2. Das Brünnlein.
Unfern Roding, im Regenthale, liegt ein Berg, auf dem eine Kirche steht, zum Brünnlein genannt. Schon in uralten Zeiten floß dort eine frische, klare Quelle, deren Wasser sich fernab in einem Becken sammelte. Der Rasen umher war so üppig und der Born so erquicklich, daß der Hirt gern seine Heerde dahin trieb, wo sie sattsame Nahrung fand und Kühlung unter Buchen und Tannen. Eines Abends, als die Dämmerung ihn zur Rückkehr mahnte, [79] wollte er noch vorerst seinen Durst stillen am Brunnen. Da, wie er an den Rand des Beckens tritt, sieht er auf dem Wasser ein schönes Marienbild schwimmen. Mit freudiger Begierde will er es haschen; aber je länger er darnach greift, desto tiefer sinkt das Bild, bis es zuletzt seinen Augen ganz entschwindet. Als er nach Hause gekommen, erzählte er die wundersame Erscheinung dem Pfarrer. Dieser zog des andern Tages, von vielen Gläubigen begleitet, zur Stelle, und siehe da! das Marienbild erschien wieder, wie es der Hirte berichtet, auf der Oberfläche des Wassers. Der Priester hob es ohne Mühe heraus, und trug es in die Kirche des Ortes. Von der Zeit an geschahen große Wunder an der Quelle. Viele, die an den Augen litten, oder lahme Glieder hatten, oder sonst von Kräften gekommen waren, erlangten wieder ihre Gesundheit. Es ward daher zu Ehren Mariä ein Gotteshaus zur Stelle erbaut, und das Bildniß dahin übertragen. Noch heutiges Tages fließt die Quelle inmitten der Kirche, und es finden immer noch viele Kranke Linderung und Genesung am Gnadenorte »zum Brünnlein.«