11. Der Antichrist.

Volkssage.


Es geht eine Sage im Volke, daß gegen das Ende der Zeiten der Widerchrist erstehen werde, um das Reich Gottes auf Erden, die Kirche Christi, zu zerstören. Es lautet aber die Prophezeiung also: Von einer Schlange mit einer Hure erzeugt, wird er zu Babylon geboren. Bei dessen Geburt fällt Feuer vom Himmel, zum Zeichen, daß der [62] große Widersacher in die Zeit und die Welt gekommen. In seinem dreißigsten Jahre wird er sich aufmachen, die Juden aus allen Ländern um sich sammeln, und dann mit großer Macht nach Jerusalem ziehen. Hier erbaut er auf's neue die Stadt und den Tempel, in welchem er, prangend in königlichem Schmucke, auf einem Throne sich anbeten läßt. Von da zieht er aus mit großer Macht; Wunder und Zeichen gehen ihm voran, und Gräuel und Schrecken begleiten seinen Zug. Die ihm folgen, tragen als Bundeszeichen ein auf die Stirn geprägtes N, das heißtNEGO (Christum). 1 Diese also Bezeichneten streiten Alle gegen jeden, der ihren Herrn und König nicht anerkennt. Insbesondere wird seine Gewalt und Arglist gegen die Christen gerichtet sein. Um die Schwachen zu verlocken und die Starken zu brechen, wird er glänzende Anerbietungen machen, und grausame Martern verhängen. Das Häuflein der Christen aber wird, bei dem allgemeinen Abfall, in manchem Lande so klein werden, daß es mit einer Wanne zugedeckt werden könnte. Drei Jahre dauert seine Herrschaft auf Erden; am Ende derselben will er auf feurigem Wagen vor Aller Augen gen Himmel fahren. Da öffnen sich aber die Himmel, und St. Michael erscheint mit dem flammenden Schwerte, und schlägt den Widerchrist; und die Erde bebet und birstet, und verschlingt ihn und seinen ganzen Anhang. Nachdem dies geschehen, beginnt das Reich Christi, das tausendjährige, in welchem die Kirche Gottes auf Erden, frei von allen Feinden, Anfechtungen und Verfolgungen, ihren zeitlichen Sabbath feiern wird. Denn Satan liegt nun gebunden in den Abgründen der Hölle. Nach Ablauf dieser Frist von einem Jahrtausend wird aber der Herr selbst erscheinen in seiner Herrlichkeit, zu richten die Lebendigen und die Todten; und seines Reiches wird kein Ende sein.

[63] Wann dies geschehen werde, oder ob vielleicht schon jetzt die Zeit bevorstehe, das weiß kein Mensch; nur Gott weiß es. Du aber, der du mit Angst in die Zukunft und mit Furcht auf die Gegenwart blickest, sei vielmehr auf der Hut, daß der Widerchrist nicht in dir selbst, in deinen verderbten Herzen, von dem Hochmuth erzeugt und von der Sinnenlust geboren werde. Wahrlich! all der Gräuel, den jene Sage verkündet, wird da in Erfüllung gehen. Der Geist, der verneinet, wird allmählich alle bösen Gedanken und Neigungen versammeln, um wider die guten zu streiten. Und der Glaube wird zuletzt so sehr in Abnahme kommen, daß er wie ein verdecktes Fünklein im verborgenen Herzwinkel schier verkümmern wird. Gebe Gott! daß am Ende der Tage nicht die strafende Gerechtigkeit als verzehrendes Feuer dich verderben, sondern die siegende Gnade, welche Wunder wirkt auch in dem Sünder, als reinigende Flamme dich läutern möge zur Verherrlichung Gottes und seines Reiches.

Fußnoten

1 Ich läugne Christum.

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Zweiter Theil. 2. Allerlei erbauliche und ergötzliche Historien. 11. Der Antichrist. 11. Der Antichrist. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-15F2-D