X. Das Zaunköniglein, eine Fabel. – Der Teufel und der Bauer, ein Schwank. – Die zwei Brüder, ein Mährchen.

Die Kinder hatten bereits den Tisch verlassen, um auf dem weiten und breiten Söller zu spielen; denn das unfreundliche Wetter hielt sie ab, sich im Freien herum zu tummeln. Die übrige Gesellschaft saß noch beisammen; der Großvater nahm sein Pfeifchen zur Hand, die Frauen ihr Näh- und Strickzeug.

Da nahm der Vater das Wort und sagte: »Die Mutter mag sich nun Zeit nehmen, um auf eine Geschichte zu sinnen, die sie uns heut Abends vortragen mag. Denn ohne irgend eine Erzählung darf wohl der Tag nicht vorbei gehen, und die Natur, die uns heute von ihren Freuden ausschließt, gemahnt uns selbst an die Freuden, welche die gesellschaftliche Unterhaltung verschafft. An der Mutter ist nun aber die Reihe, und sie wird sich von der Verbindlichkeit, [234] die wir alle eingegangen, um so weniger ausschließen können, da sie mehr Zeit als wir übrigen gehabt hat, auf etwas Anziehendes und Zweckmäßiges zu denken, und auch mehr Gelegenheit, an fremden Mustern abzusehen, wie für Kinder erzählt werden solle.«

Die Mutter erwiederte: »Ihr alle wißt, wie viel mir die Haushaltung auch auf dem Lande hier zu schaffen macht, und daß ich nicht, wie ihr übrigen, die ihr den lieben Tag hindurch nichts zu thun habt, auf Fabeln und Mährlein denken kann. Die Muse ist nur der Muße günstig. Darum erlaßt mir nur lieber gleich immerhin die Verbindlichkeit, die ihr mir auferlegen wollt, und bedenkt, daß eine arme bedrängte Frau nicht zugleich für körperliche und geistige Nahrung sorgen kann.«

Diese Einrede wurde aber weder von den Frauen noch von den Männern angenommen, sondern entschieden zurück gewiesen. Der Onkel erinnerte insbesondere, daß so viele, wohl auch wackere Hausfrauen Zeit genug gefunden hätten, durch Schriften sich fühl-und achtbar zu machen, geschweige denn durch mündliche Unterhaltungen, zu denen die, den Frauen angeborne, geläufige Zunge immerhin noch Stoffes genug zu finden pflege.

Des Onkels neckende Bemerkung vereinigte die[235] Frauen zu einem Schutz- und Trutzbündniß, und die Tante erwiederte lebhaft: »Was von unserer Seite bisher vorgebracht worden, hat doch das Verdienst eigener Erfindung oder lebendiger Ueberlieferung, während das, was wir von den Männern gehört, laut ihrem eigenen Geständnisse, nicht ihnen und ihrem Geiste angehört, sondern den Büchern, woraus sie bettelnd geschöpft.«

»Rühme dich nur nicht – versetzte der Onkel – deiner Erzählung wegen; sie hat bereits eine ganz gerechte Recension gefunden.«

»Wohl von dir! – entgegnete die Tante –. Denn ich weiß, leider! daß du gar so gern alles tadelst, was ich in dergleichen Dingen für die Jugend zweckmäßig finde.«

»Von mir wahrlich nicht – versetzte der Onkel –; es war aber, sag' ich dir, eine ganz angemessene, klare, wahre, unbefangene, kurz gefaßte, derb ausgedrückte Recension – – Der Fritz, auf den deine Erzählung eigentlich gemünzt war, er fing an, während derselben einzuschlafen, und vernahm das Wenigste, und vollends von der Nutzanwendung gar nichts.«

»Der Range! rief die Tante aus: Er ist eingeschlafen, sagst du?« [236] »Das wohl nicht – entschuldigte die Großmutter – er nickte bloß ein wenig, – so so« ...

»Aber gewiß nicht zum Beifall, versetzte der Onkel. Um es kurz zu sagen: die Erzählung machte ihm Langeweile; und unter solchen Umständen ist freilich der Schlaf eine wohlthätige Erquickung, ein wahres Labsal, ein unschätzbares Geschenk der Natur.«

»Deine Erzählungen freilich – sagte die Tante, indem sie die Neckerei lebhaft fortsetzte – sie halten wohl leicht den Buben wach, weil sie seinen Unarten schmeicheln, und seinem Aberwitz Nahrung verschaffen. Deine alberne Geschichte von gestern z.B. hat ganz seinen Kopf eingenommen, und er lebt, glaub' ich, träumend und wachend in ihr.«

»Das wäre allerdings die günstigste Recensionfür dieselbe,« unterbrach der Onkel.

»Heut Morgens – fuhr die Tante fort – statt mir einen guten Morgen zu wünschen, was thut er? er kommt mir muthwillig mit dem Gruß entgegen: Bons Dies, Hans!«

»Nun, sagte der Onkel, und du hast ihm doch höflich erwiedert: ›Dei Grats, Hans?‹«

»Ich kann dich wahrlich nicht begreifen – sagte die Tante, fast ärgerlich – wie du in solcher Mähre etwas Lehrreiches für Kinder finden magst.« [237] »Lehrreiches? – erwiederte der Onkel – muß denn alles eben lehrreich seyn? Ist denn das Ergötzliche nicht eben so viel werth, unter gewissen Umständen, und noch mehr werth, als das Lehrreiche? Hat nicht alles seine Zeit, das Weinen und das Lachen, so auch der Ernst und der Scherz, die Lehre und die Posse? – Lehrreich soll alles seyn? sagst du. Wohlan! meine Geschichte ist allerdings lehrreich, (fuhr er mit verstelltem Ernst fort). Erstens übt und stärkt sie die Auffassungskraft und das Gedächtniß, zwei Seelenvermögen, die nicht vernachlässigt werden dürfen, will man anders, nach achtbarer Philosophen Meinung, den Menschen zum Menschen erziehen. Zweitens wird an solchen Exempeln der Sprachunterricht unglaublich befördert! wie mir jeder praktische Philolog Recht geben wird; denn eben das Regelgerechte, wo könnte es klarer nachgewiesen werden, als in dem Fehlerhaften? Drittens – –«

»Schon genug! – unterbrach die Mutter. – wenn die Männer ins Kritisiren und Spintisiren gerathen, so finden sie kein Ende, und wollen trotz allen vernünftigen Widerreden, zuletzt doch immer Recht behalten. –«

»Gerade so, mit Vergunst! wie die Frauen« – sagte der Onkel.

»Fahrt ihr aber so fort – sagte die Mutter, – [238] unsere anspruchlosen Geschichten nach eurem strengen literarischen Maßstabe zu messen, so werde ich mich wohl hüten, euch etwas zum Besten zu geben, aus Furcht ihr möchtet mich, wohl gar hinterrucks, zum Besten halten. Denn – woran ich wohl schon nebenbei gedacht habe – was würdet ihr zu einem Mährchen sagen, das zugleich eine Legende in sich faßte? Müßte es euch, gestrengen Kunstrichtern, nicht als ein Gräuel, als eine poetische Mißgeburt erscheinen?«

»Es würde uns – sagte der Onkel verbindlich – als ein goldener Ring erscheinen, der einen Demanten in sich trägt.«

»Dieses vorläufige Urtheil eines sonst eben nicht sehr nachsichtigen Kritikers – erwiederte die Mutter – gibt mir Muth, der Sache weiter nachzudenken, und das Gebilde, so viel in meinen Kräften liegt, ganz auszuführen, und wohl zu gestalten. Dermalen aber noch, und schon heute, bin ich nicht im Stande, den Anmuthungen der herausfordernden Gesellschaft zu entsprechen. Wohl aber glaube ich, man könnte füglich die Männer in Anspruch nehmen, daß sie die Kinder während der Abendstunde mit Histörchen unterhalten, denn es bedarf ja von ihrer Seite nur eines Blickes in die Bücher, die sie, meineidiger [239] Weise, sich angeeignet, um mehr als hinlänglichen Stoff für die Abendunterhaltung zu finden.«

»Eines Blickes – sagte der Vater – hast du dich doch auch erst heute Morgens gewürdigt, in die kostbare Legende, die ich in jenem Winkel aufgefunden.«

»Ich will es nicht läugnen – versetzte die Mutter – und der Moder, der mich daraus anroch, steckt mir noch in der Nase.«

»Ermesset denn, ihr Frauen – sagte der Onkel – welche Ueberwindung, welche Aufopferung es von unserer Seite kosten mag, Fremdes uns anzueignen, während ihr alles dieß, und noch mehreres, so gar leicht, ohne Anstand und Widerstand, als Eigenes erfindet und darstellet, wie z.B. eine Geschichte vom Thierquäler.«

Nachdem man sich so einige Zeit lang in scherzhaften und neckenden Reden und Widerreden erheitert hatte, so haben sich zuletzt, auf Zudringen der Frauen, die Männer doch herbei gelassen, für die Abendunterhaltung Sorge zu tragen. – Der Großvater sagte: Er wolle sich der gnädigen Erlaubniß der Damen bedienen, und wieder aus dem, in Schweinsleder gebundenen Buche eine Erzählung, ein Ostermährlein, auslesen und vortragen, etwa – [240] damit doch wieder auch eine Fabel aufs Tapet komme – die Geschichte »vom Zaunköniglein, oder: wie die Vögel einen König wählen.« – Der Vater sagte: Dieß Mal wolle er sich eines Plagiats enthalten, obwohl er freilich nicht wisse, ob es doch nicht etwa ein Plagiat sey, denn die Menschen von Heute hätten doch das Meiste, wo nicht Alles von den Menschen von Gestern, und das Neue sey eben immer das Alte, wie Salomon sage. Der Held seiner Geschichte aber sey niemand anders, als der Teufel, der von einem Bauern überlistet wird; übrigens ein ganz dummer Teufel, der also weder Frauen noch Kindern einen besondern Respect, geschweige eine Furcht einflößen könnte. – Der Onkel endlich sagte: er habe ein Mährchen im Sinne, das er, an verschiedenen Orten, auf verschiedene Art gehört, und nun, nach eigner Weise, zusammen zu stellen und vorzutragen sich vorgenommen hätte.

Am Abend, zur festgesetzten Stunde, indem die ganze Familie versammelt war, schickten sich die Männer an, ihre Geschichten, der Reihe nach, zu erzählen.


* * *

[241]

Das Zaunköniglein.

Der Vögel muntere Schaar entschloß sich einsmals, ein Oberhaupt zu wählen, und einen aus ihrer Zahl zum König zu machen. Sie versammelten sich demnach in einer einsamen Gegend, um da Rath zu halten; und, damit sie um so ungestörter verhandeln könnten, stellten sie an allen Orten Wachen aus; die Raben mußten die Wege und Straßen besetzen, die Störche auf den Thürmen der Dörfer und Flecken in die Ferne sehen, die Schnepfen in den Wäldern auf guter Hut seyn, und sogar die Spatzen auf einzelnen Bauernhöfen Wacht halten. Bei der Nacht schrie der Hahn die Stunden aus, die Nachteule machte die Runde bei Hecken und Stauden, und der wachtbare Guckuck stand auf der verlornen Schildwacht.

Drei Tage verstrichen, bis die ältern und verständigern Vögel dieses Ratherkenntniß faßten: Derjenige sollte zur königlichen Hoheit erhoben werden, den die freigebige Natur mit dem schönsten Kleid angethan hätte. Da hätte man nun sehen sollen, mit welcher Sorgfalt sich die Vögel beeifert, sich schön heraus zu putzen und ihre Gestalt zu verherrlichen. Sie flogen wechselweise an den Fluß, der an ihrem Wahllager vorbei floß, und wuschen und badeten [242] sich, und fiederten ihre Flügel, und suchten alle Federlein an ihrem Leibe aus, und tauchten wieder ins Wasser, und trockneten sich an der Sonne, und reinigten und putzten sich wiederum, bis sie kein Fehl mehr an sich sahen. So dauerte es drei Tage; und sie traten in den Kreis, und jeder hoffte, daß er zum Könige erwählt werde. Am ersten Tage konnte man glauben, daß der Pfau den Preis davon tragen würde; denn wenn er sein Gefieder ausspreitete, so verlugten sich schier Aller Augen in den strahlenden Augen seines Schweifes. An dem andern Tage trat der indianische Rabe auf, und ließ sein purpurnes Gefieder an der Sonne spielen; und es schien, als wenn er allen obsiegen werde wegen seiner schönen Gestalt.

Niemand hatte mehr Lust, einen Wettstreit einzugehen, als die geschwätzige Aelster, aber ihr Federkleid hatte gar keinen Geschmack von der Welt. Doch was vermag die Arglist nicht und die Eitelkeit? Am dritten Tag ging sie an den Fluß, und nahm die Geiwitze (Kibitz) mit sich. Hier suchte sie mit allem Fleiße die schönen Federlein zusammen, welche die andern Vögel abgelegt; und die Geiwitze mußte ihr als Kammermädchen dienen, und ihr die raresten, in weißem Pech eingetaucht, an ihrem Leib ankleben. Zur Belohnung versprach sie derselben einen sichern [243] Dienst in ihrem Reiche, wenn sie die Krone erhalten sollte wegen ihres Aufputzes. Also geziert und geschmückt kehrte sie ins Lager zurück, und spazierte mit bedachten Schritten einher, daß sie von allen gesehen werden konnte, und fast jeder bewunderte die Pracht ihres Gefieders, und meinte, daß nichts Schöneres gedacht werden könnte. Denn sie war auch mit aller Kunst herausgeputzt; auf ihrem Kopfe trug sie eine Krone, welche aus grünen, rothen, gelben und bläulichen Federn, gleich den kostbarsten Juwelen, gebildet war; die Flügel und der Rücken war bedeckt mit purpurfarbenen Federlein, der vordere Leib aber mit goldfärbigen, mit weißen und röthlichblauen unterlegt, welches wie eitel Silber und Gold schimmerte; an dem Halse bis auf die Brust hing die allerschönste Halszierde, welche aus Pfauenaugen zierlich gebildet und gerundet war; der Schnabel sah aus, wie Elfenbein, weil sie ihn aus ihren eigenen schneeweißen Federlein bedeckt hatte; endlich ihre Füßchen waren mit hellgelben Federlein des Canarienvogels überzogen, und ihr Schweif glich dem des Papagei's. So geschah es denn, daß, als am vierten Tage die Wahl vor sich ging, die Aelster fast einstimmig zur königlichen Würde erhoben wurde. Nur der Papagei machte eine Einrede und widersetzte sich; er sagte, daß weder in Afrika, noch[244] in Asien, noch in Europa ein solcher Vogel je gesehen worden wäre; er zweifle stark, ob nicht ein Betrug dahinter stecke; wenn man die Probe ihm überlassen wolle, so werde er es schon zu machen wissen, daß die Wahrheit an den Tag komme. – Als nun am Morgen des fünften Tages sich alle Vögel einfanden, um ihre Huldigung darzubringen, so stellte der Papagei das ganze Federvolk in einer flachen Ebene in Ordnung, und wies dem neuerwählten König einen kleinen Grashügel zum Platze an, von wo aus er alle Vögel übersehen konnte; und der Papagei selbst, der ein kluger Hofmann war, hielt eine zierliche Rede an die versammelte Vögelschaar, von der Macht des Herrschers und vom Gehorsam der Unterthanen; und er zog seine Rede so aus einander, bis endlich die schwüle Sonnenhitze zu wirken anfing, und, nach geschmolzenem Pech, die Federchen der Aelster, wie Schweißtropfen, herab fielen. Welch ein Spektakel! Die Aelster stund ganz beschämt da; der Betrug lag vor Augen; sie mußte allen Schimpf und Spott ertragen. Drauf wurde Standrecht über sie gehalten, und das Urtheil fiel dahin aus: Es sollte von nun an bis auf alle ewigen Zeiten die Aelster verwiesen seyn, und keine Stadt mehr betreten, und in einem Trauerkleid, schwarz und weiß, auf dem Lande umher fliegen im Elend. Die Mitschuldige, [245] die Geiwitze, erhielt den Bescheid: Sie sey sofort verdammt und verwiesen auf das nasse Ried und auf das öde Moos; Trauerkleidern soll sie auf ewig ihre Schuld beweinen, und Tag und Nacht mit kläglicher Stimme seufzen: Wehe mir! wehe mir!

Nachdem das Urtheil an der Aelster und an ihrer Mitschuldigen vollzogen war, und der Habicht und der Geier sie hinaus gejagt hatten in die Wildniß, so schritten die Vögel zu einer neuen Wahl. Anfangs waren sie der Meinung, man solle demjenigen die Krone aufsetzen, der die andern alle in der Stimmkunst übertreffen werde. Allein es erhoben da mit Einem Male alle Singvögel ihre Stimme, und sangen so laut und grell durch einander, daß man keines Vogels Stimme mehr unterscheiden konnte; die Nachtigall selbst mußte schweigen, und entfloh in einen fernen Busch, um dort ungehört fort zu singen; und zuletzt, nachdem sie sich alle heiser gesungen, ließ nur noch der Gimpel seine Stimme hören, und das Spötterlein, das ihn ausspottete. Wer wollte aber diese zu Königen haben? Da nahm der schlaue Papagei das Wort wieder, und sagte: Es hätten die Singvögel von der langen Herreise den Strauchen oder Schnuppen gekriegt: und überhaupt könne man keinen gewissenhaften Unterschied zwischen den kleinen allerliebsten Zuckerfressern machen.

[246] Also wurde letztlich der einhellige Entschluß gefasset, daß man jenen zum König machen wolle, der mit seinen Flügeln zu höchst gegen die Sonne sich erschwingen könne. Indem sich nun alle Vögel zurichteten, um in die Wette zu fliegen, und ein großes Geflatter und Gedräng wurde im Lager: da mußte sich das kleine und verächtliche Zaunschlüpferlein gar sehr ducken und schmucken, daß es nicht von den größern Vögeln zertreten oder von ihren Flügeln zerschlagen ward. In des Herzens Angst nahm es seine Zuflucht auf den Rücken des Adlers. Jetzt wurde von den Lerchen, wie von Trompetern, das Zeichen gegeben; und sieh! mit Einem Male, daß schier die Sonne verfinstert wurde, rauschten nach Hunderten die Vögel durch die Luft in die Höhe. Aber die wenigsten konnten den Zuschauern aus den Augen kommen, so ermatteten sie schon. Der Adler allein rang mit dem Falken um die Krone. Gähling fing auch der Falk an zu sinken; darauf sich der Adler zu dreien Malen in einem Kreis herum schwang, als wollte er die Sonne begrüßen, und flog dann, wie ein schneller Pfeil, zur Erde nieder. Das Zaunschlüpferlein aber, das auf des Adlers Rücken sich verborgen hatte, nahm erst recht seine Kräfte zusammen, und schwang sich weit über den Adler zu allerhöchst gegen die Sonne, und ließ sich dann ganz [247] sanft aus den Lüften herunter. Das hatte allein der Falk mit seinen scharfen Augen bemerkt. Wie nun im Vogellager ein großer Jubel sich erhob, und alle den Adler als ihren König begrüßten: da stürzte sich, wie ein Blitz, der Falk aus der Höhe herunter, und brachte die unerwartete Botschaft, daß dem kleinsten aus allen die Krone gebühre von Rechts wegen; und er erzählte den seltsamen Hergang der Sache. Die Vögel verwunderten sich drob, und erklärten zuletzt: daß zwar dem Adler die Krone gebühre, als dem, der den gewaltigsten und höchsten Flug habe, daß aber billigerweise das Zaunschlüpferlein, weil er zu höchst geflogen, den Titel führen, und von nun an Zaunköniglein heißen soll. Diese Nachricht hinterbrachte ihm alsogleich der Falk; und wie das kleine Vögelein jetzt näher kam, so flogen ihm die Singvögel alle freudig entgegen, und priesen ihn mit ihren klingenden Stimmlein, und huldigten ihm als ihrem König und Herrn. Hierauf, nach diesem prächtigen Vorgang, machte sich alles Federvolk aus einander; denn es war an der Zeit, daß jeder seine Sommerfrist beziehen mußte.


* * *

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Büchlein für die Jugend. 10. Das Zaunköniglein, eine Fabel. - Der Teufel und der Bauer, usw.. Das Zaunköniglein. Das Zaunköniglein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1526-C