32. Der Herr und der Diener.

Der Herr saß in der Kutsche, der Diener auf dem Bock. Die Fahrt ging nach dem, etliche Stunden vonMünchen [99] entlegenen Würmsee, wohin die vornehmen Städter an geschäftsfreien Tagen gern einen Ausflug zu machen pflegen. Anfangs, so lange sie durch die bekannte, bewegte Gegend fuhren, that der Herr manche Frage, die der Diener kurz und gut beantwortete; es erging sich die Rede über die Pferde, ihre Fehler und Tugenden, über Schiff und Geschirr, was erneuert und angeschafft werden sollte, und daß das Futter von Jahr zu Jahr theurer werde. Nun kamen sie an den kurfürstlichen Park; der Kutscher stieg ab, um das Gitter zu öffnen, und nachdem er die Rosse bedächtig durchgeführt, schloß er wieder die Schranke, wie es das Gesetz verlangte. Indem nun aber der Wagen eine weite Strecke auf dem geraden und ebenen Wege durch den Park rollte, nahm der gelehrte Herr ein Buch vor sich und las, und der Diener hing seinen Gedanken nach, die ihn seit lange gar sehr beschwerten. Der geneigte Leser soll das Geheimniß sogleich erfahren. Eine ehrbare Wittwe, die Fuchsbräuin, hatte dem wackern Burschen ihre Hand angetragen. Die Frau gefiel ihm nicht übel; die Wirthschaft nährte den Mann; Alles wäre recht gewesen. Dagegen aber, wenn er gedachte, daß er einen so guten, gnädigen Herrn verlassen sollte, der mit ihm, und mit dem er schon so lange zufrieden gewesen, da fiel es ihm wie ein Stein aufs Herz, und bedrängt von diesen Betrachtungen, seufzte er laut auf. Der Herr vernahm's; er bückte sich vor, um zu sehen, ob der Diener schlafe und träume; da er aber bemerkte, daß er nur in Gedanken verloren sei, so ließ er Rosse und Kutscher gehen, so langsam sie mochten. Indem nahten sie sich dem andern Gatter, das jenseits den Park verschlossen hielt. Der Kutscher war immer noch von seinen Gedanken befangen, so daß er die Schranke nicht bemerkte. Sieh! da kam ein Mann nach und vor, der das Gatter öffnete, während die Rosse von selbst stille hielten. Nun erwachte der Diener aus seinem Traume; und in der Vermuthung, es sei ein Bettler, welcher herbeigeeilt, um den [100] Dienst zu verrichten, warf er ihm wohlwollend einen Kreuzer zum Lohn hin, ohne sich nach ihm umzusehen. Dann fuhr er rasch durch die Oeffnung und weiter des Weges. Aber plötzlich hörte er »halt!« hinter sich rufen, und wie er sich um sah, erblickte er seinen Herrn, welcher zu Fuße nach kam. Er besann sich, er erschrack. »So geht's in der verkehrten Welt«, sagte der Herr, nachdem er wieder eingesessen, – »der Diener bleibt sitzen, und der Herr muß aussteigen, um das Gatter zu öffnen.« Also scherzte der Herr. Doch der Diener nahm's für Ernst, und er sagte: »Gnädiger Herr, habt nur heute noch Geduld mit mir, ich will mich zusammennehmen, so gut ich's kann; morgen aber jagt mich meinethalben aus dem Dienst, ich verdien's nicht anders.« »Was ist dir?« fragte der Herr theilnehmend. »Was mir ist?« erwiederte jener, »ein Narr bin ich, verliebt bin ich, zu nichts nutz bin ich!« Und nun erzählte er den ganzen Handel, und schüttete sein volles Herz aus vor dem gnädigen Herrn. Dieser wurde nachdenklich; er liebte den Burschen als einen treuen und fleißigen Menschen und verlor ihn ungern; auf der andern Seite wollte er seinem Fortkommen nicht im Wege stehen, vielmehr freute es ihn, wenn er seinen Leuten zu ihrem Glück verhelfen konnte. Nach einigem Bedenken sagte er: »Das wollen wir weiter überlegen, und zu seiner Zeit wieder davon sprechen. Fahr' zu!« Also fuhr der Diener wohlgemuth zu, und merkte nun fleißig auf Wagen und Rosse; und Abends, als sie desselben Weges zurückkehrten, vergaß er nicht das Gatter zu öffnen beide Mal. – Es waren seitdem ungefähr acht Tage verflossen, als der Herr seinen Diener zu sich berief, und ihm sagte: »Hör'! mit deiner Heirath ist's richtig, wenn's anders auch dir recht ist. Die Wittwe, die ich als eine brave, fleißige Hausfrau kennen gelernt, bringt dir Heimat und Gewerk zu, und du kannst dich sogleich in ein gemachtes Bett legen. Also hab' ich's mit ihr verabredet, und somit den Kuppelpelz verdient.« [101] Der Diener war dankbar gerührt über die Gnade des Herrn; der Vorschlag ward angenommen, und nach vier Wochen die Hochzeit vollzogen.

Das ist eine Geschichte aus der guten alten Zeit. Beide Männer, der Herr und der Diener, stehen noch heutigen Tages in gutem, rühmlichem Andenken bei Hoch und Niedern. Noch, wenn in München von ehrenwerthen Bürgern die Rede ist, spricht man von dem alten Fuchsbräu als Muster von Thätigkeit, Redlichkeit und freundlichem, geselligem Umgang und Wesen. Ist aber die Rede von hohen, einsichtsvollen Beamten, gründlichen und besonnenen Gelehrten, würdigen und leutseligen adeligen Herren, so wird vor allen Ein Name genannt: der Kanzler Freiherr von Kreitmayr, der bayerische Gesetzgeber.

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Zweiter Theil. 2. Allerlei erbauliche und ergötzliche Historien. 32. Der Herr und der Diener. 32. Der Herr und der Diener. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1582-9