[121] 46. Das Schloßfräulein.
(Eine Sage.)
»Nun haben wir noch eine Viertelstunde bis Kaufbeuren; wir sind schon bei der Märzenburg,« sagte der Webermeister zu seinem Gevattersmann, der auf einen Besuch gekommen. »Ihr luget umsonst nach der Burg,« sagte der Meister; »die ist schon seit undenklichen Zeiten versunken; aber Reste von Gemäuer findet man noch da in der Tiefe, und das Fräulein geht noch um bis auf den heutigen Tag. Wenn Ihr ein Sonntagskind wäret und ein Junggeselle, so könntet Ihr sie hören, und erlösen. Sie schwirrt, husch! husch! um einen herum, und setzt sich unversehens auf den Rücken. Wer sie nun bis in die Stadt trüge, und dreimal um die St. Martinskirche herum, der würde sie erlösen, und er bekäme alle Schätze, die dort verborgen liegen in der Märzenburg. Aber Gott behüt uns! der Geist, der anfangs federleicht ist, wird Schritt vor Schritt schwerer, und es liegt einem zuletzt wie eine Last Blei auf dem Rücken. Keiner, der's versucht, hat's noch überstanden, und sind alle jämmerlich erlegen.« – »Ihr seid voller Schwänke,« sagte hierauf der Gevattersmann – »und der Weg wird einem, wägerle! nicht lang neben Euch. Was Ihr da erzählt, ist freilich schon vielen Mannsleuten begegnet, auch anderwärts; anfangs sind sie alle federleicht, die Weiber; sie werden aber von Jahr zu Jahr schwerer, und zuletzt erliegen die Männer unter des Weibes Last, und haben weder Erlösung gefunden, noch einen Schatz.« »Ihr seid ein Schalk,« sagte der Meister; »und Ihr wisset die Geschichte wol zu deuten. Aber wahr ist sie, wie ich sie Euch erzählt habe; das könnt Ihr mir wohl glauben.« »Ich muß wol,« sagte der Gevattersmann, »denn ich hab's leider selbst erfahren.« Unter diesem erbaulichen Gespräch langten sie in der Stadt an.