180. Die Kielkröpfe

Es gab auch noch andere geisterhafte Wesen von dämonischer Art, deren Natur im Guten und Schlimmen, doch mehr im letztern, mit der der Unterirdischen verwandt ist. Wechselbalg und Kielkropf ist so ziemlich Maus wie Mutter. Beide Sorten sind ausgetauschte Kinder ohne Gedeihen, von häßlichem Aussehen, die stets quengeln und weinen und meist die Unterirdischen, wo nicht gar den Teufel zum Vater haben.

Durch Mißhandlungen, die dem Kielkropf angetan werden, wird meist die Mutter desselben gezwungen, ihn wieder zurückzunehmen und das der Mutter heimlich entrissene eigene Kind zurückzugeben.

Einstmals hat sich eine Frau mit solch einem Kielkropf Jahr und Tag gequält; sie hatte wahrscheinlich vergessen, während ihrer Wochen bis zur Taufe Tag und Nacht Licht zu brennen oder irgendein Kleidungsstück von ihrem Manne anzuziehen. Schon hatte sie den Balg sieben Jahre; er aß viel, aber wollte nicht wachsen, nicht laufen, nicht sprechen lernen, hatte einen großen Dickkopf und spinnenbeinige Ärmchen und Füßchen. Da kam zu der Bauernfrau eine alte Jatrin (Zigeunerin), der klagte die Frau ihr Herzeleid, das sie jahraus jahrein mit dem Kinde habe, und die gab guten Rat, was die Bäuerin vornehmen sollte, um zu sehen, ob ihr Kind etwa ein Kielkropf wäre oder nicht. Diesen Rat befolgte die Frau, sie leerte ein Gänsei aus, füllte Bier hinein und kochte es über der Lichtflamme. Auf einmal begann der bisher stets stumm gebliebene Kielkropf an zu sprechen und sagte:


Ich bin so alt

Wie Brennholz im Wald,

So was hab’ ich aber doch noch nicht gesehn!


So? sagte die Bäuerin, bist so alt wie das Brennholz im Wald, so bist du mein Kind nicht!, und nahm ein Stück Holz und wollte auf das ungestaltete [142] Kind losschlagen, aber da kam gleich eine alte Unnereerdsche gelaufen und nahm das Kind aus der Wiege und sagte: So will ich mein Kind nicht mißhandeln lassen! – und da sie weg war mit ihrem Balg, stand ein schönes wohlgewachsenes siebenjähriges Kind, das rechte der Frau, neben der Wiege.

Ähnliches widerfuhr einer Frau in Jägerup bei Hadersleben, welcher eine kluge Nachbarin riet, den Wechselbalg in den geheizten Backofen zu schieben. Als sie dies tun wollte, kam schnell die unterirdische Mutter, brachte das umgetauschte Kind und sagte: So schlecht hätte ich nimmer an deinem Kinde getan!, indem sie ihr Kind nahm und verschwand.

Im Dorfe Böken bei der Stadt Lauenburg war ein wundertätiges Marienbild von Holz, das heilte viele Kranke. Nun hatte in einem nahen Nachbardorfe ein Bauer lange Zeit in kinderloser Ehe gelebt und hielt deshalb seine Frau sehr übel. Endlich fühlte die Frau sich in Hoffnung, das machte den Bauer ganz glücklich, und er trug nun die Frau fast auf den Händen. Aber als sie geboren hatte, tauschten die Unterirdischen ihr Kind aus und legten einen Kielkropf ein, der hatte einen Kopf wie eine Metze und spindeldünne Gliedmaßen. Auch wuchs nichts an ihm, als nur der Kopf, der wurde größer als beim größten Menschen. Nach drei Jahren glich der Kopf des Jungen einem Riesenkürbis, und dabei konnte das Kind nicht stehen noch gehen noch sprechen, aber quarren und plärren den ganzen Tag, das konnte es meisterlich. Eines Abends, als die Frau dieses Goldsöhnchen auf dem Schoße hatte und sich mit ihm abquälte, sprach sie zu ihrem Mann: Du, mir fällt was ein, vielleicht kann uns noch geholfen werden; morgen ist Sonntag; nimm doch das Kind und die Wiege und geh damit nach Böken zur Mutter Maria, stelle die Wiege vor sie hin und wiege das Kind eine Zeitlang, vielleicht, daß es hilft. – Das will ich wohl tun, sagte der Bauer und ging am andern Tage mit dem in die Wiege wohlverpackten Kielkropf los. Als er auf die Brücke von Böken kam, rief drunten eine Stimme mitten aus dem Wasser heraus:


Kielkropp, wo wullt du hen?

und da antwortete das Kind in der Wiege:

Ik wil my laten wegen,

Dat ik sal gedegen (gedeihen).


Da war der Bauer vor Verwunderung außer sich, daß sein Balg auf einmal sprach, besann sich aber gar nicht lange, sondern schmiß Kind und Wiege ins Wasser hinab und schrie hinterdrein:


Kannstu nun spräken, du Undeert,

Denn ga dorhen, wo du’t hast geleert! –


Da erhob sich unter der Brücke groß Schreiens, als riefen eine Menge Leute; und die Kielkröpfe tummelten sich lustig im Wasser, der Bauer aber lief, was er laufen konnte, heim zu seiner Frau.

Eine fast gleiche Sage geht in der Gegend um Halberstadt, da redet auch der Kielkropf im Korbe:


Ick well gen Hackelstadt

(wohin eine Wallfahrt war),

to unser leven Fruggen, und mi laten wigen,

dat ick möge gedigen.


Da warf der Bauer ebenfalls Kind und Korb ins Wasser, und die kleinen Teufel puddelten und purzelten mit Geschrei lustig im Wasser herum.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 180. Die Kielkröpfe. 180. Die Kielkröpfe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2335-A