634. Die umirrenden Stiefeln

Zu Lauban in der Lausitz, sonst Lübben genannt, hat sich folgendes im Dreißigjährigen Kriege zugetragen. Es kam von Görlitz her ein Regiment Butlerischer Dragoner, die waren nicht von den besten, und es ward den Bürgern vor ihnen mächtig bange, hatten auch der Drangsale in Fülle von ihnen auszustehen. Da kam ein entsetzlich langer Kerl von dieser Raubbande zu einem Schuster und verlangte ein Paar Reiterstiefeln, Kanonen, wie diese Haudegen und Eisenfresser sie trugen, fand ein schönes großes langes Paar, die ihm trefflich paßten, denn den Soldaten im Dreißigjährigen Kriege ging es wie jenem Trödeljuden, der von sich sagte: Ich hab' 'nen guten Klaiderlaib, es paßt mir allens. Da nun der gewaltige Kriegsheld die Stiefeln an- und dafür ein Paar ganz erbärmliche, zerrissene Stiefeln ausgezogen hatte, dem er die Sporen ab- und an die neuen Stiefeln anschnallte, fragte er, was die neuen Stiefeln kosten sollten, und da der Schuhmacher den Preis forderte, so zog jener seinen Haudegen blank, nahm den Schuster am Arm und fuchtelte ihm so viele Hiebe zählend auf, als der arme Bürger Schreckenberger gefordert hatte, so daß dieser sich vor Schmerz, Angst und Schrecken nicht bergen konnte, sich endlich losriß und verwünschend rief: Ei so wollte ich, daß diese Stiefeln und Eure Beine in ihnen niemals Ruhe finden, Ihr mögt tot oder lebendig sein! Der Reiter lachte den Schuster in seinem ohnmächtigen Zorne aus und stolperte mit klirrenden Schritten über das Wackersteinpflaster Laubans und verfluchte [423] dieses Pflaster und den Berg, der dazu die Steine lieferte. Bald darauf wurde das Dragonerregiment anderwärtshin beordert, als aber hernachmals die Schlacht bei Lützen geschlagen ward, riß eine schwedische Stückkugel, die dem Pferde durch den Leib fuhr, demselben Dragoner beide Beine ab, und er verblutete auf dem Schlachtfeld. Und danach hat man zwei Stiefeln marschieren sehen ohne Ruh und Rast und ohne Herrn, doch staken in ihnen zwei blutige Beinstummel, die wanderten und wanderten von Lützen nach Markranstädt und über Rippach, wo der bekannte unsterbliche Herr Hans von dort sie mit eignen Augen sah, nach Leipzig, von Leipzig nach Wurzen, Oschatz, Zehren und Meißen nach Dresden, von da ohne Rast und Ruh über Bischofswerda, Bautzen, Löbau und Reichenbach nach Görlitz und von da endlich spornstreichs nach Lauban und blieben auf dieser ganzen langen Wanderfahrt völlig ganz. Die Stiefeln spazierten zum Städtlein hinein, an des Schuhmachers Haus vorbei, recht, als ob er sehen solle, daß sein Wunsch in Erfüllung gegangen, wendeten von da um und bestiegen den Steinberg, welcher der Vater des verwünschten Pflasters, und dort wanderten sie nun bald sichtbar, bald unsichtbar auf den scharfkantigen Basaltsäulen umher; man hörte sie auch trapsen; wer sie aber sichtbar sah, was nicht einem jeden widerfuhr, und trug etwa ein Verlangen nach ihnen und wollte sie haschen, der bekam einen Tritt und schlug auf die Wackersteine hin, daß ihm die Rippen krachten. Dem Schuster, der sie als sein Eigentümer wieder einfangen wollte, soll dieses am allerersten begegnet sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 634. Die umirrenden Stiefeln. 634. Die umirrenden Stiefeln. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-24FB-6