IX. Die Erzählung des Onkels: Die Volkssagen vom Untersberg.

Der Onkel benutzte die folgenden schönen Tage zu Ausflügen in die höhern Gebirgsgegenden. Er bestieg den Grotenkopf, einen der höchsten Vorberge, auf dem sich ein weites, unübersehbares Panorama ringsum entfaltet, hier in die Ebene hinaus mit ihren Wasserspiegeln, ihrem Wald- und Wiesengrün und den, gleich Edelsteinen zwischen inne zerstreuten, blitzenden Thürmen, Dörfern und Städten; dort in das Gebirge hinein, das sich wie ein wogendes Meer, unabsehbar ausdehnt, und in den nahen und fernen Gletschern, wie eine erstarrte Brandung, empor ragt. Er besuchte das Rheinthal, wie die, mehrere Stunden lange Schlucht genannt wird, durch welche die Partnach sich die Bahn gebrochen, ein Labyrinth von [190] himmelanstrebenden Felsstücken, die, gleich Riesen, einander gegenüber stehen, drohend und trotzend; – die Blöcke, die da unten aufgehäuft liegen, sie scheinen Spuren des ewigen Kriegs zu seyn, den jene Gewaltigen gegen einander führen, und der übermüthigen Zerstörungslust einer wilden Natur. Er wanderte von Alpe zu Alpe, und wo eine tiefe Schlucht sich aufthat, wie z.B. jenes Höllenthal, wohinein man wie in einen Himmel von Hölle zu blicken vermeint, oder wo, über Felszacken, über Eisfelder hin, der menschliche Tritt noch gefahrlos hingleiten mag, um irgend einen erhabenen Standpunkt zu gewinnen: da folgte er seinem wegkundigen Führer, und hatte seine Lust an der Besiegung der Hindernisse, welche die Natur hier entgegen thürmet, gleichsam als wollte sie es nicht dulden, daß der Menschüber ihr stehe.

Er erzählte von seinen Wanderungen nur weniges, wenn er nach Hause kam; denn er wußte aus eigener Erfahrung, daß auch die wahrsten und lebhaftesten Schilderungen einer außerordentlichen Natur doch nur unklare, farblose, verworrene Schemen seyen; zudem wollte er in den Zuhörern besonders in den Kindern, keine vor- und unzeitige Sehnsucht nach Genüssen erregen, die doch nur dem kräftigen Manne zukommen, und deren Werth [191] und Würde er auch nur allein ganz zu erkennen und zu fühlen vermag.

Wohl aber that er auf einen der folgenden Tage den Vorschlag, eine gemeinschaftliche Partie nach demEibsee zu machen. »Wir, Tante und ich, sagte er, brechen mit den Kindern Morgens auf, und kommen Mittags nach Grünau zurück, wo wir sodann mit euch übrigen, die ihr zu Wagen nachgekommen, unser Mittagmahl halten, und Abends gemächlich wieder nach Hause kehren.« Der Antrag ward von den Eltern einstimmig angenommen, und der Ausflug sogleich auf den andern Tag beschlossen.

Der Eibsee erhält durch die Einsamkeit, die Oede, die große, wilde Natur, die ihn umgibt, einen eigenthümlichen, höchst anziehenden Charakter. Seine Wellen bespülen den Fuß der Zugspitze, deren westliche Wand in kühnen Massen sich empor hebt. Rings um, und nahe bei, gebirgige Umgegend. Keine menschliche Wohnung weit umher, außer einer ärmlichen Fischerhütte. Um so anziehender das Grün, die Bewegung, das Leben, das sich hier in einem beschränkten, abgelegenen Raume erhält und hervorthut. –

Die Gesellschaft war noch frühe genug angekommen, um eine kurze Wasserfahrt zu machen. Die[192] Tante überwand ihre Scheu vor dem Wasser, aus Sorge für die Mädchen, die sie nicht allein lassen wollte; und sie hielt sich auch während der ganzen Fahrt so unbefangen, daß der Onkel selbst ihr späterhin alles Lob ertheilte. – Die Frauen, wenn es gilt, entwickeln eine Kraft der Selbstbeherrschung, wovon wir Männer, die wir jenes Geschlecht das schwache nennen, keine Ahnung haben. Man möchte solche Kraftäußerungen nicht bloß übernatürliche, man möchte sie widernatürliche nennen – wenn nicht eben das gewaltigste Gefühl hier überall die Trieb- und Springfeder wäre, die Liebe.

Man nahm den Morgenimbiß auf einer der bebuschten Inseln ein. Die Sonne schien hell; die Luft wehte erfrischend; die Wellen kreiselten sich geschäftig, und plätscherten dahlend an den Rasenrand. Es war ein eigener Anblick, ein sonderliches Gefühl, fröhliche Menschen zu sehen, gesellige Freude zu empfinden inmitten einer Gegend, wo die Natur, in bizarrer Sprödigkeit, einen düstern, menschenscheuen Charakter trägt.

Zur rechten Zeit, um die verabredete Stunde, waren die Wanderer auf ihrer Rückkehr in Grünau angekommen, wo man sich dann alsobald zu dem schon bereiteten Mittagsmahle setzte. Die Kinder wußten genug zu erzählen, absonderlich der redselige[193] Fritz, dem man wohl sein vorlautes Wesen in der Freudigkeit seines Herzens in etwas nachsah. Der Großvater, um ihn doch an Bescheidenheit zu mahnen, fragte ihn mit verstellter ernster Miene: Da er so viel vom Eibsee zu erzählen wisse, so solle er ihm doch sagen, ob das Wasser des Sees auch, gleich dem übrigen, die Eigenschaft habe, daß es naß mache?Fritz war besonnen und vorsichtig genug, eine bestimmte Antwort zu geben, die ihn jedenfalls lächerlich gemacht hätte. »O mein!« antwortete er, was er jedesmal zu sagen pflegte, wenn er fühlte, daß man ihn foppen wolle.

Nach eingenommenem Mittagmahle beschloß man den Nachmittag wieder in Hammersbach zuzubringen, wohin der schattenreiche Garten, die grüne Matte, und der erfrischende Bach, der vorbei rauscht, die Großeltern besonders einlud.

Die Kinder waren müde von dem mehrstündigen Gange, und bezeigten keine Lust an Spiel und Bewegung. Da wandte sich Fritz an die Großmutter, und sagte: »Ei, liebe Großmutter! erzähl' uns wieder so ein schönes Mährchen, wie damals, als wir hier gewesen!« Die Großmutter erwiederte: »Er möge sich nur einmal an den Onkel wenden; es sey an ihm die Reihe, und er wisse gewiß manches, was ihm auf seinen Wanderungen kund [194] geworden.« Der Onkel versetzte: »Er habe die Bemerkung des Freundes bestätigt gefunden, daß diese Gegend, so reich an Naturschönheiten, ganz arm sey an Poesie und an Volkssagen. Um jedoch sämmtlichen Anwesenden, Alt und Jung, zu Willen zu seyn, so gedenke er, eine Reihe von Volkssagen aus einer andern, vaterländischen Gegend vorzutragen, die, wie er hoffe, nicht minder die Aufmerksamkeit und die Theilnahme der verehrlichen Zuhörer sammt und sonders verdienen werde.« Er zog ein Büchlein hervor, und las: »Wunderbarliche Geschichte vom Untersberg, genannt der Wundersberg.«

Die Frauen protestirten, und sagten, es dürfe nichts vorgelesen, sondern es müsse alles frei erzählt, wo nicht, erfunden werden. Der Onkel erwiederte: »Es sey auch nicht seine Absicht, bloß vor- und abzulesen; aber das Document müsse er vor Augen haben, damit er nicht in seiner Erzählung Mängel und Fehler begehe; denn er glaube, daß eine Volkssage, auch als Dichtung betrachtet, auf dieselbe Treue Anspruch mache, wie die wirkliche Geschichte. Sie sey eben auch eine Thatsache.«

Er begann:


* * *


Das Gebet nach dem Abendessen war vollendet. Es schlug acht Uhr. Die Mutter räumte den Tisch [195] ab; die Magd ging in die Küche, um das Geschirr zu reinigen; der Vater sah im Stalle nach, ob das Vieh gefressen; der Knecht hatte noch einiges in der Tenne und im Hofraum zu ordnen. Die Großmutter blieb bei den Kindern in der Stube, und brachte die Kunkeln herbei, um den langen Winterabend zu spinnen; die Kinder setzten sich hinter den Tisch neben der Großmutter.

»Großmutter! sagte Gottlieb, gelt! du erzählst uns heute wieder so etwas von den Bergmännlein und den wilden Frauen und den Riesen des Unterbergs?«

»O ja doch! sagte Christine, ich bitte! – Erst heut Nacht hat's mir ordentlich davon geträumt. Soll ich's erzählen? – Ein Bergmännlein – es war aber gar schön, in einem schneeweißen Kleide und mit freundlichem Antlitz – das trat zu mir, und sagte: ›Willt du mit? willt du mit?‹ Und es nahm mich bei der Hand, und führte mich in den Berg, und wir gingen durch lange Gänge, die kein Ende zu haben schienen. Zuletzt standen wir vor einem Thor, und ich blickte in einen großen, schönen Saal. Ei, was war da für eine Pracht! Wie ich aber so schaute, um jedes zu sehen, da fing es an vor meinen Augen zu flimmern, alles durch einander; und es stand nun vor mir, mit dem Lichte, die Mutter, die mich aufgeweckt.« [196] »Da hast du gewiß, sagte die Großmutter, gestern Abend vor dem Einschlafen noch fromm gebetet, und darum ist dir das Bergmännlein so freundlich erschienen.«

Christine nickte still mit dem Kopfe, und legte ihn dann leise an die Brust der Großmutter.

»Auch ich habe von einem Bergmännlein geträumt, sagte Gottlieb, und zwar etwas recht Lustiges. Ich stand ganz oben auf dem Untersberg, beim Kreuz – weißt du, Großmutter? – und ich schaute nach Salzburg hin und auf Gredig herab, und die Häuser schienen mir ganz klein, und euch konnte ich gar nicht sehen. Da bekam ich schier das Heimweh, und es graute mir, wie ich da wieder hinunter kommen sollte über das steile Gestein. Und in dem Augenblicke trat ein Bergmännlein zu mir, das hat ganz drollig ausgesehen, mit einem gar großen Kopf und mit einem dicken, dicken Bauch, und mit Beinen, wie Spindeln so dünn, gerade so, wie man sagt, daß sie gewöhnlich aussehen. Der sagte zu mir: Hock auf, ich will dich hinunter bringen. Das that ich denn. Und nun fing das Bergmännlein an, mit mir kopfunter, kopfüber den Berg hinunter zu burzeln; und ich glaubte, es ginge wie über einen Bühel, über lauter Matten hin, ganz [197] sanft; zuletzt that ich noch einen Fall, und dabei erwachte ich; denn der Vater hatte geklopft.«

»Was man den ganzen Tag treibt, sagte die Großmutter, davon träumt man bei Nacht. Du laufst alleweil im Freien herum, und kannst nie zu Hause bleiben. Wart, daß dich nicht einmal eine wilde Frau ertappt und dich fort nimmt!«

Gottlieb sah die Großmutter lächelnd und zweifelnd an.

»Du glaubst das nicht?« sagte die Großmutter. Ist es doch nicht gar so lange her, daß ein Knabe unweit der Kugelmühle von den wilden Frauen fort genommen worden; denn er ist plötzlich verschwunden, und wurde vergebens viele Tage gesucht. Ueber ein Jahr sahen ihn die Holzknechte auf einem Stock des Berges sitzen, in einem grünen Kleide, laut jammernd und rufend: Holt mich heim! Holt mich heim! Als aber des andern Tages die Eltern kamen, um ihn aufzusuchen und abzuholen, da kam er nicht mehr zum Vorschein, und ist sein Lebtag nicht mehr gefunden worden. –

Gottlieb, als er dieß gehört, sah bedenklich drein, und sagte kein Wort.

Die Großmutter fuhr fort: »Ohne Gottes Zulassung, und ohne die Schuld der Kinder und ihrer Eltern kann jedoch so etwas nicht geschehen, wie folgende [198] Geschichte beweiset. Es führte eines Tags ein Knabe die Pferde, mit welchen sein Vater das Feld umackerte. Da kamen auch die wilden Frauen hervor aus dem Untersberg, und wollten den Knaben mit Gewalt hinweg nehmen. Sein Vater aber, der wohl wußte, daß sie frommen Christen nichts thun können, ging ihnen ohne Furcht entgegen, und nahm ihnen den Knaben mit den Worten ab: Was erfrechet ihr euch, mir meinen Buben zu nehmen? Was wollt ihr mit ihm machen? Die wilden Frauen sagten: Er wird bei uns bessere Pflege haben, als zu Hause; es soll ihm kein Leid widerfahren. Allein der Vater ließ seinen Knaben nicht aus den Händen, und die wilden Frauen gingen bitterlich weinend von dannen.«

»Warum weinten denn die wilden Frauen?« fragteChristine.

»Im Grunde haben sie die Kinder gern, sagte die Großmutter; und es ist auch eine köstliche Freude und eine wahre Gottesgabe um Kinder, wenn sie fromm und brav sind. Da nun die wilden Frauen das Glück entbehren, eigene Kinder zu haben, so suchen sie fremde anzulocken, und führen sie in ihre Wohnungen ein, die sie auf den Höhen und in Höhlen haben. Da pflegen sie nun dieselben freilich auf eine gar zärtliche Weise; sie putzen und zwagen und [199] strehlen an ihnen den ganzen Tag, und ziehen ihnen schöne Kleider an und aus, wie die Mägdlein ihren Docken, und nähren sie mit lauter Lebzelten und Meth und andern Gutselen, wie unverständige Mütter es machen. Aber die Kinder werden von Tag zu Tag schwächer, und sie werden um kein Haar größer, und ihre Gesichtsfarbe verbleicht allmählich, und zuletzt sehen sie aus, wie Wachspuppen, und müssen bald sterben.«

Christine war bei den Worten der Großmutter ganz furchtsam geworden, und sie schmiegte sich enger an sie. Die Großmutter fuhr fort: »Frommen Kindern können sie nichts anhaben, wie ich schon gesagt, die brav bei Hause bleiben, und nicht ohne Wissen und Willen der Eltern ins Freie gehen. Mein Großvater hat mir erzählt: wie er mit andern Kindern von hier, aus Gredig, das Vieh geweidet nächst dem Loch innerhalb Glanegg, da seyen oft wilde Frauen aus dem Berg gekommen, und haben ihnen Brod zu essen gegeben, was sie denn auch dankbarlich angenommen; und es ist ihnen kein Leid widerfahren.« –

Indessen waren die Leute alle nach einander in die Stube zurückgekommen; die Mutter setzte sich zur Kunkel; die Magd deßgleichen; Hans, der Knecht, nahm auf der Ofenbank Platz. Der Vater, [200] der die letzte Erzählung vernommen, sagte, halb im Scherze: »Werden schon wieder Mährlein erzählt? Ihr verrückt noch ganz die Köpfe der Kinder.«

Die Großmutter erwiederte: »Damit hat's gute Wege. Hören sie's nicht gern? Und was soll man ihnen sonst erzählen, wenn nicht etwas Geistliches? was aber an Sonn- und Feiertagen und mit Andacht geschehen soll.«

»Treibt's meinethalb mit ihnen, wie ihr wollt, sagte der Vater; aber macht mir keine Fürchtlinge aus ihnen, das sag' ich euch.«

»Geh nur zu deinem Glas Bier, sagte die Mutter, und laß dir etwas von Welthändeln vorerzählen. Gib aber Acht, daß sie dir nicht auch Mährlein aufheften.«

Der Vater lachte; er zog seine Jacke an, setzte den Hut auf, und im Weggehen sagte er: Macht's nicht zu lang.

»Bis du wieder kommst, antwortete die Mutter. Und mach', daß es bald geschieht.«

Nachdem der Vater fortgegangen, sagte die Großmutter: »Wo bin ich denn gestern stehen geblieben? Ich glaub' in der Geschichte von dem Bergmännlein, der vor etlichen Jahren zu Glaß im Dorf einer Hochzeit beigewohnt? Richtig! Mit gar sittigen Gebärden trat er unter die Hochzeitleute, [201] und begrüßte sie; dann verlangte er, mittanzen zu dürfen, und, als es ihm bewilligt worden, tanzte er mit der Braut und andern Jungfrauen je drei Tänzlein, mit solcher Zierlichkeit, daß man sich nicht genug darob verwundern konnte. Nach dem Tanze schenkte er jedem der Brautpersonen drei kleine Silbermünzen von unbekanntem Gepräge, wobei er sie ermahnte, sie sollten in Frieden und Eintracht hausen, und ihre Kinder gut erziehen. Die Münzen aber, sagte er, sollen sie zu ihrem Geld legen, damit sie in keinen Mangel kommen. Und dieses Bergmännlein ist bei ihnen bis zur Nachtszeit geblieben, und hat von Jedermann Speis und Trank angenommen. Alsdann bedankte es sich, und begehrte einen Schiffmann, der ihn über die Salzach gegen den Berg zu überschiffen sollte. Der Schiffmann aber hieß Johann Ständl. Während des Ueberfahrens begehrte dieser seinen Lohn. Das Bergmännlein gab ihm in Demuth drei Pfenninge. Der Schiffmann hatte mehr gehofft, weil er wußte, daß die Bergmännlein gar große Schätze hätten; und er verschmähte den schlechten Lohn. Das Bergmännlein gab ihm aber zur Antwort: Er solle damit nur zufrieden seyn; wenn er die drei Pfenninge behielte, so würde er an seiner Habschaft nie Mangel leiden.«

»Das hat seine gute Bedeutung, sagte die Mutter.[202] Denn wer den Pfenning spart, der kommt zu einem Gulden; und der ersparte Gulden ist jedenfalls der Anfang, um reich zu werden.«

»Etwas ist doch dran, sagte Lise, die Magd, an solchen Pfenningen. Ich habe selbst ein Weib gekannt, in Waging, die viel Geld gewonnen hat mit einem solchen Heckpfenning. Ob sie ihn von einem Bergmännlein erhalten, oder woher sie ihn sonst bekommen habe, das weiß ich nicht. Die Leute nannten sie gewöhnlich nur die alte Lene. Sie wohnte in einem kleinen Stüblein, und that nichts, als spinnen. Und doch fehlte es ihr nie an Nahrung, und sie theilte sogar den Armen mit, so daß sich jedermann darob verwunderte. Wenn man sie nun fragte, woher sie das Geld nähme, so sagte sie, und bekannte es öffentlich, daß sie einen Heckpfenning habe, der mache, daß das Geld nie weniger werde, sondern mehr. Nach ihrem Tode fand man bei ihr manches unbekannte Schatzgeld, das sie der Kirche vermacht; aber der Heckpfenning war nicht zu finden. Und darum glaub' ich, daß etwas dran sey.«

»Mir wär's ganz recht, sprach Hans, wenn mir einmal so ein Bergmännlein begegnete, und gäbe mir eine Hand voll Goldstücke. Denn reich sind sie, das ist ausgemacht; und der Berg ist voll [203] von Minern und Erzen, wie erfahrne Leute sagen; nur wer sie eben finden soll, muß ein Glücks- oder Sonntagskind seyn. Mir ist von einem Holzmeister erzählt worden, der, als er sich eines Tags in seinen Verrichtungen verspätete, seine Nachtruhe in einer Höhle nehmen mußte. Da bemerkte er des andern Tags, daß an der Steinklippe ein glänzend schwerer Goldsand herunter rieselte. Weil er nun kein Geschirr bei sich hatte, ging er ein anderes Mal hinauf, und setzte ein Krüglein unter, und, wie es angefüllt war, nahm er's mit nach Haus, und gewann aus dem Sande viel Goldes, und das wiederholte er in der Folge so oft, als er Geld brauchte, und hatte keinen Mangel sein Leben lang. Nach seinem Tode aber, sagt man, ist an diesem Geld kein Segen gewesen.«

»Das ist mir leicht glaublich, sagte die Mutter. Wie gewonnen, so zerronnen.«

»Etwas Aehnliches wird von einer Kräutelbrockerin erzählt, sagte Lise, die Magd. Als sie eine Zeit lang auf dem Untersberg herumging, kam sie zu einer Steinwand. Dort lagen Brocken, grau und schwarz wie die Kohlen. Sie nahm von diesen etliche zu sich, und da sie nach Hause gekommen war, merkte sie, daß drinn klares Gold vermischt war. Sie ging alsbald wieder hinauf auf den Berg, um [204] mehreres dergleichen zu holen; aber alles Suchens ungeachtet konnte sie den Ort nicht mehr finden.«

»Die Bergmännlein, sagte die Mutter, wollen es wohl den Menschen nicht gar zu bequem machen; auch hassen sie den Geiz und alle Habsucht. Mein Vater erzählte mir von einem Knecht, Namens Paul Mayr, der beim Hofwirth zu St. Zeno in Dienst gestanden. Dieser kam, unfern dem Brunnenthal, auf der halben Höhe des Bergs, zu einer Steinklippe, worunter ein Häuflein Goldsand lag. Sogleich füllte er alle seine Taschen damit an, und ging freudig davon. Aber da stand plötzlich ein fremder Mann vor ihm, der sprach zum Paul Mayr: Was tragst du da? Vor Furcht und Schrecken blieb der Mayr stumm vor ihm stehen. Jetzt ergriff ihn der Fremde, und leerte ihm alle seine Taschen aus, und sagte: Pack dich alsogleich von dannen, und laß dich nie mehr dieses Weges sehen, wenn dir anders dein Leben lieb ist. Und das ist ihm recht geschehen.«

»Einem Christenmenschen ist es überhaupt nicht räthlich – sagte die Großmutter – bei Geistern und andern gespenstischen Wesen Hülfe zu suchen. So gutmüthig sie auch seyn mögen, so sind sie doch mitunter tückisch, und bringen den Menschen Schaden. Kommen sie einem freilich selbst entgegen, so [205] hat man nichts zu fürchten von ihnen, falls man ein gutes Gewissen hat. Gott schickt oft dem Menschen wunderbare Boten zu. Zu meines Großvaters Zeiten kamen einmal mehrere Riesen aus dem Untersberg herunter nach Gredig. Sie sahen aus in ihren langen, weiten, grauen Kleidern, wie die Nebelsäulen, die aus dem Berge aufsteigen; und sie lehnten sich an die Kirche an, und ihre Häupter reichten bis an den Dachstuhl, und waren unheimlich anzusehen. Aber was sie sprachen, war sehr erbaulich; sie redeten mit Manns-und Weibspersonen, und ermahnten sie zu christlichem Lebenswandel, und daß sie ihre Kinder in Frömmigkeit erziehen sollen; denn, sagten sie, es werden schwere Zeiten kommen für Leib und Seele, und nur die Gottesfürchtigen werden bestehen im Glauben und im Vertrauen auf Gott.«

»Das kann der Herr Pfarrer eben so gut sagen, versetzte Hans, der Knecht. Wenn mir einmal so ein Riese begegnete, so würde ich ihn um ganz andere Dinge fragen, die kein Mensch weiß, und die aber ich wissen möchte.«

»Du, Johannes, versuche Gott nicht – sagteLise. – Was wir von zukünftigen Dingen zu wissen brauchen, das wissen wir; alles Uebrige ist vom Uebel.« [206] »Es könnte dir wohl sonst ergehen, sagte die Großmutter, wie dem Michael Holzögger, von dem die Geschichte Meldung thut. Diesen schickte eines Tags sein Bruder, der Jäger, auf den Berg zur Nachsicht. Er blieb aber drei, sechs, acht Tage aus, ohne daß man von ihm Nachricht bekommen. Also glaubte der Jäger sicherlich, er habe sich auf dem Berge verstiegen und sey in irgend eine Schlucht oder von einer Klippe in die Tiefe gefallen; wie denn dieß schon vielen geschehen, die auf den Untersberg sich gewagt haben. Nach acht und zwanzig Tagen, als nichts mehr von ihm zu finden und zu hören war, ließ er für seinen Bruder eine Todtenmesse halten auf derGmain, wo eine Wallfahrt ist. Und sieh da! während des Gottesdienstes kommt der Michael selbst in die Kirche zum Vorschein, des Willens, Gott zu danken wegen glücklicher Zurückkunft. Beiderseits erstaunte man nicht wenig: der Michael, als man ihm sagte, daß für ihn, als einen Todtgeglaubten, die Messe gelesen werde; und die Leute, als sie ihn bei Leben sahen und bei Gesundheit und in so saubern Kleidern, wie er vor vier Wochen aus dem Hause gegangen war. Jedermann drängte sich nun zu ihm, und wollte hören, wie es ihm ergangen. Aber der Jägerknecht war ganz in sich verschlossen, und wollte nichts bekennen.« [207] »Ei, das ist Schade! sagte Gottlieb; der hätte gewiß schöne, wunderbare Dinge zu erzählen gewußt.«

»Warum denn, fragte Christine, hat er nichts gesagt?«

»Es werden's ihm wohl die Leute drinnen streng verboten haben, sagte die Großmutter; und wer etwas ausschwätzt, was ihm als Geheimniß anvertraut worden, der leidet Schaden an Leib und Seele. – Man sagt auch, daß dieser Holzögger von der Zeit an ganz trübsinnig und leutscheu geworden. Und als er dem Erzbischof von Salzburg, der ihn um das Geheimniß befragte, dasselbe in der Beicht offenbarte, so ist auch dieser Herr in Trübsinn verfallen, und hat sich von der Stadt wegbegeben nach Leopoldskron, wo er fortan in Einsamkeit lebte bis zu seinem Tode. Es müssen also schon ganz fürchterliche Dinge gewesen seyn, welche der Jägerknecht erfahren, von Theurung, Krieg und Pest, oder vom Abfall der Christenheit, oder andern Unglücksfällen, die das Land betreffen sollten. Gewiß ist es, daß einige Jahre darauf, wie die Chronik von Salzburg erzählt, viele Häuser in der Steingasse von losgebrochenen Felsen des Kapuziner-Bergs überschüttet worden, und viele Menschen dabei jämmerlich zu Grund gegangen sind. – Und darum hatte die Lise recht, wenn sie sagte, es sey gut, [208] daß wir von zukünftigen Dingen nichts zu wissen verlangen sollen; denn es kommt nichts Besseres nach; und es wird alles schon offenbar werden, wenn es Zeit ist und Gottes heiliger Wille.«

»Ei nun, sagte Hans, muß es denn gerade allzeit etwas Böses seyn, das wir erfahren sollen?«

Die Mutter erwiederte: »Auch das Gute vorher zu wissen, ist nicht alleweil gut. Wüßtest du z.B., daß du ein reicher Mann würdest – –«

»Nu ja, sagte Hans; so nähm' ich die Lise heut noch zum Weib.«

»Und ich nähme dich nicht, sagte Lise; denn da würdest du vielleicht faul werden, und ein Trinker und Spieler und ein Wilddieb, und ich hätte die liebe Noth zu Haus bei allem Reichthum.«

Die Großmutter lachte. »So denkt halt das junge Blut, sagte sie, und es trachtet immer nach höhern Dingen, als den Menschen beschieden ist.«

»Ich muß gestehen, sagte Hans, daß ich von Jugend auf so meine Neigung hatte zu geheimnißvollen und wunderbaren Dingen, und daß mir noch immer so ist, als müßte mir etwas Absonderliches begegnen vom Wunderberg her. Bin ich nicht von Unterstein gebürtig? Und lieben nicht diesen Ort die Bergmännlein, und kommen oft dahin ins Kirchlein, um der heiligen Messe beizuwohnen? Und [209] wissen nicht meine Eltern und Großeltern vieles zu erzählen, was dort und anderwärts Wunderliches geschehen? Das aber sag' ich euch, und ich lasse mir's nicht ausreden: im Frühjahr, wenn alles wieder grün wird auf dem Berge, und sanfter der Wind weht, und lustig der Himmel danieder schaut, da nehme ich Abschied auf acht Tage, und laß mich nicht halten, und gehe fort auf den Berg –«

»Du nimmst mich doch auch mit, Hans?« sagteGottlieb.

»Ein anders Mal, wenn du um vieles größer bist, antwortete der Knecht. Denn es ist kein Leichtes, die steilen Felsen hinan zu steigen, und an tiefen Abgründen vorbei zu gehen, und über Spalten und Felsritzen zu springen, und auf gähen Abhängen hinunter zu rutschen, und in Höhlen zu übernachten, und allein von Brod und Wasser zu leben.«

»Und was hast du dann davon, sagte Lise, daß du deine Gesundheit und dein Leben einsetzest?«

»Was ich davon habe? sagte der Knecht. Sehen will ich, und selbst erfahren, was die Jäger Seltsames erzählen von dem Berge. Hat er nicht seine zwölf Stunden im Umfang? Und wer hat seinen Rücken vollends abgeschritten, und die Gemsen gezählt, die sich dort nähren, und die Gewächse alle kennen [210] gelernet, die drauf wachsen? Hei! wie lustig und schön muß es da oben seyn! Wände steigen empor, wie marmorne Paläste, und Felsen stehen an Felsen, wie die Gebäude einer Stadt; und in den Abgründen drunten liegt ein ewiger Schnee, und in die tiefen, engen Klüfte scheint kein Sonnenstrahl; und wilde Gewässer rauschen weit unten im Bauch des Berges, und graben sich durch die Klüfte, in die kein Menschenauge gesehen, brausend einen Ausweg. Oft auch, sagen die Jäger, hört man von der Tiefe herauf ein Geklirre von Waffen, ein Wiehern der Rosse, und lautes Getrommel, als werde eine Schlacht geliefert. –«

»Das ist Kaiser Karl und seine Ritter, die in dem Berg drinn hausen,« fiel die Großmutter ein.

»So erzählen die Leute, fuhr der Knecht fort. Und es geht die Sage, die auch sehr glaublich ist, daß der ganze Berg, wie ein Sarg, über die Behausung des Kaisers gelegt sey. Habt ihr nie die Grabmäler gesehen der Pröpste von Berchtesgaden in der Hofkirche, wie sie drauf abgebildet liegen in Stein? Also, wenn man vom Unterstein aus nach dem Berge schaut, sieht man deutlich das Gesicht des alten Kaisers abconterfeit mit Stirn, Nase, Mund und Kinn – eine wundergroße Erscheinung, zumal im Morgen-oder Abendlichte [211] gesehen; der übrige Theil aber des Körpers ist unkenntlich und verfallen, von dem Ungemach der Zeiten und des Gewitters.«

»Gesehen hat ihn noch Niemand seit Menschengedenken, sagte die Großmutter; aber weil's alle Leute sagen, so muß es wohl wahr seyn. Es ist aber dieser Kaiser Karl, wie die Chroniken erzählen, ein großmächtiger Fürst gewesen, der das Christenthum im Abendlande in Aufnahme gebracht, und sonst viele ansehnliche Kriegsthaten verrichtet hat. Und darum hat ihn Gott ausersehen und aufbewahrt auf das Ende der Zeiten, auf daß er das fromme Häuflein der Gläubigen schütze gegen den wilden Andrang der Ungläubigen, und die Ehre Gottes wieder herstelle auf Erden bis auf den jüngsten Tag. Es wohnt aber dieser Kaiser Karl mitten im Berg, in einem großen, weiten Thronsaal; die Wände des Saals sind aus polirtem Granitstein erbaut, und dessen Decke ist aus eitlem Erz geschmolzen; und ringsum ist er behängt mit Harnischen und Schwertern und Pickelhauben, wie schier der Waffensaal im Schloß zu Salzburg. Er aber sitzt mitten inne an einem marmorsteinernen Tisch, eine große majestätische Gestalt, in einen reichgestickten Kaisermantel gehüllt; in der Rechten trägt er das Scepter, zur Linken hängt ihm sein Schwert; sein Haupt schmückt eine Krone; sein Antlitz [212] ist, wie das eines schlummernden Greises; und ein langer, schneeweißer Bart, mit Perlen durchflochten, wallet von seinem Kinn herab, und windet sich um den steinernen Tisch herum; und die Sage geht, daß, wenn sich sein Bart dreimal um den Tisch geleget, der Welt Ende nahe sey, und er werde aufwachen und neu erstehen und das Werk verrichten, wozu ihn Gott ausersehen. Es halten aber an den vier Thoren, durch welche man zum Saale kommt, je zwei und zwei Ritter Wache Tag und Nacht; und wenn die Zeit kommt zum Ablösen, was alle sieben Jahre geschieht, dann rühren sich die Trommeln, dann schmettern die Trompeten; dann wachen alle Ritter zugleich auf, die um den Saal herum im weiten Palaste schlafen, und greifen zu den Waffen, und fragen, ob es Zeit sey.«

»Ich habe die Geschichte oft gehört, sagte Hans, und allzeit mit Verwunderung. Gewiß ist es, daß der Berg innerhalb bewohnt ist, und daß lebendige Wesen drinn sind – ob Menschen, wie wir, oder Geister? das weiß man freilich nicht. Wer kennt nicht die Geschichte von dem Lazarus Gitschner? Ich will aber eine andere Sage erzählen, von einem Fuhrmann, der auf eine wunderbare Weise in den Untersberg gekommen. Ich weiß diese Geschichte von einem alten Jäger, dessen Vater ihn [213] selbst gekannt haben soll. Dieser Fuhrmann kam aus Tyrol, und wollte nach Hallein mit einem Wagen voll Weins, um ihn dort zu verhandeln. Als er nun neben St. Leonhard bei der Almbrücke zu Niederalm gefahren, kam ein Bergmännlein hervor aus dem Untersberg, und fragte den Fuhrmann, woher er komme, und was er da führe. Das sagte ihm der Fuhrmann. Da sprach das Bergmännlein: Fahre mit mir; ich will dir gute Münze dafür geben, und zwar noch mehr, als du zu Hallein dafür bekommen wirst. Der Fuhrmann wollte dieß aber nicht thun, sondern erwiederte, daß er den Wein jenem Herrn zuführen müsse, der ihn bestellt hat. Da nun das Bergmännlein wahrnahm, daß der Fuhrmann nicht wollte mitfahren, so fiel das Bergmännlein plötzlich den Pferden an die Mähnen, und sprach: ›Fuhrmann! weil du nicht willst mitfahren, so will ich deine Augen also verblenden, daß du nicht weißt, wo du bist; und ich will dich so führen, daß du dich nicht mehr auskennst.‹ Auf diese drohenden Worte gerieth der Fuhrmann in viele Aengsten, und wußte sich nicht zu rathen und zu helfen; doch besann er sich, und hielt es für besser, mit gutem Willen zu folgen, als alles zu verlieren. Er fuhr deßwegen mit dem Männlein, und dieses führte die Pferde [214] fleißig am Zaum dem Wunderberg zu. Da sie näher gegen den Berg zu kamen, däuchte es dem Fuhrmann, als sey er auf einer ganz neugemachten Straße, und er erkannte die Gegend nicht mehr; und als sie nächst des Berges waren, überfiel den Fuhrmann ein Schlaf; und da er wieder erwachte, so sah er, daß er zu einem wohlgebauten Schloß fahre, das mitten in einer schönen und lustigen Ebene stand. Es war aber das Schloß von lauter rothem und weißem Marmor hoch erbauet; und in dessen Mitte stand ein hoher, mit Kupfer gedeckter Thurm, und die Fenster waren von purem Krystall. Um das Schloß herum zog sich ein, etliche und zwanzig Klafter tiefer Graben. Außerhalb war eine Mauer 30 Klafter hoch und 10 Klafter dick. Das Schloß selbst aber stand auf einem abgehauenen und abgeputzten Felsen. Bevor man zum Schloß kommen konnte, mußte man über sieben Aufzugbrücken, durch mehrere Thore und Schlußgitter.«

»Gehört hab' ich schon auch von diesem Tyroler Fuhrmann, sagte die Großmutter; aber nicht alles so genau und umständlich.«

»Es ist alles gerade so geschehen, wie ich's euch erzähle, sagte der Knecht; auch steht's so im Büchlein, das zu Brixen in Tyrol gedruckt worden in diesem Jahre, und wo ich diese Geschichte, wie so [215] viele andere, gelesen habe. In dieses Schloß mußte der Fuhrmann hinein fahren. Sobald ihn aber ein Diener, der von einem Fenster herabsah, bemerkt hatte, sagte er es sogleich allen Andern in dem Schloß; und es liefen nun alle zu den Fenstern, und bezeigten laut ihre Freude. Es waren dieß aber lauter Bergmännlein in ihrer sonderheitlichen Tracht. Einige von ihnen kamen auch vor das Schloß heraus; unter diesen besonders der Kellermeister, der ein etwas stärkeres Männlein war, mit vielen Schlüsseln und großen Taschen versehen; sein Bart reichte ihm über seinen Bauch, und seine Haupthaare hingen ihm über die Mitte des Leibes herab. Als sie in die Mitte des Hofes hinein kamen, waren eilends einige vorhanden, welche die Pferde ausspannten, und sie in den Stall führten, um sie zu füttern; die andern machten sich dran, die Weinfässer abzuladen, und es wimmelte um den Wagen herum, wie in einem Ameisenhaufen.«

»Ei wie konnten denn, fragte Gottlieb, so kleine Männlein ein großes Weinfaß bewegen und abladen?«

»Viele Hände vermögen gar viel, sagte die Mutter. Und hast du's nicht gehört, daß das Bergmännlein Roß und Wagen aufgehalten hat?«

Hans, der Knecht, fuhr fort in seiner Erzählung:[216] »Der Kellermeister führte nun den Fuhrmann vorerst in den Keller, der sehr wohlgebaut und mit Weinfässern voll angefüllt war, schier wie der Felsenkeller bei St. Peter in Salzburg; aber noch viel größer und schöner. Auch standen in der Mitte viele Tische, mit köstlichen Speisen aller Art bedeckt. An einen davon hieß der Kellermeister den Fuhrmann sich niedersetzen, und stellte ihm zu essen und zu trinken auf, so viel er zu sich nehmen wollte. Und die Bergmännlein, die zugegen waren, redeten ihm zu, und suchten ihm die Zeit zu verkürzen durch ihre Anreden. Der Fuhrmann aber wollte doch nicht fröhlich seyn; und er aß und trank zwar, aber es schmeckte ihm nicht; und er dachte bei sich: Wär' ich nur wieder draußen, und hätte mein Geld. Als er nicht mehr essen wollte, so kam ein schön geputztes Bergmännlein herbei, und sagte, daß er ihm nun auch das übrige Schloß zeigen wollte. Der Fuhrmann, obwohl er lieber zu seinen Pferden gegangen wäre, ließ sich die Einladung gefallen, und ging mit. Da führte er ihn über eine Stiege hinauf, die 25 messingene Staffeln hatte. Dann kamen sie in einen prachtvollen Saal. Er war mit lauter kostbarem Marmor gepflastert; die Seitenwände waren von klarstem Gold aufgerichtet; die Decke war ebenfalls mit Gold überzogen, und die Fenster, 20 Schuh[217] hoch und 7 breit, waren von hellstem Krystall. In der Mitte des Saals aber sah man vier, aus Metall gegossene große Riesen, 18 Schuh hoch, die gar zierlich und fein gearbeitet waren. Diese Riesen hatten große goldene Ketten an ihren Armen, als ob sie gefangen wären; und oben an der Mitte der Decke war ein geformtes Bergmännlein mit einer goldenen Krone, welches diese Riesen gleichsam geschlossen hielt. Neben herum in diesem Saal hingen lauter Kürasse, Harnische, Pickelhauben, Schwerter und andere unbekannte Geschosse, alle reich mit Gold verzieret.«

»Was mögen doch wohl die vier Riesen und das Bergmännlein bedeuten? fragte die Großmutter; denn eine Bedeutung müssen sie doch haben.«

»Der Fuhrmann fragte auch deßhalb seinen Führer, fuhr der Knecht fort, aber dieser verschwieg es ihm. Bei vielen ist die Meinung, daß entweder sich Krieg erheben werde in allen vier Welttheilen, oder daß die vier größten Monarchen in unserm Erdtheil abhängig werden von dem kleinsten; oder, was die beste Auslegung ist, daß die vier größten Weltmonarchen und ihre Reiche, Cyrus und Alexander und Augustus und Karl der Große unterthänig gewesen seyen einer Macht, welche den Menschen zwar unansehnlich erscheint, aber unbezwinglich und sieghaft ist. Nichts Gewisses weiß [218] man nicht. – Von jenem Saale aus stiegen sie nun auf vielen hundert Staffeln hinab, und sie kamen, tief unter der Erde, in ein großes, weites Gewölbe, in welches keine Taglichte schien. An den Wänden herum sah es aus, als wenn lauter Schmied- und Hammer-Oessen da wären, und die Flammen zuckten nach allen Seiten, wie glühende Schlangen empor, und man konnte es schier vor Hitze drinnen nicht aushalten. Es waren hier aber gar viele Bergmännlein beschäftigt, die das glühende Erz aus den Oessen schöpften, und Münzen daraus bildeten; und ganze Ladungen von Fässern, voll von Gold und Silber, lagen im weiten Gewölbe aufgehäuft. Der den Fuhrmann begleitete, führte ihn jetzt zu einem Bergmännlein, das in einer Ecke saß, und Geld in ein Faß zählte; es war ein eisgraues Männlein, und auch um vieles größer, als die andern, und es sah sehr mürrisch aus. Dieser gab dem Fuhrmann hundert achtzig Dutzend Ducaten, alle nagelneu, so daß er alle seine Taschen damit anfüllen konnte, und überaus schwer zu tragen hatte. Dieß sey die Bezahlung für seinen Wein, sagte der Alte; und er solle sich nun aber sogleich fortpacken und nimmer kommen. Der Fuhrmann stieg also mit seinem Begleiter wieder hinauf in den Speissaal, und er ließ sogleich anspannen, und trank und aß nur noch [219] weniges. Dann fuhr er fort, und es begleiteten ihn drei Bergmännlein, welche schwarze Kleider, grünsammetne Hütlein und rothe Federn drauf hatten. Zuletzt, als sie ihn eine geraume Strecke Wegs begleitet, und ihm dabei viele fromme Lehren gegeben hatten, sagten sie zu ihm: ›Dieß merke noch: da man anfangen wird, weiße und rothe Hütlein zu tragen, da wird die Noth aller Orten ihren Anfang nehmen, und der Segen Gottes sich wenden nach dem Leben der Menschen.‹ Der Fuhrmann sah sich drauf plötzlich, er wußte nicht, wie ihm geschehen, an demselben Orte, wo das Bergmännlein zuvor zu ihm gekommen war; und daß er nicht geträumt, sondern alles wirklich sich zugetragen habe, davon überzeugten ihn die schönen, blanken Ducaten, die er in den Taschen hatte. Und man sagt, daß dieß sein Geld nie mehr und nie weniger geworden bei seinem Weinhandel, den er fortan gepflogen. Auf Befehl des Bergmännleins behielt er jedoch diese wunderlichen Geheimnisse und Erscheinungen alle bei sich bis nahe an seinen Tod, der in einem späten, glückseligen Alter erfolgte.«

»Das ist eine gar wunderschöne Geschichte, sagte die Großmutter, und man kann Vieles draus lernen.«

»Das Liebste daraus, sagte der Knecht, wären mir schon die Ducaten.« [220] »Wie du eben bist und denkst, sprach die Großmutter. Das junge Völklein hat nur Gelüste nach Geld und Reichthum. Aber woher kommt's, daß alles Schatzgeld verschwunden ist aus Kisten und Kasten? Von der Liederlichkeit kommt's her, weil die Weiber alles verputzen und verschmieren an schöne Kleider und eitle Trachten, und weil die Männer ihr Geld ins Wirthshaus tragen, und ans Spiel setzen. Meine Mutter – Gott hab' sie selig! – hat solcher unbekannten Münzen noch viele gehabt, die wohl alle aus dem Wunderberg gekommen seyn mögen; aber sie war zu gut gegen andere Leute; und es gab schier kein Kind im Dorfe, das nicht sein Tauf-oder Firm-Gothe gewesen wäre, und einen solchen Schaupfenning zum Geschenk bekommen hätte. Nun, Gott hat sie vielleicht deßhalb besonders gesegnet; wie sie uns denn ein schönes Vermögen hinterlassen hat. – Aber, Hans, erzähle uns nun die Geschichte von dem Lazarus Gitschner.«

»Muß ich diese Geschichte nicht am besten wissen, sagte die Mutter, da in Reichenhall, wo ich her bin, noch Leute leben, die mit jenem Gitschner verwandt sind, und die es jedem Kinde erzählen, wie es sich wirklich zugetragen? – Dieser LazarusGitschner stand in Diensten beim Herrn Stadtschreiber zu Reichenhall. Eines Tags beredete er seinen Herrn und den Herrn [221] Stadtpfarrer, Namens Martin Elbenberger, dazu auch einen Bürger von Reichenhall, mit ihm den Wunderberg zu besteigen. Es ist dieß aber geschehen im Jahre 1529. Da sie nun eine gute Weile fortgegangen, so kamen sie zu einer Klamm, der hohe Thron genannt. Da war auf einer großen Steinplatte eine Schrift mit silbernen Buchstaben in einen Stein eingehauen. Nachdem sie dieselbe einige Zeit angeschaut haben, ohne sie lesen und verstehen zu können, so gingen sie davon, und stiegen weiter auf dem Berg herum, und gingen dann wieder nach Haus. Als sie aber zu Haus angekommen, redeten sie von dieser Schrift, und der Herr Stadtpfarrer befahl dem Lazarus Gitschner, er sollte zurückgehen, und die Schrift auf dem Papier zurück bringen; wie er denn des Schreibens gar wohl kundig war. Lazarus bestieg also gleich den andern Tag den Berg – dieß war am letzten unserer lieben Frauen Tag im Herbst –. Indem er aber im Begriffe war, die Inschrift abzuschreiben, ist es Abend geworden; und da er sohin nicht mehr nach Haus gehen konnte, so blieb er bei dieser Klamm über Nacht. Dieß geschah an einem Mittwoch. Am Donnerstag in der Früh, als er erwachte, und daselbst ein wenig aufwärts ging, um sich umzusehen, da sah er einen barfüßigen Mönch vor sich stehen, der las in einem Buch,[222] und trug einen Bündel Schlüssel auf der Schulter. – Ich erzähl' es euch ganz genau, wie ich's gehört. Dieser Mönch sprach zum Lazarus Gitschner: Wer bist du? woher kommst du? und was willst du? Lazarus dachte bei sich selbst: Jetzt werd' ich mit Geld aufkommen und ein reicher Mann werden. Und er erzählte dem Mönch mit aller Vertraulichkeit, wer er sey, und weßhalb er hieher gekommen. Dann sagte der Mönch zum Lazarus: Komm auf eine Weile zu uns herein, du sollst es nicht bereuen; und ich werde dir zu essen und zu trinken geben; und zuletzt sollst du auch vernehmen, was die Schrift für eine Bedeutung hat. Sie gingen hierauf von dem Orte, wo sie geredet hatten, wieder zum hohen Thron. Da kamen sie zu einer eisernen Thür, welche der Mönch aufmachte; kurz darauf gingen sie durch ein Thor, wo eine steinerne Bank war. ›Hier, sagte der Mönch, auf diese Bank lege deinen Hut; denn an eben diesem Orte wirst du wiederum herauskommen. So lange du darinnen bist, so sprich zu Niemand ein Wort, es mag einer zu dir sagen und fragen, was er nur will; mit mir aber kannst du sprechen, was dir beliebt und recht ist. Und nun gib wohl Acht, und merke dir alles wohl, was du da sehen und hören wirst.‹«

Die Mutter steckte frischen Flachs auf. Alles [223] war still. Die Kinder spitzten die Ohren, und merkten auf, als wollten sie die Wanderung selbst mitmachen.

»Als sie durch das Thor gekommen waren, fuhr die Mutter fort, da sah Lazarus einen großen Thurn mit einer Uhr, die mit Gold verziert war. Der Mönch sagte: ›Siehe, auf welcher Stunde der Uhrzeiger stehet.‹ Und es war 7 Uhr. Sie gingen weiter, und Lazarus sah nun vor sich ein herrliches Gebäude mit einem doppelten Glockenthurn, wie ein ansehnliches Kloster. Das Kloster lag auf einer schönen und weiten Wiese, die von einem dichten Walde bekränzt war. Auf der Wiese standen viele Obstbäume mit allerlei seltsamen Früchten; und es rannen lautere Quellen hindurch, die sich vor dem Kloster in einem marmorsteinernen Grander sammelten. Das Taglicht aber, das darinnen leuchtete, war das nämliche, wie in der äußern Welt; jedoch sah man keine Sonne. – Nun führte der Mönch den Lazarus in dieses Gebäude, und er kam vorerst in die Kirche; die war so weit und tief, daß er von der hintern Kirchenthür kaum bis zum Chor hin sehen konnte; und es vergingen ihm schier die Augen vor all dem Pracht und dem Glanz, der da zu sehen war. Diese Kirche, sagte der Mönch, hat mehr als 200 Altäre, auch über die 30 Orgeln; und an[224] Silber und Gold einen Reichthum, daß es nicht zu sagen ist. Vor dem Choraltar hieß ihn der Mönch beten; und auch er kniete nieder und betete. Dann führte er ihn hinunter in einen Stuhl, nahe bei einer Stiege, da die andern Mönche in die Kirche herab kommen sollten. Und er sagte: Bleibe da, Lazarus, bis ich wieder zu dir komme und dich hinweg führe. Also blieb Lazarus an dieser Stelle, und es kamen alsbald herab alte und junge Mönche, an die 300 Paar, alle in hölzernen Schuhen. Und sie gingen auf den Chor, und hielten den Kirchgebrauch, und sangen die Horas, wie es in der Domkirche zu Salzburg zu geschehen pflegt. Hernach hat man mit allen Glocken geläutet zum Gottesdienst; und diese Glocken hatten einen so schönen und lieblichen Ton, daß einem das Herz aufging. Da hub man an auf allen Altären Messe zu lesen und das Hochamt zu singen; und die Orgeln spielten alle zusammen, nebst andern musikalischen Instrumenten, daß es dem Lazarus nicht anders dünkte, als wäre er in dem Himmel; so lustig und lieblich ist es ihm vorgekommen. Wie nun der Gottesdienst vollbracht war, so verließen die Mönche den Chor, und gingen wieder die Steige hinauf, von dannen sie gekommen waren.

Daß sie drinnen auch Amt halten und Messe [225] lesen, sagte Lise, das will mir nicht recht einleuchten.

Was wissen wir, was alles in der Welt geschieht? sagte die Mutter. Und Gott dienet man überall, wo man Gott lobt. Drauf fuhr sie in der Erzählung fort: Ueber eine Weile kam der Mönch wieder, und sagte zum Lazarus: Bleib noch eine Weile da; man will jetzt zu essen gehen; ich komme dann, um dich abzuholen. Und wie es 12 Uhr schlug, da kam der Mönch, und führte ihn die Steige hinauf, 80 Staffeln hoch, und darauf durch einen langen Gang ins Speisezimmer. Dasselbe war oben gewölbt und mit Fenstern wohl versehen; und es stunden lange Tische an den Wänden umher, und an einen derselben, der aufgerichtet war, hieß ihn der Mönch sich setzen. Darauf brachte er ihm zu essen, Fleisch, Kraut und Gersten und ein Laibel Brod; dazu einen Becher Wein. Der Becher aber, woraus er getrunken, und die Schüssel, aus welcher er gegessen, war von Zinn. Hernach hieß er ihn: er sollte Dank dem allmächtigen Gott dafür sagen, und führte ihn alsdann wieder in die Kirche zur Vesper. Da war auch wieder die Kirche voll mit Volk, wie in der Frühe. Nach der Vesper führte er ihn in die Liberei, wo die Bücher standen. Es war ein großer Saal, mit hohen, hellen Kirchenfenstern; [226] die Bücher aber, die er darinnen sah, waren nur von Rinden der Bäume und aus Häuten gemacht, auch mit gar alten unbekannten Buchstaben geschrieben. Der Mönch las ihm Einiges vor, und verdolmetschte es ihm; es handelten die Bücher aber von alten Geschichten und zukünftigen Weissagungen, und wie es dereinst in der Welt sich zutragen sollte mit Krieg, Hunger, Kummer, großem Sterben und Pestilenz; und wie der Widerchrist aufstehen werde, und die ungläubigen Schaaren um sich versammeln, und die Gläubigen verfolgen mit Feuer und Schwert; und wie das Häuflein der Gläubigen so gar werde klein werden, daß man es, so zu sagen, mit einer Wanne wird zudecken können.

Wann wird die Zeit wohl kommen? fragte Gottlieb.

Das fragte der Lazarus Gitschner auch den Mönch, sagte die Mutter; aber dieser gab ihm eine solche heftige Maulschelle, daß er sie sein Lebtag empfunden hat. ›Was bedarfst du die Geheimnisse Gottes wissen? sagte der Mönch. Es steht bei Gott allein, wem er's offenbaren will.‹ Hierauf führte ihn der Mönch wieder in den Speisesaal, und setzte ihm Einiges zu essen und zu trinken auf. Nachher gingen sie in die Complett, und dieselbe ward [227] auch also begangen, wie die Vesper. Da die Complett vollendet war, da reiheten sich die Mönche je Paar und Paar, und jeder hielt sein Buch und hatte seine Laterne. Drauf gingen sie gegen den hohen Thurn, durch den Lazarus hineingegangen war in den Untersberg. Daselbst war eine eiserne Thür, auf beiden Seiten wohl beschlagen; zu jedweder Seite aber 6 Thüren, zusammen 12 Thüren gerechnet. Und der Mönch sagte: Durch diese Thür gehet man zu St. Bartholomä auf Berchtesgaden, durch diese nach Salzburg in die Domkirche, durch diese nach Reichenhall, durch diese nach Feldkirchen; durch diese auf die Gemain zu Unser lieben Frauen; durch diese auf Traunstein gen Mariä Egg. Und so nannte er zwölf Gotteshäuser, wohin die Mönche abwechselungsweise zu wallfahrten pflegten. Dieselbige Nacht gingen die Mönche nach St. Bartholomä bei Berchtesgaden, um allda die Mette zu singen; und Lazarus wurde von dem Mönch auch dahin geführt durch einen schönen Gang, der so weit und breit war, daß ihrer drei und drei neben einander gehen konnten. Und als sie eine Weile gegangen waren, da sagte der Mönch im Gehen: Schau, Lazarus, jetzt gehen wir tief unter dem See. Hierauf kamen sie zu der Kirche, wo [228] die Mönche, hinter dem Altar, die Mette sangen. Nach gesungener Mette gingen sie wieder zurück in den Untersberg. Also ist es einen Tag wie den andern zugegangen mit den Kirchengebräuchen. Lazarus aber blieb volle sieben Tage in dem Berg, und verrichtete bei Tag seine Andacht in der großen Kirche, und des Nachts in den Orten, wo die Mönche ihre Mette hielten. – Am siebenten Tag sagte der Mönch: Lazarus, nun ist es Zeit, daß du wieder hinaus gehest; oder willst du hierinnen verbleiben, so magst du es auch thun. Lazarus sprach: Ich will hinaus gehen. Also gab ihm der Mönch noch zwei Laiblein mit auf den Weg, und geleitete ihn sodann bis zu dem Thurm, durch den er eingegangen war. Im Gehen sprach aber der Mönch: ›Höre, Lazarus, was ich dir noch sagen will. Dieser Berg, siehst du, ist ein gar wunderbarer Berg, und in allen seinen Theilen von unzählbarem Volke bewohnt. In dem obersten Theile sind die Mönche, welche Tag und Nacht beten für die Christenheit. In dem mittlern Theile sind die Ritter mit dem glorwürdigen Kaiser Karl, und die sind alle bereit, zu jeder Stunde, wenn es Gott will, zu fechten für den christlichen Glauben. In dem untern Theil, im Erdgeschosse, da wohnet das Völklein der Bergmännlein; die wärmen und heizen[229] die Erde, daß sie alljährig Früchte brigen mag, und sie bereiten das Metall, dessen ihr da draußen bedürfet. Also wird hier, auf Gottes Anordnung, Sorge getragen für euer geistiges und leibliches Wohl, und ihr müßt deß Dank haben.‹ Darauf, als sie vor dem Thurm stunden, sprach der Mönch: ›Nun schau auf die Uhr, auf welcher Stunde der Zeiger ist.‹ Und es war eben 7 Uhr, wie damals, als Lazarus hinein gegangen war. Drauf, als sie zum Thor gekommen waren, sprach der Mönch: Hier liegt dein Hut; setz' ihn auf, so kannst du wieder den Weg weiter gehen. Wie sie aber an dem Ort noch stunden, verdolmetschte er ihm die Inschrift, die auf der steinernen Wand stand. ›In den letzten Tagen wird der Antichrist mit seinen heidnischen Schaaren sich lagern auf demWalserfeld; und es wird eine zahllose Menge seyn von geharnischten Reitern und Lanzenknechten. Die gläubigen Christen aber, klein an Zahl, werden sich mit ihrem Bischof in Salzburg sammeln, und in den Klüften sich verbergen, wie ehedem St. Rupertus mit seinen Gesellen, aus Furcht vor dem gewaltigen Feinde. Da, wie nun die Noth am größten ist, erwacht der glorreiche Kaiser Karl und seine gesammte Ritterschaar; und er schickt einen Herold hinaus, der das Wappen des Kaisers aufhängt, [230] Angesichts des Feindes, an dem großen ausgedorrten Birnbaum, der an dem Walserfeld steht, und der um diese Zeit frische Zweiglein ausschlagen wird. Und, sieh! es thut sich plötzlich der Berg auf, und aus dessen offenen Thoren schreiten hervor, den alten Kaiser an der Spitze, 10000, Ritter und 100000 Lanzenknechte, alle zum Kampfe gerüstet. Da wird sich denn eine Schlacht anheben, wie die Welt noch nie eine gesehen hat; und der Heiden Blut wird in so reichlichem Maße vergossen werden, daß Einem das Blut rinnen wird bis an die Schenkel; und der Antichrist wird zuletzt selber fallen im Gemetzel, und er wird sein eigen Blut gen Himmel spritzen, und sprechen: Der droben hat gesiegt. Drauf, als die Schlacht geschehen, wird Ruhe seyn und Friede auf Erden unter den Menschen, bis der Herr kommen wird zum letzten Gerichte.‹ Also sprach der Mönch; und darauf entließ er den Lazarus Gitschner, der wieder heimkehrte zu den Seinigen.«

Als die Mutter die letzten Worte sprach, trat eben der Vater in die Stube, der aus dem Wirthshaus gekommen. Er langte weiß Brod aus der Tasche und theilte es unter die Kinder, daß sie davon äßen. Drauf, indem er den Hut und die Jacke ablegte, sagte er zur Mutter: Hast ihnen [231] das Mährlein aufgetischt von demLazarus Gitschner?

Nun, sagte die Großmutter, ein Glaubensartikel ist's eben nicht; und darum magst du davon halten, was du willst.

Was bringst denn du für neue Mähren nach Haus? fragte die Mutter.

Nichts weiter, sagte der Vater, als daß die Franzosen wieder unruhig werden.

Gott bewahre uns vor denen! sagte die Großmutter. Die sind ärger, als die Türken.

Laßt sie nur kommen! erwiederte Hans. Wir werden schon wieder fertig mit ihnen, auch ohne Kaiser Karl und seine Ritter.

Aber nicht ohne Gottes Hülfe, versetzte Lise.

Nun wurden die Kunkeln bei Seite gesetzt; denn es war schon spät geworden. Die Magd räumte in der Stube auf; der Knecht ging noch in den Stall; die Mutter sah in der Küche nach, der Vater, ob alles im Hause geschlossen sey; und die Großmutter bereitete die Kinder zum Schlafengehen, und ließ sie das Abendgebet beten, und: »Heiliger Schutzengel mein, laß mich dir empfohlen seyn.« Draußen aber auf der Gasse sang der Nachtwächter:


[232]
Meine lieben Herrn, laßt euch sagen,
Der Hammer, der hat zehn Uhr g'schlagen,
Wohl zehn Uhr!
Gelobt sey Gott und Maria!
[233]

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Büchlein für die Jugend. 9. Die Erzählung des Onkels: Die Volkssagen vom Untersberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-14C3-0