69. Hexe entdeckt.

Im badischen Oberlande lebte eine reiche, kinderlose Bauersfrau, welche eine Hexe war. Alle Mittwochs-und Freitags-Nacht begab sie sich zum Hexentanz, der, fünfzig Stunden von ihrem Wohnort, in einem Felsenkeller gehalten wurde. Wenn sie dahin wollte, legte sie ein Gebund Stroh, dem sie durch Blendwerk ihre Gestalt gab, zu ihrem Mann ins Bett, ging dann in die Stube des Knechts, der ein starker Bursch war, legte dem Schlafenden einen Zaum an, verwandelte ihn in ein Pferd und ritt auf ihm hinaus. Ebenso kehrte sie später wieder nach Hause, und der Knecht, welcher darüber sehr abmagerte, erwachte am Morgen in seinem Bett, ohne von dem Vorgang etwas zu wissen. Beiläufig ein halbes Jahr hatte die Frau so ihr Wesen getrieben, als es sich zutrug, daß abends ein wandernder Handwerksgesell auf dem Feld bei dem Felsenkeller, im Rausche, einschlief. Er erwachte, nüchtern geworden, tief in der Nacht, hörte nahes Tonspiel und kam, als er ihm nachging, zur Thüre des Kellers. Da er sie verschlossen fand, schaute er durch das Schlüsselloch und sah, daß der Keller hell erleuchtet war, und darin gezecht und getanzt [57] wurde, auch an der Wand ein Pferd angebunden stand. Sogleich sagte eine Frau der Sippschaft zu einer andern: »Gehe, blase das Licht aus!« worauf diese durch das Schlüsselloch dem Gesellen in das Auge blies, daß es augenblicklich erblindete. Hierüber entsetzt, schrie er dreimal nacheinander zum Schlüsselloch hinein: »Um Gotteswillen, machet auf!« Da flog die Thüre auf und Hexen und Teufel fuhren in wildem Getümmel heraus und nach allen Weltgegenden davon. Hierauf ging der Gesell in den Keller, worin nur noch ein Licht brannte, und sah, daß er durch sein Rufen alles Blendwerk vertrieben hatte. Das Essen war Viehkoth, der Wein Roßpisse, und das Pferd der Knecht geworden. Dieser erstaunte sehr, gezäumt im Keller sich zu befinden; als ihm aber der andere das Geschehene erzählte, ward ihm klar, wie er seither mißbraucht worden sei. Um zu erfahren, wer es gethan, ging er wieder in seinen Dienst und beobachtete die Frau genau, von der er schon manches Verdächtige gehört hatte. Nachdem er wahrgenommen, daß sie, wenn ihre Leute alle auf dem Felde zu thun hatten, gewöhnlich sehr spät und allein zum Kochen heimging; dennoch aber ihnen das Essen stets zur rechten Zeit hinausbrachte: schlich er sich, bei einer solchen Gelegenheit, auf den Speicher des Hauses und machte in den Schornstein ein kleines Loch, wodurch er hinunter in die Küche sehen konnte. In diese kam die Frau und rief, ohne den Knecht zu sehen, in den Schornstein hinauf: »Gib mir eine Schüssel Suppe; gib mir eine Schüssel Fleisch und Gemüse!« Im Augenblick standen diese Speisen in Schüsseln auf dem Heerde und wurden dann von der Frau für ihre Leute mitgenommen. Als dieselbe aus dem Hause war, verließ der Knecht seinen [58] Versteck und, noch am nämlichen Tage, den Dienst der Hexe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 69. Hexe entdeckt. 69. Hexe entdeckt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1E25-2