[83] Vierte Handlung
Festsaal einer Reichsstadt, in welche der Kaiser zum Reichstag gekommen ist. Vor der Audienz. Prälat, Hauptmann, Schatzmeister warten mit dem Hofmarschall zusammen. Durch offene Fenster sieht man in geschmückte Straßen. Lärm vom fröhlichen Treiben draußen.
PRÄLAT.
Die Majestät befahl uns zur Audienz
Jeden 'ne halbe Stunde nach dem Andern,
Doch ihr beliebte, scheint's, uns aufzureihn
Zu einer Perlenkette ... Hofmarschall,
Wann kommt der Kaiser?
HOFMARSCHALL.
Seine Majestät
Sind jung –
PRÄLAT.
So schaun wir uns die Bilder an!
Umhergehend.
Adam und Eva vor dem Sündenfall –
Je nun, ihr Paradies kennt Wurst und Kloß,
Und dort der Noah ist von Bier berauscht.
Doch die Madonna, brav, der die gemalt,
Hat sich in Mailands Kirchen umgesehn –
Die Südkunst kommt herüber wie der Föhn.
HOFMARSCHALL.
Und mischt sich mit dem Nord.
PRÄLAT.
Das loben wir!
Blieb stets verschieden, was verschieden ist,
Wann ließ' mit einem Wort sich jeder lenken,
Wann reifte so die Welt zum Gottesstaat
Mit einer Herde einem Hirten zu?
[84]HOFMARSCHALL.
Daß wir vom Süden nehmen, lob ich auch,
Was nimmt der Süd vom Norden?
PRÄLAT.
Aber Freund:
Der drängt mit seinem Ernst und ruft dadurch
Den Süden wach. Der Mönch in Wittenberg –
Drei Kreuze schlag ich! – Aber seht Ihr nicht,
Wie in der Kirche allzu munterm Bunt
Das Schwarz sich kräftigt? Das verdankt sie ihm –
Zerschlagen wollt' er, und er schmiedet sie
Fest, bis sein eigner Hammer dran zerspringt. –
Ihr, stark im Glauben, Hauptmann, hab ich Recht?
HAUPTMANN
der immer abseits steht, schwerfällig.
Prälat, in meiner Schar sind Römische –
Und Luthrische – und Deutsche allerlei
Aus Nord und Süd, und so und so. Ich mag
Sie alle wohl, denn gerad aus seiner Art
Nimmt jeder seine Kraft. 's ist wie ein Land:
Da Feld mit Korn, mit Weizen eins, nicht weit
Mit Flachs eins, Hopfen, auch ein Hang mit Wein.
Und Wiesen da und Wälder rings mit Wild,
Und Städte, drin das Handwerk, so und so,
Allerlei schafft – im Land ist all das drin,
Und alles das zusammen, sozusagen,
Macht, sozusagen, aus dem Land das Volk.
Draus kommt mein Heer. Da steht der Feind – he du,
Verschmitzter, schleich dich drum! Du derber du,
Faß ihn gradaus! Mir scheint, wir würden arm,
Würd' alles einerlei ...
Draußen erhöhter Lärm, der auf das Nahen des Kaisers deutet, der Hauptmann bleibt aber, einmal in der Fahrt, beim Thema.
Zu Fähnlein eint sich,
Was sich verträgt und lieb hat, stärkt und hilft.
Treib's jedes Fähnlein doch, wie's ihm beliebt,
Stehn alle nur zusammen widern Feind!
[85]PRÄLAT.
Für Gottes Sach.
Draußen Fanfarenstöße.
HOFMARSCHALL.
Die Majestät, ihr Herrn, die Majestät!
Ab.
HAUPTMANN
schwerfällig, noch beim Thema.
Die Sache, Eminenz,
Die nennt sich selber immer Gottes Sach,
Verzeiht! Wer nur Soldat, versteht das so:
Die rechte Sach ist die, zu der du schwurst.
Ich, beispielsweis, ich schwur zum Bund, drum bin ich
Der Bauern Feind und Freund von Pfaff und Ritter,
Bin's, weil ich schwur, und sonst aus keinem Grund,
Und steh als Feind der Bauern darum hier.
Der Kaiser. Die Pforten öffnen sich unter Trompetenstößen. Dann schreiten, gemessen und feierlich, die Großen in Zügen herein, teilen und ordnen sich nach dem Thronsessel hin, den Weg für den Kaiser freilassend. Die Pagen streuen Blumen. Würdenträger. Beim dritten Trompetenstoß tritt der Hofmarschall wieder herein, und stößt mit dem Stabe auf.
HOFMARSCHALL.
Des Kaisers Majestät.
Alle neigen sich tief. Da kommt heiter, mit leicht markiertem Tanzschritt, wie ein vornehmer Herr,
der gutgelaunt mitmacht, an der Hand des neuen Narren Mephistopheles der junge Kaiser herein. In der Mitte der Bühne hält der Narr plötzlich inne und stellt, den Hofmarschall nachäffend, seinerseits vor.
NARR.
Des Kaisers Majestät.
DER KAISER
wie aufgewacht, verlegen.
Verzeiht, der Festrausch und der Straßenscherz –
Was tat ich da!
[86]PRÄLAT.
O hohe Majestät,
Uns aus dem Süden freut es, wenn die Sonne
Auch hier im Norden aus den Wolken lacht.
KAISER.
Nein, war das schön, was draußen ich gesehn!
War das noch eine Stadt? Die bunten Häuser,
In Kränz' und Blumen grünt' und blühten sie,
Der schmale Himmel ob den Gassen droben,
Wie leuchtet' er, der Himmelsbach von Blau,
In Fahnenwogen schwamm er lachend hin,
Und durch die Straßen wie von Blumen schwamm's,
Von Rosen, Lilien, Apfelblüten, Malven –
Weiß ich, wovon? Vom Menschenvolk im Putz,
Das grüßt und lacht' und weht' und glänzt' mich an
Und war mir gut! Wie bin auch ich ihm gut,
Sein Kaiser will ich sein, und will ihm helfen,
Was ich nur kann – und dann die schönen Fraun –
Ach Freunde, diese Frauen hier ... und eine ...
Auf den Narren deutend.
Da fand ich den, denkt, zwischen Mädchen stand er,
Und plötzlich vor mir – »Wie ich springen kann,
So kann ich alles«, sagt er, »nimm mich mit,
Dann tanzt die Welt dir immer wie im Rausch«.
Ich lacht und sagte: »Komm ..« Verzeiht, ihr Herrn ...
Ich bin noch jung, doch folg ich gutem Rat ...
NARR.
Verzeiht ihm, Herrn, und glaubt: er hat Talent.
Während der Kaiser spricht, ist ungesehen von ihm, aber wo er vorbeikommt tief begrüßt, derKanzler langsam hereingeschritten. Ein Greis, dessen Erscheinung sofort seine überragende Bedeutung erkennen läßt.
[87]KANZLER
zum Kaiser mit ehrerbietiger Verneigung und vom Anfang bis zum Schluß ohne jede merkbare Ironie im Ton.
Die zur Audienz Befohlnen sind bereit.
Zu den Hereingekommenen.
Den übrigen dankt Seine Majestät
In Gnaden für das festliche Geleit.
Zum Reichstag kam sie her, zum Staatsgeschäft,
Doch eine Sonne, die den Jubel weckt,
Verschmäht auch nicht, dem Jubel noch zu leuchten.
Indessen jetzt ruft kaiserliches Amt:
Auf Wiedersehn! grüßt euch die Majestät
Und dankt euch!
KAISER.
Ja, ich dank euch, meine Lieben!
Zum Kanzler, leise.
Du weißt doch immer Rat – ich danke dir.
Während sich der Saal von den Nichtbestellten allmählich leert.
KANZLER.
So sprichst du wieder – hoher Herr, es ist
Die kleine Übung täglichen Geschäfts,
Für die du dankst dem, den in jeder Stunde
Du so beschenkst, daß du nur durch ihn wirkst.
Als Geist auch, Herr! O nein, ich schmeichle nicht:
Wie klug du bist, nicht du nur denkst in dir,
Die Gnade auch, die unser Gott dir gab.
Herr, ich erprobt's mit deinen Räten allen:
Was da ein weißer Kopf in heißen Mühen
Aus fünfzig Jahren schwerer Arbeit zog:
Trug ich dir's vor – mit einem raschen Blick,
Kaum überflogen, war es schon durchschaut!
Kein junger Menschengeist vermöchte das:
Das spricht daraus, was dem Gesalbten erst
[88] Zum höchsten Amt die höchste Einsicht gibt
Die Gnade Gottes nur – der Majestät.
KAISER.
Was Ihr da sagt, versteh ich noch nicht ganz.
NARR.
Noch ein paar Wochen, Kaiser, und du glaubst's!
KANZLER
zum Narrn.
Was hieß dich sprechen?
NARR
sich gegen ihn verneigend.
Neid auf meinen Meister!
KANZLER
freundlicher.
Meint's einer ernst, verbünd' er sich dem Spaß ...
KAISER
im Vorbeigehn zwinkernd zum Narrn.
Du, ihre Augen!
NARR
ebenso.
Träumen nur nach dir ...
KANZLER
weiter zum Narrn.
Zum Angebinde, Freund.
Wirft ihm einen Beutel zu.
NARR.
Da barmen sie:
Das Geld sei rar. Es fliegt ja in der Luft!
Die Anwesenden sind bis auf die zur Audienz Berufenen unter Verneigungen hinausgegangen. Der Kaiser nimmt den Thronsessel ein. Der Narr zu seinen Füßen. Audienz.
KANZLER.
Sahn wir dich früher, eh du Kaiser warst:
Den klugen Jüngling liebten wir in dir,
Den schönen, der die Herzen rasch gewann.
Wenn jetzt du reisest durch das alte Reich,
Gesalbter du, gleich einer irdschen Sonne
Hinziehst befruchtend du von Land zu Land.
[89] Der Reichstag wartet drauf: du prüfst – es sinkt
Zu Boden, was du ablehnst, und wir wissen:
Was sinkt, verdient's, und was du hoch hältst, taugt ...
NARR
leise zum Kanzler.
Und dein Berater ...
KANZLER
leise zum Narrn.
Hat wie Gold den Strick ...
NARR
laut.
Und dein Berater, wie zur Palmenkrone
Vom Boden her das Wasser helfend quillt,
Fügt er zum Himmelslicht den irdschen Quell ...
KANZLER
laut, scheinbar unwillig.
Narr, sprich, wenn man dich fragt!
KAISER
zum Narrn.
Nachher, mein Junge ...
Verträumt.
Nachher, nachher. ...
KANZLER.
Eh du zum Reichstag trittst
Genehmigst du, die Räte hier zu hören?
KAISER
macht ein Zeichen.
KANZLER.
Schatzmeister, tretet vor!
SCHATZMEISTER.
Mein gnädiger Herr,
Ich komm zu dir vor allen, denn ich bin
Der Mann, zu dem sie alle gehn. Der da
Auf den Feldherrn weisend.
Macht Krieg, wer soll's bezahlen? Ich! Und der
Auf den Prälaten weisend.
Will Kirchen baun, ist's meine Sache? Nein!
Nun frag ihn, kommt er trotzdem nicht zu mir?
Abgaben will er, wer gibt ab? Nun: ich!
[90] Dein Hofmarschall
Auf ihn zeigend.
– ich freu mich auch der Pracht
An deinem Hof, doch soll ich sie bezahlen.
Und brauch ich Zoll und Steuern, sprech: »Gebt her!«
Zu andern Leuten, heißt's: ich wär' ein Jud –
Nun, gabt ihr mir mein Amt nicht grade drum,
Weil ihr das braucht, was ich als Jud versteh?
Verzeih des Kaisers hohe Majestät,
Ich wend mich nicht ans Himmlische in ihr,
Wie der Herr Kanzler, nein, ich frag den hellen,
Den klugen jungen Herrn, den so gewaltigen:
Was kann er tun, es kostet alles Geld?
Anstand ist fein und Ideal ist fein,
Und Ehrfurcht fein, und feinfein ist der Ruhm,
Allein das Wirtschaftliche, Herr, entscheidet,
Drum denkt an mich auch, wenn Ihr Taten tut,
Denn, unter uns, in aller Zeiten Adern
Fließt aufgelöst in ihrem Blute Gold,
Und Gold, das ist's, was die Geschichte macht!
PRÄLAT.
Du mißverstehst es nicht, was jener spricht:
Wer alles Denken seiner Arbeit gibt, –
Der sieht nur sie, der Schatzverwalter sieht
Allein des Schatzes Kraft, um die er sorgt.
Ich rüg ihn nicht, so lang er treulich dient!
Wir aber von der Kirche, denen Gott
Die Menschenseele mit der Mahnung gab:
Führt sie mir treu durchs dunkle Erdenleben
Hin ohne Schaden in die Ewigkeit –
Wir wissen, daß allein der Seele Wohl
Entscheidet und entscheiden darf! Die Seele,
Die göttliche unsterbliche, o Herr,
Sie fromm zu leiten, ist das schwerste Amt
Und heiligste! O Herr, verkürz uns du
Die Mittel nicht, ihr Stab und Hort zu sein:
Nichts geht im Irdschen ohne Irdsches an,
Nun rührt der Aufruhr an die irdischen Rechte,
Gewinngier hämmert frech an unsre Truhn,
Und Satan selbst schleicht tückisch durch die Zeit
Und sucht nach Bündnis, Kaiser, wider uns.
[91]KAISER.
Wohlwollend prüfen werd ich, was du sprichst!
Zum Kanzler.
Das muß ich immer sagen, ist's nicht so?
KANZLER.
Wie Gott ihr eingab, spricht die Majestät!
Gleichzeitig mit diesem Wortwechsel der zurücktretende Prälat zum Narren.
PRÄLAT.
Die Kirche liebt auch Scherz, sie ist dein Freund!
Gibt ihm einen Säckel.
NARR.
Wem stünd ich heiterer zu Dienst, als ihr?
FELDHERR.
Ich mein, wir sollten zur besondern Sach.
SCHATZMEISTER.
Die oder die, auf Geld kommt jede raus!
KAISER.
Ich hörte doch von einem Goldland sprechen ...
KANZLER.
In deiner Vorfahrn Auftrag ward's entdeckt.
Man sandte Männer hin, um zu erobern ...
PRÄLAT.
Und zu bekehren, Eure Majestät!
KANZLER.
Und zu bekehren – arme Heiden sind's!
Wohl!
Auf den Schatzmeister weisend.
Dieses tüchtgen Manns Gedanken zogen
Mit unsern Priestern auf den Fahrten mit.
Nun gibt es sich, daß erst vor Wochen heim
Der Kühnsten einer übers Weltmeer kam,
Und deine Diener riefen ihn hierher,
Bericht zu geben deiner Majestät –
Er ist im Vorraum, willst du ihn empfangen?
[92]KAISER.
Verlängert das?
KANZLER.
Es kürzt die Arbeit ab,
Denn jene rohe Not um gelb Metall,
Mag sein, aus dem, was jener Mann erzählt,
Entnimmst du, was für immer sie verbannt.
KAISER.
Dann komm er ja!
Zum Narrn vertraulich scherzend.
Du, wartet sie auf mich?
NARR.
Bei Tag und Nacht.
Während der Reisende geholt wird, benutzt der Schatzmeister, der auch die Vertraulichkeit des Kaisers mit dem Narren beobachtet hat, die Pause, um an diesen unauffällig heranzutreten.
SCHATZMEISTER
leise zum Narrn, auf den Kaiser hinspielend.
Du machst's mit Weibern. Nun, ist auch ein Weg!
Ein kluger Weg! Auf gut Geschäft, mein Freund!
Gibt ihm einen Säckel.
NARR.
Da schau, Ihr gebt dem Narrn sogar
Den Beutel werfend.
Verstand!
HAUPTMANN.
Herr Kaiser, Ihr verzeiht, daß ungefragt
Ich dreinred, aber länger leid's mich nit.
KANZLER.
Das Wichtige vor dem Minderwichtigen, Herr!
HAUPTMANN.
Zehn Meilen weit von hier ...
KANZLER.
Fließt Blut, ich weiß –
Ist's der Soldat, der das so schlecht verträgt?
[93]HAUPTMANN.
Zehn Meilen weit von hier fließt unnütz Blut,
Längst wär der Kampf am End, die Bauern längst
Bei Herrn und Fron im Werk, bei Weib und Kind,
Hätt ich die Landsknecht, die mir zugesagt.
Nun drucken sie ein Fähnlein da zurück,
Dort dringt eins vor, hin geht's und her, die Schelme
Meinen, sie zwingens, meine Leut, die murrn,
Und so und so. Nicht Krieg noch Frieden ist's,
Sind wackre Leut bei meinen. Wackre Leut
Doch, doch, auch drüben! Bei den armen Hunden
Auch Edle, nebenbei gesagt – ach was,
Mich geht nichts an als die beschworene Sach!
Die will ich gut verrichten, Majestät:
Drum bitt ich um die zugesagten Leut
Und um den Sold, den wir den alten schulden.
Die Großen tun ihr Sach nicht: schaff uns Geld,
Daß wir ein Ende machen, unserthalb
Und auch der Bauern halb, des Landes halb.
Verschaff uns Sold, sie plündern sonst vom Volk –
Und dann: schaff Dienst im Ausland, nicht daheim.
KAISER.
Ich will's wohlwollend ...
Der Hauptmann neigt sich kurz, der Kaiser verstummt betroffen.
KANZLER.
Sprich nicht weiter, Herr,
Er ist von kleinen Leuten, er versteht
Die bessre Sprache nicht ...
EDELMANN
vortretend.
Ich bin vom Adel,
Ich klag ihn an: er pflegt sein Amt nicht recht –
Bei Baumbach hätt ein bissel List genügt,
Man sagte: »Legt die Waffen ab, 's ist Friede«,
Sie waren ja bereit, und fing sie dann.
HAUPTMANN.
Kampf schwur ich, nicht Verrat.
[94]EDELMANN.
Ei Teufel, Herr,
Jetzt ist doch Not!
BÜRGERMEISTER
vortretend, eifrig.
Weiß Gott ist Not, Herr Ritter,
Doch kommt den Städtern sie vom Bauern nicht –
Wer plagt den Handel?
EDELMANN.
Und wer protzt uns vor,
Die wir doch edlern Bluts? Ein Sonntagsrock,
Wie ihn das Weib vom Pfeffersacke trägt,
Kostet den Zins von einem Dorf im Jahr!
KANZLER.
Wollt ihr euch zanken vor der Majestät
Um Bauernschmutz?
HAUPTMANN.
Es gilt ein Volk in Not!
KANZLER.
Da warten hundert Völker auf der Erde ...
PRÄLAT.
Von unerlösten Heiden ...
KANZLER
ganz ablenkend.
Daß sie bade
Des Kaisers Huld in eine neue Gnade.
Aus allen Reden, Kaiser, die du hörst,
Und ob sie sich mit Edelpelz verbrämen,
Wirst du den einen stillen Wunsch vernehmen,
Den einen starken Wunsch, den dieser Mann
Auf den Schatzmeister zeigend.
Mit kaltem Kopfe kalt nur fassen kann,
Den Wunsch nach Geld
Unwillige Gebärde des Kaisers.
– Nein, nein, er hat nicht Recht!
Dem widerstrebt dein kaiserlich Geschlecht,
Dem widerstrebt, was in uns allen ringt
Und aus den Herzen dir zum Throne dringt:
[95] Das Gold ist starr und tot, ist nur Metall,
Die Macht allein ist's, was regiert im All,
Immer eindringlicher.
Die grünend wächst und purpurfarben blüht,
Bis aus den Blumen leuchtend Frucht erglüht
Und ihren Samen saatenschwer versprüht!
Die Macht ist Gottheit für ein stolz Gemüt,
Die Macht ist Leben, Schaffen ist die Macht,
Das Edles lohnt und Frevelndes zerkracht –
Was ist dir Gold! Du strebst nach Macht, mein weiser,
Mein jugendkühn zum Licht gewandter Kaiser,
Nach Macht zu beugen, daß sie knien und flehn ...
KAISER
beteiligt.
Auch zu erheben, daß Befreite stehn ...
KANZLER.
Macht heißt, zur Wüste flüchtet sich der Feind ...
KAISER.
Macht: aus der Wüste hol ich ihn als Freund ...
KANZLER.
Macht, daß im Reiche deiner Majestät
Die Gottessonne niemals untergeht.
KAISER.
Bei deinen Worten, Kanzler, scheint der Traum
Ein lebendes Gebild im wachen Raum!
KANZLER.
Nimm dir's, du kannst es!
SCHATZMEISTER.
Aber Waff und Sold
Und Schiff und Heer heißt immer wieder: Gold.
Der Abenteurer wird gemeldet. Während der Erregung infolge des gesteigerten Gesprächs, und während der Abenteurer hereintritt und den Kaiser mit dem Knie grüßt, sagt der.
KANZLER
schnell zum Narrn.
Ich rate dir, du schweigst!
[96]NARR.
Ich tat's schon lang,
Vor deinem – Witz wird meinem armen bang!
HOFMARSCHALL
zum Kaiser.
Der Spanier, der den kühnen General
Begleitet hat ins überseesche Land.
KANZLER
zum Kaiser.
Und hast du oft vernommen, was geschah,
War's doch Bericht nur, redendes Papier.
Hier kommt ein Mensch, der alles miterlebt.
ABENTEURER
mit Haltung.
Was willst du hören?
KAISER
zum Abenteurer.
Sprich vom Heidenkaiser,
Warst du dabei, als man ihn fing?
ABENTEURER
dem Unlust anzumerken ist.
Ich war's.
KAISER.
Erzähl! Erzähl!
ABENTEURER.
Euch dient's nicht, Majestät,
Erlaßt mir's!
KAISER.
Und warum?
ABENTEURER.
Die Abenteurer,
Die schwadronieren gern – das hört' ich oft,
Da hab ich mir das Reden abgewöhnt.
KAISER.
Doch ich befehl's!
ABENTEURER
Gebärde, dann.
Was ich erlebt, mein Kaiser,
Mit diesem Arm und Bein ist fremder dir
Und allen hier, nicht nur als heller Tag,
[97] Nein, als ihr Traum noch, denn ihr Träumen spielt
Mit Mensch und Dingen, die ihr Wachen kennt.
Drüben ist alles neu. Das Meer schon wird's,
Beim Reisen schon. Ihr fahrt und meßt und meßt –
Die Sterne kennt ihr, sonst ist nichts als See,
Da legt der stehnde Mond sich hin als Schiff
Und selbst die Sterne ändern sich. Ihr fahrt ...
KANZLER.
Zur Sache!
ABENTEURER.
Ja, verzeiht, ihr wart ja nicht
Mit drüben. Mir ward all das andre gleich,
Es machte satt mich, See und Himmel nicht ...
Wohl denn, ihr kommt hinüber. Andre Menschen,
Rote, sie tun euch nichts, sie fliehn, ihr fangt sie,
Sie haben Gold, ihr nehmt's, ihr fragt: wo mehr?
»Mehr Gold – ja, da und dort!« »Was holt ihr's nicht?«
Sie fragen: »lohnt sich das?« Ihr aber sucht,
Zieht weiter, durstet, tötet, hungert, späht,
Wühlt euch durch Urwald, lechzt durch Wüsten hin.
Endlich: dort liegt's. Was liegt da? Ein Gebirg
Riesig wie keines sonst der Welt. Hinein!
Ihr steigt und steigt – Gott, deine Welt ist groß! –
Aus den Äquatorgluten steigt ihr auf
Zu milden Sommern, nun zu Frühlingsländern,
Und nun zum Schnee, und aller Zonen Sterne
Sie wandeln grüßend in der Nacht vorbei.
Dann wird die Erde sanft: ganz fremde Menschen
Hüten ganz fremde Tiere, Dörfer, Städte,
So sorgsam aufgebaut, daß du die Fugen
Von Stein zu Steine kaum erkennst – die Wege
Wie feine Mauern, die man hingelegt,
Felder, sechshundertfach an Frucht.
»Gold willst du? Da, so nimm!« Sie bieten alles
Dir lächelnd, diese Menschen, sie sind froh,
Sind glücklich. »Euer Kaiser?« Der ist dort,
An jenem Platz mit vierzigtausend Streitern!
Wir sind nur hundert. Du ziehst hin, er kommt
Mit seinen Edelsten in unser Lager,
Der Sonnensohn, der Kaiser dort des Reichs.
[98] Und wie der General ihn hat, da schlägt er
In Fesseln ihn: und vierzigtausend Mann
Sie stehn gelähmt aus Angst um ihren Herrn.
Der General: »In meines Kaisers Namen
Nehm ich von deinem Reich Besitz, um dich
Und alle euch zu Christo zu bekehren«.
Er bietet Lösegeld. So weit wandauf
Sein Arm sich recken kann im Riesensaal,
So weit werd er gefüllt mit lauterm Gold,
Gefüllt weit über Manneshöh ein Saal
Vierfach so groß, wie hier, mit lauterm Gold –
Bewegung.
»Topp«, sprach der General, »dann wirst du frei!«
Und nun ging's an – jeglicher Weg, der rings
Her von den Bergen floß, er füllte sich
Mit goldbeladnen Trägerzügen an.
Er glitzerte, er schwoll, er ward ein Bach
Von flüssigem Gold, daß das Gebirge weit
Im Sonnenglanz ein Netzwerk schien von Gold,
Von lauterm Gold, ein lebendes – es floß
Zu uns herein, legt' sich, und hob sich dann ...
Europa, schien uns, birgt in allen Reichen
So viel nicht Golds, wie schwellend dieser See
Von lauterm Gold. ...
KAISER.
Der Heiden Kaiser, und was ward mit dem?
ABENTEURER.
Bedenke, hoher Herr: der General,
Wenn der ihm Freiheit ließ, was ward aus uns?
KAISER.
So brach der General sein Wort?
ABENTEURER.
Er brach's
Nicht ohne weiters. Der Verschwörung zieh
Er den Gefangnen. Und erdrosselt' ihn.
Erregung.
Man wundert sich in diesem Männerkreis?
[99]KANZLER.
Die Majestät hat das wohl schon gehört.
KAISER.
Wie trug er's?
ABENTEURER.
Herr, er war verstockt. Zwar taufte
Der Bischof ihn zuguterletzt, doch glaub ich,
Er starb als Heide. »Zu den Vätern geh ich«,
Sprach er, »zur Sonne.« – Seine Weiber, die
Ermordeten sich selbst.
PRÄLAT.
Er hatte Weiber,
Nicht eine Gattin nur?
ABENTEURER.
Nein, hundert Fraun.
PRÄLAT.
Und selber brachten sie sich um?
ABENTEURER.
Zum Opfer,
Sie opfern Menschen dort am hohen Fest.
PRÄLAT.
Dann fand Verruchtheit den gerechten Lohn!
ABENTEURER.
Und dieser Sünder ward so sehr geliebt,
Daß, als wir ihn getötet hatten, alle
Treu dem Gebot: »den Fremden tut ihr nichts!«
Ins eigne Schwert sich stürzten, Mann für Mann.
PRÄLAT.
Schweig, schweig, die Christenseele trägt es nicht:
So in Verworfenheit ein ganzes Volk!
ABENTEURER.
Das Gold jedoch, die Christen trugen's gern,
Der ärmste Bursch, als Reicher keucht' er fort.
[100]HAUPTMANN.
Was ward aus ihnen, wunderlicher Mann?
ABENTEURER.
Ich glaub, die meisten hat's dann totgedrückt.
Ich mag keins mehr.
SCHATZMEISTER.
Schafft's her! Schafft's her! Schafft's her!
KAISER
erhebt sich.
Ich bin noch jung, mir scheint da was nicht ganz
Der Ehr gemäß, doch ich versteh's wohl falsch ...
HAUPTMANN.
Mein Herr und Kaiser, schreite nicht hinaus,
Eh du mir Kunde gibst: was soll ich tun?
Die Äcker rings sind tot, die Dörfer brennen,
Die Menschen, sie verkommen, geht's so fort:
Verschaffst du dem Soldaten nicht den Sold,
Geht er zum Aufruhr, und das Land zugrund!
KANZLER.
Hauptmann, du hörst, um was für Großes jetzt
Die Zeitgeschichte geht. Und kommst mit Bauern,
Die gegen Gutsherrn lärmen!
NARR
wie den Hauptmann entschuldigend.
Hohe Herrn,
Auch unsern Hauptmann jückt's doch nur nach Geld,
Wie, irr ich nicht, den hochverehrten allen.
Den Kaiser langweilt stets dasselbe Lied.
Ein andres her!
KANZLER.
Der neue Narr scheint fad.
NARR.
Doch weiß er Leute, die nicht fade sind.
Zum Beispiel einen, der so unterhält,
Daß, mit Verlaub, ihr aus dem Häuschen kommt
Und nicht von Geld ...
[101]KAISER
leise zum Narrn.
Zur Lieb' zunächst, vom Mädchen dann zum Kampf,
So wird man Held.
NARR
tut, als verstände er falsch.
Nein, nicht von Geld ... Ach, Herr, 's ist nicht gescheit,
Daß ich's verrate: kennt Ihr den einmal:
Mit meinem Ruhm und meinem Amt ist's aus.
Das schönste Weib, die neue Helena,
Er kennt's, er weiß, wo's steckt, – ein Viertelstündchen
Dem Obernarrn! Erlaubst du, Majestät?
Er tut toternst, und du, du lachst dich krank!
Gib ihm ein Thema ...
KAISER.
Alle Lust verging
Bei dem Geschwätz von Bauern.
NARR.
Wohl, ich hab's:
Grad davon laß ihn schwätzen – und er jagt
Die letzten Wölkchen mit der Pritsche weg!
Plötzlich tritt Faust vor.
NARR.
Der Kaiser wünscht's, Kolleg: vom Bauern sprich.
FAUST.
In dieser Stunden stolze Pracht, mein Fürst,
Tritt mit mir Bitternis – laß mich's entgelten,
Doch hör mich an ...
NARR
scheinbar bewundernd.
Nun, Kaiser, spielt er gut?
FAUST.
Sie spielen alle. Du selbst, Hauptmann, der
Nicht ganz zu sprechen, wie er sollte, wagt!
Und spielst du nicht, behäbiger Prälat,
Der du nach Geld gierst und du sagst: nach Gott,
Du, Kanzler, nicht, der du den Jüngling da
[102] Mit Schmeicheln fängst, du, Kaiser, nicht, der du
An Weiber denkst, wenn du vom Reiche sprichst?
KAISER
lachend.
Narr, Narr, verrat mich nicht!
FAUST.
Ich komm zu dir
Der Bauern wegen, die im Kampfe stehn,
Die man verachtet, die man quält, o Herr:
Die Bauern, Kaiser, sie sind Mensch wie du!
Heiteres Oho!
NARR
erläutert lachend.
Versteht's nur recht, die Bauern glauben's wirklich:
Sie wären Menschen, wie der Kaiser Mensch.
FAUST.
Sie tragen andre Kleider –
KAISER
lachend.
Ja, mir scheint's.
FAUST.
Herr, nimm mich, wie ich sprech, ich bitte dich ...
KANZLER.
Und statt der Hand die Pratze, statt des Mundes
Das Maul und statt des Hirnes ein Gekrös,
Gebläht vom Aufruhr.
FAUST.
So denkt Ihr vom Volk,
So von dem Grund, der euch die Ernten bringt?
NARR
immer lachend, wie erläuternd.
Dafür, so meint er, kakt ihr Hintrer Gold.
KAISER
gibt ihm einen Klaps.
Anständig, Narr!
[103]FAUST.
Mein Kaiser, hör mich du!
Als ich aus meinen Büchern Hochmut spann,
Sah ich, was lebt, durch ein Geweb wie jene,
Jetzt seh ich auch die Starkheit noch im Volk
Aufbäumen sich, weil sie nicht sterben darf,
Und sich begatten mit dem neuen Geist,
Und das ist's, was uns Zukunft zeugen wird.
PRÄLAT.
Brav, brav, mein Narr! Kein Wort ist zu verstehn,
Allein es klingt! So treibt der Prädikant
Den Gimpelfang – er macht ihn köstlich nach!
FAUST
immer nur zum Kaiser.
In jedem Menschen ist ein Tier, das Tier
Im Volk, es kann zur Bestie werden, Kaiser –
Ein Volk als Bestie,
Kurze Gebärde des Grauens.
Herr, sie hoffen noch.
KAISER.
Das alles ist so sonderbar und neu ...
KANZLER.
Willst du von Zukunft zwitschern, wackrer Narr?
Jetzt ist noch Gegenwart, und die verlangt
Die Majestät zum Mahl. Du schließest, Kaiser?
FAUST
tief eindringlich, er zwingt sich nieder.
Sie hoffen noch! Herr, sieh mich auf den Knien,
Mich einen nicht, für meine Brüder sieh mich
Viel tausendfach, so siehst du hier dein Volk.
Du bist so jung, und sieh, doch bittet dich's,
Wie man den Vater bittet, hilf dem Kind!
Du bist so jung, und wie zum Bruder fleht es:
In seiner Jugend Herzen klopft das Blut
Wie dir, der Frühling blüht, die Liebe singt
Durch sie, wie dich, nach Freiheit und nach Licht.
»Volkskaiser will ich werden«, sprachst ja du:
Wirst du's, so fließt, was all den Herzen quillt,
[104] Durch dich gesammelt als ein Strom von Glück,
Wirst du's, so lenzt die Welt ...
NARR
lachend.
Volkskaiser – fein, Kolleg: 'ne Majestät
Von Mäulern, Pratzen und Gekrös' im Kopf! –
Eia, das muß doch locken!
FAUST.
Weg, Verfluchter!
KAISER.
Volkskaiser wollt' ich werden, und ich will's!
FAUST.
Und kannst es heut, da noch die Jugend dir
Im Denk' und Fühlen das Erstarrte schmilzt –
Sei heute kühn! –
KANZLER.
Pfui, Narr, das geht zu weit!
Du treibst mit Heilgem Spiel in deinem Hohn!
KAISER.
Mit Heilgem Spiel?
KANZLER
zum Kaiser.
Du gütige Majestät,
Der Stunden denk ich, da mein altes Herz
Erzitternd sah, wie dich der heiße Kampf
Von Lieb und Pflicht im Innersten ergriff!
Hier war dein Volk, hinschenken wolltest du
Ihm Recht auf Recht – dort stand ich Greis und bat:
Gib's ihnen nicht, sie kaufen Tand dafür,
Verwalt's für sie und leite sie ins Glück! –
KAISER
dem Kanzler die Hand hinstreckend.
So sprachst du, ja. Und dann: dem Menschen in dir
Gib, was er mag, nur gib ihm nicht den Staat,
Und Rechte sind des Staats.
Nicht ohne Wehmut.
Gelt, lernt' ich's brav?
Ich will ja lernen, Kanzler.
Nicht ohne Humor.
Gottes Gnade,
[105] Sie hilft mir wohl.
Um sich blickend.
Nun steh ich dumm vor euch,
Weil ich vergaß, es war ein Narr, der sprach ...
Zum Kanzler.
Doch sei nicht streng! Heut ist ja doch ein Fest,
Nein, gebt 'nen vollen Humpen beiden Narrn,
Sie sind einander wert, und stopft sie mir
Mit Schweinebraten aus!
Er winkt und geht. Alles bricht auf.
KANZLER
zu Faust.
Ich will Euch sprechen, wartet!
Längere Pause. Während der folgenden Szene weicht draußen ganz allmählich der Sonnenschein. Nachdem der Saal sich geleert hat, tritt der Kanzler zu Faust.
Das war kein Narrenspiel, wer bist du, Narr?
FAUST.
Gibst du mir Antwort?
KANZLER.
Fragen willst du? Sprich!
FAUST.
Antwort vom Kopf, nicht nur vom Mund?
KANZLER.
Der Kopf,
Ins Hier- und Dorthin hat er zwei Gesichter,
Wie Janus, doch es bleibt der eine Kopf.
Indes – wir sind allein.
FAUST.
Du schmeichelst, Kanzler,
Dem Kaiser, daß beherrscht er dir gehorcht?
KANZLER.
So ist's.
FAUST.
Wie einst du das mit Treu und Eid?
KANZLER.
Wie ich die Phrase eine mit der Tat.
Ziel ist die Tat. Die Rede jeder Art,
Hör: jeder Art, ist Mittel hin zum Ziel,
Und weiter nichts.
[106]FAUST.
Das Wort sät aus, was Herz und Hirn erschuf,
Am Wort wächst aus dem Tier die Menschheit auf,
Am echten Wort gedeiht und mit dem falschen
Verkommt sie – leugnest du's?
KANZLER.
Mich geht's nichts an.
FAUST
heiß, dringend.
Was geht dich an? Kanzler, ich will versteh'n:
Was geht dich an?
KANZLER.
Mein Amt: der Kanzler bin ich,
Und da ein Knabe Kaiser dieses Reichs,
Gab es sein Schicksal jetzt
Sehr betonende Gebärde.
in diese Hand.
Das Reich ist groß, im Westen steigt's ins Meer,
Fern aus des Ozeans erwärmten Fluten
Steigt's wieder auf, und durch die Neue Welt
Hindehnt sich's aber bis zum Ozean.
Ich hoff, die Erd' umspannt es noch einmal,
Und dem man das verdanken soll, bin ich.
FAUST
immer an sich haltend.
Wie zwingst du das?
KANZLER.
So, wie ich's kann.
FAUST.
Durch Kampf?
KANZLER.
Wo wir die Stärkern.
FAUST.
Oder Lüge?
KANZLER.
Dort,
Wo wir die Schwächern.
FAUST.
Durch Betrug, Verrat,
Verleumdung, Diebstahl, Räuberei und Mord?
[107]KANZLER.
Und Massenmord und Sünd am heilgen Geist –
Laß Weib und Kind verhungern, kämpft der Mann,
Und barm dabei: O Gott, er ist nicht fein,
Verleumd ihn tot und wein dazu: er lügt,
Wein's inniglich: die Welt ist in Gefahr
Vor ihm, vor ihm, – daß du die Dummen fängst –
S'ist Alles recht, führt's nur voran zum Ziel.
Das Größte in der Welt, ein Weltreich ist's,
Hast du's gebaut, so richt' es sittig ein,
Doch erst erbau's! Mit Bibelsprüchen? Auch,
Wo's weiter hilft! Mit Edelmut? Probat,
Wo's vorwärts bringt. Mit jeder Niedertracht,
Wo's besser frommt – ja: frommt, denn was die Einen
Im Heut vernichtet, und wenn's tausend sind,
In hundert Jahren schmerzt es keinen mehr,
Millionen aber freun sich an der Frucht.
FAUST.
Und schmecken nicht, was von Lebendigem du
Zum Aas gemacht, damit es für dich düngt.
KANZLER.
Wir streun ja Rosen drüber, bittrer Mann.
Was drunter liegt, wer riecht's, wer denkt noch dran?
Sie preisen dich: auf Rosen läßt er wandeln ...
FAUST.
Spracht je zum Volk Ihr als mit Heuchelei?
KANZLER.
Nicht, daß ich mich erinnnern könnte.
Gebärde Fausts.
Ach,
Das ärgert dich? Hab ich dich überschätzt?
Ich hielt dich für gescheit. Ich lüge, Mann,
In jedem Fall, wo das mein Führeramt
Verlangt, und nur mit Luftgespiegel bringst
Ein Volk durch Wüsten du zu anderm Ziel,
Als seine Krämerstraßen, die es kennt.
[108]FAUST.
Die Ausgesognen bringst du hin, die Schädel,
Die Hülsen sind, der lahmen Raupe gleich,
In der die Wespe sitzt.
KANZLER
immer ganz ruhig.
Da meinst du mich,
Und ganz mit Recht. Ich sitz in diesen Hülsen,
Mehr: wie sie sich bewegen, ist's durch mich.
»Dorthin!« Sie gehn. Und wollen's – meinen sie.
»Begeistert euch!« Sie jubeln. »Seid empört!«
Sie schlagen tot und glauben, daß sie's müssen.
So hab ich Fuß und Faust millionenfach,
Und in Millionen Hirnen denk' nur ich.
FAUST.
So denkt statt der Million von Hirnen eins,
Und der Millionen Eigengrünen ist dir
Unkraut.
KANZLER.
Im Korn!
FAUST.
Das du gesät, nicht Gott.
KANZLER.
Ist Gott allmächtig, denkt in den Millionen
Von Raupenseelen er durch mich.
FAUST.
Durch dich!
Sind Wespenmaden göttlichern Geschlechts
Als Raupen, draus der Schmetterling entblüht?
Gott denkt in allem, das aus Eignem wird,
Wo es aus Tiefen quillt, da denkt es Gott,
So hebt er sich aus allem, was gedeiht,
Grundher in ewgem Werden selbst empor,
Wo Eignes lebt. Gott wächst!
KANZLER.
Du ketzerst, Guter.
Mich kümmert's aber nicht, mich unterhält's.
[109]FAUST.
Du gibst dich frei, ist das auch Lüge, weißt du,
Wie klein du bist, der du als Schleicher lebst?
Du gibst dich groß – und all dein Denken ist
Doch nichts als Staub, der sich im Winde bläht,
Im heißen, eiteln Winde, der verdörrt
Landauf, landab, daß, was sonst grün und rot
Aus eignem Saft schwölle zu Blum und Frucht,
Staub selber wird und dürr nun mit dir fegt
Und mit dir lechzt. Groß wär dein Weltreich, Mann?
Die Kleinheit wär's, – denn mit dem Raum hört's auf,
Die Enge wär's, – das die Gedanken preßt,
Die Armut wär's, – nährt sich ein Herz von Gold?
Groß wär dein Reich? Groß wie die Wüste wär's,
Mit Sand und Hitz und Trugspuk in der Luft,
Die Erdenwüste wär's, es wär der Tod!
Am Schaffen mordest du ...
Er hält inne und betrachtet ihn düster.
doch bist du stark,
Weil du dem Wahne dienst ...
KANZLER
der bisher ruhig auf und ab gegangen, bleibt vor Faust stehn.
Wären wir nicht
Allein, vielleicht, ich disputiert' mit dir,
Denn es ist klug, den Anschein wachzuhalten,
Man ging' den Reden andrer prüfend nach.
Und doch: wer unterm Hut noch trägt, was ich
Am Schuh längst abtrat, wer noch Jugend hat,
Der tut mir leid, wenn meinen Kreis er stört,
So daß die Sache will, daß ich ihn töte.
Und da in mir ein seltsam Lüsten lebt,
Von Zeit zu Zeit ein Weilchen wahr zu sein,
So ehr ich ihn durch ehrliches Gespräch.
Daß keiner mehr vor Menschen zeugen darf,
Der in mich sah, verstehst du.
[110] Klingelt. Ein Hauptmann mit zwei Bewaffneten. Zum Hauptmann.
Diesen Herrn
In ritterliche Haft, dorthin, wo jüngst
Der Literat verstarb.
FAUST
die Augen gegen Unsichtbares.
Dämon der Finsternis, bist du auch Herr
Des Tags? In hundert Masken sah ich dich
Das Volk durchschleichen, Gift in Wort und Blick,
Gepreßt und irr.
Dämon der Finsternis, bist der da du?
Wie halluzinierend.
Nein, du bist dort auch – dort – und dort und dort
Draußen ballen sich Gewitterwolken. Eine scharfe, schrille, laute Stimme.
DIE STIMME.
Riß es dir endlich doch die Augen auf,
Die blinden?
Was du nur siehst, mich wirst fortan du finden!
Ich bin der Herr in jeder Stirn, die denkt,
Ich lenk das Hirn dem, der die Hirne lenkt,
Ich bin der Herr der Welt,
Ich! Ich!
Blick durch! Mit all den Farben narrt's,
Der Grund ist schwarz –
Blick durch! Sieh mich!
FAUST.
Ja, dort auch stehst du, Ungeheuer, da,
Aus Wolken aufgeballt, fahlgrau, umkrochen
Von gelben Schlangen, hingelastet breit
Ob aller Erde ...
STIMME.
Mensch!
Bete mich an, und meine Hagel schlagen
Nur deinem Feind ins Korn! Und meine Blitze
Entflammen nur für dich! Die Seelensümpfe
[111] Aufschwemmen laß ich aus den Tiefen dir,
Darauf die Irrlichtschwärme der Gedanken
Nach deinem Willen tanzen, locken, narrn,
Und unter sich ersäufen, was du magst!
Bete mich an, dann schenk ich dir den Flug
Zur höchsten Höh und dort den Adlerblick,
Der im Versteck noch seine Beut' erspäht
Und aller Klugheit Schnellkraft, die sie fängt ...
FAUST.
Was gibst du mir?
STIMME.
Die Erdenherrschaft, Mensch!
FAUST
fieberisch.
Verschrieb ich mich um meine eigne Lust,
Ich armer Tor, als wär mein Tropfen Blut
Nicht mit dem Ganzen glücklich oder krank,
Als brennte nicht im höchsten Himmel selbst
Im Mitleid der Verdammten Qual auch mich:
Jetzt weiß ich's besser! – Geist, das gibst du mir:
Für meine Ewigkeit mir deine Kraft
Sie frei zu brauchen, wem es sei zum Dienst?
STIMME.
Für wen es sei? Wem opfert wer als sich?
Sein Leben gibt, wer meint, der Himmel zahlt's,
Doch seine Ewigkeit hat noch kein Gott
Für andre weggeschenkt, und du bist Mensch! ...
FAUST.
Ja, ich bin Mensch! Mein Gott, der Pakt besteht –
Der Pakt besteht! So stoß mich, Gott, hinab,
Auf ewig, Gott – doch gib als Opfer mich,
Daß es die Brüder, die verzweifelnden,
Vom Bruder grüß', der ihrer denkt – genug,
Wenn mir die Glut kühlt eine Träne Dank ...
Zur Stimme.
Her denn die Macht, ich brauch' sie, wie ich will!
[112]STIMME.
So bet mich an!
FAUST.
Für aller Höllen Flammen
Nach meinem Erdentod in Ewigkeit
Biet ich mich dir ...
STIMME.
So bet mich an!
FAUST.
Den Fluch?
STIMME.
Für deinen Feind!
FAUST
ringend.
Den Bösen?
STIMME.
Und den Herrn,
Den Herrn der Welt, der dich zum Herrn erhebt!
FAUST
erlahmend.
Anbeten dich – das ... kann ... ich nicht ...
Als Antwort ein pfeifendes Aufheulen, das mit dem Sturme verkreischt. Faust, beide Hände gegen die Stirn gepreßt, wird sich des Kanzlers wieder bewußt und wendet sich an ihn, der ihn während des ganzen Auftritts regungslos beobachtet hat.
Mich hält kein Kerker, Mann. Dich könnt' ich töten,
Doch tät ich's, trät ein andrer hin wie du.
KANZLER
zum Offizier.
Mir scheint, der Mann hat Schreckliches erlebt,
Er ist am Geist erkrankt. Tut, was ich wies.
Die beiden Soldaten der Wache treten Fausten zur Seite, der Offizier tritt hinter sie. Während sie so stehn, schreitet der Kanzler, mit auszeichnendem Gruße gegen Faust, hinaus.
Vorhang.