehrt nenne, wie die Alten in vielen Schulen betrieben werden, so ist es meine Erfahrung. An allen Orten des Altdeutschen war nichts, des Lateins zu viel, des Griechischen zu wenig. Verkehrt nenne ich der Annäherung-Schulen nationale Geschichte, das Eigenste des Volks den Alten nachzubilden, da doch diese nur wegen dieser erschöpfenden Nationalität vortrefflich sind. Bis jezt sind unsre Chroniken unsre einzigen Historiker, alle andern in conventioneller Ziererey und Ansicht versunken, und diese werden in Schulen eben so wenig zugelassen, als die nationalen epischen Gedichte, ja es möchte den meisten Schulmännern sehr wunderlich noch vorkommen, wenn ich ihnen die Volkslieder als lehrreicher zur Deklamation als alle Hallersche Gedichte aufstellte. Aber wie die Jungen in unsrer Zeit ganz alt unter einander thun müssen, um in die Gesellschaft der Alten geführt zu werden, und in aller Schlechtigkeit sich früh abzuglühen, so impft man ihnen einen ästhetischen Ausschlag früh ein, die natürliche Verehrung und das Gefühl dessen zu unterdrücken, was wir selbst nur im glücklichen Augenblicke hervorzubringen vermögen. So möchte freylich mancher dieser Knaben mit edler Herablassung dieser Lieder lächeln.

11 Dies bezieht sich auf den eigenthümlichen sargartigen Bau des neuen Berliner Schauspielhauses, an andern Orten haben sie vielleicht die Form nicht, aber denselben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht die Uhr über der Scene, aber dieselbe Langeweile.

12 Der gewöhnliche Sonntag wird jezt auch in die Arbeit hinein gerissen, darum sieben Werktage, der Kalender ist wirklich nicht in Frankreich allein geändert.

13 Phil. von Sittewald Strafschriften. II. B.S. 573.

14 Bey dem theuren Blutverkaufen der alten Landsknechte ist die Vergleichung mit den heutigen von Land zu Land sich stehlenden und angeworbenen Soldaten sehr traurig; jene kannten ganz den Werth ihres Lebens, ließen es sich wohl bezahlen, dienten ihre Zeit mit Ehre, dem Tode mit Bewustseyn, – diese stürzen sich für einen frischen Trunk in einen frischen Rock, und sehen beym Eintritt in das Thor, wie sie hinauslaufen können, wenn der Kieg sie überrascht, als welchen sie gar nicht ansehen mögen.

15 Es wäre mir leicht einige zu nennen, bey denen recht gute kräftige alte Bücher verboten, die seichtesten dafür eingeführt, doch hilft das nichts, vielleicht hilft ihnen diese Betrachtung, um schlechte moralische Komödien-Lieder und Schriften dem Volke nicht weiter aufzudringen, daß keiner über das Heilgste schlecht schreiben kann, der nicht selbst schlecht ist, sie werden dann auch den Widerstand des Volks gegen neue Gesangbücher verstehen lernen.

16 Warum Tiek vor allen frühern Bearbeitern und Herausgebern ein unsterbliches Verdienst zukommt, das wird jedem mitfühlenden Leser seine herrliche Einleitung zu den Lalenbürgern bewähren; nicht Neugierde, sondern reiner Sinn für ihren Werth bestimmte ihn, er hielt das Große vom Gemeinen frey. Ich würde der beiden Jahrgänge des von Nicolai besorgten feinen Almanachs mit Lob erwähnen, wenn nicht durch die angehefteten schlechten Spässe, wunderliche Schreibart und Ironie gegen Herder die Wirkung dieser schätzbaren Sammlung aufgehoben worden.

17 Sie weiß nichts davon, daß die Alten das Schöne gesucht und die Neuen das unterlassen: Ob es wohl einer kann lassen das Schöne nicht zu finden, oder es kann finden, wenn er es sucht! Alles was mit Lust im Gemüthe sich aufthut und findet ist schön, sey es Himmel oder Hölle, nur das Zufällige ist häßlich, aus kindischen Strichen wird nie ein Apollokopf, und ein Mahler der aus willkührlichen Punkten Gruppen zeichnet, macht höchstens eine Klingenprobe seines Genies, so der Dichter aus Endreimen. Der Mahler benuzt was ihm die Erfahrungen über die Farben geben, der Farbe in seinem verschlossenen Auge sich zu nähern, der Dichter was ihm die Sprache giebt, schaffend im widerstrebenden Stoff, der Reimer legt witzig zusammen, was lange schon, vorhanden, er leimt eine Blume aus verschiedenen Blättern zusammen, die Fugen nennt er Originalität, die Leute verwundern sich erst darüber, dann sehen sie, daß alles daran welkt.

18 Assonanz und andre Aeußerungen der Spracheinigung sind den Gebildeten bis auf unsre Zeit fremd gewesen, von den simpeln Recensenten verspottet, von ihren Freunden geheimnißvoll angepriesen, das Volkslied hat sie ohne Anmaßung, erkennt sie ohne Zwang, und zeigt sogar ihren besseren Gebrauch in Werken, die nicht für die Assonanz gewirkt sind, sondern nur in der Assonanz werden konnten.

19 Sie hat in der Erfindung der Harmonie ein eichenfestes Haus sich erbaut, nicht in der Harmonie, wie sie in Büchern steht, sondern wie sie im Kopfe guter Instrumental-Komponisten, oder solcher Tonkünstler klingt, welche die Stimme als Instrument gebraucht haben, in Kirchenmusiken. Daraus folgt aber nicht die Nothwendigkeit dieser Harmonie, wo die Musik wieder im Worte gebunden erscheint.

20 Aus einem sehr erklärlichen Misverständnisse bey denen, die einer der Künste nur mächtig sich gern genügen wollten, entstand musikalische Poesie und poetische Musik, wenn aber etwas Poesie werden könnte, wäre es nicht Musik geworden, und umgekehrt. Diese beyden edlen Sinne des Geistes befinden sich dabey wie in der Fabel Storch und Fuchs bey gleicher Schüssel.

21 Wie nur sehr große Künstler andre fremde Meisterwerke lieben können, so hat auch der Haufe dort eine Abneigung gegen fremdartige Musik. So lieb es mir wäre, wenn der gute Geist der Zeit am Wiedermusiziren der Volkslieder sich rechtschaffen übte, so traurig ist mir, daß ich viele der besten Volksmelodieen aus Unkenntniß nicht mittheilen kann, weil doch vielleicht nur eine große innere Melodie für jedes vorhanden, ob die früher oder später einem Menschen ins Ohr fällt, das kann keiner sagen, aufhorchen kann jeder.

22 Ein trefflicher Aufsatz über Arbeits- Handwerks-Kinderlieder und Tanzlieder, der besonders den Unterschied zwischen dem deutschen Tanze und dem Reihentanze, so wie die eigene Natur des Schleifers mit Enthusiasmus entwickelt (im Bragur III. T.S. 207-284.) ist leider nicht vollendet, viele der dort erwähnten Lieder wünschte ich gerne ganz mittheilen zu können.

23 Doch zur Probe einige aus dem Jahre 1802.

1) Aus einem räthselhaften Quodlibet, oder eine Kaskonade:

Potz tausend, schaut fort läuft die Katz,

Geh Plasl lauf, halts auf,

Ein jeder Mensch hat seinen Schatz,

In diesem Lebenslauf.

Als d' Jungfer noch ein Jungfer war,

Hat's keine mehr seyn mögen,

Ich wust es alles auf ein Haar,

Ihr Pelz der hing voll Regen.

2) Ans einer Beschreibung der Neuigkeiten im Prator:

Auch ist eine Hütte, wie ihr wohl wißt,

Da läst man sich wägen, wie schwer als man ist,

Ich ging auch einmal hin,

Z' wissen, wie schwer ich bin?

Der Kerl war ein Flegel, er sprach: Hörts der Herr,

Sie sind gewiß ein Schneider und sind gar nicht schwer.

Wer damit nicht zufrieden, noch mehr sehen will,

Geh grade von da aus zum Ringlspil,

Da drehen sich zwey und zwey

Rund herum in der Reih,

Oft schreien die Medeln, nicht gar so geschwind,

Es ist nicht wegen meiner, es ist wegens Kind.

Das Verhältniß dieser Lieder zu den Nationalopern der dortigen Vorstädte, wird schon aus diesen Proben fühlbar, die meisten dieser Singespiele sind der Anlage nach schön, ungeschickt und leer in der Sprache, gewöhnlich aber nur durch Fortsetzungen unangenehm.

24 Ungedruckte Reste alten Gesanges von Elwert. Marburg 1781, wo er dieselben Lieder als Herder mittheilt, sind sie besser, Herder konnte sich der Kritik nicht entladen. Elwert sagt sehr klar; Der Mensch nur, der im wehenden Abendwind den Schlafgesang der Vögel belauscht, nur der konnte in voller Wehmuth zum Liebchen seufzen: Wenn ich ein Vöglein wär und nur zwey Flügel hätt, flög ich zu dir. Aber es kamen andre Zeiten und die Volkslieder erstarben in meinem Kopfe unter dem Wuste von wissenschaftlichem Unkraute. Alle Blumen in euren Gärten sind Kinder des Feldes und Waldes. Sie hatten sanfte Farben von der Natur, aber sie luxurirten zulezt und wurden oft grell durch überflüßigen Saft. Tausend solcher Sträußer blühen im hohen Grase, unsre Gelehrten stolpern vorbey, indem sie die hohen Felsen messen, Thürme, Städte und all die großen Wunder der Natur anstaunen.

25 Götz von Berlichingens ritterliche Thaten. S. 117.

26 Vergl. Relicks of the Welsh Bards by Ed. Jones.

27 Zur Ehre der Deutschen kann man sagen, daß sie nicht Erfinder dieser Höllenkünste der Rezensirbuden und des kritischen Waschweibergeschwätzes sind, ungeachtet dergleichen Mode bey ihnen insonders gefaßt. Doch sind hiebey immer noch wie ein Wirthshaus erster Klasse von einem der vierten zu unter scheiden, die ernsthaften Dikasterien, wo freylich auch oft die Akten über Stadtneuigkeiten vergessen werden, von den telegraphischen Büreaus aller literarischen Misere durch ganz Deutschland. Dem freyen Sinne für Kunst und Wissenschaft sind auch diese lezteren an sich lieb als Wiedererscheinung einer gewissen Gelehrsamkeitseinbildung, die wohl jedem als Kind der Gelehrsamkeit vorausgeht, aber dieser freye Sinn ist selten, der gröste Theil der Leser nimmt an Kunst und Wissenschaften gar keinen Theil, ihn reizt nur das Handelnde, das Bewegliche in den Gelehrten, er kommt endlich zu der wohlgefälligen Meinung, daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Ameisenhaufen sey, der alles belaufe, kneife und beschmutze, um einigen armseligen Weihrauch, zusammen zu bringen.

28 Der Schein, was ist der, dem das Wesen fehlt?

Das Wesen, wär es? Wenn es nicht erschiene?

Göthe's Eugenie.

Auch das ist wahr, jedes an seiner Stelle.

29 Diese Sammlung sey dem Leser eine Probe von dem, was wir wünschen. Wer der Gelegenheit und Lust ermangelt, was er entdeckt, bekannt zu machen, dem erbiethen wir uns, mein Freund Clemens Brentano in Heidelberg und ich in Berlin (abzugeben im Viereck n. 4.) zur schnellen Herausgabe. Die zahlreichen Schweizer-Lieder (beym Staubbach wurden mir unzählige gesungen, aber ich konnte keines verstehen und herausbringen), verdienten ganz besonders eine treue Aufzeichnung von einem würdigen Gelehrten des Landes, es giebt große Heldengedichte noch unter dem Volke, so liest ein alter Mann in Meiringen ein sehr merkwürdiges Gedicht über die Entstehung des Völkchens den Reisenden vor. Sehr willkommen würden mir klargedachte Zeichnungen zu diesen Gedichten seyn, die in ihrer gestaltreichen bestimmten Darstellung dem Zeichner ein Schatz von Erfindung seyn können, wenn er ihn besprechen und heben kann. Ihn aufmerksam auf solche einzelne Bilder zu machen, würde vielleicht das Vergnügen rauben und ihm

nur die Arbeit lassen.

30 Vergl. die Zueignung des Buches.


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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Nachschrift an den Leser. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0E17-1