[2] Vorwort.
Ueber den ersten Theil der ersten Auflage desVolksbüchleins hat sich Maßmann in einer sehr eingehenden Recension (Heidelberger Jahrb. 1827, pag. 354–390) in Bezug auf Plan, Inhalt und Form desselben ausgesprochen und ein recht beifälliges Urtheil abgegeben. Von der II. Auflage und besonders von dem vorliegenden 2. Theile kann nun gerühmt werden, daß er noch mehr »Treffer« aufzuweisen hat als jener erste, so daß Aurbacher das Buch mit Recht ein verbessertes nennen konnte. Der Autor, ein Mann von umfassendem Denken und Fühlen, versteht es in dieser Volksschrift, alle Saiten des menschlichen Herzens anzuschlagen und den Leser allmählich in alle Tonweisen der Empfindung überzuleiten, vom tiefsten Ernst, wie er in den sinnigen, meisterhaft behandelten religiösen Sagen zu Tage tritt, bis zur heitersten Laune, die in den Schwänken und in den Abenteuern der 7 Schwaben und speciell des Spiegelschwaben am ungebundensten sich äußert. Das Volksbüchlein ist ferner, was die in beiden Theilen niedergelegte Auswahl von Historien anbelangt, kein bloßes Sammelsurium von Raritäten, sondern in der That ein Werk, das nach einem streng durchdachten Plan angelegt und durchgeführt, ein Wegweiser fürs Leben in Beispielen, speciell ein Ehezuchtbüchlein heißen mag.
Die Erzählungen haben aber auch einen literar-historischen Werth, denn sie sind aus mehr als hundert deutschen Schriftstellern der Vorzeit zusammengetragen, und machen uns, wie Maßmann sagt, bekannt mit den guten Eigenschaften ihrer Diction, ihrer Sinnenfrische, Naturvertrautheit, und Unmittelbarkeit, wenn auch die derbe [3] Ausdrucksweise dieser Periode unsrer Sprechart vom Autor erst angepaßt und unsrer Zeit mundgerecht gemacht werden mußte. Die Historien mögen daher nicht blos den gemeinen Mann erbauen und ergötzen, sondern auch den Gelehrten und Philologen interessiren; Letzteres gilt im Besondern von den Bemerkungen, die den beiden Bändchen am Schluß beigegeben sind.
Was der persische Dichter »Sadi« von seinem »Rosengarten« ausspricht, »daß er Perlen heilsamer Ermahnungen an den Faden der Rede gereiht und daß er die bittere Arznei des guten Rathes mit dem Honig des Witzes versüßt habe«, das nämliche läßt sich auch von den Erzählungen des Volksbüchleins rühmen, in welchen Aurbacher Ernst und Scherz so trefflich zu handhaben und zu verbinden wußte.
Welche Mittel der Darstellung unserm Autor zu Gebote stehen, läßt sich am besten beurtheilen, wenn man eine Historie an ihrer Quelle und in ihrer ursprünglichen Form auffindet und dann vergleicht, wie er dieselbe umgedichtet hat. Aus Pauli's Schimpf und Ernst 1 nimmt er z.B. die letzte Erzählung: Von der ewigen Seligkeit und gibt sie wieder unter dem Titel: »Das Vögelein« (Bd. I Nr. 5). Welche kunstgewandte Gestaltungsgabe, welch classische Anmuth des Stils müssen wir nicht hier bewundern! Ueberhaupt versteht Aurbacher durchweg den richtigen Volkston anzuschlagen, auch in den Erzählungen, die hinsichtlich der Erfindung ganz sein eigen heißen können, wie Bd. II, Nr. 29, 30, 31, 32. »Gar manche der Historien muthet uns mit dem ganzen Zauber an, der uns die Erzählungen des rheinischen Hausfreundes so lieb macht und erinnert in ihrer ansprechenden Einfachheit an den Reiz der ›Grimm'schen Märchen,‹« so lautet die mit früheren Urtheilen z.B. von Dr. Fr. Beck im Nekrolog Aurbachers übereinstimmende Ansicht eines modernen Kritikers (Neue Zür'cher Zeitung vom 13. Sept. 1879).
Um nun auch vom rein humoristischen Genre zu sprechen, [4] so haben wir in den Abenteuern der 7 Schwaben scherzhaft »die schwäbische Ilias« genannt, die treueste Charakteristik des schlichten Volkes, wie es leibt und lebt, in Sprache und Sitte, mit seiner naiven Beschränktheit, seiner biderben Geradheit, seiner treuherzigen Laune, »in einer ganzen Fuge von Aventüren, wobei jeder der Sieben einmal in den Vordergrund tritt und die andern übertreffend sich selbst unsterblich blamirt, bis das glorreiche Ensemble mit einem im hellsten Fortissimo aufgespielten urdrolligen Finale abschließt.« Denn »Aurbacher ist im Besitz eines schalkischen Humors, welchem er zeitweilig und so recht, doch mit weisem Maße, die Zügel schießen läßt, im Spielen, wie im Aufhören immerdar ein Meister,« wie Dr. Hyac. Holland, ein Kenner und Verehrer des Volksschriftstellers sich äußert (Allg. Ztg., Beilage Nr. 227, 1879 u.a. O.) Während der Autor die Hauptfiguren der ganzen Dichtung aus der Sage herübergenommen und das komische Bild seinerseits nur ins Detail gezeichnet und mit warmen Farben belebt hatte, schöpfte er in der »schwäbischen Odyssee,« in den Wanderungen des Spiegelschwaben, mit voller Freiheit aus dem lustig sprudelnden Quell seines nie versiegenden Humors. 2 Da glauben wir nun bald den deutschen Till vor Augen zu haben, bald den naturwüchsigen Begleiter des Hidalgo von der Mancha reden zu hören, wenn er seine Sprichwörter auskramt, ja in dem 13. Abschnitt, in welchem der Landfahrer die Tugenden und Untugenden seiner lieben Ehehälfte ruchtbar macht, werden wir lebhaft an den Ton der Makamen erinnert, wie solche Rückert nach Hariri bearbeitet hat. Es stimmt auch das Wesen des schwäbischen Helden, der durchaus nicht so unfläthig und boshaft ist als der niederdeutsche Till, und dem der Dichter den Urtypus süddeutscher Gutmüthigkeit aufgeprägt hat, mit dem Charakter des allerdings viel raffinirteren arabischen Abenteurers Abu Seid von Serug in mancher Hinsicht zusammen und kann von beiden in gleicher Weise gemeldet werden,[5] daß sie schließlich nach vielen tollen Streichen sich bekehren und somit eine vollgiltige moralische Genugthuung geben.
Wie verschieden auch die Zeiten, wie getrennt die Länder sein mögen: das menschliche Herz mit seinen Schwächen und Neigungen ist eben immer und überall dasselbe. Das Werk ist somit, wie Dr. Jul. Hamberger in der Allg. deutschen Biographie mit Recht behauptet, nicht sowol ein Büchlein für das Volk als ein Büchlein des Volkes.
Letzteres ist um so wahrer, als auch der im Volksbüchlein verwendete Sprachschatz den oberdeutschen Dialecten entnommen ist, wobei der Autor die lobenswerthe Absicht hatte, durch Wiederbelebung von Wörtern und Formen, die in der Regel ächt alten Adel für sich beanspruchen dürfen, die deutsche Sprache zu kräftigen und zu erneuern, ganz nach dem WunscheJahns, der in seiner Vorrede zur deutschen Turnkunst bemerkt:
»Aus den Mundarten mehrt sich allezeit, wo Noth am Wort ist, die Schriftsprache, die ohne sie nicht heil, sondern unganz ist. Die Gesammtsprache hat hier Fundgruben und Hilfsquellen, die wahren Sparbüchsen und Nothpfennige des Sprachschatzes«.
Die Geschichte der sieben Schwaben war übrigens schon vor einem Menschenalter Gemeingut des Volkes (vgl. Lewald, Europa, Chronik der gebildeten Welt 1847, Nr. 27, pag. 444). Marbach hatte dieselbe unter die allverbreiteten Volksbücher aufgenommen, von Simrock aber war eine Nachdichtung unter dem Titel »schwäbische Ilias« veröffentlicht worden; ferner hat diese humorvolle Schöpfung inzwischen die Phantasie mehrerer namhaften Künstler angeregt und beschäftigt. Die kleinlich spießbürgerliche Philisterhaftigkeit ward von Ludwig Richter und Oscar Pletsch mit ihrer liebenswürdigsten Laune abgeschildert, Ferdinand Aug. M. Fellner aber zeichnete einen Cyklus von Compositionen zu den Abenteuern der 7 Schwaben, welche 1832 in Stuttgart bei Brodhag erschienen; auch von Aurbachers Erzählungen sind zahlreiche in die verschiedensten Volks-Kalender übergegangen: Der Name des Dichters freilich ist seither unbekannt und vergessen geblieben.
[6] Somit sei auch dieses Büchlein Aurbachers ins Volk geleitet mit dem Wunsche, es möchte nun auch die »schwäbische Odyssee« ebenso viele tausend Leser finden, als sich deren die Abenteuer der sieben Schwaben bislang zu erfreuen gehabt haben. In unsern Tagen wird ohnehin die allenfalls zu erhebende Einwendung, solche Volksschriften seien wegen des in ihnen herrschenden Lokaltones nicht für alle Deutschen gleich lesenswerth, ganz und gar seine Bedeutung verloren haben.
Wenn der gebildete Süddeutsche an den Dichtungen des gerühmten Mecklenburger Humoristen sich erfreut, warum sollten nicht umgekehrt auch die Kinder des Nordens an den heiteren Herzensgaben Aurbachers sich erwärmen und in die Tiefe süddeutschen Gemüthes versenken dürfen?
Joseph Sarreiter.