Der fette Lollus und der magere Lollus

Es starb ein reicher Mann, welcher zwei Söhne hinterließ und ein hübsches Vermögen und Erbe. Der eine der Söhne erwählte den geistlichen und zwar den Mönchs-Stand, der zweite einen sehr weltlichen, er wurde ein Gastgeber, das heißt, er gab seinen Gästen so wenig als möglich und nahm dafür von ihnen so viel als möglich. Er heiratete nach Geld und strebte fort und fort nach Geld. Seinem Bruder borgte er dessen Erbanteil ab, da dieser als Mönch kein Geld bedurfte, und wucherte damit, aber nicht zu des Bruders, sondern zu seinem eigenen Nutzen. Seine Biergemäße waren falsch, und seine Weinflaschen ließ er auf der Glashütte so klein blasen, daß man beim Anblick einer ganzen Flasche sehr in Zweifel geriet, ob es nicht eine halbe sei, und seine halben Flaschen schienen alle nach der schlanken Körperbildung eines Bleistifts hinzustreben, daher hießen sie auch bei den Gästen dieses Wirtes nie anders, als Stifte. Wenn der Stallknecht dem Pferde eines Reisenden Hafer vorgeschüttet hatte, so trat der Wirt, wenn er sich unbemerkt glaubte, an die Krippe, kripste ganze Hände voll Hafer wieder dem armen Tiere vor dem Maule weg und schob ihn in seine Tasche. Er sagte sich, deshalb heiße die Krippe so, weil man aus ihr kripsen könne. Es war ein durchtriebener Schalk, dieser Wirt, und an ihm lag es nicht, daß er nicht reich wurde, denn Anlagen dazu hatte er, aber das Bibelwort sagt nicht vergebens: die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke. Des Wirtes Tun segnete nicht. Was half es ihm, wenn er fremden Pferden von deren Futter ein paar Hände voll Hafer stahl – und eins seiner eigenen Pferde krepierte? Wenn er durch sein zu knappes Gemäß nach und nach einen Anker Wein langsam gewann, und durch Nachlässigkeit seiner Leute, die er ohne Aufsicht ließ, ihm ein ganzes Ohm in den Keller lief? Er kam nicht vorwärts, dieser betriebsame Wirt, sondern er kam zurück in allen Dingen, nur nicht von seiner Prellerei und Habsucht, diese trieb [647] er immer ärger und ärger, bis die Gäste wegblieben und das Weinstüblein leer stand, die Karten und Würfel ruhten, der Bratofen kalt blieb und der Schornstein sich das Rauchen abgewöhnte.

Als es so weit schon mit dem Krebsgange dieses Wirtes gediehen war, schlug ihm ein neuer Schrecken in die Glieder; sein Bruder, der fromme Mönch, kam und sprach zu ihm: »Lieber Bruder, gib mir das dir geliehene Kapital heraus, ich habe meinem heiligen Schutzpatrone in unserer Klosterkirche einen kostbaren Altar mit herrlicher Malerei, Schnitzwerk und Vergoldung gelobt, den will ich davon herstellen, und was übrig bleibt, wenn etwas übrig bleibt, davon will ich Seelenmessen für unsere lieben Eltern, für dich und mich auf ewige Zeiten stiften.«

»Großer Gott!« schrie der Wirt: »Bruder, wie kannst du so unsinnig handeln! Ich kann dir dein Geld jetzt nicht herausgeben, denn ich habe es nicht – ich bin zu Grunde gerichtet; und wenn du auf der Zahlung bestehst, so wird mir Haus und Hof über dem Kopfe angeschlagen, ich muß mit Weib und Kindern betteln gehen, und du bekommst erst recht nichts, und dein heiliger Schutzpatron bekommt auch keinen neuen Altar. Höre mich an und sei vernünftig, mein lieber gottseliger Bruder! Lasse mir noch das Geld, gönne mir Zeit, mich zu erholen! Du weißt, wir haben eine schlimme Zeit durchgemacht, in welcher niemand auf einen grünen Zweig hat kommen können, außer die Bauern, die haben ihr Schäfchen geschoren und lachen uns jetzt aus. Dein Heiliger ist gewiß ein edeldenkender Menschenfreund gewesen, und hat er einige Jahrhunderte in deiner Klosterkirche keinen Pracht-Altar gehabt, so wird es ihm darauf, einige Jahre früher oder später einen solchen zu erhalten, auch nicht ankommen. Gott der Herr weiß, daß ich mir es gehörig sauer werden lasse – ich plage mich über alle Maßen, Geld zu erschwingen – aber es geht nicht – ich komme zu nichts.«

»Das höre ich sehr ungern von dir, lieber Bruder«, sprach mit Teilnahme der Mönch. »Du hast den schlechtesten Gast in dein Gasthaus aufgenommen, den es geben kann.«

»Wer wäre das?« fragte der Wirt.

»Das ist der fette Lollus!« entgegnete der Mönch.

»Der fette Lollus?« fragte verwundert der Wirt. »Du scherzest entweder, Bruder, oder du faselst. In meinem [648] Fremdenbuche steht kein Gast solchen Namens, und nie hörte ich diesen Namen nennen, wahrlich, in meinem ganzen Leben nicht!« –

»Das ist wohl möglich«, sagte der Mönch: »dennoch ist dieser schlimme Gast vorhanden und die alleinige Ursache deines Vermögensverfalles und deines Zurückkommens.«

»Den möcht ich sehen! Ich wollt ihn« – fuhr der Wirt auf.

»Du wirst ihm nicht gleich etwas anhaben, lieber Bruder« – sprach lächelnd der Mönch: »allzulange hast du ihn treulich gehegt und gepflegt – doch sehen sollst du ihn, den fetten Lollus. Er befindet sich in deinem Keller, gehe mit mir hinunter.« –

Verwundert nahm der Wirt den Kellerschlüssel und eine Lampe, und dachte: Aha, mein Bruder meint den Wein – er will andeuten, ich sei mein bester Gast selbst, doch da irrt er sich sehr.

Im Keller hieß der Mönch seinen Bruder die Lampe auf ein Faß setzen, daß ihr Strahl in eine leere Ecke fiel, hieß den Wirt hinter sich treten, zog ein kleines schwarzes Buch hervor, und murmelte daraus, gegen die Ecke gekehrt, eine Beschwörungsformel. Da wallete der Boden, da hob sich etwas Dickes heraus, da glühten ein Paar feurige Augen, und dem Wirte gerann das Blut in den Adern vor Furcht und Grauen. »Lölle, gehe ganz herzu!« rief der Mönch, da hob sich dem dickgeschwollenen Kopfe ein unförmlich dicker Leib nach, und kurze, plumpe Füße patschten auf dem Boden des Kellers, und ein unförmliches, scheußliches Tier, dessen Haut so fett und speckig glänzte, wie die einer Robbe, hockte in der Ecke.

»Schaust du deinen werten Gast, mein Bruder?« fragte der Mönch zu diesem gewendet, sehr ernst. »Ich vermeine, er habe sich in deiner Herberge nicht übel gemästet! Siehst du, Bruder – alle und jede Frucht deines Truges hat nicht dir angeschlagen, sondern diesem Lollus. Was du den Fremden und deren Vieh abgezwackt, der hat sich davon genährt, den durch zu kleines Gemäß und durch zu kleine Flaschen trüglich gewonnenen Wein oder sonstiges Getränke – alles hat der Lollus geschluckt. – Unrechtes Gut gedeihet nicht, und Untreue schlägt ihren eigenen Herrn. Soll sich's mit dir und deinem Wesen bessern, so übervorteile niemand mehr, betrüge niemand, übernimm niemand. Fordere was recht ist, [649] denn was recht ist, lobt Gott. Halte ehrliches, gerechtes Maß und Gewicht, siehe selbst zu deinen Sachen, täglich, stündlich, vom Keller bis zum Kornboden. Bediene, so viel du es kannst, selbst deine Gäste, verlasse dich nicht allzuviel auf Oberkellner und Unterkellner, auf Hausknecht und Stallknecht, auf Koch und Büttner. Je mehr du Gesinde hältst, je fetter füttert sich der Lollus.«

Nach dieser Vermahnung wurde der Wirt sehr nachdenklich, und sagte: »Ich danke dir, mein Bruder; ich will tun nach deinen Worten, die du mir gesagt hast.« Da beschwor der Mönch den Lollus wieder, und sagte: »Lölle, kreuch ein«, und schwerfällig kroch der Lollus hinterwärts wieder in die Erde zurück, und die Kellerecke war wieder leer und glatt, wie zuvor.

»Mein Geld will ich dir noch vier Jahre lassen«, sagte der Mönch: »dann aber muß meinem Heiligen Wort gehalten werden.« Darauf schied er von seinem Bruder hinweg.

Der Wirt befolgte mit Eifer seines Bruders treuen Rat, änderte seine Wirtschaft ganz und gar, richtete alles besser ein, sparte am rechten Orte, veruntreuete aber nichts mehr. Seine Frau mußte in der Küche selbst zum Rechten sehen, was sie früher nicht getan – richtiges Gemäß wurde hergestellt, auf der Glashütte wurden gerechte und vollkommenen Weinflaschen geblasen, und die kleinen liliputanischen verschwanden. Dafür stellten sich die verschwundenen Gäste wieder ein, der Bratofen wurde nicht mehr kalt, und der Schornstein rauchte wieder, trotz einem deutschen Professor schier Tag und Nacht.

Des Wirtes ganzes Wesen besserte sich in jeder Weise; sein Wohlstand nahm mit seiner Rechtlichkeit sichtbarlich zu; sein guter Ruf und der seines Hauses breitete sich weit aus, und die Gastwirte in den Nachbarstädten begannen, ihn zu beneiden, denn die Reisenden fuhren lieber noch ein paar Stunden in die Nacht hinein, um nur in das gute Gasthaus zu gelangen, und nicht selten war dieses so von Gästen überfüllt, daß der fröhliche Wirt dennoch eine traurige Miene annehmen, und die überzähligen Gäste abweisen mußte.

Als nach dem Ablaufe von vier Jahren der Mönch, des Wirtes Bruder, wieder kam, seinen Erbanteil zu begehren, empfing ihn der Wirt auf das freundlichste, setzte ihm ein herrliches Weinchen von der schönsten Farbe vor und allerlei [650] schmackhaften Konfekt, Nonnen-Plätzchen und dergleichen, und legte ihm starke Geldrollen auf den Tisch, indem er sagte: »Hier, mein lieber Bruder, ist mit meinem besten Dank dein Kapital samt allen Zinsen, redlich berechnet bei Heller und Pfennig«; der Mönch aber sagte:

»Lieber Bruder, die Zinsen nehme ich nicht, solches ziemet mir nicht nur nicht als einem Priester, sondern es stehet auch geschrieben: Du sollst nicht Wucher nehmen von deinem Bruder. Aber ich freue mich, daß du des fetten Lollus ledig bist, und hast nur noch den magern.«

»So?« sagte der Wirt. »Wohnt der auch im Keller? Den möcht ich auch sehen.«

»Den sollst du sehen!« antwortete der Mönch, hieß den Wirt voran in den Keller gehn und hob drunten seine Beschwörung wieder an. Da bewegte sich ganz langsam hinten in der Ecke die Erde und allmählich lugte ein schmales Köpfchen heraus, mit ganz matten Augen.

»Lölle, gehe ganz herzu!« sprach der Mönch. Da wand sich der Lollus matt und mühsam aus dem Boden, und erschien äußerst abgemagert; seine Haut glänzte nicht mehr wie Speckschwarte, sondern war verrumpfelt und verschrumpfelt wie eine Baumrinde, und sah äußerst hinfällig aus. »Nun ist's gut, das freut mich!« sprach der Mönch. »Lölle, kreuch ein!« – Da kroch der Lollus wieder hinterwärts, aber ganz langsam, in den Kellerboden zurück, und in der Ecke war nichts zu sehen.

»Hab Acht, Bruder!« sagte der Mönch: »wenn du bleibst, wie du jetzt bist, so hält es der Lollus kein Vierteljahr mehr bei dir aus, entweder er verkommt, oder er geht ein Haus weiter und sucht sich einen Herrn, der ihn besser nährt wie du.« – Dieses Trostes war der Wirt über alle Maßen froh, und segnete seines weisen Bruders Rat tausendfach.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Der fette Lollus und der magere Lollus. Der fette Lollus und der magere Lollus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2DF8-F