Marien-Ritter

Vor Zeiten lebte ein freisamer frommer Rittersmann, der hatte zu seiner Schutzpatronin die heilige Jungfrau Maria erkoren, und diente ihr mit einem gottseligen Herzen immerdar.

Da wurde zu einer Zeit von dem Könige ein großes Turnei ausgeschrieben, zu dem zog die gesamte Ritterschaft des ganzes Landes, alldort Lanzen und Speere zu brechen, und Danke zu gewinnen. Zu diesem Turnei zog auch der fromme [578] Ritter, und sein Weg führte ihn an einem Münster vorüber, das der Jungfrau Maria geweiht war, und gar nicht weit von dem Plane lag, auf welchem das Turnei gehalten werden und bald beginnen sollte. Man konnte schon von ferne die Trommeten schmettern hören. Im Münster aber war viel hohe Geistlichkeit versammelt, und wurde feierliches Hochamt gehalten, da stieg der Ritter vom Roß und gab das seinem Knappen zu halten, und sprach: »Mir ziemet baß, daß ich mich in Marien Schutz befehle, daß ihre Hand mir zu einem ehrlichen Siege verhelfe« – nahm seinen Helm vom Haupt und trat in das Gotteshaus. Schon war eine Messe fast zu Ende gelesen, dann aber hob man eine andere an, die wollte der fromme Ritter ganz hören, und dann begann wieder eine neue, und der Ritter wollte keine unterbrechen, und wohnte allen andächtiglich bei und betete mit im stillen, und segnete sich.

Und darüber, über solcher Andacht, ging der halbe Tag hin, das Turnei hatte längst seinen Anfang und Fortgang genommen, das Ringelrennen, das Lanzenstechen und manches andere ritterliche Kampfspiel war schon vorüber, dem Ritter aber hatte die Zeit, so er im Münster verweilt, eine ganz kurze gedeucht, und meinte, es sei noch früh am Tage und er komme noch rechtzeitig genug. Wie er aber ankam, da sah er nur noch etwas vom Buhurt, das ist der letzte Tummelkampf, wo viele gegen viele reiten und streiten und einander bekämpfen mit kurzen Schwertern oder mit Kolben, bis die Herolde mit Trompetenstößen das Zeichen zum Ende des Buhurts geben lassen.

Da nun der fromme Ritter an die Schranken kam, erscholl ihm von vielen ein froher Zuruf, gleichsam als dem Helden des Tages; seine Freunde boten ihm glückwünschend die Hände, andere gaben ihm Ringe und Kleinode, die sie ihm, wie sie sagten, im Lanzenrennen schuldig geworden, und alle rühmten laut, daß solch ein männlicher Kämpe, wie er, noch niemals beim Tschost, das ist das Lanzenrennen, und beim Forest, das ist der Preiswettkampf, gesehen worden, und die Herolde nahten ihm, grüßten ihn ehrfurchtsvoll und geleiteten ihn zum Throne, auf welchem sitzend, des Königes schöne Tochter die Ehrendanke verteilte, und ihm unter süßen Worten voll hohen Lobes den ersten Dank zuteilte.

Der Ritter aber wußte nicht wie ihm geschah, und sagte [579] offenkundig, daß weder Lob noch Dank ihm gebühreten. Er komme soeben an, und habe in der Kirche weilend, das Turnier versäumt. Die Ritter aber und die jungen Edelknappen schwuren alle, er sei da gewesen, habe sie alle überwunden, und in allen Arten der Turneikämpfe das Beste getan.

Da ahnete der Ritter das Wunder, das Maria an ihm getan, dieweil er sie im Münster verehret. Und ritt von hinnen in das Kloster, das neben dem Marienmünster erbaut war, und sprach: »Ich will fortan keines andern Ritter sein, als nur Marien Ritter, mit stetem Gebete und mit steter Treue.«

Gelobet sei Maria, die Himmelskönigin!

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Marien-Ritter. Marien-Ritter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-29CC-2